Dienst am Frieden Dienst am Menschen

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Dienst am Frieden Dienst am Menschen
Dienst Dienst
am am
Menschen Frieden
Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
„Die Geschichte Deutschlands ist untrennbar verknüpft
mit den beiden Weltkriegen. Die Erinnerung daran hat uns Deutsche tief geprägt.
Wir haben die Verantwortung, die Erinnerung an dieses Leid und an seine Ursachen
wach zu halten, und wir müssen dafür sorgen, dass es nie wieder dazu kommt.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. setzt sich für diese Aufgabe
in vorbildlicher Weise ein. Ich freue mich, dass er dabei auch auf die
große Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger zählen kann.
Gemeinsam mit den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern des Volksbundes
leisten sie ihren wertvollen Beitrag zur Versöhnung über den Gräbern.
Im Dezember 2009 wird der Volksbund 90 Jahre alt.
Ich wünsche ihm für seine wichtige Arbeit alles erdenklich Gute!“
Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler
Schirmherr des Volksbundes
Unser Jubiläumsbuch „Dienst am Menschen – Dienst am Frieden“ ist nicht nur
ein besonderes Dankeschön für großzügige und treue Freunde und Förderer des
Volksbundes. Es ist auch ein Rückblick in
die Geschichte unseres Verbandes. Seit
dem Ersten Weltkrieg ist sie auf das engste
mit der deutschen und der europäischen
Geschichte verbunden. Im Konzept dieses
Buches schlägt sich das nieder, wenn Sie
auf der einen Seite in Text und Bild eine
Auswahl politischer Ereignisse, auf der
anderen Seite eine Auswahl von Eckpunkten des „Volksbundlebens“ finden. Selbstverständlich kann eine solche Auswahl
nur kleine Teile des wirklichen Geschehens umfassen. Deshalb darf dieses Buch
auch nicht als „Geschichtsbuch“ mit Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit
gelten. Aber wir sind sehr stolz darauf,
dass die ersten Auflagen (das erste Buch
erschien 1994 zum 75-jährigen Jubiläum
des Volksbundes) gerade von Pädagogen
wegen der Anschaulichkeit der Darstellung gelobt worden sind.
Dieses Vorwort soll keine Inhaltsangabe sein. Festhalten möchte ich, dass der
Volksbund in den vergangenen Jahrzehnten vor immer wieder neuen, scheinbar
kaum zu bewältigenden Anforderungen
gestanden hat und diese immer wieder –
das darf man sicher sagen – hervorragend
bewältigen konnte.
Andererseits ist seine Geschichte nicht
frei von Brüchen. Gegründet wurde der
Volksbund als humanitäre Initiative der
Bürger und für die Bürger, mit großer Unterstützung aller Schichten der deutschen
Bevölkerung. Er überstand mit einigen
Blessuren die politischen und wirtschaftlichen Wirren der frühen 20er Jahre. Mit der
Stabilisierung kamen auch die Erfolge im
Bau und Ausbau von Kriegsgräberstätten.
Die frühe Selbstunterwerfung der Volksbundführung unter die Maximen des nationalsozialistischen Regimes rettete möglicherweise die formelle Eigenständigkeit
des Verbandes. Der Preis allerdings war –
aus heutiger Sicht – viel zu hoch. Denn die
Organisation wurde zu einem willigen Erfüllungsgehilfen der unseligen Diktatur,
die unser Land und viele Millionen Menschen weltweit in Tod und Verderben
führte. Zum unrühmlichen Teil der Verbandsgeschichte gehört zum Beispiel die
Verwandlung der Mitgliederzeitschrift in
ein Organ zur Verherrlichung nationalsozialistischer Anschauungen und zur Festigung des Durchhaltewillens der Bevölkerung im Krieg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es
nicht nur, die Abgründe der deutschen
und auch der eigenen Geschichte zu überwinden – und hier ist noch vieles wissen-
schaftlich aufzuarbeiten. Aus dem Nichts
heraus waren ungleich größere Aufgaben
als nach dem Ersten Weltkrieg zu bewältigen. Gleichzeitig war klar, dass Kriegsgräberstätten und Kriegsgräber mehr sind,
einfach mehr sein müssen als nur elementare Bestandteile nationaler Identität und
Orte der individuellen Erinnerung und
Trauer für die Familien.
Der Volksbund hat dem mit seiner internationalen Jugendarbeit, festgeschrieben in seiner Satzung, ein neues Element
hinzugefügt. Die Zusammenarbeit mit
jungen Menschen zur Förderung von Verständigung und Versöhnung, von Freundschaft und Frieden wird seit Jahrzehnten
konsequent ausgebaut. Mit Recht darf
man stolz sein auf die großen Leistungen,
die der Verband im Friedhofsbau und bei
der Pflege der Friedhöfe, bei der Suche
nach den Kriegstoten, ihrer Bergung und
endgültigen Bestattung, bei der Betreuung
der Angehörigen erbracht hat. Die Jugendarbeit des Volksbundes, die Arbeit in den
Jugendcamps, den Jugendbegegnungsund -bildungsstätten, die Zusammenarbeit
mit den Schulen aber verdient es, besonders herausgehoben zu werden.
Nach 90 Jahren ist die Geschichte des
Volksbundes nicht „vorbei“. Seine Arbeit
wird sich auch künftig nicht auf eine besonders organisierte Friedhofspflege reduzieren lassen. Große Herausforderungen
warten, in einer Zeit, in der ihre Finanzierung nicht unbedingt einfacher wird. Die
letzten großen Sammelfriedhöfe sind bereits im Bau oder in Planung. Mit aller
Kraft gilt es in Mittel-, Ost- und Südosteuropa die Kriegstoten zu bergen, die wir
noch finden können. Diese Arbeit wird
über das Jahr 2015 deutlich hinausreichen,
wenngleich bis dahin der größte Teil des
überhaupt Machbaren geschafft sein muss.
Es stellt sich bereits jetzt die Frage, welchen Umfang die Aufgabe der Suche, Bergung und Bestattung der deutschen zivilen Opfer des Geschehens bei Flucht und
Vertreibung annehmen wird. Es wird eine
angemessene Form der Namendokumentation für alle die Opfer geben müssen, die
nicht mehr gefunden, identifiziert und bestattet werden können. Und schließlich
wird uns allen immer wieder die Frage
vorgelegt werden, wie wir mit den Toten
umgehen, die während der Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beklagen sind
und sein werden.
Ich bitte Sie herzlich, uns heute und
auch in Zukunft dabei zu helfen, Antworten zu finden und unsere Aufgaben zu erfüllen. Mein Dank gilt allen, die uns bis
heute geholfen haben und die uns weiter
unterstützen. Mit Ihrer Hilfe werden wir
es schaffen!
Ein Blick in die
Geschichte und
die Aufgaben
der Zukunft
Reinhard Führer,
Präsident des Volksbundes
Einleitung
Die Geschichte der Menschheit ist
auch die Geschichte ständiger Kriege: Immer starben Menschen, weil Waffen
eingesetzt wurden, Gewalt angewendet,
Krieg geführt wurde. Opfer von Krieg
und Gewaltherrschaft nennen wir sie mit
den Worten unseres Gräbergesetzes in der
Fassung des Jahres 2007. Und noch immer
entstehen neue Gräber für neue Opfer.
Wie die Völker mit den Opfern und deren
Gräbern umgingen, war im Laufe der Geschichte sehr unterschiedlich. Dies darzustellen ist nicht Aufgabe dieses Buches.
Da aber das Entstehen des Volksbundes
im Dezember 1919 unter dem Einfluss des
Geschehens in den fünf Jahren davor
stand, ist es wichtig, diese Jahre in die Betrachtung einzubeziehen. Nur so werden
Hintergründe deutlich.
Im Ersten Weltkrieg spielt der Gedanke der Kriegsgräberfürsorge im militärischen und zivilen Bereich eine stärkere
Rolle als je zuvor. Grundsätzlich will man
alle Gefallenen bestatten und ihre Gräber
erhalten. Das war bis dahin, auch noch im
deutsch-französischen Krieg 1870/71,
durchaus nicht selbstverständlich. Erstmals gibt es eine Kriegsgräberfürsorge der
deutschen Heeresverwaltung, deren Aufgabe in einer zeitgenössischen Schrift so
beschrieben ist: „Bald nach Beginn des
Krieges erkannte deshalb die Heeresverwaltung, dass es zur dauernden und
würdigen Erhaltung der Gräber einer
planmäßigen Nacharbeit bedarf.“ Eine
besondere Stelle wird im preußischen
Kriegsministerium eingerichtet. Ihre
Aufgaben:
- Aufsuchen und Feststellen der Gräber,
- ihre Festlegung in Verzeichnissen,
- die Erforschung der Namen von
Unbekannten,
- die Erhaltung der Gräber durch feste
Gestaltung und Umwehrung und dazu
vielfach vorherige Verlegung,
- ihre würdige Ausschmückung und
Ausstattung mit dauerhaften
Grabzeichen,
- ihre fotografische Aufnahme.
Am 1. August 1914
beginnt der Erste Weltkrieg.
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Am 17./18. März 1916 werden Vertreter aller in Betracht kommenden Behörden zu einer gemeinsamen Besprechung
nach Berlin berufen. Mitten im Krieg wird
auch ein Abkommen mit Österreich-Ungarn getroffen, wonach „die Fürsorge für
die Gräber gleich, ob eigene, verbündete
oder feindliche Heeresangehörige in Frage kommen, von dem Staat übernommen
wird, in dessen Verwaltungsgebiet die
Gräber liegen.“ Ähnliches wird mit Bulgarien vereinbart. Und schließlich heißt es
im Jahre 1917: „Mit den feindlichen Regie-
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Die Siegesgewissheit der ersten
Kriegstage weicht bald der
Ernüchterung im Stellungskrieg:
Bilder von den Schlachten an der
Somme und in Flandern. Besonders
gefürchtet sind die Giftgasangriffe.
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rungen sind Verhandlungen eingeleitet,
damit den Gräbern deutscher Krieger in
Feindesland die gleiche Fürsorge zuteil
wird, wie die deutsche Heeresverwaltung
sie unterschiedslos auch den Gräbern der
feindlichen Krieger widmet, nicht nur den
Gefallenen auf den Schlachtfeldern, sondern auch den in der Kriegsgefangenschaft Verstorbenen.“
Am 28. Februar 1917 finden diese
Grundsätze Eingang in eine sogenannte
Allerhöchste Kabinetts-Order. Hervorzuheben ist einerseits, dass danach weder
Unterschiede nach Dienstgraden oder
-rängen der Toten gemacht werden sollen,
noch nach deren Zugehörigkeit zur deutschen, zu einer verbündeten oder einer
gegnerischen Armee. Andererseits durchzieht der Grundsatz der soldatischen
Schlichtheit sämtliche Festlegungen. Über
den Wandel in Bezug auf die Einstellung
zu den Kriegsgräbern in der Geschichte
heißt es in einem Aufsatz des Jahres 1917:
„Die Art, wie wir unsere Krieger beigesetzt wissen möchten, kann gar nicht
streng, schlicht und in gewissem Sinne
kunstlos genug sein; von allen persönlich
allzu auszeichnenden Formen der Heldenverehrung möchten wir angesichts der
überwältigenden sozialen Tatsache des
Volksheeres und des Massentodes absehen.“ Bemerkenswert ist auch die Ablehnung eines jeden „Monumentalismus.“
Auf der zivilen Seite gibt es im Jahre
1917 überall Beratungsstellen für Kriegerehrungen, in Preußen mit einer beachtlichen Organisation. Auch in Bayern wird
eine Beratungsstelle, dort schlicht „für
Kriegsgräber”, eingerichtet, in Sachsen
bleibt man bei der Bezeichnung „Landesberatungsstelle für Kriegerehrung.“ Eine
Zusammenstellung der Publikationen allein dieser Landesstelle ist eindrucksvoll.
Am 9. November 1918 wird der Waffenstillstand geschlossen. Der Kaiser
dankt ab und geht ins Exil. Das geschlagene deutsche Heer kehrt – ganz anders
als nach 1945 – in relativ guter militärischer Ordnung in eine im wesentlichen
unzerstörte Heimat zurück. Aber die Verluste sind ungeheuer: über zwei Millionen
Tote und Vermisste allein auf deutscher
Seite, zusammen mit den Verlusten der
anderen Staaten über zehn Millionen
Menschen! Viele Überlebende kehren mit
schweren Schäden an Leib und Seele aus
dem Trommelfeuer zurück, aus den Schützengräben, aus den vom Krieg verwüsteten Ländern. In der Heimat herrschen
inzwischen große Not und tiefe Verzweiflung, die Hungerblockade der Alliierten
wirkt fort und der Staatsbankrott, der
1923 in der Inflation gipfelt, wirft seine
langen Schatten voraus. Gesichter des Krieges.
Der Erste Weltkrieg fordert
zehn Millionen Todesopfer.
Wie viele Menschen jedoch mit
körperlichen und seelischen
Schäden nach dem Krieg weiterleben, ist in keiner Statistik erfasst.
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Trotz der Schrecken des Krieges ist
Menschlichkeit noch möglich –
deutsche und britische Verwundete
werden versorgt (Pozières, 1916).
Der Stellungskrieg verwandelt
große Teile Nordfrankreichs und
Flanderns in Trümmerwüsten.
Oktober 1918: Deutsche Kriegsgefangene in Abbéville – für sie ist
der Krieg vorbei (Foto auf Seite 10).
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St. Quentin/Nordfrankreich 1917:
Noch während des Krieges wird der
Soldatenfriedhof von der deutschen
Armee angelegt. Kaiser Wilhelm II.
kommt zur Einweihung.
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Mit dem Frieden von Brest-Litowsk
scheidet Russland im Frühjahr 1918
endgültig aus dem Krieg aus.
Die deutschen Kriegsgefangenen
werden entlassen.
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1919
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Das Jahr 1919 beginnt in Deutschland, wie das letzte Kriegsjahr geendet hat: blutig und politisch turbulent.
Noch bevor die Verhandlungen über den
kommenden Frieden oder eine neue demokratische Verfassung Deutschlands auch
nur begonnen haben, herrschen Gewalt,
Umsturzversuche, Revolten und Mord.
Allein im März 1919 gibt es in Berlin
1 200 Tote. Man muss sich diesen Hintergrund bewusst machen, wenn man das
erste Jahr der Republik, das auch zugleich
zum Gründungsjahr des Volksbundes werden soll, beurteilen will: Am 15. Januar
werden in Berlin Rosa Luxemburg und
Karl Liebknecht von radikalen Offizieren
ermordet. Der Januar-Aufstand der revolutionären Spartakisten (Kommunisten,
Spartakusbund) wird von der Reichswehr
unter Führung des Sozialdemokraten Gustav Noske niedergeschlagen. Der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD)
wird am 21. Februar in München nach seiner Niederlage bei den Wahlen auf dem
Weg zum Landtag von dem Leutnant
Graf von Arco-Valley erschossen. Eisner
wollte seinen Rücktritt erklären. Nachfolger wird am 28. März der Sozialdemokrat
Hoffmann. Er muss aber bereits nach drei
Wochen mit seiner Regierung vor den
Kommunisten nach Nürnberg, dann nach
Bamberg fliehen. Diese rufen die Räterepublik in Bayern aus, München wird von
einer Roten Armee beherrscht. Erst am
1. und 2. Mai wird es von Regierungstruppen besetzt. Dies sind nur einige
Schlaglichter, die den Hintergrund erhellen, vor dem am 18. Januar die Friedenskonferenz von Versailles beginnt – ohne
Deutschland! Am 19. Januar wählt das
deutsche Volk seine erste Nationalversammlung, um der Republik eine demokratische Verfassung zu geben. Das Ergebnis ist verblüffend: Von 36,3 Millionen
Wahlberechtigten beteiligen sich 83 Prozent an der Wahl. Und dies, obwohl die
Kommunisten zum Boykott aufgerufen
haben. Die Träger dieser Republik – Sozialdemokraten, Zentrum und Deutsche
Demokraten – erhalten zusammen 76 Prozent. Dies ist eine klare Absage sowohl an
eine Räterepublik als auch an die Wiedereinführung der Monarchie. Am 11. Februar wird Friedrich Ebert (SPD) Reichspräsident. Die Weimarer Verfassung wird
am 13. August verabschiedet. Nun geht
in Deutschland zum ersten Mal „alle
Staatsgewalt vom Volke aus.“ Das Koalitionsrecht wird verfassungsrechtlich verbürgt. Schwarz-Rot-Gold wird Reichsflagge. Die Siegermächte erzwingen
einen Friedensvertrag, der diesen Namen
nicht verdient und der nicht geeignet ist,
Hoffnung auf eine bessere Zukunft kei-
men zu lassen. So treffend das Wort des
britschen Premierministers Lloyd George
ist, 1914 seien „die Völker in den Weltkrieg hineingeschlittert,“ so wenig weise
ist der Vertrag von Versailles. Eine große
Chance zu einer stabilen und gerechten
Friedensordnung, wie sie dem amerikanischen Präsidenten Wilson vorschwebt
und nach der sich wohl alle Völker sehnen, wird vertan. In Deutschland jedoch
wirkt sich dieser Vertrag und die Art seines Zustandekommens verheerend aus:
politisch, wirtschaftlich und moralisch.
Da ist die von den Siegern erzwungene,
historisch unhaltbare Anerkennung der
Alleinschuld Deutschlands am Krieg (Artikel 231 Versailler Vertrag), durchgesetzt
als Rechtfertigung für 1919 noch unbezifferbare Reparationen. In Deutschland
wird er in erster Linie als moralische Diffamierung empfunden. Und die Gebietsabtretungen tragen erkennbar den Keim
künftiger Konflikte (Lloyd George) in
sich. Noch schlimmer ist, dass sich keine
zukunftsweisende neue Friedensordnung
abzeichnet, für die es gelohnt hätte, positiv einzutreten – trotz des Völkerbundes.
Damit wird die spätere, unglückliche Entwicklung in Europa eingeleitet. Zugleich
aber liegt hier eine der wichtigsten Ursachen für die innere Entwicklung in
Deutschland, die den Feinden der Demokratie und der Republik immer mehr
Trümpfe in die Hände spielt. Truppen
der Siegermächte besetzen am 1. Dezember Saarbrücken, das Rheinland und die
Pfalz. In Weimar gründet der Architekt
Walter Gropius das Bauhaus, Richard
Dehmel veröffentlicht ein Jahr vor seinem
Tod sein Kriegstagebuch „Zwischen Volk
und Menschheit”, Heinrich Mann „Macht
und Menschen,“ Max Reinhardt eröffnet
in Berlin das umgebaute Schauspielhaus. Der Kaiser hat abgedankt.
Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft in Berlin am 9. November
1918 die Republik aus (das Bild
unten zeigt ihn bei einer Kundgebung gegen den Versailler Vertrag).
Die gesellschaftliche Ordnung des
Kaiserreiches bricht zusammen.
Der Vertrag von Versailles mit
seinen harten Bedingungen gibt den
rechten Kräften Auftrieb (unten: Unterzeichnung im Schloss von Versailles,
rechts: die deutsche Delegation).
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Am 10. September beschließen acht
Männer in Berlin die Gründung einer deutschen Kriegsgräberfürsorge. Jeder zahlt 100 Mark ein. Unter ihnen sind
der Architekt Heinrich Straumer, der bereits gegen Ende des Krieges in der Gräberfürsorge tätig gewesen ist, und Siegfried Emmo Eulen, der während des Krieges nach Polen und in die Türkei entsandt war, um dort Friedhöfe zu bauen
und die Kriegsgräberfürsorge zu organisieren. Dem vorbereitenden Gründungs-
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kongress am 26. November liegt als Arbeitsunterlage die Broschüre Deutsche
Kriegsgräberfürsorge vor. Am 16. Dezember wird der Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge e. V. gegründet.
Erster Präsident ist Oberst a. D. Joseph
Koeth (bis 1923). Am 23. August hat Eulen den Entwurf für die Statuten einer Internationalen Kriegsgräberfürsorge verfasst. Als ihr Sitz ist Genf vorgesehen, um
eine enge Zusammenarbeit mit dem Völkerbund zu ermöglichen. Diese Pläne
werden nicht verwirklicht. Die Reichsregierung ist weder politisch noch wirtschaftlich in der Lage, sich um die Gräber
der Gefallenen jenseits der Reichsgrenzen
zu kümmern. Sie müssen zunächst ihrem
Schicksal überlassen bleiben. Heimkehrende Soldaten, Hinterbliebene der Opfer
und andere Bürger suchen nach Wegen,
um diesen von der Mehrheit als unerträglich empfundenen Zustand zu ändern. In
Sorge um die Kriegsgräber im Ausland
haben sich in Deutschland bereits einige
Organisationen gebildet, die sich um
Grabpflege und Erteilung von Auskünften an Angehörige bemühen wollen. So
gibt es in Bayern seit dem 14. September
den Deutschen Kriegsgräber-Schutzbund,
in Braunschweig den Verein zur Erforschung und Erhaltung Deutscher Kriegsgräber e. V., in Salzwedel die Deutsche
Kriegsgräber-Interessenten-Vereinigung
und in Hagen (Westfalen) den Bund Heimatdank. Der Volksbund, aus der Not geboren, nimmt seinen Anfang. Im heutigen
Sprachgebrauch würden wir ihn eine
Bürgerinitiative nennen. Am 10. Januar tritt der Vertrag von
Versailles in Kraft. Am 1. Februar
wird Danzig von den Engländern besetzt.
Am 10. Februar stimmt Nord-Schleswig ab: Hadersleben, Apenrade, Tondern
und die Insel Alsen fallen an Dänemark.
Am 13. März versuchen Reichswehroffiziere, der Nationalist Wolfgang Kapp
– ein ehemaliger politischer Beamter –
und einige rechtsradikale Politiker eine
„Gegenrevolution“ gegen die demokratische Republik: Kapp marschiert mit General von Lüttwitz an der Spitze eines
sogenannten Freikorps, der Brigade Ehrhardt, in Berlin ein, um die Regierung mit
Waffengewalt zu stürzen. Die Reichswehr
versagt der Regierung ihre Hilfe. Der
Chef der Heeresleitung, der loyale General Reinhardt, setzt sich vergeblich für
den Truppeneinsatz gegen die Putschisten ein. Mit dem Ausspruch „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“ verhindert der Chef des Truppenamtes, General von Seeckt, regierungstreues Verhalten der Truppe. Dennoch bricht der
Putsch nach wenigen Tagen zusammen:
Die Gewerkschaften retten die Republik
durch einen Generalstreik, die Beamtenschaft hilft, indem sie jede Zusammenarbeit mit den Hochverrätern verweigert.
Wenig später stürzt die Regierung Bauer.
Der Reichskanzler und Reichswehrminister Noske müssen gehen; General Reinhardt nimmt – angewidert von der Weigerung der Reichswehr, der Regierung
die schuldige Hilfe zu leisten – den Abschied. Sein Nachfolger als Chef der Heeresleitung wird der für diese Illoyalität
Hauptverantwortliche: General von
Seeckt. Im Ruhrgebiet entsteht eine Rote
Armee von ca. 50 000 Mann. Sie besetzt
vom 15. März bis 10. Mai Düsseldorf,
Remscheid, Duisburg und Mühlheim.
Der Aufstand wird von der Reichswehr
niedergeschlagen. Durch die Volksabstimmung am 11. Juli in Ost- und Westpreußen verbleiben Allenstein und Marienwerder bei Deutschland. Am 16. Dezember setzen die Siegermächte die deutsche Gesamtschuld auf 269 Milliarden
Goldmark fest: Deutschland soll bis Ende
1962 jährlich 6,4 Milliarden zahlen. Der
Reichstag verabschiedet das erste Betriebsrätegesetz – eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist noch nicht enthalten. Bei
Demonstrationen dagegen gibt es in Berlin 42 Tote. Es erscheinen die ersten beiden Kriegsbücher namhafter Schriftsteller:
in Frankreich „Paroles d’un combattant“
von Henri Barbusse, in Deutschland „In
Stahlgewittern“ von Ernst Jünger. Von
Thomas Mann erscheint das Buch „Herr
und Hund,“ von Kurt Tucholsky „Träumereien an preußischen Kaminen“ – anti-
nationalistische Satiren. Karl Binding und
Alfred Hoche veröffentlichen ihr Buch
„Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens.“ 1920
Die Unruhen halten an: Kapp-Putsch
in Berlin. Bewaffnete patrouillieren in
den Straßen.
Truppen der Alliierten besetzen
während des Aufstandes am 6. April
den Maingau: Frankfurt (Bild unten),
Homburg, Hanau und Darmstadt.
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Der Deutsche Kriegsgräber-Schutzbund, München, gliedert sich am
5. März als bayerischer Landesverband in
den Volksbund ein. Diesem Beispiel folgt
u. a. der Braunschweiger Verein zur Erforschung und Erhaltung deutscher Kriegsgräber. Der Volksbund hält am 22. November in Berlin seinen ersten Vertretertag ab. Bereits zum Jahresende liegen
zahlreiche Berichte über den Zustand von
Friedhöfen vor, geliefert von ehemaligen
Soldaten: 430 aus Frankreich, 74 aus Bel-
gien, vier aus Italien, drei aus Polen,
sechs aus Jugoslawien, fünf aus Rumänien. In den Berichten heißt es: „guter
Zustand,“ „gepflegt,“ „verunkrautet,“
„verwahrlost,“ „bei den Kampfhandlungen der letzten Monate stark oder vollkommen zerstört,“ „von deutschen
Kriegsgefangenen hergerichtet,“ „nach
Abreise der Kriegsgefangenen verwahrlost.“ Bei einzelnen Friedhofsorten ist
vermerkt: „Einwohner des Ortes sind
noch nicht zurückgekehrt.“ Von „Grabschändungen“ ist allerdings – entgegen
späteren Behauptungen – nicht die Rede. Der Volksbund in Hamburg wird
von Frauen gegründet:
Amanda Fera, Dr. Almuth Hartmann
und Thekla Haerlin (von links).
Viele Kriegsgräberstätten im ehemaligen Frontgebiet sind durch die
Kämpfe völlig verwüstet. Die Bilder
unten zeigen den gleichen Friedhof
in den Jahren 1917 und 1918.
92 Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens unterzeichnen den Aufruf
zur Gründung, darunter Persönlichkeiten, deren Namen noch heute ein
Begriff sind:
Dr. Konrad Adenauer, Dr. Richard
Dehmel, Bischof D. Dr. Otto Dibelius,
Dr. Michael von Faulhaber, Gerhart
Hauptmann, Paul von Hindenburg,
Prof. Dr. Max Liebermann, Franz
von Mendelssohn, Max Pechstein,
Dr. Walther Rathenau.
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1921
Matthias Erzberger
(1875 – 1921)
In den schraffierten Landesteilen
gibt es bereits Verbände des
Volksbundes. Rechts die erste Ausgabe der Mitgliederzeitschrift.
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In der Zeit vom 8. März bis 6. April
besetzen die Siegermächte Düsseldorf, Duisburg, Ruhrort, Mühlheim und
Oberhausen. Die Unruhen dauern an.
In Thüringen und Sachsen tobt im März
ein kommunistischer Aufruhr. Betroffen
sind vor allem Merseburg, Eisleben,
Sangerhausen, Halle und Leipzig. Auch
in Hamburg herrscht Aufruhr. Am
27. April werden die Reparationen auf
132 Milliarden Goldmark ermäßigt.
Am 29. Juli wird Adolf Hitler Vorsitzender der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Der
ehemalige Reichsfinanzminister Matthias
Erzberger (Zentrum) fällt am 26. August
einem Attentat von Rechtsradikalen zum
Opfer. Die Mörder gehören der berüchtigten „Organisation Consul“ an, die dem
aus dem Kapp-Putsch bekannten Kapitän
Ehrhardt untersteht. Nach der Tat erhalten sie falsche Pässe, die ihnen der nationalsozialistische Polizeipräsident Pöhner
verschafft. Sie entkommen nach Ungarn
und kehren kurz vor der Übernahme der
Macht durch die Nationalsozialisten nach
Deutschland zurück. Ende Februar erscheint die erste
Ausgabe der Zeitschrift „Kriegsgräberfürsorge.“ Zu diesem Zeitpunkt können von 14 Friedhöfen Grabfotos beschafft werden. Grabschmuckwünsche
werden im April für 33 Friedhöfe in Frankreich und Belgien, im September bereits
für 90 Friedhöfe in sieben Ländern ausgeführt. Der Antrag des Volksbundes auf
Einführung eines Nationaltrauertages,
der vom Landesverband Bayern angeregt
worden ist, wird vom Reichsrat zurückgestellt. Am 9. Mai bezeichnet das
Reichsinnenministerium den Volksbund
„als einzige von den beteiligten Reichsund Staatsbehörden für das Gebiet der
Kriegsgräberfürsorge anerkannte Organisation.“ Aus der Bundestagung (Vertretertag) vom 28. und 29. Mai in Nürnberg:
Der Volksbund hat neben Länderzentralen 300 Ortsgruppen und 30 000 Mitglieder. Der Reichsverkehrsminister lehnt
die Eingabe des Bundesvorstandes auf
Fahrpreisermäßigung für Angehörige, die
die Gräber ihrer Gefallenen besuchen
wollen, ab. Der Abschluss des deutsch-sowjetischen Vertrages von Rapallo am
17. April bedeutet einen großen politischen Erfolg von Reichsaußenminister
Walther Rathenau. Wichtigster Passus:
„Alle Ansprüche aus der Zeit des Krieges
sind hiermit erledigt.“ Ende Mai leben
in Deutschland eine Million Flüchtlinge
aus dem Ausland und den ehemaligen
Kolonien, aus Elsass-Lothringen, Westpreußen, Posen, Oberschlesien, aus Russland und dem Baltikum, Juden aus Osteuropa sowie im Ausland interniert gewesene Deutsche. Am 24. Juni wird
Rathenau, einer der begabtesten Staatsmänner der Republik, von rechtsradikalen Mördern aus der „Organisation Consul“ umgebracht. Die Erregung ist ungeheuer. Im Reichstag kommt es zu Schlägereien. Reichskanzler Joseph Wirth (Zentrum) zeigt auf die Hintermänner im Parlament und spricht seinen berühmt gewordenen Satz: „Da steht der Feind! Und
dieser Feind steht rechts!“ Der Reichspräsident erlässt eine Verordnung zum
Schutze der Republik. Einer der Mörder
Rathenaus wird beim Versuch der Festnahme von der Polizei erschossen. Der
andere begeht Selbstmord. Hitler lässt
den beiden später ein Denkmal setzen! Im selben Jahr werden von rechtsradikaler Seite Attentate auf den ehemaligen
Reichskanzler Philipp Scheidemann sowie auf den bekannten Publizisten Maximilian Harden verübt. Beide kommen mit
dem Leben davon. Oswald Spengler
veröffentlicht Band II seines Buches „Der
Untergang des Abendlandes“ (Band I ist
1918 erschienen). Das Deutschlandlied
wird durch Verordnung des Reichspräsidenten Nationalhymne. 1922
Dr. Walther Rathenau
(1867 – 1921)
Das Denkmal für sieben streikende Arbeiter, die von Putschisten während des
Kapp-Putsches in Weimar erschossen
wurden, wird am 1. Mai enthüllt. Der
Entwurf stammt von Walter Gropius,
dem Gründer des Bauhauses.
Der zunehmende Währungsverfall begünstigt den „Schwarzmarkt“: hier z. B.
Straßenhandel mit Hemdkragen.
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Paul Löbe
(1875 – 1967)
Aus der Ansprache zum Volkstrauertag im Plenarsaal des Reichstags:
„Noch sind die Wunden des Krieges
nicht vernarbt. Eines aber liegt hinter
uns, das Massensterben durch
körperliche Gewalt. Eines kann uns
niemand verwehren, die Ehrung
derjenigen, die in der Schlacht
gefällt wurden, die nach langer
Qual der Tod erlöste ....“
Anfang Januar kostet den Volksbund
eine Auskunft aus fremden Ländern
ca. 16 Mark Porto, das Juli-Heft der Zeitschrift 12,15 Mark; ein französischer Franc
ist zu diesem Zeitpunkt 111 Mark wert.
Die Erfüllung von Angehörigenwünschen
ist dadurch wesentlich erschwert. Das
November- und Dezemberheft erscheinen
nicht. Städte, Körperschaften, Vereinigungen, Firmen und auch Einzelpersonen
werden um Übernahme der Betriebskosten für jeweils einen Tag gebeten (sog. Patronat), um die Weiterarbeit sicherzustellen. In dem Aufruf heißt es: „In dieser
Notlage hat der Volksbund beschlossen,
den Schutz der deutschen Kriegsgräber
durch Werbung von Patronaten zu mindestens 10 000 Mark zu sichern. Die Inhaber der Patronate werden auf allen Schreiben des betreffenden Tages bekannt gegeben ....“ In ähnlicher Weise wird versucht,
durch Patenschaften die Pflege einzelner
Friedhöfe im Ausland zu gewährleisten.
Die Frankfurter Opferwoche für die Erhaltung unserer fernen Gräber vom 5. bis
12. März erbringt 284 525,35 Reichsmark.
Zum Volkstrauertag am 5. März im
Berliner Reichstag hält Reichtagspräsident Paul Löbe die Gedenkrede. Zitat:
„Leiden zu lindern, Wunden zu heilen,
aber auch Tote zu ehren, Verlorene zu beklagen, bedeutet Abkehr vom Hass, bedeutet Hinkehr zur Liebe, und unsere
Welt hat die Liebe Not: wo rauer Materialismus immer weitere Kreise zieht, wo
Reichtum und Gewinn oft mehr gilt als
Würde und Arbeit, da ist es zur Einkehr
Zeit, und wo könnten wir die Selbstbesinnung eher finden als im Gedanken an gemeinsamen Verlust.“ Bis Ende April
hat der Volksbund insgesamt 10 000 Anfragen, Auskünfte und Zwischenbescheide, davon 1 600 in sieben Fremdsprachen,
ins Ausland versandt. 20 000 Anfragen
nach Gräbern liegen vor. Die Bilanz auf
der dritten Bundestagung (Vertretertag)
in Leipzig am 29. und 30. April lautet: Der
Volksbund hat 31 Verbände, 530 Ortsgruppen. Ein außerordentlicher Vertretertag
wählt Pfarrer Fritz Siems zum Präsidenten. Siegfried Emmo Eulen führt als Generalsekretär mit Sitz im Vorstand die Geschäfte. Der Sonntag Invocavit (sechster Sonntag vor Ostern) wird als Volkstrauertag vorgeschlagen. Friedrich Ebert
(1871 – 1925)
Am 10. Januar besetzen die Litauer
das Memelland, einen Tag später die
Franzosen das Ruhrgebiet. Die Engländer
distanzieren sich von dem einseitigen Vorgehen Frankreichs und lassen durch ihre
Kronjuristen die Völkerrechtswidrigkeit
der Ruhrbesetzung feststellen. Die Reichsregierung (Wilhelm Cuno, parteilos) beginnt den aussichtslosen Ruhrkampf. Sie
ruft zum passiven Widerstand auf. Am
12. August wird der Kampf als totaler
Misserfolg abgebrochen. Die Spätfolgen
des Krieges und dieser Ruhrkampf führen zum Staatsbankrott. Die Inflation
in Deutschland erreicht ihren Höhepunkt:
1 Dollar = 4,2 Billionen Papiermark. Gustav Stresemann (Deutsche Volkspartei) wird Reichskanzler an der Spitze einer großen Koalition aus Zentrum, Sozialdemokraten, Deutscher Demokratischer
Partei und Deutscher Volkspartei. Am
16. Oktober fällt die Entscheidung zur Errichtung der Deutschen Rentenbank. Die
neue deutsche Währung, die Rentenmark,
wird stabilisiert – ein verheißungsvoller
Auftakt einer neuen wirtschaftlichen Entwicklung. Jedoch: Am 2. November verlassen die Sozialdemokraten die Regierung, Stresemann wird nach 100 Tagen
Amtszeit gestürzt. Reichspräsident Ebert
zu seinen Parteifreunden: „Was euch veranlasst, den Kanzler zu stürzen, ist in
sechs Wochen vergessen, aber die Folgen
eurer Dummheit werdet ihr noch in zehn
Jahren spüren.“ Die KPD plant auf Weisung der sowjetischen Parteiführung eine
Neuauflage der russischen Oktoberrevolution in Deutschland. In München
putschen Ludendorff und Hitler. An der
Feldherrnhalle kommt es zu einem Blutbad. Beide werden in Haft genommen.
NSDAP und KPD werden verboten.
Heinrich Mann veröffentlicht seine Betrachtung „Die Diktatur der Vernunft,“
Thomas Mann sowohl die „Bekenntnisse
des Hochstaplers Felix Krull“ als auch
seine Rede „Von deutscher Republik.“ Das Märzheft der „Kriegsgräberfürsorge“ kostet 400 Mark, das Aprilheft 500 Mark pro Exemplar bei nur vier
Seiten Umfang. Auf dem Vertretertag
in Münster/Westfalen am 6. Mai wird berichtet: „Die guten Erfolge der Werbung
von Patronaten für den Schutz der deutschen Kriegergräber trugen wesentlich
dazu bei, die Weiterführung der Volksbundarbeit zu ermöglichen. Die Erträge
der Reichssammlung werden im Einvernehmen mit dem preußischen Staatskommissar für die Regelung der Wohlfahrtspflege sowie mit den zuständigen Reichsbehörden verwendet. Sie fließen mindestens zur Hälfte der Gräberpflege, zur
Hälfte den Bundeszwecken – Förderung
der Kriegsgräberfürsorge und Unterstützung der Angehörigen von Gefallenen in
allen Angelegenheiten der Kriegsgräberfürsorge – zu. Das Ergebnis der Sammlung beläuft sich bisher auf rund 30 Millionen Mark.“ 1923
Gustav Stresemann
(1878 – 1929))
Er hat im Krieg zwei
Söhne verloren und
gehört zu den besonderen Förderern des
Volksbundes.
Die galoppierende Inflation
betrifft alle Lebensbereiche.
Lebensmittelmangel in der
Wirtschaftskrise: Menschenmenge
vor der Freibank des Berliner
Schlachthofes.
Die Arbeit des Volksbundes kommt
fast völlig zum Erliegen.
22
23
1924
Am 22. Februar wird das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold gegründet. Es
ist eine Selbstschutzorganisation „republikanischer Kriegsteilnehmer“ aus SPD,
DDP und Zentrum. Im gleichen Monat
beginnt der Hochverratsprozess gegen
Hitler wegen seines Münchner Putschversuches. Er wird lediglich zu fünf Jahren
Festungshaft verurteilt und bereits im
gleichen Jahr amnestiert. Wieder bleibt
ein blutiger Hochverrat ungesühnt. Der
Reichstag nimmt im August den DawesPlan an. Dieser regelt die deutschen Reparationen: Bis 1927 sind jährlich zwischen 1,2 und 1,75 Milliarden Goldmark
zu zahlen, ab 1928 jährlich – ohne zeitliche Begrenzung – 2,5 Milliarden Goldmark. Deutschland erhält einen 800-Millionen-Dollar-Kredit, um seine Währung
zu stabilisieren, die Wirtschaft anzukurbeln und die Zahlungsfähigkeit des Reiches sicherzustellen. Thomas Mann
veröffentlicht seinen großen Roman „Der
Zauberberg.“ Die Zeitschrift „Kriegsgräberfürsorge,“ sieben Monate lang während
des allgemeinen Niederganges nicht erschienen, kommt ab 1. April wieder heraus. Bei acht Seiten Umfang beträgt der
Bezugspreis vierteljährlich 1,50 Mark. Am Ende dieses Monats gibt es 34 Verbände und 649 Ortsgruppen. Beim Vertretertag am 16. und 17. Mai in Hamburg
hat der Volksbund 58 590 Mitglieder. Die
Versammlung appelliert erneut an die
Reichsregierung, den Sonntag Invocavit
als Volkstrauertag festzulegen. Am
26. November beschließt der Vorstand,
darauf hinzuwirken, dass der Volkstrauertag auch ohne gesetzliche Festlegung
im ganzen Reich begangen wird. Im
Laufe des Jahres wird bekannt, dass
700 Friedhöfe in Frankreich und Belgien
aufgehoben worden sind. Große Sammelanlagen mit Massengräbern unbekannter
Toter sind vor allem in Frankreich entstanden. Möglichkeiten zur Identifizierung der Gefallenen sind kaum noch
vorhanden. Am 28. Februar stirbt Friedrich Ebert,
der erste deutsche Reichspräsident.
Zu seinem Nachfolger wird im April Paul
von Hindenburg, der Generalfeldmarschall des Kaiserreiches, gewählt. Er ist
78 Jahre alt. Im Februar gründet Hitler
die NSDAP wieder. Am 1. Dezember
wird, nach intensiver Vorarbeit zwischen
dem französischen Außenminister Aristide Briand und dem deutschen Außenminister Gustav Stresemann, der Vertrag von
Locarno unterzeichnet. Er bedeutet eine
Garantie der Grenzen im Westen und einen wichtigen Schritt auf eine europäische
Friedensordnung hin. Die Räumung der
besetzten Gebiete beginnt, ist jedoch erst
1930 vollständig abgeschlossen. Der IGFarben-Konzern wird gegründet. Werner Heisenberg entwickelt die Theorie der
„quantenmechanischen Atomenergie.“ Emil Ludwig veröffentlicht die Biografien
„Napoleon“ und „Wilhelm II.“ Aus dem
Nachlass von Franz Kafka erscheint der
Roman „Der Prozess.“ Die vom Volksbund mehrfach angeregte gesetzliche Festlegung eines
Volkstrauertages ist durch den Erlass des
Reichsministers des Inneren vom 19. Januar nicht voll erreicht. Es wird nur empfohlen, für den Sonntag Invocavit im Verwaltungsweg sicherzustellen, dass Lustbarkeiten an diesem Tage unterbleiben, halbmast geflaggt wird und die Gedenkfeiern
des Volksbundes unterstützt werden. Reichskanzler Hans Luther und Außenminister Stresemann werden Mitglieder
des Volksbundes. Zum Vertretertag am
17./18. April in Karlsruhe hat der Volksbund 75 410 Mitglieder. 2 300 Briefe sind
ins Ausland, 20 000 Briefe und Karten im
Inland versandt worden. Am 6. Juli
lehnt die Reichsbahn erneut einen Antrag
auf Fahrpreisermäßigung für den Besuch
von Kriegsgräbern ab. Am Totensonntag lässt der Volksbund auf 113 Soldatenfriedhöfen in Belgien und Frankreich Kränze niederlegen. Am Jahresende ist der
Volksbund in 39 Verbände und 871 Ortsgruppen gegliedert. 1925
Großes Foto unten:
Gedenkfeier zum Volkstrauertag
1925 im Plenarsaal des Reichstages.
Sie arbeiten für die deutschfranzösische Versöhnung: Aristide
Briand und Gustav Stresemann.
Soldatenfriedhof Neuville-St. Vaast
(44 833 Kriegstote) – endlose
Reihen mit Holzkreuzen.
Vertretertag in Hamburg; fünfter von
rechts: Präsident Fritz Siems, links
neben ihm Dr. Poelchau, Vorsitzender
des Landesverbandes Hamburg.
24
25
1926
Briand und Stresemann erhalten den
Friedensnobelpreis. Am 24. April
schließen Deutschland und die Sowjetunion in Berlin einen Freundschafts- und
Neutralitätsvertrag. Nach Ende der Inflation und mit dem Einströmen amerikanischer Kredite bessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse. Am 8. September
wird Deutschland in den Völkerbund aufgenommen und erhält einen ständigen
Ratssitz. Die letzten britischen und belgischen
Truppen haben die Stadt verlassen.
Am Festempfang in Köln nehmen
Oberbürgermeister Dr. Konrad Adenauer, Reichspräsident Paul von Hindenburg und Erzbischof Schulte teil.
Mit Zustimmung der drei großen
Religionsgemeinschaften wird der
Volkstrauertag vom Sonntag Invocavit auf
den Sonntag Reminiscere verlegt (fünfter
Sonntag vor Ostern). Auf Initiative des
späteren langjährigen Generalsekretärs
Otto Margraf beginnt die Gemeindewerbung. Im April sind in der Provinz Hannover 1 200 Landgemeinden Mitglied und
zahlen einen Beitrag von einer Reichsmark
für jeden ihrer Gefallenen. Beim Vertretertag am 14./15. Mai in Düsseldorf hat
der Volksbund 82 847 Mitglieder. Am
1. Juni wird unter der Leitung von Siegfried Emmo Eulen und des Gartenarchitekten Robert Tischler in München ein
Baubüro des Volksbundes, die spätere
Bauleitung, eingerichtet. Eulen verabredet am 26. Juni in Paris mit der Leitung
der französischen Kriegsgräberfürsorge
die Zusammenarbeit beider Verbände. Zum Jahresende hat der Volksbund 133
Friedhöfe in 14 Ländern instand gesetzt.
Für 200 Friedhöfe bestehen Patenschaften. 3 014 Grabschmuck- und 1 278 Fotowünsche sind erfüllt worden. 21 049 Anfragen gehen ein. Die politische und wirtschaftliche
Situation festigt sich weiter. Am
16. Juli wird eine Pflichtversicherung gegen Arbeitslosigkeit eingeführt. Im August wird der erste deutsch-französische
Handelsvertrag nach dem Krieg abgeschlossen. Deutschland tritt im September dem Ständigen Internationalen
Schiedsgerichtshof in Den Haag bei. Der Amerikaner Charles Lindbergh
überquert als erster allein mit einem
Flugzeug nonstop den Atlantik.
Am 11. April richtet der Volksbund
eine Verbindungsstelle beim Zentralnachweisamt für Kriegerverluste und
Kriegergräber in Berlin ein. Der Volksbund zählt im Mai 104 000 Mitglieder.
Der Vertretertag findet vom 26. bis
28. Mai in München statt. Ab dem
1. Juni kann der Volksbund zum Preis
von je einer Reichsmark Grabfotos von
215 Friedhöfen in Frankreich und 59 in
Belgien liefern. Aus der Jahresbilanz
1927: 24 605 Anfragen sind eingegangen,
44 209 Auskünfte erteilt worden. Der
Volksbund kann in Osteuropa bei der
Instandsetzung von 310 Friedhöfen in
13 Ländern mitwirken. Er gibt dafür
276 600 Reichsmark aus. Unter anderem
heißt es in den Berichten: „Der Kriegerfriedhof Hawrylki/Polen wird völlig neu
ausgestaltet. Mit den Arbeiten hat man
begonnen. Der Friedhof Holowo wurde
auf unsere Kosten instand gesetzt und
von Unkraut gesäubert. Unser Landesverband Bayern hat als Pate des Friedhofes Rosenau/Rumänien (Siebenbürgen)
10 000 Lei zur Errichtung eines Ehrenmals zur Verfügung gestellt.“ 1927
Reichskanzler a. D.
Dr. Hans Luther
(1879 – 1962) wird am
23. Mai zum Stellvertretenden Präsidenten des
Volksbundes gewählt.
Volksbundmitarbeiter informieren sich
über den Zustand der deutschen Kriegsgräber im Ausland.
Am 10. Februar wählt der
Volksbund einen Kunstbeirat.
Am 29. März entscheidet ein Ausschuss für die Annahme des von
Prof. E. Böhm, Berlin, entworfenen
Plakates und Signets. Im Kopf des
Mai-Heftes der Zeitschrift „Kriegsgräberfürsorge“ erscheinen zum ersten
Male die fünf weißen Kreuze auf
schwarzem Grund. Die Anregung zu
diesem Zeichen gab das Vier-Grenadier-Grab in Grabowiec/Polen.
Der deutsche Historiker
Ludwig Quidde teilt sich
den Friedensnobelpreis
mit dem Franzosen Ferdinand Buisson.
In Hohenstein/Ostpreußen wird das
Ehrenmal zur Erinnerung an die
Schlacht von Tannenberg (August
1914) eingeweiht. Reichspräsident
von Hindenburg beschwört vor
70 000 Teilnehmern die Unschuld
Deutschlands am Weltkrieg.
Die Gräber des Friedhofes Bauske/
Lettland werden hergerichtet und mit
einheitlichen Kreuzen versehen.
26
27
1928
Dr. Otto Geßler
(1875 – 1955)
Am 27. August unterzeichnet Stresemann für Deutschland den KelloggPakt (auch Briand-Kellog-Pakt), der eine
Ächtung des Krieges als Mittel internationaler Politik zum Gegenstand hat. Der
Kölner Oberbürgermeister Dr. Konrad
Adenauer macht den ersten Spatenstich
zur Autobahn Köln-Bonn, der ersten in
Deutschland. Der Transatlantikflug des
deutschen Flugzeuges „Bremen“ erregt
Begeisterung im In- und Ausland, nachdem im Vorjahr der Amerikaner Charles
Lindbergh den Atlantik in West-Ost-Richtung überquert hatte. Im November fliegt
Dr. Hugo Eckener mit dem Luftschiff
„Graf Zeppelin“ nach Amerika. Im Winter 1928/29 tauchen Anzeichen einer neuen
Wirtschaftskrise auf. Die Jahre der wirtschaftlichen Erholung sind zu Ende. Zwei
Millionen Menschen sind arbeitslos. Der
Bildhauer Ernst Barlach gestaltet das Güstrower und das Magdeburger Ehrenmal. Der zehnte Vertretertag am 25. und
26. Juni in Magdeburg spricht für
112 429 Mitglieder. Reichspräsident Paul
von Hindenburg sendet ein Grußwort:
„Mit meiner dankbaren Anerkennung für
die geleistete segensreiche Arbeit auf den
deutschen Kriegerfriedhöfen im In- und
Auslande verbinde ich meine besten Wünsche für erfolgreiche Tätigkeit des Volksbundes.“ Präsident Fritz Siems tritt zurück und wird zum Ehrenmitglied ernannt.
Ein außerordentlicher Vertretertag wählt
am 7. Dezember Reichswehrminster a. D.
Dr. Otto Geßler zum Präsidenten. Seit
dem 26. Juni hat Reichskanzler a. D. Dr.
Luther als Stellvertretender Präsident die
Geschäfte geführt. Der Volksbund erhält
die Genehmigung von Reichsbahn und
Reichspost zur Plakatwerbung. Über
500 Lichtbildvorträge werden veranstaltet.
Das Bauprogramm des Volksbundes
umfaßt 42 Friedhöfe mit 280 000 Gefallenen. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in
Frankreich. Für den Friedhofsbau gibt er
258 823 Reichsmark aus. An die Stelle des Dawes-Planes tritt
der Young-Plan. Dieser bedeutet eine
weitere Herabsetzung der deutschen Reparationsverpflichtungen und sieht deutsche Zahlungen bis zum Jahre 1988 vor.
Deutschland erreicht dabei die Zusage
der vorzeitigen Räumung des gesamten
Rheinlandes. Wieder gibt es in Berlin
blutige Zusammenstöße zwischen Polizei
und Demonstranten. Briand, unterstützt
von Stresemann, legt am 4. September dem
Völkerbund einen Plan für ein Vereinigtes
Europa vor. Am 3. Oktober stirbt Stresemann. Am Ende des Jahres beträgt das
Haushaltsdefizit des Reiches 1,7 Milliarden
Reichsmark. Erich Maria Remarque veröffentlicht „Im Westen nichts Neues.“ 1929
Thomas Mann
(1875 – 1955) erhält den
Nobelpreis für Literatur.
Der Schwarze Freitag – der 25. Oktober 1929 –
an der Börse von New York leitet die Weltwirtschaftskrise ein, von der Deutschland besonders schwer betroffen wird.
Der deutsche Bildhauer Ernst Barlach
(links, mit dem französischen Bildhauer Maillol) schafft eindrucksvolle
Mahnstätten im Stil des Expressionismus. Der „Schwebende Engel“ in
Güstrow ist eine
seiner Schöpfungen.
Soldatenfriedhöfe in Frankreich.
Typisch für den Baustil des Volksbundes sind schmale Eingänge wie beim
Friedhof Hautecourt (7 885 Kriegstote). Hier sollte jegliches Gespräch
abbrechen.
Der Friedhof Maissemy
(30 478 Kriegstote) vor dem Ausbau.
28
29
Bei der Volkstrauertagsfeier in Berlin
stehen vor dem Präsidentenplatz im
Reichstag die beiden Kränze der Reichsregierung und des Reichstages mit den
Inschriften: „Dem lebenden Geist unserer
Toten“ und „Den nie vergessenen Söhnen
des Volkes.“ Im Juni gibt der Volksbund
die Fertigstellung des Friedhofes Connantre (Frankreich) bekannt. Am 5. Juli wird
in Polen ein Mitglied des Bundesvorstandes, Stadtbaurat Arendt aus Gelsenkirchen,
bei Checiny wegen unerlaubten Fotogra-
Reichspräsident Paul von
Hindenburg (1847 – 1934)
fördert die Arbeit des
Volksbundes ganz besonders.
Soldatenfriedhof Connantre in
Frankreich (8 931 Kriegstote;
rechts oben); Bundesvertretertag
am 20. Oktober in Berlin.
fierens verhaftet und unter dem Verdacht
der Spionage ins Gefängnis gebracht. Nach
Intervention der deutschen Gesandtschaft
wird er gegen eine Kaution freigelassen.
Der Volksbund hat bei seinem zehnjährigen Bestehen 133 033 Mitglieder. Zum
Vertretertag vom 20. bis 23. Oktober in
Berlin wird eine Ausstellung in der Neuen Wache gezeigt. Die Ausgaben für
den Friedhofsbau im Ausland betragen in
diesem Jahr 461 348 Reichsmark. Mit Reichskanzler Hermann Müller
(SPD) stürzt am 27. März die letzte
vom Parlament gestützte Regierung der
Weimarer Republik, ohne dass dazu ein
auch nur halbwegs plausibler Grund vorgelegen hätte. Am 30. März wird Heinrich Brüning (Zentrum) Reichskanzler. Die Weltwirtschaftskrise wirkt sich verheerend auf Deutschland aus. Der Reichspräsident erlässt die erste Notverordnung
zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. Brüning versucht, „den Tiger der
Weltwirtschaftskrise zu reiten,“ in der
Absicht, dann eine Totalrevision des Versailler Vertrages zu erreichen. Es kommt
erst zur Stundung, dann – 1932 – zur
Streichung der deutschen Reparationsschulden (Konferenz von Lausanne). Dieser Erfolg, den Brüning als Reichskanzler
nicht mehr für sich verbuchen kann, wird
zunächst dem Kabinett Papen zugerechnet; dies macht die spätere Legende möglich, es sei Hitler gewesen, der mit den
Reparationen Schluss gemacht habe. Die Zahl der Arbeitslosen steigt auf
4,4 Millionen. Bei den Reichstagswahlen erzielt die NSDAP über 18 Prozent
der Stimmen (1928: 2,6 Prozent) und
107 (statt 12) Sitze, die Deutschnationalen
verfügen über 41 Sitze im neuen Reichstag. Die Kommunisten gewinnen 77 statt
54 Mandate. Die Deutsche Demokratische
Partei nennt sich nun Staatspartei. Die
letzten Truppen der Siegermächte verlassen das Rheinland. Hitler schwört im
Reichswehrprozess vor dem Reichsgericht in Leipzig, die Weimarer Verfassung
einzuhalten. Im Volksbund wird darüber diskutiert, wie die Gräberflächen gestaltet
werden sollen. Vom aufgehügelten Einzelgrab, das den Vorstellungen der Angehörigen entspricht, soll zugunsten einer einheitlichen Gräberfläche abgegangen werden. Es kommt zu einem Konflikt mit
der Preußischen Staatsregierung: Der Präsident des Volksbundes, Reichsminister
a. D. Dr. Otto Geßler, verwahrt sich energisch gegen eine Verlautbarung der Amtlichen Preußischen Pressestelle, nach der
der Volkstrauertag „keineswegs staatlich
anerkannter oder überhaupt öffentlicher
Gedenktag“ sei. Der Volksbund gibt
567 963 Reichsmark für den Friedhofsbau
in allen Ländern aus. 1930
Am 4. Mai wird in Tarent/Italien
das vom Volksbund errichtete Grabmal für die Opfer des dort gesunkenen U-Bootes UC 12 eingeweiht.
Die letzten Besatzungstruppen
verlassen das Rheinland. Am 1. Juli
marschiert die hessische Schutzpolizei in Mainz ein.
30
31
1931
Besichtigungsreise von Mitgliedern
des Bundesvorstandes nach
Frankreich (von rechts Dr. Siegfried
Emmo Eulen, Justizrat Manfred
Zimmermann und Ehefrau).
Das wirtschaftliche Elend wächst.
Millionen Menschen haben keine
Arbeit. Nach jeder von den
Arbeitsämtern angebotenen Arbeit
drängen sich Hunderte von
Arbeitslosen.
Die Arbeitslosenzahl steigt von 4,77
im Januar auf 5,66 Millionen im Dezember. Am 14. und 15. Juli werden
aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise Banken und Börsen geschlossen.
Die Rechtsparteien verschärfen die
innenpolitischen Gegensätze. NSDAP
(Hitler), DNVP (Deutsch-Nationale Volkspartei; Hugenberg), Stahlhelm (Seldte),
der Alldeutsche Verband und andere sogenannte vaterländische Verbände gründen am 11. Oktober 1931 die Harzburger
Front gegen die Regierung Brüning. Hjalmar Schacht, der zurückgetretene Reichsbankpräsident (später Hitlers Wirtschaftsminister), General von Seeckt, ehemaliger
Reichswehrchef, und viele Generäle sind
dabei. Das „Reichsbanner Schwarz-RotGold“ versucht dagegenzuhalten: Am
16. Dezember wird in Berlin die Eiserne
Front aus SPD, Reichsbanner, Freien Gewerkschaften und Arbeitersportorganisationen gegründet; Zentrum, Deutsche
Staatspartei und die christlichen Gewerkschaften beteiligen sich nicht. Dadurch
bleibt die Eiserne Front schwach und gerät zudem in Verdacht, nicht ein republikanisch-demokratischer, sondern ein
kommunistischer Verband zu sein. Es
erscheinen Kurt Tucholskys „Schloss
Gripsholm,“ Carl Zuckmayers Drama
„Der Hauptmann von Köpenick,“ Bert
Brechts „Dreigroschenoper“ als Film. Albert Einstein unterstützt die Internationale der Kriegsdienstverweigerer. Der
Architekt Heinrich Tessenow gestaltet
Schinkels Neue Wache zum GefallenenEhrenmal um. Am 12. und 13. Juni findet der Vertretertag in Königsberg statt. Unmittelbar anschließend beteiligen sich führende Mitarbeiter des Volksbundes an
Werbeveranstaltungen in verschiedenen
ostpreußischen Städten. Im August arbeiten zum ersten Mal deutsche Jugendliche, Schüler aus Halberstadt, an deutschen Kriegsgräbern in Sète in Frankreich.
Die wirtschaftliche Krise wirkt sich auf
die Arbeit des Volksbundes aus. Er muss
im August bekannt geben: „Da durch die
Notverordnung des Reichspräsidenten der
Ankauf von Devisen beschränkt ist, sind
wir z. Z. nicht in der Lage, die bei uns vorliegenden Sonderaufträge von Angehörigen (Kranzniederlegungen, Bepflanzung,
Kreuze, Lichtbilder) auszuführen.“ Im
November wird in einigen Ländern des
Reiches, darunter in allen preußischen
Provinzen, die erste von den Behörden
genehmigte Haus- und Straßensammlung
veranstaltet. Die Weltwirtschaftskrise überschreitet ihren Höhepunkt, jedoch dauern
die politische und die wirtschaftliche
Spannung in Deutschland an. Es gibt
über sechs Millionen Arbeitslose. Am
10. April wird der 85-jährige Hindenburg
(53 Prozent der Stimmen) gegen Hitler
(37 Prozent) und Thälmann (KPD, 10 Prozent) im zweiten Wahlgang zum Reichspräsidenten wiedergewählt. Reichskanzler Brüning wird von rechtsgerichteten Politikern mit Hilfe des Reichspräsidenten gestürzt, von Papen und nach ihm
General von Schleicher bilden kurzlebige
Kabinette. Im Juli und November dieses unruhigen Jahres finden jeweils nach
Auflösung des Reichstages Neuwahlen
statt. Die Feinde der demokratischen
Republik von rechts und links – Nationalsozialisten, Deutschnationale und Kommunisten – haben jetzt im Reichstag zusammen die Mehrheit. Da sie gegen jede
Reichsregierung zusammengehen, ist die
Demokratie am Ende. Prof. Werner Heisenberg erhält den Nobelpreis für Physik. 1932
Im Februar legt Dr. Geßler sein Amt
als Präsident des Volksbundes nieder. Die Zahl der Einzelmitglieder geht
von 138 000 auf 131 000 zurück. Beim
Vertretertag am 28. und 29. Mai in Berlin
zählt der Volksbund 5 165 Körperschaften, 442 Städte und 11 658 Gemeinden als
korporative Mitglieder. Landesdirektor
a. D. Joachim von Winterfeldt-Menkin
wird zum neuen Präsidenten gewählt. Der Plan oben links zeigt die Kriegsgräberstätte Nazareth (261 Kriegstote, Stand 2008: 416 Kriegstote). Ganz
links sehen Sie ein Modell der Kriegsgräberstätte Bitola (2 000 Kriegstote,
Stand 2008: 3 406 Kriegstote).
Rechts daneben ist die Zeichnung
der Kriegsgräberstätte Langemark
(44 296 Kriegstote) abgebildet.
Am 10. Juli weiht der Volksbund in
Belgien Langemark, den Patenfriedhof der Deutschen Studentenschaft,
und den Friedhof De Ruyter ein.
Erläuterung zur Aufstellung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Nationalversammlung: 19.1.1919
Wahl zum 1. Reichstag:
6.6.1920
Wahl zum 2. Reichstag
4.5.1924
Wahl zum 3. Reichstag: 7.12.1924
Wahl zum 4. Reichstag: 20.5.1928
Wahl zum 5. Reichstag: 14.9.1930
Wahl zum 6. Reichstag: 31.7.1932
Wahl zum 7. Reichstag: 6.11.1932
Wahl zum 8. Reichstag:
5.3.1933
NSDAP: Nationalsozialistische
Deutsche Arbeiterpartei
DNVP: Deutschnationale Volkspartei
32
DVP:
Deutsche Volkspartei
DDP:
Deutsche Demokratische
Partei
SPD:
Sozialdemokratische Partei
Deutschlands
KPD:
Kommunistische Partei
Deutschlands
33
34
35
1933
Die Repressionen gegen innenpolitische Gegner der NSDAP werden
von der Bevölkerung widerstandslos
hingenommen. Die ersten Konzentrationslager werden eingerichtet, willkürliche Verhaftungen vorgenommen.
SA- und SS-Leute werden Hilfspolizisten. Angst und Terror sind jetzt Mittel der Politik. Goebbels ruft zum
Boykott gegen jüdische Geschäftsleute auf. Bücher vor allem jüdischer
Schriftsteller gelten jetzt als „undeutsch“ und werden verbrannt.
Der Reichspräsident ernennt Hitler
am 30. Januar zum Reichskanzler.
Der Historiker Michael Salewski beurteilt
diesen Vorgang rückschauend so: „Nicht
so sehr der Umstand, dass die Nationalsozialisten tatsächlich an die Macht gekommen waren, wirkte im Nachhinein niederschmetternd, sondern, dass es ihnen so
verdammt leicht gemacht wurde, fast von
allen gesellschaftlichen Gruppen, den
wichtigeren wie Reichswehr, Kirchen und
Gewerkschaften ohnehin. Sie versagten
kläglich, obwohl das Vaterland in Gefahr
war – das hatte man an den Litfasssäulen
lesen können: Hitler, das ist der Krieg.“ Die Brandstiftung im Reichstag am 27. Februar liefert Hitler den Vorwand, mit Hilfe
der sogenannten „Reichstagsbrandverordnung“ die Demokratie abzuschaffen und
die linke Opposition zu verfolgen und
auszuschalten. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels entfaltet eine ungehemmte Agitation. Der „Tag von Potsdam“
ist eine geschickt inszenierte Reverenz an
das alte Preußen, den kaiserlichen General-
feldmarschall und Reichspräsidenten der
Republik und wird zu einem großen propagandistischen Erfolg für die neuen Machthaber. Und trotz alldem hat die NSDAP
bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933
nur 43,9 Prozent erhalten. Insofern ist es
richtig: Hitler hat in einer freien Wahl vom
Volk nie die absolute Mehrheit erhalten.
Aber diese Betrachtung täuscht über die
Realitäten hinweg. Zusammen mit den
Deutschnationalen hat eine Regierung –
erstmals wieder seit 1930 – im Parlament
eine Mehrheit, jetzt 340 von 647 der Reichstagssitze, allerdings nicht die für eine Verfassungsänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit. Der Reichstag nimmt mit
441 von 535 Stimmen das Ermächtigungsgesetz an. Die Kommunisten werden mit
Gewalt an der Sitzungsteilnahme gehindert. Nur die Sozialdemokraten stimmen
dagegen. Für die SPD hält Otto Wels die
letzte freie Oppositionsrede im Reichstag.
Er verweist darauf, dass angesichts der
Mehrheitsverhältnisse dieses Gesetz überflüssig sei.
Die Weimarer Demokratie ist damit formal am Ende. Und es geht Schlag auf
Schlag weiter: Verbot der KPD, der SPD,
aller Parteien außer der NSDAP, Verbot
der Gewerkschaften, Gleichschaltung
aller Organisationen und Verbot jeglicher
Neugründungen, es sei denn nationalsozialistischer. Die von der NSDAP inszenierte öffentliche Verbrennung „undeutscher“ Schriften am 10. Mai auf dem Berliner Opernplatz symbolisiert das Ende
des freien Geisteslebens in Deutschland.
Unter den verbrannten Büchern befinden
sich Werke von Karl Marx, Heinrich Mann,
Erich Kästner, Sigmund Freud, Emil Ludwig, Theodor Wolff, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und
Carl v. Ossietzky. Die Emigration, vor
allem der Intelligenz, aus Deutschland
beginnt. Deutschland tritt aus dem
Völkerbund aus – der erste Schritt ins außenpolitische Abseits. Symbol für das Ende der
parlamentarischen Demokratie:
Am 27. Februar brennt der Reichstag.
36
37
Schattenseiten ...
38
Am Volkstrauertag 1929, zehn Jahre
nach der Gründung des Volksbundes, sagte dessen Präsident Dr. Otto Geßler: „Wir können unsere Vergangenheit
nicht leugnen, wir müssen uns anständig
und ehrlich mit ihr auseinandersetzen.“
In der Tat, Geßler hatte Anlass, so zu
sprechen, auch mit Blick auf den Volksbund. Zerrissen wie das deutsche Volk
selbst, war der Volksbund ein Kind der
deutschen Geschichte und als solches
eher im nationalen, später im nationalistischen Spektrum der politischen Überzeugungen angesiedelt. Viele seiner Repräsentanten waren gegenüber der Weimarer
Republik kritisch, manche feindlich eingestellt. Zwar gibt es eine Menge von Beispielen, die von der demokratischen Gesinnung und Integrität von Funktionsträgern des Volksbundes zeugen. Und der
Beginn seines Wirkens gab auch keinen
Anlass, an der Treue des Gesamtverbandes zur Weimarer Republik und zu ihrer
Verfassung zu zweifeln. Aber die nationalistische Schlagseite nahm mit der zeitlichen Entfernung vom Tage seiner Gründung stetig zu. Von manchem seiner
Gründerväter war er wohl auch mit einer
solchen Absicht gegründet worden. Zwar
zielte der erste Aufruf des Volksbundes
auf „Kriegsgräberfürsorge von Volk zu
Volk“ und auf gemeinsame Totenehrung
jenseits allen Volkshasses; zwar verlangte
Reichstagspräsident Paul Löbe in seiner
Rede zum Volkstrauertag im Jahre 1922:
„Abkehr vom Hass, ... Hinwendung zur
Liebe.“ Und richtig ist auch, dass der
Volksbund sich im selben Jahr mit der
Bitte an die Weltwirtschaftskonferenz in
Genua wandte, der Millionen Toten des
Weltkrieges zu gedenken und eine feierliche Proklamation für die dauernde Erhaltung der Ruhestätten zu erlassen.
Aber gleichzeitig gab es eben auch
dies: „Den Hass, den augenblicklich die
deutsche Seele packt, ... den Hass gegen
den Erbfeind, ... den Hass sehe ich anders. Das ist ein heiliger Hass, und wir
verstehen, was das Alte Testament meinte: Du sollst deinen Freund lieben und
deinen Feind hassen, Auge um Auge,
Zahn um Zahn. Und ich weiß, auch ein
Jesus würde sich mit blitzendem Auge
auf unsere Seite stellen, auf die Seite des
heiligen Hasses.“
Das sagte der evangelische Pfarrer
und Präsident des Volksbundes, Siems,
der so im Jahre 1923 redete und in der
Zeitschrift des Volksbundes schrieb.
Die Empörung über Ereignisse im Zuge der Besetzung des Rheinlandes war
berechtigt. Aber solch ein alttestamentarischer Hass als Aufruf des obersten Repräsentanten des Volksbundes und in dessen
Namen: Das war offener Bruch des Grundsatzes der „Totenehrung jenseits allen
Völkerhasses“ und der „Hinwendung zur
Liebe.“ Dabei handelt es sich nicht um
eine einmalige Entgleisung und Siems
stand auch nicht allein. Siegfried Emmo
Eulen, den viele als den eigentlichen
Gründer des Volksbundes ansehen, war
extremer Nationalist von Anbeginn. Auch
er machte aus seinem Revanchismus
schon lange vor 1933 keinen Hehl. Das
Bemerkenswerteste daran ist: Niemand
hat diese (und andere) Männer gezwungen, so zu reden, wie sie es taten. Nichts
und niemand war „gleichgeschaltet.“
Dass es auch ganz anders ging, beweist die Rede von Justizrat Dr. Kahl zum
Volkstrauertag 1930 – ein Dokument, das
der Volksbund auch heute noch mit Stolz
zitieren kann: „Und nun die Frage: Werden es die letzten Kriegstoten gewesen
sein? ... Denn die Verantwortlichkeit für
Tote und Lebende legt sich mit Zentnergewicht auf das nationale Gewissen!“
Notwendig sei, dass „die Menschheit aus
den furchtbaren Erfahrungen dieses Krieges die Erkenntnis ziehen wird, dass künftig andere Mittel und Wege gesucht und
gefunden werden müssen, um internationale Streitigkeiten zu schlichten.“
Kahl weist darauf hin, dass man sich
schon lange um die „Humanisierung des
Krieges,“ um Verhinderung von Kriegen
bemüht habe (zum Beispiel 1907 bei der
zweiten großen Haager Friedenskonferenz). Als Hauptredner des Volkstrauertages 1930 zieht er den Schluss: „Worum es
geht, ist Höheres und mehr. Es geht um
die Frage der Beseitigung, der Abschaffung des Krieges.“
Und auch das Wort des späteren Bischofs Otto Dibelius, der auch zu den
Gründervätern des Volksbundes gehört,
geht in dieselbe Richtung: „Krieg soll
nicht sein. Gott will nicht, dass Krieg sei!
Uns ist das Weihnachtsevangelium ins
Herz gefallen: Frieden auf Erden. Das ist
ja doch Gottes Botschaft an die Menschheit. Das Wort ist doch ernst.“
Geßler war also mit seiner Sorge um
die Lehren aus der eigenen Vergangenheit nicht allein. Und er stand später für
seine Grundüberzeugung im KZ ein.
Aber diejenigen, die dachten wie er, verloren gegen Ende der Weimarer Republik
zunehmend an Einfluss, und auch aus
heutiger Sicht erscheint es mehr als zweifelhaft, ob sein Rücktritt als Präsident des
Volksbundes wirklich aus „gesundheitlichen Gründen“ erfolgte und weil er nicht
nach Berlin übersiedeln und deshalb
seine ehrenamtliche Funktion „nicht
nützlich“ ausfüllen könne. So fehlt denn
auch in der Bekanntmachung seines
Rücktritts durch den Vorstand des Volksbundes jedes Wort des Dankes. Dieser
Präsident passte eben nicht in die Linie,
man war offensichtlich froh, ihn los zu
sein – und zeigte das auch!
Reaktionen auf diese Entwicklung
blieben nicht aus. So sagte beispielsweise
der preußische Ministerpräsident Otto
Braun am 16. März 1930 auf einer „Feier
zur Erinnerung an die erfolgreiche Niederschlagung des Kapp-Putsches,“ dass
man „bei den Veranstaltungen des privaten Vereins für Kriegsgräberfürsorge sich
nicht des Verdachts erwehren könne, dass
hier das Gedächtnis der Toten missbraucht
werde, um einen gewissen, verderblichen
Revanchegedanken zu wecken und wachzuhalten.“
Für Eulen und andere Führungspersönlichkeiten war der 30. Januar 1933 der
Tag der Erfüllung. Und so waren die „ehrerbietigen Grüße,“ die die „versammelten
deutschen Männer und Frauen (des Volksbundes) ... dem Führer des deutschen Volkes, dem Kämpfer für Deutschlands Ehre
und Macht“ entboten, nichts Besonderes
mehr. Das wurde formuliert auf dem Vertretertag am 2. Dezember 1933. Am 31. Dezember 1933 befand Eulen, nunmehr „Bundesführer,“ dass die „Adventszeit 1933 ...
für Deutschland voll Jubel und Hoffnung
ist, wie noch nie eine Zeit deutscher Jahreswende ....“
Die Gründung des Volksbundes war
also von Anfang an mit einem Zwiespalt
behaftet: Da waren die, die den Gründungsaufruf ernst nahmen, die den Völkerhass abbauen, mit Hilfe der Errichtung würdiger Grab- und Gedenkstätten
auch Zeichen für Versöhnung und Frieden setzten wollten, und die als Demokraten den Volksbund unterstützten, wo
immer sie konnten: Reichspräsident
Ebert, Reichstagspräsident Löbe, die
Reichskanzler Stresemann und Luther,
die Reichsminister Rathenau, Erzberger
und Geßler, Oberbürgermeister Adenauer
und andere.
Und auch die Gründungsversammlung beschloss am 16. Dezember 1919
nicht den von Eulen vorgeschlagenen autoritären Satzungstext, sondern eine Fassung, die zwar einige zeitbedingte Merkwürdigkeiten aufweist, die aber durchaus
demokratisch war. Da gab es einen jährlich neu zu wählenden „Vorstand“ und
einen vom „Vertretertag“ gewählten dreißigköpfigen „Verwaltungsrat.“ Im Vertretertag waren die Delegierten „mit der
Zahl der von ihnen zu vertretenden Mitglieder stimmberechtigt.“ Da gab es klare
Aufgabenzuweisungen – ein Dokument
der Nüchternheit, ohne Großmannssucht
und Versuche einer internationalen Bevor-
mundung. Auf der anderen Seite standen
jene, die schon bei der Gründung erkennbar anderes wollten, auch wenn sie das
mit letzter Deutlichkeit erst bekannten,
als sie keinen demokratisch orientierten
Widerspruch mehr fürchten mussten.
So wies Eulen am 1. Dezember 1933
darauf hin, dass immer schon „nach dem
Führergrundsatz“ gearbeitet worden sei.
Die Verwirklichung der Bundesziele hätte
selbstverständlich nur von deutsch-fühlenden Männern und Frauen geleistet
werden können. Die Führer im Volksbund hätten sich siegreich in 15 Jahren
durchgesetzt, auf dass das von allen miterkämpfte und ersehnte Dritte Reich erbaut werde, zu dem die Gefallenen draußen die Fundamente gelegt hätten.
Damit schloss sich in Eulens Augen
der Kreis: Die Toten des Ersten Weltkrieges wurden zu Schöpfern der Grundlagen des Dritten Reiches erklärt.
Was Eulen 1919 nicht durchsetzen
konnte, wurde 14 Jahre später erreicht –
vorbereitet durch die Gespräche mit
Reichsminister Frick, Staatssekretär Lammers (am 24. März in der Reichskanzlei)
und endlich mit Hitler selbst in dessen
Wohnung. Kein Wunder, dass der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann den
Delegierten empfahl, die neue Satzung in
Bausch und Bogen anzunehmen, was sie
auch taten. Damit hat sich der Volksbund
am 1./2. Dezember 1933 zwar nicht formal, aber faktisch selbst gleichgeschaltet.
Die Weimarer Republik war am 30. Januar 1933 am Ende. Wie hätte der Volksbund noch zehn Monate später „heil“
sein können?
Eulens Selbstbekenntnisse erwiesen
sich nicht etwa als nachträgliche Schönfärberei, um sich bei den neuen Machthabern um der relativen Unversehrtheit des
Volksbundes willen anzubiedern. Das
wäre immerhin ein zwar falsches, aber
diskutables Motiv gewesen. Es ist auch
nicht der peinliche Kniefall vor den neuen Machthabern, der nach dem März
1933 zum Landesüblichen gehörte. Es ist
undemokratische, nationalistische Geisteshaltung, die offen zu Tage trat. 39
Volkstrauertag 1933: Reichskanzler
Adolf Hitler neben Reichspräsident
Paul von Hindenburg.
Der Volksbund arbeitet auf den
Soldatenfriedhöfen Connantre und
Rancourt (8 931 und 11 422 Kriegstote). In dieser Zeit entstehen Eingänge
und Gedenkkapellen, Bäume werden
gepflanzt und Einfriedungen geschaffen.
In der Mitgliederzeitschrift werden
die Fortschritte der Arbeit dokumentiert: Soldatenfriedhöfe Hohrod,
Rancourt und Romagne-sous-Montfaucon (Frankreich), Nazareth
(Palästina; Modell); unten Entwurf für
einen Gedenkstein.
40
1934
Am 30. Januar werden die Länder
entmachtet. Ihre Hoheitsrechte gehen
auf das Reich über. Am 30. Juni schafft
Hitler auf seine Weise „Klarheit“ in den
eigenen Reihen: Der sogenannte RöhmPutsch ist in Wahrheit ein Mordanschlag
auf die SA-Führung und andere, die Hitler für potenzielle Gegner hält. Unter den
Ermordeten befinden sich Hitlers Amtsvorgänger von Schleicher und dessen Frau,
Gregor Strasser (Reichsorganisationsleiter
der NSDAP bis 1932), Erich Klausener (Katholische Aktion), Edgar Jung (Mitarbeiter
von Vizekanzler von Papen) und Gustav
von Kahr (1923 bayerischer Generalstaatskommissar). Mindestens 83 Menschen
werden ermordet. Ein Reichsgesetz vom
3. Juli 1934 erklärt die Morde nachträglich
für rechtens. Und der auch heute noch
von manchen angesehene Staatsrechtslehrer Carl Schmitt rechtfertigt diese Taten:
„Der Führer schützte das Recht.“ Hindenburg und Papen beglückwünschen Hitler.
Das Reich schließt einen Nichtangriffspakt mit Polen. Das „Gesetz über die Feiertage“ wird
am 27. Februar verabschiedet. An die
Stelle des Volkstrauertages tritt nunmehr
im ganzen Reich der „Heldengedenktag“
mit neuem Sinngehalt. Er findet jeweils
am 5. Sonntag vor Ostern (Reminiscere)
statt. Bei der Feierstunde in der Berliner
Staatsoper Unter den Linden hält zum
ersten Mal der Reichswehrminister die
Ansprache. Im Rahmen einer Großausstellung des Volksbundes im Lichthof des
Dresdener Rathauses (Juni/Juli) werden
die Modelle für die Friedhöfe Liny-devant-Dun, Haubourdin und Quero gezeigt. In einem Aufruf zum 20. Jahrestag
des Beginns des Ersten Weltkrieges empfiehlt der Volksbund, auf alle Feiern zu
verzichten. Er appelliert an alle Mitglieder, in diesem Jahr mindestens ein neues
Mitglied zu werben. Am 1. September
übernimmt der langjährige Leiter der
Werbe- und Presseabteilung, Otto Margraf, die Geschäftsführung der Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Im November
gibt der Volksbund bekannt, dass wegen
der Devisenknappheit für die Totentage
keine Angehörigenaufträge erfüllt werden
können. Der Vertretertag, jetzt Reichstagung genannt, findet in Kiel statt. Zum
Ende des Jahres gehören 1 830 Ortsgruppen mit insgesamt 151 110 Einzelmitgliedern zum Volksbund. Ausstellung des Volksbundes in der
Münchner Feldherrenhalle.
Die Reichsparteitage der NSDAP
in Nürnberg mit ihren Massenaufmärschen charakterisieren den Stil
des Regimes. Die Gesellschaft ist
„gleichgeschaltet.“
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43
1935
Carl von Ossietzky wird wie
viele andere verhaftet und
ins Konzentrationslager
gebracht. Er darf den ihm
1936 verliehenen Friedensnobelpreis nicht annehmen.
Nach seiner Freilassung
stirbt er am 4. Mai 1938 an
den Folgen dieser Haft.
Foto ganz rechts: Stimmzettel bei
der Volksabstimmung im Saarland.
Eine Volksabstimmung am 13. Januar führt zur Rückgabe des Saargebietes an Deutschland. Am 16. März beginnt mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die offene Wiederaufrüstung des Reiches. Dieser einseitige, ohne
Verhandlungen unternommene Schritt ist
ein klarer Bruch geltender Verträge, der
um so schwerer wiegt, als die Westmächte bereits informell mitgeteilt hatten, dass
sie einer deutschen Aufrüstung bis zu
200 000 Mann zustimmen würden. Deutschland verlässt mit den berüchtigten Nürnberger Gesetzen am 15. September endgültig den Weg eines am Menschenrecht orientierten Staatswesens. Sie
legen den Grundstein für eine verbrecherische Politik, die später in der sogenannten „Endlösung der Judenfrage,“ im Holocaust, endet. Am 30. Juni weiht der Volksbund die
Kriegsgräberstätte Nazareth/Palästina und am 12. Juli Maissemy/Frankreich ein. In seiner Allerseelenpredigt
sagt Kardinal Michael von Faulhaber in
der Münchner Frauenkirche: „Wir danken dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der mit unermüdlichem Eifer und großem Erfolg die deutschen Soldatenfriedhöfe im Ausland in würdigem
Zustand erhält und seine pietätvolle Gräberpflege ganz im Sinne der Hinterbliebenen unter das Zeichen des weißen Kreuzes im schwarzen Feld gestellt hat.“ Im
November besuchen der Leiter der britischen Imperial War Graves Commission
und der Leiter der französischen Kriegsgräberfürsorge die Bundesgeschäftsstelle
in Berlin. Im Jahre 1935 gibt es in 22 Ländern der Erde Volksbundmitglieder. Am 7. März bricht Adolf Hitler den
Locarno-Pakt und zerstört damit
Stresemanns Friedenswerk. Er lässt das
entmilitarisierte Rheinland besetzen. Die
Westmächte nehmen das ohne ernsthaften Widerstand hin. Im September des
Jahres wird der Vierjahresplan verkündet,
der das Deutsche Reich „bis 1940 kriegsbereit“ machen soll. Hitler beginnt mit
den Vorbereitungen für seine Angriffskriege. Im Spanischen Bürgerkrieg, der
zur Niederlage der Republik führt und
die Franco-Diktatur begründet, unterstützt Deutschland den Militäraufstand
General Francos. Am 8. Juni findet in London die erste Sitzung des gemischten deutschenglisch-französischen Ausschusses für
Kriegsgräberfürsorge statt, in dem der
Volksbund vertreten ist. Hintergrund: Bereits 1923 hatte die Imperial War Graves
Commission die Pflege von 2 219 deutschen Kriegsgräbern an 216 verschiedenen Orten im Vereinigten Königreich und
den Kanalinseln übernommen. Die
Reichstagung findet am 30. und 31. Oktober in Köln statt. Die Jahresbilanz nennt
folgende Zahlen: Es gibt 295 000 Mitglieder
in 4 747 Ortsgruppen, etwa 50 Prozent der
deutschen Gemeinden sind korporative
Mitglieder. Die Gesamtausgaben des
Volksbundes für den Friedhofsbau von
seiner Gründung bis zum 31. Dezember
1936 betragen 6,5 Millionen Reichsmark. 1936
Foto links: Deutsche Truppen marschieren ins Rheinland ein.
Foto unten: Die Olympiade in Berlin
wird für einen nationalsozialistischen
Propagandafeldzug missbraucht.
Soldatenfriedhof Nazareth im
damaligen Palästina. Hier ruhen
261 Kriegstote (Stand 2008:
416 Kriegstote). Heute liegt die
Kriegsgräberstätte auf dem
Staatsgebiet Israels.
44
45
1937
Die deutsche Legion Condor bombardiert im spanischen Bürgerkrieg
die baskische Hauptstadt Guernica. Pablo
Picasso malt das Bild „Guernica“ als
einen Aufruf gegen den Krieg. Über die
deutschen Gefallenen darf nicht gesprochen werden. Die Toten werden vom
Volksbund nicht registriert. Eine Wanderausstellung zeigt in Deutschland sogenannte Entartete Kunst. Der internationale kulturelle Austausch kommt weitgehend zum Erliegen. Es gibt vier große
Konzentrationslager: Buchenwald, Dachau, Lichtenberg (nur für Frauen) und
Sachsenhausen. Auf der zweiten Sitzung des deutschenglisch-französischen Ausschusses
in Berlin wird berichtet: Für die etwa
7 000 deutschen Kriegsgräber auf englischen Friedhöfen in Frankreich sind bisher 4 500 Stelen aus dauerhaftem Naturstein in den Münchner Werkstätten des
Volksbundes fertiggestellt werden. 2 000
davon sind bereits aufgestellt.
Deutsche Sturzkampfbomber
(Stukas) in Spanien.
Mit der Explosion des deutschen
Luftschiffes Hindenburg am 6. Mai
in Lakehurst (USA) – 34 Menschen
sterben – endet der transatlantische Zeppelinverkehr.
Sie entsprechen in den Maßen den englischen Grabsteinen. Als Folge der Maßnahmen zur Papiereinsparung im Rahmen
des Vier-Jahres-Planes erscheinen die Ausgaben Juli und August der „Kriegsgräberfürsorge“ als ein Heft. Der Volksbund weiht am 30. Mai die Kriegsgräberstätte Smederewo (Semendria, heute: Serbien) in
Jugoslawien ein. Hier ruhen Gefallene aus den
Kämpfen der Jahre 1915 und 1916.
Im Februar entmachtet Hitler die
Führungsspitze der Wehrmacht
durch Entlassung des Reichskriegsministers Generalfeldmarschall von Blomberg
und des Oberbefehlshabers des Heeres,
Generaloberst Freiherr von Fritsch. Nach Verhandlungen mit Hitler muss
Österreichs Bundeskanzler Kurt von
Schuschnigg vor dessen aggressiver
Politik kapitulieren. Österreich wird mit
Zustimmung der großen Mehrheit der
Österreicher dem Deutschen Reich angeschlossen. Aus Protest gegen Hitlers
Politik tritt der Generalstabschef des
Heeres, Generaloberst Beck, zurück. Am 29. September endet die Münchener
Konferenz der Staats- und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens mit dem Beschluss
zur Abtretung der sudetendeutschen Gebiete durch die Tschechoslowakei an das
Deutsche Reich. Die am 9. November
im ganzen Reich von der NSDAP organisierten Pogrome gegen die Juden (von Antisemiten hämisch „Reichskristallnacht“
genannt) erregen die Weltöffentlichkeit.
Die jüdischen Deutschen werden in den
folgenden Tagen endgültig aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet. Am 31. Mai
wird das „Gesetz zur Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ erlassen. Geächtet werden vor allem Kunstwerke von
Barlach, Beckmann, Cézanne, Chagall, Corinth, van Gogh, Heckel, Hofer, Kandinsky, Klee, Kokoschka, Macke (1914 gefallen), Marc (1916 gefallen), Matisse, Munch,
Picasso, Nolde und vielen anderen. Die Reichstagung des Volksbundes
findet vom 20. bis 23. Mai in Breslau
(heute: Wrocław/Polen) statt. Die Gebeine von 70 in der Schweizer Internierung verstorbenen deutschen Soldaten
werden am 17. Dezember auf den Lerchenberg bei Meersburg am Bodensee
überführt. Die Anlage wird jedoch erst
1964 fertiggestellt. 1938
Am 12. Juni wird das U-BootEhrenmal Möltenort (bei Kiel)
eingeweiht.
Reichstagung des Volksbundes in
Breslau (Wrocław/Polen).
Die österreichische Bevölkerung
begrüßt begeistert den „Anschluss.“
Bei der Abstimmung am 10. April
werden in der zukünftigen „Ostmark“ nur 11 807 Nein-Stimmen
registriert.
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1939
Die Wehrmacht marschiert in die
Tschechoslowakei ein. Hitler bildet
das „Protektorat“ Böhmen und Mähren. Die Slowakei wird unabhängig.
Hitler bricht das MünchnerAbkommen – deutsche Soldaten marschieren
am 15. und 16. März in der Tschechoslowakei ein. Das stellt ihn endgültig als
Kriegstreiber bloß und erschüttert vollends das internationale Vertrauen in eine
europäische Friedensordnung. Deutschland besetzt am 23. März das Memelgebiet. Am 23. August kommt es überraschend in Moskau zum Hitler-Stalin-Pakt
(offiziell ein Nichtangriffspakt). Dazu gehört das berüchtigte geheime Zusatzprotokoll mit der Abmachung über die Teilung Polens. Außerdem stimmt Hitler der
Annexion der baltischen Staaten und Bessarabiens durch die Sowjetunion zu. Am 1. September beginnt der Angriff auf
Polen: Hitler hat nun den Krieg, den er
stets gewollt hatte. Nach der Kriegserklärung Englands und Frankreichs am 3. September steht Deutschland zwischen zwei
Fronten. Polen kapituliert nach vier
Wochen, die Sowjetunion besetzt den
Ostteil. Der Bau der Gedenkstätte Pordoi in
den Dolomiten (Italien), bereits vor
Kriegsausbruch begonnen, wird bis zur
Arbeitseinstellung 1943 fortgeführt. Die Einweihungen der Kriegsgräberstätten Quero, Feltre und Tolmein im Mai finden ein starkes Echo in der in- und ausländischen Öffentlichkeit. Bundesführer Eulen sowie sieben Mitarbeiter der
Bundesgeschäftsstelle und vier der Bauleitung werden bei Kriegsausbruch eingezogen, dazu viele Mitarbeiter aus den
Gliederungen. Mitarbeiter des Volksbundes stellen ihre Erfahrungen beim
Aufbau des Wehrmacht-Gräberdienstes
zur Verfügung. Der Stellvertretende
Bundesführer, Justizrat Manfred Zimmermann, führt die Geschäfte. Während des Krieges setzt der Volksbund den Bau der Kriegsgräberstätte
Pordoi in Oberitalien fort. Hier ruhen
9 431 Kriegstote (Foto links oben).
Mit dem Angriff auf Polen beginnt
am 1. September 1939 der Zweite
Weltkrieg. Das Bild vom zerstörten
Schlagbaum (Foto links) ist gestellt.
Das große Sterben beginnt (Foto
unten): Erst viel später – über den
Gräbern zweier Weltkriege – wird
Europa zusammenfinden.
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1940
Die deutschen Verluste
werden größer. Der Wehrmachtsgräberdienst entwirft
ein einheitliches Grabzeichen.
Am 9. April besetzen deutsche Truppen trotz eines Nichtangriffspaktes
Dänemark und Norwegen. Die deutschen
Seestreitkräfte erleiden bei der Besetzung
Norwegens starke Verluste. Der Angriff an der Westfront beginnt am 10. Mai.
Frankreich, Belgien, die Niederlande und
Luxemburg werden in einem raschen
Feldzug besiegt. Am 22. Juni wird der
Waffenstillstand mit Frankreich abgeschlossen. Italien tritt kurz vorher an
Deutschlands Seite in den Krieg ein. Im August beginnt zur Vorbereitung
einer Invasion Großbritanniens die „Luftschlacht um England.“ Hier erleidet
Deutschland seine erste Niederlage. Die
britische Luftwaffe kann nicht besiegt
werden; die Pläne zur Landung in Großbritannien werden auf unbestimmte Zeit
verschoben. Die deutsche Luftwaffe bombardiert Coventry, London und Malta. Am 27. September schließen Deutschland,
Italien und Japan den Dreimächtepakt. Im November besucht der sowjetische
Außenminister Wjatscheslaw Molotow
die Reichshauptstadt: Weitere Aggressionen sollen abgestimmt werden. Die Skala
reicht vom Balkan bis Indien. Man kann
sich jedoch diesmal wegen unterschiedlicher Ziele nicht einigen. Die Beziehungen
kühlen sich ab. Die Arbeit des Volksbundes wird
kriegsbedingt schwieriger: Weitere
Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle
und der Bauleitung werden eingezogen,
dazu eine große Zahl Mitarbeiter aus den
Gliederungen. Der Volksbund hat am
Jahresende 537 000 Mitglieder. Die deutsche Wehrmacht besetzt
Dänemark und Norwegen (Foto
oben). Frankreich und die Beneluxstaaten werden ebenfalls überrannt
(Foto unten). Die deutsche Luftwaffe
bombardiert am 14. November die
englische Stadt Coventry. Auf dem
Foto rechts sieht man die zerstörte
Kathedrale. Zuvor hatte die britische
Luftwaffe München und andere
Städte in Deutschland angegriffen.
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1941
Zur Unterstützung der italienischen
Truppen in Nordafrika wird im Februar unter Befehl von General Rommel
das Deutsche Afrika-Korps aufgestellt.
Am 6. April beginnt der Angriff auf
Jugoslawien und Griechenland. Am
1. Juni wird die Insel Kreta nach schweren Verlusten durch deutsche Luftlandetruppen erobert. Der Angriff gegen die
Sowjetunion, als „Plan Barbarossa“ lange
vorbereitet, beginnt am 22. Juni. Die deutschen Offensiven bleiben nach großen Anfangserfolgen im Winter vor Moskau und
Leningrad stecken. Der Feldzug wird auf
beiden Seiten mit erbitterter Härte und
Grausamkeit geführt. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember erklärt Deutschland am 10. Dezember den USA den Krieg. Am 16. März wird der Chef des
Oberkommandos der Wehrmacht
(OKW) beauftragt, die Errichtung würdiger Soldatenfriedhöfe für die Gefallenen
vorzubereiten. Professor Wilhelm Kreis,
im Einvernehmen mit dem Volksbund
vom OKW vorgeschlagen, wird zum Generalbaurat ernannt. Professor Kreis gehört dem damaligen Verwaltungsrat des
Volksbundes seit der Gründung an. Bereits zu Beginn des Jahres erfolgt eine
Anweisung zur Einführung eines einheitlichen Grabzeichens in der Form des
Eisernen Kreuzes. Aufgrund von Befürchtungen aus Kreisen der Mitglieder
über eine mögliche Einstellung der Arbeit
gibt der Volksbund bekannt, dass seine
Arbeit auf Weisung der maßgeblichen
Stellen vor allem im Interesse der Angehörigen fortgesetzt werden solle. Adolf Hitler greift immer neue Ziele
an (Foto rechts). Deutsche Soldaten
kämpfen in Nordafrika (Foto auf
Seite 53 oben) und in der Sowjetunion (Foto auf Seite 53 unten).
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1942
Die deutsche Sommeroffensive an
der südlichen Ostfront erreicht die
Wolga und den Kaukasus, die Offensive Rommels führt von Libyen aus über
die ägyptische Grenze bis El Alamein.
Dann folgt die Wende des Krieges: Die
6. Armee wird bei Stalingrad von sowjetischen Streitkräften eingeschlossen.
Die deutschen Truppen erleiden in der
Schlacht von El Alamein eine schwere
Niederlage. Libyen muss geräumt werden. Das Afrika-Korps wird bei Tunis
eingeschlossen. Während der gesamten Kriegszeit werden zwölf Millionen
sogenannte Fremdarbeiter verschleppt
und in der deutschen Kriegswirtschaft
eingesetzt. Im Februar erscheint ein Erlass,
nach dem die Gräber der Opfer
der Zivilbevölkerung, das heißt „die
durch Feindeinwirkung getöteten oder
infolge erlittener Verletzungen gestorbenen, nicht zur Wehrmacht gehörenden deutschen Staatsangehörigen sowie die Staatsangehörigen der verbündeten Mächte“ auf „Ehrenfriedhöfen“
bestattet werden sollen. Der Volksbund kann trotz des Krieges in begrenztem Rahmen weiter arbeiten. In
Frankreich wird der Soldatenfriedhof
Consenvoye bei Verdun (11 146 Kriegstote) angelegt. Hitler hat die Widerstandsfähigkeit
und die Reserven der Sowjetunion
weit unterschätzt. Stalingrad
wird zur Wende des Krieges.
Dieses Bild wirkt symbolisch: Die
Soldaten sind eisiger Kälte ausgesetzt, erscheinen orientierungslos.
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Im Januar fordern die Alliierten auf
der Casablanca-Konferenz die bedingungslose Kapitulation Deutschlands.
Am 2. Februar geht die Schlacht um Stalingrad zu Ende. Die Reste der 6. Armee
ergeben sich – gegen Hitlers Befehl. Von
170 000 im Kessel verbliebenen Soldaten
der Wehrmacht sind über 60 000 gefallen.
Rund 110 000 gehen in Gefangenschaft,
nur etwa 5 000 von ihnen überleben. Zuvor hatte die Luftwaffe 25 000 Verwundete
ausgeflogen. Über das Schicksal der mit
eingeschlossenen italienischen und rumänischen Soldaten ist wenig bekannt. Am 13. Mai kapitulieren die letzten Streitkräfte der sogenannten Achse in Tunesien.
Nach der erfolglosen deutschen Offensive bei Kursk (Panzerschlacht) beginnt
der Rückzug der deutschen Truppen an
der gesamten Ostfront. Goebbels fordert
den „totalen Krieg.“ Doch der Krieg ist entschieden! Schwere Luftangriffe auf Hamburg und Berlin leiten die planmäßige Zerstörung der deutschen Großstädte ein. Dabei wird mehr und mehr die Technik der
sogenannten Feuerstürme angewendet,
eine besonders unmenschliche Kriegführung gegen Zivilisten ohne militärischen
Wert. Im Juli landen die Alliierten in Italien, das im September Waffenstillstand
schließt. In Auschwitz, Treblinka, Maidanek und anderen Konzentrationslagern
beginnt die systematische Ausrottung von
Millionen Juden, aber auch von Roma,
Sinti und anderen für lebensunwert erklärten Menschen. Gegen erbitterten Widerstand der eingepferchten Juden vernichtet die SS das Warschauer Ghetto. Das Ministerialblatt des Reichsministeriums veröffentlicht am 8. Dezember Darlegungen „über die Fürsorge für
die Gräber der Kriegsgefallenen des jetzigen Krieges und die Gestaltung von
Kriegsgräberanlagen,“ aus denen eine besondere Betonung der Tätigkeit der Amtlichen Kriegsgräberfürsorge im Reichsgebiet hervorgeht. Stellungnahme des Volksbundes: „Unsere Aufgabe, die in der Errichtung von Ehrenstätten außerhalb des
Reiches liegt, wird dadurch nicht berührt.“ Ende des Jahres hat der Volksbund 993 572 Einzelmitglieder. Stalin, Roosevelt und Churchill (sitzend, von links) einigen sich auf der
Konferenz von Teheran im Grundsatz
über die Teilung Deutschlands nach
dem Krieg.
1943
Stalingrad: Von den 110 000 deutschen Kriegsgefangenen sterben
allein 17 000 auf dem Weg in die
Lager. Unten deutsche Kriegsgefangene im Sommer 1943 in der Nähe
von Stalingrad.
1942 wird auf der WannseeKonferenz in Berlin die „Endlösung
der Judenfrage“ beschlossen.
Der deutsche Vormarsch im Osten
schafft die Voraussetzungen: Der
Mord an den Juden nimmt immer gewaltigere Ausmaße an. In den Vernichtungslagern wie AuschwitzBirkenau werden die Menschen bei
der Ankunft selektiert. Die als nicht
arbeitsfähig eingestuften Menschen
werden häufig sofort umgebracht.
Für die anderen gilt die
„Vernichtung durch Arbeit.“
Je länger der Zweite Weltkrieg andauert, je mehr Gebiete von
Deutschland besetzt werden, desto
mehr Juden und andere Verfolgte
fallen dem organisierten Massenmord zum Opfer. Damit werden auch
diejenigen Menschen, die ohne
Wissen über dieses unvorstellbare
Verbrechen als Soldaten oder an anderer Stelle durch ihren tapferen Einsatz im Ergebnis den Krieg verlängern, in die Frage von Mitschuld und
Mitverantwortung verstrickt.
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57
Baurat Wilhelm Kreis erhält von
der Reichsregierung den Auftrag,
monumentale deutsche Ehrenstätten
zu planen. Sie sind ein Ausdruck
der Heldenverherrlichung. Seine Entwürfe, die der Auffassung des Volksbundes widersprechen, werden nicht
realisiert.
Die Arbeit des Volksbundes wird
stark eingeschränkt. Zu dem Wenigen, was er tun kann, gehört der
Ausbau des Soldatenfriedhofes
Consenvoye in Frankreich (11 146
Kriegstote). Hier werden zum ersten
Mal Symbolkreuze aufgestellt.
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1944
Der alliierte Vormarsch in Italien
stockt bei Cassino. Stadt und
Kloster werden bei den schweren
Kämpfen im Winter und Frühjahr
1944 völlig zerstört. Der Abt des
Klosters bedankt sich bei dem deutschen Oberstleutnant Julius Schlegel
für die Rettung der unersetzlichen
Kunst- und Kulturschätze.
60
Am 6. Juni beginnt in Frankreich die
lang erwartete Landung der Alliierten; binnen weniger Tage ist sie erfolgreich. Bis zum 30. Juli haben die Westmächte 850 000 Mann und rund 150 000
Fahrzeuge gelandet. Ihnen gelingt der
Durchbruch bei Avranches. Doch Hitler
und seine Generale lassen das Inferno
noch über neun Monate weiter auf die
Menschen niedergehen. Hoffnung, den
Kriegsausgang durch weiteren Widerstand günstiger zu gestalten, besteht nicht
mehr, so wenig wie im August 1918. Zumindest die Generalität weiß das, zumal
drei Wochen nach der Landung die Sommeroffensive der Roten Armee beginnt,
die sie bis zur Weichsel und auf den Balkan führt. Die größten Zerstörungen und
Verluste, die Deutschland erleidet, sind
nach dem Sommer 1944 eingetreten. Der letzte und aussichtsreichste Versuch,
das Verderben abzuwenden, den Krieg zu
beenden und Deutschland vor dem totalen Untergang zu bewahren, scheitert am
20. Juli 1944. Das Bombenattentat des
Obersten Graf Stauffenberg auf Hitler
missglückt. Im Zusammenhang damit
werden über 700 deutsche Offiziere, darunter Generalfeldmarschall Erwin von
Witzleben, sowie zahlreiche Zivilpersonen umgebracht. Generaloberst Ludwig
Beck erschießt sich. Das Internationale
Komitee vom Roten Kreuz erhält den
Friedensnobelpreis. Am 15. Februar zerstören Bomben
die Bundesgeschäftsstelle des Volksbundes in Berlin. Viele Arbeitsunterlagen
gehen verloren, darunter auch solche, die
für einen historischen Rückblick wie in
diesem Buch sehr wichtig gewesen wären. Die Zeitschrift des Volksbundes
kann nur noch vierteljährlich erscheinen.
Am 9. Juni verhindert Staatsrat Wilhelm Ahlhorn in Verbindung mit dem
Leiter der Abteilung Wehrmachtsverlustwesen im OKW die Unterstellung des
Volksbundes unter den Generalbaurat.
Er droht, diese Maßnahme mit der Selbstauflösung des Volksbundes zu beantworten. Aufgrund der Anordnung über
den totalen Kriegseinsatz vom 29. August
führt der Volksbund die 60-StundenWoche für seine Mitarbeiter ein und baut
sein Personal um 20 Prozent ab. Im teilzerstörten Erdgeschoss der Bundesgeschäftsstelle gedenkt der Volksbund in
Anwesenheit von nur noch 57 Mitarbeitern seines 25-jährigen Bestehens. In
einem Rundbrief „An die im Feld stehenden Mitarbeiter“ zu Weihnachten heißt
es, dass der Volksbund rund zwei Millionen Mitglieder habe. Diese Zahl ist heute
nicht mehr belegbar. Die letzte deutsche Offensive im
Westen („Ardennenoffensive“)
überrascht die Alliierten, scheitert
aber nach wenigen Tagen.
61
Für Freiheit und
Gerechtigkeit:
der 20. Juli 1944
62
„Die Rettung Deutschlands war der
letzte Sinn des deutschen Widerstandes. Der Rettung des Vaterlandes im physischen und moralischen Sinn galt der
verzweifelte Stoß des 20. Juli 1944. Wir,
die dazugehörten oder sonstwie gegen
die Schändung Deutschlands Front gemacht hatten, stimmten, ohne ein einziges Wort darüber zu verlieren und ohne
Rücksicht auf unsere politische Herkunft
– die Kommunisten eingeschlossen –,
völlig darin überein, dass die Rettung
Deutschlands und die Sicherung seiner
Zukunft allein in der Wiederherstellung
des freiheitlichen Rechtsstaates und seiner entschlossenen Verteidigung gegen
seine inneren und äußeren Feinde liegen
könne. Das ist das bleibende Vermächtnis
des 20. Juli 1944.“ Dies sagte einer der Beteiligten, der spätere Bundestagspräsident
Eugen Gerstenmaier, nach dem Krieg.
Im Attentat auf Hitler am 20. Juli
gipfelt der Widerstand im Dritten Reich
gegen das nationalsozialistische Regime
und seine unheilvolle Politik. Viele Jahre
war die westdeutsche Geschichtsschreibung auf dieses Ereignis und seine Vorgeschichte fixiert. Inzwischen hat sich die
Perspektive jedoch erweitert, und auch
der Widerstand außerhalb des militärischen und bürgerlich-konservativen Lagers wird gewürdigt. Damit wird der Tatsache besser Rechnung getragen, dass der
Widerstand vielfältige Formen gezeigt hat
– die im Übrigen nur schwer unter einem
zentralen Begriff zusammengefasst werden können.
Den Frauen und Männern, auch Jugendlichen, die Widerstand leisteten –
offen oder verdeckt, konsequent oder gelegentlich, fast immer mit schweren Folgen für sie und ihre Familien – ist eines
gemeinsam gewesen: Die Erkenntnis,
dass der Weg, den Deutschland unter
Hitler beschritten hatte, in die Katastrophe führte; das Bewusstsein, Widerstand
leisten zu müssen und durch eigenes
Handeln zur Rückkehr in eine bessere
Gesellschaft beitragen zu können.
Natürlich waren die Handlungsmöglichkeiten Einzelner sehr begrenzt. Das
gilt nicht zuletzt für die Soldaten an der
Front. Viele hatten sich vor dem Krieg
von den (vermeintlichen) innen- und außenpolitischen Erfolgen Hitlers blenden
lassen und im Krieg von den erstaunlichen militärischen Anfangserfolgen. Bei
vielen ist das Gewissen erst spät erwacht.
Viele haben gar nicht oder erst sehr spät
erfahren, welche Verbrechen in Namen
des Vaterlandes und durch Landsleute in
anderen Ländern und auch in Deutschland selbst geschehen waren. Viele Soldaten haben lange gezögert, wollten nicht
eidbrüchig werden. Immerhin wurde die
eigene Bevölkerung durch 40 000 GestapoBeamte, den SD (Sicherheitsdienst) und
ungezählte Spitzel und Zuträger überwacht. Schon unbedeutende kritische Äußerungen – wie zum Beispiel Zweifel am
propagierten „Endsieg“ – waren lebensgefährlich.
Trotz der Gefahr für Leib und Leben
haben sich während des Dritten Reiches
viele aufrechte Menschen für ein besseres
Deutschland eingesetzt. Sie kamen aus der
Arbeiterbewegung, den Kirchen, dem Militär, bürgerlichen Kreisen. Zu ihnen gehörten einfache Arbeiter und hohe Diplomaten, Hausfrauen und Feldmarschälle,
Studenten und Staatsbeamte, Kommunisten und Kirchenführer. Der Erfolg blieb
ihnen versagt, die Unrechtsherrschaft
wurde erst durch den äußeren Gegner beendet. Aber es gilt das Wort des Generalmajors Hans Henning von Tresckow kurz
vor dem Attentat am 20. Juli: „Das Attentat muß erfolgen, coûte que coûte (koste
es, was es wolle). Sollte es nicht gelingen,
so muss trotzdem in Berlin gehandelt
werden. Denn es kommt nicht mehr auf
einen praktischen Zweck an, sondern
darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“ Persönlichkeiten
des Widerstandes
1 Generaloberst Ludwig Beck gilt
als das Haupt der Verschwörung.
Freitod am 20. Juli 1944.
2 Oberst Claus Schenk Graf von
1
2
3
4
Stauffenberg zündet die Bombe in
Hitlers Hauptquartier.
Am 20. Juli 1944 erschossen.
3 Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin. Am
8. September 1944 hingerichtet.
4 Carl-Friedrich Goerdeler,
Oberbürgermeister von Leipzig.
Am 2. Februar 1945 hingerichtet.
5 Helmuth James Graf von Moltke
gründet den oppositionellen Kreisauer Kreis. Am 23. Januar 1945
hingerichtet.
6 Julius Leber kämpft bis 1933
5
6
7
8
als SPD-Reichstagsabgeordneter
gegen die totalitären Parteien.
Am 5. Januar 1945 hingerichtet.
7 Wilhelm Leuschner, 1932
stellvertretender Vorsitzender des
Gewerkschaftsbundes. Hingerichtet am 29. September 1944.
8 Ulrich von Hassell, 1932 – 1938
Botschafter in Rom. Am 8. September 1944 hingerichtet.
9 Friedrich Werner Graf von
der Schulenburg,1934 – 1941
Botschafter in Moskau. Hingerichtet am 10. November 1944.
Generalfeldmarschall Erwin von
9
Witzleben. Am 9. August 1944
hingerichtet.
Roland Freisler, Vorsitzender des berüchtigten Volksgerichtshofes in Berlin, während des Prozesses gegen
die Widerstandskämpfer des 20. Juli. Immer mehr
Menschen werden – auch wegen nichtiger Vorfälle –
zum Tod verurteilt.
Hitler überlebt das Attentat von Graf Stauffenberg.
Später zeigt er Mussolini die zerstörte Baracke.
Die Geschwister Hans und Sophie Scholl verteilen als
Angehörige der Weißen Rose in München Flugblätter
gegen das Regime und seine Kriegspolitik und werden deswegen hingerichtet.
63
Die alliierte Landung in der Normandie:
133 000 Soldaten werden am 6. Juni 1944 an Land
gebracht, 23 000 landen aus der Luft. Die Alliierten
setzen über 600 Kriegsschiffe, 4 000 Landungsboote
und 10 000 Flugzeuge ein. Die schweren Kämpfe
fordern viele Opfer auf beiden Seiten.
Die deutschen Gefallenen sind über viele Orte verstreut. Sie werden zunächst von den Alliierten, in den
50er Jahren dann vom Volksbund geborgen und auf
Sammelfriedhöfen beigesetzt. In der Skizze haben
die Umbetter des Volksbundes alle bekannten Grablagen in der kleinen Gemeinde Tournai-sur-Dive eingetragen. Sie zeigt, wie schwierig die Arbeit des
Umbettungsdienstes ist.
1945
Generalfeldmarschall Keitel
unterzeichnet die bedingungslose
Kapitulation. Deutschland ist
ver wüstet, viele Städte wie zum
Beispiel Freiburg (rechte Seite) sind
zerstört. Fast acht Millionen
Menschen sind umgekommen. Rund
30 Millionen Deutsche sind nicht an
ihrem Wohnort. Über zehn Millionen
Soldaten sind in alliierter Kriegsgefangenschaft (unten ein Bild von
einem der großen Gefangenenlager
unter freiem Himmel am Rhein).
66
67
Am 12. Januar tritt die Rote Armee
an der Weichsel zur Offensive an.
Die Massenflucht und die Vertreibung
von Deutschen aus den deutschen Ostprovinzen, der Tschechoslowakei und anderen Ländern beginnen. Von 16,6 Millionen Deutschen, die dort gelebt haben,
sterben dabei über zwei Millionen. Bis
1950 finden rund zwölf Millionen Menschen Aufnahme im Gebiet westlich der
Oder-Neiße-Linie. Zwei Millionen von
ihnen werden kurz vor Kriegsende über
See gerettet. In der Nacht vom 13. auf
den 14. Februar wird Dresden durch einen militärisch absolut sinnlosen Luftangriff nahezu völlig zerstört. Über 35 000
Menschen (die genaue Zahl steht nicht
fest) kommen dabei ums Leben. Am
2. Mai erobert die Rote Armee Berlin. Hitler begeht am 30. April Selbstmord. Am 9. Ma (um 00.01 Uhr) tritt die bedingungslose Kapitulation der Deutschen
Wehrmacht in Kraft. Auf der Potsdamer Konferenz wird Ostdeutschland bis
zur Oder-Neiße-Linie unter polnische,
der Nordteil Ostpreußens unter sowjetische Verwaltung gestellt. Nach dem
Abwurf amerikanischer Atombomben
über Hiroshima und Nagasaki kapituliert
Japan am 2. September. Der Zweite
Weltkrieg ist zu Ende. Er hat über 55 Millionen Tote, darunter fast 7,8 Millionen
Deutsche, gefordert. Aber nicht nur die
Zahl der Opfer hat sich im Zweiten Weltkrieg ins Ungeheure gesteigert. Nun sind
neben gefallenen Soldaten auch die Opfer
der Gewaltherrschaft und des Unrechtsstaates zu beklagen. Nun liegen in den
Gräbern nicht nur Soldaten, sondern
auch Frauen, Kinder und Greise: Zu den
4 300 000 Toten und Vermissten der Wehrmacht kommen über 3 500 000 Opfer der
Zivilbevölkerung allein in Deutschland.
Und: Jetzt gibt es im Unterschied zu 1918
neben den Millionen gefallenen und vermissten Soldaten die Toten des Bombenkrieges in den Städten, die auf der Flucht
und bei der Vertreibung Umgekommenen,
die von einem verbrecherischen Regime
Gemordeten. Sie alle sind – unbeschadet
der unter anderem Blickwinkel nötigen
Erwägung von Schuld, Scham und Verantwortung – Opfer derselben unheilvollen Entwicklung. Von Millionen gibt es
nicht einmal mehr Überreste! Sie haben
„ihr Grab in den Lüften, ihr Grab in den
Wolken“ (Paul Celan, Todesfuge, mit Bezug auf die ermordeten Juden). Über alle
Unterschiede hinweg haben sie Anspruch
darauf, nicht vergessen zu werden. In
Deutschland herrschen bei völliger Zerstörung fast aller größeren Städte wirt-
schaftliches Chaos, Hunger, Elend und
Verzweiflung. Am 20. November beginnt der Nürnberger KriegsverbrecherProzess. Die meisten Deutschen erfahren erst
nach Kriegsende vom Ausmaß
der Verbrechen in den Konzentrationslagern. Die Einwohner Bergens
werden von den britischen Besatzungstruppen gezwungen, das
KZ Bergen-Belsen zu betreten und
sich von den schrecklichen Zuständen
im Lager zu überzeugen.
Der Krieg in Europa endet am
8. Mai. Deutschland steht unter
Besatzungsrecht.
68
Am 2. September ist der Zweite
Weltkrieg zu Ende. Nach dem Abwurf zweier Atombomben durch die
Amerikaner auf Hiroshima (6. August
1945) und Nagasaki (9. August
1945) kapituliert Japan. In Hiroshima sterben fast 100 000 Menschen, 10 000 sind schwer verwundet, 14 000 vermisst. In Nagasaki
kommen 36 000 Menschen um,
40 000 werden verletzt. Wie viele
Menschen an den Spätfolgen gestorben sind, ist unbekannt.
69
Gesichter des Krieges: Trümmer
und Ruinen, Leid und Tod. Der
„totale Krieg“ verschont niemanden.
Für viele ist der Leidensweg mit dem
Ende des Krieges nicht vorbei. Die
Vertreibung, Hunger und Krankheiten fordern viele weitere Opfer. Diese
Bilder sind Mahnung an uns alle, den
Krieg nicht zu verharmlosen und alles
für die Erhaltung des Friedens zu tun.
70
71
Nach 1945 –
ein Neubeginn
Totengedenken nach Kriegsende:
25. November 1945.
72
Die Organisation des Volksbundes
besteht nicht mehr, dennoch beginnen einzelne Mitarbeiter, wieder Kontakt
miteinander aufzunehmen. Im Rahmen
des Möglichen bergen sie Gefallene und
sammeln Unterlagen über Gräber. Alle
wirtschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen und eine offizielle Genehmigung für eine Verbandstätigkeit fehlen.
Erst nach und nach beginnen die Aktivitäten des Volksbundes wieder, wenigstens in den westlichen Besatzungszonen.
Ein Neubeginn wird gefunden, der Wiederaufbau der Organisation ist jedoch
schwierig. Das Gräbergesetz von 1952
weist den Weg zu einer würdigen Anlage
und zur Pflege der Gräber der Opfer von
Krieg und Gewalt. Es überträgt diese Aufgaben im Inland den Gemeinden; im Ausland wird der Volksbund im Auftrag der
Bundesregierung tätig. Auf seine Leistungen – im Folgenden näher beschrieben –
ist der Volksbund mit Recht stolz. Zahlreiche Anerkennungen aus dem In- und
Ausland werden ihm zuteil. Mit der Arbeit auf den Gräberfeldern knüpft er an
seine Tätigkeit in der Zeit der Weimarer
Republik an und nutzt seine Erfahrungen
auf diesem Gebiet. Aber auch die politischen Erfahrungen wirken sich aus. Drei
andere Säulen des Neubeginns müssen
deshalb hier hervorgehoben werden.
Erstens: Nach 1949 bestimmt die Arbeit für den Frieden den Geist des Volksbundes. Revanchistische Töne, die schon
in der Weimarer Republik und besonders
im Dritten Reich das Erscheinungsbild
des Volksbundes beeinträchtigt haben,
gibt es nach 1945 kaum. Das Leitmotiv
dieser Arbeit, in Jugendlagern in Belgien
und Frankreich geboren, heißt nun: „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für
den Frieden.“
Zweitens: Der Volksbund stützt sich
nach 1945 ganz wesentlich auf seine Jugendarbeit. Über 200 000 junge Menschen
haben sich seit Neugründung des Volksbundes dieser Arbeit gewidmet, viele
Grabstätten vor allem im Ausland werden so in Ordnung gebracht und gehalten, und dabei wird viel zur Völkerverständigung beigetragen. Das war erstmals zwar schon 1932 in Sète in Frankreich geschehen. Aber was damals noch
ein spontanes Ereignis war, ist heute integrierender Bestandteil der gesamten Arbeit des Volksbundes, verankert in den
satzungsgemäßen Pflichten. Diese Jugendlichen sind – unbelastet von persönlicher
Mitverantwortung für das Geschehen in
der Vergangenheit – oft die besten Botschafter des Volksbundes im Ausland.
Auch seine Internationalen Jugendlager,
seit Jahren unter Beteiligung junger Men-
schen aus den Ländern Osteuropas, beweisen das. Dass solche Jugendlager heute in nahezu allen Ländern des ehemaligen Ostblocks stattfinden, deutet in dieselbe Richtung. Hier ist in Zukunft noch
viel mehr zu tun.
Drittens: Der Volksbund hat verbandsintern eine Entwicklung genommen, die
strikt an unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung orientiert ist. Es ist
gewiss kein Zufall, dass sich der Volksbund 1990 nicht nur für die Erhaltung des
Friedens im Nahen Osten einsetzt, sondern auch gegen jede Gewalt im Inneren.
1992 findet der Vertretertag deutliche Worte gegen den Bürgerkrieg im ehemaligen
Jugoslawien und zum Terror gegen Ausländer. Der Weg nach 1945 ist nicht immer einfach und nicht frei von Irritationen gewesen. Die Satzung (neueste Fassung: 24. Oktober 2008) definiert die
Grundlagen der humanitären Ausrichtung des Volksbundes:
„Im Gedenken an die Millionen Toten
der Kriege und der Gewaltherrschaft,
in dem Bestreben, das Leid der Hinterbliebenen zu lindern, und in der Erkenntnis, dass das Vermächtnis dieser
Toten alle Völker zu Verständigung und
Frieden mahnt, sorgt der Volksbund
Deutsche Kriegsgräberfürsorge für die
Gräber dieser Toten.
Er will mit seiner Arbeit zur Verständigung unter den Völkern und zur Förderung und Erhaltung des Friedens
beitragen.
Grundlage der Arbeit des Volksbundes
ist die Achtung der unantastbaren
Würde des Menschen. Die Würde des
Menschen reicht über den Tod hinaus.
Daraus erwächst die Verpflichtung,
Kriegsgräberstätten zu schaffen und als
ständige Mahnung zum Frieden dauerhaft zu erhalten.
Kriegsgräberarbeit bedeutet zugleich,
sich um die Aussöhnung und Verständigung der Völker zu bemühen und dabei
insbesondere die Begegnung und die
gemeinsame Arbeit junger Menschen
aller Völker an den Kriegsgräberstätten
zu fördern.
dann die Machthaber des SED-Staates
jegliche Neugründung oder Tätigkeit des
Volksbundes. Hier nehmen sich Privatpersonen in den Gemeinden und vor allem
die Evangelische Kirche der Grabpflege
an, soweit das eben möglich ist. Wenn also im Folgenden von der Arbeit des Volksbundes nach 1945 die Rede ist, so beziehen sich diese Aussagen bis 1989 nur auf
die „alte“ Bundesrepublik Deutschland
einschließlich Westberlins. Erst mit der
Wende in der DDR und der Vereinigung
Deutschlands wird nach einer Zwangspause von 45 Jahren die Neugründung
von Landes- und Kreisverbänden in der
ehemaligen DDR möglich, auf die viel Arbeit wartet. Dazu gehören auch die Anlage würdiger Grab- oder zumindest doch
Gedenkstätten für die Opfer der Stalinund SED-Diktatur und einer zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und
Gewaltherrschaft, die Neue Wache in Berlin. Die Bundesgeschäftsstelle und die
westlichen Landes- und Bezirksverbände
des Volksbundes helfen den neuen Landesverbänden beim Aufbau der Strukturen für eine eigenständige Arbeit.
Aber ganz eindeutig ist hier im Inland
der Staat gefordert. Das gilt auch für die
Forcierung der Arbeit des Volksbundes in
den Staaten Osteuropas. Der Staat muss
die vertraglichen Grundlagen schaffen
und die notwendigen Arbeiten mit finanzieren – der Volksbund wird in seinem
Auftrag tätig. Angesichts der großen Zahl
der Kriegsgräber und der langen Zeit, die
seit ihrer Anlage verflossen ist, kann hier
nicht nach denselben Methoden wie in
den westlichen Ländern nach 1945 gearbeitet werden. Aber es besteht gegenüber
den dort ruhenden Opfern von Krieg und
Gewalt dieselbe Verpflichtung wie gegenüber den Kriegsopfern im Westen. Eine
geteilte Moral darf es so wenig geben wie
geteiltes Gedenken. Deshalb hat die Bundesrepublik Deutschland als Ganzes für
diese Gräber und deren würdige Behandlung einzustehen. Der Volksbund will
und wird das Seine dazu tun. Die Arbeit des Volksbundes steht unter
dem Leitwort:
Versöhnung über den Gräbern – Arbeit
für den Frieden.“
Im Osten, in der späteren DDR, verhindern zunächst die Besatzungsmacht,
Der alliierte Bombenkrieg fordert mindestens
500 000 Opfer. Das eigene Haus wird für viele
Familien zum Grab. Bei einem der schwersten Angriffe auf Kassel sterben am 22./23. Oktober 1943
über 10 000 Menschen. Kreuze an den Ruinen
erinnern an ihr Schicksal.
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