Blindfaktor und Gentest in der Texelzucht

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Blindfaktor und Gentest in der Texelzucht
Schafzucht
D
ie Mikrophthalmie und
deren mögliche Bekämpfung wurde in der Schafzucht
5/2010 (Seite 32) von Prof. Dr.
Drögemüller erläutert. Das
Wort Mikrophthalmie bedeutet
im Wortsinne Kleinäugigkeit.
Die Augäpfel sind vorhanden,
werden aber nicht richtig ausgebildet, und die Tiere sind von
Geburt an blind. Die Ursache
ist eine Veränderung der Erbinformation. Die Mikrophthalmie
(MO) tritt nur bei reinerbigen
Tieren auf, die diese Erbanlage
von beiden Eltern bekommen
haben müssen. Es handelt sich
also um einen rezessiven Erbgang, bei dem mischerbige Tiere keine Veränderungen zeigen,
aber Genträger sind. Sie können äußerlich nicht von erbgesunden Tieren unterschieden
werden. Seit Anfang dieses
Jahres ist es möglich, das mutierte Gen durch eine Untersuchung (ähnlich der Scrapiegenotypisierung) zu identifizieren. Genträger zeigen keine
weiteren Auffälligkeiten und
werden mit MOC (vom englischen carrier) gekennzeichnet.
Tiere frei von dieser Erbanlage
werden mit MOF (wie frei =
englisch free) bezeichnet. Beim
Texelschaf ist das Vorkommen
dieser Genmutation relativ bekannt und wird mit einer Genfrequenz (Genträger im Verhältnis zum gesamten Texelschafbestand) zwischen 4 bis
8 % geschätzt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Mikrophthalmie auch in anderen
Tiergesundheit
Blindfaktor und Gentest in
der Texelzucht
Ob ein Tier den sogenannten Blindfaktor
vererbt, lässt sich durch eine gegentische
Untersuchung feststellen. Folglich investiert
kaum noch ein Herdbuchzüchter in einen
Bock mit unbekanntem Genstatus.
Schafrassen vorkommt. Die
Häufigkeit ist hier allerdings
nicht bekannt.
Bedeutung
in der Praxis
Selbst mit einem Anteil von 8
bis 9 % am Gesamtschafbestand hat das Texelschaf in
Deutschland schon insgesamt
einen relativ hohen Stellenwert. Aufgrund seiner hervorragenden Schlachtkörperqualität (Bemuskelung, Ausschlachtung, Muskelanteil und Verfettung) werden Texelböcke auch
häufig zur Erzeugung von
Schlachtlämmern in der Kreuzungszucht eingesetzt. Dies
erklärt auch, warum das Texelschaf in Deutschland die höchste Anzahl der Auktionstiere
stellt und die Rasse in Ländern
mit Totvermarktung bei quali-
tätsorientierter Schlachtkörperbezahlung so beliebt ist und
einen noch größeren Anteil am
Schafbestand einnimmt. Wegen dieser überproportionalen
Bedeutung des Texelschafs sollen im Folgenden die Auswirkungen des Blindfaktors und
der jetzt vorhandenen Testmöglichkeit auf die Praxis und
die Zucht beleuchtet werden.
Kreuzungen
und Reinzucht
Die Wissenschaft geht davon
aus, dass diese Genmutation
auch in anderen Schafrassen
vorkommt. Allerdings ist die
Häufigkeit nicht bekannt. Das
legt wiederum die Vermutung
nahe, dass die Häufigkeit deutlich geringer ist als beim Texelschaf. Sofern also ein MOCTexelbock zur Erzeugung von
Tabelle
Entwicklung des Blindfaktors in einer Herde
Jahr
Bock
Mutterschafe
Ablammung, %
Genfrequenz, %
Genträger in der Herde
geborene Lämmer
Remontierung
Anzahl MOC Lämmer
Blinde Lämmer
Verluste durch den Blind­faktor, %
Jahr 1*
MOC
20
200 %
10 %
2
40
4
20
1
2,5 %
Jahr 2*
MOC
20
200 %
20 %
6
40
4
20
3
7,5 %
Jahr 3*
MOC
20
200 %
30 %
6
40
4
20
3
7,5 %
Jahr 3*
MOF
20
200 %
30 %
6
40
4
6
0
0,0 %
Jahr 1**
MOC
20
180 %
8%
1,6
36
4
18
0,72
2,0 %
MOC = Mikrophthalmie-carrier (das Tier hat diese Erbkrankheit), MOF = Mikrophthalmie-free (das Tier hat diese Erbkrankheit nicht)
Betriebsdaten: 20 Mutterschafe, ein Bock mit Haltezeit zwei Jahre, Remontierung 20 %
* = Modellrechnung mit angenommener Ablammrate (nur Zwillinge) und hoher Startgenfrequenz (10%).
** = Rechnung mit realer Ablammrate (180%) und wissenschaftlich geschätzter Genfrequenz (8% und 4%).
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Jahr 1**
MOC
20
180 %
4%
0,8
36
4
18
0,36
1,0 %
Schlachtlämmern eingesetzt
wird, dürfte es erwartungsgemäß gar nicht oder nur zu einer sehr geringen Anzahl zu
blinden Lämmer kommen. Da
diese Nachkommen dann wiederum alle geschlachtet werden, wird das Gen auch nicht
weiter verbreitet.
Gänzlich anders sieht die Situation in Reinzucht-Herden
aus. Betrachtet man einmal die
folgende
Modellrechnung,
wird das auch schnell klar:
Wenn man zur einfacheren Berechnung eine Genfrequenz
von 10 % annimmt (in der Literatur wird von 4 bis 8 % ausgegangen) heißt das, dass jedes
zehnte Tier Blindfaktorträger
ist (nach Literatur jedes 25te
bzw. zwölfte). Bei einem Schafbestand von 20 Mutterschafen,
zweijährigem Bockwechsel und
einem angepaarten Bock als
Genträger wird dann im Mittel
von zwei Schafen (bei ausschließlich Zwillingsgeburten)
von vier Lämmern nur ein
Lamm blind sein, da nur dieses
statistisch die doppelte Genkombination hat (Tabelle).
Dieses fällt mitunter nicht groß
auf und wird eventuell diversen anderen Ursachen (Mineralstoffversorgung, Blauzungenimfpung etc.) zugeschrieben.
Noch verständlicher wird das,
wenn man sich vor Augen hält,
dass nur einer von zehn Böcken
Genträger ist und damit bei
zweijährigem Bockwechsel in
20 Jahren nur ein Genträger
decken würde! In diesen zwei
Jahren (von 20) wären dann
im Mittel nur zwei Lämmer
blind. Hätten die beiden eingesetzten Genträger einen Abstand von 20 Jahren wird vielleicht gar kein gentragendes
Mutterschaf mehr da sein.
Überträgt man das Modell
rechnerisch nach Rassedurchschnitt und Genfrequenz (Tabelle, rechte Spalten) auf die
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geborenen Lämmer in zwei
Jahren (vier Lammungen)
dürften im Mittel ein oder maximal zwei Lämmer blind geboren werden. Dies entspricht
0,72 Lämmern von 36 und einer Verlusterhöhung von 2,5 %.
Die Bedeutung für die Praxis
scheint damit über die Jahre
gesehen in der Tat sehr gering.
Trotzdem gibt es natürlich
auch Herden, in denen dieses
Problem häufiger vorkommt.
Sei es, weil kurz hintereinander zwei gentragende Böcke
eingesetzt werden oder weil
vorwiegend von einem Betrieb
gekauft wurde, der Genträger
in seiner Herde hat. Dann kann
die Modellrechnung ganz anders aussehen: Bei einer jährlichen Remonte von 20 % hinterlässt der MOC-Bock acht Töchter von denen statistisch vier
Genträger sind. Diese kommen
zu den bereits vorhandenen
(zwei) dazu! Alle gentragenden Schafe wiederum geben
das Gen auch an die Hälfte ihrer Töchter weiter! Ist der
nächste Bock wiederum ein
Genträger, trifft er auf mindestens sechs Tiere (die Genfrequenz der Herde ist dann
30 %), die dann 10,8 Lämmer
zur Welt bringen. Hiervon dürften im Mittel dann 2,7 blind
sein. Diese Größenordnung
bleibt dem Schafhalter und
Züchter keinesfalls verborgen!
Sie führt bei einer nicht betriebenen Sonderbehandlung nach
der Ablammung und Aufzucht
zu einer Erhöhung der Verluste
Fotos: Muth, Drögemüller
Schafzucht
Lammbock Advant. Für die Herdengesundheit ist der Einsatz getesteter
Böcke, die reinerbig gesund sind, anzu­raten.
(2,7 von 36) der geborenen
Lämmer um 7,5 %.
Aufwändige
Aufzucht
Aus Gesprächen mit Kollegen
und Schafhaltern ist mir bekannt, wie aufwändig die Aufzucht blinder Lämmer ist. Sie
müssen immer mit ihren Müttern getrennt von der Herde
gehalten werden, da sie sich
ohne ihre Mütter in fremder
Umgebung nicht zurechtfinden. Sie können nur direkt vom
Euter vermarktet werden.
So sind es die Herdbuchzüchter und auch die Reinzuchten selbst, die die Problematik am stärksten trifft. Gerade in der Herdbuchzucht muss
man bedenken, dass Genträger
ohne die Anpaarung mit einem
MOC-Bock nicht erkannt wer-
zum thema
Wo untersuchen?
Das private Unternehmen Agro­biogen GmbH ist spezia­lisiert
uf gentechnische Verfahren im Nutztierbereich. Die Untersuchung auf die Erbkrankheit Mikrophtalmie kostet ab 17,50 Euro.
Kontakt:
Agrobiogen GmbH,
Diagnostik / Genotypisierung,
Dr. Monika Leder,
Larezhausen 3,
86567 Hilgertshausen
Tel. 08250/9279040, Fax 08250/9279049,
E-Mail: [email protected]
Weitere Infos zur Mikrophtalmie unter dem folgenden Link:
http://www.agrobiogen.de/hauptmenue/diagnostik-genotypisierung/schaf/mikrophtalmie-mo/
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den und es offensichtlich auch
weniger verantwortungsvolle
Züchter gab, die die betroffenen Tiere nicht aus der Zucht
genommen
haben.
Noch
schlimmer sieht es aus, wenn
ein MOC-Bock in einer führenden Zucht eingesetzt wird, wo
viele Söhne in die Landeszucht
verkauft werden, da die Hälfte
dieser Böcke selbst wiederum
Genträger sind und so das unerwünschte Gen eine enorme
Verbreitung erfährt. Konsequenterweise sollten also die
Stammböcke der Herdbuchzuchten untersucht werden
und MOF sein. Insoweit ist es
nachvollziehbar, dass nach
Aussage von Agrobiogen GmbH
Biotechnologie, einem Unternehmen, welches solche Untersuchungen anbietet, dort bereits über 450 MO-Genanalysen durchgeführt wurden. Eine
MOC-Frequenz von 16 % wurde dabei festgestellt. Die relativ
hohe Genfrequenz erklärt sich
vermutlich dadurch, dass sich
der eine oder andere Züchter
auf „Nachsuche“ bei Nachkommen begeben hat.
Auf der Auktion in Haus Düsse für maediunverdächtige
Texel zeigte sich verständlicherweise, dass keiner der
Herdbuchzüchter bereit ist, für
einen Bock dessen MO-Status
nicht bekannt ist, einen größeren Betrag auszugeben – oder
zu riskieren. Also sind viele
Herdbuchzüchter schon aktiv
(MO-Test) und passiv (Einkauf
MOF-Bock) dabei, den MO-Test
in der Zuchtpraxis anzuwenden. Dieses Engagement ver-
Blinde Texellämmer mit Mi­kro­
phthal­mie.
dient Lob und Anerkennung –
sofern es nicht aus der eigenen
Not wegen früherer Inkonsequenzen geboren ist. Wenn
dann auch noch die eigene
Herde oder ein Teil davon untersucht wurde, sollte man – in
Anbetracht der bereits aufgelaufenen Kosten – auch keine
Untersuchungspflicht für Auktionstiere einführen. Sofern die
Eltern MOF sind, sind es die
Nachkommen mit einer millionenfachen Sicherheit ebenso.
Ausblick
in die Zukunft
In Anbetracht der geringen
Bedeutung in der Praxis und
den aktiven Herdbuchzüchtern
können die Gebrauchsschafhalter und auch die Züchterkollegen gelassen in die Zukunft sehen: Bei Einsatz eines
MOF-Bockes gibt es garantiert
keine genetisch bedingt blinden Lämmer! Auch auf lange
Sicht wird sich das Thema bald
erledigt haben: Statistisch gesehen ist nach ca. sechs Generationen bei stetem Einsatz von
MOF-Böcken die Genfrequenz
nahezu gleich Null.
Unser Autor
Gerd Dumke
(Dipl. Ing. agr.) ist langjähriger
engagierter Herdbuchzüchter
der Rasse Texel im nordrheinwestfälischen Zuchtverband.
E-Mail: [email protected]
www.texelschaf.de
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