Die Mauer muss weg: Opposition auf Weimars

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Die Mauer muss weg: Opposition auf Weimars
Die Mauer muss weg: Opposition auf Weimars Fußballplätzen – Weimar...
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DIENSTAG, 17. MÄRZ 2015
WEIMAR
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11.03.2015 - 16:21 Uhr
„Es müsste ein Wahnsinniger aus der Thüringer Furche auftauchen, der mit den Geldscheinen um sich wirft“, sagt Frank Willmann
über den Zustand des Fußballs in der zwischen RWE und FCC geteilten Stadt.
Die Südkurve im Ernst-Abbe-Stadion. Frank Willmann ist bekennender Fan des FC Carl-Zeiss Jena. Für ihn steht fest: „In Jena haben sich schon immer die
intellektuellen Schweine gesammelt, während in Erfurt die Braugold-Freunde den Ton angaben. Das galt übrigens nicht nur für den Fußball, sondern
auch für die Punkrockszene.“ Foto: Juergen Scheere
Weimar. Der Weimarer Fußball ist tot. Sagt Frank Willmann. „Es müsste ein Wahnsinniger aus der Thüringer Furche auftauchen, der
mit den Geldscheinen um sich wirft. Den sehe ich aber nicht.“ Willmann, 1963 geboren, ist ein Kind dieser geteilten Stadt. Die eine
Hälfte schwärmt für Jena, die andere Hälfte für Rot-Weiß Erfurt ; und der Goetheplatz ist die Demarkationslinie. Ein Gespräch über
das Glück, das man auf dem Rasen findet.
Die Bundesliga ist ein wenig langweilig, aber was war mit dem Achtelfinale im DFB-Pokal?
Schade, dass Dresden herausgeflogen ist. Und grandios war, wie die Bielefelder Bremen herauskickten. Ich habe ein Herz für die
Kleinen, für die Underdogs.
Dynamo Dresden ist ein gutes Stichwort. Warum polarisiert der Verein derart?
Dresden war ein Bullenverein, ein Verein der Volkspolizei und der Staatssicherheit. Allerdings hat Dresden noch zu DDR-Zeiten
einen wunderbaren Fußball gespielt. Da gab es den berühmten Dresdner Kreisel, der die Gegner schwindelig machte. Seit 1993
aber ist der Fußball grauenhaft. Und gleichzeitig rückte das Gebaren der Fans in den Mittelpunkt. Der Dynamo-Fan zeichnet sich
durch seine Leidensfähigkeit aus. Dresden spielt in der dritten Liga, hat aber immer noch einen Schnitt von 23 000 Zuschauern. Auf
diese Zahlen kommt niemand sonst. Club und Fans definieren sich heute nicht über die sportlichen Leistungen, sondern über sich
selbst. Der Fußball spielt nur eine untergeordnete Rolle. So hat sich eine Szene entwickelt, die zu Gewalttätigkeiten neigt.
Besonders bei Auswärtsspielen meinen viele Fans, so auf sich aufmerksam machen zu müssen.
Sind Ultras apolitische Fans, die nur auf Krawall gebürstet sind?
Es gibt Unterschiede. Die „Horda Azzuro“ in Jena ist eher eine linke Gruppierung. Das hat viel mit Traditionen zu tun, denn in Jena
haben sich schon immer die intellektuellen Schweine gesammelt, während in Erfurt die Braugold-Freunde den Ton angaben. Das
galt übrigens nicht nur für den Fußball, sondern auch für die Punkrockszene. In Dresden haben die Hooligans die zunächst
vorhandenen politischen Ultras zurückgedrängt: Die Che-Guevara-Fahne wurde eben wieder eingepackt. Heute sind die Fans ein
lauter, politisch neutraler Mob, der wahrgenommen werden will, notfalls auch durch Gewalt.
Nun spielen ostdeutsche Vereine keine Rolle mehr im Oberhaus, aber der junge Verein Rasenball Leipzig will
durchmarschieren.
17.03.2015 19:56
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Ich bin in einer Fußballkultur verwurzelt, in der man mit seinem Verein, der eine Geschichte hat, älter wird. Bei RB Leipzig geht es in
meinen Augen nicht um Fußball. Es geht um ein Unternehmen, das über den Fußball für sich werben will. Das gefällt mir nicht. Aber
genauso wenig gefallen mir Vereine wie Wolfsburg und Bayer Leverkusen.
Du bist in Weimar aufgewachsen.
Ja. Und ich habe Fußball gespielt, zuerst bei Motor Weimar. Als ich 11 Jahre alt war, hat man mich rausgeschmissen. Ich war
trainingsfaul. Aber ich war ein flinker Bursche.
Mit Talent?
Sagen wir es so: Für Weimarer Verhältnisse war ich kein schlechter Spieler. Ich war nur faul, hatte meinen eigenen Kopf und wollte
mich nicht immer ins Mannschaftsgefüge einbinden. Meine Talente erblühten erst im zarten Alter von 17 Jahren, als ich bei Empor
Weimar landete und Stürmer war. Wir hatten dort einen Trainer, Hartmut Hagelganz, der einfach großartig war und heute noch
aktiv ist. Der scharrte die ganzen Gestörten aus Weimar um sich. Hagelganz ist der einzige Trainer, vor dem ich meinen Hut ziehe.
Er hat es wirklich geschafft, aus dieser Mannschaft etwas Besonderes zu formen. Wir wurden unerwartet Kreismeister. Mit 18
Jahren hatte ich dann einen schweren Motorradunfall, weshalb an Fußball nicht mehr zu denken war.
Wie politisch war der 17-jährige Frank Willmann?
Das begann relativ früh. Meine Eltern waren Kommissionshändler und hatten einen kleinen Laden in der Ackerwand. Sie wurden
von der HO beliefert und verkauften die Dinge dann weiter. Und ich hatte schlechte Karten, weil ich kein Vertreter der
Arbeiterklasse war und meine Eltern kleinbürgerliche Kapitalisten waren. Und ich lernte frühzeitig Pfarrer Erich Kranz kennen.
Welchen Stellenwert kann Fußball erlangen, wenn man als Jugendlicher mit der DDR hadert?
Fußballplätze gehörten für mich zu den wenigen Orte, wo man seinen Frust herausschreien konnte. Besonders dann, wenn man in
der Dämmerung oder unter Flutlicht spielte. Beim Fußball ging der Einzelne in der Anonymität unter und konnte wunderbar seinen
Frust abbauen: Ich weiß noch, wie inbrünstig bei Freistößen gebrüllt wurde „Die Mauer muss weg“. Oder man Polizisten im Schutz
der Masse mit Schneebällen bewarf.
Wir gaben dem Affen Zucker. Natürlich beschäftigte sich die Staatssicherheit mit dem Thema und versuchte, den Fußballanhang
zu infiltrieren. In den 1970er Jahren war Fußball ein Arbeitersport. Und Intellektuelle haben sich für Fußball nicht interessiert. So
waren die Fans, die Woche für Woche auf dem Platz standen, sehr proletarisch, sehr roh, sehr ungeschliffen.
Das dürfte Ost und West geeint haben: Fußball als Welt der Arbeiterklasse. Dass heute ein Magazin wie „11 Freunde“
überleben kann, ist ein Indiz für eine veränderte Fankultur.
Es hat sich viel verändert. In den 70er Jahren gab es auch keine Frauen im Fußball.
Und heute: Anna Blässe, 1987 in Weimar geboren, steht bei Wolfsburg unter Vertrag und wurde mit dem VfL ChampionsLeague-Siegerin.
Die Fleischerstochter.
Ja. Vom Fleischer zum Café. Dein Spielplatz war der Wielandplatz.
Der Konditor Mengs und seine Frau, Wally genannt, waren mit meinen Eltern sehr eng befreundet. Wally war wie eine Tante für
mich, in der Backstube bin ich aus- und eingegangen, ich wusste, wo die Pappeimer mit der Nougatschokolade waren, denn ich war
der Einzige, der neben seinem Sohn mit einem Löffel hineinstechen durfte. Das waren großartige Zeiten für mich.
Du bist zwischen Erfurt und Jena aufgewachsen. Warum wird man Fan von Jena? Und nicht von Rot-Weiß Erfurt?
Ganz einfach: Mein Vater ist Fan von Carl Zeiss. Ich habe verstanden, dass Jena immer vor Erfurt lag und auch die wichtigere
Mannschaft war und den besseren Fußball gespielt hat. 1975 hat er mich zu einem Auswärtsspiel mitgenommen: Erfurt gegen Jena.
Und Jena gewann 2:1. Und das war ein großartiger Moment für mich. Bei Motor Weimar war es so, dass jeder einen Ost- und einen
Westverein hatte. Die meisten Jungs waren Jena-Fans. Bei Empor war es umgekehrt, was mit der Zweiteilung Weimars zu tun haben
könnte: Zwischen Webicht und dem Goetheplatz schlägt das Herz der Menschen für Jena, vom Goetheplatz an wohnen die Erfurter
Fans. Die größeren Rüpel waren die Fans von Erfurt.
Wer war Dein West-Verein?
Eintracht Frankfurt. Das lag am Hessischen Rundfunk, den wir gut empfangen konnten.
Sportlich gesehen sind die Erfurter ein wenig erfolgreicher als die Zeissianer.
Ja. Das stelle ich mit großem Bedauern fest. Respekt davor, auch wenn man am Wochenende wieder eine Niederlage einstecken
musste.
Der Sohnemann schwärmt für?
Dortmund.
Hättest Du als Vater versagt, wenn er ein Bayern-Fan geworden wäre?
Ja. Und ich hätte mit ihm viele und ernsthafte Gespräche führen müssen, um ihn auf den Pfad der Tugend zurückzubringen. Dabei
hätte ich mir sehr viel Mühe gegeben und mein erzieherisches Talent in die Waagschale werfen müssen, um ihn von der
Inkarnation des Teufels abzubringen. Bayern ist ein gutes Beispiel dafür, wie ich Fußballkultur nicht verstanden wissen möchte.
Hand aufs Herz: Welcher Verein in der Bundesliga praktiziert denn noch diese von Dir verehrte Fußballkultur.
Gar keiner. Dortmund gibt sich volksnah, ist aber eine Aktiengesellschaft, bei der das einfache Mitglied noch ein wenig mitjodeln
17.03.2015 19:56
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darf, aber kein Mitbestimmungsrecht hat. Bei Union Berlin und beim FC St. Pauli sind diese Dinge zumindest noch vorhanden. Das
sind Mitgliedervereine, bei denen direkte Demokratie möglich ist.
In Weimar tut sich der Fußball schwer.
Ich weiß nicht, wann der SC 03, der für mich immer Motor Weimar heißen wird, abgestiegen ist. Aber seitdem passiert auf dem
Lindenberg wenig. Schau Dir nur an, wie räudig das Stadion aussieht. Jahrelang wurde an der Tribüne nichts gemacht, es gab keine
Menschen, die Geld investierten; und das Interesse der Stadt ist auf Kultur und Tourismus ausgerichtet. Der Weimarer Fußball ist
leider tot.
Bedingung für den Kunstrasenplatz auf dem Lindenberg war, die Vereine auf eine Kooperation respektive Fusion
einzuschwören: eine gemeinsame Mannschaft als Garant für den sportlichen Erfolg. Das scheiterte am Widerstand der
Vereine.
Das kann ich verstehen. Und selbst dann würde das Geld fehlen. Es müsste ein Wahnsinniger aus der Thüringer Furche auftauchen,
der mit den Geldscheinen um sich wirft. Wenn ich die Vereine nur zusammenführe, habe ich statt fünf neun arme Wichte im
Vorstand.
Ist der Besuch auf dem Lindenberg Pflicht, wenn Du in Weimar bist?
Ich versuche es. Meistens aber ist trauriger Fußball vor wenigen Zuschauern zu sehen. Was waren das früher für Zeiten: 1000, 2000
Zuschauer bei Heimspielen, rote Brause und Bockwurst. Für uns Jungs waren das tolle Erlebnisse.
Bei der Lesereise hast Du Heimspiele in Weimar und Jena. Wie schwer wird es, in Erfurt zu bestehen?
Ich habe gute Erfahrungen gemacht, zumal ich schon mal im Fanprojekt gelesen habe. Lesung und Diskussion waren entspannt.
Und wer eine Lesung besucht, ist interessiert und will mir keine aufs Maul hauen.
Und die alte Laterne?
Viele Jena-Fans verkehren dort. Und auch der Wirt ist ein Fan von Carl Zeiss. Dort ist es laut, das Bier fließt; und es wird geraucht.
Ich mag es, mich in robusten Männerkneipen aufzuhalten, auch wenn ich schreien muss, um gehört zu werden.
Despektierlich formuliert: Da bist Du Rampensau genug, um Dich auch durchzusetzen.
Exakt. Und gut formuliert.
Thorsten Büker / 11.03.15 / TLZ
Z0R0007513777
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