Die Novelle Die schwarze Spinne von Jeremias
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Die Novelle Die schwarze Spinne von Jeremias
Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo DIE NOVELLE “DIE SCHWARZE SPINNEˮ VON JEREMIAS GOTTHELF ALS EINE INTERTEXTUELLE NOVELLE ZUR BIBEL TEODORA KIRYAKOVA-DINEVA 0. Einführende Gedanken Die vorliegende Arbeit untersucht die Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf unter dem Blickwinkel der Intertextualität, die anhand von biblischen Motiven und biblischen Zwillingsformeln erlangt wird. Die Verwendung der biblischen Verweise hat zum Ziel, die Handlung und die Personen in einem sozialen Kontext darzustellen, und als er die guten Traditionen und die feste Glaube an Gott bedroht sieht. Um daran zu erinnern, dass man auf Sitten und Moral, auf Religion und Menschlickheit achten sollte, greift Gotthelf auf die Bibel zurück. Dass sich biblische Verweise und biblische Zwillingsformeln als besonders angemessen für die Narrative von Gotthelf eignen, hängt mit der Tatsache zusammen, dass der Autor sie als vorgeformte Wortkomplexe zur Festlegung einer Art Metasprache mit klar bestimmten Zielen gebraucht und damit einige existenzielle Probleme der Bauerngesellschaft aus dem 18. Jahrhundert akzentuiert. Neben der sagenhaften Erzählung, der gefühlsbetonten Beschreibung der Seelenwelt der Personen und dem kunstvoll verfassten Sprachstil richtet der Autor die Aufmerksamkeit des Lesers auf sittlich-religiöse Themen wie Ehrfurcht und Glaube an Gott. Der theologischen Richtungslinie fügt Gotthelf noch eigene kritische Absichten hinzu. Erzieherische Zwecke lassen sich durch die Studi Linguistici e Filologici Online ISSN 1724-5230 Volume 9 (2011) – pagg. 171-199 T. Kiryakova-Dineva – “Die Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf als eine intertextuelle Novelle zur Bibel” Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Vorstellung der Hauptfiguren der beiden Rahmenerzählungen der Novelle aufspüren. Die fromme Gestalt des Großvaters, die zahlreichen Aufopferungstaten führen zu einem guten Ende der Novelle und sind als Bestätigung des Guten zu verstehen. Zur Bekräftigung dieses Zieles bedient sich Gotthelf von Absatz zu Absatz biblischen Stoffes und verweist auf biblische Motive und Themen. Durch den Rückgriff auf Bilder aus der Apokalypse gelingt es Gotthelf, dadurch eine klare Bildsprache zu schaffen. Bis zum Ende der Rahmenerzählung lassen sich folgende Zentralmotive mit Bibelverweis aufzeigen: Das idyllische Leben im Einklang mit Gott, das Motiv der Nächstenliebe, das Motiv des Kampfes zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Teufel, das Motiv des Sündenfalls und Erlösung, das Motiv der Taufe, das Motiv der Aufopferung. Dieses Vorgehen ist folglich als bewusste Intertextualität zu der Heiligen Schrift zu deuten. Die intertextuelle Verschlüsselung wird nicht nur durch die Verwendung biblischer Motive, aber auch von biblischer Sprache in der Form von Satz- und Wortkonstruktionen weiter unterstützt. Inhaltlich zeigen alle Arten sprachlicher Bezüge auf die Bibel keinen besonderen Unterschied zum Originaltext in der Bibel, wie in den folgenden Beispielsätzen: Beispielsatz 1: „Ja, wer blind ist, sieht auch die Sonne nicht, und taub ist, hört auch den Donner nicht.“ 1 Bibelverweis zu Beispielsatz 1: „und nun siehe, die Hand des HERRN kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne 1 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, Norderstedt: Grin Verlag 2008, S. 78 172 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo eine Zeitlang nicht sehen! Und von Stund an fiel auf ihn Dunkelheit und Finsternis, und er ging umher und suchte Handleiter.“ 2 Die zahlreichen biblischen Verweise, die durch sprachliche Zwillingsformeln wie an Leib und Seele, durch Mark und Bein, durch Fleisch und Blut, mit Beten und Fasten, Kind und Kindeskinder, alt und jung, Mann und Weib, usw., aber auch das bewusste Anknüpfen an biblische Motive sind dem schriftstellerischen Zweck unterstellt, den Lesenden den Nachvollzug seiner Novelle zu ermöglichen. Außerdem sind die Verweise auf die Bibel, sowohl in der Form von biblischen Motiven als auch von biblischen Zwillingsformeln für Gotthelf notwendig, damit er in jeden Höhepunkt seiner Novelle den Mensch, seine Seele und das Verhältnis zwischen Gut und Böse als gedanklichen Hintergrund stellen kann. Als zentrale Begriffe bestätigen sich Not, Angst und Aberglaube, Gottesfurcht und Nächstenliebe, daneben auch Opfertat und Buße, die in allen Momenten der Novelle als Hauptthemen zu spüren sind. Weil die Bibelverweise von grundlegender Bedeutung für die Handlung von Gotthelfs Novelle sind, widmet sich die vorliegende Untersuchung genau dem Problem der Intertextualität. Sie wird zuerst einige biblische Motive, und zweitens die biblische Sprache, die durch biblische Zwillingsformeln vertreten wird, behandeln. Gegenstand der Arbeit soll die Feststellung der Art und Weise, auf die Intertextualität als Hauptverfahren in der Novelle verwurzelt ist. 2 Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Apostel 13,11 173 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Intertexualität durch biblische Verweise und biblische Zwillingsformeln befähigen den Autor, seine Ideen in einem besonders erhabenen Stil zu präsentieren. Beispiele solcher Stilisierung sind in der konkreten theologischen Lexik zu bemerken, wie: „sie hielten fest an Gott“, „Und gemeinsam beteten sie zu Gott“, „Darum ward er auch gesegnet mit zeitlichem Gut und vergass Gott nie“, „zum Aushalten gab Gott die Kraft“, „er kam und wollte ausziehen mit heiligem Wasser und heiligen Sprüchen gegen den bösen Feind, dass Strafe die Schuldigen treffe, wenn Gottes Hand vernichtend über sie komme“, „taufte der Priester das Kind im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, „wie sie nur die Engel im Himmel kennen“. Die Vorliebe für die Anknüpfung vorwiegend von Substantiven und die offensichtliche Haltung an biblischen Stoffen könnte noch als eine Art Stilisierung durch Wortklang und Rhythmus dank der Zwillingsformeln wie „mit Leib und Leben“, „Kind und Kindeskinder“, „oben und unten“ angesehen werden. Die bipolare Form der Konstruktion „S und S“ stellt ein universelles Modell dar, das oft auf Vorstellungen und Weltbildern nicht nur aus der Bibel sondern auch aus vorangegangener Kulturen und Religionen beruht, wie zum Beispiel Gott und Teufel, Angst um das Leben und Angst vor dem Tod, Allmacht des Guten oder des Bösen, Aberglaube in Gegenstände, Kult zur Rettung der Neugeborenen und Selbstopferung als Zivilisationsrettung. Ein solches literarische Herangehen lässt sich durch die Feststellung von L. Gielkens begründen: 174 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo „Diese elementaren Symbole waren schon vor der Bibel da und verbinden in heutiger Verwendung mit den früheren Zeiten. Christliches Profil gewinnen die Symbole aus ihrer Verbindung mit der Geschichte Israels und der Person Jesu. In der Symbolauseinandersetzung geht es dann darum, die geschichtliche Konkretisierung der christlichen Botschaft in die jetzige Zeit zu realisieren.“ 3 Die universalen Zwillingsformeln wie: Leib und Seele, Brot und Wasser, Wüste und Weg, Fleisch und Blut enthalten dementsprechend einen Beziehungsaspekt, der Jahrzehnte hindurch in der Menschengeschichte erhalten bleibt und auch heute noch seine theologische Vielfalt weiter entwickeln kann. Biblische Motive und biblische Phraseologismen scheinen auch für die Novelle von Gotthelf über eine schöpferisch bildende Kraft in Bezug auf Vermittlung von religiösem Sinn und Symbolwelten zu verfügen. Um zu verfolgen, was für einen Platz solche Motive und Phraseologismen aus der Bibel in der Novelle einnehmen, wird die nachfolgende Untersuchung in zwei Abschnitte aufgeteilt: Im ersten Abschnitt soll die Intertextualität anhand von biblischen Motiven auf die Luther-Bibel behandelt werden. Diese Intertextualität wird als literarische Intertextualität betrachtet. Der zweite Abschnitt behandelt die Intertextualität, erlangt durch biblische Zwillingsformeln. Die zweite Art Intertextualität wird als sprachliche Intertextualität angesehen. 3 Gielkens, Leo: Mehr als Sieg und Niederlage. Berlin LIT Verlag 2007, S. 126/127 175 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo 1. Literarische Intertextualität durch biblische Motive in der Novelle „Die schwarze Spinne“ Die enge Beziehung des Autors der Novelle „Die schwarze Spinne“ zur Bibel begann damit, dass sein Vater Pfarrer war. Später studierte er Theologie und sein Leben lang war mit Religion eng verbunden. Die Frage ist jedoch zu welchem Zweck der Novelist so häufig auf biblische Motive und Verweise auf biblischen Stoff oder auf biblische Sprache in der Form von Zwillingsformeln zurückgreift. Im Grunde genommen kann man davon ausgehen, dass sich Gotthelf der biblischen Sprache in zweierlei Hinsicht bedient. Erstens kann sie mit demjenigen Zweck verbunden sein, einen erhabenen literarischen Stil und Ästhetik des Ausdrucks zu erreichen. Zweitens können die biblischen Verweise auf sozialer Kritik beruhen und mit religiöserzieherischen Absichten gefüllt sein. Vermutlich besteht noch ein dritter Zusammenhang, und zwar der, dass der Autor durch die biblische Sprache dem Volksbewusstsein näher kommen wollte. Zu seiner Zeit kannten die einfachen Leute die biblischen Stoffe wie die Schöpfungsgeschichte, den Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies, die Sprüche Salomon und andere Stoffe, mit denen sie gut durch den Gottesdienst und die kirchliche Predigt vertraut waren. Um seine Ideen zu unterstützen, stellt der Novelist nämlich sittlichreligiöse Probleme in das Zentrum der Handlung. In der Novelle von Gotthelft lässt sich die intertextuelle Tendenz zur Bibel besonders spürbar feststellen. In der vorliegenden Arbeit spielt Intertextualität in der Bedeutung von „Einlagerung fremder 176 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Texte in einen Text“4 eine Rolle. In diesem Sinne kann man das Vorkommen von Intertextualität im weitesten Sinne voraussetzen, indem man die Einbettung von biblischen Motiven und biblischen Zwillingsformeln als Fragmente aus dem Hypertext Bibel in Betrachtung zieht. Obwohl der Autor nicht direkt aus dem Bibel zitiert, spielt Intertextualität in der Novelle „Die schwarze Spinne“ eine besonders wichtige Rolle. Es lässt sich in diesem Sinne behaupten, dass die vom Novelisten verwendeten biblischen Motive und Zwillingsformeln nicht vor dem Problem der Narrative stehen. Der Autor zielt auf den Wiedererkennungseffekt biblischer Inhalte ab. Ein Beispiel für Erkennungsforderung und intertextuelle biblische Reminiszenz findet sich in dem folgenden Abschnitt: „In der Mitte der sonnenreichen Halde hatte die Natur einen fruchtbaren, beschirmten Boden eingegraben; mittendrin stand stattlich und blank ein schönes Haus, eingefasst von einem prächtigen Baumgarten, in welchem noch einige Hochäpfelbäume prangten in ihrem späten Blumenkleide; (...) Nicht umsonst glänzte die durch Gottes Hand erbaute Erde und das von Menschenhänden erbaute Haus im reinsten Schmucke;“ 5 Das gewählte Zitat, das gleich aus der ersten Seite der Novelle entnommen ist, erinnert an die Vorstellung im Garten Eden. Diese Retrospektive wird durch die Symbole des prächtigen Gartens, der Fruchtbarkeit, des Baumes, des Apfels unterstützt. Die Gleichsetzung 4 Renate Lachmann: Ebenen des Intertextualitätbegriffes. In: Stierle/Warning (Hrsg.) Poetik und Hermeneutik (1984), S. 133 – 138, hier S. 134. 5 Gotthelf, Jeremias - Die schwarze Spinne, S. 1 177 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo mit der paradiesischen Idylle in der Anfangsszene ist dem Erzähler deswegen wichtig, damit er später die harmonische Ordnung im Paradies auf die Realität der Bauerngesellschaft aufeinander beziehen kann. Dann werden „die Geschöpfe, die geschaffen sind, sich an der Sonne ihres Lebens zu freuen“ Angst und Entsetzen ausgesetzt; dann geht das Sonnenreich, das „in klarer Majestät“ leuchtet, verloren. Gleich nach der Darstellung der Natur führt der Autor die Idee für das lauernde Böse ein, das die Seele des Menschen von seinem Leibe trennt und das den Menschen entweder nach oben in den Himmel oder nach unten in die Hölle führt. Dafür benutzt Gotthelf intertextuelle Bezüge und gebraucht religiöse Vorstellungen – der Gottessohn geht zum Vater, wie die Seele des Menschen zum Gott in den Himmel geht: „Es war der Tag, an welchem der Sohn wieder zum Vater gegangen war zum Zeugnis, dass die Leiter noch am Himmel stehe, auf welcher Engel auf- und niedersteigen und die Seele des Menschen, wenn sie dem Leibe sich entwindet, und ihr Heil und Augenmerk beim Vater droben war und nicht hier auf Erden;“ 6 Offenbar scheinen die ersten Beispiele aus der Novelle Gotthelfs genug Grund zu geben, die Novelle auf intertextuelle Verweise und Motive weiter zu untersuchen. Gegenstand soll folglich sein, ob sich Intertextualität als Hauptverfahren bis zum Ende der Novelle bestätigen kann. Die zu verteidigende These ist folglich, dass Gotthelf intertextuelle Bezüge mit Absicht in verschiedenen Momenten der 6 Gottgelf, Jeremias - Die schwarze Spinne, S. 2 178 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Handlung einfügt. Eine Bestätigung der angenommenen These würde bedeuten, dass sowohl die literarischen als auch die rein sprachlichen intertextuellen Bezüge auf die Bibel dem Zweck des Autors unterstellt sind, dadurch die Bauerngesellschaft in einem Kontext von psychischen Zuständen, religiöser Hingabe und sozialen Konflikten thematisieren zu können. Die biblischen Verweise dienen dem Autor auch als erzieherisches Ausdrucksmittel, weil neben dem Hauptthema von Gut und Böse noch einige Akzente gesetzt werden, wie: freiwillige Opfertaten, Gottes- und Nächstenliebe. Die Haltung von Traditionen und vor allem aber Achtung der Religiosität führen zur Überwindung des Bösen am Ende der Novelle. Deswegen stehen Gotthelfs Figuren in enger Verbindung zur Religion, dabei auch zu Moral, Traditionen und zu guten Sitten. Ihr Handeln ist auf Gott bezogen, wobei sie durch ihre Position gegenüber Gott selbst den eigenen Lebensweg beeinflussen. Den intertextuellen Bezügen zu inhaltlichen und formellen Bezügen aus der Bibel liegt kein direktes Zitieren von biblischen Stoffen zugrunde. Die sachlich abhängigen biblischen Bezüge werden vom Autor bewusst in der Art einer Sprach-Motiv-Montage dargestellt. Nachdem Gotthelf die Anfangsszene vom idyllischen Leben eines reichen Bauernhauses im Emmental vorgestellt hat, fügt es das nächte Bibelmotiv ein – die Feier der Taufe des Enkelkindes. Beim Essen fällt einem der Gäste ein alter Fensterpfosten auf, der in dem neuen Familienhaus eingebaut war. Dann erzählt der Großvater die Sage, die sich auf die ganze Dorfgemeinschaft bezieht. Die 179 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Geschichte stammt aus der Zeit, als die Ritter des Deutschen Ordens über die Bauern im Tal herrschten. Obwohl sie gewaltige Frondienste leisteten, waren die Grundherren ständig unzufrieden. Ohne Erfolg blieben die Versuche, ihre Forderungen zu erfüllen. In so einem Augenblick der Verzweiflung bot der Teufel seine Hilfe an, wofür er ein ungetauftes Kind verlangte. Die Bäuerin, die diesen Pakt schloss, hieß Christine. Der Teufel besiegelte den Pakt mit einem Kuss auf die Wange von Christine, erfüllte bald sein Versprechen und erwartete dagegen seinen Lohn. Vielmals hatte Christine versucht, an ein ungetauftes Kind heranzukommen, doch jedesmal besprengte der Pfarrer das Neugeborene mit Weihwasser, womit er auch der heilige Akt der Taufe ausübte. Unerwartet wuchs auf Christines Wange ein schwarzer Fleck in der Gestalt einer schwarzen Spinne. Als erstes Anzeichen des teuflischen Ärgers kam ein großes Menschen- und Viehsterben über das ganze Tal. Bis zu dem Moment der Herausbildung der schwarzen Spinne lassen sich einige Bibelmotive aufdecken – das Motiv des Hauses als Schutz vor dem Bösen und das Motiv der Taufe. Bevor der Novelist die Dorfbewohner ins Verderben schickt, leitet Gotthelf seine Idee an, dass dem Menschen Üppigkeit und Wohlhaben vorbehalten sind, nur wenn er im Einklag mit Gottes Gesetzen lebt. So kontrastiert die feierliche Stimmung im reichen Bauernhaus mit der grausamen Geschichte der schwarzen Spinne. Das symbolische Haus und der hölzerne Fensterpfosten, in dem die tödliche Spinne eingesperrt ist, sollen als ein Ausdruck der konservativen Haltung gegenüber der 180 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Angstvorstellung vom Leser verstanden werden. Das Haus als Sinnbild erscheint weiter in der Rolle einer kleinen Welt, in dem durch Ordnungshaltung, gottgefälliges Leben und gepflegte Sittlichkeit das drohende Böse fern gehalten wird. Das Ideal der Bewahrung von Tradition, Moral und Gottesfurcht ergänzt der Autor mit dem biblischen Motiv der Taufe. Um diese Idee hervorzuheben, lässt Gotthelf den Teufel für seine Hilfe ein ungetauftes Kind verlangen. Die Gegenüberstellung der Taufe und des Teufels stellt der Versuch des Autors dar, auf die dörflichen Verhältnisse in der Schweiz aufmerksam zu machen, und zwar aus der Perspektive eines gläubigen Christen, der um Aufrechterhaltung der religiösen Bräuche besorgt ist. Es ist auffallend, dass mit der Taufe nur ein neugeborenes Kind gerettet werden kann. Vielleicht hängt dieser Einfall des Autors damit zusammen, dass der Taufe in der christlichen Welt eine symbolische Bedeutung beigemessen wird. Den hohen Stellenwert der Taufe gibt es in der kirchlichen Tradition heute noch. In der Taufe sieht man leider meistens bloß Namensgebung, Segnung und Eintritt in die christliche Gemeinschaft. Die Taufe ist in erster Linie die Zusage der Liebe und des Segens Gottes. Vielmehr soll in der Taufe die Hoffnung auf Sündenvergebung, Auferstehung von den Toten und das kommende Reich Gottes gesehen werden. Es ist deswegen sehr wahrscheinlich, dass Gotthelf genau diesen Sinn der Taufe gemeint hat. Der Verfall des Menschen, die Todesstrafe der schwarzen Spinne, und vor allem die Rettung jedes Neugeborenen durch Bespritzen mit Weihwasser, 181 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo womit durch Aussprechen der heiligen Worte die Taufe ausgeführt wird, stehen in engem Zusammenhang mit der Errettung der Seele. Wie dramatisch der Autor die Angst um die Seele des Kindes darstellt und die erzielte Spannung mit dem Bibelverweis verbindet, lässt sich am folgenden Beispiel bemerken: „... und auf der Mutter Armen taufte der Priester das Kind im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und jetzt war es entrissen des Teufels Gewalt auf immer, bis es sich ihm freiwillig übergeben wollte.“ 7 und dementsprechend noch die Bibelstelle dazu: „Wer glaubt und getauft wird, soll errettet werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ 8 Das gleiche biblische Motiv wiederholt sich in jeder Situation, wo sich Erwachsene (Mütter, Väter oder Priester) für Kinder opfern. Diese Opferung als Motiv wird vom Autor mit der Selbstofperung Jesus Christi für die Menschheit gleichgestellt. Die tödlichen Taten der Spinne, wenn sie mit der Unschuld eines neugeborenen Kindes ergänzt wird, erzeugen den Höhepunkt der dramaturgischen Handlung in den beiden Rahmenerzählungen. Um die Spannung zu steigern, fügt der Novelist den Horrorgeschichten mehrere Mordszenen und damit noch apokalyptische Verweise auf die Bibel hinzu, was einen erheblichen Teil der Schilderung ausmacht. Dabei genügt es dem Erzähler nicht, sich nur auf Bibelmotive zu 7 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 60 Bibelverweis - Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Mark 16:16 8 182 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo konzentrieren. Gotthelf bedient sich einer anschaulichen biblischen Sprache, die durch zahlreiche Zwillingsformeln aus der Bibel zum Ausdruck kommt. Ihr Effekt auf den Leser lässt sich durch die folgenden Belege in der Novelle verfolgen, die Gegenstand des anschließenden Abschnitts sind. 2. Sprachliche Intertextualität durch biblische Zwillingsformeln in der Novelle „Die schwarze Spinne“ Die ganze Novelle „Die schwarze Spinne“ zeichnet sich durch eine eigentümliche Erzählweise aus. Zu ihrer Stilisierung trägt der sagenhafte Stoff bei, der vom Autor in einer erzählerischen Manier dargestellt wird. Gleich zu bemerken ist die vorbedachte Wortwahl – die Sonne leuchtet in „klarer Majestät“, das Haus ist „stattlich und blank“, um das Haus liegt „ein sonntäglicher Glanz“. Der Novelist schafft einen besonderen Rhythmus und Klang des Ausdrucks, indem er zahlreiche Kombinationen und Verdoppelungen verwendet. Einen stilisierenden Einfluss üben in dieser Hinsicht die zweigliedrigen Verdoppelungen von Substantiven, aber noch die Anhäufung von Adjektiven. An Beispielen wie: „Langsam und gebeugt ging an einem Hakenstock der Grossvater“, „Glück war in Feld und Stall und Friede unter den Menschen“, „Scheu und verstohlen blickten die Augen“, „in Gottesfurcht und Rechttun“, „in der gleichen Gottesfurcht und Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch die Söhne“, „von irdischer Not und Plage“, „und ihre Töchter waren berühmt landauf, landab und ihre Söhne gerne gesehen überall“ merkt der Leser gleich, dass der 183 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Autor die Technik der lebendigen und erzählerisch packenden Schilderung im Griff hat. Diese typische Erzählweise verwendet Gotthelf zur Unterstützung seiner durch theologische Sinnbilder gekennzeichneten Narrative. Er stellt die paarigen Bezeichnungen den dem Leser bereits bekannten Motiven aus der Bibel gegenüber: „Sie fühlten erst jetzt in ihren bebenden Seelen so recht, was es heiße, von irdischer Not und Plage mit einer unsterblichen Seele sich loskaufen zu wollen, fühlten, dass ein Gott im Himmel sei, der alles Unrecht (...) fürchterlich räche.“ 9 In diesem Zitat verstärkt das Wortpaar Not und Plage das biblische Motiv des rächenden Gottes, das im Zitat auch durch den Gegensatz von ewigem Leben im Himmel und irdischer Qual ergänzt wird. Dieses Wortpaar verstärkt die oben dargestellten Motive wie Kampf von Gut und Böse, Kampf zwischen Materiellem und Geistigem. Die freien Wortkombinationen wie Not und Plage, aber auch der Gebrauch von fixierten Zwillingsformeln wie Kind und Kindeskinder, Tag und Nacht, Leib und Leben, durch Mark und Bein, angst und bange, hie und da, usw. sind gezielt in die Handlung der Novelle eingeführt. Gotthelf verwendet zahlreiche paarige Konstruktionen, die durch die Konjunktion „und“ verbunden sind und den Zwillingsformeln ähneln. Solche Wortpaare sind zum Beispiel kurz und deutlich, einsam und verlassen, in Hand und Arm, Schutz und Wache, Zagen und Grauen, Zank und Streit. Solche Konstruktionen 9 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 62 184 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo sind im Gegensatz zu Wortpaaren wie mit Kind und Kindeskindern, Leib und Leben, an Leib und Seele, angst und bange, durch Mark und Bein, usw. keine Zwillingsformeln. Doch ihre paarige Form wird nach dem Modell „S und S“ aufgebaut und kann somit die intertextuelle Bezogenheit auf die biblische Ausdrucksweise verstärken. Solche Bezogenheit lässt sich bei zwei der obigen Beispielen leicht bemerken. Die Wortpaare Schutz und Wache und Zagen und Grauen erinnern an den biblischen Stoff in den Psalmen und in der Apostelgeschichte von der Bekehrung des Saulus: Bibelbezug der Zwillingsformel Schutz und Wache: „Ich aber will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte; denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not.“ 10, Bibelbezug der Zwillingsformel Zagen und Grauen: „Und er sprach mit Zittern und Zagen: HERR, was willst du, daß ich tun soll? Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“ 11 Aus diesen Beispielen wird klar, dass Gotthelf sowohl freie Wortkomplexe, als auch feste Verbindungen in der Form von phraseologische Zwillingsformeln gebraucht, um einen Bezug auf den biblischen Stoff zu nehmen. Wie schon erwähnt, wird das Verfahren der Verwendung biblischer Zwillingsformeln für die Zwecke der folgenden Arbeit als sprachliche Intertextualität bezeichnet. Bereits in der Anfangsszene, in der Gotthelf die äußerst realistischen Bilder des 10 11 Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Psalmen 59, 17 Ebd. Apostel 9,6 185 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo dörflichen Lebens enthüllt, lässt sich die Tendenz zu Gebrauch von biblischen Zwillingsformeln erkennen: „Um das Haus lag ein sonntäglicher Glanz, den man mit einigen Besenstrichen, angebracht Samstag abends zwischen Tag und Nacht, nicht zu erzeugen vermag, der ein Zeugnis ist des köstlichen Erbgutes angestammter Reinlichkeit, die alle Tage gepflegt werden muss, der Familienehre gleich, welcher eine einzige unbewachte Stunde Flecken bringen kann, die, Blutflecken gleich, unauslöschlich bleiben von Geschlecht zu Geschlecht, jeder Tünche spottend.“ 12 In diesem einzigen Abschnitt kommen zwei Zwillingsformeln vor: zwischen Tag und Nacht und von Geschlecht zu Geschlecht, die ein wichtiges Sinnbild leicht erkennbar machen - in biblischer Tradition ist unter ihrer Vorstellung nämlich die Ewigkeit Gottes zu verstehen. Genau einen solchen Anfang der Novelle braucht der Autor, um durch die beiden Zwillingsformeln die integrative Nähe zum biblischen Stoff anzudeuten. Der Gedanke über die Sorge um Reinlichkeit und über das Bewahren der Familienehre wird vom Autor zuzüglich realisiert. Die beiden Zwillingsformeln verkörpern auch den Kreislauf der Natur. Im weiteren Sinne kann die Zwillingsformel von Geschlecht zu Geschlecht in der Bedeutung von Fortdauer verstanden werden. Das „Erbgut“, die „Familienehre“ soll man laut Gotthelf „Tag und Nacht“ bewachen und verweist auf den ewigen 12 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 2 186 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Bestand von Gott, weil Gottes Herrschaft währt „von Geschlecht zu Geschlecht“ 13: „Denn der Herr ist gut; seine Gnade währt ewiglich und seine Treue von Geschlecht zu Geschlecht.“ [alle weiteren Hervorhebungen sind von mir/ T.K./] 14 „O Herr, dein Name währt ewig; Herr, dein Gedenken bleibt von Geschlecht zu Geschlecht! “ 15 In diesem Sinne hebt der Autor die Familienehre hervor, die er mit Aufrechterhaltung der guten Traditionen und Glaube an Gott verbindet. Sollte dies nicht geschehen, wird Gottesungläubigkeit Unglück bringen, und Gottesgläubigkeit Segen und Rettung. Ein weiterer interessanter Charakterzug der Zwillingsformeln aus der Bibel muss noch vorgestellt werden, und zwar, dass sie als Wortverbindungen nicht so stark idiomatisiert auftreten und kein Entschlüsselungsproblem mit sich bringen. So zeichnet sich die Zwillingsformel Alt und Jung durch einen geringeren Grad an Idiomatizität aus. Alt und Jung bedeutet etwa jedermann, und wird in dieser Bedeutung als fester Wortkomplex schon in der Heiligen Schrift verwendet: „Mose sprach: Wir wollen hinziehen mit jung und alt, mit Söhnen und Töchtern, mit Schafen und Rindern; denn wir haben ein Fest des HERRN“ 16 13 Bibelbeleg: Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985, 1. Mose 17:7, weiter in: 1. Mose 17:9 und 2. Mose 3:15 14 Ebd. Psalmen 100, 5 15 Ebd, Psalmen 135, 13 16 Ebd., 2. Mosse 10, 9 187 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Der Kontext, in dem Gotthelf die Zwillingsformel verwendet, ist der Folgende: „Am folgenden Morgen lange vor der Sonne waren alt und jung auf den Beinen, in allen regte sich die gleiche neugierige Angst…“ 17 Durch das nachfolgende Zitat kann veranschaulicht werden, wie der Idiomatizitätsgrad einer Zwillingsformel von dem einer paarigen Wortkombination abweicht: „Sie hörten, wie Christine nicht von der Türe wich; es fühlte das arme Weib seiner wilden Schwägerin feurige Augen durch die Türe hindurch, und sie brannten es durch Leib und Seele. […] Zagen und Grauen ergriff die Männer, als Christine mit dem geraubten Kinde herauskam.“ 18 Die Zwillingsformel durch Leib und Seele kann in Bezug auf die biblische Deutung als idiomatisiert betrachtet werden, dagegen aber ist die Wortkombination Zagen und Grauen bloß ein freies Wortpaar. Die Zwillingsformel durch/mit Leib und Seele kann nicht nur als ein Lexem fungieren, sondern Leib und Seele hat in Bezug auf Gottes Schöpfung eine eigene Bedeutung. Leib und Seele meint eine Einigkeit, die nicht nur in Bezug auf den menschlichen Körper gilt, sondern die Angst vor dem Tod wird mit der Zuversicht in Gott korreliert. Leib und Seele sind zentrale Begriffe des christlichreligiösen Bezugsrahmens. Besonders wenn Gotthelfs Figuren 17 18 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 41 Ebd., S. 55 188 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Todesgefahr droht, wird Bezug auf Leben, Leib und Seele genommen. Ein Beispiel dafür ist das folgende Zitat: „Je näher die verhängnisvolle Stunde kam, um so näher drängte das arme Weibchen sich zu Gott, umklammerte nicht mit den Armen allein, sondern mit dem Leibe und der Seele und aus ganzem Gemüte die Heilige Mutter, bittend um Schutz um ihres gebenedeiten Sohnes willen. Und ihr ward immer klarer, dass im Leben und Sterben in jeder Not der grösste Trost bei Gott sei, denn, wo der sei, da dürfe der Böse nicht sein und hätte keine Macht.“ 19 Bei einer ähnlichen Beschreibung des Zustandes, wo die Personen der Novelle große Angst erleben, verweist die Zwillingsfomel Leib und Seele auf den Inhalt der Psalmen in der Heiligen Schrift, wo neben Grundproblemen auch Alltagserfahrungen thematisiert werden: „HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst; meine Gestalt ist verfallen vor Trauern, dazu meine Seele und mein Leib.“ 20 „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ 21 An dem Beispiel der biblischen Zwillingsformel Leib und Seele wird noch eine sprachliche Besonderheit offensichtlich. Sie betrifft die Umwandlung des Ausdrucks „mit Leib und Seele“ und das Hinzufügen von Nebenbedeutungen. Diese formelhafte Wendung, die auf die Heilige Schrift zurückgeführt werden kann, ist im 19 Ebd., S. 42 Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985, Psalmen 31, 10 21 Ebd., Psalmen 73, 26 20 189 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Gegenwartsdeutschen im Sinne von „völlig, ganz und gar“ 22 zu verstehen. In diesem Fall ist ein Idiomatisierungsprozess eingetreten. Neben dem Idiomatizitätsgrad scheinen die Zwillingsformeln noch durch ihre phono-stilistische Eigenschaften wie Alliteration, End- und Stabreim für die Narrative von Gotthelf von Bedeutung zu sein. Gotthelf benutzt ihren Rhythmus und Wortklang absichtlich, um an mehreren Stellen auf biblische Motive wie Sündenfall und Erlösung, Verfall von Sitten und Moral wie in den Städten Sodom und Gomorra, Selbstopferung und Egozentrismus, Gottesfurcht und Gottlosigkeit, Nächstenliebe und Menschenliebe, usw. zu verweisen. In seiner Novelle stützt sich Gotthelf oft auf Gegenüberstellungen, die als Oppositionen in der Heiligen Schrift gefungen werden können. Einer der zentralen Gegensätze ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Dieser Kampf wird von dem Autor mit Gottes Herrschaft verbunden, welche für die Novelle grundliegend ist. Diesem Kampf sind auch die Personen der Erzählung unterworfen. Gut und Böse bestimmen ihr Leben im Alltag und falls sie sich auf die Traditionen stützen, treffen sie die richtige Wahl und leben im Einklang mit Gott ihr ganzes Leben lang. Der Widerspruch von Gut und Böse ist auch eine zentrale Opposition in der biblischen Auslegung. Dieser Gegensatz wird als grundlegend bereits in der Schöpfungsgeschichte vorgestellt: 22 Laut Duden – Wörterbuch der Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten (1992, S. 446) hat die Zwilingsformel „mit Leib und Seele“ zwei Nebenbedeutungen, die heutzutage relevant sind: 1. mit Begeisterung für etwas oder 2. ganz und gar. 190 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo „Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.“ 23 Laut dieser Ansicht zählt die Fähigkeit, Gut und Böse unterscheiden zu können, zu einer der höchsten Tugenden des gottgefälligen Menschen. Gotthelfs Personen vermögen deswegen auch, Gut und Böse abzugrenzen. Wenn die Hauptfiguren den Gottesgesetzen und guten Sitten und Moral folgen, so werden sie in ihrem Leben belohnt. Solcher Überzeugung ist auch der Autor der Novellle, und weil er die guten Charaktere als Vorbild bestätigen möchte, lässt er sie am Ende triumphieren. Damit setzt sich die Übermacht des Positiven durch: „Es wurden rechtschaffene, gottesfürchtige Menschen, die Gnade bei Gott hatten und Wohlgefallen bei den Menschen, die Segen im Leben fanden und im Himmel noch mehr. Und so blieb es in der Familie, und man fürchtete die Spinne nicht, denn man fürchtete Gott... 24 Die Konstruktion Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den Menschen ähnelt der Konstruktion der Zwillingsformeln. Sie erinnert wiederum an den biblischen Stoff. Die Gnade ermöglicht laut theologischer Deutung ein christliches Leben (vgl. 2. Brief des Paulus an Titus, 11-13). Weiter wird die Gnade Gottes mit der Gottesfurcht als Tugenden angesehen: 23 24 Die Bibel 1985, 1. Mose 3, 22 Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 89 191 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo „Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.“ 25 Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den Menschen werden oft mit der biblischen Figur von Hiob verbunden. Hiobsgestalt wird oft zum Symbol des leidenden Menschen, der in all seinem Leiden, seiner Trauer und materiellem Verlust seinem Gott treu blieb. Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den Menschen werden von Gotthelf vielleicht deswegen kombiniert, um an Gott - Mensch - Beziehung zu erinnern. In dieser Hinsicht wird die ethisch aufgefasste Idee über das Leben eines gottgefälligen Christen expliziert. Da für Gotthelf christliche Moralvorstellung und Tugenden wie Gottesfurcht und -liebe einen besonderen Akzent darstellen, bedient er sich zuzüglicher biblischer Zwillingsformeln, die auf die Relation Gott-Mensch beruhen. In dieser Hinsicht lässt sich die Hingabe zu Gott im Gegensatz zur Furcht vor dem Teufel auch als Hingabe zur Familie auffassen. Die Zwillingsformel, die die Selbstopferung der Eltern für ihre Kinder versinnbildlicht, lautet mit Weib und Kind. Wie dieses Wortpaar die erzählerische Technik von Gotthelf unterstützen können, lässt sich am folgenden Beispiel erkennen: „es war etwas in ihm, das ihn trieb, das ihm die Haare auf dem Kopfe emportrieb: es war das Gewissen, das ihm sagte, was ein Vater verdiene, der Weib und Kind verrate, es war die Liebe, die er doch noch hatte zu seinem Weibe und seiner Leibesfrucht. Aber dann hielt ihn wieder ein anderes, und das war stärker als das erste, es war die 25 Die Bibel 1985, Psalmen, 103, 17 192 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Furcht vor den Menschen, die Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu dem, was dieser ihm nehmen konnte..“ 26 In dieser Hinsicht erinnert der Inhalt der Zwillingsformel Kind und Weib wieder an die Worte Moses, wo die Kraft und Macht der Liebe zu Gott mit der Familienliebe einen unzertrennlichen Bund bilden: „Spricht aber der Knecht: Ich habe meinen Herren lieb und mein Weib und Kind“ 27 Um darzulegen, wie wichtig Gottes- und Familienliebe sind, benutzt Gotthelf die Methode der Gegenüberstellung. So vergleicht er die positiven Gefühle mit den negativen wie Angst und Schrecken vor der schwarzen Spinne. An die Beschreibungen über Angst und Schrecken lässt sich die Absicht Gotthelfs ablesen, die schrecklichen Szenen als eine Strafe Gottes darzustellen. Um diesen Gedanken zu bekräftigen, gebraucht der Novelist wieder Zwillingsformeln, die direkt auf den Inhalt der Heiligen Schrift verweisen: „ … und ihr war, als ob von spitzigem Eisen aus Feuer durch Mark und Bein fahre, durch Leib und Seele“ 28, oder auch wie im Beispiel: „Da zuckte zweischneidend der Schmerz ihm durch Mark und Bein, es dunkelte vor seinen Augen, es fühlte das Nahen seiner Stunde und war allein.“ 29 26 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 55-56 Die Bibel 1985, 2. Mose 21, 5 28 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 33 29 Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 53 27 193 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Durch die Zwillingsformel „durch Mark und Bein“ verkörpert Gotthelf den Schmerz, der die Personen in der Novelle überfällt. Trotz des Leidens konnte im ersten Fall die treue Mutter und im zweiten Fall der treue Vater die Schmerzen heldenhaft überwinden. Was bei der Bekämpfung der Leiden half, war der Gedanke an das eigene Kind und die Kraft ihres Geistes. Man kann in diesem Kontext vermuten, dass der Autor den starken Geist und die reine Seele, die der Familie und Gott treu sind, durch die Zwillingsformel „durch Mark und Bein“ den biblischen Stoff anspricht, wie im Buch der Häbraeer über das Wesen und Wirken des Wortes Gottes: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“ 30 Der Glaube an Gott, die Hingabe an Weib und Kind werden vom Autor als höchste Tugenden dargestellt. Diese Eigenschaften verleihen den Personen der Novelle die Kraft, sich vom Bösen zu retten. Das Böse verbindet der Autor mit dem Verlust an Sitten und Moral, aber vor allem an Gottesfurcht. Diesbezüglich erleben die negativen Figuren von Gotthelf Schrecken, Rache und sterben sogar in höllischen Quallen. All dieses Leiden wurde eigentlich nicht von der schwarzen Spinne zugefügt, sondern von der verfallenen menschlichen Natur. Dadurch lässt sich eine letzte Anspielung Gotthelfs aufdecken, und zwar, dass solange man das Wort Gottes 30 Die Bibel 1985, Häbraeer 4, 12 194 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo befolge, würde der gottesgefällige Mensch wie der Mensch in der Novelle „Die schwarze Spinne“ genug Grund zum üppigen Feiern haben, wie in der Anfangsszene mit der Tauffeier. Um dies zu akzentuieren, verweist der Autor an mehreren Stellen auf die Heilige Schrift. Wie sich am Ende der Novelle herausstellt, besteht die höchste menschliche Tugend im Befolgen der Gesetze Gottes. 3. Schlusswort Die abschließenden Gedanken des dargestellten Beitrags zur Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf widmen sich der Rolle der ihnertextuellen Bezügen, die dieses lieterarische Verfahren auf die Auslegung der Narrative ausübt. Die in den beiden Teilen der Arbeit genannten Beispiele veranschaulichen eine tiefere schriftstellerische Intention von Gotthelf bezüglich der intertextuellen Verweise auf die Bibel. Besondes wichtig für das Zusammenspiel von biblischer Bezogenheit und erzählerischer Technik ist die Verwendung von biblischen Motiven. Die Arbeit behandelte die folgenden Motive: Das Motiv der Taufe, die Märtyrertaten einer Mutter in der ersten Rahmenerzählung und eines Vaters in der zweiten. Das Pakt-Motiv zwischen Christine und dem Teufel wurde auch als intertextueller Bezug zur Bibel angesehen. Biblische Verweise werden vom Autor textimmanent genutzt, um dadurch den Verlauf der Novelle gestalterisch steigern zu können. Gotthelf malt Naturphänomene, beschreibt menschliche Zustände und verweist gleichzeitig auf biblischen Stoff. 195 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo Weil Gotthelf sehr oft auf die Bücher Moses und auf die Angstvorstellungen aus der Apokalypse greift, können die Handlungen seiner Personen als eine Handlungen mit Bibelverweis gedeutet werden. Dabei lassen sich sozialkritische Züge bemerken. Ob er seine Figuren verbannt, sie ins Verderben schickt oder anpreist, hängt davon ab, ob sie im Einklag mit dem Wort Gottes, mit Gottes Gesetzen und mit den Gesetzen der erhabenen menschlichen Natur leben. Wegen Nichtbeauchtung Gottes und seines Willens werden die Bauern aus dem Sumiswald für ihren Unglauben mit der Spinnenseuche bestraft. Damit richtet sich die Kritik Gotthelfs an den Hang zum Unglauben, den er in seiner Zeit als Pfarrer und Schriftsteller leider erkennen kann. Gotthelf benutzt demzufolge den biblischen Stoff, um die religiösen Schwächen der Gesellschaft brandzumarken. Er bedient sich dabei inhaltlicher und sprachlicher Intertextualität zur Bibel. In der vorliegenden Arbeit wurden beide Verfahren thematisiert. Durch die zahlreichen Verweise auf die Bibel konnte festgestellt werden, dass sich die Novelle durch eine spürbar kritische Absicht auszeichnet. Wie in der Arbeit behauptet wurde, sind die beiden Aspekte der Intertextualität in der Novelle von Gotthelf in dem Maße für die Narrative ausschlaggebend, damit er sie mehrmals als surrealistische Provokation aufnimmt und sie in die Handlung durch poetische Ausdrucksweise einfügt. Die Bibelanspielungen erscheinen in einer so einprägsamen Art, dass man die Novelle „Die Schwarze Spinne“ als eine intertextuelle Novelle betrachten kann. Letzendlich 196 Studi Linguistici e Filologici Online 9 Dipartimento di Linguistica – Università di Pisa www.humnet.unipi.it/slifo könnte noch festgestellt werden, dass sowohl das Repertoire des biblischen Sprachgutes, als auch die zahlreichen Zwillingsformeln aus der Bibel vom Autor als sozialkritisches Instrument verwendet werden. Der Appell von Gotthelf ist ein Aufruf zur Achtung von guten Sitten und Moral, aber auch zur Gottesfurcht und Hingabe zu Gottes Wort. Teodora Kiryakova-Dineva Southwestern University Neofit Rilski, Blagoevgrad, Bulgaria [email protected] Literaturverzeichnis Primärliteratur Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1985. Gotthelf, Jeremias: Die schwarze Spinne. Norderstedt: Grin Verlag, 2008. Eismann, Wolfgang: EUROPHRAS 95. Europäische Phraseologie im Vergleich: Gemeinsames Erbe und kulturelle Vielfalt. 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Mieder, Wolfgang (Hrsg.): Deutsche Sprichwörter in Literatur, Politik, Presse und Werbung. Hamburg: Helmut Buske Verlag 1983. 199