Impress Magazin Frühling 2016

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Impress Magazin Frühling 2016
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Im.press
Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH
© der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2016
Text © Antonia Anders, Alena & Alexa Coletta, Stefanie Hasse, Ava Reed, Kerstin
Ruhkieck, Teresa Sporrer, Julia Zieschang 2016
Gastbeitrag © Valentina Fast, Agathe Knoblauch 2016
Redaktions-Team: Pia Cailleau, Nicole Boske, Rebecca Wiltsch, Isabell SchmittEgner, Christin Ullmann, Ricarda Saul, Konstanze Bergner
Innenillustrationen: Nina-Jolie Suffke, Melina Goldberg, Kristina Petrovic,
Martina Gierstl, Sarah Dopatka
Umschlagbild: © shutterstock.com / © Rock and Wasp / © David M. Schrader
Umschlaggestaltung: formlabor
Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck
Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral
Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund
ISBN 978-3-646-60257-9
www.carlsen.de
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Inhaltsverzeichnis
Das erwartet Dich im Impress Magazin!
Das Impress-Gewinnspiel: Gewinne alle 5 E-Books zu den Leseproben
Leseprobe aus Antonia Anders' »Ebelle. Das Spiel aller Spiele«
Das sind wir! Es stellt sich vor: Rebecca Wiltsch aus dem Lektorat
Leseprobe aus Julia Zieschangs »Feuerphönix« (Die Phönix-Saga 1)
Hinter den Kulissen: Die Impress-Teamrunde – Kreativ bei Kaffee und Keksen
Leseprobe aus Kerstin Ruhkiecks »Forbidden Touch. Sieben Sekunden«
Die Top 10 aller Märchen-Verfilmungen von Valentina Fast, Autorin der
»Royal«-Reihe
Leseprobe aus Ava Reeds »Spiegelstaub« (Die Spiegel-Saga 2) mit FanArt von
begeisterten Lesern
Tops & Flops beim Booktuben von Agathe Knoblauch
Leseprobe aus Teresa Sporrers »Chaoskuss« (Die Chaos-Reihe 1)
Autoreninterview mit Alena und Alexa Coletta, den Autorinnen von »Geteiltes
Blut dot Com«
Exklusivinhalt: »BookElements Prequel. Die Liebe in den Worten«
(Kurzgeschichte zu Stefanie Hasses Erfolgsreihe »BookElements«)
Preview unseres Frühlingsprogramms: Alle kommenden Impress-Romane auf
einen Blick!
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© Nicole Boske
Während die letzten Schneereste schmelzen und sich immer mehr
Sonnenstrahlen hervortrauen, kommen so langsam Frühlingsgefühle auf. Wenn
man sich dann nicht in den Armen seines Liebsten vergraben kann, ist es an der
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Zeit auszugehen – oder einfach drinzubleiben und eine romantische Geschichte
zu lesen. Wessen Herz sich da noch nicht entschieden hat, der kann in unserem
Magazin schon mal exklusiv in neue Leseproben hineinschnuppern und sich
gleich mehrmals verlieben. Daneben gibt es wieder zahlreiche Einblicke in das
Leben unserer Autoren, Tops und Flops beim Booktuben, eine Auswahl der
schönsten Märchenfilme, eine Extrageschichte und Blicke hinter die Kulissen
unseres Verlags. Einfach das Impress Magazin herunterladen, das Fenster
aufreißen und lesend den kommenden Frühling genießen!
Eine kribblige Lesezeit wünscht
Pia Cailleau
Programmleiterin Impress
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Das Impress-Gewinnspiel
Gewinne 1 von 5 E-Books!
Hier hast Du die Chance, ein kostenloses E-Book der im Magazin vorgestellten
Romane zu gewinnen! Was Du dafür tun musst? Ganz einfach! Beantworte die
untenstehende Frage und schicke uns eine E-Mail an folgende E-Mail-Adresse:
[email protected]. Unter allen Einsendungen verlosen wir 5 E-Books.
In welchem neuen Impress-Roman können Wünsche
fliegen?
Kleiner Tipp: Die Antwort findest Du in einer der Leseproben des Impress
Magazins Frühling 2016.
Die romantischen E-Books von Impress kannst Du bequem auf Deinem EReader, Smartphone oder sogar am PC lesen. Einsendeschluss für das
Gewinnspiel ist der 01.05.2016.
Dein Team von Impress wünscht Dir viel Erfolg!
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Antonia Anders: »Ebelle. Das Spiel aller Spiele«
Erscheinungsdatum: 05. Mai 2016
Inhalt
Eleanor ist anders als die Mädchen an ihrer Schule. Während jene shoppen
gehen, hockt sie als leidenschaftliche Gamerin zu Hause und spielt bis tief in die
Nacht heroische Online-Spiele. Bis eines Tages das Unmögliche wahr wird und
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sie im neuesten Trendgame »Ebelle« aufwacht. Ohne Waffe und in
Schuluniform muss sie sich von Null auf ein Überleben sichern, Aufgaben
erfüllen und vor allem einen Weg zurück in die Realität finden. Gar nicht so
leicht, wenn man sich in einem mittelalterlichen Reich befindet, das kurz vor
einem Krieg steht und in dem man noch nie etwas von heißen Duschen oder
Smartphones gehört hat. Aber Eleanor ist eine gute Spielerin. Sie lernt die
richtigen Leute kennen, schlägt sich durch und gewinnt sogar das Herz eines
entscheidenden Kämpfers. Währenddessen braut sich über Ebelle ein Unheil
zusammen, das nur sie aufhalten kann…
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Leseprobe
Ebelle
Sterben, das geht zu einfach. Seufzend lehnte ich mich zurück und ließ meinen
Schreibtischstuhl geräuschvoll knarzen. Vor mir flammte erneut der orange
Ladebalken auf. Schon wieder hatte einer dieser Mistkerle mich hinterrücks
erwischt, kaum dass ich angekommen war, geschweige denn, dass ich mich
hatte umsehen können.
Eb-Online, so hieß meine neue Leidenschaft. Die Welt von Ebelle versprach
endlich Abwechslung im ewig gleichen Internet. Ja, ich spielte Rollenspiele im
Internet. Ich war ein elender, hobbyloser, brillen- und zahnspangetragender,
sabbernder Nerd. Obwohl, nein, eigentlich hatte ich weder eine Brille noch eine
Zahnspange, und sabbern tat ich allerhöchstens im Schlaf, Ehrenwort!
»Elle? Eleanor Winfield!« Das war mein Dad. »Ich bin wieder daheim!« Das
war tatsächlich überraschend. Mein gesetzlicher Vormund steckte den Kopf zur
Tür herein und sah mich vorwurfsvoll an. »Schon wieder am Computer?«
»Ich wechsle auch gern zum Fernseher«, sagte ich über die Schulter und
betrachtete wieder den Ladebalken.
»Wie war's in der Schule?«
»Gut.«
»…«
»Ja?«
»Möchtest du nicht vielleicht ein wenig ausführlicher antworten?«
»Es war gut.« Mehr als einen ganzen Satz konnte er doch nicht wirklich von
mir erwarten. Wir hatten eine Französisch-Arbeit geschrieben und ich war eine
Niete in Fremdsprachen – in Naturwissenschaften übrigens auch. Ich hatte
mich noch nicht damit abgefunden, Dad bald wieder ein Null-Punkte-Versagen
vorlegen zu müssen. Diesen enttäuschten Gesichtsausdruck, den er dann
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aufsetzte, als ob er es besser gekonnt hätte, hielt ich kaum aus. Dad arbeitete in
einem Elektronik-Unternehmen in Edinburgh.
»Ich sehe schon, du bist gerade beschäftigt.« Dad lehnte immer noch im
Türrahmen. »Ich treffe mich heute mit Cynthia. Pizza ist im Tiefkühlfach.«
»Glaubst du nicht, Cynthia erwartet eher so etwas wie ein Candle-LightDinner?«
»Sehr lustig«, sagte mein Dad trocken. »Bis dann.« Kopfschüttelnd verließ er
mein Zimmer und der Ladebalken war vielleicht zwei Millimeter vorgerückt!
Ich wartete noch ein wenig, bis ich hörte, wie Dad die Tür hinter sich
geschlossen und den Schlüssel gezogen hatte, dann sprang ich auf und lief zum
Tiefkühlfach.
Die Küche war gerade groß genug für zwei Personen, doch da ich hier
meistens alleine wirtschaftete, machte das nicht viel aus. Margherita, die mochte
ich am liebsten! Ich zog das Blech heraus, platzierte den Teigfladen vorsichtig
darauf, stellte die Eieruhr und schlug die Ofenklappe wieder zu.
Cynthia, hieß sie nicht Sheryl? Ganz sicher, vor einem Monat hatte ihr Name
noch mit einem »S« angefangen. Meine Mum und mein Dad hatten sich vor fünf
Jahren getrennt. Sie lebte seitdem in Newcastle und ich hier in Edinburgh.
Ich war der Typ, der mit seinen siebzehn Jahren gerne zur großen Gruppe
gehört hätte, zum Mainstream, wie man so schön sagte, aber ich schaffte es
einfach nicht. Wo ich auch hinkam, meine Anpassungsversuche scheiterten
kläglich. Nicht, dass ich versucht hätte mit einem Dudelsack in die Schule zu
kommen, nachdem wir hergezogen waren, oder so was. Echte Freunde hatte ich
bisher kaum gefunden. Doch immerhin, seit kurzer Zeit war ich stolzes Mitglied
unserer Klassen-WhatsApp-Gruppe.
Eine dampfende Pizza samt Teller auf dem Arm balancierend stieß ich
erneut die Tür zu meinem Zimmer auf. Mein kleines Reich war leider sehr
beengt. Auf der rechten Seite stand mein Bett, das wir mit Ach und Krach
zwischen beide Wände gequetscht hatten, in der Mitte der Schreibtisch mit
meinem Computer. (Wie passend, das Zentrum meines Lebens in der Mitte, tja,
Nerd eben). Zu meiner Linken befand sich die Kleiderkommode, wo sich
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haufenweise Bücher, Ladekabel, kunterbunte Kuscheltiere und Brettspiele
stapelten, die mangels Mitspieler vermoderten. Ich räumte ein tellergroßes Loch
in das Chaos und stellte die Pizza dort ab.
In diesem Moment ertönte eine Fahrradklingel aus der Tasche meines
karierten Rocks (ich hatte die Schuluniform noch nicht ausgezogen). Das war
mein Smartphone, vermutlich verglichen meine Klassenkameraden ihre
Angaben in der Prüfung und verbreiteten gründlich Panik. Ich zog mein Handy
heraus und entsperrte es.
Was war denn jetzz richtig?? :D Hab keine Ahnung …!
Ich auch nicht, tippte ich.
Mein Gott!! War echt soo eine Kacke!! –.Stimmt, tippte ich.
Vor allem die erste Aufgabe!!! mann, hat die wer?? Hallo??
Satzzeichen sind keine Rudeltiere, tippte ich und machte noch so einen süßen
Wolf-Emoji daneben.
Eleanor wurde aus der Gruppe entfernt.
Lol. Ich schaltete mein Handy aus.
Etwas niedergeschlagen ertränkte ich nun meine soziale Unbeholfenheit in
Orangensaft. Großzügig schenkte ich mir ein und trank in langen Zügen. Ich
knallte das Glas auf die Theke und lief zurück in mein Zimmer. Endlich! Es hatte
geladen. Mit einem Lächeln ließ ich mich in meinen Sessel sinken.
Ich klickte mich durch gefühlte hunderte von Werbe-Pop-ups, bis ich endlich
wieder den ursprünglichen Bildschirm sehen konnte. Da wollte man mir ein
Anti-Viren-Programm andrehen, ein heißes Date mit einem vollbusigen Single
aus meiner Nähe (ich stehe nicht auf große Hupen, ganz allgemein), einen
Haufen Designer-Sessel und noch einige vielversprechende Aktien.
Ich begann also eine neue Partie in Eb-Online. Vor mir erschien etwa drei
Sekunden lang die detaillierte Karte der Welt. Sehr hilfreich war das. Ehe ich
auch nur das Gröbste hatte entziffern können, war sie schon wieder
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verschwunden. Vermutlich musste ich mich dort auf meine ausgeprägten
Pfadfinder-Kenntnisse verlassen. Der Bildschirm wurde schwarz, dann
flimmerte plötzlich eine weitläufige Landschaft auf. Das war eigentlich nicht
normal für ein Online-Spiel. Normalerweise durfte man vorher ausführlich einen
Charakter erstellen, der so wenig wie möglich seinem tatsächlichen Ich ähnelte.
Also quasi das Gegenteil-Spiegelbild zur Person hinter dem Avatar darstellte.
Mein Gegenteil-Ich wäre dann wohl blond und vollbusig, mit himmelblauen
Augen, hochgewachsen, allseits beliebt, behütet von glücklich verheirateten
Eltern und außerdem ein richtiges As in Fremdsprachen (insbesondere in
Französisch).
Die Welt hatte sich geöffnet. Willkommen daheim in der Fantasy, wo Trolle
noch putzige Fabelwesen waren.
***
Ich stand auf einer weiten, ebenen Grasfläche. Durch die Lautsprecher hörte ich
es rauschen, eine Soundstörung? Nein, hinter mir war das Meer. Ich drehte
mich um. Ich stand an einer Art Küste, ein schmaler Sandstreifen vor mir.
Hektisch drückte ich einige Tasten. Ich streckte die Hände aus. Ich trug eine
Rüstung, die anscheinend meinen ganzen Körper bedeckte. Um ehrlich zu sein,
sah sie ziemlich hässlich aus. Sie spiegelte im Sonnenlicht, vermutlich konnte
ich damit meine zahllosen Gegner blenden, die mir bald wieder auflauern
würden. In einer Sache sind Online-Spieler und Schulhöfe genau gleich: »Da ist
ein Neuer! Schnappt ihn euch!«.
Nein, diesmal ohne mich. Ich hielt die Vorwärts-Taste gedrückt und entfernte
mich von der Küste. Vor mir erstreckte sich nichts als grünes Niemandsland,
kein anderer Spieler war zu sehen, ein Glück.
In den folgenden Stunden begann ich die Gegend ausführlich zu erkunden.
Viel gab es bisher nicht zu sehen, ein wenig enttäuschend. Die Landschaft war
öde und leer und schien lediglich von einigen schwarz-weiß gescheckten Krähen
bevölkert zu werden, die mit einem langgezogenen Schnarren, das gar nicht
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typisch für Krähen klang, über mich hinwegschwirrten. Warum sahen diese
Vögel eigentlich aus wie ein schlecht belichtetes Bild? So etwas nannte man wohl
kreatives Design. Ich fühlte mich ein wenig deplatziert, wie ich so aufs
Geratewohl einfach geradeaus lief. Egal, mich sah ja keiner. Endlich, nach etwa
zwanzig Minuten, war da etwas Neues am Horizont. Ein Lächeln glitt über mein
Gesicht, als ich die Umrisse eines Dorfes in der Ferne erkannte. Mir war sofort
klar, hier durfte man sich als Neu-Einsteiger austoben und seine ersten
Lorbeeren sammeln. Nicht, dass ich der Einzige mit diesem Gedanken gewesen
wäre. Ich sah von den kleinen Häusern eine dicke schwarze Rauchsäule
aufsteigen. Dort waren auch andere Spieler, vermutlich auf der Suche nach
einer weniger hässlichen Rüstung. Blieb nur zu hoffen, dass ich mich gut genug
vor ihnen verbergen konnte oder sie so gutmütig waren, mich nicht sofort
umzubringen – oft genug war es ja schon passiert.
»Elle!« Ich schreckte hoch. Die Stimme kam aus dem Flur. Es war mein Dad.
Widerwillig sprang ich hoch und riss die Tür auf. Ich prallte zurück, als ich
Dad zusammen mit einer blonden Frau im Flur stehen sah.
»Ich dachte, ihr geht essen«, sagte ich und setzte ein freundliches Gesicht
auf. Wenn ich nur brav genug Konversation machte, konnte ich schneller wieder
zurück und endlich das Dorf erkunden.
»Wollten wir eigentlich auch«, erklärte Dad.
»Wir haben uns spontan anders entschieden«, schaltete sich Cynthia ein.
»Der Italiener hatte Ruhetag.«
»Pech, äh, ich meine, wie bedauerlich. Ich hoffe doch, das stellt keine allzu
große Enttäuschung für euch dar.«
Cynthia lachte. Lachte sie über mich oder meine witzige Art, ein Gespräch zu
führen?
»Das ist meine Tochter, Elle …« Dad schien zu überlegen, was
beziehungsweise ob es irgendetwas Unverfängliches über mich zu erzählen gab.
»Sie ist siebzehn.« Das war schon ein wenig schwach.
»Meine Freizeit verbringe ich eigentlich durchgängig vor dem Computer.
Ich bin ein absoluter Außenseiter an der Schule, aber keine Sorge, ich nehm's
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dort niemandem übel. Geburtstag habe ich am achten November, an dem Tag
wurde auch Bram Stoker geboren, der Autor von Dracula. Das ist ziemlich cool,
musst du zugeben.« Ich wollte etwas ehrlicher sein als mein Vater, der nun
ziemlich angesäuert aussah. Nicht schlimm, für Sandy, oder wie auch immer die
Nächste hieß, würde ich mich ja vielleicht zusammenreißen.
Cynthia schien nicht so recht zu wissen, was sie sagen sollte. Vielleicht war sie
kein großer Dracula-Fan. Blass genug war sie jedenfalls.
»Deine Tochter ist wirklich originell, Nicolas.« Originell, das klang nach
einem ausgefallenen Lampendesign oder einer Beschreibung für ein
misslungenes Gericht.
»Wusstest du, dass Cynthia sich unglaublich für polynesische Kunst
interessiert?«, sagte Dad, der wohl Angst hatte, ich könnte weitere irritierende
Details über mich selbst preisgeben.
»Nein«, gab ich ehrlich zu, doch mein Dad wusste eigentlich auch, dass
meine Wenigkeit sich unglaublich für andere Dinge als polynesische Kunst
interessierte.
»Da hat gerade eine ganz außergewöhnliche Ausstellung eröffnet. Vor zwei
Tagen war die Vernissage«, verkündete er.
»Eine einmalige Gelegenheit, meiner Meinung nach.« Cynthia strahlte.
»Wir dachten, es wäre doch nett …«
O nein, mir schwante Unheil.
»Ja, das klingt wirklich nach einer einmaligen Gelegenheit für euch zwei«,
antwortete ich trocken. Dad plante, mich mitzunehmen und den vorbildlichen
Vater heraushängen zu lassen, damit konnte er an Cynthias sentimentale Seite
appellieren. Sieh nur, der arme, alleinerziehende Vater, der nur noch seine
merkwürdige Tochter hat, um polynesische Kunst zu bewundern.
»Möchtest du uns nicht begleiten, Eleanor?« Er nannte mich Eleanor, dazu
kam sein Das-war-eine-rhetorische-Frage-Blick, was jede Antwort überflüssig
machte.
Also lief ich rasch zurück in mein Zimmer, um mein Spiel zu beenden.
»Du bist TOT«, leuchtete mir eine rote Schrift auf schwarzem Grund
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entgegen. Das gab's doch nicht! Schon wieder?
»Eleanor! Beeil dich!«
Ohne den Computer herunterfahren zu können, stürmte ich aus dem
Zimmer.
***
Den Ausstellungsstücken schien es in Schottland nicht besonders zu gefallen.
Vielleicht war es das Regenwetter, oder warum sonst machten sie diese
grässlichen Fratzen? Auch wirkten sie merkwürdig deplatziert in den klinisch
weißen Ausstellungsräumen. Sie gehörten in eine farbenfrohe Umgebung und
nicht in diese anonymen Hallen, deren Stille nur durch ein leises Husten der
Besucher durchbrochen wurde. Ich langweilte mich fürchterlich und das den
ganzen Nachmittag hindurch. So gut es ging, hielt ich mich von Dad und seiner
Freundin in spe fern. Während Cynthia sich vielleicht tatsächlich für
polynesische Kunst interessierte, spürte ich, dass Dad sein Interesse nach
geschlagenen drei Stunden nur noch heucheln konnte. Ich konnte nicht sagen,
wer von uns erleichterter war, als wir endlich die Ausstellung verließen. Mit der
Ausrede, dass ich daheim vergessen hatte den Hamster zu füttern (wir hatten
keinen, aber Tiere zogen immer), hatte ich der Sache noch den nötigen
Nachdruck verliehen. Draußen dämmerte es bereits, meinen Tag hatte ich
wirklich gründlich genug verplempert. Müde starrte ich die durch die
feuchtkalte Luft flitzenden Tauben an, hob meinen Blick und betrachtete eine
große Plakatwerbung für Armbanduhren, damit Dad und Cynthia sich in Ruhe
verabschieden konnten. Er drückte sie fest an sich, dann trennten sich endlich
unsere Wege.
Da es in der Innenstadt quasi unmöglich war, sich mit dem Auto schneller als
im Schneckentempo fortzubewegen, und weil wir beide »sitzende Berufe«
ausübten, wie Dad es scherzhaft nannte, liefen wir nach Hause, anstatt den Bus
zu nehmen. Es war ein langer Weg und meine Hände, die ich zum Schutz vor
der Kälte tief in den Manteltaschen vergraben hatte, froren langsam, aber sicher
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ein.
»War doch gar nicht so übel.«
»Dad …«
»Okay, es war übel.«
Ich musste widerwillig lachen.
»Mochtest du sie?«
»Ist doch völlig egal.«
»Nein, mir ist es nicht egal.«
»Jetzt komm, bitte, solange ich nie wieder in so eine Ausstellung muss, könnt
ihr machen, was ihr wollt. Von mir aus auch nach Polynesien in die
Flitterwochen fahren. Ist sie so eine, die lauter Räucherstäbchen daheim hat und
ihre Wohnung nach solchen komischen Energielinien einrichtet oder wie hieß
das nochmal? Karma-Grenzen?« Wieder lachten wir. Das hatten wir öfter getan,
damals, vor fünf Jahren.
»Cynthia ist übrigens sehr gut in Französisch. Sie hat sogar schon einige
Sprachreisen dorthin gemacht. Wäre es nicht …«
»Nein, Dad, wäre es ganz sicher nicht.«
***
Es war schon vollständig dunkel, als wir endlich an unserem Wohnblock
ankamen. Der Aufzug war kaputt, weshalb wir ins enge Treppenhaus
ausweichen mussten. Hässliche Betonstufen, grelles Licht und kaltes
Metallgeländer. Wer Wohlfühlatmosphäre wollte, hatte gefälligst den Aufzug zu
benutzen, in dem es sogar einen Spiegel gab (auf den jemand vor ein paar Tagen
mit Rasierschaum »Fucker« geschrieben hatte). Ob es Sheryl gewesen war?
Vielleicht hätte Dad sie doch nicht abservieren sollen.
»Nacht, Dad, oder sollte ich eher aloha sagen? Wie auch immer, bis morgen.«
»Jaja, Elle, vergiss du besser nicht, den Hamster zu füttern.« Ich grinste und
winkte, bevor ich die Tür hinter mir schloss.
Erleichtert stieß ich einen langen Atemzug aus. Endlich wieder in den
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eigenen vier Wänden. Lange genug hatten sie auf mich warten müssen. Es war
dunkel in meinem Zimmer, doch ich machte mir nicht die Mühe, das Licht
einzuschalten, stattdessen ging ich zu meinem PC und drückte auf die Leertaste.
In meiner Abwesenheit hatte sich der Computer in den Ruhe-Modus versetzt.
Nun, verärgert, aus seinem Nickerchen gerissen zu werden, fuhr er schnaufend
und quälend langsam wieder hoch. Ungeduldig trommelte ich mit den
Fingerknöcheln auf der Lehne meines Schreibtischstuhls. Der Bildschirm
schaltete sich ein.
101010001010101000101111010101010110
Eine unendlich lange, weiß leuchtende Zahlenreihe bedeckte die gesamte
Fläche. Verdammt, was war da in meiner Abwesenheit passiert? Fluchend hackte
ich auf die Tastatur ein. Immer wieder wurde der Bildschirm schwarz, dann
tauchte wieder die Zahlenreihe auf, immer und immer wieder, egal, was ich
versuchte.
Allmählich geriet ich in Panik. Die Dunkelheit um mich herum schnürte mir
die Kehle zu. Ich drückte eine weitere Taste, ein Summen, die Zahlen
verschwammen. Mir brach der kalte Schweiß auf der Stirn aus. Das war nicht
normal. Nein, irgendetwas passierte hier, etwas Falsches, doch da waren nur
noch das Summen und die Zahlen. Kälte ergriff Besitz von mir, als sich
Schwärze in meinem Kopf ausbreitete. Die weißen Zahlen leuchteten, als ich
verloren ging.
101010101111101010101000101011
ERROR
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Neu hier
Ein sachter Wind strich über meine Wange. Es war ein wenig frisch, aber das
machte mir nichts aus, schließlich kann man sich in Träumen keine Erkältung
holen. Grashalme kitzelten mein Gesicht und sanfte Sonnenstrahlen streichelten
über meine geschlossenen Augen. Konnte man in einem Traum mit
geschlossenen Augen daliegen? Ich tastete mit meinen kalten Händen über den
Boden und fühlte ein Blatt. Ich nahm es in meine Faust und riss urplötzlich die
Augen auf. Nein, konnte man bestimmt nicht! Ich fuhr hoch. Um mich herum
war nichts anderes als Wald.
Kerzengerade setzte ich mich auf. Wo war ich? Eine Weile blickte ich mich
einfach nur heftig blinzelnd um, während mein überfordertes Gehirn versuchte,
eine plausible Erklärung für meinen Aufenthaltsort zusammenzuschustern.
Langsam tauchten verschwommene Erinnerungsfetzen vor meinem geistigen
Auge auf. Der Computer, die seltsamen Zahlenfolgen, das beklemmende Gefühl,
aber irgendetwas musste doch dazwischen passiert sein, denn zu diesem
Zeitpunkt hatte ich mich definitiv meilenweit vom nächsten Forst entfernt
befunden. Ich blickte an mir herunter. Auf eine ausgelassene Party mit
anschließendem Filmriss war ich jedenfalls nicht gegangen, denn meine biedere
Schuluniform hätte ich definitiv nicht zum Aufreißer-Outfit auserkoren.
Angestrengt rieb ich mir mit dem Handballen die Stirn, als ob mir davon
vielleicht doch noch ein rettendes Licht aufgehen könnte. Ein langgezogenes
Schnarren riss mich aus meinen Gedanken. Verblüfft legte ich den Kopf in den
Nacken und sah gerade noch einen schwarzweiß gescheckten Vogel zwischen
den Ästen verschwinden. Diese auffällige Musterung hatte ich schon einmal
gesehen, aber das war doch … Ein aufgeregtes Kribbeln durchzuckte mich, als
ich hastig aufsprang und mir einen Weg durch das Gestrüpp bahnte, weiter
dem schnarrenden Geräusch nach. Immer wieder blickte ich nach oben, um
Gewissheit zu haben, dass die Krähe keine Sinnestäuschung gewesen war. Ihr
schwarz-weiß gesprenkelter Körper blitzte hin und wieder zwischen den Ästen
hervor, während ich durch das Unterholz stolperte. Ich blieb erst stehen, als ich
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bemerkte, dass sich der Waldwuchs ein wenig lichtete. Wenn ich diesen Ort
verlassen hatte, würde sich endlich herausstellen, wo ich denn war. Die Krähe
allein musste ja noch nichts heißen. Mit mulmigem Gefühl stieß ich durch das
Blattwerk und landete nicht wie erhofft auf einem asphaltierten Weg, sondern
auf einem abgeernteten Weizenacker. Ein paar bräunliche Ähren wiegten sich
noch einsam im kühlen Wind und wiesen in Richtung eines kleinen Hauses, das
nahe am Feld stand. Mit kräftigem Flügelschlag segelte die Krähe über das
strohgedeckte Dach hinweg und ließ mich mit meinem flauen Gefühl im Magen
ganz allein. Dich Biest hatte ich schon einmal gesehen und mich über das
seltsames Geschrei gewundert, aber das war daheim an meinem Schreibtisch
gewesen! Bestimmt eine Minute lang stand ich einfach nur da und musterte nun
die ärmliche Behausung in der Ferne, die mir traurigerweise ebenfalls bekannt
vorkam. Bauernhäuser dieser Art hatte ich vor kurzer Zeit auf Screenshots
bewundert und deren realistische Darstellung zur Kenntnis genommen. Die
Macher von Ebelle hatten sich in Sachen Ausstattung wirklich ins Zeug gelegt.
Ich war nicht in Edinburgh, noch nicht einmal in Schottland. Wenn nicht
jemand einen verdammt sauber inszenierten Scherz für mich organisiert hatte,
befand ich mich gerade weit, weit fort von zu Hause. Ich schluckte und strich
mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Wind mir in die Stirn blies. Eine
Welle der Begeisterung schwappte gleichzeitig mit einer gehörigen Portion
Panik über mich hinweg. Die Vernunft redete mir vehement ein, dass ich
träumte, während mein Verstand mir das Unglaubliche servierte: Ich war in
meinem Spiel: in Ebelle. In was für einen verdammt coolen, bescheuerten,
unheimlich unheimlichen Mist war ich da hineingeraten?
In einer Mischung aus plötzlich erwachter Abenteuerlust und gleichzeitigem
Misstrauen begann ich mich dem Haus am Rande des Feldes zu nähern.
Wahrscheinlich sah ich gerade aus wie ein verkappter Ninja. Dad hätte sich bei
meinem Anblick vermutlich schiefgelacht. Ich kam meinem Ziel näher. Es
schien gerade niemand dort zu sein. Aus dem Kamin drang kein Rauch und die
Tür war fest verschlossen. Ich fühlte mich unbehaglich dabei, ganz allein durch
die menschenleere Gegend zu streunen. Die Verlassenheit der Gegend und
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meine Aufregung jagten mir einen kalten Schauer über den Rücken. Leise
fluchend schob ich ein paar Weizenähren beiseite, um schneller
vorwärtszukommen. Ich war jetzt fast da. Nur noch ein Fleckchen abgetretene
Wiese trennte mich von dem Häuschen, das mit ausgeblichenem Stroh gedeckt
war und dessen Wände einen sehr selbstgebastelten Charme besaßen. Mit
bedächtigen Schritten und mit misstrauischen Blicken umrundete ich es und
erblickte eine Wäscheleine. Daran flatterten ein fadenscheiniges Kleid, eine
ausgeblichene Jungenhose und einige Windeln. Wenn dies alles vielleicht doch
nur eine Halluzination war, dann war es jedenfalls eine sehr authentische.
Unwillkürlich blickte ich an mir herunter. Wenn ich tatsächlich in Ebelle sein
sollte, dann war ein kurzer Rocke vielleicht nicht die beste Ausrüstung, um sich
durch dieses Abenteuer zu schlagen. Außerdem könnte das aufgenähte
Schulwappen an meinem Cardigan als Zeichen einer okkulten Sekte diffamiert
werden. Mein Blick wanderte zurück zur Wäscheleine zu dem langen braunen
Kleid, das sanft hin- und herschwang. Das schlechte Gewissen regte sich in mir,
als ich die Hand ausstreckte, um einer armen Frau die bestimmt nicht einzige
Kleidung – sonst wäre sie ja gerade nackt –, aber sie hatte sicher trotzdem nicht
viele, zu stehlen. Mein Herz schlug inzwischen doppelt so schnell – mich
erstaunte, dass das überhaupt möglich war. Ich beschloss, den Raubzug lieber
vorzeitig zu unterbrechen. Was, wenn sonst jemand kommen würde, um mir die
Hand abzuhacken (Machte man das nicht so mit Dieben? Andererseits war das
auch ein Online-Rollenspiel, vielleicht würde man mich auch nur ein paar Levels
herunterstufen). Mit dem Kleid fest an meine Brust gedrückt, verzog ich mich
hinter das Haus, um mich im Schutz seiner fensterlosen Wände umzuziehen.
Vorher wühlte ich in den Taschen meines Rocks in der Hoffnung, etwas
Nützliches zu finden. Einen Kompass oder eine Wegbeschreibung nach Hause
beispielsweise. Alles, was ich fand, waren eine 50-Pence-Münze und ein
zerknitterter Hinweis auf den Kuchenbasar nächste Woche. Ich bezweifelte im
Moment allerdings, dass ich ihn würde besuchen können, mit oder ohne Kuchen.
Das Kleid, das ich mir nun überzog, war sehr schlicht und schon an einigen
Stellen geflickt worden. Außerdem hatte ich den Verdacht, dass so etwas wie ein
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Unterkleid fehlte, also ließ ich mein graues Top an und zog es mir einfach über
den Kopf. Es war »ein wenig« zu groß und fühlte sich ziemlich klamm an, und
auch wenn Naturtöne hier vielleicht angesagt waren, sah das Braun selbst für
einen Klotz von Modebewusstsein wie mich nicht gerade nach High Fashion aus.
Ich steckte die Münze in eine der zwei großen Taschen meines Kleides.
Vielleicht bekam ich dafür ja noch einen Kaugummi oder so.
Ich streckte die Arme aus und betrachtete bekümmert meine neue
Ausstattung. Langsam, aber sicher überschattete nun doch die Angst meine
Aufregung. Das konnte ich doch nicht wirklich durchziehen. Ich gehörte
überhaupt nicht hierher. Wenn ein Weg nach Ebelle existierte, dann gab es doch
bestimmt auch einen zurück. Ich biss mir auf die Lippe. Ich befand mich aller
Wahrscheinlichkeit nach in einem Spiel und jedes Spiel ließ sich auch
irgendwie gewinnen. In meinem Fall hieße das, nach Hause zu kommen. Und
wie gewann man? Indem man Aufgaben erfüllte. Ich ließ meinen Blick über die
verlassene Gegend schweifen. Meine erste Aufgabe würde es wohl sein, diese
Aufgabe zu finden. Ich seufzte auf. Wenn es so einfach gewesen war
hierherzukommen, warum konnte es dann nicht genauso einfach sein, wieder in
meinem Zimmer zu landen. Hatte ich denn um diesen Weltentausch gebeten?
Das war doch nicht fair. Zur Antwort hörte ich eine Krähe hämisch krächzen. Ich
machte mich wohl besser auf den Weg.
Auch wenn mein Fokus aktuell darauf gerichtet war, das richtige Ziel zu
finden, erschien es mir als guter Einfall, der Straße hinunter zu folgen. Vielleicht
würde an deren Ende ja eine Stadt auf mich warten oder wenigstens etwas zu
essen, denn auch wenn man gerade in einem völlig absurden Abenteuer steckte,
existierten trotzdem noch so profane Bedürfnisse wie Hunger und Durst. Mit
einem Seufzen dachte ich an die kalte Pizza, die daheim auf meinem
Schreibtisch lag. Im schlimmsten Fall würde ich in meinem Leben nie wieder
Pizza essen und wenn Mrs Chester in einer Woche die Französisch-Arbeit
herausgab, würde ich mit ein wenig Pech sonst wo stecken – oder vielleicht wäre
ich in dieser Zeit zur Königin des Landes aufgestiegen? In solchen Genres ging
das ja bekanntlich schnell.
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Die Straßen dieser Gegend waren kaum der Rede wert. In einer Zeit vor der
glorreichen Erfindung von Infrastruktur und Schlaglochpaten waren es einfache,
schlammige Wege, die wohl nur als Richtungsorientierung dienten. Tiefe
Furchen von Wagenrädern waren in den Dreck eingegraben und meine Schuhe
sahen schon sehr naturverbunden aus, so voller Matsch. Mein Smartphone hätte
mich jetzt bestimmt aufgemuntert, denn ich hätte mir mit Musik im Ohr
bestimmt den tristen Weg verkürzen können. Unglücklicherweise lag das ruhig
und zufrieden auf meiner Kommode daheim. Die Landschaft wechselte jetzt von
Wald zu kahlen Wiesen, auf denen einige kümmerliche Blumen blühten.
Plötzlich schreckte ich auf, am Horizont war etwas zu erkennen! Es sah nach
einem Ochsengespann aus. Das musste sie sein! Meine Chance, den Sinn von all
dem endlich zu erfahren! Und endlich zu verstehen, was ich denn hier bitte tun
sollte! Aufgeregt strich ich ein paar Strähnen meines Haares zurück, zumindest
war ich nicht rothaarig, denn dann wurde man zu früheren Zeiten sofort als
Hexe verbrannt. Das hatte ich in der Schule gelernt (oder war es ein Film
gewesen …?). Aus diesem Grund war ich jedenfalls sehr dankbar für mein
zartbitterbraunes Haar – der Gedanke an Schokolade deprimierte mich
irgendwie.
Das Fuhrwerk kam näher und ich versuchte ihm schnell entgegenzulaufen.
Jetzt war der Wagen endlich in Rufweite. Auf dem Bock saß ein etwa 50-jähriger
Mann mit spärlichen blonden Haarbüscheln. Er trug eine abgewetzte Weste und
eine speckige Hose. In der Hand hielt er eine dünne Peitsche, um seine Ochsen
voranzutreiben. Er schien allein unterwegs zu sein. Und tatsächlich, genau in
dem Moment, als ich überlegte, ob es wohl meine Aufgabe war, das Gespräch zu
beginnen, drehte er sich auf dem Kutschbock zu mir um, während der Karren
ein wenig langsamer wurde. Ich ballte in der Tasche meines Kleides die Hände
zu Fäusten.
»Mach Platz, Mädel«, fuhr er mich ungehalten an. Ich zuckte zusammen. »Du
stehst mitten auf dem Weg!«
Immerhin beherrschte er meine Sprache, auch wenn er nicht viel von einer
höflichen Anrede zu halten schien. Alles andere hätte dieses Spiel auch ziemlich
23
kompliziert gestaltet.
»Ähm, Mister? Verzeihung …«, sagte ich perplex, doch mein
Gesprächspartner machte keinerlei Anstalten, mich weiter zu beachten. Das
konnte doch nicht wahr sein: Ich wollte Antworten!
»Hören Sie, Mister«, sagte ich nun lauter.
»Ich nehm' dich nicht mit«, unterbrach mich der Mann ungehalten und
zeigte dabei ziemlich gelbe Zähne. »Sind schlechte Zeiten für sowas, scher dich
fort! Und mein Name is' nich' Mister.« Den Verlauf dieses Gespräches hatte ich
mir definitiv anders vorgestellt.
»Kommen Sie aus einer Stadt?«, versuchte ich es nun ein wenig verzweifelt in
eine andere Richtung und lief ein Stückchen rückwärts, um den Mann im Auge
behalten zu können.
»Jaja, ich komm' aus der Stadt, wo sollt' ich sons' her sein? Jeder weiß, dass das
die Straße in die Stadt is, es gab nie 'ne andere.« Er sah immer noch
entschlossen nach vorne und schlug mit seiner Peitsche den Ochsen auf den
Rücken.
Dann zockelte er zügig an mir vorbei und ließ mich einfach stehen. Was war
aus den netten alten Bauern geworden, die einen baten aufzusteigen und
obendrein noch einen Apfel verschenkten? Wenn ich doch nur wenigstens
wüsste, wie weit es noch war. Frustriert setzte ich meinen einsamen Weg fort,
vielleicht hatte ich ja mit dem nächsten Fuhrwerk mehr Glück. Anscheinend
durfte man die Leute hier nicht »Mister« nennen. Sollte ich es mal mit
»Hochwürden« probieren? Spielte jetzt ohnehin keine Rolle mehr. Es war
niemand da. Die Herbstsonne wärmte ein wenig mein schönes Kleid und mein
Magen knurrte wie immer. Doch am späten Nachmittag zeigte sich bereits
wieder ein Hoffnungsschimmer. In der anbrechenden Dämmerung sah ich eine
Kreuzung, an der ein großes Gebäude lag, vermutlich ein Gasthaus. Dahinter
konnte ich eine kleine Dorfsiedlung erahnen. Ich hörte entfernt das
Stimmengewirr und Pferdewiehern. Hier war man bestimmt ein wenig
gastfreundlicher. Immerhin hatte ich ein kleines Vermögen auszugeben, 50
Pence! Aufgeregt beschleunigte ich meine Schritte und betrachtete
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sehnsuchtsvoll die Schenke, als ob sie mich für all den Frust, den ich erlebt hatte,
auf einen Schlag entschädigen könnte. Die Kreuzung vor dem Dorf war leider
nicht ausgeschildert. In Zeiten, in denen fast keiner lesen konnte, leider
nachvollziehbar. Es gab allerdings so etwas wie einen Meilenstein, auf dem ein
großes Banner zu sehen war, mit einer Art eingravierten Münze in der Mitte.
Unter dem Bild hatte jemand zwei gekreuzte Schwerter eingemeißelt. Entweder
ging es dort in die Stadt oder auf ein Schlachtfeld. Ich würde mich erkundigen,
denn meine nächste große Chance auf einen Hinweis wartete irgendwo in der
Ferne nur darauf, genutzt zu werden.
Ende der Leseprobe
Antonia Anders lebt bei ihrer Familie in einer bayerischen Kleinstadt. Das
Schreiben faszinierte sie schon von Kindesbeinen an und entwickelte sich zu
einer ausgeprägten Leidenschaft für das Fantasy Genre, ganz egal, ob Film,
Buch oder Spiel. Wenn sie gerade einmal Stift und Notizbuch beiseitelegt, spielt
sie gerne Querflöte oder Klavier – oder Online-Rollenspiele.
25
Drei Fragen an Antonia Anders
© privat
Was hat dich zu deinem neuen Roman inspiriert?
Mein Bruder und ich haben dieses abendliche Ritual, dass wir nach einem
langen Tag noch zusammen auf dem Sofa sitzen und Videospiele spielen. Als ich
an einem dieser Abende einen neuen Helden erstellt habe, bin ich auf die Idee
gekommen wie es wäre, wenn man für das große Abenteuer keinen eigenen
Recken zusammenstellen kann, sondern das eigene unperfekte Ich im Spiel
landet.
Welche Figur aus deinem neuen Roman könntest du, ohne mit der Wimper zu
zucken, sterben lassen bzw. welche Figur ist dir am wenigsten sympathisch?
Puh, das ist eine schwierige Frage und ich glaube, es gibt da ein paar
Kandidaten in meinem Buch, die mir eine ehrliche Antwort ganz übel nehmen
würden. Am wenigsten sympathisch ist mir der Mentor von Eleanors
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zukünftiger Bekanntschaft Gordian. Ich könnte Aegid zwar allein um Gordians
Willen nicht kaltschnäuzig sterben lassen, aber ich wäre durchaus bereit, ihn in
einen langen Urlaub auf eine abgelegene Felseninsel zu schicken. Er ist sehr
pflichtbewusst, aber gleichzeitig auch ein eher rücksichtsloser Mensch und für
mich persönlich gibt es kaum eine unsympathischere Eigenschaft als Egoismus.
Wie sieht deine persönliche Schreib-Playlist aus?
Sehr bunt gemischt. Es sind viele zeitgenössische Interpreten dabei wie
Imagine Dragons, Lindsey Stirling oder James Blunt. Ich höre aber auch gerne
Irish und American Folk. Tja und für romantische Szenen habe ich noch meine
ganz persönliche, hoffnungslos schnulzige Playlist: Von Christina Perri über
Monrose ist da alles dabei, was den Griff zur Taschentuchbox nötig macht.
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Das sind wir!
Es stellt sich vor: Rebecca Wiltsch aus dem Lektorat
© Nicole Boske
Rebecca Wiltsch ist seit 2013 beim Carlsen Verlag. Nach ihrem Volontariat bei
Chicken House wechselte sie ins Lektorat des Erzählenden Programms, wo sie
mit zahlreichen Übersetzern, Illustratoren und Autoren zusammenarbeitet,
darunter auch Sandra Regnier. Bei Impress ist Rebecca für die Koordination der
Korrekturleser verantwortlich. Was das genau bedeutet, hat sie für Euch mal
zusammengefasst.
Man kennt das ja: Da schreibt man einen Text, liest ihn
unzählige Male und trotzdem findet am Ende noch
irgendjemand einen Tippfehler. Deshalb sind auch die ImpressTexte ein Fall für unsere Korrekturlese-Engel, die dem
Fehlerteufel ganz tapfer einen Strich durch die Rechnung
machen.
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Damit bei so vielen Titeln nicht der Überblick verloren
geht, helfe ich ein bisschen dabei. Am Monatsanfang wird
erst mal die Programmliste gecheckt. Sobald feststeht,
wann die Texte aus dem Lektorat kommen, frage ich bei
unseren Korrekturlesern an, ob sie Zeit für ein brandneues
Manuskript haben. Ein paar Tage vor der Datenabgabe –
also dem Tag, an dem die Texte in die Produktion gehen und
zu E-Books werden – geht es dann richtig los: Die Texte
werden verschickt, korrigiert und landen dann wieder bei
mir. Ich kümmere mich um den letzten Check, sehe alle
Änderungen und Anmerkungen durch, überprüfe die
Formatierungen und gebe die Manuskripte schließlich frei.
Was sich harmlos anhört, erfordert ein sehr hohes Maß an
Selbstdisziplin, es besteht nämlich absolute Festlese-Gefahr:
Sobald ich auch nur ein klitzekleines bisschen in die
Geschichte reinlese, kann ich nicht mehr damit aufhören …
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Julia Zieschang: »Feuerphönix« (Die PhönixSaga 1)
Erscheinungsdatum: 05. Mai 2016
Inhalt
Caro weiß nichts von ihren Eltern. Nichts von dem Erbe, das in ihr ruht. Oder
über den unheimlichen Typen mit den goldenen Augen, der sie seit ihrem
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Geburtstag zu verfolgen scheint. Kann es sein, dass eine Verbindung zwischen
ihm und den mysteriösen Bränden besteht, die sich immer häufiger in ihrer
Gegenwart entfachen? Caro muss erkennen, dass in ihr Kräfte schlummern, die
nicht nur für sie äußerst gefährlich werden können. Sie ist die Nachfahrin einer
uralten Linie von magischen Wesen – den Phönixen. Und damit fangen ihre
Schwierigkeiten erst an.
31
Leseprobe
Ich versank in dem Anblick des Flammenspiels und machte unwillkürlich ein paar
Schritte in seine Richtung. Fast meinte ich spüren zu können, wie die Spitzen der
Feuerzungen meine Haut sanft kitzelten. Irritiert wandte ich den Blick von dem Feuer.
Was war nur los mit mir? So durfte ich nicht denken. Feuer war schmerzhaft und
grausam. Es vernichtete Leben und fraß alles auf, was sich ihm in den Weg stellte, nur
um selbst leben zu können. Aber was, wenn das in der Natur der Dinge lag? Waren
nicht immer die aufregendsten und faszinierendsten Kreaturen auch die gefährlichsten?
***
Der Regen trommelte gegen mein Fenster. Meine hohen Schuhe brauchte ich
bei dem Wetter gar nicht erst aus den Tiefen meines Kleiderschrankes zu
kramen. Bei den vielen Pfützen würde das kein gutes Ende für sie nehmen.
Daher entschied ich mich für schlichte graue Ankle Boots und eine enge
schwarze Jeans. Hoffentlich war ich damit passend angezogen. Ich wusste ja
immer noch nicht, wo es hingehen sollte. Ich wühlte ein paar schickere Oberteile
aus dem Schrank und breitete sie auf dem Bett aus. Keine Ahnung, was Doro für
ein Problem mit meinem Kleidungsstil hatte. Es konnte ja nicht jeder so schrill
und bunt rumlaufen wie sie. Und wer bitteschön trug nicht gerne bequeme
Sachen zu Hause? Seufzend zog ich meinen weiten Pulli aus und tauschte ihn
gegen ein enges, figurbetontes graues Top mit silbernen Pailletten. Darüber zog
ich meine schwarze Lederjacke. Fertig. Zufrieden betrachtete ich mich im
Spiegel. Meine feinen Haare fielen mir glatt bis zum Schlüsselbein. Ein helles
Blond, das bei Sonnenschein beinahe farblos wirkte. Genau wie mein
alabasterfarbener Teint, der durch unzählige kleine Sommersprossen etwas
Farbe abbekam. Da den kleinen Pünktchen die Fläche auf meinem Gesicht nicht
gereicht hatte, waren sie über meine Schultern hinab bis zu meinen
32
Handrücken gewandert. Ich mochte sie sehr, denn ihr Ton passte perfekt zur
Farbe meiner Iris. Eine Art warmes Bernstein, das meine Augen förmlich zum
Leuchten brachte und meinem kantigen Gesicht etwas Weiches verlieh.
»Kommst du, Caro? Wir müssen los«, rief Mara.
»Komme schon.« Ich löste mich vom Spiegel und eilte hinaus.
***
Als wir an der U-Bahn-Station Münchner Freiheit in die U3 umstiegen und nicht
in die von mir erwartete Richtung ins Stadtzentrum weiterfuhren, dämmerte
mir langsam, wo es hinging. Auf der Strecke lag nämlich nichts Besonderes – bis
auf den Olympiapark.
»Wir fahren nicht wirklich in die Olympiahalle, oder?« Mein Magen kribbelte
vor Aufregung.
Doro und Mara warfen sich einen schnellen Blick zu, ehe Mara mit einem
breiten Grinsen antwortete: »Doch, genau dorthin geht es.«
Das konnte nur eines bedeuten: Wir waren auf dem Weg zu einem Konzert!
Ich quietschte vor lauter Vorfreude. »Wer spielt denn heute?«
Tobias, der neben Mara saß und lässig einen Arm um ihre Schultern gelegt
hatte, sah mich ungläubig an. »Du hast es tatsächlich nicht mitbekommen?
Sogar im Radio haben sie es gebracht.«
Ich schüttelte ungeduldig den Kopf. »Also, wer ist es?«
Doro breitete ihre Arme aus, als wolle sie »Tadaaa« schreien und verkündete
dann: »The Script.«
»Was? Ihr seid verrückt! Ihr habt mir nicht wirklich eine Karte für The Script
besorgt?«
»Nicht nur eine«, meinte Doro, »das wollten wir uns alle nicht entgehen
lassen.«
»Ich wusste, du würdest dich darüber freuen.« Mara strahlte mich stolz und
zufrieden an. Vermutlich war es ihre Idee gewesen, mir die Konzertkarten zu
schenken. Musik war meine große Leidenschaft. Wann immer es ging, stöpselte
33
ich mir meine Kopfhörer in die Ohren. Ob auf dem Weg zur Uni, beim Joggen –
sogar beim Shoppen hörte ich meine Lieblingsbands. Und The Script waren
definitiv eine davon.
»Jetzt verstehst du auch, warum ich mitkommen musste. Ich hoffe, es macht
dir nichts aus.« Tobi sah mich entschuldigend an.
»Natürlich nicht. Ich bin schon so an den Anblick von euch beiden gewöhnt,
dass es direkt komisch ist, Mara mal alleine zu sehen.«
Mara streckte mir die Zunge raus und Tobi hob amüsiert die Augenbrauen.
***
Vor dem Eingang hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet, in die wir uns
einreihten.
»Es macht dir also nichts aus, dass du dein Geschenk schon vorher
bekommst?«, fragte mich Mara leise.
»Nein, das ist schon in Ordnung.«
»Gut.« Erleichterung spiegelte sich in ihrem Gesicht. »The Script sind leider
nur heute Abend da, sonst wären wir natürlich erst morgen hingegangen.«
»Mach dir nicht immer so viele Gedanken. Das ist das beste Geschenk, das
ich jemals bekommen habe.«
In einer spontanen Geste umarmte ich Mara und danach Doro und Tobi.
»Danke euch allen. Oh, ich freu mich ja schon so!«
»So soll es sein«, meinte Doro.
Das Konzert war der Hammer. Laut, rockig, mit zuckenden
Scheinwerferlichtern und voller kreischender Fans. Die Band hatte sich richtig
ins Zeug gelegt und ich hatte fast alle Songs aus vollem Halse mitgesungen. Als
wir wieder draußen waren, klingelten mir zwar meine Ohren und meine
Stimme war ein wenig heiser, aber das war es wert gewesen.
Es war kurz vor halb zwölf und wir beschlossen, in die Innenstadt zu fahren,
um in einem Club noch ein bisschen zu feiern.
Als unser fröhlicher Trupp den Club erreicht hatte, war es zehn Minuten vor
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zwölf und die anderen hatten beschlossen, die Zeit bis Mitternacht draußen
abzuwarten. Ich war dagegen gewesen. Der Abend war bisher der Hammer,
warum ihn dann mit Geburtstagsbeglückwünschungen ruinieren? Natürlich
stand ich mit dieser Meinung mal wieder alleine da.
»Nichts da. Man wird schließlich nur einmal zwanzig«, hatte Doro gesagt.
»Die Golden Twenties«, schwärmte Mara und ich hörte Doro ächzen.
»Ich bin auch schon zwanzig und wie du siehst, geht es mir ganz gut«,
versuchte Tobias mir Mut zu machen. Er hatte gut reden, er stand ja nicht im
Mittelpunkt. Außerdem war mir die neue Zahl am Anfang herzlich egal. Hier
ging es ums Prinzip!
Die Minuten schritten unbarmherzig in Richtung Mitternacht und als Mara
den Countdown einleitete, zog sich mein Magen krampfhaft zusammen. Ich
hasste es, auf diese Art im Mittelpunkt zu stehen. Nur weil auf einem
lächerlichen Stück Papier ein Datum stand, musste man nicht so ein Tamtam
deswegen veranstalten.
»Happy Birthday!«, kreischte Mara an mein Ohr und brach mir beinahe den
Hals bei ihrer stürmischen Umarmung.
Als nächstes kam eine Umarmung samt Glückwünschen von Tobias.
»Das Beste zum Schluss«, meinte Doro mit einem breiten Grinsen. »Alles,
alles Gute zum Geburtstag.« Sie fiel mir ebenfalls um den Hals.
»Wir haben noch was für dich.« Mara reichte mir ein kleines Päckchen,
eingewickelt in buntem Papier.
»Aber ihr habt doch schon das Konzert bezahlt. Das ist viel zu viel. Das kann
ich nicht annehmen«, protestierte ich.
»Quatsch, das ist nur eine Kleinigkeit.« Sie wedelte mit dem Päckchen vor
meiner Nase rum.
»Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.« Widerstrebend nahm ich es ihr aus
der Hand.
»Nun pack es schon aus«, ermunterte mich Doro.
»Na gut.« Ich gab mir Mühe, das Papier ordentlich aufzureißen, aber als ich
Doro und Tobi ungeduldig seufzen hörte, gab ich meine Anstrengungen auf und
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zerriss es.
In den Händen hielt ich eine flache, quadratische Pappverpackung, die
aussah wie eine CD. Vorne war nichts draufgedruckt außer ein paar bunter
Herzen.
»Öhm, danke.«
»Dreh es mal um«, schlug Mara vor.
Ich tat gehorsam, was sie sagte. »Fliegendes Wunschpapier« stand auf der
Rückseite. Ich öffnete die Schachtel und zum Vorschein kamen ein kleiner
Bleistift, ein quadratischer Block mit buntem Papier und eine schmale Schachtel
mit Streichhölzern. Eine Anleitung dazu gab es nicht.
Doro hatte meinen ratlosen Blick bemerkt. »Du schreibst darauf deinen
Wunsch, zündest den Zettel an und lässt ihn davonfliegen.«
»Wie kitschig«, hörte ich Tobi murmeln, der dafür Maras Ellenbogen zu
spüren bekam.
»Das ist aber eine süße Idee. Danke!« Ich sah einem nach dem anderen in die
Augen.
»Probier es ruhig aus«, sagte Mara.
»Okay, aber ihr müsst auch mitmachen.« Ich reichte Mara den Block, sie
überlegte kurz und schrieb dann ihren Wunsch auf. Sie riss das Blatt ab und gab
den Block, samt Bleistift, an ihren Freund weiter. So machte das Wunschpapier
die Runde, bis ich es zum Schluss wieder in den Händen hielt. In der
Zwischenzeit hatte ich genügend Zeit gehabt, mir meinen Wunsch zu
überlegen.
Ich wünsche mir eine Spur zu meinen Eltern, kritzelte ich auf den Block. In den
letzten zwei Jahrzehnten meines Lebens hatte ich nicht den kleinsten Hinweis
auf den Verbleib meiner Eltern gefunden. Dennoch war es immer derselbe
Wunsch, schon seit ich denken konnte: der Wunsch zu verstehen, warum sie
mich weggegeben hatten. Und vielleicht, ganz vielleicht, konnte ich eine
Beziehung zu ihnen aufbauen, wenn ich sie je wiedersehen würde. Nichts hatte
ich mir als Kind mehr gewünscht als eine Familie zu haben, die einen liebte und
immer für einen da war. Ich wollte nicht mehr alleine sein. Mir würde auch ein
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einziges Gespräch mit ihnen genügen. Nur einmal die Menschen kennenlernen,
von denen ich abstammte, nur einmal mit ihnen reden. Es war ein äußerst
unrealistischer Wunsch, aber dafür waren Wünsche schließlich da. Sie
bedeuteten Hoffnung, die einen immer weitermachen ließ, egal wie aussichtslos
die Situation auch sein mochte – in der festen Überzeugung, dass sie sich
irgendwann erfüllten. Auch wenn ihre Erfüllung eigentlich eher an ein Wunder
grenzt, schob ich in Gedanken hinterher. Ich riss den Zettel ab, rollte ihn
zusammen, stellte ihn auf den Boden und zündete ein Streichholz an. Ich hielt
die kleine Flamme an das Papier und als es brannte, wartete ich gespannt. Wie
von Geisterhand schwebte das Papier im letzten Moment in die Höhe. Die
anderen taten es mir gleich und über unseren Köpfen schwebten unsere
Wünsche als glühende Punkte davon.
***
Als wir den Club betraten, herrschte gähnende Leere. »Sag mal, kann es sein,
dass die Partys immer später losgehen? Als ich jung war, da war es schon um
halb zwölf brechend voll.«
»Als du jung warst. Wie sich das anhört«, lachte Doro. »Aber ich weiß, was du
meinst. Ich habe auch den Eindruck, dass sich das immer mehr nach hinten
verschiebt.«
Wir sahen uns etwas ratlos in dem leeren Raum um.
»Mädels, wie sieht's aus? Wollt ihr etwas zu trinken haben?«
Doro und ich gaben unsere Bestellung auf und Mara und Tobi verschwanden
an die Bar. Wir setzten uns auf zwei Hocker um einen kleinen quadratischen
Tisch. Die Musik war laut und wir konnten uns nur schreiend verständigen. Als
die beiden mit unseren Getränken zurückkamen, stießen wir gemeinsam an und
ich stellte nach dem ersten Schluck überrascht fest, dass mir flau im Magen war.
Ich beschloss es langsam anzugehen und nippte daher nur vorsichtig an
meinem Getränk. Trotzdem nahm die Übelkeit zu, bis mir regelrecht schlecht
war. Ich wollte den anderen nicht den Abend ruinieren und bemühte mich um
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einen neutralen Gesichtsausdruck. Inzwischen war der Raum deutlich voller
geworden. Es musste auf ein Uhr zugehen. Ich fragte mich, was es für einen
Sinn hatte, dass die Leute alle erst so spät kamen. Der Club machte ja schon um
drei Uhr wieder zu. Da lohnte sich das Kommen fast nicht mehr. Unter anderen
Umständen würde ich nichts lieber machen, als zu den lauten Klängen des
Dubsteps zu tanzen, und da würden mir zwei Stunden nicht ausreichen.
»Gehen wir tanzen?«, fragte Mara in die Runde.
Mein Magen fühlte sich an, als wäre er im Waschprogramm auf höchster
Stufe durchgeschleudert worden. »Geht doch schon mal vor. Ich schaue euch
zu.«
Mara warf Tobi einen unsicheren Blick zu.
»Ich leiste Caro Gesellschaft.« Doro nippte gelassen an ihrem Drink.
»In Ordnung.« Mara ergriff Tobis Hand und zog ihn hinter sich her durch die
dichte Menschenmenge.
Ich beobachtete Mara und Tobi, wie sie eng umschlungen tanzten. Doro sah
ihnen wehmütig hinterher.
»Geh doch auch tanzen«, schlug ich vor.
»Und dich hier alleine sitzen lassen? Kommt gar nicht in Frage.«
Entschlossen schüttelte sie ihren Kopf.
»Es macht mir nichts aus, hier alleine zu sitzen.«
»Caro, was ist denn los? Geht es dir nicht gut? Du tanzt doch sonst so
gerne …«
Mist! Ich hatte mich doch extra bemüht, mir nichts anmerken zu lassen.
»Alles bestens«, antwortete ich etwas zu schnell.
Sie schaute mich kritisch an, während sie einen weiteren Schluck aus ihrem
Glas nahm.
»Hm, also ich weiß nicht. Irgendetwas hast du doch.«
Innerlich stöhnte ich auf. Ich kannte Doro gut genug, um zu wissen, dass sie
keine Ruhe geben würde, bis sie den Grund für meine Weigerung
herausgefunden hatte.
»Ich glaube, ich möchte jetzt doch tanzen«, sagte ich leicht genervt. Ich
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hüpfte von meinem Barhocker, nur um mich sogleich mit der Hand auf dem
Tisch abzustützen. Mir war auf einmal furchtbar schwindelig und ich brauchte
einen Moment, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Doro schien
davon nichts bemerkt zu haben. Ihr Blick war in unbestimmte Ferne gerichtet
und auf ihren Lippen lag ein seliges Lächeln. Den Gesichtsausdruck kannte ich
nur zu gut. Das war Doros Flirt-Miene. Ich suchte nach dem Objekt ihrer
Begierde, konnte es aber unter den vielen Menschen nicht ausmachen.
»Was ist? Kommst du nun?«, fragte ich ungeduldig.
Manchmal nervte es mich, dass man mit Doro nirgendwo hingehen konnte,
ohne dass sie einen Kerl abschleppte. Aber so war sie nun mal. Gegen etwas
Spaß hatte sie noch nie etwas einzuwenden gehabt.
»Ja, sofort«, sagte sie, ohne ihren Blick zu lösen.
Ich ging vorsichtig in Richtung Mara und Tobi, darauf bedacht, nicht zu
schwanken. Das kostete mich eine gehörige Portion Selbstdisziplin und
Konzentration. Ständig wurde ich von der Seite angerempelt und die vielen
bunten Lichter machten es nicht gerade einfacher. Irgendwie kämpfte ich mich
durch die Massen, ohne zu stolpern. Doro war mir gefolgt und drängte sich dicht
hinter mir durch eine Gruppe tanzender Teenager. Endlich waren wir bei Mara
und Tobi angelangt, die sich ein paar Schritte zur Seite bewegten, um uns Platz
zu machen. Ich wippte langsam im Takt zur Musik. Schnelle Bewegungen traute
ich mir nicht zu. Wovon war mir nur so schlecht und schwindelig? Alles drehte
sich, einschließlich meines Magens. Es wurde immer schlimmer.
»Du siehst blass aus«, schrie mir Mara über die Musik hinweg ins Ohr.
»Fühlst du dich nicht gut?«
»Ein wenig schwindelig«, gab ich zu. »Ich glaube, ich werde krank.«
»O nein, und das ausgerechnet an deinem Geburtstag! So was kommt echt
immer zum ungünstigsten Zeitpunkt.«
Wem sagte sie das? Ich hatte erst vor zwei Wochen eine Erkältung gehabt
und wollte nicht erneut krank werden. Von hinten taumelte ein Mädchen gegen
mich und ich stolperte einen Schritt nach vorne. Unschlüssig blieb ich stehen.
Ich gab es auf, mich im richtigen Rhythmus zu bewegen. Viel zu anstrengend.
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Kleine Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet und ich wischte sie
mit dem Handrücken weg.
Mara warf einen Blick auf ihre Uhr. »Du siehst wirklich nicht gut aus und es
ist ohnehin schon spät. Wir gehen nach Hause.«
***
Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert. Als wäre ich verkatert, mit
Schwindel, flauem Magen und Kopfschmerzen. Das ganze Programm eben.
Trotzdem ging es mir ein wenig besser als gestern Nacht. Der Schlaf hatte mir
gutgetan. Bestimmt hatte ich nur einen kleinen Schwächeanfall oder eine leichte
Magenverstimmung gehabt. Ich tappte in die Küche, um mir einen Tee zu
machen. Während ich darauf wartete, dass der Wasserkocher seine Arbeit
verrichtete, erhaschte ich einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach halb elf. Um
zwölf hatte ich eine Vorlesung in Strafrecht. Die wollte ich auf keinen Fall
verpassen. Der Wasserkocher pfiff und ich goss das heiße Wasser in eine Tasse,
in der schon ein Beutel Pfefferminztee hing. Carmen hatte immer behauptet,
Pfefferminze sei gut für den Magen. Obwohl ich nur einen kleinen Schluck
nahm, verbrannte ich mir die Zunge. Ich fluchte über meine eigene Ungeduld.
Seufzend stellte ich die Tasse auf dem Esstisch ab und suchte nach etwas leicht
Bekömmlichem zum Essen. Nach kurzem Durchwühlen des Vorratsschrankes
fand ich eine bereits geöffnete Toastbrot-Packung. Perfekt. Ich warf eine Scheibe
in den Toaster und lehnte mich gegen die Anrichte. Es war ungewohnt still in
der Wohnung. Von Doro wusste ich, dass sie bereits in der Uni war. Ob Mara
noch schlief? Ich glaubte mich zu erinnern, dass sie donnerstags immer ab zehn
eine Vorlesung hatte. Aber ich war mir nicht ganz sicher. Es gab ein
mechanisches Geräusch und ich zuckte zusammen, als der Toast in einem hohen
Bogen aus dem Toaster sprang. Ich vergaß jedes Mal, wie schwungvoll das Gerät
war. Ich schnappte mir meine warme goldbraune Scheibe von der Anrichte und
setzte mich zu meiner dampfenden Tasse. Obwohl es nicht viel war, musste ich
mich zwingen, alles aufzuessen. Schnell spülte ich den letzten Bissen Toast mit
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lauwarmem Pfefferminztee runter. Ein weiterer Blick auf die Uhr zeigte mir,
dass ich mich beeilen musste. Schnell lief ich ins Bad und putzte mir die Zähne.
Die dunklen Schatten unter meinen Augen brachten diese auf seltsame Weise
zum Leuchten. Als würde man einen Bernstein vor ein Fenster halten und das
Licht schien hindurch. Die Farbe meiner Iris war um eine Nuance heller als
noch am Vortag. Ich schloss erschöpft die Augen. Das hatte bestimmt etwas mit
meiner Krankheit zu tun. Bei Erkältungen bekam man ja auch glasige Augen.
Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Ich ahnte es schon. Der erste Tag, an dem
ich kein Teenager mehr war – und es würde nicht meiner werden.
***
Strafrecht war eines meiner liebsten Rechtsgebiete. Ich mochte den Professor.
Er brachte den Stoff anschaulich rüber und hatte, im Gegensatz zu manchen
seiner Kollegen, keine monotone Stimme. Normalerweise hörte ich aufmerksam
zu und machte mir reichlich Notizen in meinem Skript. Heute nahm ich nur am
Rande wahr, was der Professor sagte. Dummerweise bekam ich nicht mit,
worüber er monologisierte, was wirklich schade war, denn Wirtschaftsstrafrecht
war ein interessantes Themengebiet. Leider wurde meine Konzentration
anderweitig in Anspruch genommen: Ich versuchte verzweifelt die erneut
aufkeimende Welle an Übelkeit hinunterzuschlucken. Mir konnte unmöglich
schon wieder schlecht sein. Ich hatte doch fast nichts gegessen. Ich würgte
leicht. Panisch sah ich in Richtung Ausgang und überschlug in Gedanken, wie
lange ich wohl im Ernstfall bis auf die Toilette brauchen würde. Daniela, neben
der ich in sämtlichen Vorlesungen saß, schien von meinem inneren Kampf
gegen die Übelkeit nichts mitzubekommen. Eifrig machte sie sich Notizen zu
etwas, das der Professor soeben gesagt hatte. Mein Magen zog sich schmerzhaft
zusammen und ich spürte, wie die Magensäure meine Kehle hinaufstieg. Ich
musste eine Entscheidung treffen. Entweder jetzt aufstehen und sämtliche
Aufmerksamkeit auf mich ziehen oder sitzen bleiben und riskieren, noch mehr
Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, wenn ich mich in meine Handtasche
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übergab. Die Wahl fiel mir nicht schwer.
Ich stupste Daniela an: »Du, ich werde nach Hause gehen. Irgendwie fühle
ich mich nicht so gut.«
»Ehrlich? Was fehlt dir denn?«
»Mir ist ein wenig schlecht.«
»Echt blöd. Und ich dachte, wir gehen nachher noch in ein Café, um deinen
Geburtstag zu feiern.«
»Ja, echt blöd«, wiederholte ich, während ich mechanisch Skript und
Kugelschreiber in meine Handtasche packte.
»Na ja, dann gute Besserung.«
»Danke«, flüsterte ich. »Wir holen das auf jeden Fall nach.«
Daniela erhob sich und die anderen Studenten in dieser Reihe taten es ihr
nach. Durch den Lärm der zusammenklappenden Tische drehten sich die Köpfe
der Studenten in den unteren Reihen zu mir nach hinten. Ich fing einige
mürrische Blicke auf von denen, die extra aufstehen mussten. Im Vorbeigehen
murmelte ich ein paar entschuldigende Worte. Dann sprintete ich die
Treppenstufen hinauf zum Ausgang. Endlich legte sich meine Hand um die
kühle Metallklinke der schweren Holztür. Ich drückte sie nach unten, stemmte
mich dagegen und stahl mich hinaus in den Gang. Hastig lief ich über den
Boden, der aus vielen einzelnen flachen Steinen bestand, ähnlich einem
Kopfsteinpflaster, in Richtung Ausgang. Für gewöhnlich schenkte ich der
kunstvollen Umgebung mehr Beachtung, doch in meiner Eile, möglichst schnell
an die frische Luft zu gelangen, fehlte mir die Zeit dafür.
***
Der Wind zerrte an meinen Haaren und blies mir die kühle Luft ins Gesicht.
Langsam trottete ich in Richtung der Bänke, die im Halbkreis mit Blick zur
Ludwigstraße angeordnet waren. Zwischen jeder Bank wuchs ein hoher Baum
und diente im Sommer als natürlicher Schattenspender. Die bunten Blätter am
Boden ließen kaum noch den Rasen erahnen. Ein paar von ihnen wischte ich mit
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einer schnellen Handbewegung von der Bank, ehe ich mich hinsetzte. Der
Sauerstoff tat mir gut und obwohl dicke Wolken am Himmel hingen, regnete es
nicht. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie stickig und abgestanden die Luft im
Hörsaal gewesen war. Ich lehnte mich auf der Bank zurück und schloss die
Augen.
***
Während ich die drei Stationen in der U-Bahn bis nach Hause fuhr, überkam
mich eine Hitzewelle, gefolgt von Schüttelfrost. Wenn ich schon gedacht hatte,
die Magenverstimmung sei unangenehm, dann war das nichts im Vergleich
dazu. Ich fühlte mich geschwächt und so hundeelend wie schon lange nicht
mehr. Eindeutig die Symptome einer fiesen Grippe.
Im Flur ließ ich alles an Ort und Stelle stehen, ohne groß etwas
wegzuräumen. Dafür fehlte mir einfach die Kraft. Ich quälte mich aus meinen
Turnschuhen und schlich gebeugt in mein Zimmer, wo ich mich sofort aufs Bett
fallen ließ. Mein Schlaf war unruhig. Ständig wachte ich auf, abwechselnd
geplagt von einer Hitze, die mir den Schweiß den Rücken hinabrinnen ließ, und
einer Kälte, die meinen gesamten Körper mit Gänsehaut überzog. Ich wälzte
mich von einer Seite auf die andere, mal mit Bettdecke bis unters Kinn gezogen
und mal ohne. Ich wusste nicht, wie lange das so ging. Ich hatte keine Ahnung,
wie viel Zeit bereits verstrichen war. Schlief ich seit einer Stunde oder waren es
schon Tage?
Ein zaghaftes Klopfen bahnte sich seinen Weg in die Tiefen meines
Bewusstseins und weckte mich. Meine Lider fühlten sich dick und verquollen an.
Ich versuchte mich zu orientieren. Es klopfte erneut, diesmal ein wenig fester.
»Ja?«, krächzte ich.
Mara öffnete zögernd die Tür einen Spalt breit und spähte hinein.
»Hab ich dich aufgeweckt?«
»Ist schon gut, ich habe eh nicht richtig geschlafen.« Meine Stimme hörte
sich furchtbar an. Trocken und rau.
43
»Wie geht es dir? Ist dir immer noch schwindlig?«
»Nein.« Zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass das stimmte. »Aber ich
glaube, ich habe eine Grippe.«
»Hast du Gliederschmerzen? Fieber?« Sie kam näher, um meine Stirn zu
berühren. »Heiß fühlst du dich nicht an. Ich koche dir eine Gemüsebrühe, ja?«
»Das musst du nicht.« Ich war es nicht gewohnt, dass man sich um mich
kümmerte, und wiegelte automatisch sofort ab.
»Das mache ich doch gerne. Ich bin gleich wieder bei dir. Brauchst du sonst
noch was?«
Von einer Sekunde auf die nächste war mir wieder furchtbar kalt.
»Vielleicht noch eine Wärmflasche«, sagte ich mit klappernden Zähnen.
»Kommt sofort.«
Mara schloss die Tür leise hinter sich. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf
gegen die Kissen und schloss die Augen. Ich versuchte die Kälte, die tief aus
meinem Inneren zu kommen schien, so gut es ging zu ignorieren. Mara kam mit
der Wärmflasche in der Hand zurück.
»Hier, bitte.« Sie reichte sie mir. »Von Doro soll ich dich fragen, ob sie dir
einen ihrer Spezialtees kochen soll?«
»Nein danke. So schlecht geht es mir dann doch nicht.« Ich versuchte ein
Lachen, aber heraus kam ein Hüsteln. Bevor ich noch einmal einen von Doros
Tees, die nach aufgebrühten Schweißsocken schmeckten, trank, musste ich
schon im Sterben liegen. Der Gedanke allein genügte, damit mein Magen
rebellierte.
Mara zwinkerte mir zu: »Ich versteh schon. Ihre Tees sind wirklich sehr
speziell.«
***
Ich hielt eine dampfende Schüssel Gemüsebrühe in meinen Händen und
wärmte mich daran. Meine Lippen waren spröde, weil ich außer der Tasse
Pfefferminztee den ganzen Tag über nichts getrunken hatte. Ich löffelte die
44
Suppe so weit aus, wie es ging. Dann setzte ich die Schale an meine Lippen und
trank auch noch den letzten Schluck, bis kein Tropfen Brühe mehr übrig war.
Die leere Schüssel stellte ich auf mein Nachtschränkchen und drehte mich auf
die Seite. Ich schlief weiterhin unruhig, gegen Mitternacht kamen die Hitzeund Kältewellen in immer kürzeren Abständen. Sie wechselten sich so rasend
schnell ab, dass ich erst begriff, dass ich schwitzte, wenn mir schon wieder kalt
war. Als es gegen Morgen langsam weniger wurde, übermannte mich die
Erschöpfung. Dankbar empfing ich die bleierne Schwere des erlösenden
Schlafes, die mich einhüllte und in eine tiefe, traumlose Sphäre zog.
***
Als ich das nächste Mal einen Blick auf die Uhr warf, zeigten die Zeiger 13:50
Uhr an. Ich hatte fast vierundzwanzig Stunden im Bett verbracht. Das war mir
wohl das letzte Mal passiert, als ich noch ein Baby war. Ich streckte mich
ausgiebig und stellte zufrieden fest, dass ich mich erholt und ausgeschlafen
fühlte. Ich warf die Decke zurück, schwang die Beine über die Bettkante und
stand auf. Dann schlüpfte ich in die erstbeste Jogginghose, die mir in die Hände
geriet, und in meinen geliebten Kapuzenpulli. Im Badezimmerspiegel erinnerte
mein Anblick an ein zerrupftes Huhn. Ich fuhr mir fahrig mit den Fingern
durch die Haare, um die gröbsten Knoten zu lösen, und band sie zu einem hohen
Pferdeschwanz zusammen. Danach spritzte ich mir kühles Wasser ins Gesicht.
Meine Haut spannte noch mehr auf meinen spitzen Wangenknochen als
gewöhnlich, wodurch mein Gesicht noch kantiger wirkte als sonst. Ich war
aschfahl und brauchte dringend frische Luft. Nachdem ich einen ganzen Tag in
meinem Zimmer eingesperrt gewesen war, sehnte ich mich nach der Freiheit
und Weite der Welt draußen. Meine Muskeln fühlten sich hart und verspannt an
von dem langen Liegen im Bett. Sie wollten bewegt werden und ich würde ihnen
diesen Gefallen tun.
***
45
Ich zog mir gerade die Turnschuhe im Flur an, als Doro aus ihrem Zimmer kam
und mir den Weg versperrte.
»Wo willst du hin?«, fragte sie argwöhnisch.
»Nur ein bisschen im Park spazieren gehen.«
»Hältst du das für eine gute Idee? Du bist doch gerade erst aufgewacht. Und
wirklich gesund siehst du auch noch nicht aus.«
»Doro«, seufzte ich. »Was ist schon dabei? Ich geh nur ein bisschen frische
Luft schnappen.«
»Entschuldige, dass wir uns Sorgen um dich machen«, erwiderte sie
aufgebracht.
»Wir? Mara hat dich angewiesen auf mich aufzupassen, stimmt's?«, sagte ich
mit einem wissenden Lächeln.
»Nun ja.« Doro verzog das Gesicht. Es war ihr offensichtlich unangenehm, so
schnell durchschaut worden zu sein. »Sie meinte, ich solle, solange sie mit Tobi
unterwegs ist, ein Auge auf dich werfen.«
Ich verkniff es mir, die Augen genervt zu verdrehen. Ich war es gewöhnt,
mich um mich selbst zu kümmern und unabhängig zu sein. Deshalb verstörte
mich Maras fürsorgliche Art manchmal ein wenig. Okay, oft sogar, und ich
fühlte mich dann bevormundet, obwohl das natürlich vollkommener Blödsinn
war. Natürlich war Doro ebenfalls ein herzensguter Mensch. Obwohl sie ohne
Maras ausdrückliche Anweisung wohl nicht von selbst auf den Gedanken
gekommen wäre, mich von einem Spaziergang abzuhalten.
»Doro«, ich lachte gezwungen, »mir geht es gut. Ehrlich. Kein Grund, sich
Sorgen zu machen. Ich bin mir sicher, nachdem ich an der frischen Luft war,
geht es mir sogar noch besser.«
»Na schön, dann komme ich aber mit.«
»Das ist wirklich nicht nötig.«
»Nein, nein. Keine Widerrede. Ich will mir nicht von Mara vorwerfen lassen
müssen, wie schlecht ich meinen Job gemacht habe.«
Sie hatte sich schon ihre Jacke angezogen und sah mich nun erwartungsvoll
an. »Was ist? Gehen wir nun in den Park oder schlägst du hier Wurzeln?«
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Ich gab mich geschlagen, schnappte mir meinen Mantel und folgte ihr
hinaus ins Treppenhaus.
***
Unsere Wohnung lag nur wenige hundert Meter vom Englischen Garten
entfernt. Wir mussten lediglich der Straße folgen und schon standen wir mitten
im Grünen. Da ich für mein Leben gern joggte, war die unmittelbare Nähe zum
Park ideal. Ich war hier so oft, dass ich vermutlich jeden Stein kannte.
Schweigend gingen wir nebeneinander die Straße entlang. Ich hatte den
Kragen meines Mantels aufgestellt, da ein eisiger Wind wehte. Die Regenwolken
hingen dick und grau über der Stadt.
Wir erreichten den Park und ich stellte überrascht fest, dass fast keine Blätter
mehr an den Bäumen hingen. Der Wind musste sie alle hinabgeweht haben.
»Wie ist eigentlich deine Hausarbeit geworden?« Ich hatte ganz vergessen,
Doro danach zu fragen.
»Lass uns lieber nicht darüber reden. Ich sag nur: zu wenig Zeit und zu viel
Stoff. Ob ich es jemals auf die Reihe kriegen werde, nicht auf dem letzten
Drücker anzufangen? Bestimmt ein genetischer Fehler. Ich wusste schon drei
Wochen im Voraus von der Hausarbeit und konnte mich trotzdem keine
achtundvierzig Stunden davor aufraffen, endlich dieses blöde Geschichtsbuch
aufzuschlagen.«
»Ich würde mir da keine Gedanken machen. Du brauchst halt den Druck des
nahenden Abgabetermins.«
»Ja, schon möglich. Der Adrenalinkick zusammen mit dem Stress ist echt
überwältigend. Solltest du auch mal ausprobieren«, witzelte Doro.
Eine Böe wirbelte die Blätter vor uns auf dem Weg auf.
»Ich werd es mir merken. Obwohl ich nicht glaube, dass wir jemals
Hausarbeiten schreiben müssen.«
Wir gelangten zu einer Weggabelung.
»Puh. Es ist echt kalt. Macht's dir was aus, wenn wir langsam wieder
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zurückgehen?« Doro zog den Kopf ein, als eine erneute Windböe an unseren
Kleidern zerrte.
»Nein, es ist wirklich ziemlich ungemütlich.«
Wir gingen nach links, wo der Weg in einem Halbkreis wieder zurück zu
unserem Ausgangspunkt führte.
»Ich glaube, wir werden verfolgt.« Doro stupste mich mit ihrem Ellenbogen
in die Rippen. Es war ihr anzusehen, dass sie es nur im Spaß sagte. »Der Typ
läuft schon, seit wir aus dem Haus sind, hinter uns her.«
Ich warf einen Blick über meine Schulter. Ein Mann mit tief ins Gesicht
gezogener Kapuze, die verhinderte, dass ich sein Gesicht erkennen konnte,
schlenderte hinter uns her. Als er bemerkte, dass ich mich zu ihm umgedreht
hatte, hob er den Kopf und ich blieb vor Schreck wie erstarrt stehen. Seine
zusammengekniffenen Augen blickten mich feindselig an. Zorn stand darin und
noch etwas anderes. Frustration?
Als Doro bemerkte, dass ich stehen geblieben war, und sich zu uns umdrehte,
richtete er seinen Blick wieder zu Boden. Doch die kurze Zeit hatte gereicht, um
meinen gesamten Körper mit einer Gänsehaut zu überziehen. Ich konnte es
fühlen, irgendetwas war anders an ihm, ich wusste nur nicht genau, was. Dafür
war ich mir sicher, ich würde den Anblick seiner wütenden Augen nie vergessen
können, und das lag nicht nur an der Art, wie er mich angesehen hatte. Seine
Augen leuchteten dunkel-golden. Und gefährlich.
Doro zog mich am Ellenbogen weiter. »Warum bleibst du denn stehen?« Sie
bemerkte meine vor Schreck geweiteten Augen. »Was ist passiert?«
Ich schüttelte den Kopf. Wie sollte ich ihr erklären, dass mich der kurze Blick
eines Fremden bis ins Mark erschüttert hatte? Ich konnte es mir ja nicht einmal
selbst erklären. »Nichts. Komm, lass uns weitergehen.«
Doro blieb stur stehen und der Kapuzentyp tat so, als betrachte er die Bäume.
»Erst wenn du mir sagst, was dich eben erschreckt hat.«
»Da war nichts. Ich glaube, mir geht es doch noch nicht so gut. Ich möchte
mich wieder ausruhen.«
Ehe ich es verhindern konnte, befühlte sie mit der flachen Hand meine Stirn.
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»Heiß fühlst du dich nicht an, aber das könnte auch an den eisigen
Temperaturen hier draußen liegen. Für Mitte Oktober ist es wirklich verdammt
kalt.«
Dass sie sich Sorgen um mich machte, ärgerte mich. Es war beinahe wie ein
Reflex. Kaum wurde ich ein bisschen bemuttert, schon regte es mich auf. Total
irrational.
»Du solltest daheim lieber Fieber messen.«
»Doro, hör jetzt bitte damit auf«, presste ich mit mühsam beherrschter
Stimme hervor.
Ich stapfte aufgebracht an ihr vorbei. Das Laub raschelte unter meinen
kräftigen Schritten und einzelne Blätter wirbelten vom Boden auf. Doro folgte
mir, holte mich ein und tat, als sei nichts gewesen. Und das war mir nur recht,
denn sämtliche meiner Sensoren waren auf die Person hinter mir gerichtet, die
uns mit einigem Abstand nach Hause folgte. Ich hatte das Gefühl, seine
stechenden Blicke im Rücken zu fühlen.
Ende der Leseprobe
Julia Zieschang fand man schon als kleines Mädchen oft hinter einem Buch
versteckt vor. Damals waren es noch Märchenbücher, heute liest sie am liebsten
romantische Fantasy. Wenn sie nicht gerade mit dem Lesen oder Schreiben von
Geschichten beschäftigt ist, befindet sich eine Spiegelreflexkamera vor ihrem
Gesicht, denn das Fotografieren ist ihre andere große Leidenschaft.
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Drei Fragen an Julia Zieschang
© Kristin Vogelsang
Was hat dich zu deinem neuen Roman inspiriert?
Das wüsste ich auch gerne. :-) Die Ideen zu meinen Geschichten tauchen meist
ganz plötzlich auf und wenn ich dann anfange, im Kopf Dialoge durchzuspielen,
dann weiß ich, dass ich es unbedingt aufschreiben muss. Und so entwickelt sich
auch die Handlung größtenteils ungeplant. Ich weiß zwar, wohin das alles
führen soll, aber der Weg dorthin ist auch für mich eine Überraschung. So war
es auch bei »Feuerphönix«. Alles, was ich wusste, als ich mit dem Schreiben
begann, war der Inhalt des letzten Kapitels.
Welche Figur aus deinem neuen Roman könntest du, ohne mit der Wimper zu
zucken, sterben lassen bzw. welche Figur ist dir am wenigsten sympathisch?
Puh, das ist eine schwierige Frage. Meine Charaktere sind alle sehr vielschichtig,
auch die Bösen sind nicht einfach nur böse oder waren es zumindest nicht
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immer. Deshalb tut es mir um jeden leid, der stirbt. Die Figur, die mir am
unsympathischsten ist, taucht erst im nächsten Band auf, aber beim Lesen wisst
Ihr dann sicherlich, wen ich meine.
Wie sieht deine persönliche Schreib-Playlist aus?
Playlist, was ist das? Ich glaube, das habe ich schon mal von Caro gehört. Ich
persönlich höre keine Musik, ich mag es lieber, wenn es um mich herum ruhig
und entspannt ist. Die aktuellen Charts bekomme ich nur mit, wenn ich dazu
»gezwungen« werde, wie z.B. während Autofahrten mit Freunden. Bei ein paar
dieser Fahrten lief »Superheroes« von The Script im Radio und jedes Mal, wenn
ich den Song hörte, sah ich Caro und Vincent vor mir. Das ist auch der Grund,
warum Caro Konzertkarten von The Script zum Geburtstag geschenkt bekommt.
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Ein Blick hinter die Kulissen
Die Impress-Teamrunde – Kreativ bei Kaffee und Keksen
Alle zwei Wochen trifft sich das Impress-Team zum Teamtreffen. Aber was
machen wir da überhaupt? Und wer ist eigentlich das Impress-Team?
Einige von uns habt ihr in den bisher erschienenen Impress Magazinen schon
kennen gelernt. Darunter zählen Anke Henkel aus der Online Redaktion, Malena
Brandl aus dem Business Development und Rebecca Wiltsch aus dem Lektorat.
(Wenn ihr mehr über Rebeccas Impress-Alltag erfahren wollt, lest einfach in
diesem Magazin in der Rubrik »Das sind wir!« nach.) Doch das sind längst nicht
alle. Zum Lektorats-Team zählen auch Pia Cailleau, die Programmleiterin von
Impress, Hanna Kelbert und Nicole Boske. Auch Anne Bender, die
Programchefin des gesamten Erzählenden Programms von Carlsen, das auch die
Hardcover und Taschenbücher einschließt, ist beim Impress-Team dabei.
Männliche Unterstützung bekommen wir von Carsten Raimann, der es nicht nur
versteht mit Zahlen zu jonglieren, sondern im Vertrieb auch den Überblick
behält, wenn es darum geht unsere E-Books dem Buchhandel und den OnlinePlattformen vorzustellen.
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So bunt ist das Impress-Teamtreffen
© Birte Ohlmann, Rebecca Wiltsch
(Foto im Zentrum von links nach rechts: Nicole Boske, Pia Cailleau, Malena
Brandl, Anke Henkel, Rebecca Wiltsch, Hanna Kelbert, Carsten Raimann, Anne
Bender)
Heute treffen wir uns in Annes gemütlichem Büro, eine Ausnahme, denn
meistens sitzen wir in einem kleinen Konferenzraum mit Regalen voll von
Carlsen Mangas. :-) Aber wenn wir ehrlich sind, ist es in allen Räumen bei uns in
Hamburg gemütlich. Für die entspannte und lustige Stimmung bei unseren
Teamtreffen sorgen aber nicht nur die vielen Bücher um uns herum. Mit Kaffee
und Keksen sind wir einfach kreativer! Zugegeben, ohne das koffeinhaltige
Getränk läuft bei uns nicht viel, das beweisen die zahlreichen Becher auf dem
Tisch vor uns.
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Kreativ bei Kaffee und Keksen
© Rebecca Wiltsch
Und dann geht es los. Wir alle bringen zahlreiche neue Informationen, Ideen,
Fragen und Überlegungen zu den verschiedensten Themen mit. Da diese
unterschiedlichen Dinge häufig auch die Arbeit der Kollegin oder des Kollegen
aus einer anderen Abteilung beeinflussen, geht es bei unserem Teamtreffen in
erster Linie um Austausch. Jeder kommt zu Wort, jeder bringt die anderen auf
den neuesten Stand.
Carsten berichtet heute zum Beispiel von den neuesten
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Umsatzentwicklungen unserer E-Books und einer neuen Möglichkeit die
Impress-E-Books auf der Website eines unserer Onlinehändler darzustellen.
Malena erzählt, wie die Produktion des nächsten Impress-Taschenbuchs läuft,
denn der Erscheinungstermin vom gedruckten dritten Band der Reihe
»BookElements« von Stefanie Hasse steht kurz bevor. Und Nicole berichtet von
der »NanowriYear-2016-Schreibgruppe« auf Facebook, bei der Isabell SchmittEgner das Impress-Team vertritt. Die besten 3 Manuskripte der dortigen
#teamimpress-Autoren haben eine gute Chance auf eine ImpressVeröffentlichung. Es bleibt also spannend.
Ein Team – gemeinsam sind wir stark
© Birte Ohlmann
Weiter geht es mit Anke und die hat besonders viel zu berichten. Denn es stehen
so viele Veranstaltungen an, bei denen Impress dabei ist. Der Valentinstag steht
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vor der Tür – und damit auch die nächsten Herzenstage, das Romance-Festival
im Netz. Welche Autorinnen von Impress werden dabei sein? Welche Aktionen
wird es diesmal geben? So viel sei verraten: Es wird viel und bunt!
Onlinelesungen, Interviews mit Autorinnen und Romanfiguren und vieles mehr
warten auf dich.
Auch bei der diesjährigen LoveLetter Convention im April wird Impress
erstmals dabei sein. Da gibt es natürlich besonders viel zu überlegen und zu
planen. Und knapp einen Monat vorher steht schon die nächste große Messe an.
In Leipzig wird es dieses Jahr königlich, denn es gibt eine Royal-Lesung von
Valentina fast. Wie ihr seht, stimmen wir uns schon jetzt darauf ein, kleine
Prinzessinnen zu sein. ;-)
Und auch auf der Fantasy-Insel wird es Lesungen geben, denn die Autorinnen
Stefanie Hasse (»BookElements«) und Mira Valentin (»Das Geheimnis der
Talente«) haben sich zusammengeschlossen zu einer Leserunde voller
Spannung, Magie und Romantik.
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Im Herzen sind wir alle Prinzessinnen
© Rebecca Wiltsch
Eines unserer Lieblingsthemen beim Teamtreffen? Neue Cover! Wie ein Cover
zu einem neuen Impress-Roman aussehen könnte, überlegen wir schon vorab im
Lektorat und stimmen uns dabei mit unserem Grafikstudio ab. Dann kommt das
große Warten auf den Moment, in dem das E-Mail-Fenster auf dem Desktop
aufploppt und verkündet: »Die Cover sind da!« Es ist immer wieder aufregend
und verblüffend zugleich, was die Grafikerin Wunderschönes designen. (Wie
aufwendig der Entstehungsprozess bei einem Cover ist und welche
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unterschiedlichen Arbeitsschritte genau dazu gehören, kannst du im Impress
Magazin Herbst 2015 nachlesen.) Mindestens genauso spannend ist jedoch der
Moment, in dem das Lektorat die neuen Coverentwürfe dem Impress-Team
vorstellt.
Besonders freuen uns dann natürlich die »Ahhhs« und »Ohhhs«, das
schwärmerische Seufzen beim Anblick des stürmischen Covers von Teresa
Sporrers neuem Roman »Chaoskuss« oder die Herzchen in allen Augen, bei dem
neuen Roman von Marie Menke (»Calliope Isle«.
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Die Cover sind da!
© Rebecca Wiltsch
Das ist aber nicht bei jedem Cover der Fall: Neue Entwürfe werden mit alten
verglichen, neben andere Bände der Reihe oder weiteren Romanen der Autorin
gestellt, sie werden in ganz klein betrachtet und in ganz groß, so dass jedes
einzelne Element auch deutlich zu sehen ist.
»Also das Impress-Logo muss aber deutlicher!«, sagt dann Carsten, unsere
Logo-Polizei. »Das kleine R in Feuer kann man aber nicht lesen«, hört man von
Hanna. »Das Model scheint mir zu jung«, von Anne. Ja, jedes Detail wird ganz
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genau betrachtet. Und das ist auch gut so. Denn jedes Teammitglied von
Impress bringt seine eigene Kompetenz mit. Als Marketing- und
Bloggerbeauftragte weiß Anke ganz genau, worauf die Leser anspringen.
Carsten weiß auf den ersten Blick, was dem Handel gefällt. Und wir im Lektorat
kennen die Handlung mitsamt den Figuren und achten darauf, dass eine blonde
Protagonistin auch auf dem Cover blond bleibt. Sowieso ist das Einholen einer
dritten Meinung immer ein Gewinn.
Und darum treffen wir uns regelmäßig. Wir sind kreativ, aber auch kritisch,
unterstützen uns gegenseitig in unseren Ideen und bringen Impress gemeinsam
voran. Der Impress-Team-Spirit schlägt also nicht nur in den Herzen unserer
wunderbaren Impress-Autorinnen, sondern auch in den Herzen des ImpressVerlagsteams!
TEXT: Nicole Boske
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Kerstin Ruhkieck: »Forbidden Touch. Sieben
Sekunden«
Erscheinungsdatum: 07. April 2016
Inhalt
Es braucht für einen Menschen nur eine Berührung von sieben Sekunden, um
sich zu verlieben. Aber Liebe ist eine der vielen Gefahren, die unkontrollierte
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Nähe mit sich bringen könnte. Um die Menschen davor zu schützen, wird in der
neuen Welt von AurA Eupa jegliche Berührung strengstens überwacht. Die
Bevölkerung ist eingeteilt in die drei Ligen der Schönheit, der Kontakt zwischen
ihnen verboten. Doch als die junge Novalee aus der durchschnittlichen Liga 2 in
die Siedlung der Unverheirateten zieht und auf Graey trifft, ist sie sich der
staatlichen Ordnung nicht mehr sicher. Graey ist nicht durchschnittlich, sondern
höchst attraktiv. Und sieben Sekunden können unendlich kurz sein…
62
Leseprobe
NOVALEE LEVI
»Jeder Bürger in AurA Eupa ist dazu verpflichtet, bis zu seinem 18. Geburtstag
mit einem selbst gewählten Partner in den Bund der Ehe zu treten. Wer bei
seiner Partnersuche scheitert, wird in der Siedlung der Unverheirateten
untergebracht. Eine zügige Hochzeit ist weiterhin erwünscht.«
Auszug aus: »Das perfekte System«, Seite 23, Kapitel 2
Nur ein Koffer, mehr durfte sie nicht behalten. Nicht gerade viel, wenn man ein
neues Leben begann. Beginnen musste.
Die Siedlung der Unverheirateten war nun ihr neues Zuhause. Wie die
Waben in einem Bienenstock bauten sich die zweistöckigen Apartmenthäuser
um sie herum auf und lösten in ihr ein befremdliches Gefühl von Enge aus.
Novalee Levi stellte ihren Koffer auf dem verwitterten Boden ab und zog den
Zettel aus ihrer Jackentasche. Er flatterte im Wind und Novalee hielt ihn mit
beiden Händen fest, um die Worte darauf zu entziffern. Dabei hatte sie den
Brief schon hunderte Male gelesen und wusste genau, was dort stand.
HAUS L, Wohnung 23B.
Sie steckte den Zettel eilig wieder in die Tasche, bevor der Nieselregen ihn
vollständig durchweichte, und blickte sich hilflos um. Wie sollte sie in diesem
Labyrinth aus Gebäuden, Matsch und Regen Haus L finden? Die Gehwege waren
wie ausgestorben, bei dem Wetter verließ keine Seele das Haus, wenn es nicht
unbedingt nötig war. Auch Novalee konnte sich Schöneres vorstellen, als an
einem Samstagmorgen durch ihre unliebsame Zukunft zu irren. Zum Beispiel
mit ihren Eltern und ihrer schwangeren Schwester Valea in der Küche zu
stehen, eingehüllt vom Duft frischer Brötchen, die sie für ein gemeinsames
Frühstück zusammen backten – wie jeden Samstag. Bis heute.
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Besonders der Gedanke an ihre Schwester stach wie ein Dorn in ihr Herz.
Hier würde sie nun die verbleibenden Wochen bis zur Geburt ihrer Nichte oder
ihres Neffen verpassen.
Novalee nahm wieder ihren Koffer und steuerte das nächste Gebäude an. An
der Hauswand zwischen zwei Türen hing ein frisch poliertes Messingschild.
HAUS S war darauf eingraviert. Hilfe suchend blickte sie sich abermals in der
Trostlosigkeit des Morgens um. Und tatsächlich, ein armer Teufel hatte die
trockene Sicherheit seines Apartments verlassen und lief in ein paar Metern
Entfernung an Novalee vorbei. Er hielt sich eine Plastiktüte über den Kopf, um
sich vor dem Nieselregen zu schützen – vielleicht bemerkte er sie deshalb nicht.
Novalee fiel es nicht leicht, fremde Menschen anzusprechen, doch sie sah ihre
einzige Chance, jemals wieder trockenen Boden unter den Füßen zu haben,
bereits verschwinden. Also gab sie sich einen Ruck.
»Entschuldigung? Hallo?«, rief sie der Gestalt hinterher und hoffte, dass der
Wind ihre Stimme nicht verschluckte. Die Person sah sich kurz um und kam
dann direkt auf sie zu. Novalee ging ihr mit einem mulmigen Gefühl im Bauch
entgegen.
Der Mann war groß und hatte eine schlanke Statur. Seine braunen Haare
kringelten sich auf seinem Kopf, den er nun nicht mehr mit der Plastiktüte
bedeckte. Er wirkte älter als Novalee, sie schätzte ihn auf fünfundzwanzig. Sie
konnte sich kaum erklären, warum er noch hier war.
»Entschuldigung? Kannst du mir sagen, wie ich zu Haus L komme?«, fragte
Novalee zögerlich.
Der Mann zog eine Augenbraue hoch, musterte sie von oben bis unten und
lächelte. »Du bist neu hier, oder? Das kommt nur noch selten vor.«
Novalee errötete. »Ja, ich weiß. Gibt nicht mehr viele, die mit 18 noch nicht
verheiratet sind.«
»Aus gutem Grund«, erwiderte der Mann leichthin.
»Ich schätze, das wird sich schnell ändern, sobald man erst einmal hier ist.«
Verlegen senkte sie den Blick. Sie musste auf ihn wie ein verzweifelter Single
wirken, der es kaum abwarten konnte, endlich geheiratet zu werden. Auch wenn
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er damit gar nicht so falschläge.
Doch der Mann schüttelte nur vielsagend den Kopf. »Da wäre ich mir nicht so
sicher.«
Novalee sah ihn noch verwundert über seine Worte an, als der Mann auf einen
Weg zu ihrer Linken deutete. »Zu Haus L geht es da lang. Dem Weg folgen und
dann rechts abbiegen. Wenn du willst, kann ich dich begleiten.«
Novalee zögerte. Ihr war es unangenehm, einem fremden Mann solche
Umstände zu machen, und das auch noch bei diesem Wetter. Doch er lächelte so
gewinnend, dass sie es nicht wagte, sein Angebot auszuschlagen. Sie nickte
dankbar, dann gab er die Richtung an und gemeinsam gingen sie los.
Eine Weile schwiegen sie. Nieselregen sprühte ihnen ins Gesicht, während
sie einem matschigen Pfad folgten.
»Ich dachte, Siedlungen der Unverheirateten wären der beste Partnermarkt,
den Eupa zu bieten hat«, sagte Novalee schließlich, da ihr seine Worte nicht aus
dem Kopf gingen.
Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie er mit den Schultern zuckte.
»Sollte man meinen, aber so funktioniert das leider nicht. All die
Unverheirateten hier, sie haben ihre Gründe, weshalb sie nicht verheiratet sind.
Hab ich Recht?«
Sie dachte kurz darüber nach, dann nickte sie. Natürlich hatte auch sie ihre
Gründe: ein angeknackstes Herz und eine Vorliebe für Jungs aus Liga 1 –
außerhalb ihrer Liga. »Ich schätze schon. Was ist mit dir? Was ist dein Grund?«
Der Mann sah zu ihr herab, Novalee spürte seinen Blick. Doch aus
irgendeinem Grund widerstrebte es ihr, ihn zu erwidern, und so betrachtete sie
nur den schlammigen Boden zu ihren Füßen, während sie ihn sagen hörte:
»Mein Grund ist ganz banal. Ich hab einfach noch nicht die Richtige gefunden.«
Er blieb stehen und streckte ihr seine rechte Hand entgegen. »Ich bin Manel
Hoben.«
Auch Novalee blieb stehen. Ihre Augen hefteten sich für einen Augenblick auf
seine ausgestreckte Hand. Da war sie, die eingekreiste Zwei auf seiner Haut
zwischen Daumen und Zeigefinger. Genau wie bei ihr. Wollte sie das wirklich?
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Auf Lebzeiten mit diesem fremden Mann in Verbindung gebracht werden? Er
hatte es nicht verdient, dass sie seine Geste ausschlug, immerhin hatte er ihr
geholfen. Sie wechselte den kleinen beigen Handkoffer auf die andere Seite,
dann schüttelte sie etwas verlegen seine Hand.
»Novalee Levi.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. Wie bei jedem seltenen
Händeschütteln zogen die eingekreisten Zweien nebeneinander ihren Blick
magisch an. Seine Zwei und die ihre, zwei Füße, die aufeinander zugingen, ein
scheuer Tanz, möglicherweise ein Anfang von mehr. Novalee zog ihre Hand
zuerst zurück. Bloß nicht die drei Sekunden überschreiten, die Zeit, die ein
Händedruck für gewöhnlich dauern durfte. Schließlich hatte sie Manel gerade
erst kennengelernt.
Er schmunzelte. Dann deutete er auf das Gebäude vor ihnen. Es sah aus wie
alle anderen Häuser in der Siedlung. »Da wären wir.«
Novalee erblickte das Messingschild, das eingravierte L. »Vielen Dank fürs
Bringen«, sagte sie und versuchte, ihre Unsicherheit mit einem Lächeln zu
kaschieren. Sie wandte sich bereits von ihm ab, als eine Bewegung sie
innehalten ließ. Manel hatte die Hand gehoben, als wolle er nach ihrem Arm
greifen. Doch er berührte sie nicht.
Novalee kannte diese Geste, ein alter Reflex, den selbst die strengsten Regeln
nicht hatten ausmerzen können. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend
an.
»Hättest du etwas dagegen, wenn ich dich bei Gelegenheit in unserer
Siedlung herumführe?« Manel klang zuvorkommend und charmant.
Sie wusste, dass sie sich darum bemühen sollte, möglichst bald einen
Ehemann zu finden. Manel schien nett zu sein. Er war zwar etwas älter,
trotzdem eine gute Zwei. Vielleicht sollte sie es einfach versuchen.
»Nein … ich meine, klar, warum nicht.« An ihrer Begeisterungsfähigkeit
musste sie eindeutig noch arbeiten.
Manel nickte. Wieder schmunzelte er. »Schön. Dann komme ich die nächsten
Tage mal vorbei. Ich weiß ja jetzt, wo du wohnst.« Er zwinkerte ihr zu, dann
verschwand er im grauen Nebel des Sprühregens. Für einen Moment blickte
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Novalee ihm nach. Sie wusste nicht, was sie von seiner Ankündigung halten
sollte. War es ihr überhaupt recht, dass er irgendwann unangemeldet vor ihrer
Tür stand? Immerhin war er ein Fremder.
Novalee wandte sich Haus L zu. Gemischte Gefühle prasselten auf sie herein.
Das war also ihr neues Zuhause.
Zuhause. Auf den ersten Blick war dieses Wort nicht mit dem
kastenähnlichen Gebäude in Einklang zu bringen. Trist und grau. Kein Hauch
von Wärme. Zwei Etagen grüner Türen mit je einem kleinen Fenster daneben,
die nichts von den Apartments dahinter preisgaben. Eine nackte Metalltreppe
führte in die erste Etage. Und auch dort Tür an Fenster an Tür, mit einer
schmalen Balustrade davor. Nichts davon war einladend, nichts war heimisch.
Mit unterschwelligem Widerwillen setzte sie sich in Bewegung. Ihre
Wohnung lag in der ersten Etage, Apartment 23B.
Sie legte gerade die Hand auf das Geländer der Treppe, als vor dem Haus ein
offener roter Jeep der Hummels mit krachendem Motor und quietschenden
Reifen zum Stehen kam. Erschrocken hielt Novalee inne. Wollten sie zu ihr? Ihr
Einzug sollte doch erst am Nachmittag überprüft werden.
Drei Hummels sprangen aus dem Wagen. In ihren dunklen Stiefeln stapften
sie durch den Matsch, zielstrebig auf eine Tür rechts neben der Treppe zu. Die
Männer im Dienste der Regierung trugen schwarze Hosen, rote hüftlange
Fracks, doch es waren die roten Zylinder, die sie bedrohlich und
respekteinflößend erscheinen ließen. Novalee hatte die Erfahrung gemacht, dass
man sich ihnen besser nicht widersetzte. Sie waren überlegen – in jeder
Beziehung. Deshalb war sie umso erleichterter, als sie vor der Tür zu Apartment
1A stehen blieben und dort nachdrücklich klopften. Was auch immer sie von
dem Bewohner dieses Apartments wollten, Novalee würde sich von ihm
fernhalten. Wenn die Hummels jemandem einen Besuch abstatteten, dann
bedeutete das in der Regel nur Ärger. Daran hatte Novalee nicht das geringste
Interesse.
Als sie endlich die Treppe hinaufstieg, schwappten Gesprächsfetzen zu ihr
herüber. Die Stimme einer Frau, der Wind verschluckte ihre Worte.
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Novalees Wohnung war die vorletzte auf dem Gang. Unsicher legte sie ihre
Hand auf den Knauf, als sie vor der Tür zu 23B stand. In dem Brief hieß es, das
elektrische Türschloss sei bei ihrer Ankunft bereits auf ihren Chip eingestellt
und nur sie könne es öffnen. Tatsächlich: Ein Klicken war zu hören und die Tür
sprang einen Spalt auf. Novalee gab ihr einen kleinen Schubs und blickte direkt
in das zerstörerische Auge ihres neuen Zuhauses.
***
Der Gestank, der ihr entgegentrat, benebelte sofort ihre Sinne. Es roch faul,
unterschwellig süß, zudem nach Kloake und Putzmittel, was man anscheinend
mit umgekippter Milch und altem Fisch zu neutralisieren versucht hatte.
Novalee wich entsetzt einen Schritt zurück. Irrationale Ängste stürzten auf sie
herein. Sie würde hier sterben, erstickt am Gestank verdorbener Lebensmittel
und übergelaufener Sanitäranlagen. An Kolibakterien oder einer
Infektionskrankheit. Hier musste ein Fehler vorliegen! Noch einmal
vergewisserte sie sich, ob dies auch das richtige Apartment war.
23B, kein Zweifel. Unter der Klingel stand bereits ihr Name. Außerdem hatte
ihr Elektrochip die Tür geöffnet. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Novalee
schluckte die aufkommende Übelkeit hinunter. Warum hatte die StorRg, die
Staatlich organisierte Reinigungsgesellschaft, noch nicht ihre Arbeit getan und das
Apartment gereinigt?
Eine tiefe Trostlosigkeit überkam sie. Sie vermisste ihre Familie, ihre
vertraute Umgebung. Sie wollte nicht hier sein und doch hatte sie keine Wahl.
Sie war erwachsen, das hier war nun ihr Leben, also musste sie das Beste daraus
machen.
Mit angehaltenem Atem betrat sie das Apartment. Vor ihr lag ein großer
Raum, der einst als Wohnzimmer gedient hatte. Doch diese Zeiten schienen
lange vorbei. Nun war er ein Lagerplatz für sämtlichen Unrat, den sie sich
vorstellen konnte. Abfalltüten, um die bereits die Fliegen kreisten, stapelweise
Zeitschriften, vertrocknete Zimmerpflanzen, zerschlissene Möbelstücke und
68
mehr, zum Teil bis an die Decke gestapelt.
Novalee stellte ihren Koffer ab und wagte sich vorsichtig weiter in den Raum.
Auf der rechten Seite waren drei Türen. Die erste gab den Blick auf etwas
frei, was die Küche gewesen sein musste. Doch Novalee war noch nicht bereit,
sich ein genaues Bild davon zu machen. Je weiter sie in die Wohnung vordrang,
desto stärker wurde der Gestank nach Fäkalien – die mittlere Tür musste das
Badezimmer sein. Novalee zwang ihren Würgereflex zurück und tat einen
weiteren Schritt …
… und trat ins Nichts. Sie stürzte nach vorne, schrie und schlug schmerzhaft
auf Knien und Händen auf. Ein Knacken war zu hören. Auf allen Vieren hockend
schloss sie resignierend die Augen.
Ein Lachen wuchs in ihrer Kehle und brach in Form eines verzweifelten
Schluchzens heraus. Eine Stufe! Warum war in ihrer Wohnung eine Stufe? Sie
brauchte einige Momente, um sich wieder zu fangen, dann rappelte sie sich auf.
Als sie ihre Hände abklopfen wollte, entdeckte sie an ihrer rechten Hand die
Überreste eines Ungeziefers – war es eine Kakerlake? Sie hatte es mit bloßer
Hand zerquetscht!
Novalee sprang auf. Ekel walzte durch ihren Körper und legte sich schwer in
ihren Magen. Jetzt bloß nicht kotzen! Ohne darüber nachzudenken, stürzte sie in
die Küche, drehte den Wasserhahn auf und hielt ihre Hand darunter.
Doch statt Wasser kam nichts. Novalee rüttelte am Hahn und plötzlich kam
Leben in die Rohre. Ein mühseliges Gluckern war zu hören, ein Schnaufen und
ein Rülpsen, und schon spritzte eine braune, zähe Flüssigkeit in alle Richtungen.
Novalee sprang zurück, doch es war zu spät. Das übel riechende Zeug klebte an
ihrer Kleidung, in ihrem Haar, in ihrem Gesicht. Ekel legte ihr Gehirn lahm.
Magensäure stieg in ihrer Speiseröhre hoch.
Fassungslos ließ sich Novalee an der Küchenwand herunterrutschen. Die
braunen Essensreste, die sie dabei von der Wand wischte, kümmerten sie nur
noch wenig, doch als ihr Hintern auf einer alten Pizza seinen Platz fand, schloss
sie fassungslos die Augen. Das war zu viel! Dennoch blieb sie sitzen. Weil sie
nicht wusste, was sie sonst tun sollte.
69
Minuten später klopfte es plötzlich an der Tür. Sie hatte vergessen, die
Wohnungstür zu schließen.
»Hallo? Ist jemand hier?«, fragte die fröhliche, aber etwas zögerliche Stimme
einer jungen Frau.
Novalee stand auf und blickte an sich hinab. Sie sah aus wie ein Schwein, das
sich im Dreck gewälzt hatte.
Die junge Frau, die mit großen Augen das Wohnzimmer begutachtete, war
das komplette Gegenteil von Novalee. Klein und zierlich, mit einer Ausstrahlung,
die pure Fröhlichkeit in den Raum brachte. Ihr Haar, das sie sich zu einem
Pferdeschwanz gebunden hatte, war lang und dunkel. Sie war hübsch. Sicher
war das Ergebnis ihrer Sichtung knapp ausgefallen.
»Wow, was ist denn hier explodiert?«, fragte sie ungläubig, doch dann
bemerkte sie Novalee, die in diesem Moment das Wohnzimmer betrat. »Hi, ich
bin Leilani Ziffi, und du musst …«, sie verstummte, als sie in Novalees
schmutziges Gesicht sah, »… ziemlich im Arsch sein.«
»Wer bist du?«, fragte Novalee misstrauisch.
»Oh, ähm … ich bin deine Nachbarin aus 1A. Ich wollte dich herzlich
willkommen heißen und habe Pfannkuchen mitgebracht«, sie deutete auf den
Teller in ihrer Hand. Der Pfannkuchen darauf wirkte schon etwas vertrocknet.
»Aber wie ich sehe, fällt die Begrüßungsfeier heute aus.«
1A? Das war die Wohnung, denen die Hummels einen Besuch abgestattet
hatten. So viel dazu, sich von der Bewohnerin dieses Apartments fernzuhalten.
Novalee wusste nicht, was sie sagen sollte. Leilani blickte sich ohne Scheu um
und konnte ihre Verblüffung kaum verbergen. Novalee war das unangenehm. Sie
konnte zwar nichts dafür, dass es hier so aussah, doch sie war es nicht gewohnt,
mit Dreck besudelt auf andere Menschen zu treffen.
»Was ist denn passiert?«
Novalee zuckte erschöpft mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Das war
schon so, als ich ankam. Ach, und der Wasserhahn ist mir um die Ohren
geflogen. Ich klinge vielleicht wie ein kleines Mädchen, aber ich habe jetzt schon
echt die Schnauze voll!« Die Wahrheit jedoch war, dass sie sich nach ihrem
70
richtigen Zuhause sehnte. Dem Gefühl der Geborgenheit, der gespannten
Vorfreude, wenn ein Besuch ihrer Schwester anstand, weil sie dann wieder ihre
Hand auf Valeas zuckenden Bauch legen konnte. Hierher würde sie sicher nicht
kommen.
Ein Ausdruck von Mitgefühl legte sich auf Leilanis ebenmäßiges Gesicht. Sie
trat einen Schritt auf Novalee zu, als wolle sie ihr tröstend eine Hand auf die
Schulter legen, überlegte es sich angesichts der braunen Brühe auf der einst
weißen Bluse aber anders.
»Du Arme … ich kann das verstehen. So geht es hier am Anfang allen.«
Novalee wusste das Mitgefühl ihrer Nachbarin zu schätzen, mit ihr
befreundet sein wollte sie aber nicht. Eigentlich wollte sie gar nicht mit ihr in
Verbindung gebracht werden.
»Wann wird dein Einzug überprüft?«, fragte Leilani.
Novalee zuckte wieder mit den Schultern. »Am frühen Nachmittag, glaube
ich.«
Leilani machte ein grunzendes Geräusch, das nicht zu ihrer Erscheinung
passen wollte. »Idioten. Waren doch eben erst bei mir, dann hätten die ja auch
gleich einen Blick bei dir reinwerfen können.«
Es schockierte Novalee, wie sie über die Exekutive sprach. Kein Wunder, dass
sie von den Hummels überprüft wurde, anscheinend war sie wirklich eine
Unruhestifterin.
»Weißt du was?«, fragte Leilani mit überschwappender guter Laune. »Du
kommst jetzt erst einmal mit zu mir, nimmst eine Dusche und dann essen wir
etwas von meinen wirklich großartigen Pfannkuchen, bis die Bigheads kommen,
um dich zu überprüfen. Was sagst du?«
Novalee zog beunruhigt die Augenbrauen zusammen. »Bigheads?«
Leilani grinste. »Wegen der großen Hüte, du weißt schon.«
Novalee zog scharf Luft ein. Leilani hatte einen Spottnamen für die
Hummels? Wenn das herauskam … Sie zögerte. Sollte sie auf den Vorschlag der
jungen Frau eingehen? Obwohl sie den Ärger bereits riechen konnte – was
angesichts der braunen Pampe in ihrem Gesicht keine leichte Sache war.
71
Andererseits war es ein verlockendes Angebot.
Sie presste die Lippen aufeinander, blickte sich noch einmal in dem Chaos
um und nickte resigniert. Das würde sie sicher noch bereuen.
***
Leilanis Apartment war identisch mit dem von Novalee – mit der einen
Abweichung, dass hier keine Abfalltonne, sondern ein Kleiderschrank explodiert
war.
Es wunderte sie nicht, dass sich die Wohnungen glichen. Auch die
Einfamilienhäuser, die einem Ehepaar nach der Hochzeit zugeteilt wurden,
waren einheitlich, so wie das Haus ihrer Schwester Valea und ihres Mannes.
»Ignorier das Chaos und fühl dich … na ja, wie zu Hause«, sagte Leilani
augenzwinkernd, während sie einige ihrer Klamotten zusammenkramte und
achtlos auf einen Haufen warf.
Novalee stand noch immer im Türrahmen, nass vom Regen und verdreckt von
den Ausscheidungen eines widerspenstigen Wasserhahns, ihren Koffer in der
Hand, und spürte den ersten Anflug von Reue, auf den sie bereits gewartet hatte.
»Was ist mit den Kleidern von der Regierung?«, hakte sie vorsichtig nach,
weil der Großteil der Klamotten offensichtlich nicht aus dem Sortiment
stammte, das jedem Bürger in Liga 2 zugeteilt wurde.
Leilani grinste verschwörerisch. »Ach, die sind doch langweilig. Ich kenne da
einen super Laden, in dem du Mode aus Liga 1 bekommst. Sogar Sachen von
Camp van Pinz sind dabei. Du weißt schon, der Modedesigner, der
verschwunden ist.«
Novalee wurde flau im Magen. »Sind die Sachen für uns nicht …«
»… illegal?«, vervollständigte Leilani ihren Satz und blickte sie herausfordernd
an. »Ach komm, das sind doch nur Klamotten, die tun niemandem weh.«
Unsicher stellte Novalee ihren Koffer ab und schloss die Tür. Beim besten
Willen wollte sie nicht gleich am ersten Tag in der Siedlung der Unverheirateten
dabei erwischt werden, wie sie sich über illegale Dinge unterhielt.
72
»Haben die Hummels deine Klamotten nicht bemerkt?«
Leilani lachte und ließ sich auf ihr beiges Sofa vor dem Fenster fallen. Auch
in Novalees Wohnung musste es dieses Sofa geben, sie hatte es unter dem
ganzen Unrat nur noch nicht gefunden. »Pah! Als ob die Bigheads Ahnung von
Mode hätten!«
Novalee stand immer noch an der Tür, unentschlossen, ob sie bleiben wollte
oder das Desaster ihrer eigenen Wohnung vorzog. Immerhin drohte ihr dort
kein öffentlicher Prozess.
»Wieso waren sie eigentlich bei dir? Die Hummels, meine ich.«
Leilani machte eine abwertende Handbewegung, dann streifte sie sich die
schwarzen Halbschuhe von ihren Füßen. Immerhin die waren von der
Regierung. »Ach, nichts Besonderes. Nur ein Missverständnis.«
Damit schien das Thema für sie beendet. Vermutlich wollte sie Novalee nicht
verschrecken. Immerhin musste auch Leilani bemerkt haben, dass sie ihre
lockere Einstellung nicht teilte. Schlagartig kam sich Novalee schrecklich
spießig vor, auch wenn es klüger war, sich an die Regeln zu halten. Die
Regierung hatte diese Regeln für die Bevölkerung zu ihrem Schutz und für ihr
Wohlergehen aufgestellt. Novalee hatte miterlebt, was geschah, wenn man dieser
Großzügigkeit nicht mit Dankbarkeit und Respekt begegnete. Wenn sich alle an
die Regeln hielten, verlief das Leben friedlich und reibungslos. Novalee jedenfalls
hatte sich vor langer Zeit entschieden, die Regeln zu befolgen.
»So, was ist? Willst du weglaufen oder eine schöne warme Dusche nehmen
und dich anschließend mit Pfannkuchen vollstopfen?«
Solange Novalee sich selbst von den verbotenen Dingen fernhielt, denen
Leilani frönte, wäre sie doch auf der sicheren Seite, oder? Mit einem zögerlichen
Lächeln beantwortete sie Leilanis Frage.
Es war ein gutes Gefühl, den Dreck und die Anspannung wegzuspülen.
Natürlich löste das nicht Novalees Probleme, doch die Hummels würden bald
kommen, das Chaos in ihrem Apartment sehen und die StorRg vorbeischicken,
die es bislang versäumt hatte, den Unrat des Vormieters zu beseitigen.
Als Novalee mit frisch gewaschenen Haaren und sauberen Klamotten an
73
Leilanis Wohnzimmertisch saß und den trockenen Pfannkuchen aß, der viel
besser schmeckte, als er aussah, ging es ihr bereits bedeutend besser.
»Wer hat eigentlich vorher in meinem Apartment gewohnt?«
Die Frage geisterte schon eine ganze Weile durch Novalees Kopf. Sicher,
Ordnung war nicht jedermanns Sache, Leilani war das beste Beispiel. Aber um
so ein Chaos zu erschaffen, bedurfte es schon ganz besonderen Talents.
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Leilani mit vollem Mund. »Ich hab ihn
nicht oft gesehen. War ein komischer Kerl, hat kaum die Wohnung verlassen, ich
weiß nicht einmal, ob er arbeiten gegangen ist. Ich weiß nur, dass sie ihn vor
ein paar Tagen umquartiert haben, wie sie es nennen.«
Novalee blickte auf. »Was meinst du mit wie sie es nennen?«
Das andere Mädchen wiegte abschätzend den Kopf hin und her. »Vergiss es«,
sagte sie schließlich und stopfte sich ein weiteres Stück Pfannkuchen in den
Mund. »Ich glaube, du bist noch nicht bereit für meine Theorien.«
Novalee nickte. Nein, das war sie sicher nicht.
***
Am frühen Nachmittag kehrte Novalee in ihr Apartment zurück. Unter keinen
Umständen wollte sie den Besuch der Hummels verpassen. Leilani begleitete sie
und erzählte ihr im Vorbeigehen einige interessante Details über die Bewohner
der jeweiligen Apartments. Doch Novalee hörte ihr nur mit einem halben Ohr
zu. Je näher sie ihrer neuen Bleibe kamen, desto stärker wurde ihr Unwohlsein.
Wie aus dem Nichts erinnerte sich Novalee plötzlich, dass sie das
gemeinsame Familienessen verpasste – zum ersten Mal in ihrem Leben. Es war
zwar in den letzten Jahren eher zu einer unangenehmen Pflicht als zu einem
gemütlichen Beisammensein geworden, was an der gedrückten Stimmung seit
dem Verschwinden ihres Onkels Leland lag, doch was hätte Novalee dafür
gegeben, jetzt dort zu sein!
»Und da«, Leilani deutete auf die Tür zu Apartment 21B, »wohnt Bebi
Fauwler. Nettes Mädchen, achtzehn Jahre alt wie alle hier im Haus. Sie ist ein
74
bisschen plump, aber was soll's. Allerdings wundert es mich nicht, dass sie noch
keinen Mann gefunden hat. Gibt Hübschere als sie, selbst hier in Liga 2«,
plapperte Leilani munter.
Novalee mochte es nicht, wenn über jemanden schlecht gesprochen wurde,
der nicht anwesend war. Sie war noch nicht verheiratet, na und? Novalee spürte
wieder den Druck auf ihren Schultern. Wie sie es hasste, hier zu sein, in der
Siedlung der Unverheirateten! Ihr Scheitern kratzte ungemein an ihrem
Selbstwertgefühl.
Als hätte Leilani ihre Gedanken gehört, fügte sie hinzu: »Weißt du, einige
versuchen es einfach zu sehr. Das kann nicht klappen. Ganz ehrlich? Mir ist es
egal. Mir ist es nicht wichtig zu heiraten, auch wenn das bedeutet, dass ich
früher sterben muss. Ich hasse es, mich unterzuordnen.«
Alles an Leilanis Worten machte Novalee nervös. Neugier regte sich, doch sie
wagte nicht nachzufragen, was sie damit meinte.
Leilani schien Novalees Verwirrung zu bemerken und machte ihre
abwertende Handbewegung, die sie überaus gut beherrschte. »Vergiss es. Willst
du nicht wissen.«
Ein Geräusch ließ Novalee aufhorchen. Nur zwei Eingänge weiter wurde eine
Tür geöffnet und eine große Gestalt trat aus der Wohnung, zog die Tür hinter
sich zu und ging gedankenverloren auf die jungen Frauen zu. Novalee stockte
der Atem. Heiß und kalt prallten aufeinander, etwas erschütterte ihren Körper,
die Etage, das ganze Haus. War das etwa …? Nein, natürlich nicht, das war
unmöglich! Und doch stieg Hitze ihren Hals hoch, beschleunigte sich ihr
Herzschlag, setzte ihr Verstand aus.
»Hey, Hübscher!«, begrüßte Leilani ihren Nachbarn, der ihnen entgegenkam
und überrascht aufsah. Novalee blickte sie überrumpelt an, sie hatte für ein paar
verwirrte Herzschläge lang vergessen, dass Leilani auch da war. Kokett
zwinkerte diese ihrem Nachbarn zu.
»Hey, Leilani«, hörte Novalee ihn sagen, seine Stimme war fremd, natürlich,
denn er konnte es nicht sein, und wieder huschten ihre Augen zu ihm.
Ihre Blicke trafen sich.
75
Plötzlich war es Novalee ein Rätsel, wie sie diesen jungen Mann jemals für
Brijon hatte halten können. Abgesehen von der Größe und der Statur hatten sie
nichts gemeinsam. Dennoch starrte sie ihn mit offenem Mund an. Seltsam, was
für einen verstörenden Streich ihr der Verstand gespielt hatte. Blut schoss in
ihren Kopf. Der junge Mann runzelte die Stirn, dann war er auch schon hinter
ihnen verschwunden.
Auch Brijon hatte gut ausgesehen, doch auf eine andere, rauere Art. Ihr
Nachbar war nicht einfach nur gut aussehend. Er war schön.
Viel zu schön für Liga 2!
»Wer war das?«, fragte Novalee atemlos, als sie und Leilani ihre Tür
erreichten. Jetzt wagte sie einen Blick zurück, doch der junge Mann war bereits
die Treppe runter in den Regen verschwunden.
Leilani musterte sie von der Seite und grinste. »Das, meine Liebe, war Graey
Maaston. Lustiger Typ, echt nett und so, aber völlig unnahbar. Ich hab's probiert,
glaub mir. Nicht einmal die Hand wollte er mir geben.«
Noch immer sah Novalee in die Richtung, in die er verschwunden war. Sie
konnte noch immer nicht fassen, dass sie für einen schmerzlichen Herzschlag
lang Brijon in ihm erkannt hatte.
»Wieso fragst du? Gefällt er dir?«, neckte Leilani sie.
Novalee wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie diese kurze
Begegnung erschüttert hatte, auch wenn es ihr schwerfiel, den Blick wieder auf
ihre Nachbarin zu richten.
»Ach, nur so«, antwortete sie möglichst gelassen und versuchte, Leilanis
abwertende Handbewegung nachzuahmen. Doch sie wusste, dass ihre roten
Bäckchen sie Lügen straften.
»Na ja, wie auch immer«, flötete Leilani gut gelaunt. »Du wirst ihm in
Zukunft jedenfalls häufiger über den Weg laufen, denn er ist dein direkter
Nachbar. Also solltest du dir besser abgewöhnen, in seiner Gegenwart dein
ganzes Blut in dein Gesicht zu pumpen, sonst kommt er noch auf die
wahnwitzige Idee, du würdest dich für ihn interessieren.«
Novalee senkte verlegen den Kopf. Wie dumm, dass sie ihre Gesichtsfarbe
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nicht kontrollieren konnte!
Glücklicherweise beließ Leilani es dabei und verabschiedete sich von
Novalee. »Wenn was sein sollte – meine Tür steht für dich jederzeit offen.« Sie
schmunzelte gewinnend, dann ging sie davon.
Auch diesmal öffnete sich die Apartmenttür sofort, als Novalee den Türgriff
berührte. Doch die Verwüstung in ihrem neuen Zuhause erschien ihr plötzlich
nicht mehr so katastrophal wie noch vor ein paar Stunden. Und das lag nicht an
der Dusche und auch nicht am Pfannkuchen.
Es lag an Graey Maaston.
Ende der Leseprobe
Kerstin Ruhkieck, Jahrgang 1979, schreibt Geschichten, seit sie einen Stift halten
kann. Nachdem das Leben einige Stolpersteine für sie bereitgehalten hatte, holte
die Autorin ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte einige
Zeit »Deutsche Sprache und Literatur« in Hamburg. Kerstin Ruhkieck ist
verheiratet und hat zwei Söhne.
77
Drei Fragen an Kerstin Ruhkieck
© privat
Was hat dich zu deinem neuen Roman inspiriert?
Das kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Ich glaube, es war ein Traum. Viele
meiner Ideen entstehen nachts oder kurz vor dem Einschlafen. Aber nur die
wenigsten schaffen es, bis zum nächsten Morgen in Erinnerung zu bleiben. In
diesem Fall war die Idee in Erinnerung geblieben und hatte mich lange Zeit
nicht losgelassen. Also habe ich angefangen, mich gedanklich und emotional
weiter darauf einzulassen. Dabei fand ich besonders das Phänomen der
Chiraptophobie, also die Angst vor Berührungen, interessant und inspirierend,
obwohl sie in meiner Geschichte keine (große) Rolle spielt. Die Ausmaße dieser
Phobie waren etwas, an dem ich mich in dieser fremden Welt orientieren
konnte. Wie ein kleines Licht in einer unbekannten Dunkelheit.
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Welche Figur aus deinem neuen Roman könntest du, ohne mit der Wimper zu
zucken, sterben lassen bzw. welche Figur ist dir am wenigsten sympathisch?
Ehrlich? Ohne mit der Wimper zu zucken? Keine. Ich liebe meine vier
Protagonisten und es würde mir in der Seele wehtun, sie einfach sterben zu
lassen.
Einer der guten Aspekte, wenn man als Autorin arbeitet, ist ja, dass ich die
Macht besitze, unsympathische Figuren einfach sterben zu lassen. Von daher
denke ich, der Leser wird sehr schnell merken, wen ich mag und wen nicht. Und
ich will ja noch nicht zu viel verraten!
Wie sieht deine persönliche Schreib-Playlist aus?
Für gewöhnlich schreibe ich in der Nacht bei absoluter Stille, weil im
Nebenzimmer meine Kinder schlafen und ich ein offenes Ohr für sie haben
muss. Wenn ich dann aber doch mal beim Schreiben etwas hören kann, sind es
immer dieselben drei Lieder.
Hozier – Take me to Church
Tom Odell – Another Love
Tom Odell – Can't Pretend
79
Die Top 10 aller Märchen-Verfilmungen von
Valentina Fast, Autorin der »Royal«-Reihe
80
Vier junge Männer und die schönsten Mädchen des Landes: Wer schafft es zur
Märchenhochzeit?
Im Königreich Viterra, einem durch eine Glaskuppel vom Rest der Welt
abgeschirmten Land, findet alle paar Jahrzehnte eine prunkvolle Fernsehshow
zur Prinzessinnenwahl statt. Zusammen mit den schönsten Mädchen der Nation
soll die siebzehnjährige Tatyana um die Gunst vier junger Männer werben, von
denen nur einer der wahre Prinz ist. Sie alle haben royale Eigenschaften und eine
geheimnisvolle Vergangenheit, aber wer ist wirklich königlich? Und wie weit
wird Tatyana in der Auswahl kommen?
Alle sechs Bände der Reihe in einer E-Box!
Nicht nur in ihren eigenen Romanen taucht Valentina Fast in eine märchenhafte
Welt ein. Blättere weiter und erfahre, welche Märchenverfilmungen zu Valentina
Fasts Top-10-Lieblingen gehören! Dazu gibt es ganz besondere Fotos, auf denen
die Autorin selbst zur Prinzessin wird. Wir danken dem Brautmodengeschäft
»Orchidee« für die tatkräftige Unterstützung (www.orchidee-brautmoden.de).
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Meine zehn liebsten Märchenadaptionen der
Filmgeschichte!
© privat
Platz 10: Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte
von Schneewittchen
Verfilmung aus dem Jahr 2012
Ich bin ein großer Fan dieser Version von »Schneewittchen«, die mit
großartigen Schauspielern und wunderschönen Kostümen umgesetzt wurde.
Alleine schon die Tatsache, dass dieses Mal die Prinzessin selbst kämpft, macht
diesen Film unglaublich lohnenswert.
Platz 9: Beastly
Verfilmung aus dem Jahr 2011
Diese sehr moderne Version von »Die Schöne und das Biest« gehört meiner
Meinung nach in jedes Regal eines kitschverliebten Happy-End-Fans. Die
Geschichte des selbstgerechten Mannes, der sich verliebt und alles für seine
Herzensdame tun würde, könnte nicht besser in unsere Zeit passen und ist
einfach allerliebst.
Platz 8: Maleficent – Die dunkle Fee
Verfilmung aus dem Jahr 2014
Bei diesem Film wird das Märchen von »Dornröschen« aus der Sicht der
bösen Fee erzählt. Als Kind hat jeder diese dunkle Gestalt gekannt und
gefürchtet, doch nun bekommt man Mitleid mit dieser wundervollen Fee, der so
schändlich das Herz gebrochen wurde.
Platz 7: Alice im Wunderland
Verfilmung aus dem Jahr 2010
Schon allein Johnny Depp als verrückter Hutmacher macht diesen Film so
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unglaublich sehenswert. Die Besetzung ist wundervoll und noch besser finde ich,
dass ein altbekanntes Märchen einfach mal nicht nach-, sondern weitererzählt
wird.
Platz 6: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel
Verfilmung aus dem Jahr 1973
Dieses Märchen ist – obwohl es schon so alt ist und quasi vom anderen Ende
der Welt kommt – seit Generationen fester Bestandteil des
Weihnachtsprogramms und gehört für mich zu einem meiner liebsten
Weihnachtsmärchen. Aschenbrödel ist so herrlich eigensinnig, was sie
besonders liebenswert macht.
84
© privat
Platz 5: Der Nussknacker-Prinz
Animationsfilm aus dem Jahr 1990
Es gibt Mädchen, die schon immer einen Frosch küssen wollten, um ihren
Prinzen zu bekommen. Ich nicht. Ich wollte immer einen Nussknacker, der mich
in das Puppenschloss entführt, wo alles nur aus Süßigkeiten besteht. Und dabei
würden wir den ganzen Tag lang zu Tschaikowskis Musik tanzen.
Platz 4: Rapunzel – Neu verföhnt
Animationsfilm aus dem Jahr 2010
Diese Version von Rapunzel gefällt mir um einiges besser als das klassische
Märchen. Der Film ist einfach so wunderbar verrückt, witzig und romantisch,
dass man ihm spätestens nach der Szene auf dem See völlig verfallen ist. Und
falls nicht, dann aber allerspätestens, wenn das Pferd unseren Helden/Räuber
mit einer Pfanne angreift.
Platz 3: Cinderella
Verfilmung aus dem Jahr 2015
»Cinderella« gehört für mich zu den ganz großen Märchen meiner Kindheit
und Disney hat mit dieser Neuverfilmung einen großartigen Traum mit
wundervollen Schauspielern geschaffen. Ich habe diesen Film schon dutzende
Male gesehen und es werden ganz sicher noch weitere hunderte Male folgen.
Platz 2: Die Schöne und das Biest
Verfilmung aus dem Jahr 2014
Die Neuverfilmung von »Die Schöne und das Biest« ist meiner Meinung nach
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eine der besten Realverfilmungen von Märchen, die ich kenne. Ich liebe diesen
französischen Hauch, der sich durch die Erzählung zieht, und auch die neue
Handlung des Märchens, die ein wenig anders ist, als man es vom Original kennt.
87
© privat
Platz 1: Anastasia
Animationsfilm aus dem Jahr 1997
»Anastasia« ist zwar kein Märchen im klassischen Sinne, weil es nicht in
irgendwelchen uralten Büchern aufgeschrieben wurde, jedoch ist es die
märchenhafte Geschichte von einer verschwundenen Zarentochter. Es ist mein
absoluter Liebling unter den Märchenfilmen. Diese Geschichte ist so voller
Liebe, großer Musik, Magie und dem Traum nach einer Familie, der es wert ist,
dass man dafür bis ans andere Ende der Welt reist.
Ich muss gestehen, dass ich nach dem Aufschreiben
dieser Liste wieder unglaublich viel Lust auf meine
Lieblingsfilme hatte. Die laufen jetzt rauf und
runter, während ich schreibe. :-D
Eure
Valentina
PS: An wen erinnert Euch das nächste Bild? ;-)
89
© privat
Ava Reed: »Spiegelstaub« (Die Spiegel-Saga 2)
mit FanArt von begeisterten Lesern
Erscheinungsdatum: 07. April 2016
Inhalt
Lange schon dauert der Kampf gegen die Wesen der Fantasie. Und noch immer
muss Caitlin lernen, ihre Fähigkeiten zu beherrschen. Obwohl jegliche
91
Verbindung zur Spiegelwelt zerstört wurde, ist sie noch nicht in Sicherheit.
Denn Finn, der Spiegel ihrer Seele und Caitlins wahre Liebe, hat ihr
verschwiegen, dass der Magier Seth möglicherweise aus Scáthán entkommen
konnte. Ihrer Bestimmung folgend, macht sie sich gemeinsam mit ihm und
ihren Freunden auf den Weg in die Heimat ihrer Mutter. An den Ort, an dem
das Leben begonnen hat. Doch alles was lebt, kann auch sterben…
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Leseprobe
Finn – Hier und Jetzt
Ich hörte, wie ihr Herz im Einklang mit dem meinen schlug. Ihre Wärme hüllte
mich ein, der Duft nach Wildblumen und dem Meer, nach frischer Erde und
nassem Gras erfüllte den Raum. Während ihr Kopf auf meinem Schoß ruhte,
hielt ich ihre Hand. Ich lauschte ihren regelmäßigen Atemzügen und sah, dass
sie ab und an ihre Nase kräuselte, weil eines ihrer Haare sich dorthin verirrt
hatte und sie kitzelte.
Ich blickte sie an und sah alles, was mir wichtig war, das, was mir mehr
bedeutete als irgendetwas anderes jemals zuvor.
Einige Monate waren bereits vergangen, seit wir sie hatten befreien können,
doch ich dachte noch jeden verfluchten Tag daran. Daran, dass ich sie beinahe
verloren hatte.
Meine Hand umfasste ihre fester, so als wollte ich sicher gehen, dass Cat nicht
einfach verschwand. Die Gedanken, die mich unter sich begruben, konnte ich
jedoch nicht aufhalten. Raphael war fort und er fehlte mir. Ich hatte einen
Freund verloren, den ich gerade erst wiedergewonnen hatte. Besonders Cat traf
dieser Verlust sehr, denn sie hatte ihn sofort in ihr Herz geschlossen. Deshalb
hatte ich ihr nicht erzählt, was ich an dem Tag unserer Heimkehr gehört hatte.
Das, was sie nicht wahrgenommen hatte, als wir draußen unter ihrer Esche
saßen. Den Raben. Bis heute hatte sich nichts gerührt und ich betete Tag um
Tag, dass das so blieb. Dass dieser Rabe nichts weiter war als ein wunderschönes
Tier und nichts mit einer Fantasie gemeinsam hatte. Dass Seth es nicht aus
Scáthán geschafft hatte und nun für immer dort bleiben musste.
Kurz schloss ich meine Augen, versuchte der Bilderflut Herr zu werden, die
über mich hereinbrach. Als ich meinen Blick wieder für meine Umgebung
öffnete, sah ich ihn vor dem Fenster – Schnee. Der erste des Jahres. Riesige
93
Schneeflocken schwebten zu Boden und ich musste grinsen. Cat beschwerte sich
seit Tagen, dass es nur regnen würde und kalt sei, aber kein Schnee zu sehen
wäre. Sie war so unendlich aufgeregt in Erwartung des ersten irischen Winters,
den sie nun erleben würde.
»Kleine Fee. Aufwachen«, flüsterte ich ihr leise zu und strich dabei sanft über
ihre Wange. »Sonst verpasst du noch den Schnee, auf den du so lange gewartet
hast.«
Ein nörgeliges Brummen entwich ihr und sie kuschelte sich noch mehr in die
Wolldecke, die über ihr lag. In wenigen Tagen war Weihnachten und wenn ich
zuließ, dass sie das hier verpasste, würde ich allein feiern müssen. Ich konnte
nicht anders, ich musste lachen, was meinen Körper beben ließ. Wie sehr sich
mein Leben verändert hatte.
»Warum lachst du so laut?«, murmelte sie vor sich hin.
»Weil du mich so auf Trab hältst.« Noch immer konnte ich nicht aufhören.
»Wieso klingt das nicht nach einem Kompliment, wenn du das sagst?« Sie
drehte ihren Kopf zu mir und öffnete endlich ihre Augen. Das Funkeln darin
nahm ihrer Frage die Schärfe und so lächelten wir uns einfach nur an. Ihre
Wangen begannen sich zu röten, aber weil sie immer noch müde war, konnte sie
ihre Augen kaum offen halten.
Ich hatte ihr aus meinem Lieblingsbuch vorgelesen, doch anscheinend war es
für sie weniger spannend gewesen als für mich, denn sie war bereits nach
wenigen Minuten eingeschlafen.
»Möchtest du nun den Schnee sehen?«, zog ich sie liebevoll auf. Ihre Augen
wurden schlagartig größer, schienen mich zu fragen, ob ich sie nur ärgern
wollte, und ihr Mund formte sich zu einem kleinen O. Ihre Müdigkeit schien wie
weggeblasen.
»Schnee?«, flüsterte sie ehrfürchtig und drehte sich so schnell in Richtung
Fenster, dass sie beinahe von der Couch fiel.
Mittlerweile tobte ein kleiner Schneesturm draußen und fegte immer wieder
Flocken an das Fenster. Das Glas wirkte wie ein Kunstwerk, an dem sich
hunderte von Schneeflocken und Eiskristallen zu einem Bild vereinten.
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Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ich spürte ihre plötzliche Unruhe,
dass ihre Gedanken nicht bei dem Schnee waren, auf den sie sich so gefreut
hatte. Die Erinnerungen suchten auch Cat heim.
»Sie würden nicht wollen, dass du traurig bist«, sagte ich leise zu ihr,
während ich ihr seidiges Haar durch meine Finger gleiten ließ.
Sie setzte sich aufrecht hin, rutschte neben mich und bettete ihren Kopf an
meine Schulter.
»Manchmal wünsche ich mir, dass du nicht sofort weißt, was in mir vorgeht«,
sagte sie mit belegter Stimme. »Dann müsstest du dir nicht immer solche
Sorgen machen.« Auch sie hatte meine Gefühle empfangen. Es war wie Atmen,
man konnte es nicht abstellen.
»Meinst du, wir sehen sie wieder? Meinen Vater, meine Mutter und Raphael?
Meinst du, es geht ihnen gut?« Ihre Frage schnürte mir die Kehle zu. Sie war so
voller Hoffnung und ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen. Ich räusperte
mich kurz und drückte sie fest an mich.
»Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es von ganzem Herzen. Ich hoffe, dass es
ihnen gut geht, wo auch immer sie gerade sind, und dass wir sie in unserem
nächsten Leben wieder an unserer Seite haben werden. Ich bin mir sicher, sie
werden auf uns warten.«
Ich spürte ihr Nicken an meiner Schulter und den stummen Schrei in ihrem
Inneren.
Noch eine Weile saßen wir still da, lauschten nur unseren Gedanken und den
Gefühlen des anderen und sahen zu, wie der Wald sich weiß färbte, wie die
Eiskristalle sich am Fenster verdichteten und die Äste der Bäume immer mehr
Schnee zu tragen hatten. Wie der Wind mit dem Schnee spielte.
Seit Cat hier bei mir wohnte, war meine Hütte auch ein Heim. Sie brachte
Leben in diese vier Wände, vertrieb die Kälte, die Trostlosigkeit und Einsamkeit.
Sie hatte Aidan dazu genötigt, auch noch eine Klappe in meine Haustür zu
bauen, eine Hundeklappe. Zu meinem Bedauern hatten wir keinen Hund,
sondern einen ziemlich nervigen und anhänglichen Fuchs, der nun auch hier
lebte und Cat auf Schritt und Tritt folgte. Ja, ich war eifersüchtig auf einen
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Fuchs. Zumindest ein wenig. Ich schnaubte, konnte mir ein Grinsen aber nicht
verkneifen. In dem Moment bebte auch Cats Körper und sie strahlte mich an.
»Du liebst den Fuchs genauso wie ich!«
»Hab ich das eben etwa laut gesagt?«, grummelte ich.
»Nein, aber deine Gedanken erschienen so klar in mir, dass ich mir diesen
Kommentar nicht verkneifen konnte.«
Sie gab mir einen Kuss auf die Wange, doch das reichte mir nicht. Ich schob
meine Hand in ihren Nacken, in ihr schweres braunes Haar, und zog sie sacht,
aber bestimmt zu mir. Sanft legte ich meine Lippen auf ihre. Es war ein Hauch
von einem Kuss, doch ich spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, so wie
meiner. Ich vertiefte den Kuss, spürte ihre weichen Lippen, während das
Verlangen durch mich hindurchschoss und mich in Brand setzte. Sie drückte
sich an mich, lächelte in den Kuss hinein, während sich die Luft um uns herum
zu regen begann, zu Wind wurde. Noch immer konnte sie ihre Kräfte bei zu
starken Emotionen nicht lenken.
Der Knall der Klappe ließ uns zusammenzucken, wir fuhren auseinander.
Schwer atmend blickten wir uns an, unfähig etwas zu sagen. Kohana kam
schlitternd vor uns zum Stehen, seine Augen leuchteten und sein Fell wurde von
einer weißen Schicht bedeckt. Er schüttelte sich kräftig, so dass uns kalter
Schnee berieselte.
»Fuchs, irgendwann sind wir zwei alleine!«, drohte ich ihm und kniff die
Augen zusammen, während Cat die Lippen aufeinanderpresste, um nicht laut
aufzulachen.
»Prinzessin, kommt! Draußen ist es wunderschön.« Er ignorierte mich. Ich
hasste das.
»Ich komme sofort«, sagte sie voller Vorfreude, »geh schon mal vor.« Der
Fuchs nickte und raste wieder hinaus in die Kälte. Ich sah den Schalk in ihren
Augen, als sie mich anblickte. Doch sie sagte nichts.
»Er kommt immer zu den unpassendsten Zeiten«, nörgelte ich. Ich wusste,
dass ich mich kindisch verhielt, aber er trieb mich in den Wahnsinn.
»Du wirst immer meine Nummer eins sein, kleiner Wolf!«, sagte sie, als sie
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von der Couch sprang und mir zuzwinkerte. Kleiner Wolf, so ein Unfug.
»Du weißt, dass das nicht stimmt.« Im Geiste mit ihr zu reden, war immer
wieder etwas Besonderes.
Ich sprang vor sie, versperrte ihr den Weg, zwang sie, mich anzusehen, und
sprach in Gedanken weiter.
»Ich hoffe, wir machen nachher da weiter, wo wir aufgehört haben.« Ich liebte es,
wenn sich ihre Wangen rot färbten, wenn ihr Körper sie verriet. Ich neigte
meinen Kopf, kam ihr immer näher, doch statt des Kusses, den sie erwartete,
flüsterte ich ihr ins Ohr: »Heute Nacht werde ich dich nicht teilen …« Ihr Atem
beschleunigte sich und sie trat hastig an mir vorbei. Sie schlug mir spielerisch
auf den Arm.
»Du bist unmöglich!«
»Und du weißt, dass du mich nie wieder loswirst.«
Sie lachte und ging nach draußen. Die Tür hatte sie nur angelehnt. Ich hörte,
wie sie mit dem Fuchs herumalberte, doch bevor ich ihr nach draußen folgte,
ging ich zum Fenster des Wohnzimmers. Auf der Fensterbank stand das ewige
Licht. Noch immer schwebte die kleine schwarze Sonne in dem blau
schimmernden Glas, strahlte von innen heraus und erinnerte mich an alte
Zeiten; an den Moment, in dem ich den Wunsch verspürt hatte, Cat dieses
wertvolle Geschenk zu machen. Mittlerweile wusste Cat, was es bedeutete.
Wir hatten mitten in den Umzugsvorbereitungen gesteckt, als sie auf einmal
mit dem Glas in der Hand zu mir gekommen war, um nach einer Erklärung zu
fragen. Während ich ihr erzählte, dass das Glas aus jeweils einem Teil der
Lebensenergie von Lorcan und mir bestand und dass es damit eines der
bedeutendsten Geschenke war, die man einem geliebten Menschen machen
konnte, waren unzählige Emotionen über ihr Gesicht geglitten. Schließlich hatte
sie es einfach nur an sich gedrückt und mich dankbar angesehen. Ich hatte sie
damals bereits geliebt, ich hätte Lorcan sonst nicht um das ewige Licht gebeten.
Nur Wesen, die selbst Licht erzeugen konnten, waren dazu imstande und es gab
nicht viele von ihnen. Dieser Umstand und der Gedanke, dass das ewige Licht
die ewige Liebe symbolisierte, machten das Geschenk zu etwas Besonderem.
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Ich stellte das ewige Licht zurück an seinen Platz, doch den Blick konnte ich
nicht davon abwenden.
Nie hätte ich gedacht, dass das Schicksal mich einmal zu fassen bekommen
würde.
Das Treiben vor unserer Tür wurde lauter, andere Geräusche mischten sich
dazu und rissen mich schließlich aus meinen Gedanken, ließen mich
aufhorchen. Jemand war da. Mein Körper und jeder Muskel darin spannten sich
an, als ich mit schnellen Schritten zur Tür lief. Ich öffnete sie abrupt, um zu
sehen, ob mit Cat alles okay war.
Der Schnee rieselte noch immer in dicken Flocken herab und mittendrin
standen Lorcan, der dem Fuchs über den Kopf strich, und Myra, die Cat, so fest
es ging, an sich presste.
»Ah, Finn! Schön, dass ihr zu Hause seid. Wir konnten uns unmöglich Cats
ersten richtigen irischen Wintertag entgehen lassen«, sagte Lorcan fröhlich.
Myra ließ Cat währenddessen los, stemmte die Hände in die Hüften und blickte
grimmig zu Lorcan hinauf.
»So ein Unfug, du hast es mit mir alleine nicht mehr ausgehalten, gib es zu!«
Einer der Muskeln in Lorcans Wange zuckte kurz, als er sich das Lachen
verkniff und die Augen schloss. Cat gelang das nicht. Sie prustete los und auch
ich konnte mich kaum zurückhalten. Lorcan hatte es im Moment nicht
besonders leicht. Myras Stimmungsschwankungen toppten alles bisher
Dagewesene.
»Ich werde fett! Und das ist nur deine Schuld!«, sagte sie mit ernster Stimme
und zeigte anklagend auf Lorcan. »Fett und … und …« Vergeblich suchte sie nach
den richtigen Worten. Der Schnee sammelte sich auf ihrem schwarzen Haar,
während sie eine Grimasse zog und letztendlich wütend aufstampfte.
Lorcan zog sie jedoch nur schwungvoll an sich und küsste sie, bis ihre
Wangen rot waren und sie selbst außer Atem. Anscheinend konnte man Myra
nur so zum Schweigen bringen.
»Du bist noch immer das schönste, kugeligste Wesen, das ich kenne«, sagte er
und fing sich sogleich einen Schlag in den Nacken ein.
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»Finn, siehst du, was ich hier mitmache?« Er rieb sich über die schmerzende
Stelle.
»Alter Freund, ich hab dir gesagt, irgendwann kriegt sie dich! Das hast du dir
selbst eingebrockt.« Doch Lorcan lächelte nur selig. Wir beide wussten, dass er
nie glücklicher gewesen war.
Cat klatschte aufgeregt in die Hände, was den Schnee in alle Richtungen
davonstieben ließ.
»Ach, nun hört schon auf! Sagt mir lieber, wann es so weit ist!« Cat war
aufgeregter als Lorcan und Myra zusammen. Diese begann zu strahlen und
strich sich über ihrem dicken Mantel über den Bauch.
»Es wird ein Frühlingskind, sagt Erin. Ich kann mittlerweile nicht mehr zu
einem normalen Arzt gehen, da uns der Kleine sonst verraten würde.« Sie
seufzte schwer und öffnete ihren Mantel, als sie die fragenden Blicke von Cat
wahrnahm. Nun war auch meine Neugierde geweckt. Ich ging zu Cat und legte
meinen Arm um sie. Mein Blick lag jedoch auf Myras Bauch, der sich unter
ihrem dünnen schwarzen Pullover eindeutig abzeichnete. Doch ich sah bisher
nichts Ungewöhnliches – bis Lorcan sich ganz nah zu ihr stellte. Er drückte sie
seitlich an sich. Myra lehnte ihren Kopf an seine Brust und sah uns
erwartungsvoll an, als Lorcan seine große Hand auf ihren Bauch legte und sanft
darüberstrich.
»O mein Gott«, hauchte Cat ehrfürchtig. Mir hingegen verschlug es die
Sprache.
Lorcan und Myras Baby leuchtete. Der ganze Bauch leuchtete von innen
heraus und sah aus wie eine große Sonne. Das Licht drang sogar durch den
dünnen Pullover und man konnte die Konturen des Babys klar erkennen. Es war
unglaublich faszinierend und schön.
»Das mag er besonders gerne«, sagte Myra und legte ihre Hand über die von
Lorcan. »Er macht das andauernd. Wenn das jemand sehen würde! Der
menschliche Arzt würde einen Herzinfarkt bekommen.«
»Erin hat es auch noch nicht gesehen. Wir sind froh, dass es Winter ist und
sie die ganze Zeit eine Jacke oder einen dicken Pullover tragen kann.«
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»Wie ist das möglich?«, fragte Cat, während das leuchtende Baby sie voll und
ganz in seinen Bann zog.
»Wir wissen es nicht genau. Anscheinend hat Lorcan seine Gabe
weitergegeben. Wir wissen nur nicht, wie viel davon.« Myra stockte kurz, so dass
Lorcan sie noch fester an sich drückte und ihr einen Kuss auf den Scheitel gab.
»Lorcan kann seit diesem Tag nicht mehr zu reinem Licht werden.«
Ich wusste, welchen Tag sie meinte. Der Tag, an dem wir sie beinahe verloren
hatten. Der, an dem Lorcan seine Gabe mit ihr teilte, um sie zu retten, an dem
Mutter Natur starb und Seth entfliehen konnte.
»Vielleicht wird das Baby sich auch nie vollkommen in Licht verwandeln
können, wer weiß. Ich weiß nicht, was der Kleine so alles abbekommen hat, aber
ich fürchte, er wird uns ordentlich auf Trab halten.« Sie grinste uns an.
Cat blickte kurz zu mir und strahlte mich an.
»Hast du das gehört? Unser Patenkind wird niemals eine Taschenlampe
brauchen.«
»Ihr werdet den Fratz öfter haben, als euch lieb ist, wartet's nur ab!« Lorcan
grinste mich verschmitzt an.
O nein, mein Lieber. Ich grinste zurück und wusste, dass es nicht mehr lange
dauern würde, bis er vor meiner Tür stand und mich anflehte, sein leuchtendes
Kind für ein paar Tage zu übernehmen. Wenn es wirklich zu Licht werden
konnte, würden sie schneller durchdrehen, als ich bis drei zählen konnte. Das
Baby würde als kleines Glühwürmchen durch das Haus rasen und keiner wäre
schnell genug, um es einzufangen.
»Seid ihr sicher, dass ihr euer Baby dem Jäger dort überlassen wollt? Wenn
ich daran denke, was da alles schiefgehen kann …« Der Fuchs schaute mich an,
seine Augen funkelten belustigt, doch seine Stimme triefte vor Empörung und
Spott.
Irgendwann, Fuchs. Irgendwann!
Mir entwich ein tiefes Grollen, ich spürte den Wolf nah an der Oberfläche und
ballte die Hände zu Fäusten. Allein Cats sanfte Berührung beruhigte mich und
ließ nur noch ein ärgerliches Schnauben zurück. Doch der Fuchs beachtete
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mich nicht, sondern leckte sich seelenruhig über seine Pfote.
»Wollen wir Erin besuchen gehen? Ich hab sie seit einer Woche nicht
gesehen und da heute Sonntag ist, könnten wir Glück haben und ein paar
Plätzchen ergattern.« Cat freute sich so sehr, dass ich befürchtete, auch sie
würde bald anfangen zu leuchten.
»Ich weiß nicht, ob mich Plätzchen dafür entschädigen können, dass ich dich nun
den ganzen Tag werde teilen müssen.«
Cat erzitterte kurz und riss die Augen auf. Wie gesagt, ich liebte es, wie sie
auf mich reagierte. Grinsend legte ich meine Hand auf ihren Rücken und schob
sie vorwärts, während ihre Gedanken immer wieder zu mir wanderten, zu
unserem Kuss.
Caitlin – Hier und Jetzt
Seine Stimme ließ mich alles vergessen. Seine Stimme in meinen Gedanken. Es
gab nichts außer ihm. Seinen Blick, der meinen festhielt. Ich vergaß, wer ich
war – ich verlor mich selbst, nur um mich in ihm wiederzufinden. Diese
Momente ließen mich vergessen, was wir gewonnen und was wir verloren
hatten. Dann gab es nur uns.
***
Finn hielt mich im Arm, während ich an die Tür des Hauses klopfte, das mein
Zuhause war und das meines Vaters. Auch heute noch.
Erin öffnete sie und sah uns überrascht an. Ihr Auftauchen ließ sogar Myra
für einen Augenblick verstummen, die bis eben geschimpft hatte und Lorcan
einfach nicht glauben wollte, dass er sie auch als eine leuchtende, dicke Kugel
liebte.
Erins Gesicht war leicht gerötet, sie hatte einen braunen, grobgestrickten
Wollpullover an und etwas Mehl auf der Nase. Sofort entriss sie mich Finn und
schloss mich stürmisch in ihre Arme.
101
»Was macht ihr denn hier?« Sie schob mich von sich, hielt mich eine
Armlänge auf Abstand, um mich mit ihren freundlichen Augen anzublicken.
»Schön, dass ihr hier seid! Kommt rein! Im Wohnzimmer steht eine Schale mit
frischen Keksen, sie kommen gerade aus dem Ofen.« Sie lächelte verschmitzt
und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie unser Kommen geahnt hatte.
Bevor ich etwas erwidern konnte, stöhnte Myra auf, drückte uns zur Seite und
verschwand im Haus. Gedämpft hörte ich ihren Aufschrei, als sie
wahrscheinlich gerade die Kekse entdeckte. Finn verdrehte die Augen und
Lorcan zuckte mit seinen Schultern, als Erin und ich ihn fragend ansahen.
»Was soll ich sagen? Sie hat früher schon viel gegessen. Jetzt scheint sie keine
Grenzen mehr zu kennen. Es gibt nur noch zwei Dinge, um die unsere
Gespräche kreisen.« Er hob seine Hand in die Höhe mit zwei ausgestreckten
Fingern. »Essen und das Baby. Und wie dick das Baby sie macht … Vor allem
endet alles darin, dass ich schuld an irgendwas bin.« Er zählte immer mehr
Dinge auf und es schien plötzlich, als führte er Selbstgespräche und fragte sich,
wie er nur in so eine Lage geraten war, während er seine Augenbrauen immer
mehr zusammenzog und sich tiefe Falten dazwischen bildeten.
Ich grinste Finn an.
»Der arme Kerl.«
»Kein Mitleid! Er hat sich Myra ausgesucht.«
Finns Augen funkelten vor Belustigung.
»Nun kommt schon rein.« Erin schob uns vor sich her. »Sonst kriegt ihr
keinen einzigen Keks mehr ab. Wo ist eigentlich Kohana?« Sie blickte sich
suchend nach dem Fuchs um.
»Der wollte sich lieber ein Nickerchen gönnen, aber er lässt dich grüßen. Das
nächste Mal kommt er bestimmt mit!«
Im ganzen Haus war es wundervoll warm und kuschelig. Es duftete nach
Keksen, nach Winter und Weihnachten, nach Zimt und Vanille. Ich liebte diese
Gerüche.
Im Wohnzimmer fanden wir Myra – und die Kekse. Sie hatte bereits Mantel
und Schuhe ausgezogen und mampfte mit vollen Backen, die große
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Keksschüssel auf dem Bauch. Als sie versuchte uns gewinnend anzugrinsen,
fielen beinahe ein paar Krümel aus ihrem Mund. Ich setzte mich neben sie und
schüttelte lachend den Kopf.
»Waf denn?«, nuschelte sie und sah uns fragend an. Plötzlich begann ihr
Bauch zu leuchten, so wie er es vorhin getan hatte. Ich blickte gebannt auf dieses
Schauspiel, war verzaubert von dem hellen und warmen Licht, das Myras Bauch
nun ausstrahlte und das Baby umhüllte.
Alle Gespräche verstummten, nur Erins tiefen Atemzug konnte man hören,
als sie dieses Wunder sah. Ihre Augen waren weit geöffnet und zum ersten Mal
seit langer Zeit erlebte ich sie sprachlos.
»Keine Sorge, das ist bei unserem Baby anscheinend normal. Er macht das
auch erst seit ein paar Tagen. Zumindest so, dass wir es bemerkt haben.« Myra
stellte die Kekse zur Seite und strich nun langsam und liebevoll über ihren
Bauch. Sie war stolz und glücklich, man sah es ihr an. Es strahlte aus ihren
Augen, wenn sie zu Lorcan blickte. Es war dieses Gefühl, dieses gewisse Etwas,
das man verstand, aber nicht erklären konnte.
»Wir hoffen, dass er schnell lernt es zu kontrollieren«, sagte Lorcan.
Erin öffnete und schloss ein paar Mal hintereinander den Mund, bevor sie
schließlich ihre Stimme fand.
»Wie soll denn euer leuchtendes Baby eigentlich heißen?« Sie blickte immer
noch fasziniert auf die leuchtende Kugel und bemerkte nicht, dass Lorcan und
Myra sich kurz und tief in die Augen blickten, bevor sie beide begannen zu
strahlen und sich zunickten. Dann sahen sie uns erwartungsvoll nacheinander
an.
»Den Namen wollten wir euch eigentlich erst nach der Geburt verraten, aber
da wir nun hier sind und du danach gefragt hast, können wir es euch ebenso gut
jetzt sagen. Schließlich werdet ihr beiden die Paten. Und du, Erin, bist ja quasi
die Oma des Kleinen«, betonte Lorcan feierlich und überging Erins
zusammengekniffene Augen. »Wir wissen, dass es ein Junge wird, und …«
Lorcan hielt kurz inne, blickte Finn ins Gesicht, der an dem Sessel lehnte, in dem
Erin saß, nahm Myras Hand und murmelte schließlich: »Wir werden ihn
103
Raphael nennen. Sein Name ist Raphael.«
In mir tobte ein Sturm, die Emotionen überfluteten mich, zerrten an mir –
Überraschung, Dank, Freude, Trauer. Ich schluckte schwer, versuchte meine
Tränen zu unterdrücken, denn ich wusste nicht, ob sie kamen, weil mich die
Trauer um Raphael übermannte oder der Dank an die beiden, dass sie ihm
dieses Geschenk machten. Wir würden ihn nie vergessen. Ich blickte zu Finn.
Auch ihm sah man seine innere Zerrissenheit an.
So blickten wir einander in die Augen, während um uns Stille herrschte und
alle auf eine Reaktion warteten. Ich fühlte, wie sehr Finn mit sich rang, wie die
Schuld, Raphael nicht gerettet zu haben, es nicht fertiggebracht zu haben, ihn
quälte.
Ich lächelte ihn an, ließ meinen Tränen freien Lauf und drehte mich
schließlich zu Myra, um sie zu umarmen. Was sie vorhatten, war etwas
Wundervolles. Trotzdem lachte niemand, denn zu viel hatten wir verloren. Aber
sie wussten, wie sehr wir diese Geste schätzten. Sie wussten, was wir nicht in
Worte fassen konnten.
Kurz und heftig klopfte es plötzlich an der Tür, so dass ich zusammenzuckte.
Finn und Lorcan blickten sich ernst an, Erin hatte sich bereits erhoben.
»Bleib hier!« Finn sah mich eindringlich an.
»Was ist los?« Ich begriff nicht, warum er so angespannt war, warum er mich
so besorgt ansah.
»Magie«, flüsterte Finn und ich begann zu verstehen. Es stand kein
gewöhnlicher Mensch vor Erins Tür.
Der ganze Raum schien sich in Alarmbereitschaft zu versetzen. Myras spitze
Ohren zitterten leicht und lugten unter ihrem kurzen schwarzen Haar hervor.
Erin und Lorcan hatten sich erhoben und Finn war bereits auf dem Weg zur
Haustür.
Es war still.
So still, dass ich eine Gänsehaut bekam. Und ich hatte Angst. Angst, dass uns
nun alles Geschehene wieder einholte.
»Alles wird gut.« Finns Stimme wehte durch mich hindurch, streichelte meine
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Seele, wärmte mein Inneres und ich hielt mich an seinen Worten fest wie eine
Ertrinkende an einem Rettungsring.
Finn nickte uns allen kurz zu, bevor er die Tür öffnete. Ich sah nicht, wer da
vor ihm stand, aber ich spürte noch immer seine Anspannung. Gedämpft drang
eine männliche Stimme zu uns, aber ich konnte nichts Genaues verstehen. Nur
eines: Er wollte zu mir. Niemand außer Kohana nannte mich Prinzessin.
Ich erhob mich und wollte zu Finn gehen, aber Lorcan trat mir in den Weg
und hielt mich fest.
»Es ist okay. Ich kenne diese Stimme«, sagte Erin zu Lorcan und wandte sich
dann lauter an Finn: »Lass ihn eintreten.«
Ich spürte Finns widersprüchliche Gefühle und sah die aufkommende Trauer
in Erins Gesicht. Sie schien in Erinnerungen versunken zu sein.
Ein Mann, kaum einen Meter groß, betrat das Wohnzimmer. Er hatte kurzes
goldblondes Haar und schüttelte gerade den Schnee davon ab. Seine Haut hatte
einen ebenso goldenen Schimmer. Er entdeckte mich und seine grasgrünen
Augen musterten mich, bevor er schließlich den Blick senkte und sich
verbeugte.
»Prinzessin.«
Meine Augen suchten nach Hilfe, wanderten durch den Raum und blieben an
Finn hängen, der mit ernstem Gesicht und einem bedrohlichen, aber kurzen
Knurren, das in meinem Inneren vibrierte, an dem Gast vorbeiging, um sich
beschützend an meine Seite zu stellen.
Erin ging auf den kleinen Mann zu und nahm seine Hand.
»Es ist lange her.«
»Ja, Erin, das ist es. Und ich wünschte, es hätte noch länger gedauert.« Sie
nickte verständnisvoll und kniff ihre Lippen zusammen, als sie ihm einen Platz
anbot.
Nun saßen wir hier zusammen und meine Gedanken überschlugen sich.
Meine Familie – ein Gestaltwandler, ein Luftgeist, ein Irrlicht, eine VampirElfe – und ein ungebetener Gast.
Finn nahm meine Hand.
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»Es tut mir leid, dass ich einfach hier hereinplatze. Glaubt mir, wenn es nicht
nötig wäre, wäre ich nicht gekommen. Aber …« Er sah mich entschuldigend an.
»… wir brauchen Euch, Prinzessin. Und Ihr braucht uns.«
Ich schluckte schwer, mein Mund wurde trocken.
»Mein Name ist Deegan und ich war der erste Berater Eurer Mutter. Nun bin
ich Eurer. Ich hatte den Befehl erhalten, Euch so lange wie möglich in Frieden
leben zu lassen, und es tut mir leid, dass das nun nicht mehr geht.«
Alle hingen an seinen Lippen, jeder der Anwesenden war angespannt. Ich
konnte sie spüren, die Trauer, die sich erhob, und die Angst. Diese unglaubliche
Angst, die durch den Raum waberte und beinahe greifbar war.
Mein Herz raste.
»Was soll das heißen?« Meine Stimme klang rau und distanziert, sie war mir
fremd.
»Ihr werdet mich begleiten müssen. In das Land Eurer Mutter, in ihre
Heimat. Alle Vorkehrungen für Eure Ankunft wurden bereits getroffen.«
Nein! Ich krallte mich an Finn fest und spürte, dass auch er dies nicht
wahrhaben wollte.
»Deegan, Scáthán ist verloren, die Spiegel sind zerstört und somit jeder Weg
hinein oder hinaus. Die Jäger haben nahezu alle Fantasien, die entkommen
konnten, getötet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis keine mehr hier sind. Cat ist
hier sicher. Es ist vorbei.« Zu meiner Überraschung legte er seine kleine Hand
auf Erins Knie.
»Leider nein. Wir brauchen sie. Ich habe ihrer Mutter versprochen, ihr erst
alles zu sagen und zu erklären, wenn sie in Sicherheit ist. Natürlich sollte ich nur
herkommen unter bestimmten Umständen. Diese sind nun eingetreten.«
Ich war in Gefahr. Ich wusste es. Es war so klar, so offensichtlich.
Ich schloss meine Augen, blendete die Diskussion zwischen Erin und Deegan
aus, verdrängte die wütenden Rufe von Myra und die beruhigenden Worte von
Lorcan, versuchte mich zu entspannen. Aber nur ein Gedanke bemächtigte sich
meiner und konnte auch durch Finns leise, tröstende Worte nicht unterdrückt
werden: Es war noch nicht vorbei.
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»Das ist doch Blödsinn!« Erste Stimmen drangen wieder zu mir durch. Ich
hörte, wie aufgebracht Myra war, öffnete meine Augen und sah, dass ihr Bauch
nun heller als zuvor leuchtete. Sie stand wild gestikulierend vor Deegan.
»Cat geht nirgendwo hin! Sie ist in Sicherheit.« Sie verschränkte die Arme
vor ihrer Brust und funkelte Deegan so böse an, wie nur Myra es konnte.
»Nein.« Deegans Stimme klang hart und unnachgiebig. »Sie ist alles andere
als in Sicherheit.«
Nun schrien sich die beiden an, während Lorcan und Erin versuchten sie zu
beruhigen, damit sie nicht ganz aufeinander losgingen.
Finn war so still.
»Ich habe Angst.« Ich blickte zu ihm, während ich ihm das sagte.
»Ich weiß.« Er sah mir in die Augen. Schwarz wie die Nacht und so tief wie
das Meer waren die seinen.
»Wir werden mit ihm gehen.« Ich riss meine Augen auf, starrte ihn einfach nur
an. Er gab nach. Einfach so.
»Was verschweigst du mir?«
»Ich will dich nicht verlieren. Wenn er sagt, du bist in Gefahr, dann glaube ich ihm.
Und …«
»Was? Sag es mir!« Ich schrie ihn im Geiste an. Achtete nicht mehr auf das
Gebrüll im Hintergrund. In meinen Ohren rauschte das Blut und so sehr ich
wissen wollte, was Finn mir verschwiegen hatte, so sehr fürchtete ich mich
davor.
»Ich sah einen Raben – damals.«
Mehr musste er nicht sagen. Mein Herz stolperte, einmal, zweimal. Ich
keuchte.
»Wir müssen gehen.«
Ich sagte nichts. Er schnürte mir die Kehle zu – der Gedanke, dass Seth
vielleicht hier war und nicht in Scáthán. Dass er mich und alle, die ich liebte,
finden würde.
Ruckartig stand ich auf. Meine Gefühle überrollten mich und ich schrie:
»Aufhören!« Der Wind tobte um mich herum, erhob sich, Erins Boden bebte
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und in meinen Händen umarmten sich Wasser und Feuer.
Dann war alles vorbei, Stille senkte sich über den Raum und alle sahen mich
an.
»Ich werde mitkommen.« Ich versuchte stark zu sein. Ich war nicht mehr das
Mädchen, das ich vor einem halben Jahr gewesen war. Ich wollte, ich wäre es
noch.
Finn – Der Aufbruch
Die Worte, die ich gerade noch gesagt hatte, nun aus ihrem Mund zu hören, war
schlimmer als alles andere. Es war real und in mir tobte ein Sturm aus
Frustration und Wut. Das Kreischen des Raben ging mir nicht aus dem Kopf,
auch wenn ich mir nicht sicher sein konnte, dass er es war. Aber ich hatte ein
wirklich mieses Gefühl. Falls es Seth tatsächlich gelungen war, aus Scáthan zu
entkommen, würde ich ihn finden. Und ich würde diesen Mistkerl umbringen,
das wurde mir in diesem Moment klar.
In Deegans und auch in Erins Gesicht spiegelte sich nichts weiter als
Bedauern und Trauer, während Lorcan wie versteinert neben Myra stand, die
sich laut schluchzend an seinem Pullover festkrallte. Ihr kleiner Körper wurde
geschüttelt und ihre Tränen liefen unaufhaltsam. In mir fand sich nichts als
Stille. Cat hatte mich ausgesperrt und innerlich bekämpfte ich mit aller Macht
die mentale Barriere, die sie errichtet hatte.
»Es tut mir so leid.« Deegan meinte es ernst, ich glaubte seinen Worten, aber
sie änderten nichts. Wir waren wieder auf der Flucht, und zu fliehen war stets
schlimmer als zu kämpfen.
»Müssen wir sofort los? Ich meine …« Ihre Frage hing schwer im Raum, ich
sah, wie ihre Lippe zitterte, auch wenn sie versuchte stark zu sein. Deegans Züge
wurden weich und man sah ihm an, dass er seine Antwort abwog.
»Heute Abend, zum Sonnenuntergang, werde ich Euch vor Eurem Heim
erwarten.« Er senkte den Blick, verbeugte sich kurz und versuchte sich an einem
Lächeln. Wir hörten die Tür, die zufiel, und ein Blick auf Erins große Uhr verriet
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uns, dass uns nur wenige Stunden blieben. Für einen Abschied, von dem wir
nicht wussten, ob er für immer war.
***
»Prinzessin, sagt doch was! Bitte!« Der Fuchs hörte einfach nicht auf zu reden
und folgte Cat, während sie eine Sache nach der anderen in ihre Reisetasche
legte, völlig stumm. Sie redete nicht, weder hier noch in meinem Kopf.
Wahrscheinlich litt der Fuchs genauso sehr wie ich. Sein Schwanz war
eingezogen, ab und an jaulte er leise, während er sich an Cats Beine schmiegte.
»Wieso sagt mir niemand, warum wir gehen und wohin wir gehen?«
»Du wirst nirgendwo hingehen«, sagte ich ausdruckslos, während ich ebenso
wie Cat meine Sachen packte. Kohana knurrte so plötzlich, dass ich mich
ruckartig umdrehte, doch er begann bereits zu wachsen und drohte meinen
kleinen Schrank mit Büchern umzukippen. Sogar Cat wich einige Schritte
zurück.
»Ihr werdet mir sofort sagen, was hier vor sich geht, und wagt es nicht, mich
zu belügen. Egal, was es ist, ich werde mitkommen. Ich werde die Prinzessin
nicht alleinlassen!« Er war mittlerweile so groß, dass er mit mir auf Augenhöhe
reden konnte und seine Nase an meine stieß. Sein blaues und sein schwarzes
Auge funkelten bedrohlich. Er war unfassbar stur. Ich verspürte keine Wut oder
Anspannung wie sonst, wenn er mich nervte. Nur Resignation.
Cat setzte sich auf die Couch und legte ihre Hände in ihren Schoß.
»Wir müssen fort.« Als Kohana ihre leise und zitternde Stimme vernahm,
drehte er sich um und lief zu ihr. Bei ihr angekommen, war er wieder so klein
wie sonst. Er legte seinen Kopf auf ihr Bein und schmiegte sich an sie.
»Er wird uns sonst finden.«
»Wen meint Ihr?«
»Seth.«
Ein Zittern durchlief ihn, als Cat den Namen aussprach. Der Fuchs wusste
besser als ich, zu was dieser Magier fähig war.
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»Also ist er wirklich entkommen?«
»Wir wissen es nicht, aber es ist sehr wahrscheinlich«, sagte ich. Der Fuchs
nickte und wandte sich wieder Cat zu.
»Ihr wisst, dass ich Euch überall hin folgen werde, Prinzessin.« Sie streichelte
ihm liebevoll über den Kopf und fuhr über das dünne Fell seiner Schnauze, so
dass er die Augen schloss, während ich zu ihr trat und meine Hand auf ihre
Schulter legte.
»Wir werden alle gehen. Wir alle werden das überstehen. Cat, schließ mich
nicht aus.«
Vorsichtig schob sie Kohana von sich und stand auf. Als ihr Blick meinen traf,
atmete ich zischend ein. Ohne Vorwarnung riss sie die Mauer in ihrem
Bewusstsein nieder und ihre Gefühle trafen mich wie ein Fausthieb. Sie ließen
mich einen Schritt nach hinten gehen, beinahe taumeln. Sie war so wütend, sie
war enttäuscht und sie hatte Angst.
»Du hättest es mir sagen müssen!« Ihre Stimme war schneidend, aber
dennoch nur ein Flüstern. Schritt um Schritt kam sie auf mich zu. »Du hättest
nicht zulassen dürfen, dass ich denke, alles wäre in Ordnung.« Sie begann mit
ihren Fäusten auf meinen Oberkörper zu schlagen, bis ich ihre Handgelenke
fassen und festhalten konnte. Ich zog sie an mich, hielt sie fest, bis ihr
Widerstand verebbte. Meine Umarmung schien das letzte Stück
Selbstbeherrschung zu zerstören, denn ihre Beine gaben unter ihr nach.
Vorsichtig hob ich sie hoch, bettete ihren Kopf an meine Schulter und trug sie
zur Couch.
»Du bist mein Leben, Cat. Das ist der Grund, warum ich es dir nicht gesagt
habe. Ich wollte nicht, dass du diese Last trägst, nicht bis es wirklich nötig sein
sollte.« Der Fuchs leckte ihr sanft über die Hand und ich tätschelte ihn.
»Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wir haben keine Ahnung, was
Deegan weiß oder vorhat. Lass uns nicht vom Schlimmsten ausgehen.« Meine
Lippen berührten ihre Stirn. Meine Finger legten sich wie von selbst unter ihr
Kinn und hoben es an, so dass ihr Blick dem meinen begegnen musste.
»Ich liebe dich.« Und ich küsste sie, wie an jenem Tag im Wald von Scáthan,
110
kurz vor dem Kampf mit meinem alten Freund. Ich küsste sie, als würde es kein
Morgen geben.
***
Unsere Taschen standen gepackt neben der Tür, bereit für eine Reise mit
unbekanntem Ziel. Wir saßen auf der Couch, ließen stumm unsere Blicke durch
die Hütte, durch das Zimmer gleiten. Cat lag in meinen Armen und der nervige
Fuchs auf unserem Schoß – natürlich mit dem Schwanzende zu mir.
Gedankenverloren kraulte Cat ihn hinter den Ohren.
Wir beobachteten, wie der Himmel dunkler wurde. Wie rote und gelbe
Farben ihn durchzogen und der Tag der Nacht Platz machte. Ich spürte die
Magie, ich spürte Deegan.
»Es ist so weit.«
Dann klopfte Deegan an der Tür. Mein Nicken sollte aufmunternd wirken,
aber wahrscheinlich sah es verkrampft aus. Der Fuchs stupste Cat mit der
Schnauze an, bevor er hinuntersprang und zur Tür tapste.
»Kommt, Prinzessin. Lasst uns gehen. Wir werden zurückkommen, wenn die
Zeit reif dafür ist.« Ausnahmsweise stimmte ich dem Fuchs zu. Hier waren wir
zu Hause. Wir würden wiederkommen.
Cat küsste mich auf die Wange und lächelte. Ich atmete erleichtert aus. Es
fühlte sich an, als hätte sie seit Wochen nicht gelächelt.
»Du hast mein Herz«, flüsterte sie und ließ ihren Geist den meinen streicheln.
»Und du meine Seele.«
Vor der Tür erwarteten uns nicht nur Erin, Lorcan und Myra, sondern auch
Aidan und Kerry. Erst letzte Woche hatten wir Aidan im Buchladen besucht.
Kerry, seine Frau, war später hinzugekommen. Sie liebte den Fuchs und brachte
ihm immer Kuchen oder sonst was mit. Wir hatten ewig in Aidans Büro
gesessen, gelacht und Geschichten von früher erzählt. Sogar seinen guten
Whiskey hatte er, ohne zu murren, aufgemacht. Mir wurde ganz schlecht bei
dem Gedanken, dass ich nicht wusste, wann wir sie wiedersehen würden.
111
Deegan sah Cat erwartungsvoll an. »Seid Ihr bereit?«
»Was ist das für eine bescheuerte Frage, Zwerg? Ihr reißt die Prinzessin aus
ihrem Leben mit dem stinkenden Wolf, sagt ihr nicht, was los ist oder wo es
hingeht, und fragt sie dann, ob sie bereit sei?« Der Fuchs war überheblich wie
eh und je und schnaubte verächtlich, während er seine Schnauze hob, als wäre er
über uns alle erhaben.
Deegan hob nur eine Augenbraue und sah mich fragend an. Meine Schultern
zuckten, was sollte ich ihm sagen? Der Fuchs war stur, nervig, besserwisserisch –
aber er liebte und beschützte Cat. So war er nun mal. Und letztendlich hatte er
Recht.
Erin trat als Erste vor. Sie ging zuerst vor Kohana auf die Knie. »Mein Freund,
gib gut Acht, dass ihr nichts geschieht – und hör auf, den armen Finn so zu
reizen.« Sie lächelte, als sie sich erhob und der Fuchs nur ein »Was den Wolf
angeht, so kann ich nichts versprechen« murmelte. Ihre Augen füllten sich mit
Tränen, als sie Cat ansah, sich vor sie stellte und das Mädchen kräftig in die
Arme schloss.
»Ich werde euch nicht begleiten können, ich werde hier über alles wachen.«
Um uns herum erwachte der Wind, doch es war nicht Cat, die ihn rief. Ich trat
zur Seite. Der Wind begann beide einzuhüllen wie in einen Kokon, und niemand
verstand mehr, was Erin weiter zu Cat sagte. Als der Wind verebbte, segelten die
einzelnen Schneeflocken, die sich mit ihm erhoben hatten, auf den Boden
zurück.
»Wir werden uns wiedersehen!« Sie gab Cat einen Kuss auf die Stirn und trat
zu mir.
»Katze.« Sie lächelte verschmitzt, doch in ihren Augen saß die Trauer.
»Wehe, du bringst sie mir nicht zurück!«
»Ich verspreche es dir.«
Ihre Gesichtszüge wurden unerwartet weich, sie lehnte sich zu mir, nahm
mich in den Arm und flüsterte mit dem Wind: »Verspreche nichts, was du nicht
halten kannst. Passt auf euch auf und vertraut auf eure Verbindung.« Ein
Schauer lief meinen Rücken hinab und hinterließ dort eine Gänsehaut, so dass
112
ich fühlen konnte, wie sich das Fell der Tiere in mir sträubte.
Myra und Lorcan traten Hand in Hand auf uns zu. Myras Bauch leuchtete in
unregelmäßigen Abständen auf und zeigte uns, wie aufgewühlt sie war. Ihre
Gefühle übertrugen sich alle auf ihr Baby. Sie stolperte beinahe auf Cat zu und
fiel in ihre Arme. Laut schluchzend hielt sie sie fest.
»Ach, diese beschissenen Hormone. Ich muss endlich mit dem Weinen
aufhören.« Sie sah Cat in die Augen.
»Wir werden mitkommen.« Alle unsere Blicke richteten sich auf Lorcan,
dessen ruhige Stimme wie ein Schrei in meinem Kopf widerhallte. Ich konnte
einfach nicht glauben, was er da gerade sagte.
»Auf keinen Fall«, sagte Cat fest entschlossen, mit ernstem Ausdruck, aber
dennoch einem leichten Zittern in der Stimme, noch bevor ich es tun konnte.
Myra sah Lorcan an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. Bis sie Cat
losließ, auf Lorcan zurannte und ihn lachend und weinend zugleich festhielt, so
sehr schien sie sich darüber zu freuen, keinen Abschied nehmen zu müssen.
»Das könnt ihr nicht tun! Ihr müsst nun auf euch selbst aufpassen, ihr werdet
ein Baby bekommen und wir haben keine Ahnung, wohin es geht oder was uns
erwartet.« Ich seufzte auf und fuhr mir durch die Haare. Ich sah Lorcan an und
wusste, dass er nicht umzustimmen war. Verdammt!
»Dann sollte uns Deegan am besten endlich sagen, wohin wir gehen. Denn ich
werde euch nicht alleinlassen und Myra schon gar nicht. Wir kommen also mit.«
Lorcan starrte mich unnachgiebig an. Der Jäger in ihm kam durch und er
duldete keinen Widerspruch. Doch ich war auch Jäger und würde seinen Plänen
nicht einfach zustimmen.
»Lorcan, das ist Irrsinn! Ihr bleibt hier! Willst du Myra unnötig in Gefahr
bringen?« Cat und Myras Blicke flogen zwischen uns hin und her, dann stemmte
Myra entschlossen die Hände in die Hüfte.
»Danke, ich entscheide selbst über mich. Wenn die Reise ungefährlich sein
sollte, kommen wir mit.«
Ernsthaft? Die zwei konnten wirklich ganz schön stur und unvernünftig sein.
Verzweifelt sah ich Cat an, die nur mit den Schultern zuckte, bevor ich erneut
113
versuchte, Lorcan und Myra umzustimmen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Lorcan und ich uns mit Blicken
gemessen hatten, trat Deegan vor und nickte.
»Sie können uns begleiten. Dort, wo wir hingehen, werdet ihr sicher sein und
es gibt genug Platz für euch alle.« Er schloss die Augen und murmelte etwas vor
sich hin. Erins Gesicht hellte sich auf, wahrscheinlich freute sie sich, dass die
beiden uns begleiteten, und ich fühlte, dass Cat ruhiger wurde. Wenn selbst Erin
nichts dagegen einzuwenden hatte, gab es für mich keinen Grund mehr darauf
zu bestehen, dass Lorcan und Myra hierbleiben sollten.
Der Geruch nach frischem Wind und Gras umhüllte uns sowie eine leichte
Brise. Wie Nebel flog etwas um Deegan herum. Dann sah ich ihre winzigen
zarten und beinahe durchsichtigen Flügel, ihren zierlichen Körper und hörte
ihren Glockengesang. Ein Waldgeist, eine Fee.
So schnell, dass ich ihr kaum folgen konnte, verschwand sie wieder, der Wind
und der Nebel legten sich, der Duft verschwand. Deegan öffnete die Augen.
»Sie wird unsere Ankunft bekanntgeben und alle informieren, dass zwei
Gäste mehr eintreffen werden.« Er deutete eine Verbeugung in Richtung Lorcan
an, dann wandte er sich an Cat.
»Prinzessin, ich sagte Euch bereits, dass es mir sehr leid tut, und ich bin mir
bewusst, dass dies nichts ändert. Ich bringe Euch nur fort, weil es der
ausdrückliche Befehl Eurer Mutter war und es strickte Anweisungen gab. Ich
bringe Euch nach Tír Na Nóg. Ich bringe Euch nach Hause.«
Ende der Leseprobe
Ava Reed lebt gemeinsam mit ihrem Freund im schönen Frankfurt am Main, wo
sie gerade ihr Lehramtsexamen macht. Zur Entspannung liest sie ein gutes Buch
oder geht mit ihrer Kamera durch die Stadt. Das Schreiben hat sie schon früh
für sich entdeckt und während des Studiums endlich ihrer Fantasie freien Lauf
gelassen. Mit »Spiegelsplitter« verfasste sie ihren ersten eigenen Roman.
Mittlerweile arbeitet sie an zahlreichen romantisch-fantastischen Geschichten.
114
FanArt zu Ava Reeds »Spiegelsplitter«
Zahlreiche Leser der »Spiegel-Saga« sind dem Aufruf der Autorin Ava Reed
gefolgt und haben Impress wunderschöne Illustrationen zu »Spiegelsplitter«,
dem ersten Band der Reihe, eingesendet. Es sind so viele und so schöne Bilder
dabei entstanden, dass wir uns kaum entscheiden konnten und von unserem
eigentlichen Plan, drei ins Magazin zu übernehmen, abgerückt sind und Euch
nun fünf ganz unterschiedliche und alle für sich magische Illustrationen
präsentieren wollen.
Wir möchten uns bei allen Teilnehmern bedanken für das große Engagement!
© Nina-Jolie Suffke
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© Melina Goldberg
116
© Kristina Petrovic
117
© Martina Gierstl
118
© Sarah Dopatka
119
Drei Fragen an Ava Reed
© privat
Was hat dich zu deinem neuen Roman inspiriert?
Eigentlich sollte »Spiegelsplitter« keine Dilogie werden, es war nie ein zweiter
Teil geplant, ja eigentlich war noch nicht mal ein Buch geplant. Als es fertig war,
haben meine Testleser ganz lieb gefragt, ob ich nicht noch weiter schreiben
kann. Was soll ich sagen? Ich habe darüber nachgedacht und ganz plötzlich sind
mir noch einige Dinge eingefallen, die ich gerne zu Cat und Finn erzählen
wollte. Inspiriert haben mich der erste Teil und natürlich alle Fragen und
Nachrichten von meinen Lesern. Ich danke ihnen von Herzen dafür und bin
mehr als froh, dass es nun »Spiegelstaub« gibt.
Welche Figur aus deinem neuen Roman könntest du, ohne mit der Wimper zu
zucken, sterben lassen bzw. welche Figur ist dir am wenigsten sympathisch?
Puh, die Frage ist nicht so leicht, wie man denkt, denn als Autor*in ist man doch
120
so eng mit der ganzen Geschichte verbunden, dass man sogar die Bösewichte
irgendwie in sein Herz geschlossen hat. Ich habe in »Spiegelstaub« einige
sterben lassen und bei allen tat es mir irgendwie sehr leid. Bei manchen mehr,
bei manchen weniger ;)
Wie sieht deine persönliche Schreib-Playlist aus?
Die ändert sich ständig, meist wird sie alle zwei Wochen komplett
umgekrempelt. Ohne Musik kann ich nicht schreiben, kann ich mich weniger
konzentrieren. Während ich »Spiegelstaub« schrieb, lief je nach Szene und
Kapitel mal eher ruhigere oder schnellere ;). Aber es waren hauptsächlich
folgende Lieder (die Reihenfolge hat nichts zu sagen – und so wie ich mich
kenne, habe ich wieder ein paar tolle Lieder vergessen):
Calum Scott – Dancing on my own
Boyce Avenue feat. Bea Miller – Photograph
Julia Sheer & Jon D – Little Talks
Bastille – Pompeii (Acoustic Version)
The Lumineers –Ho Hey
Ben Howard – Promise
Ed Sheeran – Lego House
Nicole Cross – Hello
Hozier – Take me to church
Florence + The Machine – Shake it out
Ellie Goulding – My Blood
121
Tops & Flops beim Booktuben
Von der Booktuberin Agathe Knoblauch
© Agathe Knoblauch
Hallo, ihr Lieben, :) ich bin's! Eure Agathe Knoblauch. Anfang
2013 habe ich mit dem Booktuben angefangen, weil ich
niemanden zum »über Bücher Reden« hatte, und bin sehr
glücklich darüber, dass sich das durch diese tolle
Community geändert hat. Und dass ich meine Leidenschaft
auf meinem Kanal ausleben darf.
Das Booktuben ist für mich gar nicht mehr wegzudenken
und ich liebe, was ich tue. Aber natürlich hat das Ganze
auch einige Schattenseiten und aus diesem Grund habe ich
einige Tops & Flops zu diesem Thema für Euch!
122
Beziehungsweise Dos & Don'ts, die grade für all diejenigen
interessant sein könnten, die vielleicht selbst mit dem
Gedanken spielen, eines Tages mit dem Booktuben
anzufangen, oder die einfach mal ein wenig hinter die Kulissen
schauen möchten.
Los geht's ;) …
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Tops
Mein ganz eigener Kanal
Mit einem eigenen Kanal geht für den einen oder anderen ein kleiner Traum in
Erfüllung. YouTube bietet Dir eine Plattform, mit der Du auf Sendung gehen
kannst, wann, wie oft und wie es Dir gefällt. Natürlich musst Du Dich an einige
Richtlinien halten(!!!), aber Du bist dennoch ziemlich frei in Deinem kreativen
Fluss.
Im Gegensatz zu einem Blog, kannst Du Dich hier vor allem interaktiv
präsentieren und jeder, der gerne über Bücher redet, aber vielleicht nicht so
gerne darüber schreibt, findet dennoch einen Platz, wo er diese Leidenschaft
ausleben kann.
Austausch ist wichtig
Der Austausch mit anderen Buchliebhabern und Zuschauern ist natürlich ein
besonders schönes Erlebnis für einen Booktuber.
Durch YouTube geht das sehr einfach und binnen Sekunden. Die
Kommentare landen direkt unter dem Video und sind leicht und schnell
auffindbar. So erhältst Du ein Feedback oder kannst nachlesen, was andere
Menschen zu dem Buch oder E-Book sagen, das Dich interessiert oder das Du
gelesen hast.
Einfacher geht's nicht! :)
Für jeden der richtige Ansprechpartner
So unterschiedlich Buchgeschmäcker sind, so unterschiedlich sind auch die
124
Menschen hinter den YouTube-Kanälen. Die Booktubergemeinschaft ist in den
letzten zwei Jahren unheimlich gewachsen und so findet jeder einen Booktuber,
mit dem er sich identifizieren kann und dessen Lesegeschmack er teilt.
Anders als bei einem Blog, wo jeder nur für sich eine Seite beansprucht, kann
man bei YouTube schnell zwischen den verschiedenen Booktubern switchen,
ohne ein neues Fenster öffnen zu müssen. Außerdem bekommt man auch
direkte Vorschläge zu anderen Videos – das ist schon sehr praktisch! Aber
natürlich hat auch ein Blog etwas Schönes und ist meistens sehr liebevoll und
individuell gestaltet, was bei YouTube zum größten Teil wegfällt – außer im
Video selbst natürlich!
Das schaue ich mir doch gerne an!
Genauso wichtig wie der Inhalt Deines Videos und wie Du Dich vor der Kamera
gibst, ist natürlich auch das ganze Drumherum! Sprich – Dein
Videohintergrund.
Dieser sollte gut gewählt sein und eine schöne Atmosphäre schaffen, aber
nicht zu sehr von Dir und den vorgestellten Büchern ablenken. Was auch nicht
unwichtig ist: wie der Lichteinfall ist, falls Du mit natürlichem Tageslicht drehst.
Manchmal ist es gar nicht so leicht, einen Fleck im Haus zu finden, wo all das
zusammenspielt: wo Du Dich mit dem Hintergrund wohlfühlst und gleichzeitig
keine Schatten im Gesicht hast oder komplett überbelichtet bist. Aber diese
Mühe wird meistens belohnt. Denn ein Video, welches optisch auch was hergibt,
sorgt dafür, dass sich die Zuschauer beim Angucken einfach wohlfühlen. So wird
Dein Video natürlich umso lieber angeschaut.
Kleiner Tipp: Eine schöne Location wäre z.B. ein Drehort vor Deinem
Bücherregal. Aber eine freie Wand tut es zur Not auch, wenn Du den
Bildausschnitt nicht allzu groß hältst. Das mag vielleicht in erster Linie etwas
kalt wirken, aber sobald Du den Raum davor einnimmst, ändert sich das und der
Zuschauer hat die Möglichkeit, sich nur rein auf Dich und die vorgestellten
Werke zu konzentrieren.
125
Eine gute Rezension ist wie ein Plausch mit Freunden
Ob eine Rezension gut ist oder nicht, liegt natürlich im Auge des Betrachters
oder, in dem Fall, des Zuschauers. Aber es gibt einige Dinge, die Du beachten
kannst, um das Bestmögliche aus Deinem Video rauszuholen.
Ich stelle mir beim Drehen immer vor, dass ein paar gute Freunde vor mir
sitzen statt der Kamera. Dann versuche ich ihnen zu erläutern, warum wir über
dieses Buch oder E-Book sprechen müssen und was mich so sehr daran berührt
oder gestört hat. Nicht unwichtig ist auch eine kleine Inhaltsangabe am Anfang
Deines Videos, die gerne in eigenen Worten gewählt sein darf, aber von den
Informationen nicht weiter als der Klappentext gehen sollte. Damit ist man
immer auf der sicheren Seite, dass niemand gespoilert wird.
Von Vorteil ist es auch, sich seine Rezension am Ende anzuschauen und noch
mal zu durchleuchten. Ist alles verständlich? Habe ich mich klar ausgedrückt
und kommt das rüber, was ich aussagen wollte? Lade erst ein Video hoch, wenn
Du wirklich damit zufrieden bist, ansonsten nimm Dir die Zeit, es noch mal zu
drehen. Auch wenn es aufwendig ist, mach Dir klar, wie wichtig dieser Job ist –
für den Verlag und den Autor des Romans und natürlich auch am Ende für
Deinen eigenen Kanal!
126
Flops
Teuer!!!
Das Booktuben macht zwar wahnsinnigen Spaß, kann aber gerade zum Anfang
etwas teuer werden (je nachdem, was für eine Ausstattung Du bereits besitzt)!
Während man zum Bloggen nur eins braucht – nämlich einen Laptop oder
Computer und sein Köpfchen –, sieht das beim Booktuben schon ganz anders
aus. Eine (gute) Kamera, Stativ, Ersatzakkus, Schneidprogramm, Softboxen oder
eine Cam mit einer guten Belichtung, damit man auch bei Schlechtwetter
drehen kann … Das alles kostet Geld! Natürlich kann man grade anfangs auch
sein Handy zum Filmen benutzen und ich selbst habe auch mit meiner ganz
normalen alten Digitalkamera gestartet. Aber wenn man dieses Hobby
längerfristig ausüben möchte, dann empfiehlt es sich schon, zumindest nach
einer guten Kamera Ausschau zu halten, damit das Bild und auch der Ton für
den Zuschauer angenehm sind und er sich auch gerne die Videos anschaut. Ein
Schnittprogramm ist natürlich unerlässlich! Auf das andere Zubehör kann
verzichtet werden, es erleichtert dir aber deine Arbeit ungemein. Gerade die
Investitionen in ein Stativ oder Ersatzakkus sind sehr empfehlenswert!
Zeitaufwand
Jeder, der schon mal selbst ein Video geschnitten oder gedreht hat, weiß: Das
dauert! Booktuben macht einen unheimlichen Spaß und ich liebe das
Videodrehen und auch das Schneiden, aber hinter den paar Minuten
Endprodukt, die der Zuschauer zu sehen bekommt, stecken meistens mehrere
Stunden Arbeit. Zuerst musst Du ein wenig vorarbeiten. Bei einer Rezension z.B.
127
erst mal die Lektüre auslesen und Dir überlegen, was Du dazu sagen möchtest.
Dann musst Du das eigentliche Video drehen, es für den Schnitt vorbereiten,
schneiden, abspeichern, hochladen, die fehlenden Informationen verlinken …
Wenn Du mit dem Booktuben beginnen möchtest, solltest Du Dir auf jeden
Fall darüber im Klaren sein, dass es ein sehr zeitaufwendiges Hobby ist! Aber
gleichzeitig ein unheimlich schönes, welches unglaublichen Spaß macht und
diese ganze Arbeit auf jeden Fall wert ist!
Kritik & Beleidigungen
Kritik ist in erster Linie etwas Tolles und Wertvolles. Leider hat man jedoch auch
ab und an mit weniger konstruktiven Kommentaren zu tun. Diese können hart,
beleidigend, entmutigend sein und den Spaß am Booktuben nehmen, haben
jedoch nichts mit einem persönlich zu tun. Du solltest Dir dennoch schon vorher
darüber im Klaren sein, dass YouTube eine freie Plattform ist, wo jeder das
kommentieren kann, was er möchte, und ob Du mit so etwas umgehen kannst
oder nicht. Zum Glück kommt das bei uns Booktubern eher seltener vor, dass
unangebrachte Kommentare unter einem Video landen. Aber auch in den
eigenen Kommentarfeed können sich Menschen verirren, die einen Platz für
ihren Frust suchen.
YouTube bietet dir allerdings die Möglichkeit, Dich dagegen zu wehren und
solche Kommentare zu entfernen. Trotzdem ist es ratsam, sich schon mal im
Vorfeld Gedanken darüber zu machen, wie Du damit umgehst und ob Du das
kannst. Vielen Menschen hat das Booktuben jedoch unheimlich geholfen und sie
sind durch ihren eigenen Kanal um ein Vielfaches selbstbewusster geworden
und gehen jetzt auch im Alltag anders mit Kritik um.
Mein Tipp: Mach Dir immer klar, dass solche Kommentare nichts mit Dir
selbst zu tun haben und ignoriere sie einfach. Du bist nicht alleine damit und so
gut wie jeder, der als Booktuber oder anderweitig auf YouTube präsent ist,
musste schon mal ähnliche Erfahrungen machen! Leider ist das normal bei
dieser Plattform, was sehr traurig ist, aber auch nicht zu ändern! Deshalb leg
Deinen Fokus einfach auf die angezeigten »Daumen hoch« statt auf die
128
»Daumen-runter« und auf die schönen, netten, bestärkenden Kommentare statt
auf die negativen. Die Menschen hinter den letzteren nehmen sich meistens
sowieso keine Zeit dafür, sich Dein Video richtig anzuschauen und ernsthaft zu
bewerten!
Die falschen Gründe
Natürlich muss jeder für sich selbst entscheiden, was für ihn richtig oder falsch
ist, aber es gibt definitiv gute Gründe, um mit dem Booktuben anzufangen, und
welche, die man überdenken sollte. Wenn Du einfach Spaß daran hast, über
Bücher zu quatschen, gerne vor einer Kamera sprichst, Dich mit anderen
Menschen austauschen möchtest und ein Teil dieser unheimlich tollen
Booktuber-Community sein willst, dann … nichts wie los!
Wenn Du allerdings einen Kanal startest, nur um »kostenlose«
Rezensionsexemplare abzustauben, und das der Hauptgrund für Deinen Kanal
ist, solltest Du Dir vielleicht einige Gedanken darüber machen, welchen
eventuellen Schaden du damit anrichtest!
Diese Bücher und E-Books gibt es nicht umsonst! Sie sind keine Geschenke!
Ein Rezensionsexemplar in den Händen zu halten bedeutet gleichzeitig eine
richtige Zusammenarbeit mit einem Verlag. Es gibt einige Vorschriften für das
Verfassen einer Rezension und auch eine gewisse Zeitspanne, in der deine
Rezension erscheinen sollte. Der Verlag schickt Dir nichts aus Nächstenliebe,
sondern geht mit Dir in dem Sinne eine Partnerschaft ein, die Du nicht
ausnutzen solltest. Denn dadurch schadest Du allen Betroffenen! Dem Verlag
selbst, dem Autor, aber auch allen anderen Booktubern und Bloggern, die
ehrenhaft dieser Arbeit nachgehen und sich sehr viel Mühe machen bei den
Rezensionen. Wenn ein Verlag viele negative Erfahrungen mit der Herausgabe
dieser Exemplare macht, dann wird er sich wahrscheinlich überlegen, ob das so
sinnvoll ist und er das in Zukunft weiter so handhaben kann.
Wenn kostenfreie Rezensionsexemplare also Dein Hauptgrund sind, um mit
dem Booktuben anzufangen, dann solltest Du Dir das vielleicht noch mal durch
den Kopf gehen lassen! ;)
129
Spoiler!!!
Das wohl Schlimmste, das ein Booktuber machen kann, ist seine Zuschauer zu
spoilern! Der Leser will das Buch für sich selbst entdecken und die
Schlüsselszenen erleben. Wer ihm das nimmt, wird feststellen: Dieser Zuschauer
schaltet nicht noch mal ein! Also Vorsicht, was Du sagst.
Wenn Du mal spoilern möchtest oder musst, dann kannst Du das zwar tun,
aber vermerke das auch deutlich in dem Titel Deines Videos. Damit ist
gesichert, dass nur diejenigen Dein Video anschauen, die den Roman, den Du
besprichst, bereits gelesen haben. Andernfalls darfst Du Dich darauf gefasst
machen, dass die Zuschauerzahl schwindet oder ganz ausbleibt.
Kleiner Tipp: Manchmal denkt man auch gar nicht daran, dass man gerade
jemanden spoilern könnte. Wenn Du z.B. einen Lesemonat abdrehst oder eine
Leseliste und eine Fortsetzung einer Reihe in die Kamera hältst, dann denk
dran – selbst wenn Du Dich hier nur an den Klappentext hältst, könntest Du
bereits spoilern. Vielleicht gibt es Zuschauer, die den ersten Band noch nicht
gelesen haben. Halte Dich also bei Reihen immer an die Inhaltsangabe vom
ersten Band oder weise in Deiner Rezension darauf hin, dass es sich gerade z.B.
um einen dritten Band handelt, den Du besprichst. Auch der Hinweis, dass man
sich dieses Video erst anschauen sollte, wenn man die Teile davor gelesen hat,
kann helfen. Damit bist Du auf der sicheren Seite – denn nichts wird von den
Zuschauern härter bestraft als das Spoilervergehen!
Ich hoffe, Euch hat mein kleiner Artikel über das
Booktuben gefallen oder vielleicht sogar ein bisschen
weitergeholfen, und ich würde mich unheimlich freuen, wenn
wir uns auf meinem Kanal »Agathe Knoblauch« wiedersehen.
:)
Ganz liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen
Eure Agathe Knoblauch
130
Teresa Sporrer: »Chaoskuss« (Die Chaos-Reihe 1)
Erscheinungsdatum: 05. Mai 2016
Inhalt
Das Leben der siebzehnjährigen May wäre so viel einfacher, wenn sie sich nur
mit den typischen Teenie-Problemen herumschlagen müsste. Doch May ist nicht
wie die anderen – sie ist eine Hexe. Und trotzdem muss sie an ihrer Schule das
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normale Mädchen spielen. Immerhin sie ist nicht das einzige übernatürliche
Wesen dort, weshalb es neben dem alltäglichen Highschoolwahnsinn auch Stress
mit nervigen Vampiren, streitlustigen Walküren oder unzufriedenen Dämonen
gibt. Aber dann lädt Noah – ein Mensch! – sie auf eine Halloweenparty ein und
plötzlich scheint doch ein bisschen Normalität in Mays Leben einzukehren. Aber
nicht für lange…
132
Leseprobe
Mein Tag begann damit, dass mich eine Voodoo-Puppe ohrfeigte. Das war nicht
so schlimm, wie es sich vielleicht anhörte, da die Dinger ähnlich wie Teddybären
weiche Watte-Ärmchen besaßen. Nur der sackähnliche Stoff kratzte ein wenig
an meiner Wange und störte meinen Schlaf.
»Steh endlich auf, May!«, zeterte eine weibliche Stimme. »Nur wegen dir
kommen wir wieder einmal viel zu spät zum Unterricht! Ich will nicht schon
wieder nachsitzen!«
Vorsichtig blinzelte ich durch meine Lider. Albert, die Voodoo-Puppe, blickte
mich mitleidslos an. Das kleine Ding hatte ein pinkes und ein schwarzes
Knopfauge, sein Mund war mit einem schwarzen Faden zugenäht worden. Der
Körper und somit auch Kopf und Gliedmaßen bestanden aus braunem Sackstoff.
Albert hatte noch einen Arm zum Schlag erhoben, als er plötzlich leblos zur
Seite kippte.
»Na, das wurde ja auch Zeit.« Nun beugte sich ein Mädchen mit
karamellfarbener Haut und wilden schwarzen Locken über mich. Seine
dunkelbraunen Augen blitzten abschätzig, was hervorragend zu den trotzig
verzogenen Lippen passte. »Stehst du nun endlich auf oder muss ich härtere
Geschütze auffahren? Wie kann man nur so verschlafen sein?«
Meine beste Freundin Vivienne, kurz Viv genannt, war eine VoodooPriesterin und auch wenn sie, wie ich, erst in Ausbildung war, wollte ich mich
nicht freiwillig mit ihr anlegen.
Aber ich war eben so müde …
»Nur noch eine Minute, Viv. Nur noch eine Minu-« Ich war nur eine
Millisekunde weggetreten, als sich etwas Spitzes in meinen Oberarm bohrte.
AUA!
Es überraschte mich nicht, dass Albert neben mir im Bett auferstanden war,
seine Stecknadel wie ein Schwert hin- und herschwingend. Dabei kniff er die
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schwarzen Filzaugenbrauen wütend zusammen.
Bevor er mich noch einmal stechen konnte, rollte ich mich schnell zur Seite –
und flog prompt aus dem Bett. Mein Gesicht küsste auf eine echt unsanfte Art
den kalten, staubigen Parkettboden. Hätte ich doch bloß auf Gran gehört und
gestern Abend gestaubsaugt … Fusseln im Mund waren echt widerlich!
Grummelnd drehte ich mich auf den Rücken – nur um in Alberts
wortwörtliches Sackgesicht zu sehen. Er linste über den Bettrand, das »Schwert«
triumphierend in die Luft gestreckt.
Blödes Sackgesicht …
Dafür war ich jetzt wacher als meine Tante Harmony, wenn sie vor einer
Nachtschicht einen Liter Kaffee ex trank.
Schicksalsergeben schnippte ich mit den Fingern. Die graue Hose meines
Schlafanzugs verwandelte sich in eine abgenutzte, enge schwarze Jeans mit
Löchern, aus dem Oberteil wurde ein schwarzes Top mit einem rot-schwarzen
Flanellhemd darüber. Zu meinem schwarzen Lederarmband mit einem AnkhAnhänger, das ich nie abnahm, gesellten sich ein Armband mit silbernen
Plastiknieten und mehrere einfache Gummi-Armbänder.
Ja, ich wusste, dass die Grunge-Zeit schon längst vorüber war, aber das hier
war nun einmal mein Lieblingsoutfit.
In meinem sechzehnjährigen Leben hatte ich schon alles ausprobiert: die
Business-May mit hübscher Bluse, Blazer und schlichtem Rock, dann die FlowerPower-May mit Batikrock und bunten Bandanas. Dieses Ich wurde von der
Gothic-Version in schwarzen Kleidern und Netzstrumpfhosen abgelöst. Reden
wir besser nicht über die Emo-May mit den pinken Strähnen und dem
Haarschnitt, der mich kaum etwas sehen ließ …
Aber egal, wie ich mich auch kleidete: Die Leute in der Schule riefen mich
weiterhin Hexe und die Leute auf der Straße murmelten über mich, wenn ich an
ihnen vorüberging.
Als ich mir nun Albert vorknöpfen wollte, griff Vivienne schnell nach ihrer
Puppe. Sie wurde in ihren Händen sofort wieder zu einem leblosen Stück Stoff.
»Bist du nun endlich wach?«, fauchte mich meine Freundin an, ließ sich
134
ihrerseits jedoch aufs Bett sinken.
»Jaaaaaaaa«, antwortete ich ihr genervt und sprang auf die Beine.
Natürlich war Vivienne schon fix und fertig. Sie trug eine modisch
ausgewaschene Jeans und dazu ein schlichtes rotes Top. Aufgepeppt wurde ihr
Outfit durch eine schwere goldene Statement-Kette und viele Ringe an ihren
Fingern. Aber wie man es drehte und wendete: Meine beste Freundin sah
einfach viel weniger nach Hexe aus als ich. Zwar waren auch Viv und ihre
Familie in unserer kleinen Stadt als Hexen verschrien, aber das lag eher daran,
dass ihre Mutter ätherische Öle und Kerzen herstellte und unsere Familien
befreundet waren. Sie mussten in den Augen der Stadtbewohner also
zwangsläufig auch Hexen sein.
Eigentlich traurig … Hexe war im Volksmund ein Schimpfwort, obwohl wir
hier für mehr Recht und Ordnung sorgten als die städtischen Polizisten. Letztere
wussten nicht einmal, wie viele übernatürliche Wesen in ihrer beschaulichen
Stadt lebten. Sie wussten nicht, dass der Psychologe in der Klinik ein Nachtmahr
war, der Siegmund Freud persönlich gekannt hatte, oder dass der beliebteste
Feuerwehrmann der Stadt in seiner Freizeit als feuerspeiender Drache
umherflog. Nein, stattdessen kümmerten sich die Polizisten nur um vermisste
Katzen, kleinere Diebstähle und Schlägereien unter Alkoholeinfluss, denn viel
mehr war für sie augenscheinlich nicht zu tun.
Apropos nichts tun … Da Vivienne einen Moment lang nicht aufpasste,
schleuderte ich ihr mit Gedankenkraft eines meiner roten Polsterkissen an den
Hinterkopf.
»Hey!« Sie hob eine Hand und ich war tatsächlich von ihren funkelnden
goldenen Ringen so abgelenkt, dass ich das fliegende Deo-Spray samt fieser
Nebelwolke zu spät bemerkte. Vor lauter Schreck atmete ich noch einmal
extratief ein. Schwer hustend taumelte ich ein paar Schritte zurück.
Ja, Hexen maßen gerne einmal ihre Stärke in solchen Auseinandersetzungen.
Besonders wenn sie sich wie Viv und ich erst in Ausbildung befanden und
ohnehin als kindisch abgestempelt wurden. Falls jedoch ein Übernatürlicher
oder ein Mensch in Gefahr geriet, mussten wir mit unserer Magie einschreiten
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und im schlimmsten Fall auch selbst kämpfen. Mit allem, was uns zur Verfügung
stand.
»Ich hab gewonnen!«, jauchzte Vivienne siegessicher. »Du weißt, was das
bedeutet, May …«
Ich grinste.
Meine beste Freundin saß noch immer auf meinem Bett und war sich ihres
Sieges viel zu sicher.
»Schachmatt!«, flötete ich.
Die Bettdecke wickelte sich eng wie Mumien-Bandagen um Vivs Körper und
verwandelte sie in eine schwarz-rot gestreifte Raupe. Nur ihr Kopf lugte noch
hervor.
»Argh!«
»Du bist mir eine Packung saure Drops schuldig.«
Bevor sie jedoch wieder damit anfangen konnte, dass wir schon viel zu spät
dran waren, drehte ich mich zu meiner kleinen Schminkkommode um. Als wir
sie damals im Möbelladen gekauft hatten, erstrahlte die Kommode noch in
weißem Holz, aber da das nicht in das rot-schwarze Konzept meines Zimmers
passte, hatte ich sie mit einem Zauber schwarz gefärbt.
Zwischen dem Spiegel und dem Rahmen steckten unzählige Fotos von
Vivienne, Ephraim und mir. Ephraim war schon immer ein guter Freund von
mir gewesen. Seine Mom arbeitete als Kinderkrankenschwester in dem gleichen
Krankenhaus, in dem auch meine Tante als Ärztin tätig war.
Auf den Fotos sah Ephraim weitgehend normal aus: sonnengebräunte Haut,
dunkelbraune Haare, grüne Augen und süße Grübchen beim Lächeln. Aber ich
wusste auch, wie er aussah, wenn er sich in einen Dämon verwandelte: schwarze,
widderartige Hörner, schwärzere Augen und noch schwärzere Krallen.
Mit einem Lächeln wandte ich meinen Blick ab, weil sich ein Schamgefühl in
meinem Bauch ausbreitete. Als wir letztens richtig heftig rumgemacht hatten,
also mit kaum Klamotten am Leib, waren Ephraim zum ersten Mal Hörner
gewachsen. Für Dämonenjungs anscheinend ein heikles und überaus
unangenehmes Thema …
136
Zwei Tage später hatten wir beschlossen, dass wir wirklich nur Freunde sein
sollten. Das Schlimme – oder das Gute? – daran war, dass wir bis auf ein paar
peinliche Momente tatsächlich wieder wie früher miteinander umgingen.
Na ja, es hatte mit uns anscheinend einfach nicht sein sollen, sonst wäre es
schwieriger gewesen, wieder gepflegt über Horrorfilme zu lästern, ohne dabei
gleich übereinander herzufallen.
Ich konzentrierte mich nun aber ganz aufs Hier und Jetzt, beschränkte mich
beim Make-up allerdings nur auf das Nötigste: ein bisschen Puder, um meine
kleinen Pickel und andere Hautunreinheiten zu überdecken; viel schwarzer
Eyeshadow und Eyeliner. Dunkles Make-up brachte meine hellgrauen Augen am
besten zur Geltung. Obwohl meine Familie ägyptische Wurzeln hatte, war bei
mir nicht mehr viel vom Flair der alten Pharaonen übrig geblieben. Ich hatte
lediglich nur noch dichtes schwarzes Haar und hohe Wangenknochen. Meine
Haare reichten mir bis zu den Achseln, waren zuerst glatt und kräuselten sich
dann fast zu Locken. Natürlich nur, wenn ich sie mir ordentlich gekämmt hatte.
Und das tat ich jetzt auch. Mit einer Handbewegung erwachte meine Bürste
zum Leben und fuhr mir fachmännisch durch die Haare. Ich versuchte
hingegen nicht mehr, mich mit Magie zu schminken, nachdem ich mir einmal
durch einen unkonzentrierten Zauberspruch fast das Auge mit meiner Mascara
ausgestochen hätte.
Oh, wo war ich? – Ah ja, mein Aussehen …
Meine Haut war fast schon kalkweiß. Ich wurde nie richtig braun, bekam
aber auch keinen Sonnenbrand.
Meine ungesunde Hautfarbe hatte ich – neben der widerspenstigen
Haarstruktur von meiner Mutter geerbt. Die grauen Augen angeblich von
meinem widerwärtigen Ekelpaket von Vater wie meine Großmutter ihn immer
liebevoll nannte, wenn sie sich über ihn aufregte. Er war wahrscheinlich Mensch
und Politiker, da meine Gran immer völlig durchdrehte, wenn jemand auf ihn zu
sprechen kam. Sie sagte, er sei der Schlimmste seiner Art, und Chaos und
Verwüstung seien einfach sein Element. Das sprach doch für irgendeinen
schleimigen Politiker, oder?
137
Sein Name fiel allerdings nie. Ich glaubte, meine Großmutter hatte Angst,
dass ich sonst Kontakt zu ihm aufnehmen könnte. Umgekehrt würde es mich
nicht wundern, wenn er nicht einmal wüsste, dass es mich gab. Nur die
wenigsten Hexen wussten, wer ihre Väter waren, und noch weniger hatten
Kontakt zu ihnen. Hexer gab es keine.
»Maaay!«, unterbrach Viv meine Gedanken.
»Jahaaaa! Es geht ja schon los!«
Ich suchte unter dem Tisch nach meinem Schulrucksack – fürwahr keine
leichte Aufgabe, denn mein Zimmer war das reinste Chaos, wie meine
Großmutter mindestens drei Mal die Woche betonte. Überall lagen Klamotten,
Bücher, DVDs und CDs. In einer Ecke verstaubten meine Malutensilien, die ich
ab und zu hervorkramte, gegenüber stand meine E-Gitarre, auf der ich kaum
spielen konnte. Ich hatte mich auch schon in Hockey, Taekwondo und anderen
Sportarten versucht, aber alles wieder hingeschmissen. Ich war in allem weder
besonders gut noch besonders schlecht. Anscheinend besaß ich absolut kein
besonderes Talent.
Dafür war ich in der Lage, mein Zimmer in einer halben Stunde komplett zu
verwüsten. Aber wie sagte man so schön? Ein Genie beherrscht das Chaos!
»May!«, grollte Viv. »Ich schwöre dir: Wenn ich mich hier verpuppe und von
deiner Decke grässlich schwarz-rote Totenkopf-Schmetterlingsflügel bekomme,
dann …«
Ich drehte mich zu ihr um.
Tatsächlich: Mein Zauber war stärker als gedacht, denn Vivienne sah noch
immer aus wie eine fette, große Raupe.
Gutmütig lockerte ich die Decke und Viv befreite sich schnell daraus. Sie fuhr
sich durch die Haare, schnappte sich ihre gigantische Handtasche, die sie
unverständlicherweise als Schultasche verwendete, und ging hoheitsvoll aus
meinem Zimmer.
Ich nahm meinen abgewetzten Rucksack von Vans und folgte ihr. Vivienne
würde jetzt ungefähr zehn Minuten schmollen. Sie war meine beste Freundin
und ihr Rekord, auf mich böse zu sein, lag bei neun Minuten und 36 Sekunden –
138
und da hatte sie bei der Entschuldigung fast schon zu heulen angefangen.
Eigentlich wollte ich gleich zur Haustür hinaus, aber dann sah ich im
Vorbeigehen eine Person halb über dem Küchentisch liegen. Tante Harmony
war wie so oft beim Lesen der Zeitung eingeschlafen. Neben ihr stand ein noch
unberührter und dampfender Becher Kaffee. Sie trug sogar noch ihren weißen
Ärztekittel und das Stethoskop um den Hals. Sie war wohl erst vor ein paar
Minuten von der Nachtschicht im Krankenhaus nach Hause gekommen.
An dem Stuhl neben ihr baumelte eine weiße Kühltasche. Ich betrachtete sie
mit Bauchschmerzen, wusste ich doch zu gut über ihren Inhalt Bescheid.
Widerwillig öffnete ich den Reißverschluss und nahm die Blutkonserven
heraus, die meine Tante heimlich hatte mitgehen lassen. Nicht, dass sie noch
schlecht und unbrauchbar wurden.
Im Krankenhaus dachte man, dass die Beutel für einen Patienten benutzt
wurden. In Wirklichkeit gab es ihn nicht. Tante Harmony hatte ein
Lügengeflecht aus Magie gesponnen, damit ihr niemand auf die Schliche kam.
Angewidert legte ich die Konserven in den Kühlschrank und hatte dabei
automatisch den eklig-verwesenden, salzig-metallenen Geschmack von Blut im
Mund.
Warum hatte ich nicht wie andere Kinder die heiße Herdplatte berühren
können? – Nein, ich hatte versucht, Blut zu trinken, um zu überprüfen, ob ich
zum Teil ein Vampir war.
War ich nicht.
Mit einem grässlich gurgelnden Geräusch, das so klang, als würde sich in der
Toilette eine Verstopfung lösen, schreckte Tante Harmony hoch.
Einen Moment lang starrte sie mich an. »Oh, May, du bist es. Bin ich etwa
eingeschlafen? – Hallo Vivienne!«, begrüßte sie auch meine ungeduldig
wartende Freundin.
Meinte Tante sah allerhöchstens wie fünfundzwanzig aus, aber in Wahrheit
war sie schon über fünfzig Jahre alt. Ich war sechzehn, sah aus wie sechzehn,
aber mit genug Make-up konnte ich auch als 18 durchgehen. Nach der Pubertät
würde sich aber auch bei mir der Alterungsprozess extrem verzögern.
139
Hexen sahen allgemein immer gesund und fit aus, auch wenn sie im Alter
von 400 Jahren langsam graue Haare und leichte Falten bekamen.
Harmonys Haare waren schwarz, ihre Augen dunkelbraun und sie hatte
zudem eine gesund wirkende bronzene Hautfarbe. Da sie eigentlich nur die
Halbschwester meiner Mutter war, hatten sich bei ihr die Gene anders
durchgesetzt.
»Sieht so aus«, antwortete ich. »Anstrengende Schicht, hm?«
»Kannst du laut sagen!« Sie nahm einen großen Schluck Kaffee. »Ich will
nichts gegen Menschen sagen, aber man sollte nicht wegen ein bisschen
Kopfweh oder Magenkrämpfen in die Klinik kommen. Immer dieser
Katzenjammer!«
Wie aufs Stichwort und erstaunlich laut für eine Katze kam Mister Mittens in
die Küche und steuerte geradewegs auf meine Tante zu. Der schwarze Kater
schnurrte laut, als er ihr um die Beine strich.
»Müsstet ihr eigentlich nicht schon längst in der Schule sein?«, fragte sie mit
einem Blick auf die Uhr.
»Verdammt! Bye, Tante Harmony!«
Vivienne und ich stürmten aus dem Haus.
***
Irgendwann auf dem Weg zur Schule hatte Vivienne aufgehört zu schmollen.
Ich war ihr ohnehin dankbar, dass sie auf mich gewartet hatte.
»Hast du Lust auf den neuesten Klatsch?«, fragte sie mich, nun wieder
äußerst gut gelaunt.
Viv hatte ihre Augen und Ohren überall. Sie war seit ein paar Monaten
mächtig genug, Insekten oder Ähnliches in Zombies zu verwandeln und sie als
Spione einzusetzen. Auf diese Weise überwachte sie die Schule so gut es ging,
auch da meine Fähigkeiten noch nicht so weit ausgereift waren, dass ich mich
hätte alleine um alles kümmern können. Ein Grund, warum Viviennes Familie
vor Jahren hierhergezogen war.
140
In meiner Familie gab es nur meine Gran, Mom, Tante Harmony und mich.
Viv hatte neben ihrer Mutter noch zwei Hexenschwestern.
Als Hexen mussten wir dafür sorgen, dass die Menschen sicher vor den
Übernatürlichen waren – und umgekehrt! Es gab nämlich auch genug
Menschen, die als Jäger durch die Welt streiften und sinnlos mordeten. Und das
war für uns nicht so cool.
In Supernatural sah das vielleicht ganz geil aus, weil Dean und Sam heiße
Kerle waren und sie die bösen Monster töteten, aber der Großteil der
Übernatürlichen war nicht böse. Viele waren sogar früher Menschen gewesen
oder lebten mit und unter ihnen. Erlangte jemand Kenntnis von unserer Existenz
oder wurde selbst verwandelt, musste er mit einem Eid schwören, nichts zu
verraten. Andernfalls wartete der sichere Tod auf ihn. So zumindest die offizielle,
abschreckende Konsequenz.
Dank unserer Hilfe konnten die hier lebenden Übernatürlichen und ihre
Familien in der Stadt bleiben und sich durch das Aufgebot an erwachsenen
Hexen geschützt fühlen.
»Ja klar, lass hören«, ging ich nun mit fast gleichgültiger Stimme auf Vivs
Frage ein. Der meiste Klatsch interessierte mich nicht, aber meine Freundin
würde es umbringen, mir nicht sämtliche Neuigkeiten zu verraten.
Sie machte ein paar große Schritte nach vorne und drehte sich zu mir um.
»Noah Simons hat sich von Larissa Adams getrennt.«
»Ooooh«, sagte ich mit ordentlich Sarkasmus in der Stimme und rümpfte die
Nase. »Armes, kleines Menschlein.«
»Larissa ist aber vielleicht gar kein Mensch«, widersprach mir meine
Freundin. »Sie ist –«
»Sie ist einer«, unterbrach ich sie scharf. »Sie ist ein Mensch.«
Ja, ich hatte womöglich eine kleine Abneigung gegen Larissa … Aber nicht
ohne Grund!
Larissa war der Cheerleader-Kapitän. Musste ich noch mehr sagen? Für sie
waren wir, also ich und die anderen Nichtmenschen der Schule, ihre liebsten
Mobbing-Opfer – ohne dass sie wusste, wer wir waren.
141
Wir benahmen uns einfach anders als Menschen.
Ingrid zum Beispiel, unsere Austauschschülerin aus Norwegen: Sie war eine
kämpferische Walküre und liebte es, sich in jede Schulhofschlägerei
einzumischen.
Für Menschen war das befremdlich, aber für Ingrid der größte Spaß auf
Erden. Sie fand es nur gemein, dass sie keine Waffen benutzen durfte.
Aber das Wichtigste war, dass wir – oder zumindest die meisten von uns –
ernsthaft darum bemüht waren, uns in die menschliche Gesellschaft
einzugliedern. Wir versuchten die Menschen so gut es eben ging aus unseren
Angelegenheiten herauszuhalten, doch nicht immer gelang uns das reibungslos.
Ab und zu verliebten sich Übernatürliche in Menschen und bekamen Kinder.
Eines davon war ironischerweise Larissa.
Doch natürlich besaß sie keine übernatürlichen Fähigkeiten, natürlich war
sie nur ein dummer, dummer Mensch. Und sie sollte froh sein, dass sie so dumm
und unwissend war.
»Ja, Larissa ist eine blöde Kuh, ich weiß, ich weiß. Aber die Geschichte ist
einfach erstklassig!« Viv klatschte vor Aufregung in die Hände. »Letzten Freitag,
nach Noahs Lacrosse-Spiel, hatten sie einen megaheftigen Streit. In der
Männerdusche.«
»Bitte was?!« Ich riss die Augen auf.
»Larissa hat mit Noah vor seinen versammelten Teamkollegen Schluss
gemacht. – Oh, und er war fast nackt dabei. Er hatte nur ein Handtuch um die
Hüfte gewickelt, hat mir ein kleines Vögelchen gezwitschert. Und ich meine
wirklich einen Vogel. Ich werde immer besser mit der Wiedererweckung!«
»Wow!« Das fand ich nun viel interessanter als die alberne Geschichte
zwischen Noah und Larissa. Ich war kein großer Menschenfreund im
Allgemeinen. »Gratuliere! – Hey, warum hast du mir das nicht vorher gesagt?«
Viv zuckte mit den Schultern. »Weil es auch langsam Zeit wurde, dass ich so
etwas kann. Ungefähr in einem Jahr soll ich so weit sein, Menschen in Zombies
zu verwandeln – wenn das noch erlaubt wäre.«
Wir grinsten uns vielsagend an. Man hatte die Erschaffung von menschlichen
142
Zombies vor gut fünf Jahrzehnten verboten. Sie waren nämlich nicht nur schwer
zu kontrollieren, sondern auch verdammt aggressiv. Außerdem würden die
Menschen heutzutage gleich ausflippen, wenn sie mal einem einzelnen Zombie
begegneten, wahrscheinlich weil sie zu viel The Walking Dead geguckt hatten.
Zombies waren nicht in der Lage, weitere Zombies zu erschaffen. Das
konnten nur Hexen, die in Voodoo geschult waren. Aber klar: Zombies konnten
jemandem den Arm abreißen und sie liebten Gehirne so sehr, dass sie alles dafür
tun würden, um an die graue, wabbelige Hirnmasse zu kommen – den Schädel
mit einem Stein spalten, zum Beispiel. Brrr. Keine schöne Vorstellung.
»Aber nun weiter zum Klatsch«, riss mich Vivienne aus meinen
Gewaltfantasien. »Larissa hat jetzt angeblich was mit Tim Cassidy, du weißt
schon, dem Footballspieler. Und …«
Meine Freundin quasselte unaufhörlich, doch ich fand die nähere Umgebung
irgendwie spannender als Vivs Worte.
»Wow« und »Das gibt's doch nicht!« streute ich ab und zu ein, damit sie
glaubte, dass ich ihr noch zuhörte. Dabei kamen wir der Schule
beziehungsweise dem Stadtkern immer näher.
Unser Wohnhaus stand nahe bei einem Wald – aus verschiedenen
lebenspraktischen Gründen: So konnte es schon mal vorkommen, dass ein
Zauber schiefging. Da niemand in unmittelbarer Nähe wohnte, gab es dann
auch keine Zeugen. Zudem brauchte meine Mom einen Ort, an dem sie sich mit
ihren Kräften einfach mal austoben konnte.
Vivs fröhliches Plappern ausblendend betrachtete ich verstohlen die vertraute
Umgebung. Während wir unser Ziel ansteuerten, lichteten sich die Bäume,
dafür fuhren uns mehr Autos entgegen. Die Häuser wurden größer und leider
auch hässlicher. Wir kamen an den drei Cafés, unserem Kino und den zwei
Supermärkten vorbei. Daneben gab es hier noch ein Freibad, ein Krankenhaus,
einen Club und ein paar kleinere Geschäfte.
Hier war eine kleine, bedeutungslose Stadt im Bundesland Maryland. Meine
Großmutter und ihre Mutter hatte es hierher verschlagen, als sie im nahen
Gettysburg nach der grausamsten Schlacht des Sezessionskrieges von 1865
143
Exorzismen durchführten, um den gepeinigten Seelen der Soldaten Erlösung zu
schenken.
Als meine Großmutter dann mit meiner Mutter schwanger war, befahl ihnen
der Rat der Hexen, für die nächsten Jahrzehnte hierzubleiben. Na ja, es wurden
viele Jahrzehnte …
Das Wetter war meistens schön sonnig und warm – eine Freude für die
Menschen, eine Strafe für meine Mutter – und eine zusätzliche Vorkehrung, sie
unter Kontrolle zu halten.
»Das hat sie wirklich gebracht, May! Kannst du das glauben? Wie dumm
muss man sein!«, kreischte Viv gerade neben mir.
Mir entwich nur ein verwirrtes »Hm?« und ich war richtig froh, dass wir
endlich die Schule erreichten.
Das Gebäude war so gewöhnlich, dass man vielleicht schon vermuten konnte,
dass hier ein paar Dinge anders liefen. Von außen war unsere Highschool nur
eine weitere graue Schule, von denen es hierzulande so viele gab und an der sich
allein die Flagge der Staaten im Wind bewegte. Alles andere blieb schon seit
Jahren unverändert: Die Tribüne neben dem Spielfeld war total abgenutzt und
sanierungsbedürftig, die weißen Linien des Schülerparkplatzes konnte man nur
noch erahnen und …
Schwarz.
Schmerz.
Sekunden später fand ich mich auf dem Rasen vor unserer Schule wieder und
Vivienne hatte sich über mich gebeugt.
»Geht es dir gut, May?«, fragte sie mich besorgt.
Ich wollte schon bejahen, aber da bemerkte ich die höllischen
Kopfschmerzen.
Okay, was war gerade passiert?
Ich war eine Hexe.
Ich hatte nie so schlimme Schwindelanfälle.
Ein Dämon konnte nicht einfach so Besitz von mir ergreifen. Zudem waren
die einzigen Dämonen hier Ephraim, sein kleiner Bruder und seine Eltern.
144
»Schon gut! Es ist nichts passiert!«, schrie eine männliche Stimme. »Ich habe
nur die Hexe erwischt! Dir geht's doch gut, oder?«
Nun schob sich ein weiterer Kopf in mein Blickfeld. Und am liebsten hätte ich
diesem Gesicht gleich einen Schlag verpasst. Ich hatte sogar schon ausgeholt,
aber mein Gegenüber wich der Attacke aus.
»Ich habe mich doch entschuldigt!«
»Habe ich aber nicht gehört!«, knurrte ich.
Er seufzte. »Es tut mir leid …« Pause. »Äh, Ma-Maria? Marissa? Mary!«
Oh, toll. Er wusste nach elf gemeinsamen Jahren nicht einmal meinen
Namen!
»MAY! Mein Name ist May.«
Ich rappelte ich mich irgendwie hoch. Meine Jeans zierten nun ein weiteres
Loch und grün-braune Flecken. Hübsch!
Noah Simons starrte mich an. – Ja, genau der Noah, über den Viv und ich
vorhin erst geredet hatten.
Dabei gab es über Noah und mich nicht viel zu sagen: Er war ein Jahr älter als
ich und da unsere Stadt wie erwähnt nicht besonders groß war, hatten wir stets
die gleichen Schulen besucht. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich in der
Vorschule ab und zu mit ihm gespielt hatte.
Aber irgendwann kapierte er – wie seine Mitschüler auch –, dass ich anders
war. Dass meine Familie anders war, nämlich in den Augen aller verrückt, weil
meine Mom Tarot-Karten legte und meine Großmutter das Pendel beherrschte
wie keine Zweite.
Ab diesem Zeitpunkt hatte ich nur noch Viv und meine Schützlinge.
»Wenn ihr alle so miserabel schießt, dann wundert es mich nicht, dass unsere
Schule bei Lacrosse so ablost«, fauchte ich Noah entgegen.
»Sag das noch mal!«
Plötzlich stand er direkt vor mir. In seiner rechten Hand hielt er einen
Lacrosse-Schläger, in der anderen seinen Helm.
Er war groß, sonnengebräunt – und gutaussehend, wie ich zugeben musste.
Mit dunkelbraunen Haaren und strahlend blauen Augen. Aber er war leider auch
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einer der Menschen, die leicht beeinflussbar waren.
Obwohl mir die meisten seiner Artgenossen instinktiv aus dem Weg gingen,
gab es ein paar, die mich zumindest mit Anstand behandelten. Noah gehörte
nicht dazu.
»Ein bisschen Herumblödeln wird ja wohl noch erlaubt sein?«, entgegnete er
von oben herab.
»Wann blödelt ihr nicht herum?«, gab ich spitz zurück.
Ich war heute alles andere als gut drauf und Noahs Attacke hatte meine Laune
in die tiefsten Tiefen der Hölle sinken lassen.
»May, lass ihn!« Vivienne berührte mich am Arm.
Seine Freundin hat vor drei Tagen Schluss gemacht!, sagte sie mir per Telepathie.
Ihm geht es echt mies.
Aber wenn ich ein Mensch wäre, hätte ich jetzt ein ordentliches Schädel-HirnTrauma!, antwortete ich ihr auf dieselbe Weise.
Noah schenkte mir noch einen giftigen Blick, ehe er seinen Helm wieder
aufsetzte und zum Spielfeld zurück trottete.
Ich hätte ihn beinahe ziehen lassen, aber dann murmelte er hörbar: »Blöde
Hexe!«
Praktischerweise erschien genau in diesem Moment der Trainer am
Spielfeldrand. Als Noah nah genug bei ihm war, ließ ich allein mit der Kraft
meiner Gedanken einen kleinen Erdhügel sprießen. Noah stolperte und zog dem
Trainer die dunkelblaue Trainingshose herab, so dass dieser nun in einem
weißen Schlüpfer dastand. Nach einer Schrecksekunde prusteten die anderen
Spieler laut los, ein paar der Jungs krümmten sich sogar vor Lachen im Gras.
Alle, bis auf den Trainer, der dunkelrot wie eine Kirsche wurde.
»SIMONS! NACHSITZEN!«, brüllte er. »Und einhundert Liegestütze!
SOFORT! KEINE WIDERREDE!«
Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht marschierte ich mit Viv zum
Haupteingang der Schule.
»Spinnst du, May?«
Ich wusste sofort, was sie meinte. Viv hatte gespürt, dass ich mich der Magie
146
bedient hatte.
»Er hat's verdient! Außerdem sind die Menschen doch sowieso nicht in der
Lage, zu sehen, was sich da gerade vor ihren Nasen abspielt.«
Meine Freundin zog es vor, nichts darauf zu erwidern. Kluges Mädchen!
Da sie und ich in der ersten Stunde gemeinsam Geschichte hatten, gingen
wir zu Raum 301. Dabei redete ich mich so richtig in Rage.
Schließlich erreichten wir die Klassenzimmertür und ich öffnete sie.
»… unsere Mitschüler sind zudem allesamt riesengroße Vollpfosten.«,
beendete ich gerade meinen Vortrag, doch Viv war anscheinend nicht die
Einzige, dir mir entgeistert lauschte.
»Ist das so, Miss Setek?«
Augenblicklich wich mir das Blut aus dem Gesicht. Ich Idiotin hatte wegen
der Sache mit Noah nicht bemerkt, dass wir zu spät dran waren. Alle anderen
saßen schon im Kursraum, auch die Lehrerin, die mich mit hochgezogener
Augenbraue musterte.
Misses Wolf mochte mich eigentlich, da ich sehr gut in Geschichte war.
Wenn man, wie ich, einen Familienstammbaum besaß, der bis ins Alte Ägypten
zurückreichte und auch die Besiedlung des amerikanischen Kontinents durch
die spanischen Pioniere – meine Ahnen hatten sich bei ihnen eingeschleust –
umfasste, dann musste man einfach gut in Geschichte sein. Vielleicht auch, weil
Familiengeschichte zu meiner Ausbildung als Hexe gehörte.
»Ich wiederhole mich: Ist das so, Miss Setek?«
Da war aber noch jemand ziemlich angepisst.
»Nein«, murmelte ich und senkte den Kopf.
»Miss Setek und Miss Denaux, ihr beide werdet heute nachsitzen.«
***
Auch beim Mittagessen wurde meine Laune nicht besser. Dabei war das Essen
in unserer Cafeteria eigentlich ganz genießbar. Heute gab es Nudeln mit
Tomatensauce, Vanillepudding und Fruchtsaft. Aber das heiterte mich nicht
147
wirklich auf.
»Hallo«, knurrte ich den anderen missmutig zu und knallte mein Tablett mit
Essen auf den Tisch.
»Oh, da hat aber jemand einen schlechten Tag!«, zwitscherte Penelope mit
ihrer zuckersüßen Honigstimme, die einen Mann um den Verstand bringen
konnte, mich aber momentan nur gewaltig nervte. »Was ist denn los, Süße?«
Ich hatte keine Lust zu antworten, sondern massakrierte mit dem Löffel lieber
den unschuldigen Pudding.
Als wären die Sache mit Noah und das Nachsitzen nicht schon schlimm
genug, durfte ich auch noch erfahren, was wir als Nächstes in Geschichte
durchnehmen würden: die Hexen von Salem.
Sofort waren alle Augen zu mir gewandert – gut, ein paar auch zu Vivienne.
Dabei war ich mit den Salem-Hexen nicht einmal ansatzweise verwandt. Sie
waren irgendwelche alteingesessenen Hexen aus England gewesen, während
meine Familie Priesterämter in Ägypten innehatte, bevor sie sich nach der
Eroberung der Römer bis zur Neuzeit weitgehend versteckt hielt, weil man sie
sonst auf den Scheiterhaufen geworfen hätte. Schließlich waren meine
Vorfahren dann mit den spanischen Pionieren in die Neue Welt übergesiedelt.
So die Grobfassung, die ich bis jetzt gelernt hatte.
Oh, ihr unbarmherzigen Götter! Noch mehr zum Lernen. Als wären die
ganzen übrigen Kurse an der Highschool nicht schon schlimm genug!
»May?«, drang eine männliche Stimme an mein Ohr und ein mir allzu
bekannter Duft stieg in meine Nase.
Ephraim nahm neben mir Platz.
»Willst du meinen Körper, Ephraim?«, fragte ich meinen besten Freund, der
zufällig auch mein Ex war. »Du kannst ihn gerne für ein paar Tage ausleihen.
Wirklich. Ich hätte gerne mal eine Auszeit von all dem hier.«
Und ich hatte keine Lust aufs Nachsitzen.
Und ich hatte noch weniger Lust auf ein paar Stunden Unterricht in Hexerei
danach.
Meine Ausbildung wurde immer härter, denn es würde vielleicht noch ein
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Jahr dauern, bis ich im Vollbesitz all meiner Kräfte wäre.
»Ähm, ja. Vielen Dank, May, aber ich mag diesen Körper sehr. Nicht nur weil
er sich mir anpasst, sondern weil es … Ähm ja … Wir beide … Ich weiß von
deinem Körper Sachen … – O Hölle, ich sollte wohl besser den Mund halten …«
Ich wurde schon wieder knallrot. Das meinte ich mit den Peinlichkeiten, die
sich nach unserer Trennung ab und an ergaben. Plötzlich war so manches
unangenehm zweideutig.
»Wenn ihr miteinander geschlafen hättet, dann wäre es für euch sicherlich
nicht so peinlich. Glaubt mir, ihr wärt viel lockerer!«
»Penelope!«, zischte ich sie an. »Das ist wieder einmal nicht hilfreich.« Nie
im Leben würde ich in Liebesdingen auf den Rat eines beinahe
einhundertfünfzig Jahre alten Sukkubus hören.
»Dämonen können nur von Menschen Besitz ergreifen und dann nicht einmal
von jedem«, mischte sich auch noch das andere männliche Exemplar am Tisch,
Erik, ein. »Lernt ihr Hexen heutzutage gar nichts mehr?«
Ich schenkte ihm nur noch einen verachtenden Blick. Sich mit ihm zu
streiten, brachte absolut nichts.
Seit zwei Jahren lebte Erik jetzt hier und dauernd hatte er irgendetwas zu
meckern. – Okay, es war für einen Vampir zweifellos eine Tortur, hier zu leben,
aber es gab sicher einen Grund, warum der Rat ihn an diesen Ort geschickt
hatte. Es war entweder eine Bestrafung oder eine Kontrollmaßnahme – ähnlich
wie bei meiner Mom.
Ich war mir ziemlich sicher, dass Erik irgendetwas Schlimmes verbrochen
haben musste, und das nicht ohne Grund: Als meine Mom und meine Tante mal
etwas beschwipst waren – was für Hexen ein paar Flaschen Wein bedeutete –
hatte ich belauscht, wie Mom über ihn geredet hatte. Er stammte aus
Deutschland, Frankreich oder Schweden, auf jeden Fall aus Europa, und war
damals im 15. Jahrhundert wie so viele andere – zu irgendeinem Kreuzzug
aufgebrochen. Noch als Mensch, versteht sich. Wahrscheinlich wollte er, so
reimte ich es mir insgeheim zusammen, nur schnellstmöglich vor seinen
Schulden und seiner schwangeren Geliebten fliehen. Niedere Beweggründe also.
149
Bei dieser ganzen Kreuzzugsache war er dann aber von einem Vampir in sein
Nest verschleppt und wohl auch verwandelt worden. Nur blöd, dass er mit
seinem Babyface wie sechzehn, maximal siebzehn aussah und er deshalb nach
den Regeln des Rates die Schulbank drücken musste, wenn er Schutz von uns
Hexen und ab und zu etwas Menschenblut abhaben wollte.
Jahaaa: Integration war das A und O für uns Übernatürliche – um mal ganz
spießig wie meine Grandma zu klingen.
»Also, da ihr alle wissen wollt, was unsere liebe May heute hat: May kam
wieder mal nicht aus dem Bett«, begann Viv zu erzählen. »Dann habe ich sie mit
Albert aufgeweckt. Wegen dieses ganzen Theaters waren wir allerdings viel zu
spät dran. Und vor der Schule hat Noah Simons ihr dann einen Lacrosse-Ball
mitten ins Gesicht geknallt. May hat sich mit Magie gerächt, aber wir haben
natürlich den Unterrichtsbeginn verpasst und dürfen deswegen heute
Nachmittag nachsitzen. Ende! – Ah, fast vergessen: Wisst ihr schon, dass Noah
sich von Larissa getrennt hat?«
Erik stöhnte genervt und murmelte ein paar Schimpfwörter in einer fremden
Sprache.
»Wer?«, fragte Ephraim und richtete seine Brille.
Das mochte ich so an ihm. Während Viv meist ein bisschen überdreht war
und Klatsch liebte, war Ephraim ruhiger und interessierte sich nicht wirklich für
das Leben an der Highschool.
Er wirkte einfach menschlicher als Viv und ab und zu brauchte ich das. Ein
bisschen »Normalität« war schließlich nie verkehrt.
»Und Noah Simons ist nun wieder Single, ja?« Penelope sprang so schnell von
der Bank auf, dass sich Erik erschreckte. Sie zückte einen Spiegel und
überprüfte ihr Make-up, ein wirklich sinnloses Unterfangen. Als Sukkubus wirkte
sie auf das andere Geschlecht so oder so unwiderstehlich. Sie hatte hüftlange
blonde Haare, die schon beinahe golden schimmerten, und mohnblaue Augen.
Dazu kam dieser beneidenswerte cremeweiße Teint ohne irgendwelche
Unreinheiten. Und die von Natur – die Natur von Sexualdämonen – aus langen
Wimpern. Ihre Figur war auch perfekt …
150
Ja, ich war neidisch auf ihr Aussehen, aber das war einfach so. Die Männer
fanden Sukkuben anziehend, die Frauen waren eifersüchtig auf ihre Schönheit.
»Da probiere ich doch gleich mal mein Glück, oder?«
Sie klimperte mit den Augen und berührte den herzförmigen Anhänger an
ihrem Hals.
»Muss das sein?«, fragte ich.
»Liebste May, ich hatte seit einer Woche kein Date mehr und ich brauche
bald eines, da ich sonst verhungere. Und wenn du nicht die Schuld dafür
bekommen willst, dann musst du mich jetzt ziehen lassen.«
Date hieß in ihrem Falle natürlich Sex.
Penelope hatte den Ruf als Schulschlampe nicht ohne Grund inne. Aber sie
musste es tun, schlicht und ergreifend, um zu überleben. Zudem suchte sie sich
aus Prinzip nur die Jungs aus, die fit waren, damit sie genug Energie saugen
konnte. Die Herzkette um ihren Hals war von Hexen gefertigt worden und
verhinderte, dass sie bei ihren Eroberungen zu viel »entnahm«.
Alles in allem war Penelope also ein guter Schützling und darum sagte ich
auch nur »Wenn es denn sein muss« zu ihr.
Mit einem siegessicheren Lächeln auf den pinken Lippen hopste sie – ja, sie
hopste – an mir vorbei in Richtung Noah. Zum Glück saß ich mit dem Rücken zu
ihm.
»Hallo, meine amerikanischen Freunde!«
Wie ein Blitz – im wahrsten Sinne des Wortes – schlug Ingrid ein. Die Bank
gab eindeutig nach, als sie sich zwischen Ephraim und mich quetschte.
Laut schmatzend machte sie sich über ihr Essen her.
»Hallo … Ingrid«, sagte ich gut zwei Minuten später, als mein Gehirn ihr
Eintreffen verarbeitet hatte. »Du bist ganz schön spät dran.«
Ingrid aß nicht immer mit uns. Sie war wie die meisten Walküren eine
typische Einzelgängerin und genoss ihr Auslandssemester in Amerika in vollen
Zügen. Das hieß auch, dass sie oft die Schule schwänzte.
»Bin noch in eine Schlägerei geraten«, sagte sie und zuckte ungerührt mit
den Schultern. »Konnte einfach nicht daran vorbeigehen.«
151
Sie drehte sich mit einem Lächeln zu mir. »Sehe ich noch schlimm aus?«
Na, was hieß schon schlimm? Sie hatte einen leichten Bluterguss um ihr
linkes Auge, der aber bereits abheilte. Zudem war ihre Lippe ein bisschen
aufgeplatzt.
»Nicht wirklich«, antwortete ich gutmütig.
Ich hatte sie tatsächlich schon in weitaus schlimmerer Verfassung gesehen.
In der ersten Woche ihres Aufenthaltes hier war sie in eine Schlägerei von
Betrunkenen geraten und hatte dabei unter anderem drei ihrer Zähne
eingebüßt.
Vivs Mutter hatte ihr eine besondere Kräutermixtur herstellen müssen, damit
diese schnell wieder nachwuchsen, denn Nichtmenschen konnten nicht einfach
mal eben zum Arzt gehen.
Dabei wirkte Ingrid auf den ersten Blick sogar ziemlich menschlich, hatte
aber – wenn man mal von den langen, stahlharten Fingernägeln absah schon in
jungen Jahren gewisse Selbstheilungskräfte. Wie die anderen und ich auch.
»Gut!« Sie fuhr sich mit den Fingern durch das weißblonde Haar, das ganz
verfilzt war. Ein paar Kieselsteine und Grashalme rieselten auf den Tisch und auf
die Bank. »Die Kerle sehen aber viiiiiiel schlimmer aus.« Nachdem sie den
ersten Teller Nudeln verschlungen hatte, machte sie gleich mit dem zweiten
weiter.
»Du musst also heute auch nachsitzen?«, fragte Vivienne sie.
»Hm? – Ach! Nein! Das waren irgendwelche Idioten, die sich an einer
Straßenkreuzung wegen eines kleinen Autounfalls geprügelt haben. Ich dachte,
ich steige gleich mit ein.«
»Das ist doch die Höhe!« Fluchend kam Penelope zurück. »Hey, Ingrid.«
»Tagchen, Penny!«
Ohne etwas zu sagen, stand Erik auf und marschierte aus der Cafeteria. – Na
endlich! Er war und blieb ein Arsch.
»Stellt euch vor, Noah hat mich gerade abblitzen lassen!«, regte sich Penelope
auf. »Mich! Einen Sukkubus! Merkt man mir langsam mein wahres Alter an?«
Sie seufzte theatralisch.
152
Von Menschen in Übernatürliche Gewandelte wie Penelope alterten ihr
ganzes Leben lang nicht mehr.
»Du siehst wie immer aus. Wie siebzehn«, beruhigte Viv sie.
»Ich glaube, der Kerl hängt immer noch ein bisschen an Larissa«, mutmaßte
Penelope und stibitzte Ingrid ein Stück Apfel von ihrem Obstsalat. »Aber ich
muss sagen, dass ich das total süß finde. Schlecht für mich, aber es ist echt süß.«
Endlich bekam auch ich eine Gabel voll Nudeln hinunter. »Noah Simons ist
nicht süß!«, entgegnete ich noch kauend.
»Wir wissen, dass du nicht auf Menschen stehst, May«, sagte Penelope.
»Außer sie sind bereits zwanzig Jahre tot und waren Sänger bei Nirvana, aber
Noah Simons ist wirklich kein schlechter Vertreter seiner Art.«
Ich zog es vor, vieldeutig zu schweigen.
Himmel, ich war ein Teenie! Was wusste ich, auf wen ich wirklich stand? Ich
hatte bis jetzt erst mit einem Kerl rumgemacht und der war für ganze zwei
Monate mein Freund gewesen …
Hexen hatten in der Liebe ohnehin schlechte Karten: Die meisten kamen mit
Menschen zusammen, denn nur so waren die Kinder zu hundert Prozent
weibliche Hexen. Menschen alterten aber viel schneller als wir und starben dann
auch viel früher. Ein Teufelskreis! Als lang lebende Hexe konnte man sich also
nicht »auf ewig« an einen Mann binden.
Beziehungen zu anderen Übernatürlichen wurden verpönt, denn wenn ein
Mischblut aus dieser Verbindung entstand, wurde es mit Geringschätzung vom
Rat behandelt. Mischblüter – wie meine eigene Mutter – waren beinahe
rechtslos.
Ich konnte praktisch nur männerlos enden wie meine Gran, meine Mutter
und meine Tante.
Was für rosige Aussichten für mein noch so junges Alter!
***
»Freust du dich schon aufs Nachsitzen?«, fragte Ephraim mit einem
153
sarkastischen Grinsen in seinem gutaussehenden Gesicht. Wir schlenderten
gerade langsam den Schulflur entlang, Viv war kurz in Richtung Toilette
verschwunden.
Wollte er mir vollends den Tag versauen?
»Natürlich, Ephraim!«, schrie ich schon fast. »Zwei Stunden in einem
Abstellraum hocken und die Uhr anstarren. Ich bin mir sicher, dass sich dort
drinnen ein Wurmloch befindet und die Zeit um ein Vielfaches langsamer
verläuft.«
Mein bester Freund hatte noch nie in seinem Leben nachsitzen müssen. Er
war ein ausgezeichneter Schüler mit tadellosem Benehmen, guten Noten und
bewundernswerter Pünktlichkeit.
Ja, Dämonen waren eben nicht nur böse Geister, die einen dazu brachten, den
Kopf um dreihundertsechzig Grad zu drehen, zu fluchen und in zahlreichen
Sprachen zu reden. Genau genommen hatten Ephraim und sein jüngerer Bruder
noch nie einen anderen Körper besessen als den, in dem sie jetzt
herumspazierten.
Richtig kompliziert allerdings war die Sache mit Dämonen und ihrer
Fortpflanzung – ich hatte es lernen müssen. Meine Gran hatte mir die Lektion
reingedrückt, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass ich mit Ephraim
zusammen war.
Wenn eine Dämonenfrau und ein Dämonenmann sich ganz lieb hatten – oder
wenn nur einer der beiden ein Dämon war –, dann konnte die Frau natürlich
schwanger werden. Bei der Kombination Dämon/Mensch wurde das Kind
entweder »normal« geboren, was hieß, es war ein Mensch, oder schon als
Dämon.
Gesellte sich Dämon zu Dämon, brauchte man den Körper eines kurz zuvor
verstorbenen Babys oder eines, das wohl nicht lange überleben würde – so die
»legale« Art. Man konnte natürlich auch ein gesundes Kind nehmen, aber das
war strengstens verboten. Der neugeborene Dämon – ein kleines schwarzes
Wesen mit Hörnern, Klauen und Schwanz – schlüpfte dann in den Körper des
Babys. Dieser passte sich dem Geistkörper des Dämons an. Somit konnte er
154
mitwachsen und zeigte nicht so unsinnige Ausfallerscheinungen, wie man sie
aus Horrorfilmen kannte.
Ich erschauerte ein bisschen. Wie war ich bitteschön wieder hierhin
abgeschweift? Vielleicht hatte ich ja doch eine hexenartige Form von ADHS …
Ephraim stupste mit seinem Zeigefinger gegen meine Stirn. »Erde an May.«
»Ich … Ich war gerade wieder mal mit den Gedanken woanders«, murmelte
ich und schüttelte den Kopf, um mir ja nicht Ephraim als Baby-Dämon
vorzustellen.
Als ich gerade etwas über die letzte Stunde in Kunst, eines der wenigen
Fächer, die ich zusammen mit Ephraim hatte, sagen wollte, flog er mir praktisch
entgegen. Seine Brille rutschte von der Nase und landete auf dem Boden.
»Pass auf, wo du rumstehst, Freak.«
Ich knurrte leise.
Niemand anderes als Larissa, Noahs Ex und Anführerin der CheerleaderZicken, hatte Ephraim das angetan.
Als sie mich sah, verzog sie abschätzig die Lippen. »Oh, deine kleine
Freundin ist auch hier. – Ah! Ich habe ganz vergessen, dass ihr nicht mehr
zusammen seid.« Sie tippte sich mit einem Finger gegen ihre Stirn. »Ist auch
besser so. Eure Beziehung war ja wirklich armselig.«
»Hau einfach ab, Larissa!«, zischte ich sie wütend an.
Mein Blick wanderte zu Ephraim.
Er war wie erstarrt. Seine Fingernägel wurden schon ganz schwarz und
immer spitzer. Wenn er sich nun vollends verwandeln würde, wäre das meine
Schuld. Ich musste darauf aufpassen, dass sich von meinen Schützlingen
niemand den Menschen offenbarte.
Doch Larissa wollte sich glücklicherweise nicht länger mit uns abgeben. »Bye,
ihr Loser!«
Als Noahs Ex an mir vorbeimarschierte, warf sie ihre rot gefärbten Haare
nach hinten und ließ so ein tussiges – falls es das Adjektiv überhaupt gab –
Schnauben hören. Aber mir war Larissa egal. Sollte sie sich doch aufführen, wie
sie wollte. Für sie war mir selbst ein kleiner Rachezauber zu schade. Meine
155
Schützlinge waren wichtiger, als Menschen zu bestrafen, die nicht wussten, was
sie taten.
Okay, okay … Ich hatte Larissa schon mal Herpes angehext und meine Gran
und Tante Harmony waren total durchgedreht, als sie es durch einen
Verplapperer von Viv erfahren hatten. Nur meine Mom hatte es ganz amüsant
gefunden.
Ich drehte mich zu Ephraim. »Geht es dir gut?«, fragte ich ihn vorsichtig.
Er lehnte an einem Spind, die Augen fest zugekniffen, und atmete
gleichmäßig ein und aus. Als erst vor kurzem erwachsen gewordener Dämon
konnte ihn faktisch jede Kleinigkeit wütend machen und Wut führte
unweigerlich zur Verwandlung.
Schnell setzte ich ihm die Brille wieder auf. Sie war mit einem Zauber belegt,
der seine Verwandlung stoppen beziehungsweise erst gar nicht erst auslösen
sollte.
»Jetzt wieder«, presste er beinahe atemlos hervor und fuhr sich mit beiden
Händen durch die Haare. »Ich hasse es, wenn das passiert!«
»Hey«, flüsterte ich mit sanfter Stimme und legte eine Hand auf seine
Schulter. »Es ist doch gar nichts geschehen.«
Doch Ephraim machte einen Schritt zurück und senkte den Kopf. »Ich sollte
besser nach Hause gehen. Bye, May.«
»Warte …«
Aber Ephraim hatte sich schon umgedreht und schritt auf den Ausgang zu.
Irgendwie konnte ich ja verstehen, dass er seine Dämonenseite nicht mochte.
Bis in die Spätpubertät hinein waren Dämonen fast menschlich. Sie besaßen
keine besonderen Fähigkeiten wie Hexen, geschweige denn schon körperliche
Merkmale wie die spitzen Reißzähne der Vampire. So konnte man sich sehr gut
daran gewöhnen, ein »Mensch« zu sein.
In dem Moment hörte ich Viv auf ihren hohen Stiefeln herbeistöckeln.
»Bäh«, sagte sie. »Bäh. Das ist einfach nur bäh. Bäh, bäh, bäh! Draußen ist so
schönes Wetter! Ich hätte den Tag in meinem Zimmer verbringen können.«
»Wem sagst du das?« Mit hängenden Schultern schlurfte ich hinter ihr her,
156
hinein in unsere ganz persönliche Folterkammer.
Wie ich sah, waren noch vier weitere Schüler dazu verdonnert worden, den
sonnigen Nachmittag in dieser stickigen Hölle zu verbringen. Unter ihnen
befand sich auch Noah. Er kniff vor Verwunderung kurz die Augenbrauen
zusammen, als er Viv und mich erspähte. Ich wandte sofort den Blick von ihm
ab.
Er war doch an allem schuld! Wenn er mich nicht mit seinem Geschoss
getroffen hätte, wären wir knapp, aber gerade noch pünktlich zum Unterricht
erschienen.
Zu meinem Leidwesen gab es tatsächlich nur sechs Plätze im Raum. Machte
sich wirklich immer jemand die Mühe, die Sitze je nach Anzahl der ungehörigen
Schüler zu arrangieren?
Ich wollte den Stuhl nehmen, der zumindest diagonal von Noah entfernt
stand, aber Viv nahm ihn mir weg.
Da ich keine Szene machen wollte, setzte ich mich vor Noah hin.
Alles kein Problem. Ich würde ihn einfach ignorieren.
»Hast du ein bisschen Hokuspokus betrieben oder warum musst du
nachsitzen, Hexe?«
Ende der Leseprobe
Teresa Sporrer wurde 1994 in der kleinen österreichischen Stadt Braunau am Inn
geboren. Da ihr Heimatdorf fast nur aus Feldern und Bäumen besteht, zieht es
die Autorin seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr regelmäßig auf verschiedene
Rockkonzerte und Festivals. Neben ihrer Liebe zur Musik hegt sie noch eine
große Leidenschaft für Bücher und kümmert sich regelmäßig um ihren eigenen
Bücherblog. Momentan bereitet sich die Autorin auf ihr Lehramtsstudium vor
und arbeitet an neuen Geschichten, die sehr wahrscheinlich wieder von
Rockstars handeln werden.
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Drei Fragen an Teresa Sporrer
© privat
Was hat dich zu deinem neuen Roman inspiriert?
Also, ich studiere ja Geschichte auf Lehramt – und warum? Schon als kleines
Kind habe ich total gerne Dokus über das Alte Ägypten geguckt und ich hatte
sogar ein Buch über die Pharaonen von Disney! Darum war es eigentlich nur
eine Frage der Zeit, wann ich ein Buch mit einem Hauch von ägyptischer
Mythologie schreibe. Zudem hat mich die Serie American Horror Story –
insbesondere Staffel 3 – ein bisschen inspiriert. Ich liebe diesen Mix aus Horror,
dunkler Romantik und Skurrilität.
Welche Figur aus deinem neuen Roman könntest du, ohne mit der Wimper zu
zucken, sterben lassen bzw. welche Figur ist dir am wenigsten sympathisch?
Sterben würde ich keinen einzigen lassen! Auch nicht die Gegenspieler von
May, weil sie daran wachsen wird. Allerdings könnte man auf Mays Exfreund
158
Ephraim verzichten.
Wie sieht deine persönliche Schreib-Playlist aus?
Meine Playlist ist natürlich mega lang, aber ich will Euch mal die besten Songs,
die einfach zur Geschichte passen, nennen:
Automatic Loveletter – To Die For
Panic! At The Disco – Emperor's New Clothes
Pillar – Frontline
Bring Me The Horizon – Throne
The Pretty Reckless – Only You
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Autoreninterview mit Alena und Alexa Coletta
Nicht nur Arbeit, sondern auch gleichzeitig Urlaub!
© privat
(Links Alena Coletta / Rechts Alexa Coletta)
Aus zwei mach eins: Gemeinsam schreibt und bloggt ihr jetzt schon seit einigen
Jahren. Doch als Autorinnenduo seid ihr nicht nur neu in der Impress-Family,
sondern veröffentlicht auch euren ersten eigenen Roman. Wie kann man sich das
gemeinsame Schreiben bei euch vorstellen?
Alena Natürlich sitzen wir nicht immer zusammen, während wir schreiben. Das
Wichtigste ist aber, dass wir am Anfang fast alles absprechen, und erst dann
arbeitet jeder für sich weiter.
Alexa Am Anfang steht immer ein Kick-Off-Workshop: Wir schließen uns für
einen Abend gemeinsam ein und diskutieren Ideen, Figuren, Handlungsstränge.
Alena Daraus basteln wir einen genauen Plan. Der Plot und zum Teil sogar die
einzelnen Szenen stehen also schon, bevor es überhaupt losgeht. Danach teilen
wir auf, wer an was schreibt.
Alexa Und ganz zum Schluss geht jede von uns mehrere Male durch den
gesamten Text. Die letzte Überarbeitungsrunde machen wir dann wieder
160
gemeinsam und zwar am liebsten übers Wochenende in irgendeinem
Ferienhaus, wo uns niemand stört.
Alena Dann ist es nicht nur Arbeit, sondern auch gleichzeitig Urlaub!
Und wie geht ihr damit um, wenn euch mal eine Idee eurer Co-Autorin so gar
nicht gefällt?
Alexa Dann duellieren wir uns. (lacht) Nein, im Ernst, das kam bisher so gut wie
niemals vor. Wenn wir uns uneinig waren, dann höchstens über Kleinigkeiten.
Alena Wir sprechen dann so lange darüber, bis wir eine Lösung finden, die jede
von uns zu 100% mitträgt.
Ihr seid beide sehr versiert im Bereich Social Media, habt euch im Studium auf
Marketing und Fancommunities spezialisiert und betreibt sogar eure eigene
Website. Ist das der Grund dafür, dass sich euer Debütroman »Geteiltes Blut dot
Com« dieser Thematik widmet?
Alena Das hat bei der Ideenfindung bestimmt eine Rolle gespielt, da wir eine
hohe Affinität zu sozialen Netzwerken und digitalen Communities haben. Wir
haben uns ausgiebig mit Social Media beschäftigt und das merkt man sicherlich
auch, wenn man »Geteiltes Blut dot Com« in der Hand hat.
Alexa Aber der Ursprung der Idee zu »Geteiltes Blut dot Com« war es nicht. Wir
wollten einen Roman schreiben, in dem fantastische Wesen vorkommen, der
aber gleichzeitig ist wie unsere Welt heute. Und aus der sind Social Media,
Smartphones und unser digitales Ich schließlich auch nicht mehr wegzudenken.
Alena Dass unsere Protagonisten, die ja Teenager sind, in diese digitale Welt
komplett eintauchen würden, war uns von Anfang an klar. Aber dann fragten wir
uns, wieso nicht auch die Vampire das tun sollten, die in unserer Welt ebenfalls
vorkommen. Und so war die Idee für GeteiltesBlut.com geboren, das eine illegale
Tauschplattform für Blut ist.
161
Euer E-Book trägt den gleichen Namen wie eure Website. Während
geteiltesblut.com im wahren Leben dem Austausch rund um Bücher und Literatur
dient, ist die Seite in eurem Impress-E-Book eine Tauschbörse für Vampire, die
an Blut herankommen wollen. Was war zuerst da, die Idee zum Roman oder die
Website?
Alexa Definitiv die Website. Dass der Name unseres Blogs sozusagen wie die
Faust aufs Auge zu der Plattform passt, die wir uns für den Roman ausgedacht
haben, ist uns erst später aufgefallen.
Alena Der Roman war schon fast fertig und uns fehlte noch immer der perfekte
Name für die Blutplattform. Und dabei hatten wir ihn die ganze Zeit direkt vor
der Nase!
Als Protagonistin und Vampirjägerin von »Geteiltes Blut dot Com« ist die
sechzehnjährige Julie stark, klug und mutig. Trotzdem kämpft sie wider
Erwarten eben nicht an vorderster Front gegen das Böse, sondern agiert als
Hackerin eher im Hintergrund. Wie kommt's?
Alexa Für Julie bedeutet das Hacken durchaus ganz vorn mitzumischen. Im
Roman hängt an mehreren Stellen alles von ihr und ihrem Können als Hackerin
ab – ohne sie wären ihre Verbündeten ganz schön aufgeschmissen. Julie tut
einfach das, worin sie wahnsinnig gut ist.
Alena Uns war von Anfang an wichtig, dass Julie eine starke, unabhängige
Heldin ist. Sie weiß, was sie will, und sie findet Möglichkeiten und Wege, ihre
Ziele zu erreichen. Wir wollten zeigen, dass Stärke sich nicht danach bemisst,
mit einer Waffe in der Hand an vorderster Front zu stehen.
Alexa Abgesehen davon ist in Julies Händen ein Computer eine sehr wirksame
Waffe.
Jetzt mal Hand aufs Herz: Wer von euch beiden ist heimlich in Val verliebt, den
Vampirjäger-Nerd mit dem dunklen Geheimnis? Oder schwärmt ihr insgeheim
162
von einer ganz anderen Figur aus eurem Roman?
Alexa (lacht) Ich glaube, für Val bin sogar ich zu alt. Obwohl ich mit sechzehn
sicherlich begeistert von ihm gewesen wäre. Er liebt Bücher, er hat einen roten
Kater und das Beste: Er ist geheimnisvoll!
Alena Als Julie Val zum ersten Mal begegnet, zieht er sie bedingungslos in seinen
Bann – obwohl sie anfangs misstrauisch ist. Und das zu Recht: Val ist als
Einzelkämpfer bekannt, der sich mit Spielregeln ein wenig schwertut.
Alexa Aber Julie kann auf ihn setzen, denn er scheint der Einzige zu sein, der
wirklich hinter ihr steht. Später wird es natürlich kompliziert, aber mehr
verraten wir nicht!
Alena (lacht) Erwischt!
Alexa Nur ist es häufig so, dass man sich die Finger an solchen heißen Typen
ziemlich schnell verbrennt. Eine Lektion, die Julie lernen muss.
Alena Aber mehr sagen wir dazu jetzt nicht.
Alexa Keinesfalls.
(Beide lachen.)
Wir bedanken uns für das tolle Interview bei Alena und Alexa Coletta, den
Impress-Autorinnen von »Geteiltes Blut dot Com«!
Interviewerin: Nicole Boske
163
164
Stefanie Hasse: »BookElements Prequel. Die
Liebe in den Worten«
Eine Kurzgeschichte zu Stefanie Hasses Erfolgsreihe
»BookElements«
Gab es etwas Langweiligeres als Mrs Breathes Elementarunterricht? Ich war
kurz davor, meinen Kopf auf den Tisch vor mir zu hauen, nur um nicht
einzuschlafen.
Wie toll hatte ich mir diesen Austausch doch vorgestellt! Wie sehr hatte ich
mich allein durch die zahlreichen Bilder in unseren Archiven auf die Akademie
in London gefreut! Schließlich befand sich hier eine der größten Bibliotheca
Elementara der Welt! Ich hatte mich in all den Schätzen vergraben und
wochenlang nicht mehr in der Außenwelt blickenlassen wollen.
»Der Unterricht geht ganz schnell vorbei«, hatten sie gesagt. »Danach könnt
ihr machen, was ihr wollt«, hatte es geheißen.
Bei Aither, es war genau andersherum gekommen. Wir saßen hier von
morgens bis zum späten Nachmittag im Unterricht. Die Lehrer waren so alt,
dass man Angst haben musste, dass sie bei der nächsten Verwandlung in ihre
Elementargestalt zu Staub zerfielen, wie Seelenlose, die von den Wächtern
eingesammelt wurden.
Ich sah im Sekundentakt auf die Uhr. Ohne Witz. Vielleicht verging die Zeit
hier im Schultrakt ja anders. Sie konnte einfach nicht so langsam sein.
Mit einer unsäglichen Monotonstimme leierte Mrs Breathe die Elemente und
ihre Patronen herunter. Etwas, über das selbst ich schon lange Bescheid wusste.
Und das, obwohl meine Eltern keine Elementare waren.
Ich unterdrückte ein Gähnen. Zu Hause war der Elementarunterricht keine
trockene Theoriestunde. Im Gegenteil: Nach höchstens fünf Minuten befanden
wir uns alle in unserer Feengestalt und schwirrten durch den Raum. Denn genau
165
hierfür gab es den speziellen Unterricht – den einzigen, den wir Luftelementare
nicht gemeinsam mit den anderen Elementen besuchten. In ihm sollten wir
lernen, wie wir mit unseren ganz speziellen Kräften umzugehen hatten, wie man
die Strömungen beeinflusste, die Winde rief und sich flüsternd mit der Luft
unterhielt.
Seit wir in London angekommen waren, hatte man uns nicht ein einziges Mal
zur Verwandlung aufgerufen. Es fehlte mir und den anderen ging es genauso.
Wir alle vermissten die Lebendigkeit, die einem die Elemente brachten. Mit
jedem Tag wirkten meine Freunde trostloser.
Endlich der erlösende Gong! Ich sprang schneller auf, als es nach Mrs
Breathes einschläferndem Unterricht hätte möglich sein sollen, und preschte
zum Ausgang. Eben wollte ich mich durch den Spalt drängen, als die Tür
zuschlug und mich beinahe eingequetscht hätte.
Ein falsches Lachen war zu hören. Ich kniff die Augen zusammen und fuhr
herum. Schon machte sich mein Element bemerkbar und meine blonden Haare
flatterten leicht hin und her.
Mit einem strahlenden Lächeln, das in etwa so sympathisch wirkte wie das
eines Dämons (und damit meine ich nicht eine heiße Bad-Boy-Gestalt, sondern
die schleimtriefende Grün-und-mit-Hörnern-Version), sah Carmen in meine
Richtung. Sie war der Inbegriff einer Latino-Schönheit und stach zwischen den
in der Regel blonden Luftelementaren so stark heraus wie ein schwarzes Schaf in
einer weißen Herde. Was sie auch war. Das Schaf, meine ich. Leider sah das
kaum einer – vor allem die männlichen Wächter in Ausbildung begannen alle
konstant zu sabbern, wenn sie in der Nähe war.
Während ich ihr einen tödlichen Blick zuwarf, öffnete ich die Tür hinter
meinem Rücken wieder und schlüpfte rückwärts hindurch. Ehe ich jedoch
verschwand, ließ ich meinen Finger noch kurz kreisen und schnippte in ihre
Richtung.
Und nun schnell weg!
Das laute Kreischen war auch noch weiter unten im Flur zu hören. Gleich
darauf stürmte mir Carmen hinterher. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab
166
und aus der kunstvollen Hochsteckfrisur war ein Vogelnest geworden. Ich konnte
mir ein Kichern nicht verkneifen, während ich aus dem schnellen Schritt ins
Rennen verfiel.
Kurz bevor ich um die Ecke bog, sah ich noch, dass Mrs Breathe Carmen
gefolgt war und bei ihr anhielt. Hoffentlich hatte sie das Biest dabei erwischt,
wie es sein Element auf mich schleudern wollte. Aber das waren wohl
Wunschgedanken.
Ich eilte weiter zur nächsten Unterrichtsstunde. Auch wenn diese erneut aus
zäher Theorie bestand, gab es doch einen Lichtblick: Gemeinschaftsunterricht
mit Ric.
***
Die Feuerelementare hatten ihren Fachunterricht direkt neben dem Kursraum
gehabt, zu dem ich nun musste, was bedeutete, dass Ric schon auf mich warten
würde.
Mein Herz klopfte aufgeregt, während ich die langen Flure passierte. Mein
Elementaranhänger pulsierte, was wieder einmal bewies, dass mein Element an
meine Emotionen gekoppelt war. Aber wie hätte ich auch nicht aufgeregt sein
können?
Ich musste nur an Ric denken und schon raste mein Puls und ich fühlte mich
wie in den kitschigsten Liebesschnulzen. Etwas langsamer bog ich um die letzte
Ecke – es wäre nicht das erste Mal, dass ich in jemanden hineinkrachte und auch
wenn ich vorbereitet war, verschlug es mir den Atem, als ich ihn endlich sah.
Seine goldenen Augen funkelten und begannen regelrecht zu strahlen, als
mich sein Blick erfasste. Wer Ric nicht kannte, hätte ihn vermutlich für einen
Seelenlosen gehalten. Einer dieser zahlreichen männlichen Figuren aus
Büchern, die den weiblichen Lesern die Köpfe verdrehten. Zudem sah er nicht
nur schwindelerregend gut aus, sondern war auch noch die Freundlichkeit und
Liebenswürdigkeit in Person. Trotz aller Schicksalsschläge, die er im Hinblick
auf seine Familie hatte durchmachen müssen, war er ein so netter Mensch
167
geworden.
Na ja, meistens zumindest. Stand irgendwo ein Wettkampf oder die
Möglichkeit an, sich zu beweisen, kam der Ric zum Vorschein, den ich weniger
mochte. Der, der immer alles besser können musste.
Zum Glück war das selten der Fall.
Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem schüchternen Lächeln und ich
konnte nicht anders, als den Ausdruck zu spiegeln. Ich wusste bis heute nicht,
wann genau sich die Freundschaft zwischen uns verändert hatte, doch
irgendwann hatten wir es beide gespürt.
Ich ging auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen. Umhüllt von seiner ganz
eigenen Note des typisch rauchigen Geruchs der Feuerelementare hatte er eine
enorme Anziehungskraft auf mich. Ich biss mir auf die Lippen.
Er zupfte nervös an seiner Cargohose herum.
»Wollen wir reingehen?«, fragte er mich schließlich und ich nickte, froh
darüber, dass ich nichts hatte sagen müssen.
In solchen Dingen war ich wohl nicht sehr gut. Ich hatte während meiner
Ausbildung zigtausend Romance-Bücher verschlungen, so viele Liebesszenen,
und doch benahm ich mich dämlicher als die schlimmste Buchfigur. Aber es
war ja auch Ric, bei Aither! Er verschlug nahezu dem ganzen Jahrgang den
Atem. Und doch hegte er Gefühle für mich. Davon ging ich zumindest aus.
Ausgesprochen hatten wir es noch nicht direkt.
»Solltest du mal Lust auf eine richtige Frau an deiner Seite haben, kannst du
dich gerne melden.« Carmen stolzierte an uns vorbei, warf mir einen abfälligen
Blick zu und klimperte mit den Wimpern, als sie dabei Rics Schulter wie zufällig
berührte.
Hatte ich erwähnt, wie ich diese Frau hasste?
Mein Element meldete sich.
»Miss East«, zischte Mr Clifford, den ich bisher gar nicht gesehen hatte. Er
war der typische Erdelementar: Er war nahezu unsichtbar und stand nicht gerne
im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Für einen Lehrer natürlich äußerst
unpraktisch. Aber seine beruhigende Art konnte die größte Chaosklasse zur
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Ruhe bringen. Er deutete auf meine sich durch den Ärger wandelnde Gestalt.
Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern und betrat den Kursraum. Dort
atmete ich tief durch, ehe ich zu meinem Platz ging, gefolgt von Ric, der sich an
den Tisch daneben setzte. Auch die anderen Schüler traten ein und der Raum
füllte sich schnell.
Während Mr Clifford verschiedene Fotos an die Wand projizierte, die man so
schnell wie möglich den Buchfiguren zuordnen musste, die sie darstellen
könnten, warf ich immer wieder verstohlene Blicke zu Ric hinüber.
»Daemon«, stöhnte ein Junge. Ich sah flüchtig zur Wand. Wenn die Gerüchte
stimmten, war er eine der Buchfiguren, denen ich im Laufe meines Lebens noch
öfter begegnen würde. Um ihn anschließend in sein Buch zurückzuschicken.
Wer nicht gerade einen Ric an seiner Seite hatte, konnte Daemon Black
natürlich schon verfallen. Oder Edward und wie sie alle hießen. Waren beim
Lesen zu viele Emotionen im Spiel, tauchte die Buchfigur unwillkürlich in der
Nähe auf. Nicht unmittelbar – ich fürchte, dann könnten wir die armen Leser oft
auch nicht mehr retten –, aber irgendwo in einem Radius von fünf Kilometern.
Sollte es so weit gekommen sein, war es der Job der ausgebildeten Wächter
der Bibliotheca Elementara, die Figuren wieder einzufangen.
Ja, so würde meine Zukunft aussehen. Jede Nacht unterwegs, um
herausgelesene Seelenlose zu jagen. Zumindest wenn ich die Prüfungen bestand.
Jace, Percy, Katniss … die Namen verschwammen zu einem
Hintergrundsummen, während ich in Rics goldene Augen eintauchte. Wer
brauchte schon einen Book-Boyfriend, wenn etwas viel Besseres direkt neben
einem saß und für ein Kribbeln sorgte, wo auch immer er mich zufällig
berührte?
***
Politik und Sozialkunde waren ätzend. Nicht nur weil ich in diesen Stunden
ständig – wirklich ständig daran erinnert wurde, dass ich keine starke Blutlinie
hatte (mein Vater war kein Elementar gewesen, sondern hatte das Gen nur an
169
mich weitervererbt), sondern weil der Unterricht wieder bei Mrs Breathe
stattfand.
Ein kleiner Zettel flog auf meinen Tisch. Ich sah wieder zu Ric, der jedoch
seinen Kopf wieder vorbildlich nach vorne gerichtet hatte.
Steht unser Date noch?
Ich wurde feuerrot bei dem Gedanken daran und mein Herz glaubte, vor Freude
aussetzen zu müssen.
Wir hatten es bereits vor der Reise hierher vereinbart: Unser erstes Date – ein
richtiges Date, kein gemeinsames Ausgehen unter Freunden sollte hier in
London stattfinden. Meine Gedanken wirbelten herum wie in einem Karussell
und mein Magen schwebte wie im Freefall-Tower. Dazu kamen die ganzen
Fantasien, die mir all die Bücher in den Kopf gepflanzt hatten. Bilder von
romantischen Sonnenuntergängen, zärtlichen Küssen und Schmetterlingen im
Bauch. Was Erwartungen an die Romantik anging, war unser Job wohl der
denkbar schlechteste.
Dennoch machte eben jene Vorfreude dieses geplante Date noch viel besser
und ich kostete jede Sekunde davon aus. Hastig kritzelte ich unter seine Notiz:
Ich freue mich schon auf morgen.
Anschließend faltete ich den Zettel zu einem kleinen Papierflieger zusammen,
legte ihn vor mich und rief eine leichte Brise herbei, die das Flugzeug zum
Starten brachte und sanft direkt vor Ric absetzte.
Vorsichtig glättete er die Nachricht und lächelte beim Lesen. Der Blick, den
er mir anschließend zuwarf, seitlich, unter halb gesenkten Lidern, entflammte
mein Innerstes. Wieder einmal konnte ich mein Glück kaum fassen: Dieser
Junge – dieser perfekte Mensch gehörte zu mir. Wie zur Unterstützung machte
mein Herz einen kleinen Satz.
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»Miss East, Mr Fiorenzo«, drang irgendwann die monotone Stimme von Mrs
Breathe an mein Ohr, wie durch mehrere Lagen Watte – oder vielleicht auch
rosarote Wolken. Benommen riss ich mich von Rics Augen los und sah nach
vorne.
Die Lehrerin sah mich erwartungsvoll an, dann kniff sie die Augen
zusammen und ich hatte Angst, dass sie zwischen den vielen Falten
verlorengehen könnten.
Mrs Breathe räusperte sich. »Sicher können Sie mir die oberste Regel der
Wächter nennen.«
Bei Aither! Das wurde uns nun wirklich täglich eingetrichtert. »Wir dürfen
nicht außerhalb der Bibliotheca Elementara Bücher lesen.« Meine Stimme klang
in etwa so aufregend wie ihre.
»Und wieso nicht, Mr Fiorenzo?«
»Weil das Lesen dazu führen kann, dass Seelenlose aus ihren Büchern
herausgelesen werden und in der Gegend herumirren. Manche von ihnen sind
gefährlich. Wir Wächter lesen nur innerhalb der heiligen Räume, wo unsere
Emotionen eingefangen werden, ehe sie in die Seiten eindringen und weitere
Seelenlose erscheinen lassen.«
Ich stöhnte innerlich. Erstens, weil er so streberhaft klang und natürlich
mustergültig antwortete, und zweitens, weil das, was er geantwortet hatte, das
weitaus Schlimmste an diesem an sich tollen Job war: Wir durften nicht mit
Emotionen lesen.
Sie wurden uns beim Lesen abgesaugt. Keiner hat je erklärt, wie das
funktionierte, aber es war einfach schrecklich. Die Tatsache, dass sich der
spannendste Roman dadurch genauso las wie das Telefonbuch, machte aus
unserem täglichen Recherchelesen eine wahre Tortur. Vielleicht quälte uns Mrs
Breathe deshalb mit dieser Art Unterricht – um uns auf das Lesen in der
Bibliotheca vorzubereiten.
Unsere Lehrerin nickte zufrieden, ich jedoch warf Ric einen finsteren Blick
zu und flüsterte lautlos: »Streber!«
Lächelnd schüttelte er den Kopf.
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Der Gong erlöste uns vom heutigen Tag und mein innerer Date-Countdown
meldete sich. Ric und ich schlenderten gemeinsam zum Speisesaal, scherzten
und alberten herum, um unsere Aufregung zu überspielen, als klappernde
Absätze hinter mir Carmen andeuteten. Doch nicht nur sie. Es waren zwei Paar
Schuhe.
»Ich kann einfach nicht verstehen, wie sich manche mit dem Abschaum
abgeben können. Sie hat eine unreine Blutlinie«, flüsterte Carmen der anderen
Person zu. Wobei sie so laut flüsterte, dass ich es natürlich hören konnte.
In mir verkrampfte sich alles. Sie war die einzige Person, die sich überhaupt
daran störte. Rics Theorie dazu war, dass Carmen länger nach einem Makel an
mir gesucht hatte und nicht fündig geworden war – und sich deswegen auf die
Sache mit meinem Dad gestürzt hatte. Er meinte jedoch auch, diese Art zu
denken sei vollkommen überholt. So etwas wäre ihm lange nicht begegnet – und
wenn, dann höchstens bei sehr alten Wächtern. Aber Eifersucht ließ manche
Leute zu Biestern werden und Carmen war die Königin von ihnen.
Nichtsdestotrotz spannte sich mein Körper an und ich hatte nicht wenig Lust,
ihre Frisur erneut durcheinanderzubringen. Ric griff nach meiner Hand – was
für einen wohligen Schauder sorgte und zog mich näher an sich heran. Es tat so
gut, dass er hinter mir stand. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und
Carmen und ihrer kichernden Begleitung die Zunge herausgestreckt.
***
Nur noch wenige Stunden – ein Schultag – und ich würde mein erstes Date mit
Ric haben! Ich war aufgeregt und hibbelig und schlief nicht einmal im
Elementarunterricht ein. Nein, ich brannte viel zu sehr darauf, zum
Gemeinschaftsunterricht überzugehen und Ric zu treffen.
Beim Frühstück im Speisesaal war er ein wenig verschlossen gewesen – aber
das hatte morgens nichts zu bedeuten. Daher freute ich mich auf den
strahlenden Blick, den ich gleich genießen würde.
Selbst die Sticheleien von Carmen waren angesichts des kommenden Dates
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an mir abgeprallt. Sollte sie sich ihre Bemerkungen doch sonst wohin stecken.
Ich bog wieder einmal vorsichtig um die gefährliche Ecke und mein Herz
setzte bereits zum Sprung an. Leider umsonst, denn Ric war nicht zu sehen.
Ganz gleich wie oft ich meinen Blick über die Wächter-Azubis gleiten ließ, die
sich wie an den Tagen zuvor vor dem Kursraum tummelten, nirgendwo waren
goldene Augen zu sehen.
Auch als der Gong ertönte, war er noch nicht aufgetaucht. Also betrat ich
schließlich den Kursraum. Die letzte Hoffnung, er könnte vielleicht dort auf
mich warten, zerplatzte beim Anblick seines leeren Platzes wie eine Seifenblase.
Auch in der Mittagspause konnte ich ihn nirgendwo entdecken und begann
mir Sorgen zu machen. Auf meine SMS reagierte er genauso wie auf meine
zahlreichen Anrufe – gar nicht.
Daher war die Erleichterung greifbar, als ich ihn nach der Mittagspause im
nächsten Kursraum sitzen sah. Doch wegen all der Anrufversuche kam ich in
nahezu letzter Sekunde und es blieb keine Zeit mehr, mit ihm zu sprechen.
Ich ließ es mir jedoch nicht nehmen, über seinen Rücken zu streichen, als ich
an ihm vorbei zu meinem Tisch ging. Doch anstatt zu lächeln, spannte er sich
an. Mir war, als hätte ich im Training einen Schlag in den Magen bekommen.
Alles okay bei dir?
Ich ließ das kleine Boot zu ihm herübersegeln.
Mit zusammengepressten Lippen faltete Ric es auseinander und las. Kurz
kritzelte er eine Antwort und warf mir das zum Bällchen geknüllte Papier
zurück.
Ja.
Das war ja mal eine Antwort.
Trotz meines immer präsenter werdenden Date-Alarms bildete sich ein
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Knoten in meinem Magen. Ich konnte einfach nicht anders, ich musste wissen,
ob er es sich anders überlegt hatte.
Steht unser Date noch?
Natürlich.
Ich lächelte zu ihm herüber. Er musste meinen Blick gespürt haben, denn er
wandte mir sein Gesicht zu. Und verzog es dann zu etwas, was nicht annähernd
einem Lächeln gleichkam. Was war nur in ihn gefahren? So distanziert hatte ich
ihn nicht mehr erlebt, seit die Sache mit seiner Familie passiert war.
Der Gedanke ließ mich zusammenfahren. Nicht, dass sich das wiederholt
hatte. Und ich Idiotin machte mir Gedanken wegen des Dates. Ich schluckte.
Ich freue mich auf heute Abend, notierte ich auf einem neuen Zettel. Und für alle
Fälle fügte ich noch ein Alles wird gut hinzu.
Als er es las, sah ich, wie er heftig schluckte. Es war sicher etwas vorgefallen.
Ich grübelte den Rest der Stunde vor mich hin.
»Bis nachher«, sagte Ric pünktlich zum Gongschlag in meine Richtung und
sprang auf. Ich hatte nicht die geringste Chance, ihn zurückzuhalten. Er war
bereits weg, bevor ich auf den Beinen war.
Den nachfolgenden Knoten in meinem Magen versuchte ich mit den
Vorbereitungen für unser Date zu vertreiben. Ich wollte gut aussehen für ihn,
ließ Phoebe, eine Wasserelementarierin, sogar mein Make-up machen. Der
Abend sollte besonders werden.
***
Überpünktlich stieg ich die Treppe zur Eingangshalle hinab. Sie glich –
abgesehen von der imposanten Größe nahezu der von zu Hause. Ganz gleich, wo
auf der Welt ich mich befand, ich würde mich bei den Wächtern immer wie
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daheim fühlen. Umrahmt von der Magie der Bücher. Aber im Moment verspürte
ich nur Unruhe.
Genau hier, am Fuß der Treppe, hatten wir uns genau jetzt treffen wollen.
Lange ließ ich meinen Blick über die Halle schweifen, meine Augen zuckten
jeder Bewegung entgegen. Vor Aufregung krallte ich mich an dem Träger
meiner Umhängetasche fest, als wäre er ein Rettungsseil. Doch so sehr die
Zeiger auf der großen Uhr auch voranschritten – Ric tauchte nicht auf. Das
ungute Gefühl im Magen war in meinem Inneren zu einem wahren Tornado
angewachsen. Ich musste wissen, was los war.
Also ging ich wieder nach oben zu den Wohnräumen, klopfte an seine Tür,
wählte seine Nummer und ließ das Handy endlos klingeln. Keine Reaktion. Ich
lief weiter, fragte jeden, dem ich begegnete, nach Ric. Doch niemand schien ihn
gesehen zu haben.
Ich traf auf Josh, einen anderen Feuerelementar, und fragte ihn aus. Er
runzelte die Stirn und überlegte. Wenigstens sagte er nicht sofort »Nein«.
»Ich glaube, ich habe ihn vorhin mit Carmen zusammen gesehen.«
Meine Gesichtszüge entgleisten und ich hatte plötzlich Mühe, zu schlucken,
daher ruderte Josh sofort zurück.
»Kann aber auch sein, dass ich mich getäuscht habe.«
Ohne etwas zu sagen, ging ich davon. Er musste sich getäuscht haben.
Carmen war … Carmen. Niemals würde Ric … mein Ric. Der Kloß in meinem
Hals wurde größer und größer. In der Halle sah ich Esperanza, Carmens
Zimmernachbarin. Sie kamen aus demselben Institut. Hastig durchquerte ich
die Halle und versuchte meine zitternden Hände unter Kontrolle zu bringen.
»Weißt du, wo Carmen steckt?«, fragte ich bemüht ruhig, obwohl meine
Elementarkette bereits pulsierte.
»Wir wollten essen gehen, aber sie hat mich versetzt«, grummelte diese
sofort. »Sie hat ein Date mit diesem sexy Italiener, dem Feuerelementar.
Vermutlich geht es dort bereits sehr heiß zu.« Esperanza verdrehte die Augen.
Ich schaffte nicht mehr als ein kurzes Nicken, dann stürmte ich davon. Mein
Element folgte mir flüsternd, doch ich wollte nur noch weg. Raus. Weg von Ric.
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Ich hatte geglaubt, er wäre besser als andere Jungs, besser als all die Typen in
Büchern.
Doch ich hatte mich getäuscht. Der Schmerz fraß sich durch mein Inneres,
legte sich wie eine Eisschicht um mein Herz, während ich alleine durch die
Gassen von London rannte.
Der kleine Buchladen, der plötzlich wie aus dem Nichts vor mir auftauchte,
sprach all meine Sinne auf einmal an. Ich durfte keine Bücher besitzen, aber das
war mir in diesem Moment egal. Entschlossen trat ich ein.
Ende
Stefanie Hasse lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen im Süden Deutschlands.
Als Buchbloggerin taucht sie stets in fremde Welten ein und lässt ihrer eigenen
Kreativität in ihren Romanen freien Lauf. Ihre zwei fantasybegeisterten Kinder
machen ihr immer wieder aufs Neue deutlich, wie viel Magie es doch im Alltag
gibt und dass mit einem kleinen Zauber so vieles einfacher geht.
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Neugierig geworden? Die E-Box erscheint am 07. April 2016 –
alle drei Bände der Reihe in einer Box:
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Preview unseres Frühlingsprogramms
Alle kommenden Impress-Romane auf einen Blick!
Du willst wissen, welche Impress-Romane von April bis Juni erscheinen und
Dein Herz höher schlagen lassen? Blättere weiter und finde es heraus!
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Bis zum nächsten Mal!
Euer Impress-Team

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