fortschritte in der hirnforschung

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fortschritte in der hirnforschung
FORTSCHRITTE IN DER
HIRNFORSCHUNG
Ausgabe 2008
Einleitung von Eve Marder, PhD
Kunst und Kognition:
Hinweise auf Beziehungen
Essay von Michael S. Gazzaniga, PhD
Die wachsenden Möglichkeiten
der tiefen Hirnstimulation
von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD
FORTSCHRITTE IN DER
HIRNFORSCHUNG
Einleitung von Eve Marder, PhD
Kunst und Kognition:
Hinweise auf Beziehungen
Essay von Michael S. Gazzaniga, PhD
Die wachsenden Möglichkeiten
der tiefen Hirnstimulation
von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD
Ausgabe 2008
THE EUROPEAN DANA ALLIANCE
FOR THE BRAIN EXECUTIVE COMMITTEE
William Safire, Chairman
Edward F. Rover, President
Colin Blakemore, PhD, ScD, FRS, Vice Chairman
Pierre J. Magistretti, MD, PhD, Vice Chairman
Carlos Belmonte, MD, PhD
Anders Björklund, MD, PhD
Joël Bockaert, PhD
Albert Gjedde, MD, FRSC
Sten Grillner, MD, PhD
Malgorzata Kossut, MSc, PhD
Richard Morris, Dphil, FRSE, FRS
Dominique Poulain, MD, DSc
Wolf Singer, MD, PhD
Piergiorgio Strata, MD, PhD
Eva Syková, MD, PhD, DSc
Executive Committee
Barbara E. Gill, Executive Director
Die European Dana Alliance for the Brain (EDAB) ist ein Zusammenschluss
von 183 führenden Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus
27 Ländern. Zu ihren Mitgliedern zählen fünf Nobelpreisträger. Die EDAB
hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesellschaft auf die Bedeutung der Gehirnforschung aufmerksam zu machen. Die Organisation wurde 1997 gegründet und versteht sich als Schnittstelle zwischen der medizinischen Laborarbeit, der Forschung sowie der breiten Öffentlichkeit.
Für weitere Informationen:
The European Dana Alliance for the Brain
Dr Béatrice Roth, PhD
Centre de Neurosciences Psychiatriques
Site de Cery
1008 Prilly / Lausanne
E-mail: [email protected]
Deckel: Keystone
FORTSCHRITTE IN DER
HIRNFORSCHUNG
Ausgabe 2008
Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen
5
Einleitung
von Eve Marder, PhD
Präsidentin, Society for Neuroscience
11
Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen
von Michael S. Gazzaniga, PhD
17
Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation
von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD
Fortschritte in der Hirnforschung im Jahr 2007
25
In der Kindheit auftretende Störungen
33
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
41
Schädigungen des Nervensystems
49
Neuroethik
57
Neuroimmunologische Erkrankungen
65
Schmerz
71
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen
und Suchtkrankheiten
81
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
89
Stammzellen und Neurogenese
97
Denken und Erinnern
107
Referenzen
117
Stelle Dir eine Welt vor...
Einleitung
von Eve Marder, PhD
Präsidentin, Society for Neuroscience
A
ngesichts des vorliegenden Berichts,
der neuere Erkenntnisse zusammenfasst, die
unser Leben und das unserer Familien in
Gegenwart und Zukunft entscheidend beeinflussen, lege ich Ihnen hier die Ansichten
einer unerschrockenen und kompromisslosen Grundlagenwissenschafterin vor.
Als Wissenschafterin habe ich das Privileg,
mich mit den grundlegendsten Fragen der
Neurowissenschaft zu befassen, etwa mit der
homeostatischen Regulation (dem lebenslangen Aufrechterhalten einer
stabilen neuronalen Funktion), und durfte erkennen, dass diese auch für
klinische Problemstellungen, etwa im Hinblick auf Epilepsie, relevant ist 1, 2.
Gleichzeitig konnte ich als Tochter verblüfft miterleben, wie sich mein Vater
von einer traumatischen Hirnverletzung erholte, die er bei einem Verkehrsunfall erlitten hatte. Bis heute staune ich darüber, dass sich sein damals
76 Jahre altes Gehirn selbst wieder so weit herstellte, dass heute niemand,
der ihm sieben Jahre später erstmals begegnet, auch nur im Traum auf den
Gedanken käme, dass jemals etwas derart Bedauerliches vorgefallen ist.
Nichtsdestoweniger bezeugt seine Gesundung wohl mehr die ausserordentliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, sich von einem Insult zu
erholen, sowie die chirurgische Kunst und weniger unser Wissen, wie und
weshalb er völlig gesund wurde. Nichts beunruhigt einen Neurowissenschafter oder eine Neurowissenschafterin mehr, als im vollen Bewusstsein
um unseren begrenzten Wissensstand miterleben zu müssen, dass eine
nahe stehende Person oder ein Familienmitglied an einer Hirnverletzung
oder -krankheit leidet; daher begrüsse ich alle in der vorliegenden Ausgabe beschriebenen Fortschritte.
Als wissenschaftliche Forscherin an einer geisteswissenschaftlichen Hochschule gebe ich einen Kurs „Grundlagen der Neurowissenschaft“; er
5
umfasst die gesamten Grundlagen der Neurowissenschaft und deren
Anwendung bei konkreten klinischen und allgemein menschlichen Fragestellungen. Für mich als Pädagogin ist es äusserst befriedigend festzustellen, dass häufig ausgefallene Einzelfragen, mit denen sich die Grundlagenwissenschaft befasst, die für das Verständnis von Krankheiten
notwendigen Voraussetzungen schaffen. Angesichts der vorliegenden
Sammlung von Aufsätzen erfüllt es mich auch mit Genugtuung, dass die
langjährige Grundlagenforschung in mancherlei Hinsicht zu bedeutsamen
Fortschritten geführt hat und schliesslich eine erfolgreichere Behandlung
von Menschen ermöglichen wird.
Weshalb und auf welche Weise Einzelne, die in den verschiedensten Familien aufwachsen, Maler, Musiker oder Tänzer werden, gehört zu den grossen Geheimnissen des Lebens. Dass künstlerische Begabungen und Tätigkeiten familiär gehäuft vorkommen, ist allgemein bekannt. Beruht dies auf
Vererbung, auf früher Exposition und Übung, oder auf beidem? Es wird oft
behauptet, Fachpersonen in Mathematik und Physik würden sich musikalisch besonders hervortun. Haben formales abstraktes Denken und Musizieren tatsächlich gewisse Beschaffenheiten des Kortex gemein? Fördert
Kunstunterricht auch andere Arten der kognitiven Entwicklung? Mit Fragen dieser Art beschäftigt sich das Dana Arts and Cognition Consortium.
In der Kindheit auftretende Störungen – z. B. Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und Entwicklungsverzögerung – gehören zu den besonders herzzerreissenden neurologischen Erkrankungen.
Niederschmetternd sind auch degenerative Erkrankungen wie Chorea
Huntington, Parkinson und Alzheimer, von denen Erwachsene betroffen
sind. Neuere Arbeiten zeigen das grosse Potential der Genetik für das Verständnis der Ursachen dieser Krankheiten. Die jahrzehntelange Untersuchung der grundlegenden genetischen Mechanismen trägt heute Früchte,
besonders da wir nun über ein Instrumentarium verfügen, um die Interaktionen multipler Gene bei komplexen Krankheiten zu untersuchen.
Dasselbe zeigt sich bezüglich neuerer Studien von Hirntumoren. Die
Erforschung zellulärer Signalwege, die das Wachstum und die Ausbreitung verschiedener Krebsarten, einschliesslich jener des Gehirns, steuern,
könnte zur Entwicklung neuer Therapien für Gliome und weitere Hirntumoren führen.
6
Das Gehirn meines Vaters wurde durch einen rasch eingeleiteten chirurgischen Eingriff gerettet; wie im vorliegenden Bericht dargestellt wird, ist
Einleitung
auch für den Schutz des Gehirns nach einem Schlaganfall und nach transitorischen ischämischen Attacken, die kleinere neurologische Auswirkungen zu haben scheinen, das rechtzeitige Eingreifen entscheidend. Wir
wissen heute, dass durch die rechtzeitige Behandlung einer transitorischen ischämischen Attacke das Risiko eines schweren Hirnschlags in den
folgenden Wochen reduziert wird.
Bei vielen Krankheiten können die aus Tiermodellen stammenden
Erkenntnisse und Befunde nur schwer in die klinische Praxis übertragen
werden. Ausschlaggebend sind hervorragende und gut kontrollierte
klinische Studien, doch ist ihre korrekte Durchführung oft fraglich. Deshalb hat die International Campaign for Cures of Spinal Cord Paralysis
(ICCP) neue Kriterien erarbeitet, um die Teilnahme und Beurteilung von
Patienten an klinischen Studien bezüglich neuer Therapien von Rückenmarkverletzungen zu regeln. Entsprechende Kriterien für klinische Studien sind für sämtliche Bereiche von grosser Bedeutung, bei denen die
Behandlung neurologischer oder psychiatrischer Erkrankungen beurteilt
werden müssen.
Das Interesse an Fragen, die zur neuen Disziplin der Neuroethik gehören,
ist im vergangenen Jahr enorm gewachsen; das American Journal of
Bioethics widmet diesem Bereich nun jährlich drei Ausgaben. Vier Themen erhielten 2007 besondere Aufmerksamkeit: die Kommerzialisierung
des Lügendetektors, die tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Depressionen, genetische Studien von Abhängigkeit, und bildgebende Verfahren. Die Entwicklung neuer Techniken zu Diagnose und Behandlung von
Hirnkrankheiten lässt dabei unerwartete, heikle Konsequenzen erkennen.
Gleichzeitig macht die Stammzellbiologie bemerkenswerte Fortschritte,
die dazu führen könnten, dass viele mit der Verwendung embryonaler
Stammzellen zusammenhängende Kontroversen hinfällig werden.
Unterdessen werden die Interaktionen von Immunsystem und Nervensystem immer klarer fassbar. Am deutlichsten ist dies im Falle der Multiplen Sklerose, einer Krankheit, bei der Vererbungs- und Umweltfaktoren
bewirken, dass das Immunsystem die Myelinscheide, die viele Nervenzellen umgibt, angreift. Neuere Studien belegen einen Zusammenhang
zwischen verschiedenen Genen des Immunsystems und dem Risiko, an
Multipler Sklerose zu erkranken. Interessant sind auch neue Befunde,
denen zufolge ein enger Zusammenhang zwischen Vitamin D, Sonnenbestrahlung (die Vitamin D erhöht), Immunsystem und Multipler Sklerose
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besteht. Das Immunsystem könnte sich auch als wichtig erweisen für ein
besseres Verständnis gewisser chronischer Schmerzerkrankungen.
Die zu chronischen Schmerzzuständen führenden Mechanismen sind
geheimnisvoll; möglicherweise gehören zu den Ursachen auch Fehlanpassungen auf eine Verletzung, welche nicht unmittelbar auf das Ereignis folgen. Da starker chronischer Schmerz eine massive Beeinträchtigung darstellt und oft nur schwer wirksam behandelt werden kann, sind neue
Erkenntnisse über den Aufbau und die Tätigkeit von Schmerzbahnen
nötig und neue Behandlungsmethoden besonders willkommen. Dabei
geht es vor allem um die Suche nach Alternativen zur langfristigen Verwendung von opiathaltigen Medikamenten, die zu Abhängigkeit führen
können. Zu den besonders viel versprechenden, neuen, intensiv erforschten Behandlungsformen gehört die Neurostimulation, bei der Elektroden
entweder in der Nähe des Rückenmarks oder peripher implantiert werden. Mit dieser Methode sollen Schmerzsignale durch eine direkte Stimulation blockiert werden, bevor sie das Gehirn erreichen. In anderen Bereichen lassen faszinierende Studien erkennen, auf welche Weise das Gehirn
als Reaktion auf eine Infektion Fieber erzeugt 3; auch diese Einsichten verdanken wir unserem neuen Verständnis der Signalübertragung zwischen
Zellen und der Möglichkeit, sie in Tiermodellen genetisch zu verändern.
Leider werden schwere psychiatrische Krankheiten wie Schizophrenie,
Depression und Sucht in vielen Fällen erst erkannt, wenn die davon betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Lage sein sollten, als
kreative und selbständige Personen ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Im Jahr 2007 hat die Forschung zu einem Paradigmenwechsel bei der
Beurteilung dieser Krankheiten beigetragen.
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Lange Zeit hatte sich die Wissenschaft darauf konzentriert, einzelne biochemische und molekulare Ursachen zu suchen. Heute erkennen wir, dass
Störungen des Denkens und des Gemüts auf fehlerhaften Verbindungen
in Hirnschaltkreisen beruhen können, obwohl möglicherweise jede einzelne Nervenzelle richtig funktioniert. Neue bildgebende Verfahren und
Genmanipulationen lassen jene Gene leichter erkennen, die für den
Aufbau und die Funktion der Schaltkreise unter unterschiedlichen
Umweltbedingungen verantwortlich sind. Darüber hinaus dürfte der Paradigmenwechsel zu neuen Behandlungsformen von Störungen beitragen.
Es ist zu erwarten, dass wir auch Denkstörungen bei degenerativen
Erkrankungen des Nervensystems, etwa der Alzheimer-Krankheit, besser
Zu den grössten Schwierigkeiten bei der Behandlung psychiatrischer
Krankheiten gehört die enorme Heterogenität der Bevölkerung; eine der
grössten Hoffnungen besteht darin, dass künftig bereits bei der Wahl einer
medikamentösen oder anderen Behandlung berücksichtigt werden kann,
mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand aufgrund der genetischen Konstitution auf eine bestimmte Behandlung anspricht.
Einleitung
verstehen werden, bei welchen Nervenzellen zugrunde gehen und damit
bestimmte Schaltkreiskomponenten ausfallen.
Viele junge Forschende entscheiden sich für die Neurowissenschaft, weil
sie von den wirklichen „grossen“ Fragen fasziniert sind: Sie interessieren
sich für die Beschaffenheit des Bewusstseins; den Aufbau des menschlichen Denkens; die Beziehung zwischen spezifischen Hirnstrukturen und
unserer Fähigkeit, mit Sprache umzugehen, Musik zu geniessen oder mit
anderen in Beziehung zu treten. Die Studien des Jahres 2007 lassen uns
besser verstehen, wie das Gehirn mit seinen Nervenschaltkreisen bei komplexen Denkvorgängen funktioniert.
Trotz der ausserordentlichen Erkenntnisse über die Tätigkeit des Gehirns
in Gesundheit und Krankheit lässt uns jeder neue Befund nur umso deutlicher erkennen, wie viel wir noch nicht verstehen. Wir alle erleben beispielsweise geistige Ermüdung, haben aber keine Ahnung, welche biologischen Korrelate diesem Zustand entsprechen. Wir wissen, dass sich
unser Gehirn von dem anderer Personen unterscheidet, dass wir unterschiedliche Erinnerungen gespeichert haben und diese auf je einzigartige
Weise dazu benutzen, auf einander und auf die Welt zu reagieren. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass die grundsätzlichen Regeln, welche die
Tätigkeit unseres Gehirns bestimmen, erhalten bleiben – und zwar grösstenteils nicht nur beim Menschen sondern auch im Tierreich. Wie wir
angesichts des gemeinsamen Sets von biochemischen, molekularen und
genetischen Mechanismen unsere individuellen menschlichen Eigenschaften verstehen, ist die grösste Herausforderung für unsere weitere
Arbeit.
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Kunst und Kognition:
Hinweise auf Beziehungen
von Michael S. Gazzaniga, PhD
I
m Jahr 2004 versammelte das Dana Arts
and Cognition Consortium an sieben amerikanischen Universitäten tätige kognitive
Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen, die sich mit der Frage auseinandersetzten, worauf der Zusammenhang
von Kunstunterricht und einer höheren akademischen Leistung beruht. Fühlen sich
kluge Leute einfach dazu hingezogen, künstlerisch „tätig“ zu werden – Musik, Tanz,
Schauspiel zu studieren und auszuüben – oder ruft früher Kunstunterricht
Veränderungen im Gehirn hervor, die andere wichtige Aspekte der Kognition fördern.
Die Arbeitsgemeinschaft kann nun Ergebnisse vorlegen, dank denen wir
die möglichen ursächlichen Beziehungen zwischen Kunstunterricht und
der Fähigkeit des Gehirns, in anderen kognitiven Bereichen zu lernen,
besser verstehen.
Die Studie enthält neue Daten über die Auswirkungen von Kunstunterricht und regt dadurch künftige Untersuchungen an. Die bisherigen, noch
vorläufigen Schlussfolgerungen dürften schon bald zuverlässige Annahmen darüber erlauben, wie sich Kunstunterricht auf das Gehirn auswirkt;
Eltern, Studierende, Erziehende, Neurowissenschafter und Neurowissenschafterinnen sowie politisch Verantwortliche würden dadurch in ihrer
jeweils persönlichen, institutionellen und politischen Entscheidungsfindung unterstützt.
Genaueres über die Forschungsprogramme aller einzelnen Teilnehmenden sind in den Berichten ausgeführt, die Sie von www.dana.org herunterladen können. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenfassung der
Erkenntnisse dieser Gruppe.
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1. Das Interesse an darstellender Kunst führt zu einer hohen „Motivation“;
diese erzeugt eine für Fortschritte notwendige „anhaltende Aufmerksamkeit“ und das Aufmerksamkeitstraining seinerseits führt zu Verbesserungen in anderen Wissensgebieten.
2. Genetische Studien lassen Kandidatengene erkennen, die möglicherweise zur Erklärung der individuell unterschiedlichen Kunstinteressen
beitragen.
3. Zwischen intensivem Musikunterricht und der Fähigkeit, sowohl im
Arbeits- als auch im Langzeitgedächtnis Informationen zu handhaben,
gibt es spezifische Beziehungen, die über den Bereich des Musikunterrichts hinaus reichen.
4. Bei Kindern scheinen spezifische Beziehungen zwischen musikalischer
Aktivität und darstellender Geometrie zu bestehen, die jedoch andere
Arten des Umgangs mit Zahlen nicht mit einschliessen.
5. Wechselbeziehungen gibt es zwischen Musikunterricht einerseits und
lesen Lernen sowie sequentiellem Lernen andererseits. Einer der wichtigsten Hinweise auf eine frühe Lesefähigkeit ist das phonologische
Bewusstsein; es korreliert sowohl mit Musikunterricht als auch mit der
Entwicklung einer bestimmten Hirnverbindung.
6. Schauspielunterricht scheint über das Erlernen allgemeiner Fertigkeiten
zur Verarbeitung semantischer Informationen zu einem besseren
Gedächtnis zu führen.
7. Zwischen dem selbst deklarierten Interesse an Ästhetik und der Veranlagung zu Offenheit, die ihrerseits durch auf Dopamin bezogene Gene
beeinflusst wird, besteht ein Zusammenhang.
8. Zwischen tanzen Lernen durch aufmerksames Beobachten und Lernen
durch eigenes Üben besteht ein enger Zusammenhang, und zwar sowohl
was den Erfolg anbelangt als auch bezüglich der neuralen Substrate, die
solche komplexen Tätigkeiten ermöglichen. Lernen durch aufmerksames
Beobachten kann sich auf andere kognitive Fähigkeiten auswirken.
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Die vorangehenden Ausführungen erweitern unser Wissen über die Beziehung zwischen Kunst und Kognition. Bezüglich der Frage, ob Kunstunterricht
Darin besteht das besondere Problem von Korrelationen; da einige Studien schwache und sogar bloss scheinbare Korrelationen aufzeigten,
wurde diese Arbeitsgemeinschaft gebildet. Es ist zwar interessant, begleitende, parallele, ergänzende oder reziproke „Korrelationen“ festzustellen,
doch sind Aktionen und Veränderungen erst möglich, wenn wir die ihnen
zugrunde liegenden Mechanismen verstehen.
Zwar muss die Wissenschaft stets darauf hinweisen, dass es notwendig
ist, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden, doch ist
ebenfalls festzuhalten, dass gerade die Neurowissenschaft häufig mit
Korrelationen beginnt – üblicherweise von der Entdeckung, dass eine
bestimmte Art von Hirnaktivität und eine bestimmte Verhaltensweise
gemeinsam auftreten. Um jedoch zu entscheiden, welche Forschungsarbeit am sinnvollsten ist, muss man darauf achten, ob diese Korrelationen niedrig oder hoch sind. Indem viele der hier erwähnten Studien
bereits früher festgestellte Korrelationen bestätigen, schaffen sie die
Voraussetzung, dass das Verständnis der zugrunde liegenden biologischen Vorgänge und Hirnmechanismen schliesslich zu echten kausalen
Erklärungen führt.
Ausserdem gibt es nicht nur hohe und niedrige Korrelationen, sondern
auch starke und schwache Kausalzusammenhänge. Ebenso wie bei
„Rauchen verursacht Krebs“, könnten wir theoretisch aufgrund von Ergebnissen randomisierter prospektiver Studien, denen zufolge Kinder mit
Kunstunterricht einen kognitiven Vorteil haben, im weitesten Sinne einen
Kausalzusammenhang postulieren. Doch selbst ein derart eindeutiges
Ergebnis würde nur wenig über die Ursache aussagen; wir hätten dadurch
keinen einzigen Lernmechanismus im Gehirn entdeckt, der uns solche
Mechanismen besser „verstehen“ liesse und zu einer optimalen Begegnung
mit Kunst anleiten könnte. Wir wüssten weder Bescheid darüber, durch
welche Mechanismen das Gehirn das Gelernte generalisiert noch über die
Entwicklungsstadien, in denen das Gehirn besonders gut auf bestimmte
Arten der Erfahrung anspricht.
Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen
das Gehirn so verändert, dass allgemeine kognitive Fähigkeiten gefördert
werden, stellen diese Erkenntnisse einen ersten Schritt des neurowissenschaftlichen Forschungsansatzes dar. Die Frage ist – ähnlich wie bei
bestimmten organischen Krankheiten – von so hohem allgemeinem Interesse, dass unhaltbare Antworten zwar rasch eine grosse Kraft entwickeln,
dann aber einen Bumerangeffekt haben können.
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Zwischen hoher Korrelation und eindeutig wissenschaftlich fundierten
kausalen Erklärungen ist viel Raum für wertvolle Untersuchungen. Fragestellungen, die von Theorien ausgehen können mit neurowissenschaftlichen Methoden untersucht werden und zu Experimenten führen, die
sich nicht mit dem Nachweis von Erfolgsergebnissen begnügen; vielmehr
können sie aufzeigen, auf welche Weise durch Kunstunterricht hervorgerufene Veränderungen im Gehirn das Leben von Menschen bereichern
und wie sich eine solche Erfahrung auf Bereiche übertragen lässt, die
eine akademische Bildung fördern. Auch wenn solche in einem mittleren
Bereich angesiedelte Studien nicht auf der Ebene von zellulären oder
molekularen Erklärungen liegen, könnten sie unser Wissen entscheidend
voranbringen.
Die von der Arbeitsgemeinschaft durchgeführte Untersuchung zum Tanzen ist hierfür ein gutes Beispiel. Unsere Forschungsarbeit zeigt, dass sich
Personen, die Tanzunterricht nehmen, zu höchst erfolgreichen Beobachtenden entwickeln können. Wir stellten fest, dass man durch blosses
Zuschauen sehr erfolgreich tanzen lernen kann und dass dieser Erfolg auf
der neuralen Ebene dadurch gestützt wird, dass sich jene Hirnbereiche
weitgehend überlappen, die beim Beobachten der Abläufe bzw. beim
Ausführen der entsprechenden Bewegungen aktiv sind. Diese gemeinsamen neuralen Substrate sind bedeutsam, wenn es gilt, komplizierte
Abläufe so zu organisieren, dass eine sequenzielle Struktur entsteht. In der
Zukunft können wir untersuchen, ob sich diese erfolgreiche Beobachtungsstrategie auch auf andere akademische Bereiche übertragen lässt.
Im komplizierten Schaltkreis des Gehirns kausale Mechanismen festlegen
zu wollen, ist ein bisschen viel verlangt. Die Studien zu Kunst und Kognition, welche die Arbeitsgemeinschaft der Dana in den letzten drei Jahren
durchgeführt hat, ermöglichten das Verständnis der für Handlungen notwendigen Mechanismen; auf dieser Grundlage – so glauben wir – werden
künftige Studien aufbauen können.
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Die Neurowissenschaft eröffnet eine lebensbejahende Dimension: Die
Entdeckung, dass künstlerische Tätigkeiten und Kunstgenuss unsere
kognitiven Fähigkeiten erweitern, ist ein entscheidender Schritt hin
zur Erkenntnis, wie wir besser lernen und sowohl angenehmer als auch
produktiver leben können. Nachstehend geben wir einige Anregungen, wie die hier vorgestellten Forschungsarbeiten weiter geführt werden könnten.
2. Wir wollen auch Klarheit darüber erhalten, auf welche Weise eine hohe
künstlerische Motivation raschere Veränderungen in diesem Netzwerk
bewirkt, und wie stark sich solche Veränderungen auf andere Arten der
Kognition auswirken.
3. Der Zusammenhang zwischen Unterricht in Musik und in bildender
Kunst einerseits und bestimmten Bereichen der Mathematik, etwa der
Geometrie, anderseits muss mit modernen bildgebenden Verfahren
genauer untersucht werden.
4. Weiter nachgehen wollen wir auch dem Zusammenhang von intrinsischer Motivation für eine bestimmte Kunstsparte (z. B. Musik und
bildende Kunst) und der dafür erforderlichen Fähigkeit der beständigen Aufmerksamkeit; wir brauchen Forschungsresultate auf der Verhaltensebene und mittels bildgebender Verfahren, um aufzeigen zu
können, dass in spezifischen Bahnen bei höherer Motivation grössere
Veränderungen auftreten.
Kunst und Kognition: Hinweise auf Beziehungen
1. Bisherige Untersuchungen haben ergeben, dass für verschiedene Sparten der Kunst – Musik, bildende Kunst, Theater, Tanz – jeweils unterschiedliche neurale Netzwerke zuständig sind. In künftigen Studien soll
überprüft werden, in welchem Ausmass diese Netzwerke eigenständig
sind bzw. sich überlappen.
5. Die Suche nach individuellen Indikatoren für das Interesse an Kunstunterricht und für dessen Einfluss sollte weitergeführt werden; sinnvoll
wären Untersuchungen, welche Erhebungen mittels Fragebogen, die
Bestimmung bereits bekannter Kandidatengene und eine umfassende
Überprüfungen des Genoms miteinander kombinieren.
Weitere Untersuchungen sollten auch den folgenden Fragen nachgehen:
1. In welchem Ausmass ist der Zusammenhang zwischen Musikunterricht,
Lesen und sequentiellem Lernen kausaler Art? Falls tatsächlich eine
Kausalität bestehen sollte, geht sie mit einer Anpassung der Verbindungen zwischen beteiligten Hirnbereichen einher?
2. Ist der Zusammenhang zwischen Musik- und Schauspielunterricht und
Gedächtnisfunktionen kausaler Art? Falls ja, lassen sich diese Mechanismen mittels bildgebender Verfahren untersuchen?
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3. Welche Rolle spielen aufmerksame Beobachtung und Nachahmung bei
darstellenden Künsten? Können wir unser motorisches System auf
komplizierte Tanzbewegungen vorbereiten, indem wir die gewünschten Bewegungen ganz einfach beobachten oder sie uns vorstellen?
Lassen sich die zur Erreichung dieses Ziels notwendige Disziplin und
die kognitiven Fertigkeiten übertragen?
Der Arbeitsgemeinschaft ist es gelungen, einige der in kognitiver Neurowissenschaft weltweit führenden Fachpersonen zusammenzubringen, um
Korrelationsstudien zu Kunst und Kognition zu sichten und auf allfällige
kausale Beziehungen zu überprüfen. Die neuen Erkenntnisse und konzeptuellen Fortschritte der Arbeitsgemeinschaft haben geklärt, was als Nächstes zu tun ist. Die oben angeführten spezifischen Vorschläge sind ein
Ergebnis dieser Arbeiten, wobei es natürlich auch weitere Möglichkeiten
gibt. Ziel dieser Vorschläge ist es, ein neu erschlossenes Forschungsgebiet
weiter zu vertiefen. Die vorliegenden aktuellen Ergebnisse und neuen
Ideen zeigen die Richtung an, in der dieser Bereich weiter erforscht werden könnte.
Meines Erachtens hat dieses Projekt Kandidatengene identifiziert, die zu
einer künstlerischen Begabung beitragen, und es hat zudem aufgezeigt,
dass sich kognitive Verbesserungen auf bestimmte geistige Fähigkeiten,
etwa die geometrische Vorstellung, beschränken können; das Projekt
hat gezeigt, dass sich spezifische Bahnen im Gehirn identifizieren lassen,
welche sich möglicherweise im Verlauf des Unterrichts verändern; dass
die Lösung eines Problems manchmal auf veränderten kognitiven Strategien beruht und nicht auf veränderten Hirnstrukturen; und dass früher
Musikunterricht die Kognition über einen bisher noch nicht bekannten
neuralen Mechanismus verbessern kann. All diese Entdeckungen sind
bemerkenswert und faszinierend.
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Die wachsenden Möglichkeiten
der tiefen Hirnstimulation
von Mahlon R. DeLong, MD, und Thomas Wichmann, MD
Einleitung
D
a es im vergangenen Jahrhundert noch
keine wirksamen Medikamente gab, um
verzweifelten Kranken zu helfen, die an körperlichen Behinderungen infolge Parkinson
(Parkinson’s disease; PD), Tremor und anderen Bewegungsstörungen litten, begann die
Neurochirurgie, die Auswirkungen von Läsionen auf verschiedene Hirnstrukturen zu
untersuchen. Seinen Höhepunkt hatte dieses
Vorgehen in den 1950er und 1960er Jahren,
etwa zur selben Zeit, als auch chirurgische
Eingriffe bei verschiedenen psychiatrischen
Störungen und bei abnormem Verhalten den
Höchststand erreichten. Nachdem in den
1960er Jahren die Substitutionstherapie mit
Levodopa als Behandlung der ParkinsonKrankheit eingeführt worden war und auch
als Reaktion auf den lauten Aufschrei der
Öffentlichkeit gegen Auswüchse der Psychochirurgie nahmen neurochirurgische Eingriffe
in den nachfolgenden Jahrzehnten rapide ab.
Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, dass neurochirurgische Eingriffe sowohl bei neurologischen als auch bei psychiatrischen Störungen
im vergangenen Jahrzehnt eine eigentliche Renaissance erfuhren. Das
Wiederaufleben von neurochirurgischen Massnahmen beruht in erster
Linie auf dem bemerkenswerten Fortschritt der Grundlagenforschung, die
sich mit der Organisation des motorischen Systems und mit der Neurobiologie von Störungen wie der Parkinson-Krankheit befasste. Die an
Primatenmodellen durchgeführten Forschungsarbeiten wiesen nach, dass
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Bewegungsstörungen wie die Parkinson-Krankheit auf der regelwidrigen
Aktivität ganz bestimmter Hirnschaltkreise beruhen und dass eine
Regulierung der Aktivität in diesen Schaltkreisen mittels gezielter chirurgischer Eingriffe an einzelnen Knotenpunkten die Symptome wirksam zu
lindern vermag 1.
Der Impuls für das Wiederaufleben neurochirurgischer Therapien hat verschiedene Gründe: Bei vielen dieser chronischen neuropsychiatrischen
Störungen lassen sich die Krankheitssymptome in fortgeschrittenen
Stadien entweder nicht ausreichend bekämpfen oder aber es kommt zu
unzumutbaren Nebenwirkungen; das öffentliche Bewusstsein für die Belastung, die solche Störungen für die Betroffenen und ihre Betreuungspersonen darstellen, ist gewachsen; und – dies gilt insbesondere für psychiatrische Erkrankungen – das Einholen von Einverständniserklärungen der
Betroffenen sowie andere Massnahmen zum Schutze von Patientenrechten werden heute einheitlich gehandhabt.
Die meisten heute gebräuchlichen funktionellen neurochirurgischen Verfahren sind auf bestimmte Hirnstrukturen, die so genannten Basalganglien
gerichtet. Diese subkortikalen Hirnstrukturen gelten als Komponenten
einer Familie von anatomisch unterschiedlichen Hirnschaltkreisen, die
auch die Grosshirnrinde und den Thalamus einbeziehen. Diese Schaltkreise unterstützen Aspekte des motorischen Verhaltens (motorischer
Schaltkreis), des kognitiven Verhaltens (assoziativer Schaltkreis) sowie
von Emotion und Motivation (limbischer Schaltkreis).
Allgemein ausgedrückt beruhen Bewegungsstörungen wie die ParkinsonKrankheit auf abnormen neuronalen Aktivitäten im motorischen Schaltkreis; Regelwidrigkeiten in limbischen oder assoziativen Schaltkreisen
verursachen dagegen Symptome und Merkmale von neuropsychiatrischen Erkrankungen. Daher richten sich Operationen bei Personen mit
Bewegungsstörungen auf Ziele im motorischen Schaltkreis und Eingriffe
bei neuropsychiatrischen Erkrankungen auf den limbischen oder assoziativen Schaltkreis.
18
Unter den chirurgischen Ansätzen der neuen Generation zeichnet sich die
tiefe Hirnstimulation (THS) dadurch aus, dass sie die Aktivität in bestimmten Schaltkreisen verändert. Im Zusammenhang mit Bewegungsstörungen
wurde THS erstmals Ende der 1970er Jahre zur Behandlung des Tremors
untersucht; im Laufe der Zeit gelang es, besser geeignete Zielpunkte zu
Im Verlauf einer THS-Operation implantiert man stimulierende Elektroden
mit vier verschiedenen Anschlüssen in ganz bestimmte Hirnregionen und
– ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher – einen programmierbaren
Impulsgeber direkt unterhalb des Schlüsselbeins unter die Haut. Der
Impulsgeber kann so programmiert werden, dass er die anvisierte Hirnregion ununterbrochen mit einer optimalen Frequenz, Amplitude und
Impulsdauer stimuliert. Dass diese Stimulation reversibel ist und angepasst
werden kann, gehört zu den grossen Vorzügen der THS; zudem richtet
sie sich direkt auf die relevanten Ziele und führt daher zu weniger
unerwünschten Nebenwirkungen als auf das gesamte Gehirn wirkende
Medikamente.
Tiefe Hirnstimulation hat für Personen, die von einer fortgeschrittenen
Bewegungsstörung oder anderen Krankheiten betroffen sind, bemerkenswerte Vorteile, doch bleibt unklar, worauf ihre Wirkung letztlich beruht.
Zuerst hatte man angenommen, sie ahme einfach die Wirkungen von
Läsionen nach, doch deuten neuere Untersuchungen der Hirnaktivität bei
Tieren und Menschen darauf hin, dass THS Axone aktiviert, die vom stimulierten Bereich des Zellkerns weg- oder zu ihm hinführen, und auf diese
Weise Aktivitätsmuster in den mit der stimulierten Hirnregion verbundenen Netzwerken verändert.
Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation
identifizieren und THS erwies sich auch bei der Parkinson-Krankheit und
anderen Bewegungsstörungen als äusserst wirksam. Anders als beim Setzen von Läsionen, welche irreversible Auswirkungen haben, wird das
Gehirn durch THS nicht dauerhaft verändert, sondern durch die lokale
Applikation von elektrischem Strom in einer Weise modifiziert, die verändert und sogar rückgängig gemacht werden kann.
Bewegungsstörungen
Am häufigsten wird tiefe Hirnstimulation bei Personen im fortgeschrittenen Stadium der Parkinson-Krankheit (einer progredienten Erkrankung
mit typischer Verlangsamung der Bewegungen sowie Tremor und Muskelstarre) eingesetzt. Die Symptome beruhen auf einer Einbusse des Neurotransmitters Dopamin in den Basalganglien, was die neuronale Aktivität im
gesamten motorischen Schaltkreis beeinflusst.
Frühe Stadien der Parkinson-Krankheit sind einer medikamentösen Behandlung zugänglich; in späteren Krankheitsstadien ist sie dadurch begrenzt,
dass dann häufig arzneimittelinduzierte unwillkürliche Bewegungen, so
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genannte Dyskinesien, auftreten; auch nimmt die Wirksamkeit der Medikamente rasch ab. THS innerhalb der motorischen Teilbereiche zweier
Kerne der Basalganglien, dem Nucleus subthalamicus und dem inneren
Segment des Pallidum, behebt Bewegungsstörungen der ParkinsonKrankheit sowie die durch Arzneimittel induzierten Komplikationen 2, 3.
Die Operation führt nur selten, bei 1-2% der Betroffenen, zu grösseren
Problemen und die langfristigen Vorteile sind erheblich.
Ausser dem Nucleus subthalamicus und dem Pallidum werden zurzeit weitere mögliche THS-Zielstrukturen erforscht, unter anderem der Nucleus
pedunculopontinus, der im Falle von schweren Parkinson-Erkrankungen
mit behandlungsresistenten Gang- und Gleichgewichtsstörungen viel versprechend erscheint. Auch bei Personen mit anderen Bewegungsstörungen als Tremor und Parkinson wird THS bereits erfolgreich eingesetzt.
Getestet werden z. B. Stimulationen bei verschiedensten Arten der Dystonie, einer höchst unbeständigen Bewegungsstörung mit typischen, generalisiert oder fokal auftretenden, unwillkürlichen Drehbewegungen und
unnatürlichen Körperhaltungen; dies weckt Hoffnung für Kranke, die nur
schlecht auf die heute verfügbaren Behandlungen ansprechen 4.
Neuropsychiatrische Erkrankungen
Die bemerkenswerten Erfolge der tiefen Hirnstimulation im Falle der
Parkinson-Krankheit und bei anderen Bewegungsstörungen sowie die
Erkenntnis, dass etliche verbreitete neuropsychiatrische Erkrankungen
ebenfalls auf abnormen Aktivitätsmustern in neuronalen Netzwerken
beruhen könnten, haben die Neurochirurgie zu vorsichtigen Versuchen
mit THS auch bei verschiedenen derartigen Erkrankungen angeregt. Zurzeit befinden sich die Anwendungen ausschliesslich in einem experimentellen Stadium.
Viel versprechend ist auch die Behandlung der Zwangserkrankung
(obsessive-compulsive disorder; OCD), eine Störung die durch zwanghaftes Denken und Handeln charakterisiert ist. Im Falle der OCD richteten
sich neurochirurgische Läsionen jeweils auf empirische Zielstrukturen,
etwa das Vorderhorn der inneren Kapsel. Kürzlich wurde berichtet, dort 5
oder im nahen ventralen Striatum ansetzende THS sei ebenfalls wirksam.
20
Das Tourette-Syndrom, bei dem unwillkürliche, rasche und stereotype
Bewegungen und Vokalisationen (motorische und vokale Ticks) häufig mit
OCD, Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität, Depression
Gegenwärtig laufen auch verschiedene Studien, um die Möglichkeiten der
THS bei Personen zu evaluieren, die an einer schweren, auf konventionelle
Therapien nicht ansprechenden Depression leiden. Nachdem Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren gezeigt hatten, dass der kortikalen
subgenual cingulären Region (Cg25) bei Depressionen eine Schlüsselrolle
zukommt, ergab eine neuere Studie, dass THS in diesem Bereich bei Personen mit einer Depression eine signifikante klinische Besserung
bewirkte 7. Eine fortgesetzte Stimulation (während sechs Monaten) führte
bei zwei Dritteln der Versuchspersonen, die alle bereits verschiedene
erfolglose Therapieversuche hinter sich hatten, zu einer deutlichen und
anhaltenden Besserung. Jetzt sind Folgestudien und grösser angelegte
Untersuchungen mit Kontrollgruppen erforderlich, um diese Ergebnisse
zu überprüfen und weitere Zielstrukturen, wie etwa das ventrale Striatum
zu explorieren.
Die wachsenden Möglichkeiten der tiefen Hirnstimulation
und psychosozialen Auffälligkeiten verbunden sind, lässt sich möglicherweise ebenfalls mit THS behandeln 6. Da die Symptome nach der Pubertät
häufig nachlassen, bleibt eine Behandlung schweren Fällen vorbehalten,
in denen keine spontane Besserung erfolgt. Ausgehend von früheren
empirischen Läsions-Studien und angesichts der relevanten Anatomie des
limbischen Schaltkreises wurde THS bei diesen Personen versuchsweise
auf mehrere Zielstrukturen gerichtet, unter anderem auf die intralaminaren
thalamischen Kerne entlang der Mittellinie und auf die motorischen und
limbischen Teilbereiche des Pallidum. Diese ersten Anwendungen führten
in einigen Fällen zu einer deutlichen Besserung der Symptome.
Schlussfolgerungen
Die tiefe Hirnstimulation ist für Patienten, deren Bewegung stark eingeschränkt ist, zum neurochirurgischen Verfahren der Wahl geworden;
gegenwärtig wird sie auch an Personen mit verschiedenen schweren neuropsychiatrischen Erkrankungen erprobt. Zwar wissen wir über die neurobiologischen Grundlagen von Krankheiten wie OCD, Tourette-Syndrom
und Depression weniger als über jene von Bewegungsstörungen, doch
scheint allen gemein zu sein, dass sie auf Fehlfunktionen von Hirnschaltkreisen beruhen, die bei therapieresistenten Fällen durch THS erfolgreich
beeinflusst werden könnten.
21
Fortschritte
in der
Hirnforschung
im Jahr 2007
23
In der Kindheit
auftretende Störungen
Die Genetik des Autismus
26
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
27
Rett-Syndrom Fortschritte
29
Wichtiges Enzym bei Fragilem-X
31
25
F
ür zwei besonders häufige Arten von Entwicklungsstörungen – die
Autismus-Spektrum-Störungen und die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – konnte die Wissenschaft im Jahr 2007 einige
genetische Grundlagen bestimmen. Erste Erfolge gab es auch im Hinblick
auf eine mögliche Behandlung des Rett-Syndroms (dabei handelt es sich
um eine Variante der Autismus-Spektrum-Störungen, die zu schwersten
körperlichen Behinderungen führt und vor allem bei Mädchen diagnostiziert wird, da die betroffenen Knaben selten mehr als zwei Jahre alt werden) und des Fragilen-X-Syndroms (dies ist die häufigste erbliche Form
von geistiger Behinderung und sie betrifft vor allem Knaben).
Die Genetik des Autismus
Zwar haben Zwillingsstudien ergeben, dass Autismus-Spektrum-Störungen in hohem Masse erblich sind, doch liessen sich bisher keine überzeugenden Kandidatengene bestimmen. Überdies kommt diese Krankheit in
der Familienanamnese der meisten von Autismus Betroffenen nicht vor –
ein Hinweis darauf, dass die ererbten Risikofaktoren sehr vielschichtig
sind. 2007 konnte eine von Jonathan Sebat geleitete Forschungsgruppe
am Cold Spring Harbor Laboratory neue Erkenntnisse zur Genetik dieser
Störungen vorlegen.
In einem im April in Science veröffentlichten Paper berichteten Sebat und
seine Mitarbeitenden, dass Genmutationen, die bei keinem Elternteil vorhanden sind, so genannte Varianten der Kopienzahl, mit einem grösseren
Autismusrisiko einhergehen als bisher angenommen 1. Typisch für diese
Mutationen sind Deletionen kleiner Gensegmente.
Sebats Gruppe suchte bei 264 Familien nach solchen Varianten der
Kopienzahl: bei 118 „Simplex“-Familien mit nur einem an Autismus
erkrankten Kind, bei 47 „Multiplex“-Familien mit mehreren betroffenen
Geschwistern und bei 99 Kontroll-Familien, in denen kein Fall von
Autismus festgestellt wurde.
26
Die Forschenden stellten bei 10% der Kinder mit Autismus-SpektrumStörungen, die kein Geschwister mit einer solchen Störung hatten, Deletionen von Gensegmenten fest; bei aus Multiplex-Familien stammenden
Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen waren es 2,6% und bei der
Kontrollgruppe 1%. Diese Deletionen kamen an den verschiedensten
Stellen des Genoms vor. Die Daten stimmen mit der Hypothese überein,
Die Tatsache, dass eine Störung durch viele Gene bedingt sein kann, verweist auch auf einen grundsätzlichen Aspekt des Autismus: Vielleicht
beruht die Gemeinsamkeit der üblichen Merkmale des Autismus (Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, Kommunikationsprobleme sowie eingeschränkte Interessen und Verhaltensweisen) nicht auf gemeinsamen
Genen sondern auf einer gemeinsamen biologischen Signalübertragung,
an der ein grosses und verschiedenartiges Set von Genen beteiligt ist.
Die Befunde wirken sich auch auf den klinischen Bereich aus. Wenn Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen im Spital generell auf das Vorhandensein von spontanen Mutationen untersucht würden, könnte man den
Eltern mitteilen, wie hoch ihr Risiko ist, ein zweites Kind mit einer
Autismus-Spektrum-Störung zu bekommen – wobei man annimmt, es sei
im Falle einer spontanen Mutation niedriger.
In der Kindheit auftretende Störungen
dass es viele Autismus-Gene gibt, und könnten die Widersprüchlichkeit
der Befunde früherer genetischer Studien teilweise erklären.
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
Für die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sind verschiedene Merkmale charakteristisch: sie ist sehr häufig (betroffen sind
3-7% der Kinder), stark erblich bedingt und hat eine Tendenz, beim
Heranwachsen der betroffenen Kinder schwächer zu werden.
In einer im August in Archives of General Psychiatry veröffentlichten
Studie untersuchten Philip Shaw und Mitarbeitende am National Institute
of Mental Health die Wirkungen eines der wichtigsten bekannten genetischen Risikofaktoren dieser Störung 2. Die Forschenden untersuchten das
Gen D4, das zu den selteneren Formen des Rezeptors für den Neurotransmitter Dopamin gehört. Im Gegensatz zu anderen Dopaminrezeptoren
verfügt dieser in einem Teil des Gens, dem Axon 3, über die Variante
7-Repeat-Allel. Diese Genvariante ist für ca. 30% der ererbten Fälle der
Störung verantwortlich und somit bei weitem das aussichtsreichste Kandidatengen.
Die Forschenden bestimmten die DNA, erhoben klinische Daten und
machten Magnetresonanzaufnahmen des Gehirns bei 105 Kindern mit
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und bei 103 Kindern ohne
diese Störung. Die Analyse der Daten ergab, dass Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, die über das Gen 7-Repeat Allel
27
8
9
10
11
12
13
14
15
16
T statistic
–2
–5
Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung haben einen dünneren
Kortex als solche ohne diese Störung, doch zeigen Hirnscans (die Zahlen geben
das Alter des Kindes an), dass diese Diskrepanz in jenen 30% der Fälle, bei denen ADHS
mit einer ganz bestimmten, seltenen Genvariante einhergeht, bis zum Alter von etwa
16 Jahren verschwindet.
verfügten, einen besseren klinische Status aufwiesen und intelligenter
waren als Kinder ohne das Gen 7-Repeat-Allel. Dieser Befund war hochspezifisch: Bei zwei anderen bekannten genetischen Risikofaktoren für
ADHS wurde weder was den klinischen Status noch was den charakteristischen Verlauf der kortikalen Entwicklung anbelangt ein vergleichbarer
Zusammenhang gefunden.
Bei Kindern mit der Genvariante 7-Repeat-Allel fanden die Forschenden
ein unverkennbares kortikales Entwicklungsmuster: In Regionen, die für
die Kontrolle der Aufmerksamkeit bedeutsam sind, war der Kortex anfänglich dünn, wurde dann jedoch dicker und näherte sich bei ca. 16-Jährigen
der Entwicklungskurve von gesunden Kindern.
28
In einer früheren Studie hatte dieselbe Forschungsgruppe berichtet, mit
diesem kortikalen Entwicklungsmuster sei ein besserer klinischer Status
der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung verbunden. Die Untersuchung aus dem Jahr 2007 brachte die Genetik sowohl mit dem klinischen
In der Kindheit auftretende Störungen
Adrian Bird und Mitarbeitende am Wellcome Trust
Centre for Cell Biology in
Schottland beeinflussten
die Produktion des Proteins
MeCP2 in einem Mausmodell des Rett-Syndroms.
Sie stellten fest, dass die
Wiederherstellung der
MeCP2-Produktion die
Symptome beseitigte.
Bild als auch mit der kortikalen Entwicklung in Zusammenhang und lässt
hoffen, dass solche genetische Informationen künftig in die klinische
Behandlung einfliessen werden.
Rett-Syndrom Fortschritte
Das Rett-Syndrom beruht auf Genmutationen des Methyl-CpG Bindungsproteins 2 (MeCP2) und betrifft vor allem Mädchen. Die Symptome
entwickeln sich in der frühen Kindheit und führen dazu, dass die Sprache
und normale Bewegungen, insbesondere der Gebrauch der Hände, verloren gehen. Pathologische Atemmuster und Parkinson ähnliches Zittern
sind häufig.
Frauen mit Rett-Syndrom haben ein mutiertes und ein normales MeCP2Gen. Deshalb eignen sich weibliche Mäuse mit einem Stopp-Gen auf dem
einen X Chromosom am besten als genetisches Modell für diese Krankheit. Bei diesen Mäusen entwickeln sich im Alter von 4 – 12 Monaten Rett
ähnliche Symptome – Zittern sowie Störungen der Beweglichkeit und der
Gangart – und diese Symptomatik bleibt während einer offenbar normalen
Lebensdauer bestehen.
Zwar haben die Neuronen weniger Ausläufer als normal, doch gibt es
weder im Mausmodell noch bei vom Rett-Syndrom betroffenen Menschen
29
CrH Expression ist erhöht in MeCP2308 Mäusen
Wild-Typ
MeCP2308
Paraventrikulärer
Hypothalamus
CrH Expressions Level
stark
schwach
Mutationen des Proteins MeCP2 verursachen das Rett-Syndrom. Mit diesen Mutationen gezüchtete Mäuse zeigen erhöhte Spiegel des Stresskontrollhormons Corticotrophin freisetzendes Hormon (CrH) im Hypothalamus, was wahrscheinlich zu Stress
und Angst beiträgt, Symptome, die für Rett typisch sind.
Hinweise auf einen Verlust an Nervenzellen – dies im Gegensatz zu degenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Chorea Huntington oder Alzheimer. Da die fehlerhaften Neuronen am Leben bleiben, fragten sich Forschende am Wellcome Trust Centre for Cell Biology an der Edinburgh
University in Schottland, ob eine Wiederherstellung des MeCP2-Proteins
die Funktionsfähigkeit der Nerven bewahren und die Mäuse „heilen“
könnte.
Adrian Bird und Mitarbeitende überprüften diese Hypothese, indem sie
ins MeCP2-Gen der Maus eine „Stopp-Kassette“ einfügten, welche die
Produktion des MeCP2-Proteins verhinderte; diese Studie erschien im
Februar in Science 3. Das Stopp-Gen konnte nach Belieben reaktiviert
werden, indem man der Maus Tamoxifen injizierte; dieses setzte eine
Reihe molekularer Abläufe in Gang, die zur Deletion der Stopp-Kassette
führten und auf diese Weise das MeCP2-Gen reaktivierten, so dass es das
Protein herstellte.
30
Die Forschenden verabreichten Tamoxifen erst, nachdem sich bei den
weiblichen Mäusen das volle Krankheitsbild entwickelt hatte. Sobald das
MeCP2-Gen wieder dazu gebracht wurde, MeCP2-Protein zu produzieren,
Versuche mit Tamoxifen wurden auch an männlichen Mäusen durchgeführt, bei denen bereits Symptome aufgetreten waren. Auch bei ihnen
verschwanden die meisten oder alle Symptome, wenn das MeCP2-Gen
wieder hergestellt war, und die Mäuse erreichten ein der normalen
Lebenserwartung entsprechendes Alter.
Da diese Ergebnisse annehmen lassen, dass die Symptome des RettSyndroms potentiell reversibel sind, könnten sie zu ähnlichen Forschungsarbeiten im Hinblick auf verwandte Autismus-Spektrum-Störungen anregen.
In der Kindheit auftretende Störungen
hörte überraschenderweise das Zittern auf und Atmung, Beweglichkeit
sowie die Gangart der Mäuse, die zuweilen wenige Tage vor dem Tod
standen, normalisierten sich. Dass ausserdem auch die elektrophysiologischen Funktionen der weiblichen Mäuse wieder hergestellt waren, belegten Messungen des Reaktionsvermögens von stimulierten Nervenzellen.
Wichtiges Enzym bei Fragilem-X
Ähnlich ermutigende Ergebnisse erzielte eine von Nobelpreisträger Susumu
Tonegawa geleitete Forschungsgruppe am Massachusetts Institute of
Technology bezüglich des Fragilen-X-Syndroms, der häufigsten erblichen
Art von Entwicklungsverzögerung, die vor allem männliche Personen
betrifft. Die Arbeit erschien in der Juli-Ausgabe von Proceedings of the
National Academy of Sciences 4.
In dieser Studie an einem Mausmodell des Fragilen-X-Syndroms wiesen
die Tiere ähnliche Symptome auf wie von der Krankheit betroffene Menschen: Hyperaktivität, repetitive Bewegungen, Aufmerksamkeitsdefizite
und Schwierigkeiten mit Lern- und Gedächtnisaufgaben.
Auch die strukturellen Abweichungen der Versuchstiere glichen jenen, die
man bei Menschen festgestellt hatte. Die Neuronen im Gehirn der betroffenen männlichen Personen haben viele dendritische Dorne, die jedoch
länger und dünner sind als normal und schwächere elektrische Signale
übertragen als jene von nicht betroffenen Personen. Dendritische Dorne
sind kleine Ausstülpungen auf den Dendriten-Ästen von Neuronen; sie
empfangen chemische Signale von anderen Neuronen und leiten sie zum
Zellkörper weiter.
Die Forschenden nahmen an, die Hemmung eines bestimmten Enzyms im
Gehirn könnte ein wirksamer Weg sein, diesen strukturellen Veränderungen
31
und den schwer beeinträchtigenden Symptomen des Fragilen-XSyndroms zu begegnen. Das Enzym p21-aktivierte Kinase beeinflusst
Zahl, Grösse und Form der Verbindungen von Neuronen im Gehirn.
Wenn sie die Aktivität des Enzyms blockierten, bildeten sich bei Mäusen
die abnormen Strukturen der neuronalen Verbindungen zurück. Darüber
hinaus förderte die Hemmung des Enzyms die elektrische Kommunikation
zwischen Neuronen im Gehirn der Mäuse und damit besserten sich auch
ihre Verhaltensauffälligkeiten.
Da die Genexpression, welche p21-aktivierte Kinase hemmt, nach der
Geburt auftritt, könnte es eines Tages möglich sein, durch Präparate,
welche die Aktivität des Enzyms hemmen, bereits bei kleinen Kindern mit
Fragilem-X-Syndrom geistige Einbussen zu verhindern oder zu beheben.
32
Bewegungsstörungen und
andere Störungen der Motorik
Chorea Huntington
34
Parkinson-Krankheit
37
33
D
ie Erforschung der Chorea Huntington und der Parkinson-Krankheit
liess 2007 die genetischen und molekularen Grundlagen dieser Bewegungsstörungen deutlicher erkennen, offenbarte aber zugleich, wie überaus kompliziert diese sind und mässigte dadurch übertriebene Hoffnungen auf Behandlungsfortschritte. Von Seiten der Forschung wird betont,
für ein besseres Verständnis dieser beiden Krankheiten seien tiefere Einblicke in die molekularen Aktivitäten innerhalb der Hirnzellen notwendig.
Chorea Huntington
Menschen, bei denen sich Chorea Huntington entwickelt, kommen mit
der Genmutation, welche diese Krankheit verursacht, zur Welt, doch zeigen sich Symptome oft erst, wenn sie in den Vierzigern sind. Diese lange
zeitliche Verzögerung war für die Wissenschaft ein Rätsel; nun beginnen
sich aber Erklärungen abzuzeichnen.
Cynthia T. McMurray und Mitarbeitende an der Mayo Clinic und andernorts kamen 2007 zu einem Aufsehen erregenden Befund bezüglich
Chorea Huntington: sie führten den Krankheitsprozess auf die gewöhnliche Oxidation und Reparatur der DNA zurück, deren Schlüsselrolle beim
Alterungsvorgang seit langem bekannt ist.
Während des ganzen Lebens binden in jeder Zelle Sauerstoffatome an
Nukleotide des DNA-Strangs. Enzyme der Zelle schneiden diese oxidierten
Fragmente heraus und reparieren die DNA. In einem Aufsatz in Nature weist
McMurray nach, dass bei Trägern der Chorea Huntington-Mutation dieser
Vorgang dazu führt, dass die Zahl der zur Zeit der Geburt auf Chromosom 4
bestehenden Wiederholungen einer aus drei Basen – Cytosin, Adenin und
Guanin (CAG) – bestehenden Sequenz zunimmt 1. Diese Sequenz enthält
Bauanweisungen für das Huntingtin-Protein, welches benötigt wird, um
Neurotransmitter vom Zellkörper durch das Axon zur Synapse zu transportieren, wo die Kommunikation zwischen Zellen stattfindet.
34
Normalerweise haben Menschen 10-35 CAG-Wiederholungen auf Chromosom 4. Bei Personen mit 40 oder mehr CAG-Wiederholungen treten
schliesslich Symptome der Chorea Huntington auf und zwar desto früher,
je höher die Zahl der Wiederholungen ist. So kam es beispielsweise bei
einem Kind mit 95 Wiederholungen bereits im Alter von drei Jahren zu
Anfällen, einer Verminderung der intellektuellen Fähigkeiten und neuromuskulären Störungen; mit elf Jahren starb es an Chorea Huntington.
Die normale DNA-Reparatur tendiert dazu, die Zahl der CAG-Wiederholungen zu erhöhen, meint McMurray. Verantwortlich dafür sei ein einziges
Enzym, das OGG1, das Neuronen zur Produktion einer zunehmend toxischen Form des Huntingtin-Proteins veranlasst, das zu viel Glutamin, eine
für den Zellstoffwechsel notwendige Aminosäure, enthält. Dieses zusätzliche Glutamin bewirkt, dass das Huntingtin-Protein klebrig wird, verklumpt und im Nukleus Zusammenballungen bildet. Das setzt eine
Kaskade von zellulären Fehlfunktionen in Gang, die schliesslich zur Entstehung von Symptomen der Chorea Huntington führen.
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
Hirnscans zeigen den
auffallenden Unterschied zwischen einer
gesunden Person
(links) und einer mit
der HuntingtonKrankheit (rechts).
Diese Beobachtung stimmt mit der linearen Beziehung zwischen der Zahl
von CAG-Wiederholungen und dem Alter des Krankheitsausbruchs
überein. Bei Personen, die von Geburt an eine grosse Zahl von CAGWiederholungen aufweisen, treten schon früh Symptome auf, wohingegen bei jenen, die mit einer kleineren Zahl von Wiederholungen geboren
wurden, Symptome erst dann auftreten, wenn dieser DNA-Reparaturvorgang Zeit hatte, die Zahl der CAG-Wiederholungen auf ein toxischeres
Niveau zu erhöhen.
Bei Mäusen ohne OGG1-Enzym, wurde die CAG-Expansion massiv
unterdrückt, ohne dass schädliche Auswirkungen aufgetreten wären
– ein Hinweis darauf, dass die DNA-Wiederherstellung möglicherweise durch „Backup“-Enzyme ausgeführt wurde. Somit scheint dieses
Enzym ganz spezifisch für eine Förderung der CAG-Expansion verantwortlich zu sein; wenn man also OGG1 bei Menschen auf irgendeine
Weise blockieren könnte, liesse sich möglicherweise die durch Chorea
Huntington verursachte Schädigung entscheidend hinauszögern oder
gar verhindern.
35
Forschende in Cambridge und Harvard versuchten die toxischen Wirkungen des mutierten Huntingtin-Proteins auf andere Weise zu vermindern; sie
brachten Zellen dazu, die toxischen Ablagerungen wirksamer zu entsorgen.
In einem Aufsatz in Nature Chemical Biology berichten Stuart L. Schreiber,
David C. Rubinsztein und Mitarbeitende, wenn man der Hefe so genannte
„Klein-Molekül-Verstärker“ beimische, fördere dies die Autophagie –
einen Zellvorgang zum Abbau fehlerhafter und falsch gefalteter Proteine,
etwa mutiertem Huntingtin 2. Wenn es gelingen würde, die Autophagie
bei Personen mit Chorea Huntington anzuregen, würde dies die Produktion von Huntingtin zwar weder verlangsamen noch stoppen, doch könnte
der wirksamere Abbau toxischer Ablagerungen nach Meinung der Forschenden das Auftreten von Symptomen hinauszögern.
Mutiertes Huntingtin-Protein scheint jedoch noch viele andere Probleme
zu verursachen; diesen gehen Elena Cattaneo und Mitarbeitende an der
Universität Milano nach.
Normales Huntingtin stimuliert z. B. die Produktion eines Nervenwachstumsfaktors im Gehirn (brain-derived neurotrophic factor; BDNF); dieses
Protein fördert das Überleben bestehender Neuronen sowie die Entwikklung von Synapsen und neuen Neuronen. Bei von Chorea Huntington
Betroffenen sterben Neuronen im Striatum ab, was Spastik und viele weitere Symptome verursacht. Im Jahr 2001 zeigten Cattaneo und Mitarbeitende, dass Huntington-Kranke ein niedrigeres BDNF-Niveau aufweisen 3.
Die Forschende hätten diesen Cholesterinmangel auch im Mausmodell
der Chorea Huntington gefunden; für dieses Defizit machen sie dasselbe
mutierte Huntingtin-Protein verantwortlich, das auch bei Menschen
mit Chorea Huntington vorkam.
36
Ausgehend von dieser Entdeckung gelang es ihnen 2007 die Fehlfunktion
einem regulierenden Genabschnitt zuzuweisen, der sich bei HuntingtonKranken auf BDNF auswirkt 4. Allerdings liegt dieser Abschnitt in einer
Region mit über 1000 Genen, die nicht nur BDNF beeinflussen; dies lässt
vermuten, dass bei Huntington-Kranken möglicherweise auch andere,
Neuronen beeinflussende Gene eine Fehlfunktion aufweisen. Zurzeit sucht
Cattaneos Gruppe nach Molekülen, welche die Aktivität von normalem
Huntingtin imitieren und die Expression von BDNF und verwandten Genen
steigern. Bisher haben sie drei Wirkstoffe bestimmt, welche die Produktion
von BDNF in von Chorea Huntington betroffenen Zellen steigern 5.
Die Forschenden vermuten, die Signalübertragung von BDNF übe einen
direkten Einfluss auf die Biosynthese von Cholesterin aus – eine Hypothese, die einen Zusammenhang zwischen zwei anscheinend unabhängigen Fehlfunktionen herstellt.
Zwar ist eine Heilbehandlung bei Chorea Huntington erst möglich, wenn
es gelingt, die für das fehlerhafte Huntingtin-Protein verantwortlichen
DNA-Wiederholungen zu verhindern, doch zeigt eine neuere Studie, dass
ein kleines Molekül C2-8 die Zusammenballung von mutiertem Huntingtin
in Zellen hemmen und dadurch die Entwicklung der Symptome zumindest
verlangsamen könnte 9.
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
Indem BDNF die Menge von Cholesterin in synaptischen Bläschen erhöht,
scheint er auch die Bildung von Synapsen zu regulieren 6. 2005 stellten
Cattaneo und Mitarbeitende fest, dass Zellen und Gewebe von Huntington-Kranken zu wenig Cholesterin enthielten und dass eine ergänzende
Cholesterinzufuhr die von der Krankheit am meisten betroffenen Neuronen im Striatum vor dem Untergang bewahrte 7. In einem Paper in Human
Molecular Genetics berichten Cattaneo und Mitarbeitende, sie hätten
diesen Cholesterinmangel auch im Mausmodell der Chorea Huntington
gefunden; für dieses Defizit machen sie dasselbe mutierte HuntingtinProtein verantwortlich, das auch bei Menschen mit Chorea Huntington
vorkam 8.
Parkinson-Krankheit
Im Jahr 2007 wurden zwei neue Formen der Behandlung der ParkinsonKrankheit entwickelt, die darauf hoffen lassen, dass sie zumindest Symptome wie Tremor und Muskelsteifheit mildern können.
Forschende an der Northwestern University berichteten in Nature, es sei
ihnen gelungen, in einer bestimmten Hirnregion, der kompakten Zone der
Substantia nigra, Dopamin produzierende Neuronen zu „verjüngen“. Da
diese Neuronen bei Parkinson-Kranken zugrunde gehen, stehen dem
Gehirn nicht mehr genug Neurotransmitter zur Verfügung, um die normale Bewegungsfähigkeit aufrechtzuerhalten 10.
Für gewöhnlich dienen bei diesen Zellen Kalziumkanäle der Aufrechterhaltung des normalen Stoffwechsels. James Surmeier und Mitarbeitende
fanden jedoch heraus, dass sich genetisch veränderte Mäuse, die über
keine Kalziumkanäle verfügten, normal verhielten, da ihre Dopamin
37
produzierenden Zellen auch weiterhin jene Natriumkanäle verwendeten,
die normalerweise nur in der frühen Entwicklung aktiv sind.
Mittels Isradipin, einem Kalziumkanalblocker, blockierten sie die Kalziumkanäle in Neuronen, die sie normalen Mäusen entnommen hatten.
Während rund 30 Minuten funktionierten diese Zellen nicht mehr. Als
dann die bislang untätigen Natriumkanäle wieder zu funktionieren begannen, nahmen sie ihre Schrittmachertätigkeit wieder auf. Als die Forschenden Isradipin-Pellets unter die Haut von genveränderten ParkinsonModell-Mäusen implantierten, kam es bei diesen Tieren nicht zu den für
die Krankheit typischen motorischen Einbussen.
Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit von Isradipin, ergibt
sich aus der Tatsache, dass es einer Medikamentenklasse angehört, die zur
Behandlung von Bluthochdruck verwendet wird. Eine retrospektive Studie
deutet darauf hin, dass von Bluthochdruck betroffene Personen, die mit solchen Medikamenten behandelt wurden, seltener an Parkinson erkranken 11.
Auch dass Versagen der Mitochondrien, der Energie produzierenden Bläschen innerhalb der Zellen, kann den Untergang der Dopamin produzierenden Neuronen verursachen. Forschende an der Stanford University
wiesen nach, dass eine Mutation des Gens Pink1 mit einem gehäuften
Auftreten der Parkinson-Krankheit korreliert 12. Bei Fruchtfliegen, die mit
dieser Mutation gezüchtet wurden, degenerierten sowohl die Flugmuskulatur als auch die Dopamin produzierenden Neuronen.
Der Muskeldegeneration gingen Anomalien in den Mitochondrien, welche Energie für die Zellen produzieren, voraus. Die Forschenden halten
fest, die Funktionsstörung der Mitochondrien bei der Parkinson-Krankheit
beruhe vermutlich darauf, dass Pestizide, die bekanntlich das Krankheitsrisiko erhöhen, eine hemmende Wirkung auf die Mitochondrien ausüben.
Allerdings traten diese Probleme nicht auf, wenn die Fliegen genetisch so
verändert wurden, dass sie zu viel Parkin – ein Protein, das beim Abbau
von falsch gefalteten Proteinen mitwirkt – exprimierten; dies deutet darauf
hin, dass Pink1 und Parkin ihre Aktivität in einem gemeinsamen Wirkmechanismus entfalten, der bei Fruchtfliegen die Tätigkeit der Mitochondrien
und das Überleben der Zellen regelt.
38
Was die Behandlung anbelangt, weckte die Forschung im Jahr 2007
Hoffnungen auf die Möglichkeit einer Gentherapie. In der ersten
Gentherapie-Studie zur Parkinson-Krankheit wurden entscheidende Verbesserungen der Symptome ohne unerwünschte Wirkungen erzielt 13.
Forschende am New York-Presbyterian Hospital/Weill Cornell Medical
Center implantierten zwölf Kranken ein unschädliches Virus mit dem
Gen für das Enzym Glutaminsäure-Decarboxylase (glutamic acid decarboxylase; GAD). GAD produziert GABA, einen Neurotransmitter, der die
übermässige neuronale Entladung unterdrückt und koordinierte Bewegungen fördert.
Bewegungsstörungen und andere Störungen der Motorik
Yu-Hung Kuo, links, sieht zu, wie Michael Kaplitt vom New York-Presbyterian Hospital/
Weill Cornell Medical Center die Infusion eines Enzyms vorbereitet, das die Bewegung
von Parkinson-Kranken verbessern soll.
Das unschädliche Virus mit GAD wurde in den Nucleus subthalamicus
implantiert, in jenes Hirnzentrum also, das Bewegung steuert um, wie
Michael Kaplitt als Hauptautor ausführt, die Produktion von GABA anzuregen und auf diese Weise das normale Funktionieren wiederherzustellen.
(Im Jahr 2003 hatte Kaplitt die erste chirurgische Gen-Therapie bei Parkinson-Kranken durchgeführt.)
Um allfällige Risiken zu minimalisieren, wurde das unschädliche Virus nur
in eine Seite des Gehirns implantiert; da aber die Symptome der Kranken
in beiden Körperhälften gleichermassen auftreten, erlaubte es diese
Massnahme auch, Fortschritte zu erkennen und zu messen. Drei Monate
nach der Operation hatten sich die Bewegungsstörungen der gesamten
39
Patientengruppe, gemessen mit der Parkinsonskala (Unified Parkinson’s
Disease Rating Scale) um 25-30% gebessert. Bei Einigen betrug die Besserung 40-65%.
Derart eindrückliche Fortschritte lassen diese potentielle Therapie als
ebenso interessant erscheinen wie tiefe Hirnstimulation; letztere wird bei
Personen, welche keine medikamentöse Behandlung mehr ertragen,
bereits häufig zur Normalisierung der parkinsonschen Gang- und Bewegungsstörungen eingesetzt (vgl. auch Neuroethik, S. 52).
Kurzfristig ist tiefe Hirnstimulation bei Parkinson-Kranken das aussichtsreichste Verfahren. Bei der Therapie werden Elektroden in den Nucleus
subthalamicus, eine tief im Gehirn gelegene Region, implantiert. Diese
Elektroden werden dann stimuliert und regulieren die elektrische Kommunikation von Nervenzellen innerhalb von Hirnschaltkreisen und zwischen
ihnen. Auf diese Weise blockiert tiefe Hirnstimulation die pathologischen
Signale, welche die motorischen Symptome der Parkinson-Krankheit, insbesondere den Tremor, hervorrufen.
Im Jahr 2007 gingen Forschende in Italien bei der tiefen Hirnstimulation
einen Schritt weiter und platzierten Elektroden in eine neue Region, den
Nucleus pedunculopontinus, der fürs Gehen sehr bedeutsam ist 14. Sechs
Parkinson-Kranke, die auf Medikamente nicht gut ansprachen, zeigten
gute Erfolge bei implantierten Elektroden, die den Nucleus pedunculopontinus mit einer Frequenz von 25 Hz und den Nucleus subthalamicus
mit 185 Hz stimulierten. Insgesamt betrug die Verbesserung über 60% auf
der Beurteilungsskala – weitaus mehr als durch die Stimulation nur einer
Hirnregion oder durch medikamentöse Behandlung erreicht wurde.
Tiefe Hirnstimulation ist heute eine zugelassene und anerkannte Therapie
für Parkinson-Kranke, deren Symptome nicht mehr mit L-DOPA behandelt
werden können oder bei denen die Nebenwirkungen einer langfristigen LDOPA-Behandlung zu schweren Beeinträchtigungen geführt haben.
40
Wissenschaftliche Studien zur tiefen Hirnstimulation untersuchen weiterhin, wo Elektroden im Gehirn platziert werden sollen, um Symptome am
wirksamsten zu mildern. Eine weitere neuere Studie ergab, dass sich tiefe
Hirnstimulation sogar neuroprotektiv auf die Dopamin produzierenden
Zellen in der Substantia nigra auswirken könnte, die im Verlauf der Krankheit degenerieren 15.
Schädigungen
des Nervensystems
Ein Schlaganfall erfordert schnelles Handeln
42
Mit molekularer Präzision Hirntumoren anvisieren
44
Rückenmarkverletzung: Den Weg für klinische
Studien bahnen
47
41
S
chädigungen des Nervensystems umfassen verschiedenartige Störungen, die Gehirn und Rückenmark betreffen, einschliesslich Schlaganfall,
Rückenmarkverletzungen und Hirntumoren. Im Jahr 2007 wiesen Forschende nochmals deutlich darauf hin, dass ein Hirnschlag schnelles
Handeln erfordert; ausserdem wurden neue Ansätze zur Behandlung von
Hirntumoren getestet und Verbesserungen der klinischen Versuche bei
Rückenmarkverletzungen erarbeitet.
Ein Schlaganfall erfordert schnelles Handeln
Dass die Betroffenen frühzeitig hospitalisiert und dort angemessen behandelt werden, steht für die klinische Hirnschlagforschung weiterhin im
Vordergrund; neue Daten aus Europa lassen die Nachbehandlung von
Personen mit transitorischen neurologischen Symptomen als ebenso
dringlich erscheinen.
Im Mai brachten die American Heart Association und die American Stroke
Association ihre Empfehlungen zur Akutbehandlung des Schlaganfalls auf
den neusten Stand; sie bestätigten, dass die Verabreichung des GewebePlasminogen-Aktivators (tissue plasminogen activator; tPA) vorrangig ist
und dass dieses gerinnungshemmende Mittel innert drei Stunden verabreicht werden muss, um Hirnschäden nach einem ischämischen Schlaganfall auf ein Minimum zu reduzieren (der ischämische Schlaganfall beruht
auf einem Sauerstoffmangel im Gehirn, der typischerweise daher rührt,
dass Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen, nicht mehr durchlässig
sind) 1. Die Empfehlungen fordern ausserdem eine bessere Vorbereitung
auf rasche Massnahmen bei Notaufnahmen in Spitälern und bei Erstversorgern; neue Daten der Centers for Disease Control and Prevention zeigen, dass weniger als die Hälfte der von einem Schlaganfall Betroffenen
innert zwei Stunden nach dem ersten Auftreten akuter neurologischer
Symptome ein Spital erreichen 2.
42
Während die Symptome bei einem schweren Schlaganfall oft offenkundig
sind (z. B. verschwommene Sicht, verwaschene Sprache oder Gefühllosigkeit bzw. Lähmung auf einer Körperseite), kommt es bei einer Ischämie
auch zu vorübergehenden Funktionsveränderungen des Gehirns, die
keine klinisch erkennbaren Symptome hinterlassen. Man spricht dann von
einer transitorischen ischämischen Attacke. Bildgebungsstudien weisen
bei vielen Personen mit transitorischen neurologischen Symptomen eine
Hirnschädigung nach, die auf einen subklinischen Schlaganfall hindeutet.
Schädigungen des Nervensystems
Wurde die Ursache einer Hirn-Ischämie (egal ob es sich dabei um eine
transitorische ischämische Attacke oder einen leichten klinischen Schlaganfall handelt) erst einmal manifest, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr
gross, dass diese Ursache ohne entsprechende Behandlung fortbesteht;
daher sind transitorische ischämische Attacken und leichte Schlaganfälle
ganz entscheidende Risikofaktoren für einen schweren Schlaganfall. Bei
Interventionen nach einer transitorischen ischämischen Attacke geht es
darum, in den darauf folgenden Wochen und Monaten weitere Schlaganfälle zu verhindern. Viele Hinweise lassen darauf schliessen, dass sich
Schlaganfälle durch eine Reduktion der entsprechenden Risikofaktoren
(dazu gehören hoher Blutdruck und ein erhöhter Cholesterinspiegel) verhindern lassen. Zwei im Oktober veröffentlichte Arbeiten betonen, dass
bei Personen, die eine transitorische ischämische Attacke erlitten haben,
unverzüglich mit einer solchen Behandlung begonnen werden muss.
Das erste Paper stammt vom Neurologen Peter Rothwell und Mitarbeitenden an der University of Oxford in England und erschien in Lancet; es
macht deutlich, dass Personen, die innerhalb von 24 Stunden nach einer
transitorischen ischämischen Attacke mit herkömmlichen präventiven
Therapien behandelt wurden, wesentlich weniger gefährdet waren, in den
folgenden drei Monaten einen Schlaganfall zu erleiden, als solche, die
keine unmittelbare Nachbehandlung erhielten 3. Insbesondere die Gefahr
eines rezidivierenden Schlaganfalls sank von 10% auf 2%; dies entspricht
einer Abnahme von 80%, was den Autoren zufolge, allein in Grossbritannien einer Verhinderung von jährlich 10 000 Schlaganfällen entspricht. In
die Studie einbezogen waren 600 Personen aus einer grösseren OxfordStudie, die das Auftreten von Schlaganfällen und transitorischen ischämischen Attacken bei nahezu 100 000 Personen verfolgt.
Die zweite Studie wurde vom Neurologen Pierre Amarenco, einem
Spezialisten für Schlaganfälle am Universitätsspital Bichat-Claude Bernard
in Paris geleitet und erschien in Lancet Neurology; auch sie bestätigt den
Nutzen einer frühzeitigen Intervention zur Vermeidung von Schlaganfällen 4. Die Forschenden werteten die Daten von 1085 Personen aus, die
mit dem Verdacht auf eine transitorische ischämische Attacke in eine rund
um die Uhr betriebene Klinik aufgenommen worden waren. Zu den
Notfallmassnahmen zählten Bildgebung des Gehirns, der Blutgefässe
und des Herzens. Personen, bei denen eine transitorische ischämische
Attacke festgestellt oder vermutet wurde, erhielten unverzüglich eine
Präventivbehandlung; dazu gehörten im Allgemeinen Medikamente zur
43
Senkung des Blutdrucks und/oder des Cholesterinspiegels sowie Aspirin
zur Hemmung der Blutgerinnung.
Bei etwa 5% der Kranken wurden Massnahmen zur Offenhaltung der
Karotis ergriffen, der Halsschlagader, die das Gehirn mit Blut versorgt. Sie
wurden entweder einer offenen Operation (Karotisendarterektomie)
unterzogen oder man platzierte einen transarteriellen Stent (ein „Gitterröhrchen“), um die Karotis zu erweitern (endovaskuläre Therapie).
Weitere 5% litten an Vorhofflimmern, einer Herzrhythmusstörung, die zur
Bildung von Blutgerinnseln im Herzen führen kann; um dieses Risiko zu
vermindern, wurden sie mit gerinnungshemmenden Medikamenten
behandelt. Solche Blutgerinnsel können nämlich vom Herzen ins Gehirn
wandern und einen Schlaganfall verursachen.
Bei den frühzeitig behandelten Personen betrug die Hirnschlagrate in den
auf die transitorische ischämische Attacke folgenden 90 Tagen etwas mehr
als 1%; demgegenüber lag die aufgrund früherer Beobachtungsstudien
erwartete Rate beinahe bei 6%. Zusammen mit dem Bericht in Lancet führten diese Erkenntnisse dazu, dass Fachleute weltweit auf neue Behandlungsnormen für Personen mit einer transitorischen ischämischen Attacke
drängen; als vorrangig gilt dabei die unverzügliche Beurteilung und
Behandlung zur Vermeidung eines Schlaganfalls.
Mit molekularer Präzision Hirntumoren anvisieren
Da wir immer noch nicht über wirksame Behandlungsansätze für Hirntumoren verfügen, richtet sich die Hoffnung heute vor allem auf die Entwicklung von Therapien, die Tumoren gezielt auf der molekularen Ebene
bekämpfen – wie es in der Krebsforschung ganz allgemein der Fall ist.
Ausserdem wächst die Einsicht, dass sich die besonders letalen Hirnkrebsarten wohl kaum durch eine einzige Therapie ausmerzen lassen; dies führt
zur vermehrten Erforschung von kombinierten Ansätzen, bei denen neue
Therapieformen die Standardbehandlungen, etwa Bestrahlung und
Chemotherapie, ergänzen.
44
Viele Forschende sind überzeugt, dass solche multimodalen Therapien für
Personen mit einem malignen Gliom – eine Familie von relativ seltenen Hirntumoren, die aber bereits während eines kurzen Zeitraums nach der Diagnose mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden ist – die grösste Hoffnung darstellen. Das multiforme Glioblastom, eines der aggressivsten
Mitglieder dieser Familie, war bis anhin besonders schwer behandelbar.
Schädigungen des Nervensystems
Rakesh Jain und Mitarbeitende am Massachusetts
General Hospital Cancer
Center untersuchten ein
Präparat, welches das
Wachstum von Hirntumor-Blutgefässen unterdrückt.
Das Aufdecken der spezifischen Signalfaktoren und -wege, welche Tumoren für Wachstum und Streuung nutzen, verhilft der klinischen Forschung
auf diesem Gebiet zu neuen Einsichten in die Pathogenese der Tumorentwicklung auf der molekularen Ebene. Die Verschiedenartigkeit von
Tumoren macht allerdings deutlich, dass es keinen „Einheits-Behandlungsansatz“ geben kann. Doch scheint es bezüglich einiger Elemente der
von Tumoren genutzten Bahnen Gemeinsamkeiten zu geben und auf
diese gemeinsamen Merkmale richtet sich die Forschung zu einem
grossen Teil.
Fachleute für Hirntumoren sind der Ansicht, ausschlaggebend für eine
verbesserte Behandlung maligner Gliome sei eine präzisere Auswahl
jener Personen, die mit der grössten Wahrscheinlichkeit auf spezifische
Therapien ansprechen, sowie eine Verbesserung der kombinierten
Behandlungsansätze.
Ein viel versprechender Weg besteht darin, die Blutzufuhr von Tumoren
zu unterbinden – ein Ansatz, der für viele Arten von Krebs erforscht wird.
Im Januar 2007 berichteten Rakesh Jain und Mitarbeitende vom Massachusetts General Hospital Cancer Center in Cancer Cell über erste Ergebnisse mit einem Forschungspräparat, welches das Wachstum jener Blutgefässe unterdrückt, die Tumoren versorgen 5. Das Präparat AZD2171
blockiert die drei Hauptrezeptoren für den vaskulären endothelialen
Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor); dieser fördert das Wachstum von Blutgefässen und kommt auf jenen Gefässen vor,
die Glioblastome versorgen. (Das Überleben voll entwickelter Blutgefässe
im normalen Gewebe beruht nicht auf VEGF.)
45
Die experimentelle Substanz erweist sich als viel versprechend im Hirnscan von Testpatienten, die am besten ansprechen. Die oben stehenden Zahlen entsprechen den
Tagen vor und nach dem Behandlungsbeginn. Die oberste Reihe zeigt, wie der Tumor
im Laufe der Zeit kleiner wird. Andere Reihen zeigen die Verkleinerung der Tumor-Blutgefässe, die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke und das Anschwellen in Gebieten
um den Tumor. Die letzte Reihe zeigt, wie die weisse Substanz beim Abklingen der
Schwellung sichtbar wird.
46
Bei der Hälfte von 16 Personen mit rezidivierendem Glioblastom, die
in einem Phase 2 klinischen Versuch mit AZD2171 behandelt wurden,
verkleinerten sich die Tumoren um 50% oder mehr und bei dreiviertel der
an der Studie Teilnehmenden um mindestens 25%. Die Bildgebung des
Forschende an der Duke University führten an 32 Personen mit fortgeschrittenem Gliom eine Phase 2 Studie durch, bei der sie einen anderen
Angiogenese-Hemmer, Bevacizumab (Avastin), und Chemotherapie mit
Irinotecan kombinierten. Erste Resultate wurden von James Vredenburgh
und Mitarbeitenden im Februar in Clinical Cancer Research publiziert; sie
deuten darauf hin, dass die Kombination gegen diese letale Tumorart wirksam ist und eine „akzeptable“ Toxizität aufweist 6. Bei nahezu Zweidrittel
der Kranken verkleinerte sich der Tumor um mindestens 50% und bei 38%
hatte auch nach sechs Monaten kein neues Tumorwachstum eingesetzt.
Im Gegensatz dazu verlangsamt Chemotherapie allein das Wachstum von
Gliomen normalerweise nur während eines Zeitraums von sechs Wochen
bis drei Monaten.
Schädigungen des Nervensystems
Gehirns zeigte eine rasch einsetzende Normalisierung der Blutgefässe
(bei einigen Kranken begann sie bereits nach einer einzigen Dosis des
Medikaments) und einen Rückgang der Hirnschwellung, einem häufigen
Problem bei Hirnkrebs. Der Versuch ist noch im Gang und die Forschenden beabsichtigen, das Präparat in Kombination mit herkömmlichen
Krebstherapien bei neuen Glioblastom-Patienten zu untersuchen.
Vredenburgh und weitere Fachleute für Hirntumoren sind der Ansicht, ausschlaggebend für eine verbesserte Behandlung maligner Gliome sei eine
präzisere Auswahl jener Personen, die mit der grössten Wahrscheinlichkeit
auf spezifische Therapien ansprechen, sowie eine Verbesserung der kombinierten Behandlungsansätze. Notwendig seien auch bessere klinische Studiendesigns, um in kürzester Zeit ein Maximum an Informationen zu erhalten.
Rückenmarkverletzung: Den Weg für klinische Studien bahnen
Bessere klinische Studiendesigns stehen auch bei der Erforschung des
Rückenmarks im Vordergrund, geht es doch auf diesem Gebiet zunehmend darum, Ergebnisse der Grundlagenwissenschaft auf Therapieansätze
zu übertragen. Im März 2007 veröffentlichte ein internationales, fachübergreifendes Forschungsgremium in Spinal Cord eine Serie von vier Aufsätzen mit den ersten Empfehlungen für klinische Studien bei Rückenmarkverletzungen 7-10.
Die von der International Campaign for Cures of Spinal Cord Paralysis
unternommene Anstrengung versucht für möglicherweise wirksame
Methoden, die zurzeit in präklinischen Studien getestet werden, Kriterien
aufzustellen, die robuste, realistische und nützliche klinische Studien
47
ermöglichen. Das Gremium ruft dazu auf, bei der Planung und Durchführung von Humanstudien die Messgrössen, die Ein- und Ausschlusskriterien und die Ethik rigoros und einheitlich zu handhaben.
Die Autoren hielten beispielsweise fest, die Messgrössen müssten anatomische und neurologische Bestimmungen umfassen, welche die „Wiederverbindung“ des Rückenmarks belegen; ausserdem brauche es Kriterien, um
beurteilen zu können, welche Aktivitäten des täglichen Lebens den Kranken
möglich sind, sowie Erhebungen der Lebensqualität. Was die Ein- und Ausschlusskriterien anbelangt, hält das Gremium fest, die an der Studie teilnehmenden Personen müssten einen Verletzungsgrad aufweisen, für den
bereits Daten aus Tierversuchen oder früheren Humanstudien vorliegen,
welche ein positives Resultat der Intervention erwarten lassen; ausserdem
müssten Schwere, Ausmass, Art und Grösse der Verletzung und die Wahrscheinlichkeit, dass die Kranken von einer experimentellen Therapie profitieren können, in einem günstigen Verhältnis stehen. Weiter betonen die
Autoren, es sei nötig, dass Studienteilnehmende eine Einverständniserklärung abgeben, nachdem sie klar und angemessen über Risiken, Vorteile und
wissenschaftlichen Gründe experimenteller Therapien aufgeklärt wurden.
Prospektive, randomisierte Doppelblindstudien mit einer angemessenen
Kontrollgruppe hält das Gremium für optimal, wobei es anerkennt, dass
allenfalls in gewissen Situationen andere Studiendesigns in Betracht gezogen werden müssen.
48
Zu diesen Empfehlungen hatte wohl zum Teil die Frustration von Forschenden der westlichen Welt geführt, als sie versuchten, die Wirksamkeit unkontrollierter Humanstudien zu beurteilen. Da es im Bereich von
Rückenmarkverletzungen keine wirklich wirksame Therapie gibt, nehmen
verzweifelte Kranke und ihre Angehörigen jede nur denkbare Behandlung
in Kauf. Dies hatte zur Folge, dass sie und gewisse Forschende bereit
waren, alles zu versuchen. Besonders problematisch wurde dies in
Ländern, in denen die klinische Forschung keinerlei Regeln unterworfen
ist; dazu gehört auch China, wo Kranke mit Rückenmarkverletzungen
massenhaft unerprobten Stammzelltransplantationen unterzogen werden.
Das Gremium möchte auch Probleme mit klinischen Studiendesigns verhindern, welche früher bei der Suche nach Behandlungen komplexer neurologischer Erkrankungen aufgetreten waren – so etwa die unzureichende
Empfindlichkeit der Messgrössen bei klinischen Studien zu neuroprotektiven Therapien des Schlaganfalls.
Neuroethik
Vermarktung der Lügendetektion
50
Tiefe Hirnstimulation bei schwerer Depression
52
Genetische Grundlagen von Abhängigkeit
53
Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken
54
49
D
ie ethischen Implikationen der vielen und rasanten Fortschritte der
Neurowissenschaft fördern weiterhin das Wachstum der Neuroethik, so
dass diese im grösseren Bereich der Bioethik einen immer prominenteren
Platz einnimmt. Seit dem Jahr 2007 publiziert das American Journal of
Bioethics zwölf statt sechs Hefte – dies auch deshalb, weil es der Neuroethik jährlich drei ganze Hefte widmen möchte. Diese Spezialhefte, die
so genannten AJOB Neuroscience, sind heute das offizielle Journal der
Neuroethik.
Vier bedeutende Entwicklungen haben im vergangenen Jahr Diskussionen und Debatten hervorgerufen: die Vermarktung der Lügendetektion;
das Ansinnen, tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Depressionen
einzusetzen; Fortschritte im Verständnis der genetischen Grundlagen von
Abhängigkeit; sowie Verbesserungen der Bildgebung des Gehirns zu
diagnostischen Zwecken.
Vermarktung der Lügendetektion
Da es in den letzten Jahren immer besser gelang, die Aktivität in verschiedenen Hirnregionen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (functional magnetic resonance imaging; fMRI) abzubilden,
wuchs auch das Interesse daran, diese Technik für das Aufdecken von
Lügen einzusetzen. Obwohl erst Vorversuche gemacht wurden und
die Resultate problematisch sind, haben bereits zwei Firmen auf fMRI
basierende Produkte und Dienstleistungen zur Lügendetektion entwickelt: Cephos Corporation und No Lie MRI. Als mögliche Verwendungszwecke nennen die Firmen die Ermittlung bei Verbrechen, Anhörungen zu bedingter Haftentlassung und Sorgerecht, Spionageabwehr
sowie Befragungen, die mit Versicherungsrecht und Staatssicherheit
zusammenhängen.
50
Im Jahr 2007 veröffentlichte das American Journal of Law and Medicine
einen Aufsatz von Henry Greely (Stanford) und Judy Illes (sie ist inzwischen an der University of British Columbia), in dem sie die bisherigen Forschungsresultate der auf fMRI beruhenden Lügendetektion analysieren
und dringend zum Erlass von Richtlinien aufrufen 1. Die Autoren geben zu
bedenken, dass es sich zwar um eine viel versprechende Technik handle,
dass aber ihre Zuverlässigkeit für die reale Welt durch die bisherigen
Studien in keinerlei Weise erwiesen sei, zumal es in den Experimenten um
künstliche und triviale Lügen gehe.
Neuroethik
In einer gemeinsam mit Henry
Greely verfassten Publikation
hat Judy Illes zum Erlass von
Richtlinien aufgerufen, welche
die auf funktioneller Magnetresonanztomographie beruhende
Lügendetektion regeln. Den
Autoren zufolge hat sich dieses
Verfahren in Studien nicht als
zuverlässig erwiesen.
Ausserdem sei keine einzige dieser an kleinen Stichproben durchgeführten Studien durch unabhängige Forschende bestätigt worden, und
die Möglichkeit, dass Versuchspersonen Gegenmassnahmen getroffen
hätten, um die Lügendetektoren auszutricksen, habe man nicht in
Betracht gezogen. Das von den Autoren vorgeschlagene Kontrollsystem
– es entspricht den FDA (Food and Drug Administration)-Kontrollen für
die Verwendung von Medikamenten – würde verlangen, dass Firmen, die
Verfahren zur Lügendetektion vermarkten wollen, deren Genauigkeit und
Leistungsfähigkeit mit gross angelegten Studien belegen. Aufgrund einer
derartigen Regelung wäre die Vermarktung dieser Technik ohne behördliche Zulassung gesetzwidrig.
Gemeinsam mit Margaret Eaton in Stanford verfasste Illes auch einen
Kommentar für die im April 2007 erschienene Ausgabe von Nature Biotechnology, der einige ethische, soziale und politische Aspekte im
Zusammenhang mit der Vermarktung der kognitiven Neurotechnologie im
Allgemeinen behandelt 2. Sie äussern unter anderem Bedenken bezüglich
der Präzision, der Privatsphäre des Gehirns und der Vertraulichkeit sowie
potentiellen Interessenkonflikten bei jenen, die diese Techniken auf den
Markt bringen.
Eine besondere Gefahr einer unkontrollierten Lügendetektions-Industrie
ist die Ausbeutung der verletzlichsten Gruppen der Bevölkerung, etwa
jener, die an neurologischen oder psychiatrischen Störungen leiden. Allerdings scheint unsere Gesellschaft derart auf Geräte zur Lügendetektion
erpicht zu sein, dass zahlreiche Personen deren angeblicher Brauchbarkeit
noch so gern Vertrauen schenken, so die Autoren.
51
Tiefe Hirnstimulation bei schwerer Depression
Nachdem tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation; DBS) zur Behandlung der körperlichen Parkinson-Symptome so erfolgreich war und nachdem Bildgebungsstudien eine spezifische Hirnregion identifiziert hatten,
die bei Depression involviert ist und mittels tiefer Hirnstimulation behandelt
werden könnte, begannen Forschende an einer kleinen Zahl von Personen
mit behandlungsresistenter Depression klinische Studien mit dieser Technik durchzuführen. Im Jahr 2005 veröffentlichte Befunde belegten für viele
dieser operierten Kranken beachtliche Symptomverbesserungen, doch 2007
begann man, diese Behandlung einer ethischen Prüfung zu unterziehen.
Da tiefe Hirnstimulation auch als Methode zur Behandlung der ParkinsonKrankheit relativ neu ist, erkennen die Forschenden nun auch unerwartete
Risiken. Eine in Acta Neuropsychiatrica veröffentlichte Fallstudie zeigte im
Juni 2007, dass geringfügige Verschiebungen des Kontakts oder der Spannung der Elektrode bei zwei Parkinson-Kranken eine lebensbedrohliche
(mit Selbstmordabsichten einhergehende) Depression auslösten 3.
Forschende stellen fest, dass Fragen der Sicherheit zwar immer wichtig
seien, doch wenn es um die Behandlung schwer beeinträchtigender oder
gar letaler Krankheiten wie Parkinson gehe, seien Menschen bereit,
beachtliche Risiken einzugehen. Depression ist wesentlich brisanter:
Einige Patientenvereinigungen sind der Ansicht, diese Diagnose werde zu
häufig gestellt; andere meinen, selbst die tatsächlich Betroffenen müssten
lernen, mit ihr zu leben; und wiederum andere erinnern daran, dass viele
Antidepressiva zur Verfügung stehen.
Allerdings ist tiefe Hirnstimulation für behandlungsresistente Depressionen bestimmt, also für solche, die nicht auf Medikamente ansprechen.
Und ohne wirksame Behandlung können Kranke schwer beeinträchtigt
und manchmal auch suizidgefährdet sein.
Für die tiefe Hirnstimulation zur Depressionstherapie und für andere
klinischen Indikationen fehlen zur Zeit die Richtlinien. Daher traf sich im
Jahre 2007 eine Gruppe führender Forscher und Forscherinnen auf diesem
Gebiet, um in einer Consensus-Konferenz Richtlinien zur experimentellen
Anwendung tiefer Hirnstimulation zu entwerfen.
52
Auch die Einverständniserklärung weckt ethische Bedenken. Aufgrund von
Wahrnehmungsstörungen und Verzweiflung als möglichen Begleiterschei-
Neuroethik
nungen von schweren Depressionen, kann die Urteilsfähigkeit von Kranken
stark beeinträchtigt sein. Über dieser ganzen Debatte schwebt das Schreckgespenst der Elektrokrampftherapie, deren therapeutischer Nutzen zwar
unbestritten, deren Anwendung jedoch weiterhin höchst kontrovers ist.
Genetische Grundlagen von Abhängigkeit
Im Jahr 2007 wurden mehrere wissenschaftliche Artikel über Gene publiziert, die für Abhängigkeiten verantwortlich sein können. Beispielsweise
veröffentlichten Colin Haile und Mitarbeitende in Behavior Genetics 4
einen Artikel mit dem Titel „Genetics of Dopamine and Its Contribution to
Cocaine Addiction“ (Genetik des Dopamin und ihr Beitrag zu Kokainabhängigkeit). Joel Gelernter und Mitarbeiter publizierten den in Biological
Psychiatry 5. erschienenen Artikel „Genomewide Linkage Scan for Nicotine
Dependence: Identification of a Chromosome 5 Risk Locus“ (Linkage Scan
des gesamten Genoms bezüglich Nikotinabhängigkeit: Identifizierung
eines Risiko-Locus auf Chromosom 5).
Mit dem Nachweis, dass Gene gewisse Personen zu Suchtverhalten
prädisponieren, sind ethische Fragen verbunden.
Was Alkohol anbelangt, legte Charles O’Brien 6 2007 in einem Kommentar
der November-Ausgabe von Addiction dar, es zeige sich immer deutlicher,
dass eine Genvariante des Mu-Opiatrezeptors im Gehirn mit einer verstärkten Anfälligkeit für Alkoholeuphorie, einem erhöhten Risiko für Alkoholismus, einem erhöhten Risiko für Opiatabhängigkeit und einem guten
klinischen Ansprechen auf das in klinischen Alkoholismusstudien verwendete Medikament Naltrexon verbunden sei.
Mit dem Nachweis, dass Gene gewisse Personen zu Suchtverhalten prädisponieren, sind ethische Fragen verbunden. Ein Fragenkomplex betrifft
die Untersuchung an sich. Sollen wir bestimmte Gene überhaupt überprüfen, wenn sie zwar zu Sucht beitragen, diese aber nicht absolut bestimmen? Wie gross muss der Vorhersagewert der Gene oder ihre Bedeutung
im Hinblick auf die Wahl einer Therapie sein, damit wir uns für ihre Überprüfung entscheiden? Wie früh soll man mit der Überprüfung beginnen?
Wenn beispielsweise Eltern erfahren, dass ihr Kind zu Nikotinabhängigkeit
neigt, können sie entsprechende Vorkehrungen treffen, die Kinder etwa
besonders aufklären und vor Zigarettenwerbung schützen – das Wissen
kann aber auch zu Gängelung und übertriebener Angst der Eltern führen.
Die Kenntnis der eigenen Suchtgefährdung könnte auch zur selbst erfüllenden Prophezeiung werden.
53
Auch die Beratung wirft Fragen auf: Was soll ein Arzt oder eine Ärztin
Eltern sagen, deren Kind sich aufgrund seiner Gene mit grösserer Wahrscheinlichkeit zum Raucher, Alkoholiker oder Heroinsüchtigen entwickeln
wird? Noch heikler wird diese Frage, wenn die genetische Information in
utero zur Verfügung steht; manche Eltern könnten es sich nochmals überlegen, ob sie diese Schwangerschaft überhaupt wollen.
Das frühzeitige Wissen um eine Suchtgefährdung wirft auch die Frage auf,
ob Sucht hemmende Medikamente (etwa Naltrexon) vorbeugend, also
noch bevor sich eine Sucht entwickelt hat, verabreicht werden sollten.
Angesichts der hohen Kosten einer Suchtbehandlung könnten künftige
Arbeitgeber und Versicherungsgesellschaften ein rechtmässiges Interesse
an einer solchen Überprüfung geltend machen – und sie könnten Träger
dieser Gene diskriminieren. (Die heutigen Gesetze verhindern die unbefugte Weitergabe von genetischen Informationen an Versicherer und
Arbeitgeber.)
Ein weiterer Gesichtspunkt ist wie bei jeder genetischen Abweichung
die soziale Stigmatisierung. Blosse Träger dürften mehr Mühe haben,
Ehe- und Fortpflanzungspartner zu finden, und Eltern könnten sich selbst
dann schuldig fühlen, schlechte Gene weitergegeben zu haben, wenn ihr
Kind keinerlei Anzeichen einer Sucht aufweist. Je mehr wir über genetische Risikofaktoren für Abhängigkeit erfahren, desto hitziger dürfte die
Diskussion solcher Fragen noch werden.
Bildgebung des Gehirns zu diagnostischen Zwecken
54
Während der Einsatz der Bildgebung des Gehirns zur Diagnose der
meisten psychiatrischen Erkrankungen noch in weiter Ferne liegt, erfolgten bezüglich Alzheimer-Krankheit und anderen Arten von Demenz
dieses Jahr bereits die ersten Schritte. Im August 2007 veröffentlichte
Agneta Nordberg in Current Opinion in Neurology 7 einen Übersichtsartikel, der ein neues Amyloid-Bildgebungsverfahren mittels PositronenEmissions-Tomographie diskutiert, das eindeutige Unterschiede zwischen
dem Gehirn von Alzheimer-Kranken und gesunden Versuchspersonen
aufzeigt. Diese Studie deutet darauf hin, dass eine frühzeitige Diagnose der Alzheimer-Krankheit möglich sein könnte. Ähnlich berichtete
eine 2007 in der Märzausgabe von Archives of Neurology 8 publizierte
Fallstudie, dass der Bildgebungstracer Pittsburgh Compound B erfolgreich dazu benutzt wurde, leichte kognitive Beeinträchtigungen sichtbar
zu machen.
Neuroethik
Studien dieser Art lassen hoffen, dass Bildgebung auch zu einer präziseren
Diagnose von Angst- und Autismus-Spektrum-Störungen beitragen
könnte. Besonders gefragt ist eine bessere Diagnose im Zusammenhang
mit eingeschränkten Bewusstseinszuständen, insbesondere um exakt
unterscheiden zu können, ob es sich um Personen im Wachkoma oder um
solche in einem minimalen Bewusstseinszustand handelt.
Zwar gab es auf diesem Gebiet im Jahr 2007 keine grösseren technischen
Fortschritte, doch hat sich das ethische Bezugssystem weiterentwickelt.
Im Juni leiteten Judy Illes und Joseph Fins an der Stanford University einen
gut besuchten Workshop „Ethics, Neuroimaging, and Limited States of
Consciousness“ (Ethik, neurologische Bildgebung und eingeschränkte
Bewusstseinszustände), in dem diese Punkte wissenschaftlich diskutiert
wurden. Einigkeit erzielte man unter anderem bezüglich folgender
Aspekte: Forschung sowie klinische Ziele bei der Durchführung von Neuroimaging-Studien an Kranken mit eingeschränktem Bewusstseinszustand; die Problematik, eine Einverständniserklärung oder Bewilligung für
solche Studien einzuholen; dass experimentelle Protokolle ein ethisch
begründetes Vorgehen bei der Auswahl von Probanden und der Gestaltung von Tests beachten sollen. Eine Sonderausgabe des American Journal
of Bioethics Neuroscience zu diesem Thema soll in Kürze erscheinen.
Doch obwohl in der Neuroethik bezüglich dieser Fragen Einigkeit besteht
und obwohl die Bildgebung zweifellos weiter verbessert wird, diskutieren
Forschende und klinisch Tätige weiterhin über die viel heikleren Fragen,
wie die Aufnahmen des Gehirns zu interpretieren seien und welchen
prognostischen Wert sie für Kranke mit Bewusstseinsstörungen hätten. In
einem im April in Neurology erschienen Artikel empfahlen Joseph Fins,
Nicholas Schiff und Kathleen Foley, man solle versuchen, die Epidemiologie des minimalen Bewusstseinszustands zu definieren, die Vorgänge
während der Erholung zu klären und klinisch anwendbare diagnostische
und prognostische Merkmale zu bestimmen, die der Entscheidungsfindung am Krankenbett dienen 9.
55
Neuroimmunologische
Erkrankungen
Auf den Rezeptor IL-7 konvergieren
58
Sonnenstrahlen bringen Licht in die Multiple Sklerose
62
57
D
as Immunsystem verwendet sein grosses und vielseitiges Arsenal von
Zellverbänden und Molekülen, mittels derer Zellen kommunizieren, um
uns vor den ständigen Angriffen durch krankheitserregende Organismen
zu schützen. Doch können diese Zellen und Moleküle des Immunsystems,
wenn sie nicht richtig auf ihr Ziel ausgerichtet und reguliert sind, ihrerseits
Krankheiten hervorrufen.
Es ist zwar nicht klar warum, doch scheint bei Multipler Sklerose, einer
neurologischen Krankheit, das Immunsystem der Aggressor zu sein. Eine
immunologisch bedingte Schädigung jener isolierenden Schicht, welche
die Axone von Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark umgibt, beeinträchtigt die Übertragung der Nervenimpulse zwischen den Zellen. Multiple Sklerose kann ganz verschiedenartige Symptome hervorrufen, von
Sehstörungen bis zu Gangstörungen, und der Verlauf besteht oft aus
einem Auf und Ab, wobei sich die Symptome periodisch verschlimmern.
Die Anfälligkeit für Multiple Sklerose beruht sowohl auf genetischen
Faktoren als auch auf Umweltfaktoren, doch hängen Verlauf und Progression der Krankheit wahrscheinlich vom Zusammenspiel vieler verschiedener Gene und vieler verschiedener Umweltfaktoren ab. Für eine Beteiligung des Immunsystems gibt es klare Hinweise, und im Jahr 2007 fand die
Forschung neue Indizien für genetische Einflüsse und Umweltfaktoren, die
über das Immunsystem wirken.
Auf den Rezeptor IL-7 konvergieren
Im Jahr 1972 erkannte man erstmals eine Verbindung zwischen jenen
Genen, welche die Anfälligkeit für Multiple Sklerose vererben und einer
Gruppe von so genannten HLA-Genen des Immunsystems. Was die
Bestimmung weiterer spezifischer genetischer Risikofaktoren anbelangt,
wurden seither kaum Fortschritte erzielt. Doch brachte die Auflistung der
gesamten Genom-Sequenz des Menschen (des vollständigen Sets von
DNA-Instruktionen in jeder menschlichen Zelle) im Jahr 2001 die Genanalyse ausserordentlich voran. Dank neuen Labormethoden und leistungsfähigen Computern können Forschende heute bei ihrer Suche nach der
schwer fassbaren Nadel im Genom-Heuhaufen eine früher undenkbar
grosse Datenmenge analysieren.
58
Das menschliche Genom besteht zwar aus 3 Milliarden Basenpaaren, doch
beschränken sich die meisten Variationen auf 250000 bis 500000 Segmente
Neuroimmunologische Erkrankungen
Ein DNA- Microarray oder
„Gen-Chip“ hat dazu
beigetragen, genetische
Risikofaktoren für Multiple
Sklerose aufzudecken.
der DNA. Alle diese vielen Segmente können mittels DNA-Microarrays
oder „Gen-Chips“ gleichzeitig abgefragt werden. Genomweite Scans
liessen Gene erkennen, die mit Brustkrebs, Herzkrankheiten und Diabetes
verbunden sind 1. Allerdings erlaubt bei multiplen genetischen Faktoren,
von denen jeder nur einen geringen Einfluss ausübt, erst die Analyse
grosser Stichproben eine Aussage über statistische Zusammenhänge.
(Mehr zu „genomweiter Assoziation“ finden Sie im Kapitel „Psychiatrische
Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten“, S. 71.)
Die Ergebnisse einer genomweiten Suche nach Genen, die das Risiko für
Multiple Sklerose übertragen, wurden in der Augustausgabe des New
England Journal of Medicine 2 publiziert. Eine internationale Arbeitsgemeinschaft von Forschenden verwendete die Gen-Chip-Methode, um
hunderttausende von einzelnen genetischen Veränderungen in insgesamt
über 12 000 Proben zu untersuchen. Ohne im Voraus eine Idee zu haben,
was sie dabei finden könnten, bestätigten sie den Zusammenhang zwischen der HLA-Region und der Krankheit und spürten zwei weitere
Marker auf: einen im Gen für den Rezeptor Interleukin-2 (IL-2) und einen
für den Rezeptor Interleukin-7 (IL-7). Interleukine sind Proteine des
Immunsystems, über welche Zellen miteinander kommunizieren und die
Tätigkeit anderer Zellen beeinflussen.
Diese Rezeptoren sind für die Signalübertragung zwischen den Zellen des
Immunsystems bedeutsam. Ebenso wie die zum Gen HLA gehörenden
Proteine sind auch die Rezeptoren IL-2 und IL-7 wichtige Regulatoren des
59
Ein auf den Gen-Chip Array gerichteter Laserstrahl lässt die markierten DNA Fragmente, welche hybridisierten, aufleuchten
Nicht-hybridisiertes DNA
Hybridisiertes DNA
Hybridisierte DNA-Fragmente leuchten auf, wenn ein Laser-Lichtstrahl auf ein Microarray gerichtet wird, das viele Millionen von Fragmenten enthält.
Immunsystems; so lässt sich verstehen, dass die Gene, welche diese beiden Interleukin-Rezeptoren hervorbringen, an Multipler Sklerose beteiligt
sein können. Allerdings begnügte sich diese Studie damit, einen statistischen Zusammenhang aufzuzeigen.
Genetische Studien lassen oft mehrere mögliche genetische Risikofaktoren für eine bestimmte Krankheit erkennen, die alle nicht besonders überzeugend sind. Nachfolgende Bemühungen, diese Risikofaktoren zu bestätigen, schlagen oft fehl. Durch die Kombination mehrerer verschiedener
experimenteller Ansätze – Michael Hauser vom Center for Human Genetics an der Duke University spricht von „genomischer Konvergenz“ – kann
man das aussichtsreichste Kandidatengen herausgreifen.
60
Kombiniert man Resultate aus Studien, die Gene mit familiären Krankheiten in Beziehung bringen – dabei wird die gemeinsame Vererbung
von Genen analysiert und geprüft, welche Gene im betroffenen Gewebe
aktiv sind – so kann sich ein aussichtsreicherer genetischer Marker
In zwei Studien, die in der Ausgabe vom September 2007 in Nature
Genetics erschienen, wurde ein solcher genomischer Konvergenz-Ansatz
durchgespielt; bei ihrer Suche nach Kandidatengenen betrachteten die
Forschenden ganz gezielt jene, die sich in früheren funktionellen und
genetischen Studien als aussichtsreich erwiesen hatten 3, 4. Ebenso wie bei
der Genom-Analyse bezogen auch die Nature Genetics-Studien den
Rezeptor IL-7 mit ein. Und sie identifizierten dieselbe Variation einzelner
Basenpaare (Single-Nucleotid-Polymorphism oder SNP) im Gen, welches
den Rezeptor IL-7 produziert.
Neuroimmunologische Erkrankungen
abzeichnen. Dieser Ansatz wurde für die Untersuchung der genetischen
Grundlagen verschiedener komplexer neurologischer Krankheiten, einschliesslich Parkinson- und Alzheimer-Krankheit sowie Multipler Sklerose,
verwendet.
Es war erwartet worden, diese besondere Genvariante würde die
Bindung des Rezeptors an die Zellmembran, dem Ort seiner signalübertragenden Funktion, vermindern, so dass er mehr in löslicher Form vorhanden wäre und durch die Bindung von IL-7 dieses von der Interaktion
mit Zellen abhalten könnte. Dies war tatsächlich der Fall und zwar sowohl
im Laboratorium als auch bei Personen mit Multipler Sklerose. Theoretisch könnte diese Veränderung die Wirkung von IL-7 im Körper vermindern. Ausserdem war sowohl die Genexpression für IL-7 als auch
jene für den Rezeptor IL-7 im Liquor von Personen mit dieser Krankheit verändert.
Die Hinweise mehren sich, dass IL-7 und sein Rezeptor entscheidend
am Krankheitsprozess mitwirken, doch ist nicht klar auf welche Weise.
Zwar wird dem Gen für den Rezeptor IL-7 nur eine geringe Erhöhung des
Krankheitsrisikos zugeschrieben, doch lässt sich der Rezeptor IL-7 immer
weniger ignorieren. Weitere Untersuchungen des Rezeptors IL-7 sollen
seine Rolle bei der Multiplen Sklerose klären und neue Behandlungsansätze liefern 5.
Im gesamten Krankheitsprozess wäre ein auf IL-7 beruhender Vorgang
nur einer von vielen verschiedenen Mechanismen, welche die Krankheit
fördern. Aufgrund der Analyse dieses Markers und anderer genetischer
Marker könnte es schliesslich möglich werden, genau zu bestimmen, was
bei den einzelnen Kranken geschieht, die diagnostischen Verfahren zu
verbessern und den Behandlungsplan individuell zu gestalten.
61
Sonnenstrahlen bringen Licht in die
Multiple Sklerose
Das Risiko, an Multipler Sklerose zu erkranken, hängt eng mit dem Breitengrad zusammen; wer weiter vom Äquator entfernt lebt, hat ein höheres
Risiko. Selbst bei Menschen mit gemeinsamen Vorfahren kann die Anfälligkeit unterschiedlich sein, wenn sie – insbesondere in jungen Jahren – in
verschiedenen geografischen Breiten leben. Die neuere Forschung macht
hierfür die Sonne verantwortlich.
Eine in Neurology publizierte Studie untersuchte den Einfluss der Sonnenexposition bei eineiigen Zwillingen in Nordamerika 6. Die von Thomas
Mack von der Keck School of Medicine an der University of Southern
California geleitete Studie ergab, dass jener Zwilling, der als Kind mehr
Zeit im Freien verbrachte (z. B. weil er an den Strand ging oder an Teamsport teilnahm) ein kleineres Multiple Sklerose-Risiko aufwies als der
andere Zwilling. Dank der Untersuchung von eineiigen Zwillingen liess
sich der Zusammenhang mit Umweltfaktoren – ohne den Störeinfluss von
genetischen Unterschieden – belegen.
Auch eine in Norwegen durchgeführte und im Journal of Neurology veröffentlichte Studie zeigte, dass Sonnenexposition während der Kindheit das
Risiko für Multiple Sklerose verringerte 7. Darüber hinaus wies die Studie
nach, dass eine fischreiche Ernährung das Risiko herabsetzte. Unter der
Federführung von Margitta Kampman wiesen die Autoren darauf hin, dass
der hohe Vitamin D-Gehalt von Fischen für diese Schutzwirkung verantwortlich sein könnte.
62
Die Befunde lassen einen direkten Einfluss von Vitamin D aufs Gehirn
erkennen. Studien haben gezeigt, dass Vitamin D im Tiermodell das
Schlaganfallrisiko verringert. Die Schutzwirkung der Sonnenexposition
könnte auf einem direkten Einfluss der Ultraviolettstrahlung oder indirekt auf der Produktion von Vitamin D beruhen. Wir nehmen zwar eine
gewisse Menge von Vitamin D mit der Nahrung auf, doch wird der
grösste Teil aufgrund von Sonnenexposition von der Haut produziert;
deshalb wird Vitamin D manchmal als Sonnenschein-Vitamin bezeichnet.
Wenn die Tage im Winter kürzer sind und die Sonne tiefer am Himmel
steht, treten häufig Vitamin D-Mangelzustände auf. Tatsächlich erhalten
Personen, die auf dem Breitengrad von Boston – Barcelona – Rom – Sofia
oder nördlich davon leben, zwischen November und Februar überhaupt
kein Vitamin D durch die Sonne.
Neuroimmunologische Erkrankungen
Im Jahr 2007 zeigten
Forschungsarbeiten, dass
in der Haut durch Sonnenexposition produziertes
Vitamin D das MultipleSklerose-Risiko
herabsetzen könnte.
Man weiss, dass Vitamin D für den Erhalt der Knochendichte wichtig ist.
Weniger bekannt sind vielleicht seine regulierenden Einflüsse auf das
Immunsystem. Vitamin D-Rezeptoren finden sich auf Zellen des Immunsystems und ein Vitamin D-Mangelzustand wurde bereits mit Autoimmunund entzündlichen Erkrankungen, einschliesslich Asthma, Gelenkrheumatismus, entzündlicher Darmerkrankung und Diabetes in Verbindung gebracht. Zurzeit ist der schützende Einfluss von Vitamin D an Mausmodellen der Multiplen Sklerose Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.
Mehrere neuere Populationsstudien erbrachten den Nachweis einer
umgekehrten Korrelation zwischen dem Vitamin D-Spiegel im Blut und
dem Multiple Sklerose-Risiko. Eine in Tasmanien, Australien, durchgeführte Studie ergab, dass von dieser Krankheit Betroffene niedrigere
Vitamin D-Spiegel im Blut hatten 8. Bei einer Untersuchung, die am
20. Dezember 2006 im Journal of the American Medical Association veröffentlicht wurde, bestimmte man den Zeitverlauf des Vitamin D-Spiegels
von amerikanischen Militärangehörigen und fand, dass er vor dem Auftreten von Multiple Sklerose-Symptomen herabgesetzt war.
Dieser Befund stützt die Interpretation, dass Vitamin D-Mangel zu Multipler Sklerose beiträgt und die verminderte Sonnenexposition nicht auf die
Krankheit zurückzuführen ist 9. Und eine weitere Studie, sie stammt aus
Finnland und erschien im Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry, wies nach, dass herabgesetzte Vitamin D-Spiegel im Blut mit einer
Verschlechterung der Symptome einhergingen 10.
63
Da es möglicherweise die Anfälligkeit für Multiple Sklerose und andere
Krankheiten beeinflusst, werden heute die Empfehlungen, wie viel
Vitamin D mit der Nahrung aufgenommen werden soll, neu überprüft.
Zurzeit hält das Institute of Medicine of the National Academy of
Sciences 200 Internationale Einheiten (IE) oder 5 Mikrogramm Vitamin D
täglich für die meisten nicht über 50jährigen Personen für angemessen.
Im September 2007 empfahl die Canadian Paediatric Society in einer Erklärung, schwangere und stillende Frauen sollten eine Vitamin D-Ergänzung
bis zu 2000 IE täglich in Betracht ziehen 11.
Die Gruppe empfahl ausserdem, dass Säuglinge, die voll gestillt werden,
400 IE Vitamin D bekommen, und dass Säuglinge, die über dem 50. Breitengrad leben (etwa so weit nördlich wie Edmonton, Kanada, Frankfurt am
Main und Prag), in den Wintermonaten 800 IE erhalten sollen. Tierversuche deuten darauf hin, dass sich Vitamin D sowohl zur Vorbeugung als
auch zur Behandlung der Multiplen Sklerose einsetzen lässt, doch braucht
es weitere Untersuchungen, um diesen Befund auf Menschen übertragen
zu können.
64
Schmerz
Chronischer Schmerz und Opiatabhängigkeit
66
Das Schmerzsignal ins Visier nehmen
68
Erfolgreiche Behandlung von Rückenschmerzen
durch Neurostimulation
69
65
I
n den USA ist Schmerz der Hauptgrund dafür, dass Menschen medizinische Hilfe suchen. Dabei ist es für Ärzte und Ärztinnen weiterhin ein
ständiger Kampf, Mittel zu finden, mit denen sich chronische und akute
Schmerzen wirksam behandeln und kontrollieren lassen.
In der Schmerzforschung gab es im Jahr 2007 mehrere Ansätze. Zum
einen wurde nach Möglichkeiten gesucht, die Abhängigkeit von starken
Opiaten, die oft das wirksamste Mittel zur Schmerzlinderung darstellen, zu
reduzieren. Zum andern wurde ein entscheidender Schmerzsignalweg
identifiziert, der neue Möglichkeiten für die Behandlung von Kranken
eröffnet, die nach einer Rückenmarkverletzung an starken Phantomschmerzen leiden. Ausserdem wurde eine wirksamere Therapie für chronischen neuropathischen Schmerz gefunden, was Millionen von durch
Rückenschmerzen behinderten Menschen neue Hoffnung gibt.
Chronischer Schmerz und Opiatabhängigkeit
Opium wurde während einigen tausend Jahren zur Linderung von Leiden
und Schmerzen eingesetzt; auch heute werden viele von Opium abgeleitete Arzneimittel, so genannte Opiate, zu erlaubten und unerlaubten
Zwecken verwendet. Dass diese Medikamente infolge ihrer ausgeprägten
euphorischen Wirkung abhängig machen können, stellt die Ärzteschaft
vor ein Dilemma, denn es gilt, das Bedürfnis der Kranken nach Schmerzlinderung und das Risiko einer Abhängigkeit gegeneinander abzuwägen.
Forschende an der Wake Forest University School of Medicine haben herausgefunden, dass chronischer Schmerz nicht nur die analgetische Wirkung vieler Opiate vermindert, sondern auch dazu führt, dass die betroffenen Person weniger dazu neigen, von gewissen Medikamenten abhängig
zu werden; dies gilt für Morphin, Hydromorphon und Fentanyl. Der in der
Ausgabe vom 27. Februar 2007 von Anesthesiology publizierte Befund
weist darauf hin, dass Kranke, deren chronische Schmerzen nicht ausreichend mit angemessenen Medikamenten behandelt werden, schliesslich
nicht mehr die verschriebenen Medikamente nehmen sondern auf Alternativen ausweichen, einschliesslich Heroin und Methadon, welche chronischen Schmerz zwar wirksamer bekämpfen, jedoch die gefürchteten
abhängig machenden Folgen haben 1.
66
Die Forschenden von Wake Forest implantierten Ratten – bei der Hälfte von
ihnen waren die Spinalnerven unterbunden oder rotiert worden – einen
Schmerz
Katheter und brachten den Tieren bei, sich selbst Clonidin und Adenosin
zuzuführen, zwei opiatähnliche Substanzen, welche die Schmerzüberempfindlichkeit herabsetzen. Die Forschenden stellten fest, dass keines der
beiden Medikamente das Heroin-Suchtverhalten gesunder Tiere beeinflusste, da – wie sie festhalten – das Heroin-Missbrauchpotential beim gesunden Tier über Stellen im Gehirn und nicht im Rückenmark vermittelt wird.
Hingegen führte die spinale Verabreichung von Clonidin bei Ratten mit
chronischem Schmerz zu einer drastischen Reduktion des HeroinSuchtverhaltens. Die Zufuhr von Adenosin auf Ebene des Rückenmarks
beeinflusste die Heroinsucht von Ratten mit Nervenverletzung nicht,
obwohl dieses Medikament bekanntlich die Schmerzüberempfindlichkeit in solchen Fällen vermindert. Dieser Befund lässt darauf schliessen,
dass zumindest im Tiermodell die kombinierte Gabe von Clonidin und
Adenosin schmerzlindernd wirken kann, ohne ein Verlangen nach Heroin
zu provozieren.
Eine andere Studie zeigte auf, dass eine Untergruppe von Kranken
mit chronischen Schmerzen zu Drogensucht neigt.
Eine andere Studie zeigte auf, dass eine Untergruppe von Kranken mit
chronischen Schmerzen zu Drogensucht neigt. Forschende am Massachusetts General Hospital analysierten mehrere Studien um herauszufinden,
wie Opiat-Abhängigkeit und Linderung chronischer Schmerzen zusammenhängen. Im Juni berichteten sie in der Zeitschrift Pain, erste Annahmen, wonach gegen chronische Schmerzen behandelte Personen selten
abhängig würden, hätten sich als falsch erwiesen 2. In Wirklichkeit kommen bei einer kleinen Gruppe von Kranken mit chronischen Schmerzen
Drogensucht und andere problematische Verhaltensweisen durchaus vor.
Diese Untergruppe unterscheidet sich allerdings bezüglich der Art, wie
die Abhängigkeit entsteht. Der Übergang zu Abhängigkeit erfolgt nämlich
schleichender und ist schwerer erkennbar.
Ärzte und Ärztinnen verfügen zwar über eine Fülle von Informationen, um
bei der Behandlung von Personen mit chronischen Schmerzen die Entwicklung einer Opiat-Abhängigkeit zu vermeiden; die Forschenden stellen
jedoch fest, dass besser geeignete Methoden nötig sind, um entscheiden
zu können, welche dieser Kranken zu Abhängigkeit neigen. Dann könnten
Ärzte und Ärztinnen, unterstützt von Suchtspezialisten, strukturierte
Therapiepläne entwickeln, die allenfalls die Verwendung von Alternativen
zu Opiaten erfordern.
67
Das Schmerzsignal ins Visier nehmen
Beinahe 80% der Personen mit einer Rückenmarkverletzung leiden unter
klinisch signifikanten Schmerzen, die als brennend, reissend, bohrend
oder stechend beschrieben werden. Ausserdem kommt es bei vielen
Kranken, die in gewissen Körperteilen ohne Gefühl sind, zu Phantomschmerzen, so dass sie ihren Körper unterhalb der Rückenmarkverletzung
„fühlen“ und in diesen völlig empfindungslosen Bereichen Schmerzen
haben.
Mikrogliazellen, hier als helle
Flecken zwischen dunkleren
Neuronen im lumbalen
Hinterhorn erkennbar, sind für
den chronischem Schmerz
nach einer Rückenmarkverletzung mitverantwortlich.
Forschende am Yale University Center for Neuroscience and Regeneration Research sehen eine Fehlfunktion des Nervensystems als Ursache
der häufig nach einer Rückenmarkverletzung auftretenden abnormen
Schmerzen. Wie sie in der Ausgabe vom 28. Februar 2007 im Journal of
Neuroscience berichteten, konnten sie im verletzten Rückenmark erstmals
einen direkten Signalweg zwischen Neuronen und der Mikroglia nachweisen, zwischen jenen Immunzellen also, die im Zentralnervensystem
vorhanden sind und eine Entzündungsreaktion hervorbringen, die das
Nervensystem eigentlich schützen soll, es aber manchmal auch schädigt 3.
Bei Ratten, deren Rückenmark gequetscht worden war, stellten die
Forschenden fest, dass bei chronischem Schmerz, der durch Mikroglia
vermittelt wird, das Molekül Prostaglandin E2 (PGE2) eine wichtige Rolle
spielt. Dieses Molekül wird von aktivierter Mikroglia freigesetzt und trägt
zur Sensibilisierung der spinalen Neuronen nach einer Verletzung bei.
68
Die Forschenden von Yale sind der Ansicht, dass eine gezielte Einflussnahme auf diesen Übertragungsmechanismus zwischen Mikroglia und
Schmerz
Neuronen zu einem erfolgreichen Schmerzmanagement nach einer
Rückenmarkverletzung führen könnte. Sie überprüfen nun Substanzen,
die den Signalweg an verschiedenen Orten im Rückenmark blockieren.
Der Prototyp ist Minocyclin, ein Antibiotikum, das von der amerikanischen
Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration) zur Behandlung
einiger Infektionskrankheiten zugelassen wurde und dessen Wirksamkeit
nun im Rahmen von klinischen Studien in „zulassungsüberschreitenden“
Anwendungen bei neurologischen Störungen wie Huntington-Krankheit,
Amyotropher Lateralsklerose und Multipler Sklerose getestet wird.
Das Team von Yale möchte mittels Positronen-Emissions-Tomographie,
einem bildgebenden Verfahren, nachweisen, dass Menschen und Mäuse
über ähnliche, wenn nicht identische Schmerzmechanismen verfügen.
Falls dem so ist, werden sie testen, ob Minocyclin bei Kranken mit einer
Rückenmarkverletzung die auf Prostaglandin E2 beruhenden schmerzvermittelnden Vorgänge wirksam auszuschalten vermag.
Erfolgreiche Behandlung von Rückenschmerzen
durch Neurostimulation
Rückenschmerzen gehören in den USA zu den häufigsten Gesundheitsproblemen; etwa 80% der Bevölkerung sind irgendwann in ihrem Leben
davon betroffen. Laut einer Studie der Duke University vom Jahr 2004
kosten Rückenschmerzen – Kreuzschmerzen, Nackenschmerzen und
Ischias – die USA jährlich beinahe 100 Milliarden Dollar in Form von
Arztrechnungen, Invalidenrenten und verlorener Produktivität. Herkömmliche Therapien und chirurgische Eingriffe konnten Rückenschmerzen
zwar bis zu einem gewissen Grad lindern, doch stellten Forschende fest,
dass Neurostimulation – dabei wird ein medizintechnisches Gerät implantiert, das elektrische Impulse abgibt – bei chronischen neuropathischen
Schmerzen in Rücken und Beinen erfolgreicher ist. Diese elektrischen
Impulse werden in den Epiduralraum der Wirbelsäule gesendet und sollen
verhindern, dass Schmerzsignale das Gehirn erreichen.
Die bisher grösste multizentrische, randomisierte kontrollierte Studie zu
Neurostimulation wurde von einer internationalen Forschungsgruppe unter
der Leitung von Krishna Kumar vom Regina General Hospital in Kanada
durchgeführt und ergab, dass Neurostimulation bezüglich Schmerzbehandlung, Lebensqualität und Funktionsfähigkeit wirksamer ist als herkömmliche
Behandlungsformen wie Schmerzmittel, pharmakologische Nervenblockade, Steroidinjektionen, Physiotherapie und chiropraktische Behandlung.
69
Die im November in Pain publizierte Studie ergab, dass beinahe die Hälfte
jener Kranken, die begleitend zu herkömmlichen Therapien auch mit
Neurostimulation behandelt worden waren, nach sechs Monaten eine um
mindestens 50% stärkere Besserung ihrer Beinschmerzen zeigte als jene
Personen, die nur konventionell behandelt worden waren 4. Alle Kranken
hatten mindestens eine Rückenoperation wegen Diskushernie hinter sich,
litten aber während mindestens sechs Monaten nach der Operation
weiterhin an mässigen bis starken Schmerzen in einem oder beiden
Beinen sowie im Rücken.
Da sich behindernde neuropathische Schmerzen schwer behandeln
lassen, empfehlen die Forschenden, Neurostimulation auf die Liste von
Routinebehandlungen zu setzen, die Kranken mit chronischen Rückenschmerzen angeboten werden.
Forschende an der Westküste – vom Coast Pain Management in Kalifornien – berichteten in der Juli-Ausgabe von Neuromodulation, eine
bestimmte Art der Neurostimulation, die so genannte periphere Nervenfeldstimulation (peripheral nerve field stimulation; PNFS) biete Personen
mit chronischen Kreuzschmerzen eine sichere und wirksame Alternative 5.
Die medizinische Forschungsgruppe prüfte die Wirksamkeit dieser
Behandlung an sechs Personen mit chronischen Kreuzschmerzen, bei
denen herkömmliche Therapien erfolglos gewesen waren. Anders als die
Stimulation des Rückenmarks oder die direkte Stimulation peripherer Nerven erfolgt die periphere Nervenfeldstimulation über Elektroden, die
durch die Haut zum schmerzenden Bereich führen und die Region der
betroffenen Nerven stimulieren. Bei allen sechs Personen ermöglichte
dieses Verfahren eine Reduktion der Schmerzmittel, eine Zunahme der
Aktivität und damit verbunden eine höhere Lebensqualität.
Die Forschenden betonen, die periphere Nervenfeldstimulation weise
gegenüber anderen Arten der Neurostimulation klare Vorteile auf, unter
anderem weniger Komplikationen und eine geringere Morbidität; die
Behandlung sei als Ergänzung bestehender Therapien viel versprechend
und verdiene eine weitere Abklärung.
70
Psychiatrische Erkrankungen,
Verhaltensstörungen
und Suchtkrankheiten
Depression
72
Bipolare affektive Störung
76
Zwangsstörung
77
Schizophrenie
77
Alkoholismus
78
Künftige Ausrichtung von Studien und Behandlung
79
71
I
m Jahr 2007 konzentrierte sich die psychiatrische Forschung darauf, die
Ursachen gewisser Störungen besser zu verstehen und wirksame Behandlungen zu finden. Viele Forschende hielten an der grundlegenden Bedeutung der Genetik für psychiatrische Erkrankungen fest und begannen auch
gezielter zu untersuchen, wie sich Gene auf die Bewältigung und Behandlung auswirken. Ausserdem richteten sich neurobiologische Studien auf
einen weiteren Bereich: um den Einfluss unterbrochener oder fehlgeleiteter Signale auf den psychischen Zustand zu erkennen, untersuchten sie
nicht mehr bloss einzelne Regionen sondern ganze Nervenschaltkreise
oder Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnbereichen.
Neuere Befunde der Depressionsforschung liessen die der Krankheit
zugrunde liegenden Veränderungen in neuralen Schaltkreisen besser
verstehen und verwiesen auf potentielle nicht medikamentöse Behandlungen. Die Erforschung der manisch-depressiven Erkrankung führte zu
einem wahrscheinlichen genetischen Indikator sowie zum ersten Mausmodell, also zu Ausgangspunkten für weitere Studien. Schliesslich ergaben sich aus Studien über Schizophrenie und Alkoholismus neue potentielle medikamentöse Behandlungen.
Depression
Der Hippokampus ist völlig mit dem für menschliche Emotion verantwortlichen System, dem limbischen System, verbunden und wurde lange mit
Gedächtnis und räumlicher Vorstellung in Zusammenhang gebracht.
Nachdem sich gezeigt hatte, dass der Hippokampus in Hirnregionen projiziert, die mit Depression zusammenhängen, und dass die durch Antidepressiva angeregte Neurogenese im Hippokampus in Beziehung steht
zum therapeutischen Erfolg der Pharmaka, wurde diese Region auch für
die Depressionsforschung interessant.
Laut einem am 10. August in Science erschienenen Bericht identifizierten
Karl Deisseroth und Mitarbeitende aus verschiedenen Fachgebieten an
der Stanford University einen neurophysiologischen Schaltkreis, der den
Hippokampus einschliesslich des Gyrus dentatus mit Depression in Verbindung bringt 1. Dieser Schaltkreis könnte für zukünftige Interventionen
von Interesse sein.
72
Das Team setzte eine Gruppe von Ratten Stresssituationen aus, z. B.
Schlafentzug, unangenehme Lichtbedingungen und laute Geräusche, und
liess eine Kontrollgruppe in einer relativ stressfreien Umgebung leben.
Einige der gestressten Ratten erhielten ausserdem Antidepressiva.
Nach einigen Wochen wurden beide Gruppen in Wasser getaucht. Die
gestressten Ratten, die keine Antidepressiva erhalten hatten, schwammen
weniger kräftig als jene, die entweder nicht gestresst oder aber medikamentös behandelt worden waren – die Forschenden werten das als Ausdruck von Hoffnungslosigkeit.
Anschliessend wurde mittels einer Bildgebung mit Hochgeschwindigkeits-Messtechniken, der so genannten Bildgebung mit spannungsempfindlichen Farbstoffen (voltage-sensitive dye imaging), die elektrische
Aktivität im Bereich des Hippokampus – insbesonders ihre Projektionen
in den Gyrus dentatus – registriert. Es zeigte sich, dass die Signale sowohl
bei den nicht gestressten als auch bei den medikamentös behandelten
Ratten erfolgreich im Schaltkreis weitergeleitet wurden; bei den gestressten wurden sie jedoch unterbrochen, so dass der Schaltkreis schliesslich
zugrunde ging.
Dieser Befund lässt darauf schliessen, dass Depression wohl nicht auf
einer einzigen Ursache beruht, dass aber ein einzelnes Erlebnis, etwa
ein Todesfall in der Familie oder eine stressige Arbeitssituation eine
Störung im Schaltkreis bewirken kann, welche die bei Depression vorherrschenden Symptome zur Folge hat. Die Autoren empfehlen den
Schaltkreis als einen aussichtsreichen Ort für künftige therapeutische
Interventionen.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
Der Forscher Karl Deisseroth und Mitarbeitende an
der Stanford University
zeigten mithilfe von
HochgeschwindigkeitsBildgebung, der so
genannten Bildgebung mit
spannungsempfindlichen
Farbstoffen, bei Ratten
einen Zusammenhang
zwischen einem fehlerhaften Schaltkreis im Hippokampus und Depression.
73
Pre-op MRI
Pre-op PET
Elektroden
Kontakte
Zielstruktur der Elektrode:
Cg25 weisse Substanz
Depression:
Hyperaktives Cg25
Post-op MRI
6 Monate DBS PET
Bestätigung der
Elektrodenplatzierung
Erholung durch DBS:
Cg25 Suppression
Frühere Bildgebungsstudien zeigten einen Zusammenhang zwischen erhöhter Aktivität
im Areal Cg25, einem Teil des subgenualen Cingulum, und schwerer Depression.
Arbeiten im Jahr 2007 lassen vermuten, dass tiefe Hirnstimulation im Areal Cg25 antidepressiv wirkt. Diese Bilder zeigen eine Abnahme des Blutflusses zum Areal Cg25
nach tiefer Hirnstimulation, die über eine implantierte Elektrode erfolgte.
Auch andere neurale Schaltkreise im limbischen System wurden mit
Depression in Verbindung gebracht. Diese Schaltkreise umfassen häufig
Hirnregionen wie den präfrontalen Kortex, die Amygdala und das subgenuale Cingulum – Regionen also, die mit der Verarbeitung von Emotionen,
mit der Herstellung von Neurotransmittern, die mit traurigen Gemütslagen
in Zusammenhang stehen und auch mit dem Ansprechen auf Antidepressiva verbunden sind.
74
In einer Übersichtsarbeit in Nature Neuroscience vom September stellen
Kerry J. Ressler und Helen S. Mayberg vom Emory University’s Department
Unter diesen nicht medikamentösen Ansätzen ist die tiefe Hirnstimulation (vgl. auch „Bewegungsstörungen“, S. 33 und „Neuroethik“, S. 49)
besonders hervorzuheben. Klinische Versuche mit tiefer Hirnstimulation
zur Behandlung schwerer Depressionen basierten auf Maybergs ersten
Bildgebungsstudien mittels Positronen-Emissions-Tomographie, die das
subgenuale Cingulum (Cg25) als eine mit schwerer Depression verbundene Region identifiziert hatten. Tiefe Hirnstimulation verändert in
dieser Region mittels Hochfrequenzstimulation über die implantierten
Elektroden die Kommunikation innerhalb von Hirnschaltkreisen und
zwischen ihnen.
Die Behandlung wirkte antidepressiv, führte zu einer deutlichen Reduktion des Blutflusses zum Areal Cg25 und zu Veränderungen in mehren
Hirnregionen, die mit Stimmungsregulation und mit dem Ansprechen auf
eine Behandlung in Verbindung gebracht werden. Zurzeit sollen weitere
klinische Studien an einer grösseren Zahl von Kranken die Sicherheit und
Wirksamkeit der Behandlung einwandfrei feststellen, die Wirkmechanismen von Hirnschaltkreisen in dieser Region bei Depressionen klären und
aufzeigen, auf welche Weise tiefe Hirnstimulation diesen Schaltkreis
erfolgreich beeinflusst.
Weitere mögliche Alternativen zu Antidepressiva sind unter anderem
die Vagus-Nerv-Stimulation, die Elektrokrampftherapie und die repetitive
transkranielle Magnetstimulation. Während Elektrokrampftherapie lange
Zeit zur Behandlung schwerer Depressionen eingesetzt wurde und in
den letzten Jahren wieder an Akzeptanz gewonnen hat, werden die
tiefe Hirnstimulation, die Vagus-Nerv-Stimulation und die transkranielle
Magnetstimulation zurzeit auf ihre Fähigkeit geprüft, mit Depression und
Emotionsregulation verbundene Hirnschaltkreise zu unterbrechen und
zu verändern.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
of Psychiatry and Behavioral Sciences Fortschritte fest bezüglich der
Identifizierung und der Einsicht in Wirkmechanismen von neuralen Schaltkreisen, die mit der Depression in Verbindung stehen; Fortschritte gebe
es auch im Hinblick auf die Lokalisierung bestimmter Bereiche innerhalb
dieser Schaltkreise, deren Dysregulation mit Verhaltensauffälligkeiten in
Zusammenhang steht, was die Möglichkeit viel versprechender nicht
medikamentöser Therapien eröffne 2. Für schwer depressive Personen, die
auf die heute verfügbaren Antidepressiva nicht ansprechen, sind
wirksame Alternativen äusserst wichtig.
75
Indem man bildgebende Verfahren, etwa Positronen-Emissions-Tomographie und funktionelle Magnetresonanztomographie, vor und nach der
Behandlung einsetzt, lassen sich Veränderungen der regionalen Aktivierung des Gehirns beobachten, die Veränderungen in den beteiligten
Schaltkreisen anzeigen. Wenn wir die zugrunde liegenden Schaltkreise
besser verstehen, könnten mit diesen Therapien möglicherweise auch andere
psychiatrische Krankheiten, etwa die Zwangsstörung, behandelt werden.
Obwohl tiefe Hirnstimulation mittlerweile bei Personen, welche die medikamentöse Behandlung mit L-DOPA nicht länger ertragen, als Behandlung
der Parkinson-Krankheit anerkannt ist und auch als Behandlung von
schweren Depressionen erste Erfolge zeigt, empfehlen Ressler und
Mayberg weitere Forschungsarbeiten, um einerseits mehr über die Langzeitwirkungen zu erfahren und andererseits optimale Behandlungsbedingungen festzulegen.
Bipolare affektive Störung
Frühere Studien liessen darauf schliessen, dass die gestörte Regulation zirkadianer Rhythmen der inneren Uhr des Körpers, entscheidend zur bipolaren affektiven Störung beiträgt, einer psychiatrischen Erkrankung, die
manchmal auch manisch-depressiv genannt wird. In einer Studie, die in
Proceedings of the National Academy of Sciences USA veröffentlicht
wurde, schufen Colleen McClung und Mitarbeitende das erste mutierte
Mausmodell der bipolaren Störung: sie induzierten Mutationen jener Proteine, welche die zirkadianen Rhythmen des Tieres regulieren und schalteten dadurch das so genannte Clock-Gen (circadian locomotor output
cycles kaput) aus 3.
Man vermutet, dass Clock ein Protein produziert, das für die Regulation
der komplizierten Rückkoppelungsschleife, welche die zirkadianen
Rhythmen im Gehirn steuert, gebraucht wird. McClungs mutierte Clockfreie Mäuse zeigten maniforme Verhaltensweisen, die den bipolaren
Symptomen bei Menschen glichen. Zu diesen Symptomen gehörten
Hyperaktivität und verkürzte Schlafdauer, sowie ein gesteigertes Ansprechen auf neue Reize und Stimulanzien wie Kokain.
76
Bei der Clock-mutierten Maus handelt es sich um das erste Tiermodell der
Manie; es eröffnet die Möglichkeit, die neuronale und genetische Regulation zirkadianer Rhythmen besser zu verstehen und nachzuvollziehen,
wie eine Dysregulation zu bipolaren Symptomen führen kann. Ausserdem
Zwangsstörung
In den letzten Jahren stand bei der Erforschung der Zwangsstörung
(obsessive-compulsive disorder; OCD) stets das Striatum, das InputZentrum des Basalgangliensystems, im Mittelpunkt. Dieses System wird
mit motorischer Kontrolle, Lernen und Belohnungsverarbeitung in Verbindung gebracht.
Guoping Feng und Mitarbeitende überprüften diese Hypothese. In einer
Arbeit, die in Nature veröffentlicht wurde, brauchte Fengs Team Techniken des Gen-Knockout, um bei Mäusen das Gen Sapap3 auszuschalten, das für die erfolgreiche synaptische Kommunikation jener
Neuronen im Gehirn erforderlich ist, die den Neurotransmitter Glutamat verwenden 4.
Dieser Befund vermittelt neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen
Ursachen, die der Zwangsstörung zugrunde liegen, und eröffnet Wege
für künftige Behandlungen.
Die bezüglich Sapap3 gentechnisch veränderten Mäuse wiesen verschiedene OCD ähnliche Symptome auf; dazu gehörten verstärkte
Ängstlichkeit und übermässiges Putzverhalten bis hin zum Verlust des
Fells. Wenn man die Mäuse jedoch mit Fluoxetin (Prozac) behandelte,
einem Medikament, das häufig zur Behandlung der OCD eingesetzt
wird, oder wenn das Sapap3-Gen wieder direkt ins Striatum der mutierten Mäuse eingefügt wurde, klangen die Symptome ab.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
weist das Modell den Forschenden eine neue Richtung zur Entwicklung
neuer und besserer Behandlungsmöglichkeiten für manisch-depressive
Patienten und Patientinnen.
Dieser Befund vermittelt neue Erkenntnisse zu den neurobiologischen
Ursachen, die der Zwangsstörung zugrunde liegen, und eröffnet Wege
für künftige Behandlungen. Während sich bisherige Studien und
Behandlungen auf den Neurotransmitter Serotonin konzentriert hatten,
könnte dieser Befund, der das Glutamat einbezieht, zur Entwicklung
medikamentöser Therapien Anlass geben, die auf die glutamaterge
neuronale Erregungsübertragung ausgerichtet ist.
Schizophrenie
In den Jahren 2005 und 2006 zeigte eine Reihe unabhängiger Studien,
dass atypische Neuroleptika, also solche der zweiten Generation, weniger
77
wirksam sind als ältere Medikamente, die oft mit mehr Nebenwirkungen
einher gehen. In einer von Jeffrey Lieberman geleiteten Studie, die 2005
im New England Journal of Medicine publiziert wurde, gab es eine Ausnahme: Olanzapin, eine atypische Substanz, welche die Kranken seltener
absetzten als entsprechende andere Pharmaka 5. Allerdings führte sie zu
andauernder Gewichtszunahme und weiteren, den Stoffwechsel betreffenden Nebenwirkungen. Die Ergebnisse dieser Studien riefen in Psychiatrie und Forschung verbreitet Besorgnis hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten von Schizophreniekranken hervor.
Unter der Leitung von Sandeep Patil von den Lilly Research Laboratories
testete eine andere Forschungsgruppe den neuen Wirkstoff LY2140023,
der den Neurotransmitter Glutamat im Gehirn herabsetzt. In Nature
Medicine berichteten die Forschenden über eine vierwöchige Studie an
200 Schizophreniekranken, in der sie diese neue Substanz mit Olanzapin
und Placebo verglichen 6.
Mehr als 25% der Kranken sprachen auf die Behandlung mit LY2140023
an, ohne dass negative Nebenwirkungen aufgetreten wären. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass Medikamente, die dazu beitragen, dass sich die
gestörten glutamatergen Verbindungen im Gehirn normalisieren, künftig
eine sichere und wirksame Behandlung für Schizophreniekranke sein
könnten.
Alkoholismus
In der Behandlung des Alkoholismus wurden Medikamente mit unterschiedlichem Erfolg eingesetzt. Eine Studie von Lara Ray und Kent
Hutchison, die im September in den Archives of General Psychiatry
erschien, lässt darauf schliessen, dass der Opiatrezeptor-Antagonist
Naltrexon, eine jener Substanzen, die bei Alkoholismus verschrieben
wird, bei Personen mit einem bestimmten Genotyp wirksamer ist als
bei anderen 7.
78
Ray und Hutchison stellten fest, dass Alkoholabhängige mit einem gewissen Typ des Gens OPRM1 nicht nur von einem stärkeren Rauscherlebnis
nach dem Trinken berichteten, sondern nach der Einnahme von Naltrexon
auch weniger auf Alkohol ansprachen. Dieser Befund macht den Weg
für weitere Studien frei und zwar sowohl im Hinblick auf genetische
Merkmale für Alkoholismus als auch auf allfällige Wechselwirkungen
zwischen diesen Merkmalen und einer Behandlung.
Als im Jahr 2005 das Internationale HapMap-Projekt – ein Katalog häufiger
menschlicher Genvarianten – fertig gestellt wurde, eröffnete dies der
Psychiatrieforschung die Gelegenheit, zur Bestimmung der genetischen
Faktoren, die komplexen psychiatrischen Erkrankungen zugrunde liegen,
das gesamte Genom zu untersuchen. „Genomweite Assoziationsstudien“
zu Herzkrankheiten, Diabetes und gewissen Arten von Krebs haben völlig
neue Wege der Entwicklung und Behandlung von Krankheiten aufgezeigt;
nun besteht Hoffnung, dass vergleichbare Studien zu Schizophrenie, bipolaren Störungen und Zwangsstörungen ähnlich erfolgreich sein werden.
Thomas R. Insel, Direktor des National Institute of Mental Health (NIMH),
und Thomas Lehner von der Division of Neuroscience and Basic Behavioral
Science an diesem Institut, führten im Mai in einem Leitartikel in Biological
Psychiatry aus, das Potential für genomweite Assoziation sei zwar gross,
doch müssten Forschende die für erfolgreiche Analysen notwendigen
Bedingungen beachten 8. Grosse Stichproben mit klar definierten Merkmalen sind ein Muss, können aber für kleinere Forschungslaboratorien mit
kleinem Patientengut ein Problem darstellen. Ausserdem kann es bei
jenen Störungen, deren Diagnosekriterien weit gefasst oder umstritten
sind, schwer sein, die beteiligten genetischen Faktoren einzugrenzen.
Um mit diesen Problemen fertig zu werden, raten die Autoren zur gemeinsamen Nutzung von Genom-Datenbanken. Eine solche Datenbank ist die
Bipolar Disorder Phenome Database des NIMH. Sie wurde von Forschenden dieses Instituts zusammengestellt und umfasst validierte Variablen
von über 5000 Personen mit bipolarer Störung 9.
Psychiatrische Erkrankungen, Verhaltensstörungen und Suchtkrankheiten
Künftige Ausrichtung von Studien und Behandlung
Die Datenbank steht Laboratorien und Forschungszentren für die Bestimmung von genetischen Merkmalen und Wirkungen zur Verfügung. Der
Aufbau von weiteren solchen allgemein zugänglichen Datenbanken
würde ein differenzierteres Verständnis der Bedeutung von Genen bei
psychiatrischen Erkrankungen ermöglichen und es könnten auch neue
und wirksamere Behandlungen gefunden werden.
79
Störungen der Sinnesund Körperfunktion
Die Fieberreaktion
82
Der allgemeinmenschliche Sinn für Musik
84
Die komplizierte Wahrnehmung der
gesprochenen Sprache
85
81
I
m Jahr 2007 befassten sich wissenschaftliche Untersuchungen weiterhin
mit der Frage, wie das Gehirn wahrgenommene Stimulationen verarbeitet
und beantwortet. Forschende an der Harvard University erforschten die
Gründe für unser Gefühl, krank zu sein, und machten erste Schritte, um
diese Empfindung bei Personen mit gewissen Krankheiten zu mildern. Forschende an den Universitäten Duke und Johns Hopkins trieben die komplizierte Erforschung der auditiven Wahrnehmung mit Untersuchungen
über Musik bzw. Sprache voran.
Die Fieberreaktion
Eine Person, die den Eindruck hat, krank zu werden leidet üblicherweise
unter einer Reihe bekannter Symptome: Schmerzen, Schlappheit, Appetitmangel sowie – im Zusammenhang mit Fieber – Schüttelfrost und
Hitzewallungen. Der Körper reagiert auf verschiedene Situationen, die
er als bedrohlich wahrnimmt, mit Fieber. Meistens wird das Fieber durch
bakterielle Infektionen hervorgerufen, doch können auch einige Virusinfektionen und nichtinfektiöse Krankheiten, die das Immunsystem mit
einbeziehen, z. B. rheumatoide Arthritis und Crohn-Krankheit, den Körper
dazu veranlassen, seine Temperatur auf über 37o Celsius zu erhöhen.
Fieber haben ist zwar eine unangenehme Erfahrung, doch unterstützt es
den Kampf des Körpers gegen eine Infektion. Weisse Blutzellen, die zum
Immunsystem des Körpers gehören, werden bei erhöhter Körpertemperatur aktiver und verstärken ihre Abwehr gegen die eindringenden Organismen 1. Ausserdem überleben und gedeihen Erreger von Infektionen in
einem heisser werdenden System nur mit Mühe. Bis vor kurzem konnte
man die zu Fieber führenden Mechanismen jedoch nicht vollumfänglich
wissenschaftlich erklären.
Man wusste, dass Fieber auftritt, wenn Prostaglandin E2 (PGE2) – ein
Hormon, das von Blutgefässen am Rand des Gehirns produziert wird –
ins Blut freigesetzt wird, ins Gehirn gelangt und an EP3-ProstaglandinRezeptoren (EP3R) bindet. Diese Rezeptoren gibt es in einem Teil des
Hypothalamus, dem so genannten medianen Nucleus praeopticus, sowie
in anderen Bereichen des Zentralnervensystems.
82
Clifford B. Saper und sein Forschungsteam versuchten folgende Frage
in 2007 zu beantworten: Welche Rezeptoren lösen als Reaktion auf das
Hormon PGE2 im Körper Fieber aus?
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
Forschende konnten bei
Mäusen die Entwicklung
von Fieber verhindern,
indem sie die EP3-Prostaglandin-Rezeptoren (weiss
gefärbt) über dem dritten
Ventrikel, einem normalen
Hohlraum des Gehirns,
ausschalteten. Die
dunklen Zellen wurden
von der Injektion eines
Gens beeinflusst, das
EP3-Rezeptoren blockiert.
Das eingefügte Bild zeigt
eine stärkere Vergrösserung dieses Vorgangs.
Um die Rezeptor Reaktion zu untersuchen, benutzte Sapers Team virale
Vektoren, so genannte adeno-assoziierte Viren; dabei handelt es sich um
gutartige Viren, die so modifiziert werden, dass sie bestimmtes genetisches Material übertragen. In diesem Fall wurde durch die adeno-assoziierten Viren selektiv das Gen EP3 entfernt und dadurch verhindert, dass
dort überhaupt Hormone PGE2 binden konnten. Das Team schaltete die
Rezeptoren jeweils in einem klar umschriebenen, winzigen Hirnbereich
der Mäuse aus und untersuchte dann deren Fieberreaktion.
Wurden die EP3R-Rezeptoren im medianen Nucleus praeopticus ausgeschaltet – wurden also die Gene EP3 dort eliminiert – reagierten die Mäuse
auf eine Infektion nicht mit Fieber 2.
Sapers Team vermutet, dass das Hormon PGE2 und seine Rezeptoren
EP3R für die Symptome verantwortlich sind, die wir normalerweise mit
dem Gefühl von krank sein verbinden; Substanzen wie Aspirin und
Ibuprofen, welche die Synthese von Prostaglandinen blockieren, wirken
nämlich sowohl gegen Fieber als auch gegen Schmerzen. Aus zwei
Gründen entschlossen sie sich, zuerst die Fieberreaktion zu untersuchen.
Erstens lässt sich die Körpertemperatur relativ einfach messen (leichter
als Schlappheit oder Schmerzen). Zweitens war Fieber schon besser
erforscht als die anderen Reaktionen auf Infektionen. Im Jahr 2008 werden Saper und seine Mitarbeitenden wiederum an Mäusen den Einfluss
83
der Hormone PGE2 und ihrer Rezeptoren EP3R auf die Schmerzreaktion
im Krankheitsfall untersuchen.
Wenn sich zeigen sollte, dass der kranke Organismus über genau dieselben Mechanismen Schmerz empfindet, die auch Fieber produzieren,
könnte man Schmerz durch die Beeinflussung des Hormons PGE2 und
seiner Rezeptoren in den Griff bekommen. Ein solcher Fortschritt brächte
Klinikern für die Behandlung der Leiden von chronisch Kranken und von
Personen im Endstadium – für Situationen also, in denen die Schmerzreaktion nicht mehr eine vorbeugende und adaptive Funktion hat – eine
Alternative zu Betäubungsmitteln und anderen Schmerzmitteln. Im Idealfall könnten Ärzte und Ärztinnen die Schmerzreaktion bei diesen Kranken
einfach „herunterfahren“ und dadurch ihre Lebensqualität verbessern.
Der allgemeinmenschliche Sinn für Musik
Das menschliche Ohr kann zwar eine grosse Vielfalt von Klängen hören,
doch hat die Musikwissenschaft verschiedene Kulturen untersucht und
dabei festgestellt, dass alle etwa die gleiche kleine Untermenge von
Klängen, die so genannten Tonleitern, zum Musizieren verwenden. Dale
Purves und sein Forschungsteam am Duke fragten sich, warum dies so sei,
und stellten die Vermutung auf, es könnte etwas mit den Tönen der
menschlichen Sprache zu tun haben. Im Jahr 2007 machten sich diese
Forschenden daran, den Zusammenhang zwischen menschlicher Sprache
und jenen musikalischen Klängen, die alle Menschen als angenehm
empfinden, zu entschlüsseln.
Anfänglich meinte das Team, in der Musik würden jene Intervalle bevorzugt, die das Auf und Ab der Tonlage von sprechenden Menschen
nachahmen. Sie erwarteten, allgemeine Stimmmodulationen anhand der
allgemein gebräuchlichen Tonleitern entschlüsseln zu können, doch handelte es sich nicht um dieselben Intervalle. Daraufhin befasste sich das
Team mit den so genannten Formanten.
84
Wenn ein Instrument einen Ton erzeugt, kann dieser als Spektrum dargestellt werden. Formanten sind die wichtigsten Frequenzkomponenten, die
dargestellt werden, wenn ein Instrument – dazu gehört auch der menschliche Kehlkopf – einen Ton hervorbringt. Wenn jemand einen Vokallaut
ausspricht, sind jene stärksten Tonlagen oder Formanten, dafür verantwortlich, dass man dieses Klangbild von anderen Vokallauten unterscheiden kann.
Die Selektionsmechanismen der Evolution lassen darauf schliessen, dass
das ästhetische Empfinden von Menschen einen praktischen Ursprung
hat. Die oben angeführte Entdeckung lässt vermuten, dass das Gehirn
jene Harmonien als angenehm empfindet, die Aspekten unserer Umwelt
entsprechen, welche wichtige Informationen enthalten, bzw. einmal enthielten. Darauf zu achten, was eine andere Person sagt, konnte buchstäblich über Leben und Tod entscheiden (und kann es auch heute noch);
Menschen, die Sprache als besonders angenehm empfanden, hörten hin,
nutzten ihre lebensrettenden Vorteile und vermehrten sich. Die Nachkommen dieser frühen Menschen benutzten dann dieselben reizvollen
Intervalle, um Musik zu erzeugen – soweit diese Theorie.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
Purves und seine Mitarbeitenden werteten die durch Musik und gesprochene Vokale gebildeten Spektren statistisch aus (die Spektren wurden
visuell dargestellt) und stellten fest, dass es zu 68% der Zeit dieselben
Intervalle waren, die Menschen unabhängig von Zeit und Ort in der Musik
als angenehm empfinden, die auch beim Sprechen von Vokallauten betont
wurden 3. Die betonten harmonischen Schwingungen der menschlichen
Sprache – jene Frequenzen, die die Harmonie und Form dessen bilden
was wir in der Sprache als Vokallaut erkennen – stimmen häufig mit den
chromatischen Intervallen unserer Musik überein. Mit anderen Worten,
die Klangbilder der Musik sind tatsächlich in unsere Sprache eingebaut.
Diese Art der Musikforschung weckte das Interesse von Purves und so
plant er, als nächstes den Zusammenhang von Musik und Emotionen zu
untersuchen. Menschen interpretieren Musik, die in einer Dur-Tonart
gespielt wird, als hell und hoffnungsvoll, während eine Melodie in einer
Moll-Tonart melancholisch zu sein scheint. Purves vermutet, dass sich der
Kehlkopf als Reaktion auf Vorgänge im Nervensystem so verändert, dass
beim Sprechen Veränderungen der Formanten auftreten, die diesen Durund Moll-Tonarten entsprechen. Gemäss dieser Theorie veranlasst das
Nervensystem einer glücklichen Person den Kehlkopf dazu, Formanten in
Dur zu produzieren; das Nervensystem einer traurigen Person bringt Formanten in Moll hervor.
Die komplizierte Wahrnehmung der gesprochenen Sprache
In den 1970er Jahren erkannten Murray Sachs und Eric D. Young von der
Johns Hopkins University den Mechanismus, über den das Gehirn
Sprache kodiert und folglich versteht. Sie entdeckten, dass Haarzellen im
Ohr als Reaktion auf einen Laut vibrieren und dass diese Vibration in ein
85
Die Intervalle zwischen Noten der
chromatischen Tonleiter (den markierten
Klaviertasten) entsprechen Schlüsseltönen der menschlichen Sprache (den
Gipfeln der weissen Linie). Diese Spitzen
ermöglichen es uns, Vokallaute zu
erkennen und machen möglicherweise
verständlich, weshalb Menschen
gewisse Töne als musikalisch empfinden.
elektrisches Signal – einen Nervenimpuls – übersetzt und dann vom Hörnerv in andere Hirnbereiche geleitet wird.
In den 1980er Jahren konnten sie darüber Aufschluss geben, wie das
Gehirn die vielfältigen über die Ohren eingehenden Informationen
abbildet. Jede der 30 000 Fasern des Hörnervs ist für eine ganz kleine
Zahl von spezifischen Frequenzen zuständig. Die entscheidenden Frequenzen, also die Formanten – es handelt sich um dieselben Muster, die
das Team von Purves untersucht hat – werden dann in der Hörschnecke,
welche die Frequenzverarbeitung der Fasern des Hörnervs interpretiert,
herausgefiltert.
86
Xiaoqin Wang, der sich inzwischen dieser Forschungsgruppe angeschlossen hat, interessiert sich dafür, wie das Gehirn sprachähnliche Stimuli in
der Hörrinde verarbeitet. Anfänglich untersuchte er an Krallenaffen, wie
Tiere entscheiden, welchen auditiven Reizen sie ihre Aufmerksamkeit
schenken. Krallenaffen wurden gewählt, weil sie über ein grosses Repertoire an Vokalen verfügen; mittels Lauten, die an Vogelgezwitscher erinnern, geben sie mannigfaltige Informationen zu sozialen und praktischen
Belangen weiter. Auch in Gefangenschaft behalten sie die Kommunikation
über Zwitschern bei. Wang und sein Team spielten aufgezeichnete Affenrufe vorwärts (wie sie normalerweise gehört werden) und dann rückwärts
ab und stellten fest, dass Affen und Katzen Affenrufe unterschiedlich
verarbeiten. Katzen reagierten auf die Affenrufe unabhängig davon, wie
Der von Young ausgiebig untersuchte Colliculus inferior bezieht die Zeit
als Faktor für das Sprachverständnis mit ein. Wenn wir etwas Gesprochenem lauschen, hören wir einzelne Laute, entschlüsseln sie und speichern
sie im Kurzzeitgedächtnis, ausserdem nehmen wir bereits die nächsten
Laute vorweg. Wenn wir mehreren Sprechenden gleichzeitig zuhören,
etwa in einer Gruppendiskussion, wird jeder Redefluss für sich verstanden
und von den anderen unterschieden. Da das Gehirn in Gesprochenem
rasch einen Sinn erkennen kann, ist Sprache für Menschen eine zweckmässige Möglichkeit der Informationsübertragung.
Zurzeit erforscht Young, wie das auditorische System neben der jeweils
augenblicklichen Lautverarbeitung auch das Kurzzeitgedächtnis für das
Verständnis von Sprache einsetzt. In einem nächsten Forschungsschritt
will er untersuchen, worauf unsere Fähigkeit beruht zu ahnen, was jemand
als Nächstes sagen wird.
Störungen der Sinnes- und Körperfunktion
diese abgespielt wurden, gleich; die Neuronen in den artgleichen Affen
reagierten jedoch stärker auf die vorwärts gespielte, vertraute Version des
Rufes. Es zeigte sich also, dass Tiere die Laute von Artgenossen auf spezifische Weise verarbeiten; diese Unterschiede wurden im Colliculus inferior, dem auditorischen Mittelhirn, sichtbar.
Im Jahr 2008 möchte Sachs ins Labor von Young und Wang zurückkehren
und untersuchen, woran ein Krallenaffe die Rufe eines ganz bestimmten
anderen Affen erkennt, wenn es viele sind, die weit weg – sichtbar und
auch unsichtbar – zwitschern. Diesen Vorgang, von allen Lauten jene einer
einzigen Quelle zu isolieren, nennt man Bildung eines auditorischen
Objekts. Die Forschenden suchen im Colliculus inferior nach Neuronen,
die diese Analyse vornehmen; im Wesentlichen handelt es sich um
dieselbe Analyse, dank welcher Menschen inmitten einer Menge Gesprochenes verstehen oder bei einer Band oder einem Orchester den Klang
eines einzelnen Instruments heraushören können.
Die Gruppe möchte erforschen, wie Musik erlebt wird. Ebenso wie Purves
interessiert sich auch Sachs für den Einfluss von Tönen auf Emotionen.
87
Stammzellen
und Neurogenese
Stammzellen aus Hautgewebe
90
Stammzellen von nicht lebensfähigen Embryos
91
Nicht alle neuralen Stammzellen sind gleich
92
Stammzellen schützen Neuronen bei ALS
93
Leistungsfähige neue Mittel zur Erforschung
von Krankheiten
94
89
D
ie unreifen, vielseitigen Vorläufer des menschlichen Gewebes, die so
genannten Stammzellen, sind, weiterhin viel versprechend für das
Verständnis und die Behandlung von Krankheiten – insbesondere von
degenerativen Erkrankungen des Nervensystems, bei denen bedeutende
Hirnzellpopulationen allmählich zugrunde gehen. Im Jahr 2007 berichteten Forschende über neue Möglichkeiten, auf ethisch unbedenkliche
Weise serienmässig Stammzellen zu gewinnen und im ganzen Körper,
auch im Gehirn, einzusetzen. Ausserdem zeigten Studien, dass Stammzellen dazu beitragen können, Prozesse der Nervendegeneration zu erforschen, und dass man durch sie absterbenden Hirnzellen eine Behandlung
zukommen lassen kann.
Stammzellen aus Hautgewebe
Im Jahr 2007 gelang der Stammzellforschung ein gewaltiger Schritt in
Richtung auf ein seit langem angestrebtes Ziel: aus adultem menschlichem
Gewebe gewonnene Zellen allmählich dazu zu bringen, sich wie embryonale Stammzellen zu verhalten und so die ethischen Hindernisse zu umgehen, welche die Verwendung von Embryos aufwirft. In der am 20. November erschienenen Ausgabe von Cell, beschrieben Shinya Yamanaka und
Mitarbeitende von der Kyoto University, Japan, sie hätten vier Gene, die
während der embryonalen Entwicklung aktiv sind, in ein modifiziertes
Virus eingefügt. Anschliessend wurde das Virus in Fibroblasten eingesetzt; dabei handelte es sich um Hautzellen, die Erwachsenen entnommen
worden waren. Diese Gene bewirkten eine „Umprogrammierung“ der
Hautzellen, so dass diese eine Stammzelllinie produzierten, die sich selbst
erneuern und ebenso viele neue Zellen bilden konnte, wie dies üblicherweise bei embryonalen Stammzellen der Fall ist 1. Ein anderes Team unter
der Leitung von James Thompson von der University of Wisconsin, Madison, verwendete eine etwas andere Kombination von Genen um auf ähnliche Weise Neugeborenen entnommene Hautzellen umzuprogrammieren.
Ihre Ergebnisse erschienen am 19. November online und am 21. Dezember
in der gedruckten Ausgabe von Science 2.
90
Stammzellen, die mit dieser Methode hergestellt wurden, weisen dieselbe
"Pluripotenz“ auf wie embryonale Stammzellen, d. h. sie können sich in
jede gewünschte Art von Gewebe entwickeln. Zwei in der Ausgabe vom
19. Juli in Nature publizierte Studien – die eine wurde von Yamanaka, die
andere von Rudolph Jaenisch vom Whitehead Institute, Boston, und
Mitarbeitenden durchgeführt – hatten mittels demselben Ansatz diese
Die unmittelbarste Anwendung dieses Verfahrens wird darin bestehen,
Zelllinien herzustellen, die Gene enthalten, von denen man weiss, dass sie
bestimmte Krankheiten verursachen, etwa erbliche Arten der Alzheimerund der Parkinson-Krankheit. Anhand dieser Zelllinien kann dann erforscht
werden, auf welche Weise die Genprodukte eine Neurodegeneration
bewirken, und es lassen sich in Frage kommende Therapien überprüfen.
Letztlich erhofft man sich von dieser neuen Stammzelltechnik den Beginn
eines neuen Zeitalters der Medizin, in dem viele Hirnkrankheiten dadurch
behandelt werden können, dass man beschädigte Nervenzellen durch
eine neue Population von Hirnzellen ersetzt; diese stammen von Hautzellen, die den betreffenden Kranken selbst entnommen wurden. Es gibt
allerdings noch viele Hindernisse. Beispielsweise könnte die Verwendung
modifizierter Viren, welche Gene in Hautzellen bringen, zur Entwicklung
von Tumoren führen. Ausserdem sind die von Hautzellen gewonnenen
Stammzellen und die von Embryos gebildeten nicht identisch, und dieser
Unterschied könnte sich als bedeutend erweisen. Obwohl es noch gilt,
diese potentiellen Schwierigkeiten erfolgreich zu meistern, ist die Möglichkeit grosse Mengen von Stammzellen zu produzieren, ohne auf
befruchtete menschliche Embryos zurückgreifen zu müssen, ein entscheidender Fortschritt.
Stammzellen und Neurogenese
Pluripotenz für Zelllinien nachgewiesen, die aus Hautzellen von Mäusen
gebildet wurden 3, 4.
Stammzellen von nicht lebensfähigen Embryos
Das erfolgreiche Klonen des Schafes Dolly im Jahr 1997 mit Hilfe des so
genannten somatischen Zellkern-Transfers weckte die Hoffnung, man
könnte auf dieselbe Weise einen endlosen Vorrat an Stammzellen produzieren – entweder gesunde Zellen von Kranken oder, zu Forschungszwecken, Zellen mit einer bestimmten genetischen Störung. Die Methode
beruht allerdings darauf, dass das gewünschte genetische Material in eine
Oozyte oder Eizelle eingesetzt wird. Von Menschen eine ausreichende
Zahl von Eizellen zu gewinnen, ist mit technischen und ethischen Problemen verbunden.
Am 7. Juni erschien in Nature eine Studie, die aufzeigt, wie sich viele
dieser Probleme umgehen lassen. Dieter Egli und Mitarbeitende an der
Harvard University arbeiteten mit Mäusen und wiesen nach, dass es
möglich ist, Stammzellmaterial in befruchtete Embryos oder Zygoten einzusetzen – dies war in früheren Forschungsarbeiten fehlgeschlagen.
91
In einer Phase des Experiments verwendeten die Forschenden Zygoten
mit zusätzlichen Chromosomen – diese sind nicht lebensfähig und können
sich daher nicht zu lebenden Nachkommen entwickeln – entfernten die
abnormalen Chromosomen und setzten die DNA jener Stammzellen ein,
die sie vermehren wollten. Einem Bericht der American Society for Reproductive Medicine/Society for Assisted Reproductive Technology Registry
aus dem Jahr 2000 zufolge sind in Kliniken für In-Vitro-Fertilisations schätzungsweise 3-5% der menschlichen Zygoten Träger solcher Anomalien
und werden üblicherweise entsorgt 5. Die Studie zeigt erstmals auf, wie
diese unbrauchbaren Zygoten – ihre Zahl geht in die Zehntausende – zu
einem grossen Vorrat an Stammzellen führen könnten.
Da die Chromosomenstörungen der Embryos mit Leben nicht vereinbar
sind, würde dieser Ansatz kein potentielles Leben zerstören. Ausserdem
wäre das genetische Material in den entstandenen Stammzellen nicht das
der ursprünglichen Spender. Die Technik könnte eine ethisch annehmbare
Möglichkeit zur serienmässigen Entwicklung von Stammzellen für die
Erforschung vieler Erbkrankheiten des Menschen darstellen 6.
Nicht alle neuralen Stammzellen sind gleich
Um die therapeutischen Möglichkeiten von neuralen Stammzellen nutzbar
zu machen muss man jene Faktoren, genau verstehen, die ihre Entwicklung steuern. Es wird allgemein angenommen, dass neurale Stammzellen
mit einem einheitlichen Potential ihr Leben beginnen und theoretisch auf
beinahe jeden Entwicklungsweg gebracht werden können.
Diese Annahme gründet jedoch auf Forschungsarbeiten mit Zellkulturen;
über das Verhalten von Stammzellen im Gehirn ist weniger bekannt. Eine
am 20. Juli in Science veröffentlichte Studie zeigt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten einer Stammzelle abhängig von ihrer Lokalisation eingeschränkt sind 7.
92
Arturo Alvarez-Buylla und Mitarbeitende von der University of California
in San Francisco verfolgten bei ihrer Arbeit mit neugeborenen und adulten
Mäusen die Vermehrung einer kleinen Gruppe von Stammzellen. Dabei
wurden ausgewählte Stammzellen dauerhaft mit einem grün fluoreszierendem Protein markiert. Das Team verfolgte den Verbleib von Stammzellen aus 15 verschiedenen Orten einer grossen „zellbildenden“ Hirnregion
von adulten Tieren, in der auch nach der Geburt noch Neuronen und
andere Hirnzellen generiert werden.
Stammzellen und Neurogenese
Zwar brachten alle dieser Orte reife, grün markierte Nervenzellen hervor,
doch unterschied sich die Art der entstandenen Neuronen je nach ihrem
Herkunftsort. Ausserdem erwiesen sich die Stammzellen gegenüber
Veränderungen ihrer Umgebung als erstaunlich widerstandsfähig. Selbst
wenn man sie aus dem Gehirn entfernte und mit den verschiedensten
Wachstumsfaktoren in Zellkulturen züchtete – oder wenn man sie an
unterschiedlichen Orten der zellbildenden Region anderer Tiere implantierte – stets gingen aus den Stammzellen Neuronen oder andere Hirnzellen hervor, und die gebildeten Neuronen waren wiederum für ihren
Herkunftsort spezifisch. Der Befund lässt darauf schliessen, dass Stammzellen zwar wirklich vielseitig sind, dass aber eine einzelne Stammzelle nur
Neuronenarten hervorbringen kann, die auf einen bestimmten Hirnbereich zugeschnitten sind und dass sie nicht leicht eine neue Identität
annimmt, wenn man sie an einen anderen Ort verpflanzt. Diese regionale
Spezifizität könnte den therapeutischen Nutzen einer bestimmten Population von Stammzellen einschränken.
Stammzellen schützen Neuronen bei ALS
Üblicherweise werden Stammzellen dafür gepriesen, dass sie einen
gesunden Ersatz für jene Zellen produzieren können, die durch eine degenerative Erkrankung absterben. Sie können aber auch verwendet werden,
um geschädigte Neuronen mit therapeutischen Substanzen zu versorgen.
Clive Svendsen und Mitarbeitende von der University of Wisconsin, Madison, manipulierten Stammzellen so, dass diese den Wachstumsfaktor
GDNF (glial-derived neurotrophic factor) freisetzten, eine Substanz, die
Neuronen nährt und schützt. Wie sie in der Ausgabe vom 31. Juli in
PLoS One, der Online-Zeitschrift der Public Library of Science berichteten,
implantierten sie GDNF sezernierende Stammzellen ins Rückenmark
von Ratten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS, oder Lou-GehrigSyndrom), bei der Motoneuronen geschädigt werden 8.
Die Transplantate etablierten sich und waren in der Lage, bei Ratten in
einer frühen Krankheitsphase praktisch alle geschädigten Neuronen zu
schützen. Die manipulierten Zellen zeigten eine hohe Affinität zu den
geschädigten Neuronen, bewegten sich direkt in die verletzten Bereiche
und gaben dort GDNF ab.
Das Verfahren stellte jedoch die Kommunikation zwischen Motoneuronen
und Muskeln nicht wieder her und es verbesserte auch die Fähigkeit der
93
Clive Svendsen und
Mitarbeitende von der
University of Wisconsin,
Madison, haben Stammzellen hergestellt, die den
Wachstumsfaktor GDNF
(glial-derived neurotrophic
factor) freisetzten. Implantate solcher Zellen erhielten bei Ratten im Frühstadium von ALS die
geschädigten Motoneuronen am Leben.
Ratten nicht, ihre Glieder zu gebrauchen; als Behandlung der ALS würde
sich seine Aufgabe darauf beschränken, die Neuronen am Leben zu erhalten. Dennoch zeigt dieser Ansatz eine weniger bekannte Verwendung von
Stammzellen auf, die zur Behandlung vieler Krankheiten nützlich sein
könnte. Stammzellen dafür einzusetzen, dass sie an geschädigte Orte im
Gehirn wandern, wird derzeit als gezielte Behandlungsmöglichkeit von
Hirntumoren erforscht.
Leistungsfähige neue Mittel zur Erforschung
von Krankheiten
Zwei Teams verwendeten Stammzellen zur Erforschung der Amyotrophen
Lateralsklerose und fanden einen entscheidenden Hinweis im Zusammenhang mit dieser geheimnisvollen Krankheit. Mehr als 90% der Fälle treten
vereinzelt auf, d. h. die Krankheit kam in der Familie der Betroffenen nie
vor. Dennoch wurde bei einigen Personen ein mutiertes Gen, welches für
das Enzym Superoxid Dismutase-1 (SOD1) kodiert, als eine Krankheitsursache identifiziert.
94
Auf welche Weise das mutierte Gen Motoneuronen schädigt, weiss man
nicht. Unklar ist insbesondere, ob das geschädigte Gen die Funktion
von Motoneuronen direkt beeinflusst oder ob andere Zellen daran
beteiligt sind. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sogar bei
gesunden Motoneuronen typische Merkmale von ALS auftreten, wenn
man sie zusammen mit nicht neuronalen Zellen züchtet, die Träger dieser
Mutation sind.
Dennoch führten Astrozyten mit dieser Mutation zum Tod von Motoneuronen, und dies geschah über denselben degenerativen Prozess wie im
Falle von ALS. Ausserdem erkannte das Team, dass die Astrozyten eine
schädigende Wirkung entfalten, indem sie eine Substanz freisetzen, die
selektiv für Motoneuronen toxisch ist – dies im Gegensatz zu unschädlichen Substanzen, die von anderen Arten von Helferzellen, etwa der Glia,
freigesetzt werden.
Stammzellen und Neurogenese
Diese neuen Studien, die beide in der Mai-Ausgabe von Nature Neuroscience publiziert wurden, deuten darauf hin, dass die Astrozyten, sternförmige Zellen, die im Gehirn viele Schutzfunktionen wahrnehmen, dafür
verantwortlich sind. Forschende unter der Leitung von Serge Przedborski
an der Columbia University arbeiteten sowohl mit Motoneuronen, die
Mäuseembryos direkt entnommen worden waren, als auch mit Neuronen,
die aus embryonalen Stammzellen von Mäusen stammten; in ihrer ersten
Studie stellten sie fest, dass Motoneuronen, welche Träger der menschlichen SOD-Mutation waren, zwar einige Anomalien erkennen liessen,
aber keine Neurodegeneration 9.
Die zweite Studie wurde von Kevin Eggan und Mitarbeitenden an der Harvard University und der Universität Perugia durchgeführt; sie verwendeten embryonale Stammzellen von Mäusen, um dieselbe Frage anhand
eines Modells zu untersuchen 10. Die Forschenden benutzten Stammzellen
von speziell gezüchteten Mäusen, die entweder über das normale
menschliche SOD-Gen oder über die mutierte Version verfügten, und liessen sie zu einer grossen Menge von Motoneuronen differenzieren. Die
mutierten Zellen durchliefen die charakteristischen Krankheitsschritte,
was zum Tod der Motoneuronen führte; demnach dürfte der Stammzellen-Ansatz langfristig ein erfolgreiches Forschungsmodell der ALS darstellen. Ausserdem zeigte sich sowohl bei den normalen wie auch bei den
mutierten Motoneuronen Anzeichen einer Neurodegeneration, wenn sie
zusammen mit SOD-mutierten Helferzellen in Kulturen gezüchtet wurden.
Indem beide Befunde aufzeigen, dass ALS auf Faktoren beruhen könnte,
die, wie z. B. Astrozyten, eigentlich nicht zu den Motoneuronen gehören,
diese jedoch beeinflussen, eröffnen sie neue Behandlungsmöglichkeiten.
Sie machen auch deutlich, dass Stammzellen ein leistungsfähiges Mittel
sein könnten, um den Verlauf dieser Krankheit zu untersuchen – die Arbeit
der letztgenannten Studie stellt sogar eine auf Zellen beruhende Screening-Methode zur Suche nach potentiellen neuen Medikamenten bereit.
95
Denken und Erinnern
Beta-Amyloid und Alzheimer-Krankheit
98
Genvarianten
100
Andere Ansatzpunkte für eine Behandlung
101
Die Alzheimer-Krankheit vorhersagen
103
Erinnerung und Vorstellung
104
97
W
as das Verständnis und die Behandlung degenerativer Erkrankungen
des Nervensystems, einschliesslich der Alzheimer-Krankheit, anbelangt,
bearbeitete die Forschung im Jahr 2007 Neuland. Daraus ergaben sich
auch neue Erkenntnisse über die Art und Weise, wie das Gehirn Erinnerungen an Vergangenes für Zukunftspläne einsetzt.
Bisher wurde noch keine Behandlung gefunden, die nachweislich den
Verlauf der Alzheimer-Krankheit zu beeinflussen vermag, doch sind die
Forschenden an verschiedenen Fronten so nahe dran, dass deren Kombination die Behandlung und möglicherweise sogar die Prävention der
Alzheimer-Krankheit verbessern könnte. Dem Protein Beta-Amyloid gilt
dabei ein besonderes Augenmerk, doch richtet sich die Forschung weiterhin auch auf andere Ziele.
Beta-Amyloid und Alzheimer-Krankheit
Einige der Forschungsfortschritte betreffen die aus Beta-Amyloid Protein
bestehenden Plaques und Fibrillen, die sich im Gehirn von Alzheimer-Kranken bilden. Plaques entstehen in Zwischenräumen zwischen Hirnzellen,
und Fibrillen entwickeln sich innerhalb von Hirnzellen, doch wird angenommen, dass die Schädigung der Neuronen und die Beeinträchtigung von
Hirnfunktionen bereits erfolgen bevor diese Strukturen sichtbar werden.
Die Ergebnisse verschiedener Studien mit synthetischen Beta-Amyloid
Peptiden, an Zellkultur-Modellen, transgenen Mäusen (die aufgrund
genetischer Veränderungen menschliche DNA enthielten) sowie am
menschlichen Gehirn weisen alle in dieselbe Richtung: Demnach wirkt die
fortschreitende Ansammlung von Beta-Amyloid längst zelltoxisch bevor
sich sichtbare Plaques und Fibrillen bilden. Die Untereinheiten oder Bausteine des Beta-Amyloid Proteins waren im Jahr 2007 Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten.
Ein von Lennart Mucke an der University of California, San Francisco,
geleitetes Team untersuchte transgene Mäuse, die über grosse Mengen
von Beta-Amyloid Untereinheiten im Gehirn verfügten; diese Tiere zeigen
viele Alzheimer-Symptome, unter anderem auch kognitive Einbussen 1.
98
Die Häufigkeit nicht konvulsiver Anfallstätigkeit im Hippokampus und
im Kortex, d. h. in Strukturen, die bekanntlich für das Gedächtnis
wichtig sind, war hoch. In diesen Hirnregionen bewirken Beta-Amyloid
Denken und Erinnern
ADDL sind toxische Proteine, die im
Gehirn und im Liquor von Alzheimerkranken entstehen und die für das
Gedächtnis verantwortlichen Synapsen
einer Hirnzelle angreifen. Im Jahr 2007
haben Forschende die Auswirkung von
ADDL untersucht.
Untereinheiten, dass sich die Impulsrate in gewissen erregenden neuronalen Schaltkreisen erhöht. Als Reaktion darauf organisieren sich hemmende
Schaltkreise neu und in der Folge davon nimmt die Impulsrate der Nervenzellen in den erregenden Schaltkreisen ab.
Das Team folgerte daraus, dass die mit der Alzheimer-Krankheit verbundenen kognitiven Einbussen möglicherweise auf die Kombination von
übermässiger neuronaler Aktivität infolge der Beta-Amyloid Untereinheiten einerseits und der darauf folgenden Reorganisation der hemmenden
Schaltkreise anderseits zurückzuführen sind. Die Reorganisation könnte
die Tätigkeit der erregenden Schaltkreise verringern.
Mucke nimmt an, dass eine therapeutisch hervorgerufene Blockade der
durch Beta-Amyloid ausgelösten Übererregung von Neuronen sowohl die
Aktivierung der hemmenden Bahnen als auch die nachfolgende Reorganisation und die sich daraus ergebenden kognitiven Beeinträchtigungen
verhindern könnte.
Andernorts erforschte ein von William Klein geleitetes Team der Northwestern University den Einfluss der von Beta-Amyloid gesteuerten Untereinheiten, der so genannten ADDL, auf den Aufbau, die Struktur und die
Menge der Synapsen 2. Diese Moleküle entstehen im Gehirn und im
Liquor. Sie binden an Synapsen und stören deren Plastizität, d. h. die
Fähigkeit der Synapse sich zu verändern. Schliesslich degeneriert die
Synapse und verursacht den im Anfangsstadium der Alzheimer-Krankheit
auftretenden Gedächtnisverlust.
99
Klein und sein Team untersuchten dendritische Dornen, d. h. Auswüchse
auf den schmaleren, verästelten Fortsätzen von Neuronen. Bei den meisten Neuronen leiten Dendriten Impulse zum Nervenzellkörper.
Klein und seine Mitarbeitenden züchteten Neuronen aus dem Hippokampus und stellten fest, dass ADDL an dendritische Dornen von bestimmten
Typen von Nervenzellen binden und bewirken, dass die Zahl gewisser, für
das Gedächtnis bedeutsamer Rezeptoren zunimmt. Eine fortgesetzte
Exposition führt zu einer abnorm langen, dünnen Form dendritischer
Dornen, und schliesslich zur Reduktion ihrer Anzahl. Als Folge davon
gehen die Synapsen zugrunde. Wie die Gruppe berichtete, konnte das
Anti-Alzheimer-Medikament Namenda beide Veränderungen verhindern.
In einer verwandten Studie wies ein Team unter der Leitung von Bernardo
Sabatini in Harvard nach, dass Untereinheiten von Proteinen, die von BetaAmyloid stammen, den fortschreitenden Verlust von Synapsen in Zellen
des Hippokampus hervorriefen – dies allerdings nur, wenn diese Untereinheiten aus zwei oder drei Molekülen zusammengesetzt waren, nicht
aber, wenn sie aus einem einzigen Molekül bestanden 3. Nachdem sie den
kleinen, löslichen Molekülen ausgesetzt worden waren, nahmen die
Dichte der Dornen auf den Dendriten und die Zahl der aktiven Synapsen
von pyramidenförmigen Neuronen ab.
Beta-Amyloid-spezifische Antikörper wirkten dem Verlust der Dornen
ebenso entgegen wie eine Substanz, die verhinderte, dass sich die kleinen
Moleküle zu grösseren Einheiten zusammenschlossen. Sabatini schloss
daraus, dass kleine, lösliche Untereinheiten von Beta-Amyloid den Verlust
von Synapsen auslösen.
Die genaue molekulare Struktur dieser löslichen, diffusionsfähigen Untereinheiten, die sich zu sichtbaren Plaques und Fibrillen zusammenfügen,
wird weiter erforscht. Nichtsdestotrotz beginnt man bereits Therapien zu
entwickeln und zu testen, welche die Bildung dieser Untereinheiten verhindern sollen. Ziel solcher Behandlungen ist es, das Zugrundegehen neuronaler Schaltkreise zu verlangsamen oder sogar zu stoppen, noch bevor
Symptome der Alzheimer-Krankheit auftreten 4.
Genvarianten
100
Beta-Amyloid wird in verschiedenen Bereichen der Zelle aus dem Amyloid-Vorläufer-Protein (amyloid precursor protein; APP) gebildet. Ein
Denken und Erinnern
wichtiger Schritt bei der Herstellung von Beta-Amyloid erfolgt während
des Wiedereintritts und der Wiederaufbereitung von APP, wenn es
von der Zelloberfläche über eine bestimmte Bahn ins Innere der Zelle
gelangt. Ein grosses internationales Forschungsteam unter der Leitung von
Peter St. George-Hyslop von der University of Toronto kam zum Schluss,
dass sich ererbte Unterschiede in dieser Bahn sowohl auf die Verarbeitung von APP als auch auf das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, auswirken könnten.
Wie sie in Nature Genetics berichteten, hängen ererbte Unterschiede im
Gen SORL1 mit der spät beginnenden Alzheimer-Krankheit zusammen 5.
Die Varianten kommen in mindestens zwei verschiedenen Clustern von
nicht kodierender DNA im SORL1-Gen vor. Möglicherweise steuern diese
Cluster, wie SORL1 im Hirngewebe exprimiert wird.
Das Team stellte fest, dass APP von SORL1 in Wiederaufbereitungsbahnen gelenkt wird. Wenn es an SORL1 mangelt, gelangt APP in Regionen,
in denen sich Beta-Amyloid Proteine bilden. Die Forschenden schlossen
daraus, dass ererbte oder erworbene Veränderungen der SORL1-Expression oder -Funktion eine Ursache der Alzheimer-Krankheit darstellen.
Andere Ansatzpunkte für eine Behandlung
Beta-Amyloid Proteine sind nicht der einzige Ansatzpunkt für mögliche
Behandlungen der Alzheimer-Krankheit. Ein weiterer ist das Tau-Protein.
Tau ist in normalen Neuronen reichlich vorhanden. In Zusammenarbeit mit
dem Protein Tubulin fördert und stabilisiert es Mikrotubuli, jene hohlen,
zylinderförmigen Strukturen in Zellen, welche die Zelle stützen und durch
die Material befördert wird.
Allerdings können gewisse abnorme Formen von Tau den Aufbau der
Neurofibrillen und Fasern bewirken, die man in den Neuronen von Alzheimer-Kranken findet. Forschende gehen nun der Frage nach, ob auf Tau
gerichtete Behandlungen die durch Beta-Amyloid hervorgerufenen kognitiven Einbussen verhindern können.
Ein von Eric Roberson am Gladstone Institute of Neurological Disease in
San Francisco geleitetes Team untersuchte diese Frage anhand von
transgenen Mäusen. Die Mäuse waren so verändert worden, dass sie
hohe Konzentrationen des Amyloid-Vorläufer-Proteins exprimierten. Ihre
101
Lernfähigkeit und ihr Gedächtnis wurden in einem Wasserlabyrinth getestet. Roberson stellte fest, dass eine Reduktion der Tau-Level bewirkte,
dass Mäuse selbst bei hohen Beta-Amyloid-Spiegeln noch lernen konnten, sich im Labyrinth zurechtzufinden.
Eine weitere mögliche Therapie stützt sich auf das Peptid NAP,
das erwiesenermassen vor dem durch Beta-Amyloid hervorgerufenen
Untergang von Neuronen schützt.
Ausserdem beobachtete Roberson, dass eine Reduktion von Tau sowohl
transgene als auch nicht transgene Mäuse vor der so genannten Exzitotoxizität schützte; diese tritt auf, wenn eine bestimmte Aminosäure im
Gehirn eine für Neuronen toxische Wirkung entfaltet. Die in Science
publizierte Studie kam zum Schluss, dass eine Reduktion von Tau sowohl
Beta-Amyloid als auch eine exzitotoxische Störung von Neuronen zu
hemmen vermag 6. Somit könnte die Tau-Reduktion eine wirksame
Strategie zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit und verwandter Störungen darstellen.
Eine weitere mögliche Therapie stützt sich auf das Peptid NAP, das erwiesenermassen vor dem durch Beta-Amyloid hervorgerufenen Untergang
von Neuronen schützt. NAP scheint zu verhindern, dass sich aus BetaAmyloid Plaques und Fibrillen bilden. Ausserdem bindet es an Tubulin und
verhindert dadurch die mit der Alzheimer-Krankheit verbundene Schädigung der Mikrotubuli.
Paul Aisen und sein Forschungsteam an der Georgetown University untersuchten transgene Mäuse, die beide Merkmale der Alzheimer-Krankheit
aufwiesen: eine Anhäufung von Beta-Amyloid und die mit einer Fehlfunktion der Mikrotubuli verbundenen modifizierten Formen von Tau. Als die
Tiere neun Monate alt waren, erhielten sie – noch vor dem Auftreten von
Krankheitssymptomen – während dreier Monate täglich eine Dosis NAP.
Im Journal of Molecular Neuroscience berichtete das Team, die Behandlung hätte den Spiegel von Beta-Amyloid im Gehirn der Tiere entscheidend gesenkt 7. NAP setzte auch die Konzentration von abnormalem Tau
herab. Die Forschenden schliessen daraus, dass NAP eine viel versprechende Behandlung der Alzheimer-Krankheit sein könnte.
102
Unterdessen untersuchten Forschende am Massachusetts Institute of
Technology Mäuse, bei denen sie den kurzfristigen und örtlich begrenzten
Das Team untersuchte das im Hirngewebe der Mäuse vorhandene genetische Material. Dabei interessierte es sich vor allem für die Histon-Enden
des Chromatins jenen Komplex von DNA und Proteinen, aus denen die
Chromosomen bestehen. Chromatinstränge enthalten Histone, einen Proteintyp, um den DNA gewickelt ist. Die Arme oder Enden der Chromatinfasern bestehen vor allem aus Histonen.
Denken und Erinnern
Untergang von Neuronen nachprüfen konnten. Einige der Mäuse wurden
in einer „angereicherten Umgebung“ gehalten – ihre Käfige enthielten
Laufräder, Spielsachen, Tunnels und Klettervorrichtungen. In dieser angereicherten Umgebung gewannen die Mäuse selbst nach einer Hirnatrophie und dem Untergang von Neuronen ihr Lernverhalten zurück und
konnten wieder auf ihr Langzeitgedächtnis zurückgreifen.
Die Forschenden stellten fest, dass es in einer angereicherten Umgebung
zu chemischen Veränderungen in diesen Histon-Armen kam. Wenn dieselben Veränderungen durch eine Substanz ausgelöst wurde, welche die
Aktivität des verwandten Enzyms HDAC hemmt, dann sprossen Dendriten aus, stieg die Zahl der Synapsen an und besserten sich das Lernverhalten sowie der Zugriff zum Langzeitgedächtnis. Die Forschenden kamen in
ihrem Artikel in Nature vom 10. Mai zum Schluss, dass Substanzen, die
dieses Enzym hemmen, die Behandlung der Alzheimer-Krankheit und
anderer Formen von Demenz unterstützen könnten 8.
Andere Forschende untersuchen die Tätigkeit von HDAC-Inhibitoren.
Verändern sie die Expression vieler Gene und beeinflussen sie Gedächtnisvorgänge ganz allgemein? Oder ist ihre Wirkung spezifisch? Eine
Studie stellte zwei spezifische Auswirkungen fest. Die eine bezieht sich
auf das Protein CREB, das innerhalb der Neuronen gebildet wird und
bekanntlich für den Aufbau des Gedächtnisses von Bedeutung ist. Inhibitoren beeinflussen ausserdem die Expression mehrerer einzelner Gene
während der Konsolidierung des Gedächtnisses 9.
Die Alzheimer-Krankheit vorhersagen
Ein von David Holtzman an der Washington University in Saint Louis geleitetes Team berichtete im März 2007 in Archives of Neurology, die
Verhältniszahlen bestimmter Typen von Beta-Amyloid und Tau gäben
bei Personen mit normalen kognitiven Fähigkeiten darüber Aufschluss,
ob im Gehirn amyloide Ablagerungen vorhanden sind, welche die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Demenz erhöhen.
103
Die Forschenden analysierten den Liquor und das Blut von 139 Freiwilligen im Alter zwischen 60 und 91 Jahren, die als kognitiv gesund, bzw. als
an einer sehr milden oder moderaten Demenz leidend diagnostiziert worden waren 10. Das Team berichtete, dass im Liquor von Personen mit sehr
milder oder moderater Alzheimer-Krankheit ein bestimmter Typ von BetaAmyloid weniger und Tau mehr vorhanden war als bei gesunden Kontrollpersonen. Die Konzentration dieses Typs von Beta-Amyloid erlaubte eine
Aussage über das Vorhandensein von Amyloid im Gehirn von Personen
mit und ohne Demenz.
Erinnerung und Vorstellung
Ebenfalls im Jahr 2007 untersuchte eine zunehmende Zahl von Forschungsgruppen die Beziehung zwischen der Erinnerung an Vergangenes und der
Vorstellung von Zukünftigem. Personen, mit einer Schädigung des Hippokampus haben Mühe, sich an vergangene Ereignisse zu erinnern und sich
künftige Szenarien vorzustellen. Schizophrenie-Kranke erinnern sich ebenfalls weniger an spezifische vergangene Ereignisse und stellen sich eine
kleinere Zahl von spezifischen zukünftigen Ereignissen vor als Gesunde,
berichtete Arnaud D’Argembeau von der belgischen Universität in Liège.
Die Forschungsarbeit ist im Journal of Abnormal Psychology beschrieben 11.
Der Verlust des episodischen Gedächtnisses führt unter anderem dazu,
dass es älteren Erwachsenen manchmal schwer fällt, Informationen einzuordnen und Elemente miteinander in Beziehung zu bringen.
Eine Harvard-Studie, über die in Psychological Science berichtet wurde,
kam zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Forschungsteam untersuchte das
episodische Gedächtnis von gesunden, älteren Erwachsenen und von
College-Studierenden. Das episodische Gedächtnis ist bedeutsam, da es
uns die Erinnerung an persönliche Erlebnisse ermöglicht, die in einzigartiger Weise unser individuelles Leben ausmachen. Dank ihm können wir
uns in der subjektiven Zeit sowohl rückwärts als auch vorwärts entwerfen.
104
Wenn das Team die Freiwilligen aufforderte, sich vergangene und künftige
Ereignisse vorzustellen, fielen den älteren Erwachsenen zu vergangenen
Ereignissen weniger episodenspezifische Einzelheiten ein als den jüngeren Erwachsenen. Dasselbe galt für künftige Ereignisse: Vorgestellte
Ereignisse enthielten weniger episodische Informationen 12. Der Verlust
des episodischen Gedächtnisses führt unter anderem dazu, dass es älteren
Erwachsenen manchmal schwer fällt, Informationen einzuordnen und
Elemente miteinander in Beziehung zu bringen.
Denken und Erinnern
Studien mit bildgebenden Verfahren belegen, dass die Erinnerung an
Vergangenes und die Vorstellung von Künftigem auf denselben Hirnbereichen beruhen. In einer Studie wurden 21 Freiwillige im Alter zwischen
18 und 32 Jahren einer Magnetresonanzbildgebung unterzogen, während
sie sich als Reaktion auf entsprechende Stichworte an vergangene Ereignisse erinnerten und sich künftige vorstellten 13. Die Aufnahmen liessen
eine erstaunliche Überschneidung der mit vergangenen und künftigen
Ereignissen verbundenen Aktivität erkennen: Bei der Erinnerung an
Vergangenes und der Vorstellung von Künftigem handelt es sich um Vorgänge, die mit einem zentralen Bereich des Gehirns zusammenhängen,
der sowohl die Bereiche des präfrontalen und medialen Schläfenlappens
als auch die posterioren Bereiche (einschliesslich des Precuneus und des
Cortex retrosplenialis) umfasst; diese werden übereinstimmend als Komponenten des Erinnerungs-Abruf-Netzwerks des Gehirns angesehen.
Ergebnisse dieser Art führten zum Konzept des „prospektiven Gedächtnisses“, d. h. zur Annahme, das Gehirn verwende gespeicherte Informationen dazu, sich mögliche künftige Ereignisse vorzustellen, sie zu simulieren und vorherzusagen. Dieses Konzept bietet eine neue Denkweise und
neue Untersuchungsmöglichkeiten in Bezug auf das Gedächtnis – so die
Harvard-Psychologen und -Psychologinnen Daniel Schacter, Donna Rose
Addis und Randy Buckner 14. Es geht von der Annahme aus, dass sowohl
die Erinnerung als auch die Vorstellung auf gemeinsame Netzwerke zurückgreifen, um gespeicherte Informationen abzurufen.
Sich etwas vorstellen verlangt jedoch, dass man einzelne Inhalte auf eine
neue Weise kombiniert; dies beansprucht zusätzliche Hirnbereiche. Diese
Überlappung könnte erklären, weshalb das Abrufen nicht eine perfekte
Erinnerung des Vergangenen sondern einen konstruktiven Vorgang
darstellt. Die Fähigkeit, im Gedächtnis gespeicherte Informationen neu zu
organisieren und umzuformen, kann für die Zukunftsplanung entscheidend sein, meinen Schacter, Addis und Buckner.
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Abbildungen / Fotos
S. 5: Photo courtesy of Mike Lovett
S. 11: Photo courtesy of Michael S. Gazzaniga
S. 17: Above photo courtesy of Mahlon R. DeLong, MD
Down photo courtesy of Thomas Wichmann, MD
S. 25: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 28: Image courtesy of Philip Shaw / NIH
S. 29: Photo courtesy of Adrian Bird, University of Edinburgh
S. 30: Image courtesy of Adrian Bird, University of Edinburgh
S. 33: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 35: Image courtesy of Cynthia McMurray
S. 39: Photo courtesy of New York Presbyterian / Weill Cornell Medical College
S. 41: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 45: Photo courtesy of Rakesh Jain
S. 46: Image courtesy of Rakesh Jain
S. 49: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 51: Photo courtesy of Judy Illes
S. 57: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 59: Photo courtesy of Affymetrix
S. 60: Image courtesy of Affymetrix
S. 65: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 68: Photo courtesy of Bryan Hains, Yale University
S. 71: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 73: Photo courtesy of School of Engineering, Stanford University
S. 74: Image courtesy of Helen Mayberg
S. 81: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 83: Image courtesy of Clifford B. Saper
S. 86: Image courtesy of Dale Purvis
S. 89: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 94: Photo courtesy of Clive Svendsen
S. 97: Illustration by Jennifer E. Fairman
S. 99: Image courtesy of William Klein
115
Stelle Dir
eine Welt vor . . .
… in der Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson, Lou Gehrig (ALS) sowie Retinitis pigmentosa und andere Ursachen von Erblindung jeweils in einem frühen Stadium erkannt
und umgehend mit Medikamenten behandelt
werden, die eine Verschlimmerung, noch vor
dem Auftreten schwerwiegender Schädigungen verhindern.
… in der die genetischen Bahnen und die
umweltbedingten Auslöser, die Menschen für
Geisteskrankheiten disponieren, bekannt sind,
so dass entsprechende diagnostische Tests
und zielgerichtete Therapien – einschliesslich
Medikamente, Beratung und vorbeugende
Eingriffe – in grossem Umfang zur Verfügung
stehen und umfassend angewendet werden.
… in der neue Erkenntnisse über die Entwicklung des Gehirns dazu verwendet werden,
die entscheidenden Vorteile des Lernens in
den ersten Lebensjahren zu fördern und mit
dem Altern zusammenhängende Krankheiten
zu bekämpfen.
… in der Rückenmarksverletzungen nicht
länger zu lebenslänglichen Lähmungen führen,
da das Nervensystem dazu gebracht werden
kann, Nervenschaltkreise neu zu gestalten und
die Bewegung der Muskeln wieder herzustellen.
… in der Drogenabhängigkeit und Alkoholismus das Leben von Menschen nicht länger
im Griff haben, da leicht zugängliche Behandlungen jene Veränderungen im Gehirn beeinflussen können, die für das Absetzen von
Abhängigkeit erzeugenden Substanzen verantwortlich sind, aber auch Sucht und Verlangen hervorrufen können.
… in der das tägliche Leben der Menschen
118
nicht mehr von depressiven Episoden oder
Angstattacken beeinträchtigt wird, da wirksamere Medikamente zur Behandlung dieser
Krankheiten verfügbar werden.
Es mag zwar vielen unrealistisch und utopisch
vorkommen, aber wir dürfen festhalten, dass
wir gegenwärtig in einer ausserordentlich
aufregenden Zeit der Geschichte der Neurowissenschaft leben. Die im vergangenen Jahrzehnt erfolgten Fortschritte in der Forschung
haben uns weiter gebracht als wir gehofft
hatten. Wir verstehen die grundlegenden
Mechanismen der Hirntätigkeit wesentlich
besser und sind nun an dem Punkt angelangt,
an dem wir diese Erkenntnisse für therapeutische Zwecke fruchtbar machen können.
Wir haben bereits angefangen, Strategien,
neue Techniken und Behandlungsformen
zur Bekämpfung einer ganzen Reihe neurologischer Krankheiten und Störungen zu entwickeln. Indem wir Therapieziele festlegen
und unser Wissen anwenden, werden wir
wirksame Behandlungen und in einigen Fällen wohl auch Heilmethoden entwickeln.
Bei allem, was wir in letzter Zeit im Bereich
der Neurowissenschaft gelernt haben, erkennen wir immer deutlicher, wie vieles wir nicht
wissen. Dadurch wird es immer dringlicher,
dass wir die Grundlagenforschung vorantreiben, die sich mit der weiterreichenden Frage,
wie lebende Organismen überhaupt funktionieren, befasst. Dies wird dazu beitragen, jene
komplexen Fragestellungen anzugehen, welche
zu wissenschaftlichen Entdeckungen führen.
Die koordinierte Arbeit von Tausenden, die
in den verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung
wissenschaftlich tätig sind, hat uns eine
grosse Menge an Informationen gebracht;
sie umfassen so unterschiedliche Gebiete
wie die Strukturanalyse von Molekülen, die
gezielte Entwicklung neuer Pharmaka, die Genomforschung, bildgebende Untersuchungen
des Gehirns, kognitive Neurowissenschaft
und klinische Studien. Dieses ganze Wissen
können wir nun breit zur Behandlung neurologischer Krankheiten und Störungen einsetzen. Diese wissenschaftliche Arbeit werden wir auch weiterhin nicht nur individuell
und ausgerichtet auf die das eigene spezifische Interessengebiet weiterführen, sondern
können, wecken die begründete Hoffnung,
dass der Krankheitsverlauf wirkungsvoll behandelt werden kann.
Um unsere Aufgabe erfolgreich zu erfüllen,
sind wir auch auf das Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. Forschende und Laien
müssen daher aus den neuen Erkenntnissen
der Hirnforschung entstehenden ethischen
und sozialen Konsequenzen gemeinsam
erörtern.
Die optimale Behandlung der ParkinsonKrankheit herausfinden. Medikamente, die
auf die Dopaminbahnen des Gehirns einwirken, wurden erfolgreich zur Behandlung der
motorischen Störungen der Parkinson-Krankheit eingesetzt. Leider verliert sich dieser therapeutische Effekt bei vielen Patienten nach
5 bis 10 Jahren. Nun werden neue Medikamente entwickelt; sie sollen die Wirkung der
auf Dopamin beruhenden Behandlungen verlängern und den für die Krankheit verantwortlichen selektiven Untergang von Nervenzellen verzögern. Patienten, die auf die
medikamentöse Behandlung nicht ansprechen, könnten von chirurgischen Methoden,
etwa der tiefen Hirnstimulation, profitieren.
Dank neueren Formen der Bildgebung des
Gehirns lässt sich feststellen, ob diese Behandlungsformen tatsächlich Nervenzellen vor dem
Untergang bewahren und die normalen Schaltkreise wieder herstellen können.
Die Dana Alliance for Brain Initiatives und
die European Dana Alliance for the Brain ist
eine Gemeinschaft von Neurowissenschaftlern und Neurowissenschaftlerinnen, die sich
hochgesteckte Ziele gesetzt haben ; dies
zeigte sich bereits im Jahre 1992, als in Cold
Spring Harbor, New York, ein Forschungsplan
aufgestellt wurde und dann im Jahre 1997, als
die neu gebildete europäische Gruppe sich
auf ihre eigenen Zielsetzungen verpflichtete.
Beide Gruppen sind gegenwärtig daran, ihre
konkreten Zielvorstellungen so anzupassen,
dass sie die erreichten Fortschritte optimal
ausnützen können. Wir stecken uns auch
neue Ziele, die uns den Weg zu bald Erreichbarem weisen, und stellen langfristige Pläne
auf. Indem wir uns ausmalen, welche positiven Auswirkungen diese neue Ära der Neurowissenschaft voraussichtlich haben wird, beschleunigen wir die auf das Erreichen unserer
Ziele ausgerichteten Entwicklungen.
Die Ziele
Die verheerenden Auswirkungen der Alzheimer-Krankheit bekämpfen. Bei der Alzheimer-Krankheit kommt es zur Ansammlung
eines Proteinfragments von Amyloid, welches
die Nervenzellen schädigt. Der Mechanismus
dieser Ansammlung wurde inzwischen in
Tierversuchen biochemisch genetisch untersucht. Aufgrund dieser Tiermodelle werden
gegenwärtig therapeutische Substanzen und
ein möglicherweise wirksamer Impfstoff entwickelt, die die Anhäufung dieser schädlichen Substanz verhindern oder ihren Abbau
beschleunigen sollen. Diese neuen Therapien,
die schon bald an Menschen erprobt werden
Stelle Dir eine Welt vor ...
gemeinsam mit Kollegen aller wissenschaftlichen Bereiche nach Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit suchen.
Das Auftreten von Hirnschlag reduzieren
und die Therapie des Hirnschlags verbessern. Herzkrankheiten und Hirnschlag treten
beträchtlich seltener auf, wenn Leute aufhören zu rauchen, auf einen tiefen Cholesterinspiegel achten, durch Diät und sportliche
Betätigung ihr normales Gewicht beibehalten und wenn ein vorhandener Diabetes
diagnostiziert und behandelt wird. Wenn
ein Hirnschlag aufgetreten ist, können die
rasche Erhebung des Befunds und sofortige
Behandlung eine erstaunliche Verbesserung
mit weniger Folgeerscheinungen bewirken.
Neue Behandlungsmethoden, um die akuten
Auswirkungen eines Schlaganfalls auf Hirnzellen weiter zu reduzieren, sind im Entwicklungsstadium. Weitere Verbesserungen erwarten wir von neuen Rehabilitationsverfahren, die auf der neuen Erkenntnis von
Reorganisationsvorgängen im Gehirn nach
Schädigungen beruhen.
Erfolgreichere Behandlungen von Gemütskrankheiten entwickeln wie Depression, 119
Schizophrenie, Zwangserkrankung und
manisch-depressive Erkrankung. Zwar wurden im letzten Jahrzehnt die für diese Krankheiten verantwortlichen Gene noch nicht gefunden, doch dürfte die Sequenzierung des
menschlichen Genoms einige an diesen Krankheiten beteiligte Gene aufdecken. Neue bildgebende Verfahren gepaart mit Erkenntnissen über die Aktivitäten dieser Gene im
Gehirn werden erkennen lassen, was bei
diesen Erkrankungen des Gemüts und des
Denkens in den einzelnen Hirnschaltkreisen
schief läuft. Dies wird die Grundlage für eine
bessere Diagnose, für eine wirksamere Anwendung der heute zur Verfügung stehenden Medikamente und für die Entwicklung
völlig neuartiger therapeutischer Substanzen
bilden.
Die genetischen und neurobiologischen
Ursachen der Epilepsie aufdecken und die
Behandlung verbessern. Das Verständnis
der genetischen Grundlagen der Epilepsie
und der neuralen Vorgänge, die zu Anfällen
führen, wird präventive Diagnosen und zielgerichtete Therapien ermöglichen. Die Fortschritte der elektronischen und chirurgischen
Therapien lassen wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten erwarten.
Neue, wirkungsvolle Ansätze zur Vorbeugung und Behandlung der Multiplen Sklerose finden. Heute stehen uns erstmals
Medikamente zur Verfügung, die erlauben,
den Verlauf dieser Krankheit zu beeinflussen.
Neue Medikamente, die die Immunreaktion
des Körpers verändern, werden Anzahl und
Intensität der Schübe der Multiplen Sklerose
weiter vermindern. Ausserdem werden wir
neue Methoden anwenden, um die langfristige Progression aufzuhalten, die durch
den Untergang von Nervenfasern verursacht
wird.
Bessere Behandlungen bei Hirntumoren
entwickeln. Viele Arten von Hirntumoren, vor
allem die bösartigen und solche, die durch
Ableger einer Krebserkrankung ausserhalb des
Gehirns zustande kommen, lassen sich nur
120 schwer behandeln. Bildgebende Verfahren,
die Behandlung mit fokussierter Bestrahlung,
verschiedene Methoden, um Medikamente
in den Tumor zu bringen, und die Bestimmung von genetischen Markern, die zur Diagnose beitragen werden, bilden die Grundlage zur Entwicklung innovativer Therapien.
Die Erholung nach traumatischen Hirn- und
Rückenmarksverletzungen verbessern. Wir
sind dabei, Behandlungsmöglichkeiten zu erproben, die unmittelbar nach einer Verletzung den Umfang des verletzten Gewebes
verringern sollen. Andere Wirkstoffe zielen
darauf ab, die Schaltkreise der Nervenfasern
wiederherzustellen. Techniken zur Förderung
der Zellregeneration im Gehirn, um die abgestorbenen und beschädigten Nervenzellen
zu ersetzen, werden ausgehend von Tiermodellen schon bald auch an Menschen klinisch erprobt werden. Gegenwärtig werden
elektronische Prothesen entwickelt, die die
Mikrochip-Technik verwenden, um Nervenschaltkreise zu steuern und dadurch die
Bewegungsaktivität gelähmter Gliedmassen
wieder zu ermöglichen.
Neue Methoden für den Umgang mit
Schmerzen entwickeln. Der Schmerz muss
heute in der Medizin nicht mehr einfach hingenommen werden. Die Erforschung der
Ursachen von Schmerzen sowie der Nervenaktivität, die für ihn verantwortlich ist, wird
den Neurowissenschaftlern Mittel in die
Hand geben, um wirksamere und zielgerichtete Therapien zur Schmerzbekämpfung
zu entwickeln.
Die Ursachen der Abhängigkeit auf der
Ebene des Gehirns behandeln. Forschende
konnten jene Nervenschaltkreise im Gehirn
bestimmen, die an der Abhängigkeit aller
gängigen Mittel beteiligt sind, und haben die
wichtigsten Rezeptoren für diese Wirkstoffe
geklont. Neue bildgebenden Verfahren, werden die neurobiologischen Mechanismen
feststellen lassen, die ein normales Gehirn in
ein abhängiges Gehirn verwandeln, und die
Entwicklung von Therapien ermöglichen, um
diese Veränderung entweder rückgängig zu
machen oder zu kompensieren.
Die Strategie
Die Entdeckungen der Erforschung des Genoms ausnützen. Die vollständige Sequenz
aller Gene, des menschlichen Genoms wird
schon bald zur Verfügung stehen. Dies
bedeutet, dass wir im Verlauf der nächsten
10 bis 15 Jahre in der Lage sein werden, für
jeden Bereich des Gehirns und für jedes
Lebensstadium – vom frühen embryonalen
Leben an, über die Kindheit, die Adoleszenz
bis zum Erwachsenenalter – zu bestimmen,
welche Gene aktiv sind. Wir werden feststellen
können, welche Gene bei verschiedensten
neurologischen und psychiatrischen Krankheiten verändert sind, so dass ihre Proteinprodukte entweder ganz fehlen oder auf eine
abnorme Weise funktionieren. Dank dieser
Methode ist es bereits möglich, die genetische
Grundlage von Krankheiten wie Huntington,
spinozerebelläre Ataxie, Muskeldystrophie
und fragiles X-Syndrom zu bestimmen.
Insgesamt verspricht die Entdeckung von
Genen und ihre Anwendung zur klinischen
Diagnose die Neurologie und Psychiatrie
grundlegend zu verändern und stellt eine der
grössten Herausforderungen der Neurowissenschaft dar. Zum Glück verfügen wir über
Mikroarrays oder „Gen-Chips“, die diese
Entwicklungen sehr beschleunigen und uns
sowohl für die Diagnose als auch für die
Entwicklung neuer Therapien wirkungsvolle
Mittel in die Hand geben.
Unser Wissen über die Entwicklung des
Gehirns anwenden. Von der Empfängnis
bis zum Tod durchläuft das Gehirn ganz
bestimmte Entwicklungsstadien mit jeweils
unterschiedlicher Anfälligkeit für Schädigungen und Fähigkeit zur Entwicklung, Tendenzen, die entweder gefördert oder gehemmt
werden können. Um die Behandlung von
Entwicklungsstörungen wie Autismus sowie
Aufmerksamkeits- und Lernstörungen zu verbessern, wird die Neurowissenschaft eine
detailliertere Darstellung der Hirnentwicklung
erarbeiten. Da gewisse Probleme der Hirnentwicklung mit anderen Entwicklungsphasen
wie der Adoleszenz oder dem Altern zusammenhängen, wird uns das Verständnis der
Veränderungen des Gehirns im Verlauf dieser
Perioden neue Therapien ermöglichen.
Stelle Dir eine Welt vor ...
Die Hirnmechanismen verstehen, die der
Reaktion auf Stress, Angst und Depression
zugrunde liegen. Geistige Gesundheit ist
eine Vorbedingung für eine gute Lebensqualität. Stress, Angst und Depression schaden
nicht nur dem Leben der davon betroffenen
Personen, sie können auch verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wenn
es uns gelingt, die Stressreaktion des Organismus sowie die an Angst und Depression
beteiligten Hirnschaltkreise besser zu verstehen, werden wir wirksamere präventive
Massnahmen entwickeln können und auch
bessere Behandlungsverfahren, um ihre Auswirkungen zu lindern.
Das riesige Potential der Plastizität des
Gehirns ausnutzen. Wenn wir die Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns sich selbst
wiederherzustellen und anzupassen – ausnutzen, kann die Neurowissenschaft Behandlungen von degenerativen neurologischen
Erkrankungen fördern und Möglichkeiten zur
Verbesserung von gesunden und kranken
Hirnfunktionen bereitstellen. In den kommenden zehn Jahren werden Zellen therapeutisch ersetzt werden und die Förderung
der Neubildung von Zellen wird zu neuen
Behandlungen von Hirnschlag, Rückenmarksverletzungen und der Parkinson Krankheit
führen.
Unser Verständnis des spezifisch Menschlichen vergrössern. Wie funktioniert das Gehirn ? Die Neurowissenschaft ist nun so weit,
dass sie die entscheidenden Fragen nicht nur
stellt, sondern auch anfängt sie zu beantworten. Welche Mechanismen und grundlegenden Nervenschaltkreise ermöglichen es uns,
Erinnerungen zu speichern, aufmerksam zu
sein, unsere Emotionen wahrzunehmen und
auszudrücken, Entscheidungen zu treffen,
Sprache zu gebrauchen und kreativ zu sein ?
Die Bemühungen, eine „einheitliche Feldtheorie“ des Gehirns zu entwickeln, werden
grosse Möglichkeiten eröffnen, das menschliche Potential zu maximieren.
121
Die Methoden
Zellen ersetzen. Ausgewachsene Nervenzelle können sich nicht replizieren, um die
durch eine Krankheit oder eine Verletzung
verloren gegangenen Zellen zu ersetzen.
Methoden, die sich die Fähigkeit der Nervenstammzellen (den Vorläufern von Nervenzellen) zunutze machen, sich zu neuen Nervenzellen zu differenzieren, werden die Behandlung neurologischer Erkrankungen möglicherweise revolutionieren. Die Verpflanzung von
Nervenstammzellen, die bisher an Tiermodellen durchgeführt wird, wird schon bald das
Stadium von klinischen Studien an Menschen
erreichen. Wie die Entwicklung dieser Zellen
gesteuert werden kann, wie sie an den richtigen Ort gebracht und veranlasst werden können, die geeigneten Verbindungen zu bilden,
sind aktuelle Themen der Forschung.
Reparaturmechanismen von Nervenzellen.
Dank der dem Nervensystem innewohnenden
Fähigkeit der Wiederherstellung – in gewissen
Fällen werden neue Nervenzellen regeneriert,
in andern die Verkabelung wiederhergestellt –
hat das Gehirn die Möglichkeit, sich selbst
„wieder in Ordnung zu bringen“. Wenn es uns
gelingt, diese Prozesse zu fördern, dürfen wir
hoffen, Patienten mit Rückenmarks- oder
Kopfverletzungen heilen zu können.
Verfahren, um die Degeneration des Nervensystems aufzuhalten oder ihr vorzubeugen. Viele Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Huntington und ALS sind die Folge
einer Degeneration spezifischer NervenzellPopulationen in bestimmten Hirnbereichen.
Die heutigen Behandlungsmethoden beeinflussen zwar die Symptome einer Krankheit
wie Parkinson, nicht aber den fortschreitenden Untergang der Nervenzellen. Techniken,
die auf unseren Kenntnissen der Mechanismen
des Zelltods aufbauen, werden vermutlich zu
Methoden führen, die die Degeneration von
Nervenzellen verhindern und damit ein Fortschreiten der Krankheit aufhalten können.
Verfahren, um die Expression von Genen
122 im Gehirn zu verändern. Es ist möglich, die
Wirkung bestimmter Gene im Gehirn von
Versuchstieren entweder zu verstärken oder
zu blockieren. Mutierte Gene von Menschen,
die neurologische Krankheiten wie Huntington und ALS verursachen, werden bei Versuchstieren eingesetzt, um die Entwicklung
neuer Therapien zur Prävention der Neurodegeneration voranzutreiben. Solche Techniken
haben uns bereits wertvolle Informationen
über normale Vorgänge wie die Entwicklung
des Gehirns, Lernen und die Bildung neuer
Erinnerungen vermittelt. Diese Techniken bieten uns die Möglichkeit, normale und abnorme Hirnprozesse wesentlich intensiver als je
zuvor zu untersuchen; sie werden wohl mit der
Zeit auch klinisch zur Behandlung verschiedener Hirnkrankheiten angewendet werden.
Verbesserte bildgebende Verfahren. Die Abbildungen sowohl der Hirnstrukturen wie
auch der Hirnfunktionen wurden stark verbessert. Dank der Entwicklung von Verfahren, die Hirnfunktionen ebenso rasch und
genau abbilden wie sie stattfinden, sind
„Echtzeit“-Abbildungen von Hirnfunktionen
möglich geworden. Diese Techniken erlauben es den Forschenden genau zu verfolgen,
welche Teile des Gehirns am Denken, Lernen
und Erleben von Emotionen beteiligt sind.
Elektronische Hilfsmittel als Ersatz für nicht
funktionstüchtige Hirnbahnen. Mit der Zeit
wird es wohl möglich sein, verletzte Hirnbahnen zu umgehen. Wir hoffen, dass die Verwendung von Multielektroden-Implantaten
und Mikro-Computer-Vorrichtungen – welche die Aktivität im Gehirn aufzeichnen und
in Signale übersetzen, die ans Rückenmark,
an die motorischen Nerven oder direkt an die
Muskeln weitergeleitet werden – uns so weit
bringen wird, dass Verletzte auf die Wiederherstellung ihrer Funktionstüchtigkeit hoffen
dürfen.
Neuartige Methoden um Heilmittel zu entdecken. Fortschritte der strukturellen Biologie,
der Genomforschung und der rechnergestützen Chemie erlauben es Forschenden, neue
Pharmaka in einem nie zuvor gekannten Ausmass hervorzubringen, von welchen viele in
Unsere Verpflichtung :
Vom Labor zum Krankenbett
Die heutige neurowissenschaftliche Forschung
profitiert von einem nie dagewesenen Ausmass an Möglichkeiten. Unser Verständnis
der Funktionsweise des Gehirns, vom Beginn
und der Progredienz von Krankheiten hat
zugenommen. Ein ausgeklügeltes Arsenal
von Hilfsmitteln erlaubt es uns, unser Wissen
anzuwenden und die Fortschritte der Hirnforschung zu beschleunigen.
Als Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind wir verpflichtet, am Laborplatz
auch weiterhin Fortschritte zu erzielen. Zur
Bekämpfung der schweren Hirnkrankheiten
wie Alzheimer-Krankheit, Hirnschlag oder
Parkinson-Krankheit ist es notwendig, die
Grundlagenforschung kontinuierlich weiterzuführen, so dass Kliniker auf ihr aufbauen
und neue Behandlungsmethoden und Therapien entwickeln können. Es ist unsere Verantwortung, die Forschungsarbeiten fortzusetzen und zu versuchen, die Unterstützung der
Öffentlichkeit zu erlangen.
Ausserdem ist es unsere Pflicht, jene Bereiche der wissenschaftlichen Forschung verständlich zu machen, die schon bald konkrete
Anwendungsmöglichkeiten für den Menschen
bieten könnten. Um über das Laboratorium
hinaus Fortschritte zu erzielen, müssen wir
die nächsten klinischen Schritte partnerschaftlich mit der Öffentlichkeit zusammen
unternehmen – es gilt also, die wissenschaftlichen Erkenntnisse fruchtbar zu machen, um
aus ihnen wirkliche und echte Fortschritte
„am Krankenbett“ zu erzielen.
Da unsere Methoden und Techniken immer
raffinierter werden, können sie, wenn man
den möglichen Missbrauch ins Auge fasst,
auch als bedrohlich empfunden werden. Es ist
wichtig, dass wir die verständlichen Ängste
wahrnehmen, die Hirnforschung könnte zu
Möglichkeiten führen, die zentralsten Aspekte
unseres Gehirns und Verhaltens, also genau
das, was unsere menschliche Einzigartigkeit
ausmacht, zu verändern. Das Vertrauen der
breiten Öffentlichkeit in die Integrität der wissenschaftlich Tätigen, in die Sicherheit der klinischen Versuche – den Eckstein angewandter Forschung – und in die Sicherstellung der
Vertraulichkeit von Patientendaten muss ständig aufrecht erhalten werden.
Stelle Dir eine Welt vor ...
der klinischen Anwendung von beträchtlichem Nutzen sein könnten. Die Entwicklung
neuer, rascher Screening-Verfahren, die auf
„Gen-Chips“ und anderen hochentwickelten
Techniken beruhen, werden in gewissen Fällen das Zeitintervall zwischen der Entdeckung
einer neuen Substanz und ihrer klinischen
Erprobung von mehreren Jahren auf einige
Monate reduzieren.
Die Wissenschaft in den Zusammenhang des
wirklichen Lebens zu stellen, ist immer eine
Herausforderung. Die Leute wollen nicht nur
wissen, wie und warum Forschung betrieben
wird, sie wollen auch wissen, inwieweit sie für
sie von Belang ist. Es ist daher sehr wichtig,
den Bedenken der Öffentlichkeit, die Erkenntnisse der Hirnforschung könnten auf schädigende oder ethisch fragwürdige Weise angewendet werden, entgegenzutreten. So gilt es,
beiden Herausforderungen gerecht zu werden, damit die von einer neurologischen oder
psychiatrischen Krankheit Betroffenen von
den Errungenschaften der Hirnforschung voll
profitieren können.
Der Auftrag der Neurowissenschaftler und
Neurowissenschaftlerinnen reicht über die
Hirnforschung hinaus. Wir stellen uns auch
der Verantwortung, in einer verständlichen
Sprache zu erklären, wohin uns unsere Wissenschaft mit ihren neuen Verfahren und
Techniken vermutlich führen wird. Wir, die
Mitglieder der amerikanischen Dana Alliance
und der Europäischen Dana Alliance, sind
gerne bereit, beim Aufbruch in ein neues
Jahrzehnt der Hoffnung, der harten Arbeit
und der Partnerschaft mit der Öffentlichkeit
diese Aufgabe zu übernehmen.
123
Members of EDAB
AGID Yves* Hôpital de la Salpêtrière, Paris, France
AGUZZI Adriano University of Zurich, Switzerland
CARLSSON Arvid University of Gothenburg,
Sweden
ANDERSEN Per* University of Oslo, Norway
CASTRO LOPES Jose University of Porto, Portugal
ANTUNES João Lobo University of Lisbon, Portugal
CATTANEO Elena University of Milan, Italy
AUNIS Dominque INSERM Strasbourg, France
CHANGEUX Jean-Pierre Institut Pasteur, Paris,
France
AVENDAÑO Carlos University of Madrid, Spain
AZOUZ Rony Ben-Gurion University of the Negev,
Israel, TM
BADDELEY Alan University of York, UK
BARDE Yves-Alain* University of Basel, Switzerland
CHERNISHEVA Marina University of Saint
Petersburg, Russia
CHVATAL Alexandr Institute of Experimental
Medicine ASCR, Prague, Czech Republic
CLARAC François CNRS, Marseille, France
BATTAGLINI Paolo University of Trieste, Italy, TM
CLARKE Stephanie University of Lausanne,
Swiss Society for Neuroscience, TMP
BELMONTE Carlos Instituto de Neurosciencias,
Alicante, Spain
CLEMENTI Francesco* University of Milan, Italy
BENABID Alim-Louis INSERM and Joseph Fourier
Universtiy of Grenoble, France
BEN-ARI Yehezkel INSERM-INMED, Marseille,
France
BENFENATI Fabio University of Genova, Italy
COLLINGRIDGE Graham* University of Bristol, UK
British Neuroscience Association president, P
CUÉNOD Michel* University of Lausanne,
Switzerland
CULIC Milka University of Belgrade, Yugoslavia
BERGER Michael University of Vienna, Austria
BERLUCCHI Giovanni* Università degli Studi di
Verona, Italy
DAVIES Kay* University of Oxford, UK
DEHAENE Stanislas INSERM, Paris, France
BERNARDI Giorgio University Tor Vergata-Roma,
Italy
DELGADO-GARCIA José Maria Universidad
Pablo de Olavide, Seville, Spain
BERTHOZ Alain* Collège de France, Paris, France
DEXTER David Imperial College London, UK, TM
BEYREUTHER Konrad* University of Heidelberg,
Germany
DE ZEEUW Chris Erasmus University,
The Netherlands, TM
BJÖRKLUND Anders* Lund University, Sweden
BLAKEMORE Colin* University of Oxford, UK
DICHGANS Johannes University of Tübingen,
Germany
BOCKAERT Joel CNRS, Montpellier, France
DIETRICHS Espen University of Oslo, Norway, TM
BORBÉLY Alexander University of Zurich,
Switzerland
DOLAN Ray University College London, UK
BRANDT Thomas University of Munich, Germany
DUDAI Yadin* Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
BRUNDIN Patrik Lund University, Sweden
BUDKA Herbert University of Vienna, Austria
BUREŠ Jan* Academy of Sciences, Prague, Czech
Republic
BYSTRON Irina University of Saint Petersburg,
Russia
ELEKES Károly Hungarian Academy of Sciences,
Tihany, Hungary
ESEN Ferhan Osmangazi University, Eskisehir,
Turkey
EYSEL Ulf Ruhr-Universität Bochum, Germany
FERRUS Alberto* Instituto Cajal, Madrid, Spain
FIESCHI Cesare University of Rome, Italy
INNOCENTI Giorgio Karolinska Institute,
Stockholm, Sweden
FOSTER Russell University of Oxford, UK
IVERSEN Leslie University of Oxford, UK
FRACKOWIAK Richard* University College
London, UK
IVERSEN Susan* University of Oxford, UK
FREUND Hans-Joachim* University of Düsseldorf,
Germany
JACK Julian* University of Oxford, UK
FREUND Tamás University of Budapest,
Hungary
FRITSCHY Jean-Marc University of Zurich,
Switzerland
JEANNEROD Marc* Institut des Sciences
Cognitives, Bron, France
JOHANSSON Barbro Lund University, Sweden
KACZMAREK Leszek Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland
GARCIA-SEGURA Luis Instituto Cajal, Madrid,
Spain
KASTE Markku University of Helsinki,
Finland
GISPEN Willem* University of Utrecht,
The Netherlands
KATO Ann Centre Médical Universitaire, Geneva,
Switzerland
GJEDDE Albert* Aarhus University Hospital,
Denmark
KENNARD Christopher Imperial College School
of Medicine, UK
GLOWINSKI Jacques Collège de France, Paris,
France
KERSCHBAUM Hubert University of Salzburg,
Austria
GRAUER Ettie Israel Institute of Biological
Research, Israel, TM
KETTENMANN Helmut Max-Delbrück-Centre for
Molecular Medicine, Berlin, Germany
GREENFIELD Susan The Royal Institution of Great
Britain, UK
KORTE Martin Technical University Braunschweig,
Germany
GRIGOREV Igor Institute of Experimental Medicine,
Saint Petersburg, Russia
KOSSUT Malgorzata* Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland
GRILLNER Sten* Karolinska Institute, Stockholm,
Sweden
KOUVELAS Elias University of Patras, Greece
HAGOORT Peter F.C. Donders Centre for Cognitive
Neuroimaging, Nijmegen, The Netherlands, TM
HARI Riitta* Helsinki University of Technology,
Espoo, Finland
HARIRI Nuran University of Ege, Izmir, Turkey
KRISHTAL Oleg* Bogomoletz Institute of
Physiology, Kiev, Ukraine
LANDIS Theodor* University Hospital Geneva,
Switzerland
LANNFELT Lars University of Uppsala, Sweden
HERMANN Anton University of Salzburg, Austria
LAURITZEN Martin University of Copenhagen,
Denmark
HERSCHKOWITZ Norbert* University of Bern,
Switzerland
LERMA Juan Instituto de Neurociencias, Alicante,
Spain
HIRSCH Etienne Hôpital de la Salpêtrière, Paris,
France, French Neuroscience Society, P
LEVELT Willem* Max-Planck-Institute for
Psycholinguistics, Nijmegen, The Netherlands
HOLSBOER Florian* Max-Planck-Institute of
Psychiatry, Germany
LEVI-MONTALCINI Rita* EBRI, Rome, Italy
HOLZER Peter University of Graz, Austria
LOPEZ-BARNEO José* University of Seville, Spain
HUXLEY Sir Andrew* University of Cambridge, UK
LYTHGOE Mark University College London, UK, TM
LIMA Deolinda University of Porto, Portugal
MAGISTRETTI Pierre J* University of Lausanne,
Switzerland
POCHET Roland Université Libre de Bruxelles,
Belgium
MALACH Rafael Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
POEWE Werner Universitätsklinik für Neurologie,
Innsbruck, Austria
MALVA Joao, University of Coimbra, Portugal,
Portuguese Society for Neuroscience, TMP
POULAIN Dominique Université Victor Segalen,
Bordeaux, France
MARIN Oscar Universidad Miguel HernandezCSIC, Spain
PROCHIANTZ Alain CNRS and Ecole Normale
Supérieure, France
MATTHEWS Paul University of Oxford, UK
PYZA Elzbieta Jagiellonian University, Krakow,
Poland
MEHLER Jacques* SISSA, Trieste, Italy
MELAMED Eldad Tel Aviv University, Israel
MOHORKO Nina University of Ljubljana,
Slovenia, TM
MOLDOVAN Mihai University of Copenhagen, TM
MONYER Hannah* University Hospital of
Neurology, Heidelberg, Germany
MORRIS Richard* University of Edinburgh,
Scotland; President of FENS
MOSER Edvard Norwegian University of Science
and Technology
NALECZ Katarzyna Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland
RAFF Martin* University College London, UK
RAISMAN Geoffrey Institute of Neurology, UCL,
London, UK
REPOVS Grega University of Ljubljana, Slovenia.
Slovenian Neuroscience Association (SINAPSA), TMP
RIBEIRO Joaquim Alexandre University of Lisbon,
Portugal
RIZZOLATTI Giacomo* University of Parma, Italy
ROSE Steven The Open University, Milton
Keynes, UK
ROTHWELL Nancy University of Manchester, UK
RUTTER Michael King’s College London, UK
NALEPA Irena Polish Academy of Sciences, TM
NEHER Erwin Max-Planck-Institute for Biophysical
Chemistry, Göttingen, Germany
NIETO-SAMPEDRO Manuel* Instituto Cajal,
Madrid, Spain
NOZDRACHEV Alexander State University of
Saint Petersburg, Russia
SAKMANN Bert Max-Planck-Institute for Medical
Research, Heidelberg, Germany
SCHWAB Martin* University of Zurich, Switzerland
SEGAL Menahem Weizmann Institute of Science,
Rehovot, Israel
SEGEV Idan Hebrew University, Jerusalem, Israel
SHALLICE Tim* University College London, UK
OERTEL Wolfgang* Philipps-University, Marburg,
Germany
OLESEN Jes Glostrup Hospital, Copenhagen,
Denmark; Chairman European Brain Council
ORBAN Guy* Catholic University of Leuven, Belgium
SINGER Wolf* Max-Planck-Institute for Brain
Research, Frankfurt, Germany
SKALIORA Irini Biomedical Research Foundation
of the Academy of Athens, TM
SMITH David University of Oxford, UK
SPERK Günther University of Innsbruck, Austria
PARDUCZ Arpad Institute of Biophysics, Biological
Research Centre of the Hungarian Academy of
Sciences, Szeged, Hungary
STAMATAKIS Antonis University of Athens,
Greece,TM
STEWART Michael The Open University, UK
PEKER Gonul University of Ege Medical School,
Izmir, Turkey. Turkish Neuroscience Society, P
STOERIG Petra* Heinrich-Heine University,
Düsseldorf, Germany
PETIT Christine Institut Pasteur & Collège de
France, Paris
STOOP Ron University of Lausanne, Switzerland, TM
STRATA Pierogiorgio* University of Turin, Italy
SYKOVA Eva Institute of Experimental Medicine
ASCR, Prague, Czech Republic. Czech Neuroscience
Society, P
BANDTLOW Christine Austrian Neuroscience
Association, Innsbruck Medical University, Austria
THOENEN Hans* Max-Planck-Institute for
Psychiatry, Germany
DI CHIARA Gaetano Italian Society for
Neuroscience (SINS) University of Cagliari, Italy
TOLDI József University of Szeged, Hungary
EFTHYMIOPOULOS Spyros Hellenic Neuroscience
Society, University of Athens, Greece
TOLOSA Eduardo University of Barcelona, Spain
TSAGARELI Merab Beritashvili Institute of
Physiology, Tblisi, Republic of Georgia
VETULANI Jerzy Institute of Pharmacology, Krakow,
Poland
VIZI Sylvester* Hungarian Academy of Sciences,
Budapest
WALTON Lord John of Detchant* University of
Oxford, UK
WINKLER Hans* Austrian Academy of Sciences,
Austria
DE SCHUTTER Erik Belgian Society for
Neuroscience, University of Antwerp, Belgium
FRANDSEN Aase Danish Society for Neuroscience,
Copenhagen University Hospital, Denmark
GALLEGO Roberto Spanish Neuroscience Society,
Instituto de Neurociencias/Universidad Miguel
Hernández, Spain
GORACCI Gianfrancesco European Society for
Neurochemistry, University of Perugia, Italy
JOELS Marian Dutch Neurofederation, University of
Amsterdam, The Netherlands
KHECHINASHVILI Simon Georgian Neuroscience
Association, Beritsashvili Institute of Physiology,
Tblisi, Republic of Georgia
KOSTOVIC Ivica Croatia Society for Neuroscience,
Institute for Brain Research, Zagreb, Croatia
ZAGREAN Ana-Maria Carol Davila University of
Medicine and Pharmacy, Romania, TM
NUTT David, European College of
Neuropharmacology, University of Bristol, UK
ZAGRODZKA Jolanta Nencki Institute of
Experimental Biology, Warsaw, Poland, TM
PITKANEN Asla FENS Secretary General University
of Kuopio, Finland
ZEKI Semir* University College London, UK
ROTSHENKER Shlomo Israel Society of
Neuroscience, The Hebrew University of Jerusalem
ZILLES Karl* Heinrich-Heine-University,
Düsseldorf, Germany
* Original signatory to the EDAB Declaration
P = Full Member and NSS president
TMP = NSS president term member
TM = BAW Term member
SAGVOLDEN Terje Norwegian Neuroscience
Society, University of Oslo, Norway
SKANGIEL-KRAMSKA Jolanta Polish Neuroscience
Society, Nencki Institute of Experimental Biology,
Warsaw, Poland
STENBERG Tarja Finnish Brain Research Society,
Institute of Biomedicine/Physiology Biomedicum
Helsinki, Finland
ZAGREAN Leon National Neuroscience Society of
Romania, Carol Davila University of Medicine,
Bucharest, Romania
Federation of European Neuroscience
Societies Presidents
ANTAL Miklós Hungarian Neuroscience Society,
University of Debrecen, Hungary
BÄHR Mathias German Neuroscience Society,
University Hospital Göttingen, Germany
June 2008
A Dana Alliance for the Brain Inc Publication prepared by EDAB,
the European subsidiary of DABI
Gedruckt in der Schweiz 6.2008