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Bibelarbeit zur Berufung des Samuel 3, 1-21
Gottes Ruf
1. Einführung
Es ist ein Grundmerkmal jüdischen und christlichen Glaubens, dass Gott, der Heilige Israels, kein
Unnahbarer und Ferner ist. Im Gegenteil: Die Erzählungen der Heiligen Schrift weisen ihn als einen
geschichtsmächtigen Gott aus, als einen, der die Nähe zu den Menschen sucht und dessen Freude es
ist, unter ihnen zu wohnen (vgl. Sach 2,14f.; Jes 33,5). Das ist aller Rede wert. In einer Zeit, in der
das Gottesbild der Menschen nicht selten der Vorstellung einer wie auch immer gearteten, jedenfalls
nicht näher bestimmbaren numinosen Macht entspricht; in der nicht wenige, wenn sie Gott denken,
einer rätselhaften Kraft nachspüren wollen oder ein esoterisches Energiefeld im Sinn haben, stellt
die biblische Verkündigung eine handfeste Alternative dar. Gott hat einen Namen, sein Name ist
Programm (Ex 3,14). Er ist der, der da ist, auf den sich die Menschen verlassen können, weil sie in
ihren Menschengeschichten mit ihm rechnen dürfen. Ein Gott, der die Menschen liebt, und der will,
dass sie das Leben in Fülle haben (vgl. Joh 10,10).
So sehr Jahwe aber einer ist, dessen Geschichtsimmanenz die Hoffnung auf seine Gegenwart und
Nähe im Leben der Glaubenden Tag für Tag begründet, so wenig lässt er die Menschen einfachhin
in Ruhe. Er kann stattdessen Herzen beunruhigen (vgl. Mk 6,20) und irritieren, er kann alles
schenken, aber auch viel verlangen. Gott ruft Menschen, ihm zu folgen und legt den Glaubenden
nicht selten einen Auftrag ins Herz. Er rückt ihnen regelrecht auf die Pelle, wenn er einzelne oder
viele zu einem besonderen Dienst erwählt. Die Bibel ist voll von Beispielerzählungen, angefangen
bei den Propheten Israels bis hin zu den Aposteln Jesu Christi.
Die biblischen Berufungsgeschichten sind keine Dokumente der Unfreiheit. Gott zwingt niemanden
gegen den freien Willen. Auch das notiert die Bibel immer wieder. Erst wo ein von Gott berufener
Mensch sein frei antwortendes Ja gegenüber dem Anruf Gottes zu formulieren imstande ist, kann
von einem Bund im Bunde gesprochen werden. Sendung setzt Berufung und Bejahung voraus.
Maria wird zur Mutter Jesu, weil sie in den Willen Gottes einwilligt (Lk 1,38). Jeremia war von
Gott betört, weil er sich hat betören lassen (Jer 20,7).
Freiheit und Offenheit bedingen sich, ohne innere Disponiertheit gibt es nichts zum Einwilligen,
wie umgekehrt die freie Einwilligung eine Frucht innerer Offenheit ist. Die Geschichte Gottes mit
den Menschen ist darum kein Epos der Gängelei, sondern der Freiheit. Gott wahrt sie. Aber die
Menschen müssen auch frei sein für Gott. Er ist ja kein Gott der lauten, sondern der leisen Töne.
Kein Gott der sich aufdrängt, sondern der wirbt.
In vielen Bildern und Geschichten versucht die Bibel zu entfalten, was es für einen Menschen
bedeutet, von Gott gemeint zu sein. Mehr noch: Wie ein Mensch mit ihm in Kontakt treten kann?
Was es braucht, um Gottes Wort im Herzen zu bedenken und zu verstehen?
Es gibt natürlich biblische Episoden, die wie selbstverständlich mit der Gegenwart und
Vernehmbarkeit Gottes rechnen. Gott gibt sich zu erkennen und alles ist klar. Gott spricht und sein
Wort wird unmittelbar vernommen. Das alles sind beindruckende Zeugnisse eines ungebrochenen
Glaubens. Aber vielleicht stehen unserer Zeit, die sich oft so schwer damit zu tun scheint, Gottes
Frequenz ins Ohr zu bekommen, gerade die anderen Erzählungen näher: Biblische Geschichten von
Menschen, die um den Glauben und den Grund ihres Lebens ringen. Die nach Richtung und Sinn
fragen. Die die Voraussetzungen bedenken, unter denen Gott in den Sinn dieser Menschen gelangen
kann. Das alles ist mitgemeint, wenn die Bibel vom "Hören auf Gottes Wort" erzählt.
Sicher eine der unspektakulärsten, aber doch auch schönsten ist die vom jungen Samuel, der sich
plötzlich in seinem Leben mit einer neuen Seltsamkeit konfrontiert sieht. Gottes Ruf will an sein
Ohr, das heißt in sein Herz dringen. Aber Samuel hat keinen Schimmer. Mit allem scheint er zu
rechnen, nur damit nicht. Sein Lehrer Eli ist es schließlich, der in ihm die Ahnung weckt. Man sollte
nicht zu schnell darüber hinweg lesen. Hilfestellungen gibt es nicht nur beim Schulsport.
Hilfestellungen gibt es auch im Glauben. Letzteres nimmt vor allem diejenigen in die Pflicht, deren
Glauben mit den Jahren Standfestigkeit gewonnen hat in Hoffnung und Liebe.
In diese Erzählung vom jungen Samuel hinein ist übrigens noch eine zweite Glaubensgeschichte
gewoben. Sie ist nicht weniger markant. Es scheint sogar so, als habe sie das Zeug, heutige
Leserinnen und Leser zu provozieren. Samuel weiht Eli in den Inhalt der Botschaft ein, die Gott zu
ihm gesprochen hat. Diese Botschaft betrifft Eli und sein ganzes Haus. Aber es ist eine schlechte
Nachricht, die ihm übermittelt wird. Gott scheint hier gewillt zu sein, das offensichtliche Übermaß
an Schuld, das Elis Söhne angehäuft haben, hart zu bestrafen. Das Zorngericht will nicht so recht
passen zu der Art und Weise, mit der die Geschichte zuvor Gottes Wesen beschrieben hat: Ein leise
werbender Gott, einer der Menschen ruft. Das ruft vielleicht Widerstand hervor. Aber nicht bei Eli.
Er hätte weiß Gott Grund zu lauter Klage. Vielleicht auch zu Hader und zur Missmut. Stattdessen
willigt er ein: "Er ist der Herr. Er tue, was ihm gefällt." (1Sam 3,18). Das ist Ausdruck
unermesslichen Vertrauens in das Herrsein Gottes. Im Vaterunser wird diese Glaubens-Haltung
aufgegriffen werden. "Dein Wille geschehe" lautet eine der ersten zentralen Bitten. Hier wie dort
geht es nicht um Kadavergehorsam. Auch nicht um die lautlose Entgegennahme von Urteilen und
Befehlen. Aber es geht um die Beschreibung eines Glaubens, der Gott – wo nötig gegen allen
Anschein und ohne zu verstehen – zutrauen möchte, die Dinge des Lebens am Ende zum Guten und
zum Besten zu fügen.
2. Der Text: 1Sam 3
V1: In der Zeit, als der junge Samuel am Heiligtum unter der Aufsicht Elis Dienst tat, waren Worte
des Herrn selten, Visionen waren nicht häufig.
V2: Eines Tages geschah es: Eli schlief auf seinem Platz, seine Augen waren schwach geworden, so
dass er nicht mehr sehen konnte.
V3: In der Nacht, kurz vor Tagesanbruch, die Lampe Gottes war noch nicht erloschen und Samuel
schlief im Tempel bei der Lade,
V4: rief Gott den Samuel und Samuel antwortete: "Hier bin ich!"
V5: Dann lief er zu Eli und sagte: "Du hast mich gerufen!" "Nein", antwortete der, "Ich habe Dich
nicht gerufen! Geh wieder und lege Dich schlafen." Und er ging und legte sich wieder schlafen.
V6: Abermals rief der Herr: "Samuel!" Samuel stand auf und ging zu Eli. "Hier bin ich! Du hast
mich gerufen!" "Nein" antwortete der, "ich habe Dich nicht gerufen, mein Sohn, geh wieder und
lege Dich schlafen."
V7: Aber Samuel kannte den Herrn noch nicht, und er wusste nicht, wie es zugeht, wenn einem ein
Wort Gottes offenbart wird.
V8: Zum dritten Mal rief der Herr Samuel, und der stand auf und ging zu Eli. "Hier bin ich! Du hast
mich doch gerufen!" Da merkte Eli, dass der Herr den Jungen rief,
V9: und sprach: "Leg Dich schlafen, und wenn Du wieder gerufen wirst, dann sprich: ’Rede, Herr,
Dein Diener hört’" Samuel ging und legte sich an seinem Platz zum Schlafen nieder.
V10: Da kam der Herr, trat heran und rief wie die vorigen Male: "Samuel! Samuel!" Und Samuel
antwortete: "Rede, Herr, Dein Diener hört".
V11: Da sprach der Herr: "Gib Acht! Ich werde etwas tun in Israel! Davon sollen jedem, der hört,
beide Ohren gellen.
V12: An dem Tage will ich am Hause Elis geschehen lassen, was ihm angekündigt ist, von Anfang
bis Ende.
V13: Für immer will ich ihn und die Seinen zu Grunde richten. Er hat um seiner Söhne Schuld
gewusst, um ihren Frevel, und hat ihnen nicht gewehrt.
V14: Darum soll die Schuld des Hauses Eli weder durch Gabe noch Opfer in Ewigkeit zu sühnen
sein."
V15: Danach lag Samuel bis zum Morgen, dann öffnete er die Türen des Heiligtums, er fürchtete
sich aber, Eli seine Offenbarung mitzuteilen.
V16: Da rief Eli Samuel und fragte ihn: "Samuel, mein Sohn?" Er antwortete "Hier bin ich."
V17: Eli fragte: "Was war das für ein Wort, das ER zu Dir geredet hat? Verbirg mir nichts. Die
Strafe Gottes komme über Dich, wenn Du mir auch nur eines von diesen Worten verschweigst, die
er gesprochen hat!"
V18: Und Samuel sagte ihm alles und verschwieg nichts. Da sprach Eli: "Er ist der Herr. Er tue, was
ihm gefällt."
V19: So wuchs Samuel auf. Gott war mit ihm und ließ keines seiner Worte über ihn unerfüllt.
V20: Ganz Israel von Dan bis Beerscheba merkte, dass Samuel berufen war, ein Prophet Gottes zu
sein.
V21: Immer wieder erschien ihm Gott, der Herr, in Schilo und offenbarte sich ihm.
3. Beobachtungen am Text
Die Erzählung der Berufung Samuels liegt auf der Linie dessen, was die ersten beiden Kapitel des
Samuelbuches zuvor berichtet haben: Die bis dato kinderlose und von ihren Nachbarinnen deshalb
gedemütigte Hanna darf durch Gottes Fügung nun doch noch ihren Sohn Samuel glücklich zur Welt
bringen. Seine besondere Geburt bestimmt ihn allerdings zu einer besonderen Aufgabe für Israel,
seine Kindheit und Erziehung im Schatten des Tempels bereiten ihn darauf vor. Doch so sehr sich
die Ereignisse hier zur Erzählung fügen, so wenig lassen sie übersehen, dass schon im dritten
Kapitel ein Höhepunkt des Samuelbuches erreicht ist: Über die Schilderung des ersten Kapitels
hinaus, in dem Hanna ihren Sohn im Tempel dem Herrn weiht, berichtet nun das dritte Kapitel, wie
der Herr selbst Samuel in Dienst nimmt und für seine besondere Aufgabe weiht. Diese Audition
stellt die eigentliche Mitte der Erzählung dar, die gerahmt wird durch eine knappe Schilderung der
Situation vor ("In jenen Tagen war das Wort des Herrn selten, Visionen waren nicht häufig" 1Sam
3,1) und nach ("Der Herr erschien weiterhin in Schilo" 1Sam 3,21) dieser Theophanie.
Mit der Berufung Samuels scheint zunächst kein unmittelbarer Sendungsauftrag verknüpft zu sein.
Er wird nicht einmal beauftragt, den Inhalt der ihm zuteil gewordenen Offenbarung seinem Lehrer
und Erzieher Eli weiterzusagen. Die Besonderheit des Ereignisses besteht im Hören der Stimme
Gottes selbst, die Samuel schließlich zum Propheten werden lässt. Das Wahrnehmen des göttlichen
Anrufs markiert hier also im Sinne der positiven Aufnahme durch Samuel die Tatsache seiner
Berufung. Anders als die Berufungsgeschichten der meisten alttestamentlichen Propheten, hebt 1
Sam 3 "nur" auf das Hören der Stimme des Herrn ab.
Dreimal glaubt Samuel die von ihm vernommene Stimme sei die des Eli. Und auch der tippt
zunächst auf alle möglichen Einflüsterungen und Imaginationen, mit Gott selbst rechnet er zunächst
nicht. So erzeugt die Erzählung eine gewisse Spannung, weil ja ihre Leserinnen und Leser längst
wissen: Es ist der Herr, der ruft (vgl. 1 Sam 3,4.6.8). Die Geschichte taucht den jungen Samuel in
das positive Licht eines ehrlichen, bescheidenen, fast ein wenig naiv anmutenden Charakters.
Samuel wird als jemand beschrieben, der das Herz Gottes und der Menschen zu erobern versteht
(1Sam 2,26), wohingegen die Söhne Elis in bewusster Kontrastierung solche sind, die weder Gott
noch die Menschen achten (1Sam 2,12.24).
Eli leidet unter der Last seines Alters, aber noch mehr unter dem zweifelhaften Lebenswandel seiner
Söhne. Samuel hingegen hat er an Sohnes statt angenommen (vgl. 1Sam 3,6.16). Dass der Junge
Herz und Verstand wach und offen zu halten lernt für die Wirklichkeit und Weisung Gottes, ist Elis
großes Anliegen. Damit freilich ist stillschweigend vorausgesetzt, dass Eli selbst einer ist, dessen
Sinn die Präsenz des Herrn zu erspüren vermag und der in seinem Leben eine lange Schule des
Hörens auf Gottes Wort absolviert hat. Diese innere Vertrautheit ist es, die Eli schließlich erkennen
lässt, wessen Stimme den jungen Samuel da eigentlich ruft, und was nun zu tun ist (1Sam 3,8f.).
Der Inhalt jener Offenbarung, die sodann an Samuel ergeht, kann bei Eli keine Freude auslösen.
Immerhin geht es um den Niedergang seines Hauses. Der Zweck dieser Prophezeiung (1Sam 3, 1114) mag darin bestehen, den künftigen Heimsuchungen des Volkes Israel Sinn zu verleihen: Sie
entspringen keinem Zufall, sondern ereignen sich gemäß dem souveränen, je lohnenden oder
strafenden Willen Gottes. Die nahezu stoische Gelassenheit, mit der Eli das Fatum aufnimmt,
erklärt sich wiederum aus der Tiefe seiner spirituellen Verankerung und dem geradezu
ungebrochenen Vertrauen auf die Treue und Verlässlichkeit Jahwes, des Heiligen Israels: "Er ist der
Herr. Er tue, was ihm gefällt" (1Sam 3,18).
Die Erzählung ist im Blick auf Zeit und Ort der Handlung dicht komprimiert. Von der Einleitung
und dem Schluss abgesehen, findet alles in der Nacht und am darauffolgenden Morgen statt.
Biblisch betrachtet ist die Nacht ihrem Wesen nach ambivalent: Wenn Form und Farbe, im Schlaf
sogar das Bewusstsein eines Menschen ins Dunkle sinken, eröffnet sich ein Feld für böse und gute
Mächte. Schutz gewährt allein Gott (Ps 127,1f), der Wächter und Hüter seines Volkes, der weder
schläft noch schlummert (Ps 121, 3-6). Der Morgen ragt als heilvolle Zeit schon in die Nacht hinein
(Ps 88,14). Ein Vorschein davon ist es, wenn Gott in nächtlichen Offenbarungen epiphan wird.
Der Schauplatz der Erzählung ist das Heiligtum von Schilo, wo Israel die Bundeslade aufbewahrte
(1 Sam 3,3).
V1: Beschrieben werden die Hintergründe jener Epoche, in der die Samuel-Erzählung spielt.
Außerdem wird erwähnt, dass Samuel dem Eli dient. Damit wird zugleich ein Verstehenshorizont
für das Verhalten Samuels geschaffen, der zu Eli läuft, weil er glaubt, von ihm gerufen worden zu
sein (V4ff).
VV2-3: Während Eli auf "seinem Platz" schläft, nächtigt Samuel "im Tempel des Herrn". Weil die
Lampe Gottes, jenes "ewige Licht", das nach Ex 27, 20f. rund um die Uhr im Heiligtum brennen
soll, nicht erloschen ist, sieht Samuel, dass kein anderer Mensch außer Eli in Frage kommt, der ihn
hätte rufen können. Das Schlafen Samuels "im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes war," erinnert
an die Worte, die der Herr einst zu Mose sprach: "Dort werde ich Dir begegnen und mit Dir reden
von dem Deckel aus, der sich zwischen den beiden Kerubim auf der Bundeslade befindet" (Ex
25,22); "Als Mose in das Begegnungszelt ging, um mit ihm zu reden, hörte er die Stimme vom
Deckel aus, der sich über der Bundeslade zwischen den beiden Kerubim befindet, sprechen" (Num
7,89).
Die Verse konstruieren einen Gegensatz zwischen dem alten Eli, dessen Kräfte nachgelassen haben,
und dem jungen Samuel, der seine Aufgaben erfüllt. Während Eli im Dunkeln liegt, ist der Platz
Samuels vom Licht Gottes erleuchtet. Damit einher geht eine weitere Beobachtung: Fällt der Name
Gottes im Vers 2, der sich dem Eli widmet, kein einziges Mal, wird er im folgenden auf Samuel
konzentrierten Vers gleich dreimal erwähnt. 1Sam 3,3 ist also so konstruiert, dass Samuel, der vom
Licht und der Lade Gottes umgeben im Tempel schläft, geradezu eingetaucht erscheint in eine
Sphäre der Gegenwart Gottes.
VV4-5: Weil Samuel glaubt, Eli habe ihn gerufen, lautet seine Antwort "Hier bin ich", was soviel
bedeutet wie "Ich habe Dein Rufen vernommen". Dann eilt er zu Eli und wiederholt dort sein "Hier
bin ich", um anzuzeigen, dass er seinem Lehrer zur Verfügung steht. Aber Eli, der vermutlich
glaubt, Samuel habe geträumt, schickt ihn wieder fort.
V6: Beim zweiten Ruf ist ein gewisses Zögern Samuels erkennbar: Er antwortet nicht ad hoc und
beeilt sich auch nicht sehr. Das Zögern spiegelt sich im Erzählrhythmus, der jetzt einen - im
Vergleich zur Reaktion nach dem ersten Ruf ("Samuel eilte zu Eli") - verlangsamten Prozess des
Aufstehens andeutet. Auch in der Reaktion Elis zeichnet sich eine leichte Veränderung ab: Um
Samuel zu beruhigen, dessen jugendliche Phantasie ihm anscheinend einen Streich spielt, fügt er
seinen Worten jetzt die liebevolle Anrede "mein Sohn" hinzu.
V7: Die Erzählung wird unterbrochen, um in logischer Folge zu 1Sam 3,1 zu betonen, dass Samuel
die Stimme des Herrn bislang noch nicht vernommen habe. Die eingeschobene Information erklärt
– den Verdacht übermäßiger Phantasiebildung ausräumend – , weshalb Samuel nicht begreift, dass
es Gott ist, der zu ihm spricht.
V8: Samuel vernimmt erneut die Stimme, steht ein drittes Mal auf und geht zu Eli – wieder ohne
Eile, wieder ohne direkte Reaktion. Mangels geistlicher Erfahrung bleibt dem Schüler noch
verborgen, was im Lehrer bereits als Ahnung Gestalt annimmt. Dem Rufen des Herrn liegt im
hebräischen Text eine Partizipialkonstruktion zugrunde, die einen fortwährenden Zustand
signalisiert: Der Herr ruft die ganze Zeit.
V9: In der Antwort des Eli bleibt das Subjekt zunächst unbestimmt und meint wohl: "Wenn Du ein
weiteres Rufen hörst". Eli vermeidet es, den Namen Gottes auszusprechen, obgleich er längst ahnt,
mit wem Samuel es zu tun bekommen hat. Darum weist er Samuel ausdrücklich an, in der Anrede
des Herrn die Bereitschaft seines Hörens auf Gottes Wort zum Ausdruck zu bringen. Das Wort
"hört", im Hebräischen ein Partizip, meint dann vor allem die Hörbereitschaft: "Dein Diener ist
hörbereit". Die erneute Verlangsamung des Erzählrhythmus und die im Vergleich zu V5 geradezu
umständlich erscheinende Reaktion Samuels lassen auf eine gewisse zögerliche Furcht im Umgang
mit dem Heiligen schließen. Nichtsdestotrotz befolgt Samuel genau die Weisung seines Meisters.
V10: Was sich bislang als Audition andeutete, verdichtet sich nun zur eigentlichen Theophanie: Der
Herr tritt zu Samuel heran. Vor seinem Auge vollzieht sich eine prophetische Vision (vgl. Ex 24,5;
Num 22,22). Die Erzählung ist an dieser Stelle sehr zurückhaltend, es wird mehr angedeutet als
ausgeführt. Doch genügt das Erzählte, um klar zu machen, dass sich nun ereignet, wofür alles
Vorherige nur Vorsignal war. Was Samuel zu hören bekommen wird, ist eine Unheilsansage par
exellence: Schuld und Strafe werden wie Ursache und Wirkung miteinander verknüpft. Die
Verdoppelung des Namens Samuel im Anruf Gottes gilt der Bekräftigung desselben (vgl. Ex 3,4).
Sie erfolgt im Unterschied zu den voranstehenden Auditionen nur hier, weil sich jetzt die
eigentliche Theophanie ereignet.
VV11-14: Der Inhalt der Offenbarung ist zweigeteilt. Zunächst wird ein allgemeines Unheil über
Israel und das Haus Elis angesagt (VV11.12), danach folgt die Begründung (VV13.14). Explizit ist
hier von einer Schuld Elis die Rede, die bemerkenswerterweise darin besteht, vom
gotteslästerlichen Tun seiner Söhne zwar gewusst, es jedoch unterlassen zu haben, ihnen –
wenigstens versuchsweise – Einhalt zu gebieten. Die Ernsthaftigkeit von Schuld und Strafe wird
durch einen göttlichen Schwur unterstrichen.
V15: Trotz der bewegenden Begebenheit läuft Samuel nicht erneut zu Eli, sondern legt sich hin und
verrichtet am Morgen seinen Dienst nach Vorschrift. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu
lassen, fügt der Erzähler eine Erklärung hinzu: Weil Samuel seinem Lehrer Furcht, Kummer und
Gram ersparen will, setzt er darauf, dass Eli glauben wird, es habe keine weiteren besonderen
Vorfälle gegeben – dann gäbe es ja schließlich auch nichts zu erzählen.
V16: Aber Eli ruft Samuel zu sich, tituliert ihn wiederum als seinen Sohn. Beinahe stereotyp (vgl.
1Sam 3,4.5.6.8) folgt die Antwort Samuels: "Hier bin ich" – bereit, alle Aufträge
entgegenzunehmen.
V17: Eli, der längst geahnt hatte, dass Gott selbst sich dem Samuel mitteilen wollte, schließt aus der
Zurückhaltung seines Zöglings auf den negativen Inhalt der Offenbarung. Umso massiver fällt sein
Drängen aus, restlos alles zu erfahren.
V18: Auf die harte Ansage Gottes reagiert Eli mit einer die Leserinnen und Leser überraschenden
und zugleich beeindruckenden Fügsamkeit.
VV19-21: Die letzten drei Verse bilden als Schlusswort ein Gegenstück zur Einleitung 1Sam 3, 1.2.
Die Offenbarung an Samuel, von der die Erzählung berichtet, blieb nicht die einzige, sondern viele
andere folgten. Samuel wurde ein anerkannter und beachteter Prophet des Herrn – in der Nachfolge
Elis.
4. Anregungen für eine Bibelarbeit
Sich der Schrift zuwenden:
Gotteslob 980: "Herr, wir hören auf Dein Wort"
Gotteslob 505: "Du hast uns, Herr, gerufen"
Die Schrift lesen:
1 Sam 3 langsam vorlesen, aufmerksam zuhören
Die Schrift bedenken:
Wo kann ich Gottes Wort, Seine Stimme hören oder erfahren? Wann und wie?
Gebe ich Gott Gelegenheit, in mein Leben hineinzusprechen?
Wie könnte sein Wort für mich lauten?
Könnte ich wie Eli sagen: "Er ist der Herr. Er tue, was ihm gefällt."?
Die Schrift ins Leben übersetzen:
Im Blick auf Gott: Was bedeutet es, an einen Gott zu glauben, der Menschen in Dienst nimmt und
für seine Sache einspannt?
Im Blick auf Samuel: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Gottes Ruf hören zu
können? Gibt es in meinem Leben einen Eli, der mir hilft, Gottes Spuren zu erkennen und zu
deuten?
Im Blick auf Eli: Wo kann ich Menschen helfen, Gott zu entdecken? Woher rührt das schier
unendliche Gottvertrauen dieses Mannes?
Aus der Schrift heraus beten:
Lied: Gotteslob 881 "Lass uns in Deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun"
5. Literatur
•
•
H.W. Herberg, Die Samuelbücher (NTD 10), Göttingen 1965, 28-32
S. Bar Efrat, Das Erste Buch Samuel. Ein narratologisch-philologischer Kommentar
(BWANT 176), Stuttgart 2007, 95-103
Professor Dr. Robert Vorholt,
Universität Luzern (www.unilu.ch),
Katholisches Bibelwerk im Bistum Münster
(www.bibelwerk.de)
in Kooperation mit
kirchensite.de – online mit dem Bistum Münster
(kirchensite.de)
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de, März 2013
Weitere Bibelarbeiten im Internet:
www.kirchensite.de/bibelarbeiten

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