Die Novelle Die schwarze Spinne von Jeremias

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Die Novelle Die schwarze Spinne von Jeremias
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DIE NOVELLE “DIE SCHWARZE SPINNEˮ VON JEREMIAS
GOTTHELF ALS EINE INTERTEXTUELLE NOVELLE ZUR BIBEL
TEODORA KIRYAKOVA-DINEVA
0. Einführende Gedanken
Die vorliegende Arbeit untersucht die Novelle „Die schwarze
Spinne“ von Jeremias Gotthelf unter dem Blickwinkel der
Intertextualität, die anhand von biblischen Motiven und biblischen
Zwillingsformeln erlangt wird. Die Verwendung der biblischen
Verweise hat zum Ziel, die Handlung und die Personen in einem
sozialen Kontext darzustellen, und als er die guten Traditionen und die
feste Glaube an Gott bedroht sieht. Um daran zu erinnern, dass man
auf Sitten und Moral, auf Religion und Menschlickheit achten sollte,
greift Gotthelf auf die Bibel zurück. Dass sich biblische Verweise und
biblische Zwillingsformeln als besonders angemessen für die
Narrative von Gotthelf eignen, hängt mit der Tatsache zusammen,
dass der Autor sie als vorgeformte Wortkomplexe zur Festlegung
einer Art Metasprache mit klar bestimmten Zielen gebraucht und
damit einige existenzielle Probleme der Bauerngesellschaft aus dem
18. Jahrhundert akzentuiert. Neben der sagenhaften Erzählung, der
gefühlsbetonten Beschreibung der Seelenwelt der Personen und dem
kunstvoll verfassten Sprachstil richtet der Autor die Aufmerksamkeit
des Lesers auf sittlich-religiöse Themen wie Ehrfurcht und Glaube an
Gott. Der theologischen Richtungslinie fügt Gotthelf noch eigene
kritische Absichten hinzu. Erzieherische Zwecke lassen sich durch die
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ISSN 1724-5230
Volume 9 (2011) – pagg. 171-199
T. Kiryakova-Dineva – “Die Novelle „Die schwarze Spinne“
von Jeremias Gotthelf als eine intertextuelle Novelle zur Bibel”
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Vorstellung der Hauptfiguren der beiden Rahmenerzählungen der
Novelle aufspüren. Die fromme Gestalt des Großvaters, die
zahlreichen Aufopferungstaten führen zu einem guten Ende der
Novelle und sind als Bestätigung des Guten zu verstehen.
Zur Bekräftigung dieses Zieles bedient sich Gotthelf von Absatz
zu Absatz biblischen Stoffes und verweist auf biblische Motive und
Themen. Durch den Rückgriff auf Bilder aus der Apokalypse gelingt
es Gotthelf, dadurch eine klare Bildsprache zu schaffen. Bis zum Ende
der Rahmenerzählung lassen sich folgende Zentralmotive mit
Bibelverweis aufzeigen: Das idyllische Leben im Einklang mit Gott,
das Motiv der Nächstenliebe, das Motiv des Kampfes zwischen Gut
und Böse, zwischen Gott und Teufel, das Motiv des Sündenfalls und
Erlösung, das Motiv der Taufe, das Motiv der Aufopferung. Dieses
Vorgehen ist folglich als bewusste Intertextualität zu der Heiligen
Schrift zu deuten. Die intertextuelle Verschlüsselung wird nicht nur
durch die Verwendung biblischer Motive, aber auch von biblischer
Sprache in der Form von Satz- und Wortkonstruktionen weiter
unterstützt. Inhaltlich zeigen alle Arten sprachlicher Bezüge auf die
Bibel keinen besonderen Unterschied zum Originaltext in der Bibel,
wie in den folgenden Beispielsätzen:
Beispielsatz 1: „Ja, wer blind ist, sieht auch die Sonne nicht,
und taub ist, hört auch den Donner nicht.“ 1
Bibelverweis zu Beispielsatz 1: „und nun siehe, die Hand des
HERRN kommt über dich, und du sollst blind sein und die Sonne
1
Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, Norderstedt: Grin Verlag 2008, S. 78
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eine Zeitlang nicht sehen! Und von Stund an fiel auf ihn Dunkelheit
und Finsternis, und er ging umher und suchte Handleiter.“ 2
Die zahlreichen biblischen Verweise, die durch sprachliche
Zwillingsformeln wie an Leib und Seele, durch Mark und Bein, durch
Fleisch und Blut, mit Beten und Fasten, Kind und Kindeskinder, alt
und jung, Mann und Weib, usw., aber auch das bewusste Anknüpfen
an biblische Motive sind dem schriftstellerischen Zweck unterstellt,
den Lesenden den Nachvollzug seiner Novelle zu ermöglichen.
Außerdem sind die Verweise auf die Bibel, sowohl in der Form von
biblischen Motiven als auch von biblischen Zwillingsformeln für
Gotthelf notwendig, damit er in jeden Höhepunkt seiner Novelle den
Mensch, seine Seele und das Verhältnis zwischen Gut und Böse als
gedanklichen Hintergrund stellen kann. Als zentrale Begriffe
bestätigen sich
Not, Angst und Aberglaube, Gottesfurcht und
Nächstenliebe, daneben auch Opfertat und Buße, die in allen
Momenten der Novelle als Hauptthemen zu spüren sind. Weil die
Bibelverweise von grundlegender Bedeutung für die Handlung von
Gotthelfs Novelle sind, widmet sich die vorliegende Untersuchung
genau dem Problem der Intertextualität. Sie wird zuerst einige
biblische Motive, und zweitens die biblische Sprache, die durch
biblische Zwillingsformeln vertreten wird, behandeln. Gegenstand der
Arbeit soll die Feststellung der Art und Weise, auf die Intertextualität
als Hauptverfahren in der Novelle verwurzelt ist.
2
Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Apostel 13,11
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Intertexualität
durch
biblische
Verweise
und
biblische
Zwillingsformeln befähigen den Autor, seine Ideen in einem
besonders
erhabenen
Stil
zu
präsentieren.
Beispiele
solcher
Stilisierung sind in der konkreten theologischen Lexik zu bemerken,
wie: „sie hielten fest an Gott“, „Und gemeinsam beteten sie zu Gott“,
„Darum ward er auch gesegnet mit zeitlichem Gut und vergass Gott
nie“, „zum Aushalten gab Gott die Kraft“, „er kam und wollte
ausziehen mit heiligem Wasser und heiligen Sprüchen gegen den
bösen Feind, dass Strafe die Schuldigen treffe, wenn Gottes Hand
vernichtend über sie komme“, „taufte der Priester das Kind im Namen
Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, „wie sie nur
die Engel im Himmel kennen“.
Die Vorliebe für die Anknüpfung vorwiegend von Substantiven
und die offensichtliche Haltung an biblischen Stoffen könnte noch als
eine Art Stilisierung durch Wortklang und Rhythmus dank der
Zwillingsformeln
wie
„mit
Leib
und
Leben“,
„Kind
und
Kindeskinder“, „oben und unten“ angesehen werden. Die bipolare
Form der Konstruktion „S und S“ stellt ein universelles Modell dar,
das oft auf Vorstellungen und Weltbildern nicht nur aus der Bibel
sondern auch aus vorangegangener Kulturen und Religionen beruht,
wie zum Beispiel Gott und Teufel, Angst um das Leben und Angst vor
dem Tod, Allmacht des Guten oder des Bösen, Aberglaube in
Gegenstände, Kult zur Rettung der Neugeborenen und Selbstopferung
als Zivilisationsrettung. Ein solches literarische Herangehen lässt sich
durch die Feststellung von L. Gielkens begründen:
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„Diese elementaren Symbole waren schon vor der Bibel da und
verbinden in heutiger Verwendung mit den früheren Zeiten.
Christliches Profil gewinnen die Symbole aus ihrer Verbindung mit
der
Geschichte
Israels
und
der
Person
Jesu.
In
der
Symbolauseinandersetzung geht es dann darum, die geschichtliche
Konkretisierung der christlichen
Botschaft in die jetzige Zeit zu
realisieren.“ 3
Die universalen Zwillingsformeln wie: Leib und Seele, Brot und
Wasser, Wüste und Weg, Fleisch und Blut enthalten dementsprechend
einen
Beziehungsaspekt,
der
Jahrzehnte
hindurch
in
der
Menschengeschichte erhalten bleibt und auch heute noch seine
theologische Vielfalt weiter entwickeln kann. Biblische Motive und
biblische Phraseologismen scheinen auch für die Novelle von Gotthelf
über eine schöpferisch bildende Kraft in Bezug auf Vermittlung von
religiösem Sinn und Symbolwelten zu verfügen. Um zu verfolgen,
was für einen Platz solche Motive und Phraseologismen aus der Bibel
in der Novelle einnehmen, wird die nachfolgende Untersuchung in
zwei Abschnitte aufgeteilt: Im ersten Abschnitt soll die Intertextualität
anhand von biblischen Motiven auf die Luther-Bibel behandelt
werden. Diese Intertextualität wird als literarische Intertextualität
betrachtet. Der zweite Abschnitt behandelt die Intertextualität, erlangt
durch biblische Zwillingsformeln. Die zweite Art Intertextualität wird
als sprachliche Intertextualität angesehen.
3
Gielkens, Leo: Mehr als Sieg und Niederlage. Berlin LIT Verlag 2007, S. 126/127
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1. Literarische Intertextualität durch biblische Motive in der
Novelle „Die schwarze Spinne“
Die enge Beziehung des Autors der Novelle „Die schwarze
Spinne“ zur Bibel begann damit, dass sein Vater Pfarrer war. Später
studierte er Theologie und sein Leben lang war mit Religion eng
verbunden. Die Frage ist jedoch zu welchem Zweck der Novelist so
häufig auf biblische Motive und Verweise auf biblischen Stoff oder
auf biblische Sprache in der Form von Zwillingsformeln zurückgreift.
Im Grunde genommen kann man davon ausgehen, dass sich Gotthelf
der biblischen Sprache in zweierlei Hinsicht bedient. Erstens kann sie
mit demjenigen Zweck verbunden sein, einen erhabenen literarischen
Stil und Ästhetik des Ausdrucks zu erreichen. Zweitens können die
biblischen Verweise auf sozialer Kritik beruhen und mit religiöserzieherischen Absichten gefüllt sein. Vermutlich besteht noch ein
dritter Zusammenhang, und zwar der, dass der Autor durch die
biblische Sprache dem Volksbewusstsein näher kommen wollte. Zu
seiner Zeit kannten die einfachen Leute die biblischen Stoffe wie die
Schöpfungsgeschichte, den Sündenfall, die Vertreibung aus dem
Paradies, die Sprüche Salomon und andere Stoffe, mit denen sie gut
durch den Gottesdienst und die kirchliche Predigt vertraut waren. Um
seine Ideen zu unterstützen, stellt der Novelist nämlich sittlichreligiöse Probleme in das Zentrum der Handlung.
In der Novelle von Gotthelft lässt sich die intertextuelle Tendenz
zur Bibel besonders spürbar feststellen. In der vorliegenden Arbeit
spielt Intertextualität in der Bedeutung von „Einlagerung fremder
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Texte in einen Text“4 eine Rolle. In diesem Sinne kann man das
Vorkommen von Intertextualität im weitesten Sinne voraussetzen,
indem man die Einbettung von biblischen Motiven und biblischen
Zwillingsformeln als Fragmente aus dem Hypertext Bibel in
Betrachtung zieht. Obwohl der Autor nicht direkt aus dem Bibel
zitiert, spielt Intertextualität in der Novelle „Die schwarze Spinne“
eine besonders wichtige Rolle. Es lässt sich in diesem Sinne
behaupten, dass die vom Novelisten verwendeten biblischen Motive
und Zwillingsformeln nicht vor dem Problem der Narrative stehen.
Der Autor zielt auf den Wiedererkennungseffekt biblischer Inhalte ab.
Ein Beispiel für Erkennungsforderung und intertextuelle biblische
Reminiszenz findet sich in dem folgenden Abschnitt:
„In der Mitte der sonnenreichen Halde hatte die Natur einen
fruchtbaren, beschirmten Boden eingegraben; mittendrin stand
stattlich und blank ein schönes Haus, eingefasst von einem prächtigen
Baumgarten, in welchem noch einige Hochäpfelbäume prangten in
ihrem späten Blumenkleide; (...) Nicht umsonst glänzte die durch
Gottes Hand erbaute Erde und das von Menschenhänden erbaute Haus
im reinsten Schmucke;“ 5
Das gewählte Zitat, das gleich aus der ersten Seite der Novelle
entnommen ist, erinnert an die Vorstellung im Garten Eden. Diese
Retrospektive wird durch die Symbole des prächtigen Gartens, der
Fruchtbarkeit, des Baumes, des Apfels unterstützt. Die Gleichsetzung
4
Renate Lachmann: Ebenen des Intertextualitätbegriffes. In: Stierle/Warning (Hrsg.)
Poetik und Hermeneutik (1984), S. 133 – 138, hier S. 134.
5
Gotthelf, Jeremias - Die schwarze Spinne, S. 1
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mit der paradiesischen Idylle in der Anfangsszene ist dem Erzähler
deswegen wichtig, damit er später die harmonische Ordnung im
Paradies auf die Realität der Bauerngesellschaft aufeinander beziehen
kann. Dann werden „die Geschöpfe, die geschaffen sind, sich an der
Sonne ihres Lebens zu freuen“ Angst und Entsetzen ausgesetzt; dann
geht das Sonnenreich, das „in klarer Majestät“ leuchtet, verloren.
Gleich nach der Darstellung der Natur führt der Autor die Idee
für das lauernde Böse ein, das die Seele des Menschen von seinem
Leibe trennt und das den Menschen entweder nach oben in den
Himmel oder nach unten in die Hölle führt. Dafür benutzt Gotthelf
intertextuelle Bezüge und gebraucht religiöse Vorstellungen – der
Gottessohn geht zum Vater, wie die Seele des Menschen zum Gott in
den Himmel geht:
„Es war der Tag, an welchem der Sohn wieder zum Vater
gegangen war zum Zeugnis, dass die Leiter noch am Himmel stehe,
auf welcher Engel auf- und niedersteigen und die Seele des Menschen,
wenn sie dem Leibe sich entwindet, und ihr Heil und Augenmerk
beim Vater droben war und nicht hier auf Erden;“ 6
Offenbar scheinen die ersten Beispiele aus der Novelle Gotthelfs
genug Grund zu geben, die Novelle auf intertextuelle Verweise und
Motive weiter zu untersuchen. Gegenstand soll folglich sein, ob sich
Intertextualität als Hauptverfahren bis zum Ende der Novelle
bestätigen kann. Die zu verteidigende These ist folglich, dass Gotthelf
intertextuelle Bezüge mit Absicht in verschiedenen Momenten der
6
Gottgelf, Jeremias - Die schwarze Spinne, S. 2
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Handlung einfügt. Eine Bestätigung der angenommenen These würde
bedeuten, dass sowohl die literarischen als auch die rein sprachlichen
intertextuellen Bezüge auf die Bibel dem Zweck des Autors unterstellt
sind, dadurch die Bauerngesellschaft in einem Kontext von
psychischen Zuständen, religiöser Hingabe und sozialen Konflikten
thematisieren zu können. Die biblischen Verweise dienen dem Autor
auch als erzieherisches Ausdrucksmittel, weil neben dem Hauptthema
von Gut und Böse noch einige Akzente gesetzt werden, wie:
freiwillige Opfertaten, Gottes- und Nächstenliebe. Die Haltung von
Traditionen und vor allem aber Achtung der Religiosität führen zur
Überwindung des Bösen am Ende der Novelle. Deswegen stehen
Gotthelfs Figuren in enger Verbindung zur Religion, dabei auch zu
Moral, Traditionen und zu guten Sitten. Ihr Handeln ist auf Gott
bezogen, wobei sie durch ihre Position gegenüber Gott selbst den
eigenen Lebensweg beeinflussen.
Den intertextuellen Bezügen zu inhaltlichen und formellen
Bezügen aus der Bibel liegt kein direktes Zitieren von biblischen
Stoffen zugrunde. Die sachlich abhängigen biblischen Bezüge werden
vom Autor bewusst in der Art einer Sprach-Motiv-Montage
dargestellt. Nachdem Gotthelf die Anfangsszene vom idyllischen
Leben eines reichen Bauernhauses im Emmental vorgestellt hat, fügt
es das nächte Bibelmotiv ein – die Feier der Taufe des Enkelkindes.
Beim Essen fällt einem der Gäste ein alter Fensterpfosten auf, der in
dem neuen Familienhaus eingebaut war. Dann erzählt der Großvater
die Sage, die sich auf die ganze Dorfgemeinschaft bezieht. Die
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Geschichte stammt aus der Zeit, als die Ritter des Deutschen Ordens
über die Bauern im Tal herrschten. Obwohl sie gewaltige Frondienste
leisteten, waren die Grundherren ständig unzufrieden. Ohne Erfolg
blieben die Versuche, ihre Forderungen zu erfüllen. In so einem
Augenblick der Verzweiflung bot der Teufel seine Hilfe an, wofür er
ein ungetauftes Kind verlangte. Die Bäuerin, die diesen Pakt schloss,
hieß Christine. Der Teufel besiegelte den Pakt mit einem Kuss auf die
Wange von Christine, erfüllte bald sein Versprechen und erwartete
dagegen seinen Lohn. Vielmals hatte Christine versucht, an ein
ungetauftes Kind heranzukommen, doch jedesmal besprengte der
Pfarrer das Neugeborene mit Weihwasser, womit er auch der heilige
Akt der Taufe ausübte. Unerwartet wuchs auf Christines Wange ein
schwarzer Fleck in der Gestalt einer schwarzen Spinne. Als erstes
Anzeichen des teuflischen Ärgers kam ein großes Menschen- und
Viehsterben über das ganze Tal.
Bis zu dem Moment der Herausbildung der schwarzen Spinne
lassen sich einige Bibelmotive aufdecken – das Motiv des Hauses als
Schutz vor dem Bösen und das Motiv der Taufe. Bevor der Novelist
die Dorfbewohner ins Verderben schickt, leitet Gotthelf seine Idee an,
dass dem Menschen Üppigkeit und Wohlhaben vorbehalten sind, nur
wenn er im Einklag mit Gottes Gesetzen lebt. So kontrastiert die
feierliche Stimmung im reichen Bauernhaus mit der grausamen
Geschichte der schwarzen Spinne. Das symbolische Haus und der
hölzerne Fensterpfosten, in dem die tödliche Spinne eingesperrt ist,
sollen als ein Ausdruck der konservativen Haltung gegenüber der
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Angstvorstellung vom Leser verstanden werden. Das Haus als
Sinnbild erscheint weiter in der Rolle einer kleinen Welt, in dem
durch
Ordnungshaltung,
gottgefälliges
Leben
und
gepflegte
Sittlichkeit das drohende Böse fern gehalten wird. Das Ideal der
Bewahrung von Tradition, Moral und Gottesfurcht ergänzt der Autor
mit dem biblischen Motiv der Taufe. Um diese Idee hervorzuheben,
lässt Gotthelf den Teufel für seine Hilfe ein ungetauftes Kind
verlangen. Die Gegenüberstellung der Taufe und des Teufels stellt der
Versuch des Autors dar, auf die dörflichen Verhältnisse in der
Schweiz aufmerksam zu machen, und zwar aus der Perspektive eines
gläubigen Christen, der um Aufrechterhaltung der religiösen Bräuche
besorgt ist. Es ist auffallend, dass mit der Taufe nur ein neugeborenes
Kind gerettet werden kann. Vielleicht hängt dieser Einfall des Autors
damit zusammen, dass der Taufe in der christlichen Welt eine
symbolische Bedeutung beigemessen wird.
Den hohen Stellenwert der Taufe gibt es in der kirchlichen
Tradition heute noch. In der Taufe sieht man leider meistens bloß
Namensgebung, Segnung und Eintritt in die christliche Gemeinschaft.
Die Taufe ist in erster Linie die Zusage der Liebe und des Segens
Gottes.
Vielmehr
soll
in
der
Taufe
die
Hoffnung
auf
Sündenvergebung, Auferstehung von den Toten und das kommende
Reich Gottes gesehen werden. Es ist deswegen sehr wahrscheinlich,
dass Gotthelf genau diesen Sinn der Taufe gemeint hat. Der Verfall
des Menschen, die Todesstrafe der schwarzen Spinne, und vor allem
die Rettung jedes Neugeborenen durch Bespritzen mit Weihwasser,
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womit durch Aussprechen der heiligen Worte die Taufe ausgeführt
wird, stehen in engem Zusammenhang mit der Errettung der Seele.
Wie dramatisch der Autor die Angst um die Seele des Kindes darstellt
und die erzielte Spannung mit dem Bibelverweis verbindet, lässt sich
am folgenden Beispiel bemerken:
„... und auf der Mutter Armen taufte der Priester das Kind im
Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und
jetzt war es entrissen des Teufels Gewalt auf immer, bis es sich ihm
freiwillig übergeben wollte.“ 7
und dementsprechend noch die Bibelstelle dazu:
„Wer glaubt und getauft wird, soll errettet werden; wer aber
nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ 8
Das gleiche biblische Motiv wiederholt sich in jeder Situation,
wo sich Erwachsene (Mütter, Väter oder Priester) für Kinder opfern.
Diese Opferung als Motiv wird vom Autor mit der Selbstofperung
Jesus Christi für die Menschheit gleichgestellt.
Die tödlichen Taten der Spinne, wenn sie mit der Unschuld
eines neugeborenen Kindes ergänzt wird, erzeugen den Höhepunkt der
dramaturgischen Handlung in den beiden Rahmenerzählungen. Um
die Spannung zu steigern, fügt der Novelist den Horrorgeschichten
mehrere Mordszenen und damit noch apokalyptische Verweise auf die
Bibel hinzu, was einen erheblichen Teil der Schilderung ausmacht.
Dabei genügt es dem Erzähler nicht, sich nur auf Bibelmotive zu
7
Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 60
Bibelverweis - Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985.
Mark 16:16
8
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konzentrieren. Gotthelf bedient sich einer anschaulichen biblischen
Sprache, die durch zahlreiche Zwillingsformeln aus der Bibel zum
Ausdruck kommt. Ihr Effekt auf den Leser lässt sich durch die
folgenden Belege in der Novelle verfolgen, die Gegenstand des
anschließenden Abschnitts sind.
2.
Sprachliche
Intertextualität
durch
biblische
Zwillingsformeln in der Novelle „Die schwarze Spinne“
Die ganze Novelle „Die schwarze Spinne“ zeichnet sich durch
eine eigentümliche Erzählweise aus. Zu ihrer Stilisierung trägt der
sagenhafte Stoff bei, der vom Autor in einer erzählerischen Manier
dargestellt wird. Gleich zu bemerken ist die vorbedachte Wortwahl –
die Sonne leuchtet in „klarer Majestät“, das Haus ist „stattlich und
blank“, um das Haus liegt „ein sonntäglicher Glanz“. Der Novelist
schafft einen besonderen Rhythmus und Klang des Ausdrucks, indem
er zahlreiche Kombinationen und Verdoppelungen verwendet. Einen
stilisierenden Einfluss üben in dieser Hinsicht die zweigliedrigen
Verdoppelungen von Substantiven, aber noch die Anhäufung von
Adjektiven. An Beispielen wie: „Langsam und gebeugt ging an einem
Hakenstock der Grossvater“, „Glück war in Feld und Stall und Friede
unter den Menschen“, „Scheu und verstohlen blickten die Augen“, „in
Gottesfurcht und Rechttun“, „in der gleichen Gottesfurcht und
Ehrbarkeit wie die Väter lebten auch die Söhne“, „von irdischer Not
und Plage“, „und ihre Töchter waren berühmt landauf, landab und
ihre Söhne gerne gesehen überall“ merkt der Leser gleich, dass der
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Autor die Technik der lebendigen und erzählerisch packenden
Schilderung im Griff
hat. Diese typische Erzählweise verwendet
Gotthelf zur Unterstützung seiner durch theologische Sinnbilder
gekennzeichneten Narrative. Er stellt die paarigen Bezeichnungen den
dem Leser bereits bekannten Motiven aus der Bibel gegenüber:
„Sie fühlten erst jetzt in ihren bebenden Seelen so recht, was es
heiße, von irdischer Not und Plage mit einer unsterblichen Seele sich
loskaufen zu wollen, fühlten, dass ein Gott im Himmel sei, der alles
Unrecht (...) fürchterlich räche.“ 9
In diesem Zitat verstärkt das Wortpaar Not und Plage das
biblische Motiv des rächenden Gottes, das im Zitat auch durch den
Gegensatz von ewigem Leben im Himmel und irdischer Qual ergänzt
wird. Dieses Wortpaar verstärkt die oben dargestellten Motive wie
Kampf von Gut und Böse, Kampf zwischen Materiellem und
Geistigem. Die freien Wortkombinationen wie Not und Plage, aber
auch der Gebrauch von fixierten Zwillingsformeln wie Kind und
Kindeskinder, Tag und Nacht, Leib und Leben, durch Mark und Bein,
angst und bange, hie und da, usw. sind gezielt in die Handlung der
Novelle eingeführt.
Gotthelf verwendet zahlreiche paarige Konstruktionen, die
durch
die
Konjunktion
„und“
verbunden
sind
und
den
Zwillingsformeln ähneln. Solche Wortpaare sind zum Beispiel kurz
und deutlich, einsam und verlassen, in Hand und Arm, Schutz und
Wache, Zagen und Grauen, Zank und Streit. Solche Konstruktionen
9
Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 62
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sind im Gegensatz zu Wortpaaren wie mit Kind und Kindeskindern,
Leib und Leben, an Leib und Seele, angst und bange, durch Mark und
Bein, usw. keine Zwillingsformeln. Doch ihre paarige Form wird nach
dem Modell „S und S“ aufgebaut und kann somit die intertextuelle
Bezogenheit auf die biblische Ausdrucksweise verstärken. Solche
Bezogenheit lässt sich bei zwei der obigen Beispielen leicht
bemerken. Die Wortpaare Schutz und Wache und Zagen und Grauen
erinnern an den biblischen Stoff in den Psalmen und in der
Apostelgeschichte von der Bekehrung des Saulus:
Bibelbezug der Zwillingsformel Schutz und Wache: „Ich aber
will von deiner Macht singen und des Morgens rühmen deine Güte;
denn du bist mir Schutz und Zuflucht in meiner Not.“ 10,
Bibelbezug der Zwillingsformel Zagen und Grauen:
„Und er sprach mit Zittern und Zagen: HERR, was willst du,
daß ich tun soll? Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die
Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.“ 11
Aus diesen Beispielen wird klar, dass Gotthelf sowohl freie
Wortkomplexe, als auch feste Verbindungen in der Form von
phraseologische Zwillingsformeln gebraucht, um einen Bezug auf den
biblischen Stoff zu nehmen. Wie schon erwähnt, wird das Verfahren
der Verwendung biblischer Zwillingsformeln für die Zwecke der
folgenden Arbeit als sprachliche Intertextualität bezeichnet. Bereits in
der Anfangsszene, in der Gotthelf die äußerst realistischen Bilder des
10
11
Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985. Psalmen 59, 17
Ebd. Apostel 9,6
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dörflichen Lebens enthüllt, lässt sich die Tendenz zu Gebrauch von
biblischen Zwillingsformeln erkennen:
„Um das Haus lag ein sonntäglicher Glanz, den man mit einigen
Besenstrichen, angebracht Samstag abends zwischen Tag und Nacht,
nicht zu erzeugen vermag, der ein Zeugnis ist des köstlichen Erbgutes
angestammter Reinlichkeit, die alle Tage gepflegt werden muss, der
Familienehre gleich, welcher eine einzige unbewachte Stunde Flecken
bringen kann, die, Blutflecken gleich, unauslöschlich bleiben von
Geschlecht zu Geschlecht, jeder Tünche spottend.“ 12
In diesem einzigen Abschnitt kommen zwei Zwillingsformeln
vor: zwischen Tag und Nacht und von Geschlecht zu Geschlecht, die
ein wichtiges Sinnbild leicht erkennbar machen - in biblischer
Tradition ist unter ihrer Vorstellung nämlich die Ewigkeit Gottes zu
verstehen. Genau einen solchen Anfang der Novelle braucht der
Autor, um durch die beiden Zwillingsformeln die integrative Nähe
zum biblischen Stoff anzudeuten. Der Gedanke über die Sorge um
Reinlichkeit und über das Bewahren der Familienehre wird vom Autor
zuzüglich realisiert. Die beiden Zwillingsformeln verkörpern auch
den Kreislauf der Natur. Im weiteren Sinne kann die Zwillingsformel
von Geschlecht zu Geschlecht in der Bedeutung von Fortdauer
verstanden werden. Das „Erbgut“, die „Familienehre“ soll man laut
Gotthelf „Tag und Nacht“ bewachen und verweist auf den ewigen
12
Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 2
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Bestand von Gott, weil Gottes Herrschaft währt „von Geschlecht zu
Geschlecht“ 13:
„Denn der Herr ist gut; seine Gnade währt ewiglich und seine
Treue von Geschlecht zu Geschlecht.“ [alle weiteren Hervorhebungen
sind von mir/ T.K./]
14
„O Herr, dein Name währt ewig; Herr, dein Gedenken bleibt
von Geschlecht zu Geschlecht! “ 15
In diesem Sinne hebt der Autor die Familienehre hervor, die er
mit Aufrechterhaltung der guten Traditionen und Glaube an Gott
verbindet. Sollte dies nicht geschehen, wird Gottesungläubigkeit
Unglück bringen, und Gottesgläubigkeit Segen und Rettung.
Ein weiterer interessanter Charakterzug der Zwillingsformeln
aus der Bibel muss noch vorgestellt werden, und zwar, dass sie als
Wortverbindungen nicht so stark idiomatisiert auftreten und kein
Entschlüsselungsproblem mit sich bringen. So zeichnet sich die
Zwillingsformel Alt und Jung durch einen geringeren Grad an
Idiomatizität aus. Alt und Jung bedeutet etwa jedermann, und wird in
dieser Bedeutung als fester Wortkomplex schon in der Heiligen
Schrift verwendet:
„Mose sprach: Wir wollen hinziehen mit jung und alt, mit
Söhnen und Töchtern, mit Schafen und Rindern; denn wir haben ein
Fest des HERRN“ 16
13
Bibelbeleg: Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985, 1.
Mose 17:7, weiter in: 1. Mose
17:9 und 2. Mose 3:15
14
Ebd. Psalmen 100, 5
15
Ebd, Psalmen 135, 13
16
Ebd., 2. Mosse 10, 9
187
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Der Kontext, in dem Gotthelf die Zwillingsformel verwendet, ist
der Folgende:
„Am folgenden Morgen lange vor der Sonne waren alt und
jung auf den Beinen, in allen regte sich die gleiche neugierige
Angst…“ 17
Durch das nachfolgende Zitat kann veranschaulicht werden, wie
der Idiomatizitätsgrad einer Zwillingsformel von dem einer paarigen
Wortkombination abweicht:
„Sie hörten, wie Christine nicht von der Türe wich; es fühlte das
arme Weib seiner wilden Schwägerin feurige Augen durch die Türe
hindurch, und sie brannten es durch Leib und Seele. […] Zagen und
Grauen ergriff die Männer, als Christine mit dem geraubten Kinde
herauskam.“ 18
Die Zwillingsformel durch Leib und Seele kann in Bezug auf die
biblische Deutung als idiomatisiert betrachtet werden, dagegen aber
ist die Wortkombination Zagen und Grauen bloß ein freies Wortpaar.
Die Zwillingsformel durch/mit Leib und Seele kann nicht nur als ein
Lexem fungieren, sondern Leib und Seele hat in Bezug auf Gottes
Schöpfung eine eigene Bedeutung. Leib und Seele meint eine
Einigkeit, die nicht nur in Bezug auf den menschlichen Körper gilt,
sondern die Angst vor dem Tod wird mit der Zuversicht in Gott
korreliert. Leib und Seele sind zentrale Begriffe des christlichreligiösen Bezugsrahmens. Besonders wenn Gotthelfs Figuren
17
18
Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 41
Ebd., S. 55
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Todesgefahr droht, wird Bezug auf Leben, Leib und Seele genommen.
Ein Beispiel dafür ist das folgende Zitat:
„Je näher die verhängnisvolle Stunde kam, um so näher drängte
das arme Weibchen sich zu Gott, umklammerte nicht mit den Armen
allein, sondern mit dem Leibe und der Seele und aus ganzem
Gemüte die Heilige Mutter, bittend um Schutz um ihres gebenedeiten
Sohnes willen. Und ihr ward immer klarer, dass im Leben und Sterben
in jeder Not der grösste Trost bei Gott sei, denn, wo der sei, da dürfe
der Böse nicht sein und hätte keine Macht.“ 19
Bei einer ähnlichen Beschreibung des Zustandes, wo die
Personen
der
Novelle
große
Angst
erleben,
verweist
die
Zwillingsfomel Leib und Seele auf den Inhalt der Psalmen in der
Heiligen Schrift, wo neben Grundproblemen auch Alltagserfahrungen
thematisiert werden:
„HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst; meine Gestalt ist
verfallen vor Trauern, dazu meine Seele und mein Leib.“ 20
„Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du
doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ 21
An dem Beispiel der biblischen Zwillingsformel Leib und Seele
wird noch eine sprachliche Besonderheit offensichtlich. Sie betrifft die
Umwandlung des Ausdrucks „mit Leib und Seele“ und das
Hinzufügen von Nebenbedeutungen. Diese formelhafte Wendung, die
auf die Heilige Schrift zurückgeführt werden kann, ist im
19
Ebd., S. 42
Die Bibel, Nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart: 1985, Psalmen 31, 10
21
Ebd., Psalmen 73, 26
20
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Gegenwartsdeutschen im Sinne von „völlig, ganz und gar“ 22
zu
verstehen. In diesem Fall ist ein Idiomatisierungsprozess eingetreten.
Neben dem Idiomatizitätsgrad scheinen die Zwillingsformeln
noch durch ihre phono-stilistische Eigenschaften wie Alliteration,
End- und Stabreim für die Narrative von Gotthelf von Bedeutung zu
sein. Gotthelf benutzt ihren Rhythmus und Wortklang absichtlich, um
an mehreren Stellen auf biblische Motive wie Sündenfall und
Erlösung, Verfall von Sitten und Moral wie in den Städten Sodom und
Gomorra, Selbstopferung und Egozentrismus, Gottesfurcht und
Gottlosigkeit, Nächstenliebe und Menschenliebe, usw. zu verweisen.
In
seiner
Novelle
stützt
sich
Gotthelf
oft
auf
Gegenüberstellungen, die als Oppositionen in der Heiligen Schrift
gefungen werden können. Einer der zentralen Gegensätze ist der
ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Dieser Kampf wird von dem
Autor mit Gottes Herrschaft verbunden, welche für die Novelle
grundliegend ist. Diesem Kampf sind auch die Personen der
Erzählung unterworfen. Gut und Böse bestimmen ihr Leben im Alltag
und falls sie sich auf die Traditionen stützen, treffen sie die richtige
Wahl und leben im Einklang mit Gott ihr ganzes Leben lang. Der
Widerspruch von Gut und Böse ist auch eine zentrale Opposition in
der biblischen Auslegung. Dieser Gegensatz wird als grundlegend
bereits in der Schöpfungsgeschichte vorgestellt:
22
Laut Duden – Wörterbuch der Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten
(1992, S. 446) hat die Zwilingsformel „mit Leib und Seele“ zwei
Nebenbedeutungen, die heutzutage relevant sind: 1. mit Begeisterung für etwas
oder 2. ganz und gar.
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„Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie
unsereiner und weiß, was gut und böse ist.“ 23
Laut dieser Ansicht zählt die Fähigkeit, Gut und Böse
unterscheiden zu können, zu einer der höchsten Tugenden des
gottgefälligen Menschen. Gotthelfs Personen vermögen deswegen
auch, Gut und Böse abzugrenzen. Wenn die Hauptfiguren den
Gottesgesetzen und guten Sitten und Moral folgen, so werden sie in
ihrem Leben belohnt. Solcher Überzeugung ist auch der Autor der
Novellle, und weil er die guten Charaktere als Vorbild bestätigen
möchte, lässt er sie am Ende triumphieren. Damit setzt sich die
Übermacht des Positiven durch:
„Es wurden rechtschaffene, gottesfürchtige Menschen, die
Gnade bei Gott hatten und Wohlgefallen bei den Menschen, die Segen
im Leben fanden und im Himmel noch mehr. Und so blieb es in der
Familie, und man fürchtete die Spinne nicht, denn man fürchtete
Gott... 24
Die Konstruktion Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den
Menschen ähnelt der Konstruktion der Zwillingsformeln. Sie erinnert
wiederum an den biblischen Stoff. Die Gnade ermöglicht laut
theologischer Deutung ein christliches Leben (vgl. 2. Brief des Paulus
an Titus, 11-13). Weiter wird die Gnade Gottes mit der Gottesfurcht
als Tugenden angesehen:
23
24
Die Bibel 1985, 1. Mose 3, 22
Gotthelf, Jeramias - Die schwarze Spinne, S. 89
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„Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, läßt er seine
Gnade walten über denen, die ihn fürchten.“ 25
Gnade bei Gott und Wohlgefallen bei den Menschen werden oft
mit der biblischen Figur von Hiob verbunden. Hiobsgestalt wird oft
zum Symbol des leidenden Menschen, der in all seinem Leiden, seiner
Trauer und materiellem Verlust seinem Gott treu blieb. Gnade bei
Gott und Wohlgefallen bei den Menschen werden von Gotthelf
vielleicht deswegen kombiniert, um an Gott - Mensch - Beziehung zu
erinnern. In dieser Hinsicht wird die ethisch aufgefasste Idee über das
Leben eines gottgefälligen Christen expliziert.
Da für Gotthelf christliche Moralvorstellung und Tugenden wie
Gottesfurcht und -liebe einen besonderen Akzent darstellen, bedient er
sich zuzüglicher biblischer Zwillingsformeln, die auf die Relation
Gott-Mensch beruhen. In dieser Hinsicht lässt sich die Hingabe zu
Gott im Gegensatz zur Furcht vor dem Teufel auch als Hingabe zur
Familie auffassen. Die Zwillingsformel, die die Selbstopferung der
Eltern für ihre Kinder versinnbildlicht, lautet mit Weib und Kind. Wie
dieses Wortpaar die erzählerische Technik von Gotthelf unterstützen
können, lässt sich am folgenden Beispiel erkennen:
„es war etwas in ihm, das ihn trieb, das ihm die Haare auf dem
Kopfe emportrieb: es war das Gewissen, das ihm sagte, was ein Vater
verdiene, der Weib und Kind verrate, es war die Liebe, die er doch
noch hatte zu seinem Weibe und seiner Leibesfrucht. Aber dann hielt
ihn wieder ein anderes, und das war stärker als das erste, es war die
25
Die Bibel 1985, Psalmen, 103, 17
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Furcht vor den Menschen, die Furcht vor dem Teufel und die Liebe zu
dem, was dieser ihm nehmen konnte..“ 26
In dieser Hinsicht erinnert der Inhalt der Zwillingsformel Kind
und Weib wieder an die Worte Moses, wo die Kraft und Macht der
Liebe zu Gott mit der Familienliebe einen unzertrennlichen Bund
bilden:
„Spricht aber der Knecht: Ich habe meinen Herren lieb und mein
Weib und Kind“ 27
Um darzulegen, wie wichtig Gottes- und Familienliebe sind,
benutzt Gotthelf die Methode der Gegenüberstellung. So vergleicht er
die positiven Gefühle mit den negativen wie Angst und Schrecken vor
der schwarzen Spinne. An die Beschreibungen über Angst und
Schrecken lässt sich die Absicht Gotthelfs ablesen, die schrecklichen
Szenen als eine Strafe Gottes darzustellen. Um diesen Gedanken zu
bekräftigen, gebraucht der Novelist wieder Zwillingsformeln, die
direkt auf den Inhalt der Heiligen Schrift verweisen:
„ … und ihr war, als ob von spitzigem Eisen aus Feuer durch
Mark und Bein fahre, durch Leib und Seele“ 28,
oder auch wie im Beispiel:
„Da zuckte zweischneidend der Schmerz ihm durch Mark und
Bein, es dunkelte vor seinen Augen, es fühlte das Nahen seiner Stunde
und war allein.“
29
26
Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 55-56
Die Bibel 1985, 2. Mose 21, 5
28
Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 33
29
Jeremias Gotthelf, Die schwarze Spinne, S. 53
27
193
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Durch die Zwillingsformel „durch Mark und Bein“ verkörpert
Gotthelf den Schmerz, der die Personen in der Novelle überfällt. Trotz
des Leidens konnte im ersten Fall die treue Mutter und im zweiten
Fall der treue Vater die Schmerzen heldenhaft überwinden. Was bei
der Bekämpfung der Leiden half, war der Gedanke an das eigene Kind
und die Kraft ihres Geistes. Man kann in diesem Kontext vermuten,
dass der Autor den starken Geist und die reine Seele, die der Familie
und Gott treu sind, durch die Zwillingsformel „durch Mark und Bein“
den biblischen Stoff anspricht, wie im Buch der Häbraeer über das
Wesen und Wirken des Wortes Gottes:
„Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer
denn kein zweischneidig Schwert, und dringt durch, bis daß es
scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der
Gedanken und Sinne des Herzens.“ 30
Der Glaube an Gott, die Hingabe an Weib und Kind werden
vom Autor als höchste Tugenden dargestellt. Diese Eigenschaften
verleihen den Personen der Novelle die Kraft, sich vom Bösen zu
retten. Das Böse verbindet der Autor mit dem Verlust an Sitten und
Moral, aber vor allem an Gottesfurcht. Diesbezüglich erleben die
negativen Figuren von Gotthelf Schrecken, Rache und sterben sogar
in höllischen Quallen. All dieses Leiden wurde eigentlich nicht von
der schwarzen Spinne zugefügt, sondern von der verfallenen
menschlichen Natur. Dadurch lässt sich eine letzte Anspielung
Gotthelfs aufdecken, und zwar, dass solange man das Wort Gottes
30
Die Bibel 1985, Häbraeer 4, 12
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befolge, würde der gottesgefällige Mensch wie der Mensch in der
Novelle „Die schwarze Spinne“ genug Grund zum üppigen Feiern
haben, wie in der Anfangsszene mit der Tauffeier. Um dies zu
akzentuieren, verweist der Autor an mehreren Stellen auf die Heilige
Schrift. Wie sich am Ende der Novelle herausstellt, besteht die
höchste menschliche Tugend im Befolgen der Gesetze Gottes.
3. Schlusswort
Die abschließenden Gedanken des dargestellten Beitrags zur
Novelle „Die schwarze Spinne“ von Jeremias Gotthelf widmen sich
der Rolle der ihnertextuellen Bezügen, die dieses lieterarische
Verfahren auf die Auslegung der Narrative ausübt. Die in den beiden
Teilen der Arbeit genannten Beispiele veranschaulichen eine tiefere
schriftstellerische Intention von Gotthelf bezüglich der intertextuellen
Verweise auf die Bibel. Besondes wichtig für das Zusammenspiel von
biblischer
Bezogenheit
und
erzählerischer
Technik
ist
die
Verwendung von biblischen Motiven. Die Arbeit behandelte die
folgenden Motive: Das Motiv der Taufe, die Märtyrertaten einer
Mutter in der ersten Rahmenerzählung und eines Vaters in der
zweiten. Das Pakt-Motiv zwischen Christine und dem Teufel wurde
auch als intertextueller Bezug zur Bibel angesehen. Biblische
Verweise werden vom Autor textimmanent genutzt, um dadurch den
Verlauf der Novelle gestalterisch steigern zu können. Gotthelf malt
Naturphänomene, beschreibt menschliche Zustände und verweist
gleichzeitig auf biblischen Stoff.
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Weil Gotthelf sehr oft auf die Bücher Moses und auf die
Angstvorstellungen
aus
der
Apokalypse
greift,
können
die
Handlungen seiner Personen als eine Handlungen mit Bibelverweis
gedeutet werden. Dabei lassen sich sozialkritische Züge bemerken. Ob
er seine Figuren verbannt, sie ins Verderben schickt oder anpreist,
hängt davon ab, ob sie im Einklag mit dem Wort Gottes, mit Gottes
Gesetzen und mit den Gesetzen der erhabenen menschlichen Natur
leben. Wegen Nichtbeauchtung Gottes und seines Willens werden die
Bauern aus dem Sumiswald für ihren Unglauben mit der
Spinnenseuche bestraft. Damit richtet sich die Kritik Gotthelfs an den
Hang zum Unglauben, den er in seiner Zeit als Pfarrer und
Schriftsteller leider erkennen kann.
Gotthelf benutzt demzufolge den biblischen Stoff, um die
religiösen Schwächen der Gesellschaft brandzumarken. Er bedient
sich dabei inhaltlicher und sprachlicher Intertextualität zur Bibel. In
der vorliegenden Arbeit wurden beide Verfahren thematisiert. Durch
die zahlreichen Verweise auf die Bibel konnte festgestellt werden,
dass sich die
Novelle durch eine spürbar kritische Absicht
auszeichnet. Wie in der Arbeit behauptet wurde, sind die beiden
Aspekte der Intertextualität in der Novelle von Gotthelf in dem Maße
für die Narrative ausschlaggebend, damit er sie mehrmals als
surrealistische Provokation aufnimmt und sie in die Handlung durch
poetische Ausdrucksweise einfügt. Die Bibelanspielungen erscheinen
in einer so einprägsamen Art, dass man die Novelle „Die Schwarze
Spinne“ als eine intertextuelle Novelle betrachten kann. Letzendlich
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könnte noch
festgestellt werden, dass sowohl das Repertoire des
biblischen Sprachgutes, als auch die zahlreichen Zwillingsformeln aus
der Bibel vom Autor als sozialkritisches Instrument verwendet
werden. Der Appell von Gotthelf ist ein Aufruf zur Achtung von guten
Sitten und Moral, aber auch zur Gottesfurcht und Hingabe zu Gottes
Wort.
Teodora Kiryakova-Dineva
Southwestern University Neofit Rilski,
Blagoevgrad, Bulgaria
[email protected]
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