Belegexemplare noch versenden an (bislang 9)

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Belegexemplare noch versenden an (bislang 9)
Ralf van Bühren, Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen
Konzils, Paderborn: Schöningh 2008, ISBN 978-3-506- 76388-4, € 128,−
Rezension in: Das Münster 62, 2009, S. 82f.
(von Dr. Hans Ramisch, Leiter des Kunstreferats der Erzdiözese München und Freising 1981−2001)
Anzuzeigen ist der jüngste Band aus der Reihe B der
von Walter Brandmüller herausgegebenen Konziliengeschichte, erschienen 2008 bei Ferdinand Schöningh
in Paderborn. Hatten die vorherigen Bände mit wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu Konzilien der
Katholischen Kirche vorwiegend rein kirchengeschichtlichen Fragen gegolten, so überrascht es, nun
eine Untersuchung über „Kunst und Kirche im 20.
Jahrhundert“ mit dem Untertitel „Die Rezeption des
Zweiten Vatikanischen Konzils“ vorgelegt zu erhalten.
Es handelt sich um den Druck einer Dissertation
der Pontificia Università della Santa Croce in Rom.
Doktorvater ist Prof. Dr. Johannes Grohe.
Der Text der Erörterungen des Verf. nimmt ca. 625
Seiten ein, der für den Benutzer sehr wertvolle Anhang
mit dem Abdruck aller Textdokumente des kirchlichen
Lehramtes zu Fragen der kirchlichen Kunst 80 Seiten,
die Bibliographie weitere 33 Seiten.
Die lehramtlichen Schreiben, alle in deutscher
Sprache wiedergegeben, umfassen päpstliche Enzykliken und Schreiben (Nr. 1, 8, 21, 29, 30, 31, 47, 51, 58,
60, 63, 65, 66, 71), päpstliche Ansprachen (Nr. 2, 12,
18, 24, 27, 28, 36, 42, 45, 53), Konstitutionen und
Dekrete des Zweiten Vatikanischen Konzils und der
Bischofssynoden (Nr. 7, 9, 10, 11, 49, 50, 54, 68, 70),
Instruktionen der Kongregationen für den Ritus, für
den Gottesdienst, den Klerus, der Glaubenslehre und
des Bildungswesens (Nr. 13, 14, 15, 16, 19, 26, 41, 56,
57, 69), Dokumente der Päpstlichen Kommission für
die Erhaltung des künstlerischen und historischen Erbes der Kirche bzw. der Kulturgüter der Kirche (Nr.
35, 38, 43, 55), des Päpstlichen Rates für die Kultur
(Nr. 52), der Deutschen Bischofskonferenz (Nr. 32, 33,
34, 37, 40, 46, 59, 61, 62, 64, 67) und der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern im
deutschsprachigen Raum (Nr. 44). Die übrigen Dokumente umfassen Bestimmungen des CIC (Nr. 23), anderer Bischofskonferenzen (Nr. 22, 23, 48) und des
Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 39).
Die Fülle dieser z.T. bisher schwer zugänglichen
Äußerungen des kirchlichen Lehramtes lässt schon vor
der Lektüre des Buches ahnen, welche Vielfalt an Aussagen allein hinsichtlich der schriftlichen Quellen die
Grundlage der Auswertung durch den Verf. Gebildet
hat.
Der Anschauung dienen die im Anhang gedruckten
98 Abbildungen, fast alle in guter Farbwiedergabe.
Abbildungshinweise führen vom Text zum Bildteil, jedoch leider nicht von diesem zurück zu den Texten. Da
dem Band im Gegensatz zu den bisher erschienenen
Werken der Reihe ein Register fehlt, sind Verknüpfungen nur mühsam oder gar nicht herzustellen. Es wäre
deshalb sehr zu begrüßen, wenn Autor und Verlag die
dargebotene Materialfülle durch die Nachlieferung eines Registers erschließen würden.
Eine Einleitung mit den Abschnitten „Problemstellung“, „Methode und Begrifflichkeit“ sowie „Gang der
Untersuchung“ bereitet den Leser auf die Erschließung
des Inhaltes der Arbeit vor.
Auf die Einleitung folgen vier Kapitel, in denen das
Verhältnis von „Kunst und Kirche“ in den vom Verf.
anhand kirchengeschichtlicher Kriterien erarbeiteten
Epochengrenzen dargestellt wird:
 „Erstes Kapitel. Kunst und Kirche vor dem Konzil
(um 1800−1962)
 Zweites Kapitel. Lehräußerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils über Kunst und Künstler (1962−
1965)
 Drittes Kapitel. Kunst und Kirche zur Zeit des
nachkonziliaren Reformwerks (1964−1985)
 Viertes Kapitel. Kunst und Kirche zur Zeit der weltweit durchgreifenden Konzilsrezeption (1985−
2007)“
Jedes dieser Kapitel schließt mit einer „Gesamtwertung“ ab. Die Wahl der Kriterien und der Aufbau der
Arbeit sind gut nachvollziehbar.
Im ersten Kapitel „Kunst und Kirche vor dem Konzil (um 1800−1962)“ werden in einer ausführlichen
Übersicht die Werke zahlreicher Maler und Architekten in ihrem Verhältnis zur Katholischen Kirche analysiert. Daneben fällt die Behandlung der „bildenden
Kunst“, gemeint ist Plastik und Kunsthandwerk, unverdientermaßen sehr kurz aus, haben doch beide
Kunstgattungen mehr zur modernen kirchlichen Kunst
beigetragen als etwa die Malerei. Dies ist allerdings
nicht dem Verf. anzulasten, hat doch die Forschung
diese beiden Kunstgattungen im 19. und 20. Jahrhundert noch bei weitem nicht in demselben Maße beachtet wie Architektur und Malerei. Die zahlreichen
Werkübersichten bedeutender Künstler der beiden
Jahrhunderte bildet eine der Stärken dieser Arbeit.
Beizupflichten ist dem Ergebnis des Verf., dass „nicht
erst zu Beginn der modernen Kunst um 1910 eine Beziehungslosigkeit zwischen Kunst und Kirche entstanden ist“, sondern „dass man bereits für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts sagen kann, dass vielen Katholiken, wie den meisten ihrer Zeitgenossen, ein echtes
Verständnis und Interesse an den ästhetischen Anliegen der modernen Kunst fehlte“. Hierzu wäre im Lite-
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raturverzeichnis und zur Auseinandersetzung mit den
dort aufgestellten Thesen eine freilich erst kürzlich erschienene Arbeit nachzutragen: Bernd Feiler, Der
blaue Reiter und der Erzbischof. Religiöse Tendenzen,
christlicher Glaube und kirchliches Bekenntnis in der
Malerei Münchens von 1911 bis 1925. Regensburg
2005.
Als kirchlicher Denkmalpfleger wird man dieser
auf das 20. Jahrhundert fokussierten Darlegung nachsehen können, dass sie dem Kirchenbau seit dem 2.
Weltkrieg nachsagt, dass „dessen außergewöhnlich
große Zahl in der deutschen Kirchengeschichte beispiellos“ sei. Dieser Ruhm gebührt doch eher der zweiten Hälfte des 15. und dem 18. Jahrhundert.
Diesem eher marginalen Aspekt steht die bedenkenswerte Erkenntnis des Verf. gegenüber, dass es
trotz einiger innerkirchlicher Reformbewegungen
(„Nazarenerschule“, „Beuroner Kunst“) nicht gelang,
„dem nach 1900 beginnenden Konflikt zwischen moderner Kunst und Kirche vorzubeugen, der im 20.
Jahrhundert vielfach im Vordergrund stand. Die Gründe und den historischen Verlauf dieses Konflikts hat
eine Gesamtwertung der Vorkonzilszeit daher besonders zu berücksichtigen.“ Nach der Darlegung dieser
Gründe kommt der Verf. zu dem Ergebnis, dass „sich
die päpstliche und ortskirchliche Lehrverkündigung
hauptsächlich mit liturgischen und moralischen Aspekten der Kunst befasste“ und diese aus künstlerischer
Sicht ungenügenden Betrachtungsschwerpunkte an das
Zweite Vatikanische Konzil weitergab.
Im zweiten Kapitel seiner Arbeit geht der Verf. auf
das Zweite Vatikanische Konzil ein und stellt anhand
der Konzilsbeschlüsse und der sie begleitenden päpstlichen Äußerungen die neuen Betrachtungsansätze
heraus, die für die Kunst von Seiten der Kirche geschaffen worden sind. Hier kann nicht auf alle Aspekte
der ausführlichen Analyse eingegangen werden, doch
ist die Wertung von „Autonomie“ und „Freiheit“ der
Kunst unter Bindung an die sittlich-moralische Verantwortung der menschlichen Person des Künstlers
durch Konzil von zukunftsweisender Bedeutung. Hier
zeichnet sich gegenüber der früheren Auffassung, die
der Kunst vor allem moralische Wirkung abverlangte,
ein Paradigmenwechsel ab: „Kunst besitze autonomen
Eigenwert, natürliche Gutheit“.
Das dritte Kapitel zeigt die Situation zwischen Kirche und Kunst zur Zeit des nachkonziliaren Reformwerks auf. Sein wichtigster Unterabschnitt gilt den
praktischen Auswirkungen der Liturgiereform des
Konzils auf die kirchliche Kunst zwischen 1964 und
1984, vor allem der Neuordnung von Altar, Tabernakel, Ambo und Priestersitz und der damit zusammenhängenden Tendenz zum Zentralbau. Es behandelt
aber auch die kirchliche Reaktion auf damals einsetzende überstürzte Umgestaltungen, die als „Entsakralisierung“ und „Bildersturm“ im Kirchenraum abgelehnt
wurden. Auch auf die päpstlichen Verlautbarungen
über die kirchliche Denkmalpflege wird eingegangen.
Ferner werden die ab 1971 erfolgten kirchlichen Festlegungen einschließlich deren Kodifizierung im Kirchenrecht und dem Missale Romanum ausführlich erörtert. Schließlich widmet sich das Kapitel noch dem
von Papst Paul VI. initiierten pastoralen Dialog mit
den Künstlern und führt dies mit der Darstellung der
Weiterführung des Reformwerks zu Beginn des Pontifikats Johannes Pauls II. fort. Dem letzten Abschnitt
des Kapitels über die kirchliche Kunst nach dem Konzil kommt ähnliche große Bedeutung zu, wie dem
zweiten Kapitel: Es analysiert die Kirchenarchitektur
dieser 20 Jahre am Beispiel von Werken der bedeutendsten Architekten in Österreich und Deutschland
(Rudolf Schwarz, Gottfried Böhm, Hans Schilling) und
der zahlreichen „multifunktionalen Gemeinde- und
Kirchenzentren“, die jede äußere Andeutung von „Kirche = Haus Gottes“ unterdrückten. Es wird auf die
Kirchenbauten in Japan (Kathedrale in Tokyo von
Kenzo Tange), Nordamerika (Kathedrale in San Francisco von Pier Luigi Nervi und Pietro Belluschi), Israel
(Verkündigungsbasilika in Nazareth von Antonio
Barluzzi), Spanien (Pfarrkirchen in Madrid und die
Wallfahrtskirche Torreciudad, letztere von H. Dols
Morell), Mexiko (Wallfahrtskirche Nuestra Señora de
Guadalupe von P. Ramírez Vázquez), Polen (Marienkirche in Nowa Huta von W. Pietrzyk und Pfarrkirchen
in Miestrzejowice und Rzeszów) und schließlich Russland (Kathedrale in Irkutsk) eingegangen und eine ausführliche Übersicht über bedeutende Werke der dekorativen Ausstattung angeschlossen u.a. von Jean
Bazaine, Emil Wachter, Marc Chagall, Alfred Hrdlicka, Arnulf Rainer, Herbert Falken und Joseph Beuys.
So erfreulich die hier durchaus notwendige Konzentration auf herausragende Beispiele ist, soll doch an die
große Zahl an Kirchenbauten und kirchliche Ausstattungen allein in den deutschen Bistümern und deren
Typenvielfalt erinnert sein.
Das mit 245 Seiten umfangreichste vierte Kapitel
des Buchs stellt das Verhältnis von Kunst und Kirche
zur Zeit der weltweit durchgreifenden Konzilsrezeption, d.h. den Zeitraum von 1985 bis 2007 dar. Seine
sechs Abschnitte und 25 Unterabschnitte berühren die
kirchliche „Neubesinnung auf die Konzilslehre über
Kunst in Liturgiepastoral, Evangelisierung, Bilderverehrung und Katechese, die kirchlichen Kunst- und Kulturgüter im Anspruch erneuerter Wertschätzung und
Verantwortung der Kirche, die Künstler- und Kunstpastoral als Neuevangelisierung der Kunst und durch
Kunst und schließlich die kirchliche Kunst heute“.
Der Rezensent kann hier nur noch auf zwei der Abschnitte eingehen, zuerst auf die Darlegungen zu den
Kunstgütern der Kirche: In der Einleitung gibt der
Verf. eine Rückschau auf vorangehende lehramtliche
Äußerungen, übersieht dabei jedoch das von ihm selbst
im zweiten Kapitel S. 277f. ausführlich behandelte
Rundschreiben der Kleruskongregation „Opera artis“
vom 11. April 1971 (abgedruckt im Anhang als Nr.
16), das in der um 1980 einsetzenden kirchlichen Pra-
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xis die Grundlage für die Inventarisation des kirchlichen Kunstguts abgegeben hat (vgl. Hans Ramisch, Bilanz der kirchlichen Denkmalpflege, in: das münster
51 [1998], 68-72).
Schlussendlich folgt noch einer jener Abschnitte
des Buchs über die kirchliche Kunst, jetzt die der Gegenwart, die für die kunstgeschichtliche Betrachtung
besonders interessant sind und ein wichtiges Äquivalent zu den umfangreichen Würdigungen kirchlicher
Texte bieten. Der Verf. sieht hier gegenüber den Tendenzen der vorhergehenden Epoche einen neuen Aufbruch zu künstlerischer Schönheit im Kirchenraum:
„Eine junge Generation der Katholiken bejaht heute
den sinnfälligen Ausdruck des Glaubens, den auch das
kirchliche Lehramt nach 2000 stärker gefördert sehen
wollte. Die Nüchternheit des liturgischen Feierraumes,
der zur unmittelbaren Nachkonzilszeit herrschte, bewertet die Kirche (heute) als Verlust und durchaus
zeitbedingt.“ So bilden recht eingehende Analysen
wichtiger zeitgenössischer Kirchenbauten, die fast den
Umfang von Kurzführern annehmen, instruktive Illustrationen zu der vorher festgestellten Tendenz hin zu
künstlerischer Schönheit im Kirchenbau.
Behandelt werden als regional verständliches Beispiel die neoklassizistische Wallfahrtskirche in Yamoussoukro, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, die
Kirchenbauten von Mario Botta (vor allem die Kathedrale von Evry), D. G. Baumewerds Kirche St. Christophorus in Westerland, die Pfarrkirche Herz Jesu in
München,
die
Pfarrkirchen in RegensburgBurgweinting und Collado Villalba, die Kathedrale
von Los Angeles, Richard Meiers römische Pfarrkirche
Tor Tre Teste und schließlich die Wallfahrtskirche San
Giovanni Rotondo von Renzo Piano. Die Beispiele der
Ausstattungskunst reichen von Werken Hermann
Gottfrieds (Wandmalerei im Chor von Sankt Aposteln
in Köln) bis zu dem umstrittenen und wieder entfernten Altar der Pfarrkirche St. Peter in Köln.
Der Autor verweist schließlich noch auf das Phänomen der zeitlich − oft sehr − verzögerten Konzilienrezeption.
Das vorgelegte Werk erweist sich als grundlegend
vor allem in seinem Bemühen, gerade dieser Verzögerung entgegenzuwirken und verdient deshalb die größte Aufmerksamkeit nicht nur der regionalen Kirchenleitungen d.h. der Bischöfe und Bischofskonferenzen,
der Bau- und Kunstreferate der Diözesen, für die es ein
Handbuch darstellt, für die beschlussfassenden Gremien auf Bistumsebene und in den Pfarreien, für den
Seelsorgsklerus, für die Kunstwissenschaft, der ein
Quellenwerk zur zeitgenössischen kirchlichen Kunst
geboten ist und für jeden an Liturgie und Kunst interessierten Laien.