Ein Teenie-Leben für Bill - Ronny-Thurow.de
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MAGAZIN PFORZHEIMER ZEITUNG, NUMMER 103 Ein Teenie-Leben für Bill SAMSTAG, 5. MAI 2007 51 DAS THEMA Fanatisch, fanatischer, „Tokio Hotel“-Fans: Die 13-jährige Nina Ströhle liebt die Teenie-Band mehr als alles andere Wahrscheinlich ist sie normal, so wie sie ist. Ein Teenie, der in heißer Liebe entflammt ist zu einem Unerreichbaren. Denn Nina liebt Bill. Bill Kaulitz, den Sänger von „Tokio Hotel“. Die 13-Jährige liebt ihn so sehr, dass sie der Band hinterherreist. Sie pfeift auf die Schule, sie pfeift auf die Eltern. Wie? Sie protestieren? Das sei keineswegs normal? Vielleicht. Aber wer ist schon normal? Beatles-Fans vor 40 Jahren? Elvis-Jünger? Oder doch Nina? INFO Die Homepage von Ulrich Völkening finden Sie unter: www.beethoven-fanclub. homepage.t-online.de Weitere Informationen über Beethoven sind unter anderem auf folgender Seite zu finden: www.beethoven-haus-bonn.de Die Teenie-Band „Tokio-Hotel“ ist zu finden unter http://tokiohotel.universal-pop.de Die Homepage der Doppelgängeragentur „Doubles and More“: www.doubles-and-more.com E igentlich will sie nur dieses Neulich zum Beispiel, war von Nina eine Bild. Sie und Bill. Bill und in fast allen deutschen Tageszeitunsie. Deshalb reist Nina quer gen zu lesen. Sie eröffnete das „Todurch die Republik. Zur „Bravo Su- kio-Hotel“-Fancamp vor der Halle in pershow“ nach Düsseldorf, zum Ho- Frankfurt. Sie ließ sich als erste mit tel nach Stuttgart, zum Konzert nach Sack, Pack und Zelt vor der Halle nieFrankfurt. Wür- der. Sechs Tage de sich die Teevorher. Warum nie-Band „Tokio so früh? „Wir „,Tokio Hotel‘ ist ein Hotel“ auflösen, Fans haben mit Jugendsyndrom. Ich sie würde gar den Sicherheitshoffe nur inständig, nach Magdekräften ein Sysdass die Begeisterung burg, die Heitem ausgebei Nina nachlässt – so matstadt der macht. Die ersvier angehimten 30, die vor schnell wie möglich.“ melten Milchbuder Halle sind, Cornelia Ströhle, bis, düsen. bekommen Ninas Mutter „Selbst wenn es Nummern, dür Tokio Hotel fen am Tag des nicht mehr geben würde, ich würde Konzerts auch zuerst in die Halle.“ sie nicht in Ruhe lassen. Das können Diese Praktik würde funktionieren die vergessen“, sagt Nina Ströhle aus und die wirklichen Fans davor schütPforzheim, 13 Jahre. So spricht nur zen, von Möchte-Gern-Fans weggeein Edel-Fan. drängt zu werden. Die BandmitglieSie sitzt auf ihrem Bett, die Beine der von „Tokio Hotel“ würden Nina verschränkt im Schneidersitz, die und Co. gerne vor sich selbst schütGedanken umarmen nur einen: Bill zen. „Die sind gegen unsere Camps, Kaulitz, ihren androgynen, schmal- wollen in Zukunft die Polizei rufen brüstigen Lieblingssänger und das lassen. Aber das ist uns egal. Wir lasBild mit ihm, das sie sich so sehn- sen uns das nicht verbieten“, sagt Nisüchtig wünscht. „Ich will doch gar na mit jugendlichem Trotz. nicht mehr. Dann würde ich „Tokio Nina wohnt in einem normalen Hotel“ nicht länBlock, in einem ger hinterher Zimmer wie Milreisen. Aber es lionen andere „Zum Glück sind Ninas klappt einfach Jugendliche Noten bisher nicht nicht, die Sicherauch. Nichts, schlechter geworden. Wenn was aus dem heitskräfte erdas passiert, werde ich das Rahmen fällt. lauben keine Bilder“, so Nina. So Die Poster an nicht mehr unterstützen. oft schon war der Wand gehöSchule muss vorgehen.“ der richtige Moren zum TeenCornelia Ströhle, ment zum Greiager-Dasein wie Ninas Mutter fen nahe: der die Borsten zum stille Bill war da, Schwein. Bill sein Bruder hier, Bill da. Bill Tom, das Großmaul mit den vielen umrahmt in einem Herzen aus CDFrauengeschichten, war da. Nina Rohlingen. Ein Bett. „Heute nicht so war da. Meist vor dem Hotel, wo man aufgeräumt.“ Ein kleiner Fernseher. als Fan nach Konzerten Stunden, Auf dem Schreibtisch steht ein hermanchmal Tage lang auf der Lauer kömmlicher Computer. Ebenfalls liegt. Und dafür die Schule schwänzt. teenagertypisch: Auf dem FlachbildAls der große Moment gekommen schirm blinkt und tut etwas. Dann war, versagten die Nerven. „Bei Bill piepst es. MSN Messenger, wie SMS bin ich immer schüchtern. Aber ich nur kostenlos und via Internet. Die habe Tom gefragt. Der wollte auch. bevorzugte Kommunikationsform Dann hat ihn ein Sicherheitsmann der Jugend von heute. weg gezogen.“ Bei Nina gibt es keine äußerlichen Anzeichen von Fanwahn. Ein norZelten im Fancamp males Mädchen also? Sympathisch Wieder war alles vergeblich. All ist sie. Kein Rotzlöffel. Nicht einmal der Aufwand, den die 13-jährige Real- Zahnspange. Was hat ihre Mutter schülerin betreibt. All der Aufwand, nur? Warum hasst sie „Tokio Hotel“ den man nicht mit gesundem Men- bloß? Ninas Arme sind nicht einmal schenverstand begründen kann. beschrieben mit Bill-Botschaften, ih- Nina liebt Bill – doch Bill kennt Nina nicht. Die 13-jährige Pforzheimerin ist ganz verrückt nach dem Sänger der Teenie-Band „Tokio Hotel“. Für ein gemeinsames Foto würde sie alles tun. Zur Not auch die Schule schmeißen. Fotos: Ketterl re Augen nicht geschminkt im Gruftie-Look. Also ein ganz normaler Fan, oder? Schule? Die Band ist wichtiger Nein. Wie sehr die absonderliche Anziehungskraft des Phänomens „Tokio Hotel“ die Welt von Nina aus den Angeln gerissen hat, seit sie im Oktober 2006 anfing, der Band hinterher zu reisen, wird klar, wenn die Schule zur Sprache kommt. Es schwirren Sätze durch die jugendliche Atmosphäre, die nachhaltig irritieren: „Tokio Hotel ist das allerwichtigste in meinem Leben. Wie Luft – man braucht es einfach. Müsste ich mich zwischen einem Schulabschluss und ,Tokio Hotel‘ entscheiden, wäre die Wahl klar: ,Tokio Hotel‘.“ Am liebsten wohl auf „Zimmer 483“, so heißt das neue Album, mit Bill, dem Frontmann. Dieses gedankliche Luftschloss, erbaut weit abseits der Realität, hat keine Anbindung an den Alltag. Nina: „Wie soll man ,Tokio Hotel‘ mit dem täglichen Leben verbinden? Meist sind die Konzerte unter der Woche.“ Also leidet das tägliche Leben. Vor allem die Schule.„Zurzeit weiß ich über- haupt nicht, wo wir sind. In Englisch verstehe ich nichts mehr.“ Zu viele Fehlzeiten. Einmal wurde sie sogar von der Polizei aufgegabelt. Die Mutter hat diese gerufen, weil die Tochter nach einem Konzert partout nicht nach Hause kommen, sondern vor einem Hotel in einer fremden Stadt campieren wollte. „,Tokio Hotel‘ blieben einen Tag länger im Hotel. Und ich wollte sie noch unbedingt sehen“, sagt die 13-Jährige. Das gab Ärger: mit der besorgten Mutter und dem Jugendamt. Was macht die Faszination für Bill und Co. aus? „ Wenn man bei einem Konzert ist, wenn ich mit Bill rede, ist das eine andere Welt, in der nur der Augenblick zählt.“ Die Fabelwelt für den Augenblick hier, das auf Nachhaltigkeit angelegte Koordinatensystem der Realität dort, dazwischen eine 13-jährige, die sich nicht mehr so recht zu helfen weiß. „Ich kann das alles nicht mehr. Ich dachte, das sei alles nur eine Phase, aber es wird immer schlimmer. Manche wollen mich schon zum Psychiater schicken.“ Vielleicht kann der helfen. Vielleicht jedoch genügt schon ein klei- ner Knopfdruck, ein einsetzender Blitz, ein Ausdruck. Ein Bild von Nina mit Bill. Das ist es, was sie eigentlich will. So einfach wären Realität und „Tokio Hotel“ in Einklang zu bringen. So einfach könnte man die Schönheit des Augenblicks nachhaltig festhalten auf buntem Papier. Doch so einfach ist es eben auch nur auf dem Papier. Ronny Thurow Fan ist nicht gleich Fan N icht alle Fans von „Tokio Hotel“ sind so fanatisch wie Nina Ströhle. Manche mögen nur die Musik, andere finden Bill süß – mehr nicht. Merke: Fan ist nicht gleich Fan. Doch auch innerhalb der Edel-FanSzene von Bill und Co. ist zwischen verschiedenen Gruppen zu unterscheiden, die sich gegenseitig amüsante Namen geben. Drei Beispiele: Grützel: So werden jene Fans bezeichnet, die kreischen, weinen, in Ohmacht fallen, sobald der Name „Tokio Hotel“ fällt. Viele von ihnen übernehmen das Styling von Sänger Bill – das heißt schwarze Mähne, sehr helles Make-up mit dunkel umrandeten Augen, schwarz lackierte Fingernägel. „Die benehmen sich wie Tiere, gehen auf Bill und Tom los, wenn sie die sehen“, sagt Nina Ströhle. Edding-Kinder: Diesen Namen tragen jene Fans, die sich „Tokio Hotel“, den Namen ihres Lieblings, oder Botschaften an den Liebling mit wasserfestem Filzstift auf den Körper schreiben. Bevorzugte Stellen sind Dekolleté, Arme, Stirn und Backe. Eine häufig verwendete Botschaft ist „Bill, ich will ein Kind von dir!“ Groupies: Groupies sind jene Fans, die Bill und Co. auf Schritt und Tritt folgen, vor Hotels warten, bis sie rauskommen – und angeblich auch intime Verhältnisse mit den Bandmitgliedern haben. Ströhle: „Mir und meinen Freundinnen wird von anderen Fans vorgeworfen, wir seien Groupies. Das stimmt aber nicht, wir sind nur besonders an den Menschen hinter den Stars interessiert und wollen mit ihnen reden.“ rth ZUM THEMA Tokio Hotel Aus den Zwillingen Bill (Gesang) und Tom Kaulitz (Gitarre), Georg Listing (Bass) sowie Gustav Schäfer (Schlagzeug) besteht die Rock-Band „Tokio Hotel“, 2001 gegründet, damals noch unter dem Namen „Devilish“. 2003 wurde das Quartett von Musikproduzent Peter Hoffmann entdeckt, 2005 schaffte man mit dem Nummereins-Hit „Durch den Monsum“ den Durchbruch in Deutschland, Tschechien, Polen, Frankreich und Österreich. Es folgten die ebenso erfolgreiche Veröffentlichung der Alben „Schrei“ (2005) , „Schrei: So laut du kannst“ (2006) sowie „Zimmer 483“ (2007), weitere Single-Auskopplungen und etliche Auszeichnungen. Heute gehört „Tokio Hotel“ zu den erfolgreichsten Musikgruppen Mitteleuropas und plant einen neuen Coup: Das englischsprachige Album - von micpup (PZ119) Immer in Sichtweite: Bills feminines Antlitz steckt im Fotorahmen. „Scream“ für den britischen Markt. Getragen ist der Erfolg von „Tokio Hotel“ vor allem von weiblichen Fans im Jugendalter, bei denen der geschminkte Sänger Bill und sein Bruder Tom – Markenzeichen: weite Klamotten und Rasta-Mähne – am höchsten im Kurs stehen. „Die anderen beiden Bandmitglieder werden von den Fans nur wenig wahrgenommen“, sagt „Tokio-Hotel“-Fan Nina Ströhle. Der 17-jährige Bill sei eher ein ruhiger Typ, schüchtern im Umgang mit den Fans. Tom hingegen ist medial bekannt für seine Frauengeschichten, deren Wahrheitsgehalt jedoch bezweifelt werden darf. Nina sagt: „Tom ist manchmal ein Möchte-Gern, will den Hengst spielen. Aber jedes Mal, wenn meine Freundin mit aufs Hotelzimmer gehen wollte, hatte er eine andere Ausrede.“ rth Herzig: CDs in Herzform umrahmen Ninas Idol. Das Buch zur großen Liebe.