Was eint und was trennt die abrahamitischen Religionen aus

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Was eint und was trennt die abrahamitischen Religionen aus
Akademietagung „Der eine Stammvater Abraham?
Zum Verhältnis von Juden, Christen und Muslimen“
am 27./28. Juni 2008 in Tutzing
Was eint und was trennt die abrahamitischen Religionen
aus christlicher Sicht?
Prof. Dr. Wolfgang Beinert
0. Der Rahmen der Fragestellung
Die Formel von den abrahamitischen oder abrahamischen Religionen1 ist, wie es im
Vorwort zur Tagungsausschreibung treffend heißt, ein terminus technicus des interreligiösen Dialogs. Es geht mithin bei der hier gestellten Aufgabe letzten Endes um die
Frage, ob ein echtes und sinnvolles Gespräch zwischen Juden, Christen und Muslimen denkbar ist. Sinnvoll meint in diesem Kontext: Der Dialog führt dazu, eine wie
auch immer beschaffene Einigung zwischen den von ihnen vertretenen Religionen
vorzubereiten oder gar in die Wege zu leiten. Dieser Aufgabe kann nur entsprochen
werden, wenn nachstehende, von den Gesetzen des Dialogs selbst verlangte Prämissen gegeben sind: Das Gespräch muss
1. notwendig,
2. erfolgversprechend und
3. vollzugsfähig sein.
Das aber entscheidet sich in unserem Fall genau daran, ob es hinreichend viel Potential bei allen zur Debatte stehenden Glaubensgemeinschaften, also (in chronologischer Reihung) Judentum, Christentum, Islam, im Folgenden kurz Religionen genannt, gibt, das eine Erfüllung der genannten Voraussetzungen gewährleistet. Das
wird nachstehend aus christlicher Perspektive erörtert.
1. Gesprächsnotwendigkeit
Über Jahrhunderte gab es für alle fraglichen Religionen nicht nur keine Notwendigkeit, sondern es galt im Gegenteil die strenge Unmöglichkeit des gegenseitigen Meinungsaustausches. Sie war von der These des Exklusivismus bestimmt, wonach die
eigene Glaubensanschauung die einzige, die gottgewollte, die wahre Religion sei,
alle sonstigen mithin satanische Perversionen, ein abscheulicher Irrtum, den man nur
bekämpfen könne. Das wiederum gelang am nachhaltigsten, wenn man deren Vertreter auszurotten und der verdienten Höllenstrafe zuzuführen bemüht war. Die einzige Alternative zur Vernichtung war die Mission an den Verblendeten. Vor dem Kopfschütteln über solche Thesen sollte man bedenken, dass Judentum wie Christentum
wie Islam sich als Offenbarungsreligionen verstehen, die davon ausgehen, dass sich
ihnen und nur ihnen Gott selbst kundgetan und ihnen seine absolut verpflichtenden
1
Eingebürgert hat sich abrahamitisch. Dagegen positioniert sich zugunsten des Begriffs abrahamisch K.-J. Kuschel, Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt und was sie eint, Neuausgabe, Düsseldorf
(2001) 52006, 310 (Anm. Motto und Vorwort 1) mit dem Hinweis, abrahamitisch bedeute „abraham-artig“ oder
„abraham-ähnlich“, während abrahamisch „sachlich und präzise abraham-entsprechend, abraham-verpflichtet“
meine. Aber darin liegt bereits die These dieses Werkes beschlossen. Wir wollen nachstehend einfach der locutio
communis folgen.
2
Weisungen und Lebensregeln gegeben habe. So gibt es nur eine Orthodoxie und nur
eine Orthopraxie: die der eigenen Religion. Das scheint eine sehr logische und konsistente Schlussfolgerung zu sein. Wie sie mit Toleranz kompatibel sein soll, ist kaum
zu sehen.
Ihr Fehler allerdings liegt darin, dass es in allen Religionen authentische Elemente
gibt, die diesen rigorosen Exklusivismus konterkarieren2. So lief immer wieder der
Gedanke um, dass die Völker durch die Religion versöhnt werden könnten, ohne den
eigenen Glauben aufzugeben. Auf dieser Schiene hatte bereits im 15. Jahrhundert
Nikolaus von Kues von der pax fidei geträumt3. Für das Christentum kann man sich
gegen den Exklusivismus beispielshalber auf den universalen Heilswillen Gottes berufen (1 Tim 2,4), der nur als vollkommen wirkmächtig zu denken ist. Die christlichen
Kirchen haben sich spätestens im 20. Jahrhundert allesamt ausdrücklich zur Heilsmöglichkeit auch der Angehörigen anderer Religionen bekannt. Vielleicht am dezidiertesten hat sie die römisch-katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil
ausgesprochen. Die Fundamentalansage steht in Nr. 16 der Kirchenkonstitution Lumen gentium. Ausdrücklich werden unter soteriologischem Aspekt „in erster Linie“ die
Juden und unter den anderen „besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen“ auf das Volk Gottes und damit auf das Heil hingeordnet. Entfaltet
wird diese Theologie in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate, vornehmlich in den Nummern 2 – 44. Ausdrücklich hat die im Vatikan angesiedelte Internationale Theologenkommission unter
Hinweis auf die Konzilsdokumente erklärt, dass der Exklusivismus nicht mehr das
katholische Religionenverständnis wiedergebe5.
Auch im Protestantismus setzt sich mit prinzipiell gleicher Klarheit die Auffassung
durch, dass vornehmlich die Juden, aber auch die Anhänger des Islam zur Gemeinschaft Gottes finden können. Hinsichtlich der ersteren ist bahnbrechend eine Studie
des Rates der EKD von 1979 mit der Überschrift „Christen und Juden“, der zahlreiche andere gefolgt sind6. Für die Einschätzung des Islam kann man auf ein Arbeitsbuch der VELKD von 1990 verweisen. Der Titel: „Was jeder vom Islam wissen
muss“7. Zu erwähnen sind in diesem Kontext auch die „theologischen Leitlinien“, die
die EKD unter dem Titel „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“ 2003
herausgegeben hat8, sowie die vom Ökumenischen Rat der Kirchen erstellten „Ökumenischen Erwägungen zum Dialog und zu den Beziehungen mit Menschen anderer
Religionen“ von 20029.
2
K.-J. Kuschel, a.a.O. 224-238.
Nikolaus von Kues, De pace fidei: E. Döring (Hg.), Nicolaus Cusanus, Philosophische und theologische Schriften, Wiesbaden 2005, 486-516.
4
In folgenden Konzilstexten wird auf Abraham Bezug genommen: LG 16; PO 22; DV 3, NA 3.
5
Das Christentum und die Religionen (= Arbeitshilfen 136), Bonn 1996. Siehe auch die Stellungnahme der
Französischen Bischofskonferenz „Catholiques et musulmans. Un chemin de rencontre“ (Documents Episcopales 6/7, avril 1999.) sowie Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Christen und Muslime in Deutschland
(= Arbeitshilfen 172), Bonn 2003.
6
R. Rendtorff – H. H. Henrix (Hgg.), Die Kirchen und das Judentum. Dokumente von 1945-1985, Paderborn –
München 1988.
7
Lutherisches Kirchenamt der VELKD und Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.), Was
jeder vom Islam wissen muß, Gütersloh 1990.
8
EKD (Hg.), Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien (EKD-Text 77), Hannover 2003.
9
www.wcc-coe.org/wcc/what/interreligious/glimes-g.html
3
3
Seit 1985 organisiert auch das Zentrum des Ökumenischen Patriarchats in Chambésy einen interreligiösen Dialog aus orthodoxer Perspektive10.
Nach christlicher Auffassung, so kann man heute konstatieren, besteht also eine
zwar nicht institutionelle, aber sehr wohl reale, theologisch zwingend anzuerkennende Gemeinschaft aller Juden, Christen und Muslime, welche in letzter Tiefe in der
allumfassenden Liebe Gottes gründet. Er hat sie alle zur ewigen Gemeinschaft mit
sich berufen. Darum bilden sie auch schon immer, in jeder geschichtlichen Konstellation, untereinander eine in Gott fundierte Gemeinschaft. Zu den wesentlichen Voraussetzungen und Grundlagen von Gemeinschaft aber gehört der Dialog. Nur so
kann die unter Menschen grundsätzlich, unter Mitgliedern unterschiedlicher Religionen a fortiori herrschende Verschiedenheit in einer humanen Einheit zusammengehalten werden. Als theologische Formel für diese Notwendigkeit bietet sich der Begriff der Katholizität an. Er umschreibt die gemeinchristliche Überzeugung, dass die
Fülle der Gnade Gottes der Gesamtheit der Schöpfungswirklichkeit zuteil wird. In den
anderen Religionen muss sich daher, schwört man dem Exklusivismus ab, „ein Strahl
jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“. Dann aber trifft für
alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu, was das Zweite Vatikanum von der eigenen behauptet: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab,
was in diesen Religionen wahr und heilig ist“11.
Das Gespräch zwischen Christen und Nichtchristen insgesamt ist per se, mit den
Juden und Muslimen auf Grund der besonderen geschichtlichen Konstellationen und
Bezüge in herausgehobener Weise notwendig. Diese Notwendigkeit bedingt ihrerseits die Notwendigkeit, die gegebene Einheit in der Wahrheit zu suchen, zu erhellen
und zu formulieren. Das schließt allerdings nicht aus, dass weitere Faktoren den Dialog behindern oder verunmöglichen. Die beiden anderen der eingangs genannten
Prämissen müssen mithin überprüft werden.
2. Erfolgsaussichten
Das Gelände wird mit einem Schlag unwegsamer. Die Parteigänger des interreligiösen Dialogs gebrauchen gern den Begriff der Religionenökumene. Das legt nahe, ihn
gleichsinnig mit dem oder doch analog zum Dialog der christlichen Konfessionen zu
verstehen und zu benutzen. Davor ist aber dringlich zu warnen: Es besteht die Gefahr, einem Irrtum aufzusitzen. Das griechische Wort οικουµένη bedeutet zwar die
ganze bewohnte Erde, gemeint war aber in der ekklesialen Verwendung nur deren
christliche Bevölkerung. Wenn man seit dem 19. Jahrhundert von der Ökumene
spricht, sind dementsprechend stets nur die Christen bzw. ihre voneinander getrennten Vergemeinschaftungen im Blick. Basis solcher Rede ist die Überzeugung, dass
es ungeachtet unterschiedlicher, als gravierend empfundener Differenzen in den
Glaubenansichten einen festen Grundbestand der Quellen wie ihrer Interpretationen
gebe, der das gemeinsame nomen christianum rechtfertige. Katholiken wie Protestanten, Orthodoxe wie Menonniten und alle anderen Christen haben als Glaubensnorm die Heilige Schrift Alten wie Neuen Testamentes, sie bekennen sich gleicherweise zu den altchristlichen Symbola, stehen auf dem Boden der altchristlichen Konzilien. Sie halten die Trinität Gottes wie die gott-menschliche Homoousie Jesu Christi
für unverzichtbare Grundlagen zur Gewinnung ihrer Seelen Seligkeit. Am Anfang
stand denn auch nach der gemeinchristlichen Überzeugung die eine Kirche, die un10
11
Vgl. D. Papandreou, Möglichkeit und Notwendigkeit interreligiöser Dialoge: US 53 (1988) 115-125.
NA 2.
4
geteilte Christenheit, in der es zwar von Anfang an dogmatische und ethische Differenzen gegeben hat, die aber das vinculum caritatis et unionis nicht sprengten. Ökumenismus heißt: So muss es wieder werden! Wir wissen alle, wie schwer es fällt, den
Wunsch zu realisieren.
Zwischen den Religionen hingegen besteht keine auch nur annähernd vergleichbare
Gemeinsamkeit. Sie besitzen kein allgemein anerkanntes kanonisches Buch. Sie
verfügen über keine ähnliche Breite gemeinsamer Tradition. Es gibt keine belastungsfähige Konvergenz im Gottesbegriff. Unter der christlichen Perspektive: Juden
wie Muslime halten die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes für Polytheismus; Juden
können Jesus von Nazaret nicht als Messias, Muslime nicht als letzten Offenbarungsträger und als Gott anerkennen. Das verbietet sogar, wie sich beim Religionentreffen von Assisi 1988 mit Johannes Paul II. gezeigt hat, dass sie miteinander
beten. So abstrakt richtig es natürlich ist, dass es nur einen Gott geben kann, so bedenklich wäre ein solcher Vollzug: Beten ist eine menschliche und damit vernunftgeleitete Aktivität, hinter der konzise Vorstellungen über Gott einschließlich der Rückweisung der damit nicht vereinbaren Konzepte stehen. Diese aber divergieren zwischen Juden, Christen und Muslimen ganz beträchtlich. Für die ersten wie die letzten
beten die mittleren, die Christen, schlicht einen Nonsens an – sie geben den Monotheismus auf. Natürlich vertreten auch die Christen Anschauungen, die die anderen
nicht akzeptieren können. Das trifft besonders, wie noch gezeigt werden muss, für
das Kennwort „Abraham“ zu. Schwer wiegend auch: Christen bestreiten zusammen
mit den Juden die außerordentliche Qualität Mohammeds als Propheten. In allen diesen Problemkreisen geht es für die jeweilige Religion nicht um eine nachrangige
Aussage in der Rangordnung der Wahrheiten, sondern einschränkungs- und vorbehaltlos um den status confessionis.
Wenn dem so ist, ist selbstverständlich auch das Verständnis der Einheit völlig anders. Zwar herrschen in der christlichen Ökumene recht unterschiedliche Vorstellungen über Modus und Gestalt christlicher Einheit – organische Union, Rückkehrökumene, versöhnte Verschiedenheit, differenzierter Konsens sind einige der hier aufzurufenden Stichworte -, doch herrscht vollkommener Konsens darüber, dass am Ende
des ökumenischen Prozesses eine einzige Kirche stehen müsse, weil man nur so
dem Willen des gemeinsamen Herrn gerecht werde, dass ein Hirt und eine Herde
seien (Joh 10, 16).
Das Ziel des interreligiösen Gesprächs ist vollkommen anders. Die Religionen haben
sich anders als die christlichen Kirchen (ungeachtet mancher Missverständnisse12)
niemals als eine ursprüngliche Einheit begriffen, sondern als Gemeinschaften mit
eigener Identität von Anbeginn, die nicht an letzter Stelle aus dem Anderssein gegenüber den anderen Religionen gespeist worden ist. Die einzige „natürliche“ Möglichkeit einer Behebung der Trennung schien, wie angedeutet, die Mission zu sein,
d.h. die Zumutung, die bisherige Identität zugunsten der Annahme einer anderen
aufzugeben: Christen können etwa jüdische Proselyten, Muslime christliche Konvertiten werden. Wenigstens das christliche Missionsverständnis aber hat sich im abgelaufenen Jahrhundert erheblich gewandelt. Es peilt nicht mehr die „Bekehrung der
Ungläubigen“ an. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist Mission „Epiphanie und
Erfüllung des Planes Gottes in der Welt und in der Geschichte“13 und schließt wesentlich medizinische, karitative, entwicklungstechnische und erzieherische Maß12
13
Johannes von Damaskus (+ 750) hielt den Islam für eine christliche Häresie.
AG 9.
5
nahmen ein. Auch das Dokument „Ökumenische Erklärung über Mission und Evangelisation“ des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1982 leitet ein ähnliches Verständnis14. Die Entscheidung zu dieser oder einer anderen Religion kann nur aus der
Erkenntnis der Wahrheit durch den Einzelnen gefällt werden; diese Wahrheit wiederum kann keinen anderen Anspruch als sie selbst stellen. Sie ist ein innerliches Geschehen15. Eine finale Einheit der Religionen erscheint also kaum vorstellbar, nicht
wie im Christentum als innerste Konsequenz der kirchlichen Gemeinschaften.
Die gegenwärtige christliche Theologie der Religionen ist aus solcherlei Gründen
bemüht, die Eigenart und Eigenwertigkeit der Glaubensgemeinschaften herauszuarbeiten, die zumal dann nicht als bloßer Widerspruch zueinander gesehen werden
dürfen und können, wenn sie in der Heilsgeschichte eine eigene Rolle erfüllen und
das Wahre und Heilige den Menschen vermitteln, wie Nostra aetate sagt16. Es kann
also keine Einheit der Religionen in einem analogen und erst recht nicht im univoken
Sinn zur Einheit der Konfessionen im Christentum geben17. Ihr Status gerade als Religionen trennt Judentum, Christentum und Islam, so weit absehbar ist. Hier bleibt ein
Hindernis wie bei allen anderen Realisationen von Religion so auch bei den abrahamitischen Religionen.
Doch damit ist noch kein abschließendes Urteil gesprochen. Das Christentum hat (im
Main-stream wenigstens) dem Exklusivismus auch insofern abgeschworen, als es
nicht mehr behauptet, die abstrichlose und abgeschlossene Wahrheit zu besitzen.
Mehr und mehr werden die Konsequenzen bewusst, die im Jesuswort liegen, er selber sei die Wahrheit (Joh 14,6): Diese ist also eine personale Eigenschaft, letztlich
Gottes selber, und damit in ihrer Fülle dem Menschen grundsätzlich nicht erkennbar,
sondern nur, aber auch wirklich als Wahrheit auf dem Wege. Sie ist zu suchen18. Bei
dieser Suche sind auch die anderen Religionen zu konsultieren, sofern sie wahrheitshaltig sind. Die Weise, wie solches absolviert wird, ist einzig der interreligiöse
Dialog. Für ihn gilt, was das letzte Konzil im Kontext der auf der menschlichen Personenwürde beruhenden Religionsfreiheit deklariert hat: „Die Wahrheit muss aber auf
eine Weise gesucht werden, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist“. Unter diesen Modi werden am Ende einer Liste genannt: Gedankenaustausch und Dialog, „wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie
gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen, damit sie sich bei der
Erforschung der Wahrheit gegenseitig zu Hilfe kommen“19. Die Dialogbereitschaft
verbindet also die Religionen miteinander, gerade wenn und sofern sie sich selbst als
eigenständige und eigenwertige Religionen in der Pflicht zur Wahrheit begreifen.
Im zwischenreligiösen Dialog treffen vier Wahrnehmungen aufeinander, die insgesamt befruchtende Wirkung für alle Partner haben20:
14
J. Wietzke (Hg.), Mission erklärt. Ökumenische Dokumente von 1972-1992, Leipzig 1993.
Zweites Vatikanisches Konzil, DH 1: „Anders erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit
selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt“.
16
NA 4.
17
Hier liegt die innere Berechtigung eines im Ton harschen Dokuments wie der Erklärung Christus Dominus der
römischen Glaubenskongregation vom 5.9.2000, welches vom exklusiven Offenbarungsverständnis des Christentums (in Form der römisch-katholischen Kirche) startet (www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/
documents).
18
Nach Joh 16,13 führt der Heilige Geist in die Wahrheit ein (griech. οδηγήσει = einen Weg führen).
19
DH 3.
20
H.-Chr. Goßmann, Abrahamitischer Dialog – Konkretionen: R. Müller, H.-Chr. Goßmann (Hgg.), Interreligiöser Dialog. Chancen abrahamischer Initiativen (= Interrelig. Begegnungen 2), Münster 2006, 209-214.
15
6
1. die Selbstwahrnehmung der eigenen Religion,
2. die Fremdwahrnehmung der anderen Religionen,
3. die Selbstwahrnehmung der anderen Religionen durch die Andersgläubigen,
4. die Fremdwahrnehmung der eigenen Religion durch die Andersgläubigen.
Wenn alle diese Wahrnehmungen zueinander in Beziehung gesetzt werden, ergeben
sich Klärungen sowohl hinsichtlich der eigenen Religion wie auch der anderen Religionen, also ein Zuwachs an Erkenntnis der Wahrheit. Man kann als Beispiel auf den
in den letzten Jahrzehnten geführten, insgesamt erfolgreichen christlich-jüdischen
Dialog hinweisen, in welchem den Christen ganz neu die heilsgeschichtlichen Perspektiven des Römerbriefes ( Röm 9-11) und damit die bleibende Bedeutung des
Judentums für die eigene Religion aufgegangen sind. Mit dem Islam steht es schwieriger, doch auch hier wächst das gegenseitige Verstehen21. Vor allem wird es angesichts der Sachlage für die christlichen Kirchen darauf ankommen, eine intensive Befassung mit der Christologie und der Trinitätslehre zu initiieren – und zwar nicht nur in
Richtung der Fremdreligionen, sondern zu allererst auch in die eigene Gemeinschaft
hinein. Man begeht keinen Geheimnisverrat, wenn man bezweifelt, dass auch nur die
so genannten „guten Christen“ in der Lage sind, etwa einem Vertreter des Islam klar
zu machen, dass die Theologie von der Dreifaltigkeit Gottes die Aufgipfelung des
Monotheismus, nicht dessen Verwässerung ist.
3. Abrahamitischer Vollzug?
Kann unter diesen Vorzeichen die Besinnung auf den abrahamischen Ursprung der
drei Religionen von Nutzen sein und hilfreich werden? Ist sie vielleicht der Königsweg
zur Wahrheit und damit auch zueinander? Das bisher schon unwegsame Gelände
droht bis zur Ungangbarkeit vermint zu werden. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts
werden die Fragen von vielen katholischen und evangelischen Christen mit Ja beantwortet. Bahnbrechend dürfte die Schrift „Die drei Gebete Abrahams“ des französischen Orientalisten Louis Massignon (1883-1962) von 1949 gewesen sein22. Das
Vaticanum II hat, wie schon angedeutet, das Thema in Bezug auf den Islam aufgegriffen23. Inzwischen gibt es eine fast nicht mehr zu überschauende Literatur24. Als
gegenwärtig bekannteste Vertreter des Gedankens sind auf römisch-katholischer
Seite der Küng-Schüler Karl-Josef Kuschel, auf lutherischer Seite der Wuppertaler
Professor Berthold Klappert zu erwähnen25. Die Grundthese lautet in seinen Worten:
„An die Stelle der ausschließenden Kategorien von absoluter ‚Erfüllung’, ‚Vollendung’
und ‚definitiver Endgültigkeit’ muss als kategorialer Bezugspunkt von Judentum,
Christentum und Islam die Gestalt und Geschichte Abrahams treten und damit die
ihm geschenkte Segensverheißung: (1) für Isaak, den Ersterwählten (Judentum), (2)
für Ismael, den Erstbeschnittenen und im Bund Gesegneten (Islam), (3) für die Christenheit aus den Völkern als die durch Jesus Christus Hinzuerwählten und Mitgeseg-
21
Man kann hier an die Entwicklungen denken, die durch die berühmte Regensburger Rede Benedikts XVI. vom
12.9.2006 angestoßen worden sind und u.a. am 2. Mai 2008 zu einer Erklärung von Schiiten und dem Vatikan
über „Glaube und Vernunft im Christentum und im Islam“ geführt haben.
22
Hinweis von K.-J. Kuschel, a.a.O. (Anm. 1) 14.
23
LG 16.
24
Eine von B. Klappert, Kirchliche Hochschule Wuppertal, SS 2006 zum Seminar „Abraham und Sarah als
Leitfiguren für Dogmatik und interreligiösen Dialog“ erstellte Bibliographie im Internet umfasst 17 DIN A 4Seiten. Etliche Titel sind inzwischen hinzugekommen.
25
Zu Kuschel: Hauptwerk Streit um Abraham (Anm. 1). Zu Klappert: Kurze Zusammenfassung seiner Thesen
unter dem Titel Was sind abrahamitische Religionen?: Chr. Quarch – D. Rademacher (Hgg.), Deutscher Evangelischer Kirchentag Frankfurt am Main 2001 – Dokumente, 400-411.
7
neten (Christentum)“26. Das Verhältnis der Religionen wird mit dem Verhältnis der
binnenchristlichen Konfessionen parallelisiert. Im Grund sind für die Parteigänger des
Abrahamitismus die monotheistischen Religionen einander leider entfremdete Zweige einer großen Sippe, deren Urvater und Maßstab der unbedingt sich Gottes Willen
fügende Abraham ist. Würden sie sich auf diesen gemeinsamen Ursprung und seine
dogmatischen Implikationen besinnen, müssten sie zumindest friedlich miteinander
leben können. Der Stammvater ist so der tiefste Einheitsgrund und damit der Fluchtpunkt aller Initiativen der Religionen.
Dieser Überzeugung darf man a priori eine gesunde Skepsis entgegenhalten. Die de
facto existierenden Religionen mit ihrem differenzierten Innen- und komplizierten Außenverständnis sollten sich wirklich durch eine weitgehend von den Nebeln der Vorzeit verwaberte, halb mythische Gestalt auf Gemeinschaftskurs bringen lassen können? Das ist schon deswegen nicht sehr überzeugend, als ihre Quellen über Abraham nicht in Konkordanz stehen. Juden und Christen haben das Hebräische Testament als Basis, der Koran hingegen benutzt daneben noch andere Überlieferungen,
die eine in vielen Punkten andere Gestalt entwerfen. Sie ist überdies im Koran selber
nicht einheitlich konzipiert: Der Abraham der mekkanischen Suren ist vor allem Vorkämpfer gegen den Polytheismus; in der medinensischen Darstellung wird er zum
Urvater des Islam27. Der Islam aber ist die eigentliche Religion, in der sich Judentum
und Christentum begegnen und so sie selber werden28. Fraglich ist übrigens die ganze Konstruktion schon deswegen, weil der theologische Rahmen der Familieneinheit
der gemeinsame von Abraham überkommene Monotheismus ist. Hiergegen würden
auf jeden Fall die Muslime Protest einlegen, da sie, wie schon gesagt, das Christentum als Tritheismus, nicht als Monotheismus einstufen.
Die Skepsis wird nachdrücklich bestärkt, wenn man das Abraham-Bild der drei Traditionen einer näheren Analyse unterzieht. Auch die eifrigsten Befürworter des Abrahamitismus müssen konzedieren, dass nirgendwo der Bezugspunkt der eigenen religiösen Identität die Gestalt des Patriarchen selber ist. Der eigentliche Stammvater
der Juden ist Jakob, dessen zwölf Söhne die zwölf Stämme Israels begründen. Abraham, der erst spät und außerhalb des Buches Genesis nicht allzu häufig genannt
wird, ist zwar so etwas wie ein Urrabbi, doch er ist es als Vorfahre Jakobs. Basis des
Judentums aber ist die Tora, das Gesetz Jahwes, keine menschliche Figur. Der medinensisch-koranische Abraham spielt eine bedeutende Rolle: Nach Mose (136 Nennungen) ist er die am häufigsten erwähnte biblische Figur (69 Nennungen). Aber er
ist nur ein sehr frühes Glied jener Prophetenkette, die mit Mohammed ihren Höheund Schlusspunkt findet. Abraham ist nicht mehr als der erste Muslim, der auch im
Äußeren erstaunlich dem Endpropheten gleicht. Dahinter steht ein ungeschichtliches
Gottesbild: Anders als in Judentum und Christentum legt Gott in der Schöpfung einmal für immer sein Verhältnis zu den Menschen fest.
Und bei den Christen? Ähnlich wie für den Koran gilt: Abraham ist hinter Mose mit 73
Erwähnungen die meistgenannte alttestamentliche Persönlichkeit29. Wenn sich die
26
A.a.O. 403. Das Zitat deutet an, dass zum Themenkomplex Abraham auch die Gestalten seiner Umgebung gehören wie Hagar, Sara, Isaak und vor allem Ismael, der im Islam besondere Bedeutung als Stammvater der Araber und Urvater des Islam spielt. Vgl. dazu. K.-J. Kuschel, a.a.O. (Anm. 1) 168-212.
27
Er ist der erste Hanif, d. h. rein monotheistisch Glaubende (Sure 2,135; 3,67; 16,120).
28
S.Balić, Was sind „abrahamitische Religionen“?: Chr. Quarch – D. Rademacher a.a.O. (Anm. 25) 395-397.
29
Eine vollständige Übersicht über die Texte, Themen und Motive der neutestamentlichen Abrahamsüberlieferung bietet F. Wilk, Die Gestalt des Abraham im Neuen Testament: R. Möller, H.-Chr. Goßmann (Hgg.), Interreligiöser Dialog (vgl. Anm. 20) 80.
8
neutestamentlichen Verfasser auf sie berufen, dann stets mit der Absicht, die Identität der jungen Kirche als der Gemeinde Jesu Christi durch den Rückbezug auf das
grundlegende Gotteshandeln an dieser Gestalt und deren bedingungslosen Glauben
an die Zusagen Gottes zu festigen und zu klären. Abraham ist gewissermaßen der
Ur-Christ. Christus ist der Nachkomme Abrahams als dessen Vollender schlechthin,
der den durch Glaube und Umkehr mit ihm verbundenen Menschen, seien sie nun
Juden oder Heiden, den Abrahamssegen, d.h. die Einbeziehung in das endzeitliche
Gottesvolk vermittelt. Am deutlichsten hat Paulus im Römerbrief die Zusammenhänge erläutert: „Abraham glaubte an Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit
angerechnet“, und zwar zeitlich vor der durch die Beschneidung vollzogenen Aufnahme ins Volk Israel. Diese Glaubensmöglichkeit aber „soll auch uns angerechnet
werden, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt
hat“ (Röm 4; Zitate VV. 3. 24). Christus-Kindschaft und AbrahamsNachkommenschaft sind austauschbar, letztere ist somit durch die erste ersetzbar
geworden (Gal 3,26-28). Erst so erfüllt sich die Verheißung, der alttestamentliche
Patriarch werde zum Vater vieler Völker (vgl. Gen 17,4 mit Röm 4,17).
Damit aber stehen wir endgültig vor dem Befund, der sich seit Anfang herauskristallisiert hat. In allen Religionen wird die Figur des Urvaters Abraham zugunsten der je
eigenen Grundüberzeugungen funktionalisiert und instrumentalisiert, die mit seiner
historischen Persönlichkeit kaum etwas zu tun haben. Er ist der erste Jude, der erste
Christ, der erste Muslim und damit eben keine verbindende, keine „ökumenische“
Gestalt. Das schließt einen Regress der Religionen auf einen Stand der abrahamitischen Unschuld aus. Wieder vom Christentum her formuliert: Ist Abraham der Typus
des von Christus gerechtfertigten Sünders, wäre das Bekenntnis zu Abraham die
Anerkennung der Messianität und der Gottessohnschaft Jesu von Nazaret (und im
Zusammenhang damit die Rezeption der Trinitätstheologie), mithin also die Übernahme der christlichen und in Konsequenz die Abschwörung der eigenen Religion.
Abraham würde zum Kürzel für den christlichen Exklusivismus. Zwischen den Religionen stehen eine Reihe von Trennungsgründen – Differenzen im Gottesbild, im
Menschenbild, im Offenbarungsverständnis, in der Hermeneutik der Heiligen Schriften, um die gravierendsten aufzurufen. In kühnen Träumen könnte man sich zur Ansicht verleiten lassen, dass man sie irgendwie glätten könnte. Hinsichtlich der
Christologie als Lehre vom Wesen Jesu (und damit der Trinitätslehre) und der Soteriologie als der Lehre vom Werk Christi erscheint das schlechterdings nicht möglich.
Hier tut sich, so weit heute zu sehen ist, eine unüberwindbare Kluft zu allen nichtchristlichen Bekenntnissen, Religionen und Religionsgemeinschaften auf.
4. Eschatologische Konvergenz
Ist also keine substantielle Näherung möglich? Auf der Schiene des Abrahamitismus
wohl nicht, sind sich die Experten ziemlich einig30. Das ginge nur, wenn man gewissermaßen neben dem jüdischen, dem christlichen und dem islamischen noch einen
religionen-ökumenischen Abraham erschüfe, der aber wiederum nur zu einer Instrumentalisierung und Funktionalisierung der eigenen Theoreme geriete, der ein Kunstgeschöpf neben anderen Kunstgeschöpfen wäre. Doch das ist nicht unter allen Umständen das letzte Wort. Was sich bei genauer Betrachtung gezeigt hat, ist eigentlich
30
Eine islamische Stimme: A. Poya, Gestalt des Abraham im Koran und in der islamischen Tradition: R. Müller
– Chr. Goßmann, a.a.O. (Anm. 20) 84: “Bei einer Quellenuntersuchung lassen sich wenig stichhaltige Beweise
dafür finden, Abraham als einende Figur anzusehen, die die Anhänger der drei Weltreligionen zur gegenseitigen
Anerkennung oder gar zum Gebet auffordern könnte“.
9
lediglich der Umstand, dass der bisher eingeschlagene Weg ein Holzweg ist. Aber
lassen sich andere Wege gehen, welche zielverheißender sind?
Abraham ist für die Religionen eine protologische Gestalt. Er steht am Anfang der
Heilsgeschichte als der Bundesgeschichte Gottes mit den Menschen. Als solche wird
er, wie gezeigt, im Sinn der je späteren Theologie vereinnahmt und fällt damit religionentheologisch weitgehend aus. Doch die Religionen sind primär nicht Vereine zu
Pflege der Vergangenheit, sondern dynamische Gestalter der Zukunft – das ist in
jeder Hypothese der Zweck des göttlichen Offenbarungshandelns. Dazu bedürfen sie
zweifellos der Tradition, ihrer Kenntnis, Pflege, Ausgestaltung und Vergegenwärtigung. Doch darin gehen sie nicht auf. Sie verstehen sich alle drei als eschatologische Werkzeuge der Interessen Gottes mit seiner Schöpfung. Entsprechend den
Startpunkten in der je eigenen Vergangenheit sind die Wege dazu unterschiedlich;
sie werden es auch bleiben, schon angesichts der Christologie des Christentums.
Dennoch ist die eschatologische Konvergenz von allerhöchster Bedeutung für das
Verstehen der Religionen hinsichtlich ihrer selbst wie hinsichtlich der Anderen. Sie ist
es vor allem in der gegenwärtigen geschichtlichen Situation der Menschheit.
Das nunmehr aufzurufende Schlagwort heißt Globalisierung. Man braucht keine langen Erläuterungen, um in den Blick zu stellen, was die Medien aller Arten ohnehin
Tag um Tag vor Augen führen: Die ökologischen und ökonomischen Probleme, die
demographischen wie politischen Gefahren, die moralischen wie naturwissenschaftlichen Krisensituationen. Sie stellen weltweite Bedrohungen dar, denen man nirgendwo, nirgendwie, nirgendwohin entrinnen zu können scheint. Die allgemeine Überzeugung wächst daher, dass sie nicht mehr regional, nicht mehr technisch und logistisch,
nicht mehr mit kulturellen oder sonstigen „Bordmitteln“ gemeistert werden können.
Sie erweisen sich mehr und mehr als ethische Probleme. Damit aber fallen sie auch
in den Kompetenzbereich der Religionen. Sie gefährden eben den Auftrag, dem sie
sich, je im eigenen Rahmen, verpflichtet wissen. Gottes gnädiger Wille wird missachtet – mit möglicherweise letalen Folgen für alle Menschen. Das sprechen sie mit unterschiedlichen Kategorien aus, aber sie meinen und wollen alle das Nämliche.
Hans Küng hat schon vor Jahren mit seinem „Projekt Weltethos“ auf diese Tatsachen
aufmerksam gemacht31. Man braucht sich nicht rundum mit allen seinen Implikationen und Explikationen einverstanden zu erklären, die Basisthese ist kaum anzugreifen. Um zum Überleben der Menschheit – und auch ein wenig nicht nur zu ihrem esse, sondern auch zu ihrem bene esse – beizusteuern, können die Religionen bis zur
letzten Falte ihren genuinen eigenen Überlieferungen gehorchen. Sie sind nicht im
Mindesten genötigt, die dogmatischen oder moraltheologischen Themen und Thesen
der Konkurrenten anzunehmen oder gar zu übernehmen. Sie bleiben ihrer Gestalt
getreu. Sie erkennen lediglich an, dass zu dieser Gestalt wenigstens in dieser epochalen Problemlage gehört, sich mit all jenen Kräften zusammenzutun, die wie sie
selber um ihres Gottes Willen dem Wohl der Menschheit verpflichtet sind, weil sie so
und wesentlich so ihrem Daseinsgrund, ihrer Stiftungsratio entsprechen, anders aber
sich selber und Gott untreu werden müssten. Damit ist eine religionenkonforme Gemeinsamkeit aufgedeckt. Sie verpflichtet Juden wie Christen wie Muslime zum Frieden, zum Dialog, zu konvergentem Handeln. In vielen Fällen wird damit eine durch-
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H. Küng, Projekt Weltethos, München – Zürich 1990; ds. (Hg.), Dokumentation zum Weltethos, München –
Zürich 2002! H. Küng – H.-J. Kuschel (Hg.), Erklärung zum Weltethos. Die Deklaration des Parlamentes der
Weltreligionen, München – Zürich 1993.
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greifende Entpolitisierung der Religionsgemeinschaft verbunden sein, die dem in der
Gegenwart wieder schrecklich erfahrenen Gewaltpotential der Religionen wehrt32.
Man mag nun sicher diskutieren können, ob das gravierende Trennende das bescheidene Gemeinsame übermächtigt oder ob der Realismus dazu veranlasst, das
Trennende hintanzustellen und der gemeinsamen anthropologischen Verpflichtung
aus theologischen Gründen nachzukommen. Auf jeden Fall gilt: Das interreligiöse
Gespräch hat so viel Substanz, dass es beherzt geführt werden muss – um der Menschen willen, für die sich Judentum, Christentum und Islam universal verantwortlich
wissen. Im Blick vorwärts können, sollen und müssen es eigentlich alle wollen. Wir
dürfen es auch alle wollen, da es den Grundvorgaben sinnreichen Dialogs entspricht.
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Karl Kard. Lehmann, Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den „abrahamitischen Religonen“: Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Die Regensburger Rede. Vollständige Ausgabe, Freiburg – Basel – Wien 2006,
103.

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