Moderne Physik und Theologie - Katholische Theologie PH Gmünd

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Moderne Physik und Theologie - Katholische Theologie PH Gmünd
Moderne Physik und Theologie
Voraussetzungen und Perspektiven
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Inhalt
Vorwort und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Irritationen im gegenwärtigen Dialog von Theologie und Physik . .
II. Absicht, Ausgangspunkt und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . .
1. Absicht der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Ausgangspunkt der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Übersicht über die einzelnen Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erstes Kapitel:
Umbruch von der klassischen zur modernen Physik . . . . . . . . . . . . .
I. Emanzipation der neuzeitlichen Physik von Theologie und
Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Isaac Newtons „Principia“ und das Ideal mechanischer Erklärbarkeit
III. Krise der klassischen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zweites Kapitel:
Spezielle und allgemeine Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Albert Einsteins neuer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Folgerungen aus der speziellen Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . .
1. Relativität der Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Zeitdilatation und Längenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Raum-Zeit-Kontinuum und beschränkter Kausalzusammenhang
4. Veränderlichkeit der Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Die allgemeine Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Drittes Kapitel:
Deutungen der Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Relativitätstheorie und Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Die Bedeutung der Relativitätstheorie im Rahmen der Physik . . . .
III. Relativitätsprinzip oder Postulat der absoluten Welt? . . . . . . . . . . .
IV. Relativitätstheorie und kantische Transzendentalphilosophie . . . . .
1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Kants Verhältnis zur Newtonschen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Raum und Zeit als Formen reiner Anschauung . . . . . . . . . . . . . .
4. Fragen an Kants Ansatz aus Perspektive der Relativitätstheorie .
5. Gewißheit aus Anschauung und Unanschaulichkeit der
Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Relativitätstheorie und Logischer Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Neue Brücken zwischen Physik und Philosophie . . . . . . . . . . . .
2. Charakteristika des Logischen Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Die Relativitätstheorie als empirische Philosophie . . . . . . . . . . .
VI. Schlußbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Viertes Kapitel:
Theologische Reaktionen auf die Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . .
I. Die Relativitätstheorie als vermeintliche Bestätigung des Glaubens
II. Neuscholastische Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Ausgangssituation in der katholischen Theologie . . . . . . . . . . . .
2. Erster Reflex: Polemische Zurückweisung der Relativitätstheorie
3. Tendenziöse Darstellung der Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . .
4. Bestreitung von Richtigkeit und experimenteller Verifizierbarkeit
der Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Substanzbegriff und Ätherphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
III. Karl Heim: Neue Apologetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Ausgangssituation in der protestantischen Theologie . . . . . . . . .
2. Naturwissenschaft und Theologie als zentrales Thema in Karl
Heims Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Karl Heims Rezeption und Deutung der Relativitätstheorie . . . .
4. Motiv und Methode Karl Heims bei der Auseinandersetzung mit
den Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Ansätze zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Physik und
Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. „Kampf der Weltanschauungen“: Monistenbund und Keplerbund
2. Bernhard Bavink I (1920–1928): Forderungen für das Verhältnis
von Naturwissenschaft und christlicher Weltanschauung . . . . . .
3. Vorläufiges Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Bernhard Bavink II (1928–1933): Naturwissenschaft auf dem
Wege zur Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Bernhard Bavink III (1933–1945): Synthese von Realismus,
Religion und Deutschtum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fünftes Kapitel:
Die Quantentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Bedeutung der Quantentheorie für die moderne Physik . . . . . . . . .
II. Die naturphilosophische Grundfrage: Quantentheorie oder
Theorie des Kontinuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Theorien des diskreten Aufbaus der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . .
2. Theorien des kontinuierlichen Aufbaus der Wirklichkeit . . . . . .
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III. Zur Geschichte der Quantentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die ältere Quantentheorie (1900–1924) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die neuere Quantentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Der experimentelle Befund: Versuche am Doppelspalt . . . . . . . . . .
1. Der exemplarische Charakter der Doppelspaltexperimente . . . . .
2. Doppelspaltexperiment mit klassischen Teilchen . . . . . . . . . . . .
3. Doppelspaltexperiment mit klassischen Wellen . . . . . . . . . . . . .
4. Doppelspaltexperiment mit Licht und anderen Quantenobjekten
Sechstes Kapitel:
Aspekte der Quantentheorie und ihrer Deutung . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Welle-Teilchen-Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Die Unbestimmtheitsrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Im Experiment gleichzeitig unbeobachtbare Größen . . . . . . . . . .
2. Begrenzte Anwendbarkeit anschaulicher Begriffe . . . . . . . . . . . .
III. Quantenmechanischer Meßprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Der Indeterminismus der Quantentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Reproduzierbarkeit und Determiniertheit innerhalb der
klassischen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Grenzen des Determinismus in der Quantentheorie . . . . . . . . . . .
V. Diskussionen um die Vollständigkeit der Quantentheorie . . . . . . . .
1. Das EPR-Gedankenexperiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Bestätigung der Nicht-Lokalität der Quantentheorie . . . . . . . . . .
Siebtes Kapitel:
Ausgangssituation für den gegenwärtigen Dialog
zwischen Physik und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Gewandeltes Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik . . . . .
II. Physiker des Umbruches zu Fragen der Religion . . . . . . . . . . . . . .
1. Vorbemerkung: Kein apologetischer Mißbrauch bedeutender
Physiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Max Planck: Gott als naturgesetzliche Macht . . . . . . . . . . . . . . .
3. Albert Einstein: Kosmische Religiosität . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Werner Heisenberg: Gott als zentrale Ordnung . . . . . . . . . . . . . .
III. Moderne Physiker: Offen für Religion – herausfordernd für die
Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Rückblick und Ausblick: Sechs Feststellungen zum Dialog von
Theologie und moderner Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
7
Für Monika
und unsere Kinder
Louisa, Lea und Judith
8
Vorwort und Dank
Moderne Physik und Theologie zeigen gegenwärtig ein reges Interesse aneinander. Bei Symposien und Tagungen, die dem Dialog zwischen Theologie
und Physik gewidmet sind, wiederholt sich freilich regelmäßig die schon von
Karl Rahner beschriebene Erfahrung, daß dieser Dialog „sehr mühsam ist und
meist steckenbleibt, bevor er genauere, klare und von beiden Seiten angenommene Resultate erzielt“1. Auch für den evangelischen Theologen Michael
Welker, der sich seit vielen Jahren an Versuchen beteiligt, ein wissenschaftliches Gespräch zwischen Naturwissenschaftlern, Theologen und Philosophen
in Gang zu bringen, sind „die Gesprächsergebnisse insgesamt leider eher
enttäuschend: menschlich erfreulich, in den Details oft anregend, aber
chronisch hinter den hochgesteckten Erwartungen aller Beteiligten
zurückbleibend“2.
Angesichts dieser Erfahrungen setzt sich die vorliegende Untersuchung das
Ziel, die Ausgangssituation der Theologie für den Dialog zwischen Theologie
und moderner Physik zu verbessern. Dies geschieht hier nicht im Rückblick
auf den Galileikonflikt und seine nachhaltigen Folgen – dazu ist längst alles
gesagt und geschrieben. Nach dem ersten Jahrhundert der modernen Physik –
im Jahr 1900 gab Max Planck den Anstoß zur Entwicklung der Quantentheorie – soll vielmehr daran erinnert werden, daß die Dialogversuche zwischen
moderner Physik und Theologie mittlerweile auf eine mehr als achtzigjährige
Geschichte zurückblicken können. Doch insbesondere die frühen theologischen Reaktionen auf die neue Physik, die die vorliegende Arbeit ins
Gedächtnis ruft und analysiert, sind heute in Vergessenheit geraten.
Vergessen ist, daß maßgebliche katholische Theologen auf Einsteins Theorien
kaum anders reagierten als zu Zeiten Galileis: sie polemisierten, ließen die
Relativitätstheorien allenfalls als hypothetische, experimentell aber nicht
nachprüfbare Konstruktion gelten und blockierten durch das Beharren auf
ihrer neuscholastischen Ontologie jahrzehntelang das Gespräch zwischen
katholischer Theologie und Physik. Vergessen ist aber genauso die nachgerade peinliche Aufgeregtheit vornehmlich evangelischer Theologen, die durch
die Relativitätstheorie ihre Jenseitshoffnungen bestätigt sahen, vergessen ist
die kläglich gescheiterte Anstrengung, die Relativitätstheorie als „Götzendämmerung“ zu interpretieren, als „gnädige Katastrophe“, die den Zugang
zum Glauben an das einzig wahre Absolutum Gott eröffne.
Im derzeitigen Dialog zwischen moderner Physik und Theologie sind allerdings auch die auf hohem Niveau geführten philosophischen Auseinandersetzungen um die Deutungen der modernen Physik nicht präsent. Die nach wie
vor unterschiedlichen Interpretationen der grundlegenden physikalischen
1
2
K. Rahner, Zum grundsätzlichen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, 44.
M. Welker, Was leistet die Metaphysik Whiteheads, 97.
9
Theorien zeigen aber, daß die moderne Physik, mit der die Theologie ins
Gespräch kommt, immer und notwendig schon philosophisch gedeutete
Physik ist. Erst auf der Ebene der miteinander konkurrierenden philosophischen Deutungen der Physik ist ein konstruktiver Dialog zwischen Physik und
Theologie möglich.
Im Verlauf nachfolgender Darstellung ergibt sich, daß die Bemühungen in
den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, den Umbruch im Wirklichkeitsverständnis der Physik aus Sicht der Theologie einzuordnen und sachgerecht
zu bewerten, fehlgeschlagen sind und mangels angemessener philosophischer
Vermittlung zwischen Physik und Theologie auch fehlschlagen mußten.
Solange diese frühen Dialogversuche zwischen Theologie und moderner
Physik nicht aufgearbeitet sind, ist es nicht erstaunlich, wenn auch der gegenwärtige Dialog alte Fehler wiederholt und die Erwartungen der Beteiligten
enttäuscht. –
Vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 1999 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift
angenommen. Für den Druck wurden geringfügige Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen. Vielen Menschen ist es zu danken, daß diese Arbeit
verwirklicht werden konnte, einige seien genannt:
Herzlicher Dank gebührt Prof. Dr. Alfons Auer, der die Entwicklung der Untersuchung von Anfang an verfolgte und seinen früheren Doktoranden immer
wieder zu ihrer Fertigstellung ermunterte. Prof. Dr. Amand Fäßler und Prof.
Dr. Hans Küng verdanke ich aufgrund des von ihnen im Sommersemester
1994 veranstalteten öffentlichen Tübinger Kolloquiums „Unser Kosmos –
naturwissenschaftliche und philosophisch-theologische Aspekte“ wichtige
Impulse. Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Georg Wieland für seine hilfreiche
Kritik und die Bereitschaft, diese Arbeit im Habilitationsverfahren zu begleiten. Danken will ich auch den drei Gutachtern der Universität Tübingen Prof.
DDr. Michael Eckert (Abteilung für Fundamentaltheologie), Prof. Dr. Amand
Fäßler (Institut für Theoretische Physik) und Prof. Dr. Georg Wieland (Abteilung für Philosophische Grundfragen der Theologie). Dank gebührt darüber
hinaus allen, mit denen ich mich über einzelne Gebiete meines Themas in
Gesprächen oder in gemeinsamen Veranstaltungen austauschen konnte,
darunter Prof. Dr. Urs Baumann, Prof. Dr. Gerhard Büttner und Prof. Dr. Jörg
Thierfelder. Nicht nur für zahlreiche Literaturhinweise, sondern auch für die
jahrelange vertrauensvolle Zusammenarbeit an der Pädagogischen
Hochschule Heidelberg danke ich meiner Kollegin Prof. Dr. Hildegard
Gollinger und meinen Kollegen Prof. Dr. Joachim Maier und Prof. Dr.
Norbert Scholl. Bei Frau Veronika Fischer und Herrn Eugen Benk bedanke
ich mich für die Lektüre und Korrektur des Manuskripts, bei Herrn Raphael
Zimmerer für die Durchsicht der physikalischen Abschnitte. Für Druckkostenzuschüsse danke ich der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Einmal mehr gilt mein Dank schließlich Dr. med. Monika Benk – ihre Kritik
und ihre Anregungen haben diese Arbeit maßgeblich geprägt.
Steinsfurt, am 24. Februar 2000
10
Andreas Benk
Einführung
I. Irritationen im gegenwärtigen Dialog von Theologie und
Physik
Als Folge der Auseinandersetzungen um das heliozentrische Weltsystem im
17. Jahrhundert und um die Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert ist das
Verhältnis zwischen Theologie und modernen Naturwissenschaften bis weit
in das 20. Jahrhundert hinein von Konfrontation geprägt. Galileo Galileis im
Jahr 1632 gedruckter Dialogo dei Massimi Sistemi wird zuletzt in der
Ausgabe des kirchlichen Index librorum prohibitorum von 1819 genannt,1
und noch im Jahr 1950 lehrt Papst Pius XII. in der Enzyklika Humani generis
unter Berufung auf die biblische Schöpfungserzählung die Herkunft aller
Menschen aus einem einzigen Paar.2 Erst das II. Vaticanum kann in der
Pastoralkonstitution Gaudium et spes wieder eine berechtigte Autonomie der
irdischen Wirklichkeiten und damit auch eine „legitime Autonomie der
Wissenschaft“3 akzeptieren.
1
Der Index des Jahres 1835 zählt dann die Werke von Kopernikus, Galilei, Foscarini und
Kepler nicht mehr unter den verbotenen Büchern auf; vgl. dazu L. Bieberbach, Galilei und
die Inquisition, 114–125.
2
Vgl. H. Denzinger/P. Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Nr. 3897 (=DH 3897). Zeitgenössischen Äußerungen zufolge soll
Humani generis insbesondere auch gegen den wachsenden Einfluß des Biologen und Theologen Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955) geschrieben worden sein. Zwar konnte zu
Lebzeiten Teilhards noch fast keine seiner theologischen Schriften veröffentlicht werden,
aber sein Versuch einer Vermittlung zwischen Evolution und Heilsgeschichte beeinflußte
dann maßgeblich die katholische Theologie nach dem II. Vaticanum (vgl. K. Schmitz-Moormann, Pierre Teilhard de Chardin, 12–19).
3
GS Art. 36, in: K. Rahner/H. Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, 482. Darüber
hinaus deutet Art. 36 in Anm. 7 ein Bedauern über den „Fall Galilei“ an. K. Rahner und
H. Vorgrimler, a.a.O., 431f, interpretieren diese Stelle als höchstamtliche Rehabilitation
Galileis. – M. Seckler, Der christliche Glaube und die Wissenschaft, 4, nennt als Datum der
Rehabilitation dagegen eine Ansprache Johannes Pauls II. vor der Päpstlichen Akademie der
Wissenschaften am 10. November 1979, und M. Vogt, Art. Galilei, Sp. 271, datiert die
Rehabilitation Galileis auf eine noch spätere Ansprache des Papstes vor dieser Akademie am
31. Oktober 1992. Allerdings beruft sich Johannes Paul II. bei der zuletzt genannten Ansprache sogar auf A. Einstein und die moderne Kosmologie, um den Streit zwischen Helio- und
Geozentrismus als Hinweis darauf zu interpretieren, „daß es jenseits zweier einseitiger und
gegensätzlicher Ansichten eine umfassendere Sicht gibt, die beide Ansichten einschließt und
überwindet“. Ohne das damalige „pastorale [sic] Urteil angesichts der Theorie des Kopernikus“ (10) rechtfertigen zu wollen, spricht Johannes Paul II. von einem „tragischen gegenseitigen Unverständnis“ (Johannes Paul II., Schmerzliches Mißverständnis [sic] im „Fall Galilei“
überwunden, in: L’Osservatore Romano [deutschsprachige Ausgabe] 22, Nr. 46 [Beilage
XXXVIII] vom 13.11.1992, 1).
11
Die Formulierungen des Konzils erschweren einerseits „künftige Übergriffe
des kirchlichen Lehramtes in einen Bereich, in dem es nicht zuständig ist“4,
und eröffnen andererseits die Möglichkeit einer neuen Verhältnisbestimmung
von Theologie und Naturwissenschaft.
Karl Rahner bringt eine innerhalb der nachkonziliaren katholischen Theologie
weithin akzeptierte Position zum Ausdruck, wenn er feststellt, daß „Theologie
und Naturwissenschaft [...] grundsätzlich nicht in einen Widerspruch untereinander geraten [können], weil beide sich von vornherein in ihrem Gegenstandsbereich und ihrer Methode unterscheiden“5. Die Theologie macht nach
Rahner eine Aussage von Gott als dem einen und absoluten Grund aller
Wirklichkeiten, der selbst kein einzelnes Moment innerhalb der Welt sein
kann. Die Naturwissenschaft hingegen kann, „weil immer beim einzelnen
beginnend, grundsätzlich keine absolut alles umfassende Weltformel haben,
von der aus alles Wirkliche schon von vornherein im Besitz und in der
Voraussicht der Naturwissenschaft wäre“6. Einerseits sollen für Rahner die
Naturwissenschaften methodologisch atheistisch sein, und andererseits dürfen
Metaphysik und Theologie weder theologische Ausbeute von den Naturwissenschaften verlangen noch hängen sie von deren Zustimmung ab.7 Theologie
und Naturwissenschaft sind damit zwei Größen, „die sich nicht grundsätzlich
gegenseitig bedrohen oder verneinen“8. Rahner hält allenfalls noch lösbare
„sekundäre Konflikte“9 bei illegitimen Grenzüberschreitungen in die jeweils
andere Wissenschaft hinein für möglich.
Eine ganz entsprechende Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft findet sich in der evangelischen Theologie schon im Jahr 1945 bei
Karl Barth.10 Im Vorwort zu seiner Schöpfungslehre begründet Barth, warum
er sich nicht mit den in diesem Zusammenhang naheliegenden Fragen der
Naturwissenschaft auseinandergesetzt habe. Hinsichtlich dessen, was die
Heilige Schrift und die christliche Kirche unter Gottes Schöpfungswerk
verstehen, könne es schlechterdings keine naturwissenschaftlichen Fragen,
Einwände oder auch Hilfestellungen geben, schreibt Barth und fährt fort: „Die
Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das
Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muß sich
da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft, die nur das und nicht heimlich
eine heidnische Gnosis und Religionslehre ist, ihre gegebene Grenze hat.“ 11
4
K. Rahner/H. Vorgrimler, a.a.O., 432.
K. Rahner, Zum grundsätzlichen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, 37.
H.-H. Peitz, Kriterien des Dialogs zwischen Naturwissenschaft und Theologie, 28–126, zeigt,
daß Rahner über mehrere Stationen zu seiner Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft
und Theologie gelangt ist.
6
K. Rahner, Zum grundsätzlichen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, 38.
7
Vgl. a.a.O., 39f.
8
A.a.O., 42.
9
Ebd.; vgl. a.a.O., 37.
10
Vgl. dazu 4. Kap. III. 1. vorliegender Arbeit.
11
K. Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. III, Teil 1, Vorwort. Allerdings schreibt Barth an
dieser Stelle auch, er sei der Meinung, „daß künftige Bearbeiter der christlichen Lehre von
5
12
Die Theologie sieht sich durch diese scharfe Grenzziehung einer Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften enthoben und erspart sich fortan entsprechende „dilettantische Quälereien“12. Im
Vergleich zu dem bis dahin verbreiteten „Konfliktmodell“, das der Theologie
gegenüber den Naturwissenschaften nur die Aufgabe einer aussichtslosen
Apologetik überließ, ist ein Modell, das die Argumentationsebenen von
Theologie und Naturwissenschaft sorgfältig unterscheidet, die Eigenständigkeit beider Bereiche betont und dadurch Konflikte vermeidet, zweifellos ein
Fortschritt.13 Aber in der Folge wird in dieser Grenzziehung auch der Grund
für ein unzureichendes „schiedlich-friedliches Nebeneinander“14 von Theologie und Naturwissenschaft gesehen und deren Verhältnis als „friedliche
Koexistenz auf der Basis der gegenseitigen Irrelevanz“ 15 kritisiert.
„In einer Weltsituation, in der es heißt ‚Eine Welt oder keine Welt‘“, stellt
Jürgen Moltmann im Jahr 1981 fest, „können sich Naturwissenschaften und
Theologie keine Aufteilung der einen Wirklichkeit leisten. Theologie und
Naturwissenschaften werden vielmehr gemeinsam zum ökologischen Weltbewußtsein kommen.“16 Dies zeigt, daß das Bewußtwerden der globalen ökologischen Krise einen wichtigen Anstoß bildet, das gegenwärtige Verhältnis
von Theologie und Naturwissenschaft kritisch zu untersuchen. Da gegenseitige Nichteinmischung, so Moltmann weiter, die Probleme nur ausklammere,
„muß die Theologie bei den früheren Versuchen einer Synthese wieder
anknüpfen, um die Schöpfung und das Wirken Gottes in der Welt im Rahmen
der heutigen Erkenntnisse der Natur und der Evolution neu zu begreifen und
die Welt als Schöpfung und die Geschichte der Welt als Wirken Gottes auch
der naturwissenschaftlichen Vernunft verständlich zu machen“17.
Schon für Rahner kommt freilich dem gegenwärtigen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, das er mit einem „friedlich vereinbarten
der Schöpfung in der Bestimmung des Wo und Wie dieser beiderseitigen Grenze noch
dankbare Probleme finden werden“.
12
Ebd.
13
Vgl. J. Hübner, Art. Naturwissenschaft und Theologie, Sp. 654.
14
Ders., Die Welt als Gottes Schöpfung ehren, 9.
15
J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 48. Zur Kritik an der schiedlich-friedlichen Trennung
von Theologie und Naturwissenschaft vgl. auch J. Hübner, Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie heute, 9–28, insbes. 13ff, sowie G. Altner, Schöpfungsglaube und
Entwicklungsgedanke in der protestantischen Theologie zwischen Ernst Haeckel und
Teilhard de Chardin, 82–95.
16
J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 48. – Vgl. dagegen J. Fischer, Kann die Theologie
der naturwissenschaftlichen Vernunft die Welt als Schöpfung verständlich machen? 78
(Anm. 21), der dem Argument, Theologie und Naturwissenschaften bezögen sich auf die
„eine Wirklichkeit“ nur eine vordergründige Plausibilität zugesteht. Entscheidend sei
vielmehr, ob die ersichtlich unterschiedlichen Perspektiven von Theolgie und Naturwissenschaften auf diese Wirklichkeit ineinander überführbar und abbildbar seien oder nicht.
17
J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 200. Moltmann bezieht sich hier namentlich auf die
Bemühungen Karl Heims um eine „produktive Synthese zwischen Evolutionstheorie und
Schöpfungslehre“ (ebd.). – Zur kritischen Auseinandersetzung mit der „neuen Apologetik“
Heims vgl. 4. Kap. III. vorliegender Arbeit.
13
Waffenstillstand“18 vergleicht, nur ein provisorischer Charakter zu, da eine
„direkte Bereinigung der anstehenden Sachprobleme“19 ausstehe. Rahner hält
es allerdings durchaus für denkbar, daß ein solcher Waffenstillstand legitim
und der geistigen Situation des heutigen Menschen angemessen ist und
„wenigstens im faktischen Bewußtsein des einzelnen praktisch weithin nicht
durch einen eigentlichen ‚Friedensschluß‘ überboten werden kann“ 20.
In den letzten Jahren erhielt der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft insbesondere von Seiten der Physik neue Impulse, in deren Folge
manchen Theologen ein endgültiger „Friedensschluß“ nun doch in greifbare
Nähe gerückt zu sein scheint. Verschiedene renommierte Physiker überwiegend aus dem angelsächsischen Sprachraum traten mit einer Reihe zumeist
allgemeinverständlicher Veröffentlichungen an die Öffentlichkeit, die
ausdrücklich den Anspruch erhoben, in unmittelbarem Anschluß an die
Physik Beiträge zu Fragestellungen zu leisten, die traditionell der Metaphysik
und Theologie vorbehalten waren. Diesen Beiträgen und den entsprechenden
theologischen Reaktionen kommt besondere Bedeutung zu, wenn man
berücksichtigt, daß sich die Physik bis heute „als eine Art Leitwissenschaft
der Naturwissenschaften“21 versteht; darüber hinaus geben Christian Link und
Hanns Joachim Maul zu bedenken, daß zumindest für das öffentliche Bewußtsein die Physik im 20. Jahrhundert an die Stelle gerückt ist, die bis zu Hegels
Tod der Philosophie zukam. „Die Gesprächssituation zwischen Theologie und
Naturwissenschaft insgesamt und darüber hinaus ihre Gesprächsfähigkeit“, so
folgern Link und Maul, „entscheiden sich daher in einer exemplarischen
Weise an dem Dialog zwischen Theologie und Physik.“22
Auf Publikationen von drei Physikern, die besonders nachhaltig die gegenwärtige Gesprächssituation zwischen Theologie und Naturwissenschaft beeinflussen, soll im folgenden kurz hingewiesen werden.23
Der bekannte Mathematiker und Physiker Stephen W. Hawking schreibt es in
dem im Jahr 1988 veröffentlichten Buch „A Brief History of Time: From the
Big Bang to Black Holes“24 nur der Arbeitsüberlastung der Physiker zu, daß
18
K. Rahner, Zum grundsätzlichen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, 45.
Ebd.
20
Ebd.
21
J. Audretsch, Physikalische und andere Aspekte der Wirklichkeit, 16.
22
C. Link/H. J. Maul, Physik, 176.
23
Vgl. außerdem die Veröffentlichungen der Physiker und Mathematiker: P. W. Atkins, The
Creation, Oxford 1981; F. Hoyle, The Intelligent Universe, London 1983; D. J.
Bartholomew, God of Chance, London 1984; J. D. Barrow/F. J. Tipler, The Anthropic
Cosmological Principle, Oxford 1986; F. Capra, Das Tao der Physik, München 1987; F.
Capra/D. Steindl-Rast, Wendezeit im Christentum: Perspektiven für eine aufgeklärte Theologie, Bern/München/Wien 1991; V. J. Stenger, The Origin of the Universe, 1988; J. C.
Polkinghorne, The Way the World is, London 1983; ders., Science and Creation, London
1988; ders., Science and Providence, London 1989; ders., Belief in God in an Age of
Science, New Haven/London 1998; ders., Science and Theology, Minneapolis/London 1998;
G. Ewald, Die Physik und das Jenseits, Augsburg 1998; vgl. auch Anm. 47.
24
Deutsch: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums,
Hamburg 1991.
19
14
sie sich bislang nicht metaphysischen Fragen zuwenden konnten. Sein Ziel ist
„die vollständige Beschreibung des Universums, in dem wir leben“25 und ein
„vollständiges Verständnis der Ereignisse, die uns umgeben, und unserer
Existenz“26. Hawking ist der Überzeugung, astrophysikalische Vorstellungen
hätten „weitreichende Konsequenzen für die Rolle Gottes in den Geschicken
des Universums“27, und er scheint der Auffassung zuzuneigen, daß bestimmte
kosmologische Modelle keinen Raum mehr für einen Schöpfer lassen.28
Hawking will erklärtermaßen Antwort nicht nur auf die Frage, ob das Universum einen Schöpfer benötige und ob dieser noch in irgendeiner Weise auf das
Universum einwirke, sondern auch auf die Frage „warum es uns und das
Universum gibt“.29 „Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden“, so
Hawking, „wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft –
denn dann würden wir Gottes Plan kennen“30.
Der theoretische Physiker Paul Davies bezeichnet die Physik unumwunden
als „die anmaßendste aller Wissenschaften“31, da sie das gesamte Universum
zu ihrem Forschungsobjekt erkläre. Im Unterschied zu anderen Naturwissenschaftlern seien „Physiker ebensowenig wie Theologen geneigt zuzugeben,
daß es auch Dinge gibt, die prinzipiell außerhalb ihrer Zuständigkeit liegen“32.
In seinem im Jahr 1983 erstmals veröffentlichten Buch „God and the New
Physics“33 schreibt Davies, die Naturwissenschaft habe mittlerweile den
Punkt erreicht, von dem aus ehedem religiöse Fragen auf wissenschaftlich
haltbare Weise untersucht werden können. Die Naturwissenschaft bietet
darüber hinaus seiner Auffassung nach „einen sichereren Weg zu Gott als die
Religion“34.
Der ausgewiesene Astrophysiker Frank J. Tipler überrascht im Jahr 1994 die
Öffentlichkeit mit seinem Buch „The Physics of Immortality“35. Tipler
entwickelt darin eine „Theorie der Auferstehung“ und eine „OmegapunktTheorie“, wobei der Omegapunkt „im wesentlichen dem Gott von Tillich und
Pannenberg“36 entsprechen soll. Tipler beansprucht darzulegen, „daß die
wesentlichen Glaubensvorstellungen der jüdisch-christlichen Theologie in der
Tat wahr, daß diese Behauptungen direkte Ableitungen aus den Gesetzen der
25
A.a.O., 28.
A.a.O., 212.
27
A.a.O., 179; vgl. 216.
28
Vgl. a.a.O., 179.
29
A.a.O., 218.
30
Ebd.
31
P. Davies/J. R. Brown (Hg.), Superstrings. Eine Allumfassende Theorie der Natur in der
Diskussion, 11.
32
Ebd.
33
Deutsch: Gott und die moderne Physik, München 1986.
34
A.a.O., 15.
35
Deutsch: Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten“, München 1994.
36
A.a.O., 37.
26
15
Physik, wie wir sie heute verstehen, sind“37. Die Zeit sei gekommen, so
Tipler, die Theologie in der Physik aufgehen und den Himmel ebenso
wirklich werden zu lassen wie ein Elektron.38 Tiplers Einführung gipfelt in
der Zusage: „Dem Leser, der einen geliebten Menschen verloren oder Angst
vor dem Sterben hat, verheißt die moderne Physik: ‚Sei getrost, du und sie, ihr
werdet wieder leben.‘“39
Bewegen sich diese und eine Reihe ähnlicher populärwissenschaftlicher
Publikationen, die leicht zu Bestsellern avancieren, wenn sie nur auf jeglichen
mathematischen Apparat verzichten, noch innerhalb des Freiraumes, den die
Theologie der Naturwissenschaft zu gewähren hat – oder überschreiten hier
Physiker die ihrer Wissenschaft gezogene Grenze und bieten unversehens
eine „heidnische Gnosis und Religionslehre“40? Kündigt sich in solchen „physikotheologischen“ Entwürfen wenn nicht die endgültige Kapitulation der
Theologie, so vielleicht doch ein „Friedensschluß“ zwischen Naturwissenschaft und Theologie an – oder handelt es sich einmal mehr nur um einen
lösbaren „sekundären Konflikt“, genauer um ein „sekundäres
Mißverständnis“ aufgrund illegitimer Grenzüberschreitung diesmal von
Seiten der Physik?
Bei genauerem Zusehen können die im einzelnen sehr unterschiedlichen
„metaphysikalischen“ Äußerungen der genannten Physiker ihrem eigenem
Anspruch keinesfalls genügen und erweisen sich insbesondere im Fall von
Tipler als haltlose, ja wirre pseudophysikalische Spekulationen.41 Darüber
hinaus können die die Bestsellerlisten beherrschenden Autoren keineswegs
als repräsentativ für die moderne Physik betrachtet werden, sondern werden
auch von Fachkollegen als exzentrische Außenseiter eingestuft.42 Was Edgar
Lüscher seinem Werk über die moderne Physik voranstellt, ist heute in der
37
A.a.O., 13.
Vgl. a.a.O., 19.
39
A.a.O., 24.
40
K. Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. III, Teil 1, Vorwort.
41
Zur Kritik der genannten und weiterer Publikationen vgl. D. A. Wilkinson, Die Wiederkehr der Naturtheologie in der modernen Kosmologie, 2–15; W. B. Drees, Beyond the Big
Bang: Quantum Cosmologies and God, 41–153; H.-D. Mutschler, Physik – Religion – New
Age, 87–162, 183–200; R. Esterbauer, Metaphysische Physik? Zum Metaphysikbegriff in
reduktionistischen Weltbildentwürfen moderner Physiker, 397–400; zu F. J. Tipler vgl. H.
Römer, Physik der Unsterblichkeit? 118–122; H.-D. Mutschler, Rez. zu F. J. Tipler, Die
Physik der Unsterblichkeit, 619–621; sowie A. Benk, Keine Physik der Unsterblichkeit, 78f.
42
„Zu Beginn meiner Laufbahn als Physiker hätte ich mir nie träumen lassen“, schreibt F. J.
Tipler, Die Physik der Unsterblichkeit, 16, „ich würde eines Tages in meiner Eigenschaft als
Physiker schreiben, daß es einen Himmel gibt und daß jeden, und zwar jeden einzelnen von
uns ein Leben nach dem Tode erwartet. Und doch, hier stehe ich, und schreibe Dinge, die
mein früheres Ich als wissenschaftlichen Unsinn abgetan hätte. Hier stehe ich, ein Physiker,
und kann nicht anders“. In einem öffentlichen Kolloquium kommentierte dies der Tübinger
Atomphysiker G. Staudt lapidar: „Ich stehe hier und kann anders.“ – Gefährlich werde
Tiplers Veröffentlichung dadurch, so der theoretische Physiker H. Römer, Physik der
Unsterblichkeit? 122, „daß unter der Benutzung der Autorität der Physik und eines anerkannten Physikers phantastische Behauptungen verbreitet und verstiegene Hoffnungen
geweckt werden“.
38
16
Physik von wenigen Ausnahmen abgesehen noch immer konsensfähig:
„Sämtliche Aussagen des Physikers beziehen sich auf den physikalischen
Raum. In diesem können Fragen nach Wechselwirkungen, die außerhalb der
physikalischen Meßmöglichkeiten liegen, nicht sinnvoll beantwortet
werden.“43 Keine Rede ist davon, daß derartige Fragen „sinnlos“ seien – aber
die Physik ist der falsche Adressat für ihre Beantwortung. „Insbesondere ist
das Problem der Existenz eines Gottes keine physikalische Fragestellung“,
fährt Lüscher fort, „[...] vielleicht gibt es Größen, Wechselwirkungen, Ereignisse, die dem Naturwissenschaftler prinzipiell unzugänglich sind, von denen
jedoch der Dichter, der Musiker, der bildende Künstler, der religiöse Mensch
etwas ahnt und dieses in seinen Werken auszudrücken vermag; ein Etwas, das
nie Gegenstand des physikalischen Raumes sein kann. Darüber eine physikalische Aussage zu formulieren, wäre eine Vermessenheit.“44
Selbst der Spekulationen gewiß nicht abgeneigte Astrophysiker John D.
Barrow warnt vor falschen Erwartungen an die Physik und insbesondere an
eine physikalische „Theorie für Alles“, die die vier physikalischen Grundkräfte in einer einzigen Theorie zusammenfassen und damit zu einer Vereinheitlichung der Physik führen würde. Barrow hält daran fest, daß es Dinge
gibt, „die sich nicht in die Zwangsjacke der mathematisch faßbaren Welt der
Naturwissenschaft fesseln lassen“45. Auch eine „Theorie für Alles“ kann keine
vollständige Erkenntnis sein: „Es gibt keine Weltformeln, die alle Wahrheit,
alle Harmonie, alle Einfachheit enthalten.“46
Dessen ungeachtet lösten die oben genannten, von Physikern vorgelegten
populärwissenschaftlichen Entwürfe auf Seiten der Theologie nicht nur eine
rege Diskussion aus, sondern fanden bei einigen Theologen auch eine erstaunlich entgegenkommende Aufnahme.47 Namentlich Wolfhart Pannenberg sieht
43
E. Lüscher, Moderne Physik, 10.
Ebd. – In Übereinstimmung damit geht auch der theoretische Physiker J. Audretsch,
Physikalische und andere Aspekte der Wirklichkeit, 30f, von der Feststellung aus, „daß die
empirisch-physikalisch erfaßte Realität nicht die ganze Wirklichkeit ist“. Wie für K. Barth
und K. Rahner sind für J. Audretsch Widersprüche zwischen Physik und Glauben „nur dann
möglich, wenn Glaubensinhalte physikalische Aussagen enthalten – das hat es historisch
gegeben – oder wenn in der Physik unzulässig Aussagen über die jeweiligen Anwendungsbereiche der Theorien hinaus gemacht werden – das haben einzelne Physiker getan, dies ist ein
Regelverstoß. Beides beruht also gewissermaßen auf Fehlverhalten und ist tatsächlich auch
immer historisch im Laufe der Entwicklung korrigiert worden.“
45
J. D. Barrow, Theorien für Alles. Die philosophischen Ansätze der modernen Physik, 14.
46
A.a.O., 268.
47
Vgl. dazu T. Peters (Hg.), Cosmos as Creation. Theology and Science in Consonance,
Nashville/Tennessee 1989; M. Rae/H. Regan/J. Stenhouse (Hg.), Science and Theology.
Questions at the Interface, Michigan 1994; J. F. Haught, Science and Religion. From Conflict
to Conversation, New York/Mahwah, N. J. 1995; R. J. Russell/N. Murphy/A. R. Peacocke
(Hg.), Chaos and Complexity. Scientific Perspectives on Divine Action, Vatican City 1995;
L. Boff, Der Adler und das Huhn, Düsseldorf 1998. – F. J. Tipler konnte im übrigen schon im
Jahr 1987 auf Einladung von Johannes Paul II. seine Konzeption einer
„Omegapunkt-Theorie“ bei einem Symposium von Theologen und Naturwissenschaftlern in
der päpstlichen Sommerresidenz äußern. Sein Beitrag wurde in einem vom Vatikanischen
44
17
sich zu der auf dem Klappentext von Tiplers „Physik der Unsterblichkeit“
zitierten Feststellung veranlaßt, hier rekonstruiere ein Physiker „mit physikalischen Argumenten fundamentale Glaubenssätze der Religionen“ und nähere
sich „gerade der christlichen Zukunftshoffnung“.48 Zeichnet sich ein neues
Mit- und Ineinander von Physik und Theologie ab, wenn Pannenberg andernorts feststellt, die „biblische Aussage über Gott als Geist [stehe] sachlich [...]
den Feldvorstellungen der modernen Physik [nahe]“49? Ist eine Synthese von
Theologie und Physik schon vollzogen, wenn es „aus rein innertheologischen
Gründen“ möglich sein soll, „die Geistnatur Gottes im Sinne eines Kraftfeldes
zu denken“50? Pannenberg will ausdrücklich die Möglichkeit naturwissenschaftlicher Gottesbeweise nicht ausschließen51 und sieht im Hinblick auf die
Entwicklung der physikalischen Kosmologie in den letzten Jahrzehnten sogar
ein Zusammenstreben und eine Konvergenz von physikalischer Weltauffassung und christlich-jüdischem Schöpfungsglauben.52
In ähnlicher Weise äußert der französische Philosoph und Theologe Jean
Guitton im Rahmen eines ausführlich dokumentierten Gespräches mit zwei
Physikern, es gebe von nun an „eine wissenschaftliche Grundlage für die von
der Religion vorgeschlagenen Auffassungen“53. Guitton entdeckt im quantenphysikalischen „Doppelspaltexperiment“54 nicht nur eine Möglichkeit der
Lokalisation Gottes, sondern bietet sogar eine „theologische“ Lösung des
physikalischen Phänomens an: „An den unsichtbaren Enden unserer Welt,
unter und über unserer Realität, hält sich der Geist auf. Und vielleicht ist es
so, daß dort unten, im Innern des seltsamen Reichs der Quanten, unser
menschlicher Geist und der Geist jenes transzendenten Wesens, das wir Gott
nennen, veranlaßt werden aufeinanderzutreffen.“55 Trifft also zu, daß
Quantentheorie und Kosmologie „die Grenzen des Wissens immer weiter
[vorschieben], bis sie das fundamentale Rätsel berühren, das dem menschlichen Geist gegenübertritt: die Existenz des transzendenten Seins“56? Findet
Observatorium herausgegebenen Sammelband veröffentlicht (vgl. F. J. Tipler, The Omega
Point Theory: A Model of an Evolving God, 313–331).
48
Vgl. auch W. Pannenberg, Rez. zu F. J. Tipler, Die Physik der Unsterblichkeit, 25.
49
W. Pannenberg, Das Wirken Gottes und die Dynamik des Naturgeschehens, 150.
50
A.a.O., 151; vgl. ders., The Doctrine of Creation and Modern Science, 162–176, insbes.
175: „The concept of a field of force could be used to make effective our understanding of
the spiritual presence of God in natural phenomena.“
51
Vgl. W. Pannenbergs Gesprächsbeitrag in: H.-P. Dürr u.a., Gott, der Mensch und die
Wissenschaft, 30.
52
Vgl. a.a.O., 45.
53
J. Guitton/G. u. I. Bogdanov, Gott und die Wissenschaft, 23.
54
Zum Doppelspaltexperiment vgl. 5. Kap. IV. vorliegender Arbeit.
55
J. Guitton/G. u. I. Bogdanov, Gott und die Wissenschaft, 119. Guitton greift hier vermutlich Gedanken einer „neognostischen Physik“ auf, die meint, „Geist“ lasse sich schon in den
Elementarteilchen physikalisch beweisen, vgl. z. B. J. E. Charon, Der Geist der Materie,
Frankfurt 1988. Auch Pannenberg, Das Wirken Gottes und die Dynamik des Naturgeschehens, 152, setzt die Schöpfertätigkeit Gottes im Naturgeschehen und die quantenphysikalische Unbestimmtheit in Beziehung zueinander.
56
A.a.O., 17.
18
man tatsächlich „letztlich in der wissenschaftlichen Theorie [...] dasselbe wie
im religiösen Glauben“57? Oder reden hier Physik und Theologie ihre unterschiedlichen Argumentationsebenen einmal mehr mißachtend in altbekannter
Weise aneinander vorbei?58
Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch eine Reihe neuer schöpfungstheologischer Entwürfe, die sich mit dem Verhältnis von Theologie und
Naturwissenschaft befassen.59 Georg Kraus erkennt „seit dem 20. Jahrhundert
zwischen der wissenschaftlichen Schöpfungstheologie und der Naturwissenschaft ein[en] wechselseitige[n] Prozess der Annäherung“60; dennoch bleibt
für ihn die Vereinbarkeit von Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft eines
der beiden großen Problemfelder, das gegenwärtig in der Schöpfungslehre zu
klären ist.61 Alexandre Ganoczy unternimmt sogar den Versuch „eine[r]
Schöpfungslehre ‚von unten‘ [...], die bei naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ansetzt“62. Gemeint sind damit „vor allem Erkenntnisse der modernen
Physik nach der Wende der Relativitäts- und der Quantentheorie [...], die
geeignet scheinen, ‚gemeinsame Plattformen‘ zu konstituieren, auf denen
dann eine positive und kritische Auseinandersetzung zwischen beiden
Wissensbereichen sinnvoll durchgeführt werden kann“63.
Problematisch wird allerdings die Bestimmung solcher „Plattformen“, die
moderner Physik und Schöpfungsglaube gemeinsam sein sollen: ist die
„Offenheit der Materie auf Geist hin“64 eine gemeinsame Plattform? Kann
man dann wie Georg Kraus feststellen, „aufgrund der Quantentheorie, die nur
noch mit Wahrscheinlichkeiten [rechne], [sei] die Welt im elementaren
Bereich ein Prozeß in Freiheit“65? Aber zeigt die Atomphysik tatsächlich, wie
Kraus meint, „daß bereits in den Atomen Bindungs-, Ordnungs- und
Bewegungskräfte wirksam sind, daß also schon in den Grundbausteinen der
Materie eine geistgeprägte Struktur vorliegt“66? Ist weiter mit dem „anthropischen Prinzip“67, eine gemeinsame Gesprächsebene gefunden – oder liegt hier
57
Ebd.
Vgl. etwa B. Bavinks theologische Deutung des quantenphysikalischen Indeterminismus,
vgl. 4. Kap. IV. 4. vorliegender Arbeit.
59
Vgl. G. Kraus, Welt und Mensch. Lehrbuch zur Schöpfungslehre, Frankfurt a. M. 1997; L.
Scheffczyk, Schöpfung als Heilseröffnung. Schöpfungslehre (L. Scheffczyk/A. Ziegenaus,
Katholische Dogmatik, Bd. 3), Aachen 1997; A. Ganoczy, Schöpfungslehre, in: W. Beinert
(Hg.), Lehrbuch der Katholischen Dogmatik, Bd. 1, Paderborn/München/Wien/Zürich 1995,
365–495; G. L. Müller, Katholische Dogmatik, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1995; D. Sattler/T.
Schneider. Schöpfungslehre, in: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Bd. 1, Düsseldorf 1992, 120–238.
60
G. Kraus, Welt und Mensch, 328.
61
Vgl. a.a.O., 26.
62
A. Ganoczy, Schöpfungslehre, 431.
63
Ebd. (Hervorhebung von A. Ganoczy).
64
A.a.O., 448.
65
G. Kraus, Die Vereinbarkeit von Schöpfungsglaube und Evolution, 119.
66
A.a.O., 123.
67
Wären die Bedingungen, unter denen sich das Universum entwickelte, nur geringfügig
anders gewesen, dann hätte sich kein Leben entwickeln können („Feinabstimmung“ der
58
19
nur ein Beispiel dafür vor, wie leicht unterschiedliche Ebenen miteinander
verwechselt werden können?68 Eignet sich wenigstens die sogenannte
„Urknalltheorie“ als ein möglicher Ausgangspunkt für eine Schöpfungstheologie „von unten“? Wenn schon der Physiker Günter Ewald meint, der
Urknall sei eine Art „physikalische Version des geläufigen ersten Satzes der
Bibel geworden“69, kann dann ein katholischer Dogmatiker schreiben, Gott
schaffe „die Anfangsbedingungen der Evolution aus dem Nichts“, der
„transzendente Gott [habe] den dichten Energieball geschaffen, der dann bei
der Explosion die Materie hervorbringt, die wiederum durch die in sie hineingelegte Selbstorganisation alles weitere in der Welt aus sich heraus
entwickelt“70, der „Schöpfergott des Glaubens [sei] also der energetische
Urgrund und der kraftmäßige Beweggrund der Evolution“71? – oder wird
damit nicht vielmehr verkannt, wie Max Seckler betont, „daß für den Schöpfundamentalen Naturkonstanten). In diesem Zusammenhang sprechen einige Physiker vom
„anthropischen Prinzip“: Als „schwaches anthropische Prinzip“ bezeichnet dieses nichts
weiter als ein methodisches Instrument der Astrophysik: Weil es nun einmal Leben gibt,
müssen die Naturgesetze in unserem Kosmos auch so beschaffen sein, daß in ihm Leben
entstehen kann. Das „starke anthropische Prinzip“ geht einen entscheidenden Schritt weiter,
der freilich die „Plattform“ der Physik verläßt und tatsächlich auch nur von sehr wenigen
Physikern nachvollzogen wird: Die Naturgesetze in unserem Kosmos sind so, wie sie sind,
damit Leben und schließlich menschliches Leben ermöglicht wird. Der Mensch war demnach
von Anfang an Zweck und Ziel der Naturgesetze. Dahinter verbirgt sich ein teleologisches
Denken, wonach das Naturgeschehen durch „Zwecke“ bestimmt und geleitet wird. Demgegenüber hatte schon M. Planck, Vorträge und Erinnerungen, 99, festgestellt, daß die Physik
ihre Erfolge seit Galilei gerade in der bewußten Abkehr jeder teleologischen Betrachtungsweise errungen habe.
68
Das aus naturwissenschaftlicher Perspektive nützliche schwache anthropische Prinzip
kann man philosophisch oder theologisch als starkes anthropisches Prinzip deuten (vgl. H.-D.
Mutschler, Weltentstehungstheorien, 30–32; D. Sattler/T. Schneider, Schöpfungslehre, 220;
F. Gruber, Die kreative Natur und der Glaube an den Schöpfergott, 306). Doch bereits bei A.
Ganoczy, Schöpfungslehre, 441, wird die hier notwendige Differenzierung verwischt, wenn
es im beigefügten Glossar „naturwissenschaftlicher Fachbegriffe“ nur heißt, daß das anthropische Prinzip die Vorstellung meine „daß viele Eigenschaften des Kosmos darauf angelegt
sind, die Existenz des Menschen zu ermöglichen“; vgl. die entsprechende Ungenauigkeit bei
L. Scheffczyk, Schöpfung als Heilseröffnung, 29. – Ein völliges Mißverständnis liegt bei G.
Kraus, Welt und Mensch, 360–366, vor, der das „anthropische Prinzip“ als eines der „naturwissenschaftliche[n] Grunddaten“ (360) aufführt und als „neue kosmische Gesamttheorie“
(364) ausgibt, die in der Physik vertreten werde und „die einzigartige Sonderstellung des
Menschen in der Evolution [unterstreiche]“ (ebd.). Konkret heiße das, so Kraus weiter, „die
Anfangsbedingungen des Universums und bestimmte Naturkonstanten waren von
vorneherein darauf angelegt, am Ende der gesamten Evolution den Menschen als denkendes
Wesen entstehen zu lassen“ (365f).
69
G. Ewald, Die Physik und das Jenseits, 2.
70
G. Kraus, Welt und Mensch, 356.
71
Ders., Die Vereinbarkeit von Schöpfungsglaube und Evolution, 116. – Auch für H.-J.
Sander, Das Wort vom Anfang. Die Rede von Gott vor dem Urknall der Zeit 173, „ist der
Urknall eine formale Basis für die Rede vom Schöpfer Gott“. Die Eckdaten der modernen
Kosmologie geben für Sander „Merkmale ab, mit denen die Rede von Gott im Anfang des
Universums arbeiten kann“ (169). Das Ursprungsproblem sei durch die moderne Kosmologie
in einer nichtreligiösen Weise denkbar geworden (vgl. ebd.).
20
fungsbegriff das Moment des absoluten Ursprungs, das außerhalb jeder zeitlichen Bestimmung liegt, wesentlich ist“72?
Auch päpstliche Stellungnahmen zeigen, daß in den letzten Jahren neue
Bewegung in den Dialog von Theologie und Physik gekommen ist. Allerdings
fällt auf, daß die diesbezüglichen Äußerungen von Papst Johannes Paul II.
sehr behutsam formuliert sind: einerseits zeichnen sie sich aus durch eine
große Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen der modernen Physik und
der uneingeschränkten Akzeptanz ihrer gesicherten Erkenntnisse; andererseits
ist in diesem Zusammenhang aber von keiner sich abzeichnenden Konvergenz
zwischen Naturwissenschaften und Theolgie die Rede, die zwangsläufig in
eine harmonische Synthese beider einmünden würde, und es wird auch
keinerlei Versuch unternommen, unmittelbar an naturwissenschaftliche
Erkenntnisse irgendwelche theologischen Aussagen anzuschließen.
Noch Papst Pius XII. hielt daran fest, daß die Existenz eines persönlichen
Gottes mittels der menschlichen Vernunft bewiesen werden könne,73 und er
erhoffte sich insbesondere im Anschluß an die „Urknalltheorie“ einen naturwissenschaftlichen Gottesbeweis.74 Papst Johannes Paul II. äußert sich in
72
M. Seckler, Was heißt eigentlich ‚Schöpfung‘? 198; weiter schreibt Seckler ebd.: „Die
Vorstellung eines progressiven oder ‚gestuften‘ Schöpfungsprozesses, gemäß dem der
evolutive kosmische Gesamtprozeß sozusagen die Art und Weise darstellt, in der Gott, das
schöpferische Prinzip, wirkt, wird dem Schöpfungsbegriff in seiner Radikalität keineswegs
gerecht.“ Vgl. dazu auch G. L. Müller, Katholische Dogmatik, 171, 215f.
73
Vgl. H. Denzinger/P. Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Nr. 3890.
74
Vgl. Pius XII., Modern Science and the Existence of God. Address of the Holy Father to
the Pontifical Academy of Science, November 22, 1951, 182–192. Nach dem Hinweis auf
einige ausgewählte naturwissenschaftliche und insbesondere astrophysikalische Erkenntnisse
und Theorien fragt Papst Pius XII. nach deren Bedeutung für die Frage nach der Existenz
Gottes und kommt a.a.O., 191, zu dem Schluß: „By means of exact and detailed research into
the macrocosm and the microcosm, it has considerably broadened and deepened the empirical
foundation on which this argument [for the existence of God] rests, and from which it concludes to the existence of an Ens a se, immutable by His very nature. [...] Thus, with that concreteness which is characteristic of physical proofs, it [science] has confirmed the contingency
of the universe and also the well-founded deduction as to the epoch when the cosmos came
forth from the hands of the Creator. Hence, creation took place in time. Therefore, there is a
Creator. Therefore, God exists! Although it is neither explicit nor complete, this is the reply
we were awaiting from science, and which the present human generation is awaiting from it.“
– Im Bulletin of the Atomic Scientists wurde diese päpstliche Ansprache umgehend mit
Erstaunen und kaum verhohlenem Amüsement dokumentiert und kommentiert: „In fact, it
[the speech] praises modern astrophysics for having disclosed to mankind for the first time,
the true story of the creation of the material world“ (Science and the Catholic Church. Two
Documents, in: Bulletin of the Atomic Scientists 8 [1952], 142). Vgl. dazu auch S. L. Jaki,
Cosmos and Creator, insbes. 18–21; T. Peters, Cosmos as Creation, 46f; sowie I. G. Barbour,
Issues in Science and Religion, 366–368, der bestreitet, daß sich die „big bang theory“ besser
als etwa die „steady-state theory“ mit der christlichen Schöpfungslehre vereinbaren läßt. Vgl.
schließlich auch Q. Smith, Atheism, Theism and Big Bang Cosmology, 48–66, der
umgekehrt wie Pius XII. sogar nachzuweisen versucht, daß die „Urknalltheorie“ unvereinbar
mit der christlichen Schöpfungsvorstellung sei: „I shall argue that the nontheistic interpretation is not merely an alternative candidate to the theistic interpretation, but is better justified
21
dieser Hinsicht deutlich zurückhaltender. In einem im Jahr 1988 veröffentlichten Schreiben an den Direktor des Vatikanischen astronomischen Observatoriums, George V. Coyne, bedauert der Papst zunächst die fehlende
Fachkenntnis der meisten Theologen im Gespräch mit der zeitgenössischen
Naturwissenschaft, denn „eine derartige Fachkenntnis würde sie davon abhalten, zu apologetischen Zwecken unkritischen und übereilten Gebrauch von
solch neueren Theorien wie dem ‚Urknall‘ in der Kosmologie zu machen“75.
Das Christentum besitze die Quelle seiner Rechtfertigung in sich selbst und
erwarte nicht von der Wissenschaft, daß sie seiner grundlegenden Verteidigung diene. In aller Deutlichkeit betont der Papst in diesem Zusammenhang
die schon in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes zum Ausdruck
kommende Einsicht: „Sowohl die Religion als auch die Wissenschaft müssen
ihre Autonomie bewahren. Die Religion gründet nicht in der Wissenschaft,
und die Wissenschaft ist keine Weiterführung der Religion.“76 Insbesondere
warnt er davor, daß die Theologie zur Pseudowissenschaft und die Wissenschaft zu einer unbewußten Theologie werde.77
Gleichwohl sieht auch Johannes Paul II. die Theologie durch die gegenwärtige Physik herausgefordert und einen Austausch beider für dringend geboten:
„Zuerst und zuvörderst sollten sie dahin gelangen, einander zu verstehen.
Allzu lange haben sie sich gegenseitig vom Leibe gehalten.“78 Im Verlauf des
Dialogs werde das wechselseitige Verstehen wachsen und schrittweise
gemeinsame Belange aufdecken, die die Grundlage für weitere Forschung und
Diskussion liefern werden. Zuversichtlicher sogar als die meisten Physiker
beurteilt der Papst deren Suche nach Vereinigung der vier physikalischen
Grundkräfte, die Licht werfen könnte „sowohl auf den Ursprung des Universums als auch letztlich auf den Ursprung der Gesetze und Konstanten [...], die
seine Evolution steuern“79.
Reichlich verunsichert und ratlos klingt es dann freilich, wenn Johannes Paul
II. im Hinblick auf die moderne Kosmologie fragt: „Welches sind, wenn es
sie gibt, die eschatologischen Implikationen der zeitgenössischen
Kosmologie, insbesondere im Lichte der gewaltigen Zukunft unseres
Universums?“80 Sollte der Papst ungeachtet der zuvor betonten Eigenständigkeit von Theologie und Naturwissenschaft theologische Implikationen kosmologischer Theorien für denkbar halten? Bedeutet für Johannes Paul II.
beispielsweise die astrophysikalische Prognose, daß in rund vier Milliarden
Jahren auf unserem Planeten kein Leben mehr möglich sein wird, zugleich
auch ein eschatologisches Datum, das die christliche Hoffnung tangiert? Ist es
für die christliche Eschatologie wichtig zu wissen, ob unser Universum
than the theistic interpretation. In fact, I will argue for the strong claim that big bang cosmology is actually inconsistent with theism“ (a.a.O., 48).
75
Johannes Paul II., Schreiben an George V. Coyne, 158.
76
A.a.O., 155.
77
Vgl. a.a.O., 159.
78
A.a.O., 156.
79
A.a.O., 153.
80
A.a.O., 157.
22
fortgesetzt expandieren oder irgendwann einmal vielleicht wieder kollabieren
wird?81
Überblickt man die Veröffentlichungen der vergangenen Jahre zum Verhältnis von Theologie und Physik, so gilt ganz besonders, was Jürgen Hübner allgemein für die einschlägige Literatur zum Dialog zwischen Theologie und
Naturwissenschaft feststellt: Es „begegnet einem ein ziemliches Gestrüpp von
Vorstellungen, Positionen, Lehrmeinungen und Denkweisen“82. Der Naturphilosoph und Physiker Hans-Dieter Mutschler weist darauf hin, daß Karl
Rahner schon Anfang der siebziger Jahre beklagt habe, daß sich die Theologie
nicht genügend mit der Naturwissenschaft auseinandersetze. „Was würde er
heute sagen“, fragt Mutschler im Jahr 1994, „wo im Verhältnis viel weniger
zu diesem Spannungsfeld veröffentlicht wird, und wo das Wenige dann auch
noch so schlecht ist?“83 Zwar hat die Anzahl der einschlägigen Publikationen
in den zurückliegenden fünf Jahren deutlich zugenommen, doch auch wer
Mutschlers Urteil nicht für alle oben erwähnten Veröffentlichungen uneingeschränkt gelten lassen will, muß einräumen, daß derzeit ein kontinuierlicher
und institutionell abgesicherter Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft fast nur bezüglich ethischer Fragen geführt wird.84 Dabei fällt zudem
auf, daß in den verschiedenen Ethikkommissionen zwar regelmäßig Biologen
und Mediziner, aber nur selten Physiker vertreten sind.
Eine Ethik in den Wissenschaften und der diesbezügliche interdisziplinäre
Dialog sind zweifellos notwendig und verdienstvoll. Aber gemäß dem Selbstverständnis heutiger theologischer Ethik als autonom ansetzender Moral im
christlichen Kontext müssen zumindest im interdisziplinären ethischen
Diskurs religiöse und metaphysische Fragen ausgeklammert bleiben.85 Unter
den Bedingungen moderner Lebenswelt und entsprechender natur- und
humanwissenschaftlicher Erkenntnisse lassen sich sittliche Richtigkeiten mit
Bibel und Offenbarung nicht unmittelbar begründen.86 Allein schon um willen
der Kommunikabilität und Rationalität ethischer Argumentation muß theologische Ethik darum im Gespräch mit den Naturwissenschaften darauf verzichten, unmittelbar auf religiöse und weltanschauliche Überzeugungen
81
Zur Diskussion des päpstlichen Schreibens vgl. die Stellungnahmen von 19 internationalen
Wissenschaftlern in: R. J. Russell/W. R. Stoeger S.J./G. V. Coyne S.J. (Hg.), John Paul II. on
Science and Religion. Reflections on the New View from Rome, Vatican City 1990.
82
J. Hübner, Der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 3.
83
H.-D. Mutschler, Karl Rahner und die Naturwissenschaft, 101.
84
So weist der Physiker J. Audretsch, Die andere Hälfte der Wahrheit, 9, darauf hin, daß
„für viele Theologen [...] Technik und Naturwissenschaften nur noch unter ethischen Aspekten im Hinblick auf mögliche Folgewirkungen von Interesse [sind]“. Ansonsten sieht er das
„inner[e] Wechselverhältnis zwischen Christentum und Technologie sowie den sie begründenden Naturwissenschaften [...] durch wechselseitige Nichtbeachtung, ja völlige Gleichgültigkeit charakterisiert“.
85
Vgl. H. Hirschi, Autonome Moral und christliche Anthropologie, 105, sowie A. Benk,
Skeptische Anthropologie und Ethik, 133f, 202–206.
86
Vgl. dazu z. B. D. Mieth, Die Moralenzyklika, die Fundamentalmoral und die Kommunikation in der Kirche, 9–12.
23
zurückzugreifen.87 Damit bleiben aber auch Fragen nach dem Verhältnis von
Theologie und Naturwissenschaft und nach der Zuordnung von naturwissenschaftlicher und theologischer Perspektive im interdisziplinären ethischen
Diskurs in der Regel ausgespart. Im Hinblick auf diese Fragen gehen sich an
den Universitäten die theologischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten
nach wie vor aus dem Weg und beschränken sich bei gelegentlichen diesbezüglichen Kolloquien und Symposien auf den Austausch von Freundlichkeiten und gegenseitig oft unverstandenen Informationen. Kommt es dann da und
dort doch zu einem intensiveren Gespräch, so wird dies von den beteiligten
Gesprächspartnern jedesmal aufs Neue – und zurecht – als Pionierleistung
empfunden.88 Nach wie vor trifft dabei Rahners Beobachtung zu, daß der
Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft „sehr mühsam ist und
meist steckenbleibt, bevor er genauere, klare und von beiden Seiten angenommene Resultate erzielt hat“89.
Darüber hinaus muß die Situation in unseren Schulen als eindeutiger Hinweis
gewertet werden, daß Theologie und Naturwissenschaft dringend eines
kompetenten Dialogs auf breiter Basis bedürfen, um ihr Verhältnis zueinander
zu klären. Anders als in den Universitäten sind in den Schulen (und in Baden87
Vgl. A. Auer, Zur Theologie der Ethik. Das Weltethos im theologischen Diskurs, 208.
Beispiele dafür sind: Vortragsreihen im Rahmen des Studium generale an der Universität
Konstanz im Wintersemester 1987/88 (vgl. J. Audretsch/K. Mainzer [Hg.], Vom Anfang der
Welt: Wissenschaft, Philosophie, Religion, Mythos) und im Wintersemester 1990/91 (vgl. J.
Audretsch [Hg.], Die andere Hälfte der Wahrheit: Naturwissenschaft, Philosophie, Religion);
interdisziplinäre Seminare des Physikers Hartmann Römer und des Theologen Helmut
Riedlinger von 1986 bis 1990 an der Universität Freiburg (vgl. T. Becker, Der interdisziplinäre Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie an der Universität Freiburg, 624f);
Symposien der Specola Vaticana in Castel Gandolfo, wo im Laufe des letzten Jahrzehnts auf
Einladung von Papst Johannes Paul II. Naturwissenschaftler und Theologen wiederholt zu
gemeinsamen Diskussionen zusammenkamen (vgl. dazu insbes. R. J. Russell/W. R. Stoeger
S.J./G. V. Coyne S.J. [Hg.], Physics, Philosophy and Theology: A Common Quest for
Understanding); von Carsten Bresch und Helmut Riedlinger in den vergangenen Jahren
initiierte interdisziplinäre Tagungen zur Frage einer „neuen natürlichen Theologie“ (vgl. C.
Bresch/S. M. Daecke/H. Riedlinger [Hg.], Kann man Gott aus der Natur erkennen? Evolution
als Offenbarung); das öffentliche Kolloquium „Unser Kosmos. Naturwissenschaftliche und
philosophisch-theologische Aspekte“, das im Sommersemester 1994 gemeinsam von Hans
Küng (Institut für Ökumenische Forschung) und Amand Fäßler (Institut für Theoretische
Physik) an der Universität Tübingen durchgeführt wurde; der Gesprächskreis an der Katholischen Akademie in Bayern „Kirche und Wissenschaft“, an dem sich auch Physiker beteiligen
(vgl. J. Dorschner [Hg.], Der Kosmos als Schöpfung); Jahrestagungen des Institutes der
Görres-Gesellschaft für interdisziplinäre Forschung (s. u. S. 113, Anm. 59).
89
K. Rahner, Zum grundsätzlichen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, 44.
Vgl. auch die Beurteilung des Physikers H. Gärtner, Nicht-lokale Realität oder was ist
Wirklichkeit? 63: „Der Versuch, Theologen und Naturwissenschaftler miteinander ins
Gespräch zu bringen, ist schon oft unternommen worden. In der Regel bilden sich Arbeitskreise, die über eine gewisse Zeit zusammenbleiben, oder es werden gemeinsame Vortragsreihen [...] veranstaltet, beides mit dem Ziel, zur Überwindung der von Snow [...]
konstatierten Aufteilung in ‚zwei Kulturen‘ beizutragen. Leider müssen diese Bemühungen,
von partiellen Erfolgen abgesehen, im großen und ganzen bisher als gescheitert betrachtet
werden.“
88
24
Württemberg auch in den Pädagogischen Hochschulen) die naturwissenschaftlichen Fächer und das Fach Religionslehre noch einmal unter einem
Dach vereint. Hier lassen sich Kontroversen, Unvereinbarkeiten und
Spannungen nicht so einfach überspielen und verschleiern. Zumindest die
Schüler und Studenten – wenn nicht die Lehrer und Dozenten – begegnen
aufgrund ihres Stundenplanes auf Jahre hinaus naturwissenschaftlicher und
theologischer Denkweise. Welche Antwort sollen sie erhalten auf die naheliegende Frage, wie sich beide Denkweisen zueinander verhalten?
Doch gerade im schulischen Religionsunterricht spiegelt sich die gegenwärtige Verunsicherung im Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft
ganz besonders. In ihrem Studium werden die späteren Religionslehrerinnen
und Religionslehrer in der Regel nicht auf eine fundierte Auseinandersetzung
mit dem Thema „Glaube und Naturwissenschaft“ vorbereitet. Gleichwohl
müssen sie dann entsprechende Unterrichtseinheiten in der Grundschule oder
in den Sekundarstufen I und II gestalten, weil an der Lehrplangestaltung
mitwirkende Religionspädagogen die Bedeutung dieses Themas für die
religiöse Entwicklung von Kindern und Jugendlichen inzwischen erkannt
haben. Aus Sicht des Religionspädagogen, so schreibt Albert Biesinger, sei
der Dialog zwischen Glaube und Naturwissenschaft elementar: „Soll es in der
religiösen Erziehung um die Befähigung zur Bewältigung gegenwärtiger und
künftiger Lebenssituationen gehen, dann ist es offensichtlich notwendig, sich
mit
der
naturwissenschaftlichen
Denkweise
kompetent
90
auseinanderzusetzen.“ In Anbetracht der stiefmütterlichen Behandlung des
Themas „Theologie und Naturwissenschaft“ in den gegenwärtigen Studienund Prüfungsordnungen für Lehramtstudierende muß allerdings bezweifelt
werden, ob für den in den Schulen erteilten Religionsunterricht die notwendige Kompetenz vorausgesetzt werden kann, um den von Biesinger geforderten „konstruktiven Dialog zwischen der religiösen Gottesbeziehung und
naturwissenschaftlichem Denken zu initiieren“91.
Wenn aber die Fragen der Kinder und Jugendlichen über das Verhältnis von
theologischen und naturwissenschaftlichen Erklärungsmodellen übergangen
oder nur ungenügend aufgearbeitet werden, wenn ihnen keine akzeptablen
und sowohl theologisch als auch naturwissenschaftlich verantwortbare
Lösungsmöglichkeiten angeboten werden können, sehen sich viele Schülerinnen und Schüler nur vor die radikale, aber weder theologisch noch naturwissenschaftlich haltbare Alternative gestellt: Naturwissenschaft oder Glaube,
Evolution oder Schöpfung, naturwissenschaftlicher Monismus oder biblischer
Fundamentalismus.92
Auch die verschiedenen Religionsbücher sind zu diesem Thema keine große
Hilfe, sondern tragen eher noch zur weiteren Verwirrung bei. Eine von VeitJakobus Dieterich im Jahr 1990 veröffentlichte Studie untersucht, wie in
90
A. Biesinger/H.-B. Strack, Gott, der Urknall und das Leben, 9.
Ebd.
92
Vgl. dazu A. Benk, „Warum steht in der Bibel nichts vom Urknall?“ Der Religionsunterricht als Indikator einer vernachlässigten theologischen Auseinandersetzung, 150–159.
91
25
evangelischen und katholischen Religionsbüchern das Verhältnis von Glaube
und Naturwissenschaft dargestellt wird. Dieterich zeigt, daß hier auch noch
nach 1968 völlig unterschiedliche Modelle der Zuordnung von Glaube und
Naturwissenschaft präsentiert werden, ohne daß in der Regel andere Zuordnungsmöglichkeiten diskutiert werden oder auch nur der jeweils eigene
Standpunkt als solcher thematisiert und reflektiert wird. 93
Wie die genannten populärwissenschaftlichen Publikationen von Physikern
mit theologischem Anspruch und die durch sie ausgelösten theologischen
Reaktionen, verweist auch das Ungenügen des schulischen Religionsunterrichts beim Thema „Glaube und Naturwissenschaft“ auf die Notwendigkeit
des gründlichen Dialoges zwischen Theologie und Naturwissenschaft und
insbesondere zwischen Theologie und Physik.
II. Absicht, Ausgangspunkt und Aufbau der Arbeit
1. Absicht der Arbeit
Angesichts der gegenwärtigen Irritationen und der wiederholten frustrierenden Erfahrung, daß der mühsame Dialog zwischen Physik und Theologie
meist abbricht, ehe er vorweisbare Ergebnisse erzielen kann, setzt sich vorliegende Arbeit nur ein bescheidenes Ziel: Sie wendet sich an Theologinnen und
Theologen und versucht die Ausgangssituation der Theologie für den Dialog
zwischen Theologie und moderner Physik zu verbessern.
Dazu wird im folgenden aber keine neue Klassifikation der Wissenschaften
präsentiert, von der her der Physik aus theologischer und philosophischer
Perspektive Ort und Grenze zugewiesen werden könnte.94 Zurecht stellt Georg
Wieland fest, daß derartige Klassifikationen entweder „lediglich die Heterogenität und grundlegende Verschiedenartigkeit der durch sie bezeichneten
Wissenschaftsbereiche [fixieren]“ oder „Ausdruck eines systematischen
Ordnungswillens [bleiben], der den Abstand zur historischen Bewegung nicht
zu überbrücken vermag“95. Ersteres gilt insbesondere für das radikale
93
Vgl. V.-J. Dieterich, Glaube und Naturwissenschaft im Religionsbuch, 166–176, insbes.
171. Zwar findet sich nach Dieterich in den neueren themenzentrierten Unterrichtsmaterialien
verstärkt das „dialogische Modell“, aber insgesamt überwiegen nach 1968 noch immer
verschiedene „nicht-kommunikative Modelle“ (vgl. a.a.O., 168f).
94
Zusammenstellungen und Bewertungen von verschiedenen Modellen der Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaft finden sich beispielsweise bei V. Mortensen, Theologie und Naturwissenschaft, 27–78, oder bei R. Esterbauer, Verlorene Zeit –
wider eine Einheitswissenschaft von Natur und Gott, 25–98.
95
G. Wieland, Commercium scientiarum. Interdisziplinarität und andere Versuche, 179f.
Darum versucht vorliegende Arbeit Wielands Empfehlung zu folgen und (bezüglich moderner Physik und Theologie) „an ausgewählten Beispielen der Wissenschaftsgeschichte die
Anziehungs- und Abstoßungsbewegungen verschiedener Disziplinen zu beobachten und ihre
26
„Trennungsmodell“ von Naturwissenschaft und Theologie im Anschluß an
Karl Barth; letzteres wird bestätigt durch die „Phase der
theoretischenVerhältnisbestimmung“96 von Theologie und Naturwissenschaft,
die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte und belegt, daß im Ausgang von
solchen klassifikatorischen Bemühungen kein kontinuierlicher und konstruktiver Dialog in Gang kommen kann. Die Entwicklungen in den modernen
Naturwissenschaften zeigen überdies, daß sich gerade auch diese „nicht an
theoretische Grenzen [halten], sondern [...] sich an den ihnen jeweils gegebenen Möglichkeiten [orientieren]“97 – wenngleich diese Möglichkeiten manchmal falsch eingeschätzt werden.
Vorliegende Arbeit beabsichtigt auch nicht, sich unmittelbar mit einzelnen
Erkenntnissen der modernen Physik auseinanderzusetzen, sie auf ihre theologische Relevanz hin abzufragen, um so möglicherweise deren zwingende
theologische Implikationen aufzudecken. Es wird sich vielmehr im Verlauf
dieser Arbeit gerade erweisen, daß noch jeder Versuch, im Anschluß an die
moderne Physik oder gar nur an einzelne ihrer Erkenntnisse derart billige
theologische Ausbeute zu gewinnen, kläglich gescheitert ist.
Mit dieser Arbeit soll schließlich keine christliche Schöpfungslehre vorgelegt
werden, die die Welt als Schöpfung und die Geschichte der Welt als Wirken
Gottes im Licht auch der modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse
darstellt, um die so gedeutete Welt heutiger naturwissenschaftlicher
Denkweise wieder nahezubringen. Zurecht wird das Fehlen einer derartigen
Schöpfungslehre beklagt; doch in Anbetracht der skizzierten Verunsicherung
und Irritation der Theologie ist allenfalls zu erhoffen, daß eine christliche
Schöpfungslehre, die diese Erwartungen erfüllt, vielleicht Frucht, jedenfalls
aber nicht Ausgangspunkt des Dialogs zwischen Theologie und moderner
Naturwissenschaft sein kann.
Vorliegende Arbeit versucht, den Boden für eine aussichtsreichere Fortsetzung des Dialogs von Theologie und moderner Physik zu bereiten: Sie will
dazu beitragen, daß die an diesem Dialog beteiligten Theologinnen und
Theologen ein besseres Verständnis für physikalische Denkweisen und für die
Wirklichkeitserfahrung in der modernen Physik gewinnen. Sie will außerdem
dazu beitragen, daß immer wiederkehrende Mißverständnisse und falsche
Erwartungen an diesen Dialog genauso vermieden wie berechtigte Erwartungen erkannt werden können.
2. Ausgangspunkt der Arbeit
Wenn sich in den zurückliegenden Jahren Theologen mit Physik befassen
wollten, so bezogen sie sich in der Regel auf die provozierenden Vorstellungen der eingangs bereits erwähnten Physiker. Doch wer mit Stephen
Bedingungen zu erforschen“ (a.a.O., 180).
J. Hübner, Art. Naturwissenschaft und Theologie, Sp. 649.
97
G. Wieland, Commercium scientiarum. Interdisziplinarität und andere Versuche, 179.
96
27
Hawking, Frank J. Tipler oder Ilya Prigogine, mit David Bohm, Fritjof Capra
oder anderen esoterischen Physikern in Dialog tritt, kommt nicht mit der
gegenwärtig unter Physikern akzeptierten und an unseren Universitäten
gelehrten Physik ins Gespräch, sondern mit einer „Physik“, die unter der
Hand mit philosophischen und metaphysischen Inhalten angereichert wurde –
und die sich gegenüber der Öffentlichkeit doch gerne als die allgemein
anerkannte und erfolgreiche moderne Physik ausgibt. Vorliegende Arbeit will
keine Aufklärungsarbeit leisten, indem sie besagten Physikern vorrechnet,
inwieweit sich ihre Darstellungen auf gesicherte physikalische Erkenntnis
stützen können und wo in diese unausgesprochen begründungsbedürftige
philosophische Deutungen und durch keinen experimentellen Befund belegte
Spekulationen und Extrapolationen einfließen.98 Ausgangspunkt vorliegender
Arbeit sind vielmehr die heute weitgehend unbestrittenen Grundlagen der
modernen Physik – und eben nicht die hochspekulativen, physikalisch höchst
umstrittenen Entwürfe, die sich in den vergangenen Jahren der Theologie
förmlich zum Dialog aufdrängten. Ausgangspunkt sind damit die drei großen
physikalischen Theorien, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entwickelt
wurden und die nach wie vor die Grundlage der gegenwärtigen Physik bilden:
die spezielle Relativitätstheorie, die allgemeine Relativitätstheorie und die
Quantentheorie.
3. Aufbau der Arbeit
Im Hinblick auf die leitende Absicht, die Ausgangssituation der Theologie für
einen Dialog mit der gegenwärtigen Physik zu verbessern, steht im Zentrum
dieser Arbeit die Auseinandersetzung mit frühen theologischen Reaktionen
auf die Entwicklung der modernen Physik (4. Kapitel). Während die ablehnenden theologischen und kirchlichen Reaktionen gegenüber dem Aufkommen der neuzeitlichen Naturwissenschaften allgemein bekannt und Gegenstand ungezählter wissenschaftlicher Untersuchungen sind, sind die verschiedenen theologischen Reaktionen auf die Entwicklung der modernen Physik
weitgehend in Vergessenheit geraten. Dies gilt insbesondere für diesbezügliche theologische Publikationen während des „goldenen Zeitalters der Physik“
in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Obwohl sich ergeben wird, daß die damaligen Versuche, den Umbruch in der
Physik aus Sicht der Theologie einzuordnen und angemessen zu bewerten,
fast ausnahmslos gescheitert sind, müssen diese Versuche heute in Erinnerung gerufen werden: Sie zeigen, daß auch der Dialog zwischen Theologie
und moderner Physik von Anfang an falsch ansetzte und ohne eine angemessene philosophische Vermittlung langfristig zu scheitern droht. Darüber
hinaus ist zu hoffen, daß in Anbetracht der historischen Muster entsprechende
98
Solche Aufklärungsarbeit leistet in vorbildlicher Weise z. B. H.-D. Mutschler, Physik –
Religion – New Age, Würzburg ²1992.
28
theologische Fehlreaktionen in der Gegenwart leichter als solche erkannt,
kritisiert und beiseite gelegt werden können.
Die Auseinandersetzung mit den theologischen Reaktionen auf die moderne
Physik geschieht vor dem Hintergrund philosophischer Deutungen dieser
Physik (3. und 6. Kapitel), denn es ist zu bedenken, daß sich Theologie nie
unmittelbar auf eine „reine“ Physik beziehen kann. Die Physik, mit der sie in
Dialog treten kann, ist immer schon und notwendig – wenn auch in der Regel
nicht ausdrücklich – philosophisch gedeutete Physik. Die Frage, welcher der
unterschiedlichen möglichen Deutungen jeweils der Vorzug zu geben ist, ist
zwar keine physikalische Fragestellung mehr, aber auch noch keine unmittelbar theologische. Der Dialog zwischen Theologie und moderner Physik kann
aber erst gelingen, wenn die Theologie die unterschiedlichen Deutungen der
modernen Physik ausdrücklich als Deutungen erkennt und versteht. Schon
allein darum bleibt Theologie hier unabdingbar auf die vorherige Vermittlungsarbeit der Philosophie angewiesen.99
Um die verschiedenen philosophischen Deutungen und die theologischen
Reaktionen auf die moderne Physik beurteilen zu können, ist darüber hinaus
ein Verständnis der grundlegenden Gedanken der modernen Physik
unabdingbar (2. und 5. Kapitel). Relativitäts- und Quantentheorie, die das
physikalische Weltbild revolutioniert haben, müssen zumindest so weit
verstanden werden, daß unqualifizierte Kritik und Polemik, unangemessene
Inanspruchnahme, unhaltbare „Anknüpfungen“ und voreilige Syntheseversuche von seiten der Theologie oder auch der Physik identifiziert und begründet
abgewiesen werden können.
Die Kenntnis zentraler Gedanken der modernen Physik und ihrer verschiedenen Deutungsmöglichkeiten erhellt zugleich, wie sich aus Perspektive der
modernen Physik die Ausgangssituation für den Dialog mit der Theologie
verändert hat (7. Kapitel). Insbesondere werden auf dieser Grundlage die
Stellungnahmen von Physikern zu theologischen Fragen verständlicher. Ein
adäquates Verständnis dieser Stellungnahmen ist aber wiederum unabdingbare Voraussetzung, um die Ausgangssituation der Theologie für den Dialog
zwischen Theologie und moderner Physik zu verbessern.
99
Der Mathematiker und Theologe Ulrich Kropac befaßt sich in seiner Dissertation (Naturwissenschaft und Theologie im Dialog. Umbrüche in der naturwissenschaftlichen und
logisch-mathematischen Erkenntnis als Herausforderung zu einem Gespräch, Münster 1999)
mit den Erkenntnisumbrüchen in moderner Physik und Mathematik, die die „Einsicht in
Erkenntnisgrenzen“ förderten und „nicht wenigen Naturwissenschaftlern Anlaß [gaben], sich
religiösen Fragen zuzuwenden und nach neuen Gottesbildern zu suchen“ (23). Wie vorliegende Arbeit betont aber auch Kropac die „Offenheit von Resultaten der Grundlagenforschung für verschiedene weltanschauliche Deutungen“ (ebd.) und verweist auf die
„Philosophie als Ort eines Dialoges zwischen Naturwissenschaft und Theologie“ (326).
29
III. Übersicht über die einzelnen Kapitel
Das erste Kapitel skizziert in knappen Zügen die Emanzipation der neuzeitlichen Naturwissenschaft von Theologie und Philosophie (I.), erläutert kurz das
die Epoche der klassischen Physik prägende Ideal mechanischer Erklärbarkeit
(II.) und zeigt, wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Versuch, die gesamte
Physik auf die Mechanik zu begründen, scheitert und somit die Wende zur
modernen Physik eingeleitet wird (III.).
Das zweite Kapitel zeigt, wie im Rahmen der klassischen Physik unerklärliche
Phänomene durch einen grundlegend neuen Ansatz in der speziellen Relativitätstheorie physikalisch gedeutet werden (I.), verweist auf die sich daraus
ergebenden weitreichenden Konsequenzen insbesondere für das physikalische Verständnis von Raum und Zeit (II.) und skizziert wie in der allgemeinen Relativitätstheorie durch die Verwendung einer nichteuklidischen
Geometrie die Vorstellung der physikalischen Wirklichkeit von Grund auf
verändert wird (III.).
Im dritten Kapitel werden unterschiedliche physikalische und philosophische
Deutungen der Relativitätstheorien vorgestellt. Dazu müssen zuerst populäre
Fehldeutungen sowie ideologisch und antisemitisch verblendete Polemik
gegen die Relativitätstheorien abgewiesen werden (I.). Im Anschluß daran
wird aufgezeigt, welchen Ort verschiedene Physiker Albert Einsteins spezieller Relativitätstheorie im Rahmen der Physik zuweisen (II.) und wie bereits
die Benennung dieser Theorie eine folgenreiche, aber keineswegs zwingende
Interpretation beinhaltet (III.). Dann werden einige bis heute kontrovers
diskutierte Fragen thematisiert, die sich aus der Verhältnisbestimmung von
Relativitätstheorien und kantischer Transzendentalphilosophie ergeben (IV.).
Zum Abschluß dieses Kapitels werden Deutung und zugleich zentrale Bedeutung der Relativitätstheorien im Rahmen des Logischen Positivismus herausgestellt (V.). Die knappe Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie und dem Logischen Positivismus ist in unserem Zusammenhang
aufschlußreich, da sie zeigt, in welchem Bereich die Diskussion um die Interpretation der Relativitätstheorien sinnvoll geführt werden kann und muß;
gerade vor diesem Hintergrund erweisen sich im vierten Kapitel einige
theologische Reaktionen auf die Relativitätstheorien als verfehlt.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts werden zahlreiche Beiträge von
Theologen veröffentlicht, die sich mit dem Verhältnis der Relativitätstheorien
zur Religion im allgemeinen und mit der Bedeutung der Relativitätstheorien
für den christlichen Glauben im besonderen befassen. Mit dem Hinweis auf
einige theologische „Interpretationen“, die sich ohne jedes physikalische
Verständnis einzig auf einige in den Relativitätstheorien verwendete Begriffe
beziehen, beginnt im vierten Kapitel der Überblick über die insgesamt sehr
unterschiedlichen theologischen Stellungnahmen (I.). Im Anschluß daran
wendet sich vorliegende Arbeit den argumentativen Anstrengungen katholi-
30
scher Theologen zu, die Unvereinbarkeiten von neuscholastischer Ontologie
und Relativitätstheorie ausmachen und darum sogar die experimentelle
Überprüfbarkeit der Relativitätstheorie leugnen. Diese Darstellung der
neuscholastischen Apologetik ist im gegebenen Zusammenhang
unverzichtbar, weil sich das beharrliche Festhalten an der neuscholastischen
Begrifflichkeit im Rückblick als einer der maßgeblichen Gründe erweist,
warum der Dialog zwischen katholischer Theologie und moderner Physik im
20. Jahrhundert jahrzehntelang blockiert ist und bis heute nur stockend in
Gang kommt (II.). Anschließend befaßt sich vorliegende Untersuchung mit
Karl Heims Versuch einer „neuen Apologetik“, in deren Rahmen die Relativitätstheorien zwar bejaht, zugleich aber auch sehr fragwürdig gedeutet werden.
Die Kritik von Heims Deutung der Relativitätstheorien und seiner damit
verbundenen Sicht der modernen Physik erscheint heute besonders
notwendig, da Heim nach wie vor unter Theologen als „profunder Kenner der
Naturwissenschaften“100 gilt und verschiedentlich gefordert wird, Heims
Bemühung um eine „produktive Synthese“101 von naturwissenschaftlichen
Erkenntnissen und Schöpfungslehre wieder aufzugreifen (III.). Schließlich
werden im vierten Kapitel Ansätze zur Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Theologie dargestellt, die von theologisch interessierten und
gebildeten Naturwissenschaftlern im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie vorgelegt werden. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei den entsprechenden theologischen Gedanken des Physikers Bernhard Bavink gewidmet
(IV.).
Nur wenige Jahre dient die Relativitätstheorie als Impuls für einen möglichen
Austausch zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Kaum haben die
Theologen, die die Entwicklung der modernen Physik zu verfolgen
versuchen, die Relativitätstheorie zur Kenntnis genommen, sind für die Physiker die Herausforderungen faszinierend, die ihnen die weitere Entfaltung der
Quantentheorie stellt. Im fünften Kapitel wird darum in allgemeinverständlicher Weise in die Grundgedanken der Quantenphysik eingeführt. Nach einleitenden Bemerkungen über die Bedeutung der Quantentheorie im Rahmen der
modernen Physik (I.) werden kurz naturphilosophische Traditionen skizziert,
die die Entwicklung der Quantentheorie beeinflussen (II.). Im Anschluß daran
werden in zwei Schritten zentrale Aussagen der Quantentheorie dargestellt:
zunächst durch die physikgeschichtliche Darstellung der Entwicklung der
Quantentheorie im 20. Jahrhundert (III.) und dann durch die Beschreibung
verschiedener „Doppelspaltexperimente“, deren Diskussion in der Geschichte
der Quantentheorie exemplarische Bedeutung zukommt (IV.).
Im Anschluß an die Doppelspaltexperimente lassen sich im sechsten Kapitel
zentrale Aspekte der Quantenphysik verdeutlichen. Ausgehend vom
sogenannten „Welle-Teilchen-Dualismus“ (I.) werden dazu die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation und ihre Deutung erläutert (II.), die Eigenart
100
101
H. Schwarz, Art. Heim, Karl, Sp. 1364.
J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 200.
31
des quantenmechanischen Meßprozesses skizziert (III.) und der quantentheoretische Indeterminismus vorgestellt (IV.). Dabei zeigt sich, daß der experimentell bewährte und in sich stimmige Formalismus der Quantentheorie
gleichwohl einen Spielraum für unterschiedliche Interpretationen erlaubt. Der
letzte Abschnitt dieses Kapitels befaßt sich mit der Diskussion um die
Vollständigkeit der Quantentheorie und begründet, warum mit der Quantentheorie trotz ihrer unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten eine Rückkehr
zum Wirklichkeitsverständnis der klassischen Physik definitiv ausgeschlossen
werden muß (V.).
Das sich gegenüber der klassischen Physik gewandelte Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik bestimmt maßgeblich die veränderte
Gesprächssituation im gegenwärtigen Dialog zwischen Physik und Theologie.
Im siebten Kapitel wird zunächst im Rückblick auf die Relativitäts- und
Quantentheorie die Veränderung in der physikalischen Vorstellung von
Wirklichkeit noch einmal zusammenfassend dargestellt (I.). So wenig wie von
der klassischen, so führt auch von der modernen Physik kein unmittelbarer
und zwingender Weg zur Religion. Sofern sich aber Physiker der Religion
zuwenden, prägt dieses veränderte Wirklichkeitsverständnis offensichtlich
auch die Stellungnahmen zu religiösen Fragen in charakteristischer Weise.
Dies wird in diesem Abschnitt anhand entsprechender Äußerungen von Max
Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg aufgezeigt (II.). Der
Rückgriff auf diese an der Entwicklung der modernen Physik maßgeblich
beteiligten Physiker bietet sich an, da bei diesen Physikern noch ein feineres
Gespür für die Tragweite des Umbruchs von der klassischen zur modernen
Physik feststellbar ist, als bei der jüngeren Physikergeneration, für die
Relativitäts- und Quantentheorie längst zum Standardwissen gehören.
Darüber hinaus stehen Planck, Einstein und Heisenberg bis heute
stellvertretend für die Physiker, die in wohltuendem Gegensatz zu den
gegenwärtig den Dialog mit der Theologie dominierenden Physikern nie als
Physiker aufgrund ihrer anerkannten naturwissenschaftlichen Kompetenz zu
religiösen Fragen Stellung nehmen, sondern nachdrücklich die Notwendigkeit
einer „reinlichen Scheidung von Religion und Naturwissenschaft“102 betonen.
Ihre gleichwohl von der Physik geprägten und nur vor deren Hintergrund
verständlichen Fragen und Erwartungen an die Theologie bedeuten für den
Dialog zwischen Theologie und moderner Physik eine noch nicht bewältigte
Herausforderung (III.). Das letzte Kapitel endet mit sechs Feststellungen, die
von der Theologie vor dem Dialog mit der modernen Physik zu bedenken sind
und die das Ergebnis der vorliegenden Arbeit zusammenfassen (IV.).
102
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 75.
32
Erstes Kapitel:
Umbruch von der klassischen zur modernen
Physik
I. Emanzipation der neuzeitlichen Physik von Theologie und
Philosophie
Galileo Galilei (1564–1642) und Isaac Newton (1643–1727) gelten als
Begründer der mathematisch-naturwissenschaftlichen Methode der neuzeitlichen Naturwissenschaft und insbesondere als Begründer der später
„klassisch“ genannten Physik.1 Galileis Verdienst besteht nicht nur in der
Formulierung grundlegender physikalischer Naturgesetze wie etwa der Fallund Bewegungsgesetze, sondern vor allem in der Tatsache, daß er zugleich
damit einer neuen wissenschaftlichen Methode zum Durchbruch verhilft: der
Verbindung von theoretisch entworfenem Experiment und mathematischer
Beschreibung. Der Experimentator begnügt sich nicht mehr mit der Hinnahme
beobachteter Naturereignisse, sondern stellt durch geeignete Versuchsanordnungen gezielte Fragen an die Natur und nötigt sie zur Antwort.2 Da für
Galilei das „Buch der Natur“ in mathematischer Sprache geschrieben ist,
bedarf es zu seinem Verständnis notwendigerweise der Mathematik.3 Wer
1
Unter dem Begriff „klassische Physik“ versteht man heute die Physik, wie sie noch um die
Wende zum 20. Jahrhundert gelehrt wurde. Dazu wird insbesondere die Newtonsche Mechanik, die Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus, die geometrische Optik, die
Wellenoptik und die herkömmliche Thermodynamik gezählt. Außerhalb dieser „klassischen
Physik“ liegen die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, die
oft auch als „moderne Physik“ bezeichnet werden. Zur insgesamt keineswegs einheitlichen
Begrifflichkeit vgl. K. H. Höcker, Art. Klassisch, 51f.
2
Vgl. dazu I. Kants Beschreibung der „Revolution der Denkart“ in der Physik: Die Naturforscher „begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe
hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und
die Natur nötigen müsse auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher
entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf“ (I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B
XIII).
3
Vgl. G. Galilei, Il Saggiatore, Opere, Bd. 6, 232, vgl. Bd. 5, 316f, sowie Galileis Brief an
den Benediktinermönch Benedetto Castelli vom 21.12.1613, a.a.O., Bd. 5, 281ff (in
deutscher Übersetzung abgedruckt in: A. Fölsing, Galileo Galilei, 284–288); vgl. dazu auch
E. Rothacker, Das „Buch der Natur“, 15f, 45, 127 (Anm. 14); vgl. ferner K. Mainzer, Galileo
Galilei – Naturphilosoph und Begründer der neuzeitlichen Physik, 10–31, insbes. auch die
weiteren Belege a.a.O., 12 (Anm. 11). – E. J. Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, 371–399, versucht zwar nachzuweisen, daß Galilei mehr als meist bekannt noch den
33
naturwissenschaftliche Fragen ohne Hilfe der Mathematik lösen wolle, unternehme Undurchführbares. Mathematik wird derart bei Galilei „das gedankliche Werkzeug der das Experiment leitenden theoretischen Fragen“4 und
erweist sich darin als „der ermöglichende Kern der Naturwissenschaft“ 5.
Schon die berühmten Versuche Galileis an der schiefen Ebene, die schließlich
zur Entdeckung der Fallgesetze führen, enthalten die wesentlichen Elemente
physikalischer Experimente.6 Galilei läßt Messingkugeln verschiedener
Masse bei unterschiedlicher Neigung eine abschüssige Rille hinabrollen, mißt
die zurückgelegten Strecken und die dazu benötigten Zeiten, variiert des
weiteren einzelne Größen, während er die jeweils anderen konstant hält, – und
vermag so die wechselseitige Abhängigkeit oder auch Unabhängigkeit dieser
beobachteten Größen festzustellen und schließlich ihre Relation in einer
mathematischen Gleichung auszudrücken. Voraussetzung dieses Zusammenspiels von Experiment und mathematischer Formulierung ist die mögliche
Quantifizierung der gerade untersuchten Eigenschaften eines Gegenstandes
oder der Einzelheiten eines Vorganges, deren struktureller Zusammenhang
aufgedeckt werden soll. Nur wenn diese Quantifizierung möglich ist, läßt sich
ein Gegenstand oder Vorgang mathematisch erfassen, nur dann „können wir
einem Vorgang ein mathematisches Funktionsmodell zuordnen“7.
Die Verbindung von Mathematik und Experiment eröffnet den Naturwissenschaftlern dieser Zeit eine Möglichkeit, ohne Rückgriff auf biblische Offenbarung, christliche Theologie oder traditionelle Philosophie Erkenntnisse über
die Natur zu gewinnen, die auf sicherer experimenteller Grundlage stehen und
zumindest grundsätzlich von jedem Menschen nachvollzogen werden können:
physikalische Experimente sind reproduzierbar, Physik bezieht sich damit
allein auf „intersubjektiv nachprüfbare Erfahrungen“8; desgleichen sind auch
die mathematischen Deduktionen im Anschluß an diese Experimente im
Prinzip von jedem Menschen auf ihre Stimmigkeit hin kontrollierbar. Im Jahr
1637 rühmt René Descartes gerade die „mathematischen Disziplinen“ wegen
ihrer „sicheren und vertrauenswürdigen Fundament[e]“ sowie wegen „der
Denkweisen der aristotelisch-scholastischen Physik verhaftet sei, betrachtet aber nichtsdestoweniger die Einsicht „daß die Natur in mathematischer Sprache beschrieben werden muß,
und daß sie für den Menschen genau so weit begreiflich ist, als er ihrer Wirkung in seinem
mathematischen Denken folgen kann“ als die Frucht, „welche die klassische Naturwissenschaft im Laufe ihrer Entwicklung zur Reife bringen sollte“ (a.a.O., 557).
4
C. F. v. Weizsäcker, Wer ist das Subjekt in der Physik? 129.
5
Ders., Zeit und Wissen, 96. Ähnlich betont M. v. Laue, Geschichte der Physik, 10, die
enge Verbindung von Physik und Mathematik: „Die Mathematik ist nun einmal das geistige
Werkzeug des Physikers; sie allein ermöglicht [die] endgültige, präzise und auf andere
übertragbare Fassung erkannter Naturgesetze, sie allein deren Anwendung auf verwickeltere
Vorgänge. So war auch der Fortschritt der Physik, namentlich in der Mechanik, aufs engste
verknüpft mit den gleichzeitigen Fortschritten der Mathematik.“
6
Vgl. die Beschreibung dieser Versuche in: G. Galilei, Unterredungen und mathematische
Demonstrationen, 161ff.
7
H.-P. Dürr, Mathematik und Experiment, 57.
8
J. Audretsch, Physikalische und andere Aspekte der Wirklichkeit, 18.
34
Sicherheit und Evidenz ihrer Beweisgründe“9. Die Möglichkeit aufgrund der
neuen Methode „der Natur ihre Geheimnisse ohne Anleihen bei Theologie
und Philosophie zu entreißen“10 äußert sich nun auch in einem ungleich
selbstbewußteren Auftreten der Naturwissenschaftler gegenüber kirchlicher
Autorität. Im Jahr 1609 schreibt Johannes Kepler, in der Theologie gelte zwar
das Gewicht der Autoritäten, in der Philosophie – und Kepler versteht darunter gerade auch die neue Astronomie – aber das der Vernunftgründe: „Heilig
ist nun zwar Laktanz, der die Kugelgestalt der Erde leugnete, heilig Augustinus, der die Kugelgestalt zugab, aber Antipoden leugnete, heilig das Offizium
unserer Tage, das die Kleinheit der Erde zugibt, aber ihre Bewegung leugnet.
Aber heiliger ist mir die Wahrheit, wenn ich, bei aller Ehrfurcht vor den
Kirchenlehrern, aus der Philosophie beweise, daß die Erde rund, ringsum von
Antipoden bewohnt, ganz unbedeutend und klein ist und auch durch die
Gestirne hin eilt.“11
Für Kepler bedeuten die Erkenntnisse der Physik und Astronomie seiner Zeit
und insbesondere die hier ausgedrückte Preisgabe der ausgezeichneten
Position des Menschen und seiner Erde im Universum keine Anfechtung
seiner christlichen Überzeugung. Betrachte man angesichts der unvorstellbaren Ausdehnung der Welt „jene Stäubchen [...], die man Menschen nennt, die
Gottes Bild in sich tragen“, so könne man daraus den Sinn des Schöpfers
erkennen lernen, „der seinen Ruhm nicht auf die große Ausdehnung setzt,
sondern der das klein macht, was er durch Würde auszeichnen will“12. Kepler,
der sich zur Confessio Augustana bekennt, betont wiederholt, daß es ihm mit
der Religion ernst sei und er kein Spiel mit ihr treibe.13 Die von autoritären
Zwängen und theologischer Bevormundung befreite naturwissenschaftliche
Forschung versteht Kepler ausdrücklich als Hilfe zur Offenbarung Gottes in
seinen Werken. Wie durch das Wort der Bibel, so will Gott auch aus dem
Buch der Natur erkannt werden.14
9
R. Descartes, Discours de la Méthode, 13.
J. Hemleben, Galileo Galilei, 154. „Ohne Anleihen bei der traditionellen aristotelischscholastischen Philosophie“ sollte es wohl besser heißen, denn auch die neuzeitliche Physik
beruht auf bestimmten naturphilosophischen Prämissen, auch wenn diese von den Naturwissenschaftlern dieser Zeit nicht reflektiert werden; vgl. dazu z. B. J. Teichmann, Wandel des
Weltbildes, 148f, oder auch J. Trefil, Fünf Gründe, 20f. Dessen ungeachtet ist E. Cassirer,
Philosophie und exakte Wissenschaft, 13, zuzustimmen, wenn er feststellt, daß der „Kampf
gegen das scholastische Bildungsideal und gegen die überlieferte Form der aristotelisch-scholastischen Physik [...] allen großen Naturforschern der Renaissance gemeinsam [ist]“.
11
J. Kepler, Neue Astronomie, 33.
12
J. Kepler an Herwart von Hohenburg, 28.3.1605, in: M. Caspar/W. v. Dyck (Hg.), Johannes Kepler in seinen Briefen, Bd. 1, 233.
13
Vgl. J. Kepler an Herwart von Hohenburg, 16.12.1598, a.a.O., Bd. 1, 91; vgl. J. Kepler an
Mästlin, 22.12.1616, a.a.O., Bd. 2, 67f, wo Kepler gegenüber Mästlin erklärt, daß er aus
Gewissensgründen nicht bereit sei, die Konkordienformel zu unterschreiben.
14
Vgl. Kepler an Mästlin, 3.10.1595, a.a.O., Bd. 1, 24; vgl. J. Kepler, Gesammelte Werke,
Bd. 13, 40 (Nr. 23, Zeile 254): Deus „vult ex libro Naturae agnoscj“. Zu Keplers Verständnis
des Buches der Natur als Offenbarung vgl. J. Hübner, Die Theologie Johannes Keplers
zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft, 165–175, sowie ders., Johannes Kepler und die
10
35
Der Naturforscher wird damit für Kepler zum Priester am Buch der Natur,
Naturforschung wird Priesterdienst: „Da wir Astronomen Priester des
höchsten Gottes sind in Hinblick auf das Buch der Natur, geziemt es uns, daß
wir nicht auf den Ruhm unseres Geistes, sondern vor allem anderen auf den
Ruhm Gottes bedacht sind“.15 In diesem Sinn kann Kepler im Jahr 1619 in
„Harmonices mundi“ in Form eines Lobgesanges schreiben:
„Ich sage Dir Dank, Schöpfer, Gott, weil Du mir Freude gegeben hast an dem, was Du
gemacht hast, und ich frohlocke über die Werke Deiner Hände. Siehe, ich habe jetzt das
Werk vollendet, zu dem ich berufen war. Ich habe dabei alle die Kräfte meines Geistes
genutzt, die Du mir verliehen hast. Ich habe die Herrlichkeit Deiner Werke den Menschen
geoffenbart, soviel von ihrem unendlichen Reichtum mein enger Verstand hat erfassen
können.“16
Die neue naturwissenschaftliche Methode ermöglicht die Emanzipation der
Naturwissenschaften von Theologie und traditioneller Philosophie. Dies geht
einher mit der Auflösung eines Weltbildes, in dem sich ptolemäische Kosmologie, aristotelische Philosophie und christliche Theologie scheinbar zwanglos
vereinbaren lassen.17 Aber das Beispiel von Kepler zeigt auch, daß das neu
entstehende Weltbild die Naturwissenschaftler keineswegs notwendig in
Widerspruch zum Glauben an einen sich in der Schöpfung offenbarenden
Gott führen muß. Für die Astronomen und Physiker, die durch ihre Arbeit die
Ausbildung des neuzeitlichen Verständnisses von Naturwissenschaft prägen,
namentlich für Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton ist „eine innige
Verbindung von naturwissenschaftlichem Denken und theologisch fundiertem
Weltbild [...] kennzeichnend“18. Unbeschadet der Abwehrreaktionen der
Kirche ist für die Naturwissenschaftler der Grundtenor der „einer Konkordanz zwischen Natur und Religion“19. Gerade durch die neu entdeckten
Gesetzlichkeiten, die den Gang der Gestirne bestimmen, sehen sie sich
zurückverwiesen auf den Urheber und den Schöpfer dieses großartigen,
zweckmäßig eingerichteten Weltenbaus.
theologischen Vorbehalte zum kopernikanischen System, 118–122, insbes. 121f. – Noch
I. Newton schließt seine kurzen theologischen Ausführungen in den „Principia“ mit der
Bemerkung ab, es sei Aufgabe der von ihm vorgelegten Naturlehre, Gott aufgrund von
Phänomenen zu erfassen (vgl. I. Newton, Opera, Bd. 3, 173: „Et haec de Deo; de quo utique
ex Phaenomenis differere, ad Philosophiam Naturalem pertinet“).
15
J. Kepler an Herwart von Hohenburg, 26.3.1598, in: M. Caspar/W. v. Dyck (Hg.), Johannes Kepler in seinen Briefen, Bd. 1, 70.
16
Zit. in: G. Süßmann (Hg.), Glaube und Naturwissenschaft, 12; vgl. auch Keplers hymnischen Lobpreis auf Gott als den Schöpfer des Kosmos am Ende von „Mysterium Cosmographicum“ (J. Kepler, Gesammelte Werke, Bd. 1, 79f).
17
Dieses Weltbild ist in popularisierter Form anschaulich dargestellt im Titelholzschnitt von
Lukas Cranach zur Lutherbibel (1534): im Zentrum der Welt ist mit biblischen Szenen das
Paradies und das erste Menschenpaar auf der Erde abgebildet, um die Erde kreisen die aristotelischen, bzw. ptolemäischen Sphären und jenseits der äußersten Sphäre der Fixsterne thront
Gott (der Holzdruck ist wiedergegeben in: V.-J. Dieterich, Glaube und Naturwissenschaft, 9).
18
19
E. Wölfel, Art. Naturwissenschaft I, 191.
Ebd.
36
II. Isaac Newtons „Principia“ und das Ideal mechanischer
Erklärbarkeit
Die neue naturwissenschaftliche Methode bewährt sich zwar schon zu
Galileis Lebzeiten hervorragend in Astronomie und Mechanik, aber es bleibt
Isaac Newton vorbehalten, zu seinen Zeiten schon vorliegende Ansätze
weiterzuentwickeln und die grundlegende Theorie der neuen Physik
auszuarbeiten.20 In seinem im Jahr 1687 publizierten Hauptwerk „Philosophiae naturalis principia mathematica“21 legt Newton die Konstruktion einer
Mechanik vor, die sich auf drei aus der Erfahrung abgeleitete Axiome
gründet22 und die in dem universellen Gravitationsgesetz ihren Höhepunkt
findet.23 Das Gravitationsgesetz wiederum bildet das Fundament einer Physik,
die auf der Erde keine besonderen Gesetze mehr gelten läßt: die Gestirne
folgen denselben Bewegungsgesetzen wie die Körper auf der Erde, die aristotelische Trennung von Erd- und Himmelsphysik ist damit endgültig aufgehoben.
Erst im Rückblick wird das Ausmaß des Einflusses sichtbar, den die in
diesem Werk zusammengefaßten mechanischen Grundsätze auf die Naturauffassung und auf die gesamte Lebensgestaltung der neuzeitlichen Menschheit
ausüben.24 Wie zuvor die „Physik“ von Aristoteles oder der sogenannte
20
Zu den verschiedenen Vorarbeiten, auf die Newton zurückgreifen kann, vgl. die knappe
und übersichtliche Darstellung von K. v. Meyenn, Triumph und Krise der Mechanik, 17–58.
Zur argumentativen Auseinandersetzung Newtons mit der cartesischen Philosophie vgl.
insbes. G. Böhme, Philosophische Grundlagen der Newtonschen Mechanik, 5–20.
21
Die bislang einzige vollständige deutsche Übersetzung, die im einzelnen aber sehr großzügig verfährt, stammt noch aus dem 19. Jahrhundert: I. Newton, Mathematische Prinzipien der
Naturlehre, hg. v. J. Ph. Wolfers, Berlin 1872 (unveränderter Nachdruck Darmstadt 1963).
Im folgenden werden die „Principia“ i. d. R. nach der getreueren, aber unvollständigen
Neuübersetzung von Ed Dellian zitiert: I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie. Übersetzt, eingeleitet und hg. von E. Dellian, Hamburg 1988.
22
„Gesetz I: Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der
gleichförmig-geradlinigen Bewegung, sofern er nicht durch eingedrückte Kräfte zur
Änderung seines Zustandes gezwungen wird. [...] Gesetz II: Die Bewegungsänderung ist der
eingedrückten Bewegungskraft proportional und geschieht in der Richtung der geraden
Linie, in der jene Kraft eindrückt. [...] Gesetz III: Der Einwirkung ist die Rückwirkung immer
entgegengesetzt und gleich, oder: die Einwirkungen zweier Körper aufeinander sind immer
gleich und wenden sich jeweils in die Gegenrichtung“ (I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, 53f).
23
Zwei Körper üben demnach aufeinander eine Gravitationskraft aus, die proportional zum
Produkt ihrer Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes ist (vgl.
a.a.O., 190).
24
„Kein anderes Werk in der ganzen Wissenschaftsgeschichte“, urteilt A. Rupert Hall,
„kommt den Principia in Originalität oder Kraft des Denkens gleich, ebensowenig in der
Großartigkeit des Erreichten. Kein anderes verwandelte die Struktur der Naturwissenschaften
so sehr“ (zit. in: H. Wußing, Isaac Newton, 74).
37
„Almagest“ von Klaudios Ptolemaios dienen Newtons „Principia“ dazu, „für
nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und
Methoden eines Forschungsgebietes zu bestimmen“25. Für Thomas S. Kuhn
ist damit das die Epoche der klassischen Physik prägende „Paradigma“
formuliert, das mehr als zweihundert Jahre lang als verbindliche Grundlage
der gesamten Physik dienen wird. Mehr noch als von einer kopernikanischen
ist man deshalb heute geneigt, von einer newtonschen Revolution zu
sprechen.26
Zu Beginn der „Principia“ definiert Newton einige grundsätzliche Begriffe
wie „Masse“, „Trägheit“ und „Kraft“. Er führt ferner aus, daß er die Begriffe
„Raum“, „Zeit“, „Ort“ und „Bewegung“ als bekannt voraussetze, merkt aber
an, daß man gewöhnlich diese Größen nicht anders als in der Beziehung auf
sinnlich Wahrnehmbares auffasse. „Und daraus entstehen gewisse
Vorurteile“, so fährt Newton hier fort, „zu deren Aufhebung man sie zweckmäßig in absolute und relative, wirkliche und scheinbare, mathematische und
landläufige Größen unterscheidet.“27
Im Anschluß daran gibt Newton dann unter anderem Definitionen der absoluten Zeit, des absoluten Raumes, des absoluten Ortes und der absoluten
Bewegung:
„Die absolute, wirkliche und mathematische Zeit fließt in sich und in ihrer Natur
gleichförmig, ohne Beziehung zu irgendetwas außerhalb ihrer Liegendem, und man nennt
sie mit einer anderen Bezeichnung ‚Dauer‘.[...] Der absolute Raum, der aufgrund seiner
Natur ohne Beziehung zu irgendetwas außer ihm existiert, bleibt sich immer gleich und
unbeweglich. Der relative Raum ist dessen Maß oder ein beliebiger veränderlicher
Ausschnitt daraus, welcher von unseren Sinnen durch seine Lage in Beziehung auf Körper
bestimmt wird, mit dem gemeinhin anstelle des unbeweglichen Raumes gearbeitet wird
[...]. Ort ist derjenige Teil des Raumes, den ein Körper einnimmt, und er ist je nach dem
Verhältnis des Raumes entweder absolut oder relativ. [...] Die absolute Bewegung ist die
Fortbewegung eines Körpers von einem absoluten Ort zu einem absoluten Ort, die relative
die Ortsveränderung von einem relativen Ort zu einem relativen.“28
Innerhalb des von Raum und Zeit vorgegebenen Rahmens laufen die physikalischen Naturvorgänge streng gesetzlich ab, und es ist erklärtes Ziel der
Physik, diese Vorgänge mit Hilfe der Mathematik einer mechanischen und
kausalen Erklärung zugänglich zu machen. In diesem Sinne hatte schon
Johannes Kepler unbeschadet seiner religiösen Überzeugung ein mechanisches Verständnis des gesamten Kosmos gefordert:
„Mein Ziel [...] ist es zu zeigen, daß die himmlische Maschine nicht eine Art göttlichen
Lebewesens ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk (wer glaubt, daß die Uhr beseelt ist, der
überträgt die Ehre des Meisters auf das Werk), insofern darin nahezu alle die mannigfaltigen Bewegungen von einer einzigen ganz einfachen magnetischen Kraft besorgt werden,
wie bei einem Uhrwerk alle die Bewegungen von dem so einfachen Gewicht.“29
25
T. S. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 28.
Vgl. K. v. Meyenn, Triumph und Krise der Mechanik, 17; vgl. dazu auch I. B. Cohen,
Newtons Gravitationsgesetz, 124, sowie ders., Revolution in Science, Cambridge 1985.
27
I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, 43.
28
A.a.O., 44f.
29
J. Kepler an Herwart von Hohenburg, 10.2.1605, in: M. Caspar/W. v. Dyck (Hg.), Johan26
38
Kepler hatte aufgrund der Auswertung der empirischen Daten Tycho Brahes
die drei Gesetze der Planetenbewegung entdeckt und damit einen wesentlichen Schritt in Richtung auf das von ihm genannte Ziel getan. Aber zugleich
war sich Kepler auch bewußt, daß die notwendige Kenntnis einer „Definition
der Schwere“30 noch ausstehe. Aus Newtons universellem Gravitationsgesetz
lassen sich nun aber sowohl die Keplerschen Gesetze als auch die Galileischen Bewegungsgesetze mathematisch ableiten und damit in einer bis dahin
ungekannten Präzision himmlische und irdische Vorgänge rekonstruieren und
prognostizieren. Die Newtonsche Mechanik führt so den Beweis, „daß auf
empirischer Grundlage eine mathematisch strenge, deterministische Naturwissenschaft gefunden werden kann“31. Während Newton in einem Abschnitt der
„Principia“ noch am Rande auf Gott zu sprechen kommt, der „ewig und
unendlich, allmächtig und allwissend“32 sei, tauchen in der Durchführung und
Weiterentwicklung des newtonschen Konzepts theologische Fragen nicht
mehr auf.
Die Vorstellung mechanischer Erklärbarkeit prägt die Arbeitsweise der Naturwissenschaften bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Für Eduard Jan Dijksterhuis ist „mit dem Erscheinen von Newtons Principia [...] die Mechanisierung
des Weltbildes [...] im Prinzip vollzogen; dem Studium der Natur ist ein Ziel
gesteckt worden, das [der klassischen Naturwissenschaft] zwei Jahrhunderte
lang als das einzig denkbare vor Augen stehen und sie zu großen Taten inspirieren wird“33. Im Jahr 1884 geht Max Planck bei seiner Antrittsrede vor der
Akademie der Wissenschaften darauf ein, daß sich neuerdings in der physikalischen Forschung auch das Bestreben Bahn breche, den Zusammenhang –
heute würde man sagen die Einheit – der Erscheinungen nicht mehr in der
Mechanik zu suchen. Trotz des Anscheins, „als ob sich die gegenwärtige
Richtung in der Physik von der mechanischen Naturauffassung entferne oder
wenigstens ihrer entbehren könne“34, läßt Planck damals noch keinen Zweifel
daran, daß sich seines Erachtens die Einheit der Physik auf keinem physikalischen Gebiet besser durchführen lasse als in der Mechanik. 35
nes Kepler in seinen Briefen, Bd. 1, 219.
J. Kepler an Herwart von Hohenburg, 28.3.1605, a.a.O., Bd. 1, 227.
31
C. F. v. Weizsäcker, Geleitwort zu: K.-D. Buchholtz, Isaac Newton als Theologe, 5.
32
I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, 227. Newton erklärt insbesondere die Tatsache, daß alle Planeten unseres Sonnensystems im gleichen Drehsinn die
Sonne umkreisen und dabei ihre Bahnebenen nahezu zusammenfallen, durch göttliche Verursachung (vgl. a.a.O., 226). Unabhängig davon befaßt sich Newton in zahlreichen, zu Lebzeiten größtenteils unveröffentlichten Schriften mit theologischen Fragen. „Weder solle man
metaphysische Spekulationen in die Religion einführen, noch die Wissenschaft mit Glaubensfragen belasten“, faßt K.-D. Buchholtz das Verhältnis von Theologie und Wissenschaft bei
Newton zusammen. Gleichwohl habe sich Newton bemüht, „in dem sich wandelnden
Weltbild einen Platz für Gott freizuhalten, der der Wissenschaft nicht zugänglich ist“ (K.-D.
Buchholtz, Isaac Newton als Theologe, 78).
33
E. J. Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, 550.
34
M. Planck in seinen Akademieansprachen, 3f.
35
Vgl. a.a.O., 4.
30
39
Im gleichen Jahr bemerkt der englische Physiker William Thomson, der
spätere Lord Kelvin, im Hinblick auf die elektromagnetische Theorie des
Lichts, daß ihm physikalisches Verstehen gleichbedeutend sei mit der
Konstruktion eines mechanischen Modells des Gegenstandes, mit dem er sich
befasse:
„I never satisfy myself until I can make a mechanical model of a thing. If I can make a
mechanical model I can understand it. As long as I cannot make a mechanical model all
the way through I cannot understand; and that is why I cannot get the electro-magnetic
theory. [...] I want to understand light as well as I can without introducing things that we
understand even less of.“36
Solche damals verbreiteten Vorbehalte gegen nicht mechanische
Erklärungsmodelle der Lichtausbreitung weisen aber zugleich darauf hin, daß
gerade die Anstrengungen, die Ausbreitung des Lichts mechanisch zu
erklären, die Physiker des 19. Jahrhunderts vor schließlich unlösbare
Probleme stellen. In letzter Konsequenz führen diese Versuche sowohl zur
Preisgabe der Annahme, daß die Natur als ein mechanisches System
begreifbar sein müsse, als auch zu der Aufgabe der Vorstellungen eines
„absoluten Raumes“ und einer „absoluten Zeit“.
III. Krise der klassischen Physik
In der schon zwischen Isaac Newton und Christian Huygens kontrovers diskutierten Frage, ob die Natur des Lichts in der Teilchen- oder der Wellentheorie
richtig gedeutet werde, behauptet sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts eindeutig die Wellentheorie. Betrachtet man aber das Licht als eine wellenartige
Erscheinung, und versucht man sie darüber hinaus als mechanische Welle zu
begreifen, so macht dies einen Wellenträger, über den sich die Welle
fortpflanzen kann, erforderlich: Schallwellen haben die Luft als Wellenträger,
Meereswellen das Wasser usw. Aus diesem Grund wird als Träger der Lichtwellen der „Äther“37 wieder eingeführt – hypothetisch freilich, denn experi36
W. Thomson, Baltimore Lectures, 206.
Platon und Aristoteles lehnen die Möglichkeit eines „Leeren“ (NHQRQ ab (vgl. Platon,
Timaios, 58b, 60c, 79bc und 80c; vgl. Aristoteles, Physik, 213a–217b). Der „Äther“ (DLTKU)
ist für Platon die „durchsichtigste Art“ (Timaios 58d) des Elements Luft. Man versteht dann
den Äther als quinta essentia, als feinsten Urstoff, der den Himmelsraum jenseits des Mondes
ausfüllen soll. Im Mittelalter (Isidor v. Sevilla, Albert der Große u.a.), in der Renaissance
(Agrippa von Nettesheim, Ph. T. Paracelsus) und in der Romantik (L. Oken, Ph. Spiller)
werden im Anschluß an die griechische Antike diverse neue Äthervorstellungen entwickelt
(vgl. M. Kurdzialek, Art. Äther, Sp. 559–602); mit R. Descartes, C. Huygens und I. Newton
beginnen dann die Äthertheorien im Sinne der neuzeitlichen Physik: als hypothetisches
Medium soll der Äther nicht nur die Ausbreitung von Licht erklären, sondern darüber hinaus
auch die Vermittlung von Fernkräften, insbesondere von Gravitationskräften ermöglichen
(vgl. dazu P. Janich, Art. Äther, 209f).
37
40
mentell nachweisen läßt sich ein derartiger Stoff, der beispielsweise auch den
Raum zwischen Sonne und Erde vollständig ausfüllen müßte, nicht.
Eine zusätzliche Komplikation ergibt sich in dieser Zeit aus der Erkenntnis,
daß es sich bei Licht um Querwellen handeln muß (Auguste Fresnel und
Thomas Young, 1817): Querwellen benötigen zur Ausbreitung einen festen
Träger. Da die hohe Geschwindigkeit der Lichtausbreitung damals schon
bekannt ist, ist sogar ein annähernd starrer Körper als Lichtmedium gefordert
– der aber zugleich der Bewegung materieller Körper keinerlei Widerstand
entgegensetzen darf, da sich ja zum Beispiel die Erde offensichtlich ungehindert um die Sonne bewegen kann.
Trotz der genannten Widersprüche wollen sich im 19. Jahrhundert viele
Physiker nur ungern vom „Äther“ trennen. Denn bereits Newton hat die
Schwierigkeit
erkannt,
einen
„absoluten
Raum“
experimentell
nachzuweisen,38 und jetzt scheint sich der „Äther“, der den ganzen Weltraum
ausfüllen soll, als eine Vergegenständlichung dieses absoluten Raumes
anzubieten, auf den jede Bewegung bezogen werden könnte. Nur nebenbei sei
hier schon bemerkt, daß neuscholastische Theologen an der Ätherhypothese
später auch noch festhalten werden, als diese von den Physikern längst aufgegeben worden ist, um mit einem materiellen Träger der Lichtwellen zugleich
die traditionelle Unterscheidung von Substanz und Akzidens zu retten. 39
Albert Abraham Michelson und Edward Williams Morley versuchen im Jahr
1887 die Bewegung der Erde gegen den ruhenden Äther nachzuweisen. Dazu
bestimmen sie in einer höchst genauen Messung die Lichtgeschwindigkeit
sowohl in Bewegungsrichtung der Erde als auch senkrecht dazu. Sofern die
Erde tatsächlich durch den ruhenden Lichtwellenträger Äther „schwimmen“
würde, müßte man bei diesem Versuch unterschiedliche Geschwindigkeiten
erwarten. Diese Erwartung wird enttäuscht. Es ergibt sich in beiden genannten Fällen und auch bei allen weiteren entsprechenden Versuchen stets
derselbe Betrag der Lichtgeschwindigkeit. Dieses Ergebnis zählt zu den
meistdiskutierten und bestbestätigten der gesmaten Physikgeschichte. Obwohl
damit der direkte Nachweis eines Äthers mißglückt ist, gibt es noch einige
Zeit verschiedene Anstrengungen, dieses Ergebnis entweder zu widerlegen
oder mit der Ätherhypothese zu vereinbaren.40 Sie alle führen jedoch zu
keinem befriedigenden Ergebnis.
38
„Die wahren Bewegungen der einzelnen Körper zu erkennen und von den scheinbaren
durch den wirklichen Vollzug zu unterscheiden, ist freilich sehr schwer, weil die Teile jenes
unbeweglichen Raumes, in dem die Körper sich wirklich bewegen, nicht sinnlich erfahren
werden können“ (I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, 51). Newton
nannte allerdings zwei Experimente, die er irrtümlich für geeignet hielt, Größe und Richtung
einer Bewegung gegen den absoluten Raum messen zu können (vgl. a.a.O., 51f).
39
Vgl. dazu 4. Kap. II. 5. vorliegender Arbeit.
40
So etwa Armand Fizeau (1893), der annimmt, daß die Erde wie ihre Atmosphäre so auch
den Äther mit sich führt, oder noch Walter Ritz (1908), der den Michelson-Versuch durch
eine Wiederbelebung der alten Korpuskular- und Emissionstheorie zu erklären versucht; vgl.
H. Sachsse, Naturerkenntnis und Wirklichkeit, 100.
41
Als Resultat dieser vielfältigen Bemühungen zeigt sich aber immer deutlicher,
daß der Versuch der klassischen Physik, die physikalischen Vorgänge auf rein
mechanische Weise zu begreifen, an seine Grenzen gestoßen ist. Zugleich
verstärken sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Zweifel an den Begriffsdefinitionen, die Newton seinem System der Mechanik vorangestellt hatte.
Der österreichische Physiker und Erkenntnistheoretiker Ernst Mach kritisiert
im Jahr 1883 in einer nachhaltig wirksamen Veröffentlichung insbesondere
die Vorstellungen einer absoluten Bewegung, einer absoluten Zeit und eines
absoluten Raumes. Eine Bewegung könne zwar gleichförmig sein in Bezug
auf eine andere, die Frage aber, ob diese Bewegung an sich gleichförmig sei,
habe keinerlei Sinn. „Ebensowenig können wir von einer ‚absoluten Zeit‘
(unabhängig von jeder Veränderung) sprechen“, schreibt Mach weiter, „diese
absolute Zeit kann an gar keiner Bewegung abgemessen werden, sie hat also
gar keinen praktischen und auch keinen wissenschaftlichen Wert, niemand ist
berechtigt zu sagen, daß er von derselben etwas wisse, sie ist ein müßiger
‚metaphysischer‘ Begriff.“41 Alle Massen, Geschwindigkeiten und Kräfte sind
für Mach relativ, und er sieht noch nicht einmal einen Vorteil, den eine
etwaige Entscheidungsmöglichkeit über Relatives und Absolutes mit sich
bringen würde.
„Über den absoluten Raum und die absolute Bewegung kann niemand etwas aussagen, sie
sind bloße Gedankendinge, die in der Erfahrung nicht aufgezeigt werden können. Alle
unsere Grundsätze der Mechanik sind [...] Erfahrungen über relative Lagen und Bewegungen der Körper.“42
Die tatsächlichen Auswirkungen der erkenntniskritischen Gedanken Machs
auf die Entwicklung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein sind bis
heute umstritten. Jedenfalls ist bekannt, daß sich Einstein während seiner
Studienzeit intensiv mit Machs hier zitierter Schrift auseinandersetzt43 und
Einstein selbst es später „für nicht unwahrscheinlich“ hält, „daß Mach auf die
Relativitätstheorie gekommen wäre, wenn in der Zeit, als er jugendfrischen
Geistes war, die Frage nach der Bedeutung der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit schon die Physiker bewegt hätte.“44
Die experimentell erwiesene Konstanz der Lichtgeschwindigkeit fordert die
Physiker um die Wende zum 20. Jahrhundert heraus, weil sie in eklatantem
Widerspruch zu Galileis Relativitätsprinzip – einem Grundprinzip der klassischen Physik – zu stehen scheint. Dieses besagt, daß beispielsweise in einem
mit konstanter Geschwindigkeit geradlinig fahrenden Zug dieselben physikalischen Gesetze gelten wie im stehenden Zug. Allgemeiner formuliert: In zwei
Bezugssystemen, die sich geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit
relativ zueinander bewegen, verlaufen die Bewegungen nach denselben
Gesetzen. Mit Hilfe einfacher Umrechnungsgleichungen (der „Galilei-Transformation“) kann man im Rahmen der klassischen Mechanik berechnen, wie
41
42
43
44
E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 217.
A.a.O., 222f.
Vgl. dazu z. B. J. Wickert, Albert Einstein, 21, 25, 33f.
A. Einstein, Ernst Mach, 103.
42
sich zum Beispiel die Geschwindigkeiten verändern, wenn man das Bezugssystem wechselt.
Die Experimente von Michelson und Morley lassen sich nicht mehr so
einfach erklären. Für die Lichtgeschwindigkeit wird unabhängig vom Bezugssystem und dessen Relativbewegung stets derselbe Wert gemessen. Ist damit
das Galileische Relativitätsprinzip widerlegt? Oder sind nur die
Umrechnungsgleichungen zwischen den Bezugssystemen nicht korrekt?
Auf analoge Schwierigkeiten stößt man um die Jahrhundertwende auch von
anderer Seite her. Im Jahr 1866 stellt der englische Physiker und Wissenschaftstheoretiker James Clerk Maxwell ein Gleichungssystem auf, das die
Ausbreitung elektromagnetischer Wellen45 beschreiben kann. Es gelingt ihm
auch, daraus einen relativ exakten Wert für die Lichtgeschwindigkeit abzuleiten, was ein weiterer Hinweis darauf ist, daß es sich bei Licht tatsächlich um
elektromagnetische Wellen handelt. Allerdings zeigt sich auch hier, daß bei
einem Wechsel des Bezugssystems die Umrechnungsgleichungen der GalileiTransformation die Maxwellschen Gleichungen verändern, diese sich
demnach nicht als „galileiinvariant“ erweisen. Im Jahr 1904 legt der niederländische Physiker Hendrik Antoon Lorentz nun neue Transformationsgleichungen vor und weist nach, daß man mit diesen Umrechnungsgleichungen
(der späteren „Lorentz-Transformation“) das Bezugssystem wechseln kann,
ohne dabei die Maxwell-Gleichungen zu verändern.46 Die Mathematiker
Larmor (1900) und Henry Poincaré (1905) kommen zu denselben
Ergebnissen. Das heißt, die Invarianz der Maxwellschen Gleichungen gegenüber der Lorentz-Transformation ist aufgezeigt.47
Die gegenüber der Galilei-Transformation kompliziertere Lorentz-Transformation weist freilich die erstaunliche Eigenart auf, daß bei einem Wechsel des
Bezugssystems auch die Zeit transformiert werden muß. Mit Lorentz‘
Worten: „Man muß in einem gleichförmig bewegten System ein anderes
Zeitmaß verwenden.“48 Allerdings geht Lorentz, der auch die Äthervorstellung retten will, noch von einem bevorzugten Bezugssystem aus, und unterscheidet eine „wahre“ oder „absolute Zeit“ von den zu errechnenden
„Ortszeiten“ anderer Bezugssysteme.
Im Jahr 1904 hält Henri Poincaré in St. Louis einen Vortrag über den „Stand
der theoretischen Physik an der Jahrhundertwende“. Das Ergebnis von
Michelsons Versuch, so führt Poincaré aus, habe die theoretischen Physiker
gezwun45
Zu den elektromagnetischen Wellen zählen beispielsweise Radio- und Mikrowellen, Infrarot-, Ultraviolett- und Röntgenstrahlen, das sichtbare Licht und die kosmische Höhenstrahlung.
46
H. A. Lorentz, Elektromagnetische Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger, die des Lichtes nicht erreichender Geschwindigkeit bewegt, 10 (und dort die später
hinzugefügte Anm. 1).
47
M. Born, Die Relativitätstheorie Einsteins, 191, weist darauf hin, daß die Formel, die
später Lorentz-Transformation heißt, schon im Jahr 1887 von W. Voigt in einer Dissertation
aufgestellt wurde, die noch auf die elastische Äthertheorie des Lichts gegründet war.
48
Zit. in: M. Born, Die Relativitätstheorie Einsteins, 191.
43
gen, alle ihre Geisteskräfte anzustrengen, um das Relativitätsprinzip zu verteidigen. „Ihre Aufgabe war nicht leicht, und wenn Lorentz durchgekommen ist,
so geschah dies nur, indem er Hypothese auf Hypothese häufte.“49 Das Relativitätsprinzip sei in den letzten Zeiten zwar vehement verteidigt worden, aber
gerade „die starke Energie der Verteidigung [zeige], wie ernsthaft der Angriff
war“50. Zur Gesamtsituation der Physik bemerkt Poincaré:
„Es gibt Anzeichen einer ernstlichen Krise, so, als ob wir auf eine baldige Veränderung
gefaßt sein müßten. Lassen wir uns jedoch nicht allzusehr beunruhigen! Wir sind
überzeugt, daß der Patient nicht daran sterben wird, und wir können sogar hoffen, daß
diese Krise heilsam sein wird. Dies scheint durch die bisherige Entwicklung garantiert zu
sein.“51
49
H. Poincaré, Der Stand der theoretischen Physik, 196.
A.a.O., 197.
51
A.a.O., 146; vgl. auch das Kapitel über „Die gegenwärtige Krisis in der mathematischen
Physik“ in: H. Poincaré, Der Wert der Wissenschaft, 136–151.
50
44
Zweites Kapitel:
Spezielle und allgemeine Relativitätstheorie
I. Albert Einsteins neuer Ansatz
Im Jahr 1905 veröffentlicht Albert Einstein, damals noch Angestellter am
Patentamt in Bern, in der maßgeblichen physikalischen Fachzeitschrift
„Annalen der Physik“ innerhalb weniger Monate drei Arbeiten, deren Inhalt
die Physiker bis heute zu Superlativen greifen läßt. Eine jede dieser Arbeiten
für sich allein hätte genügt, so schreibt zum Beispiel der italienische
Atomphysiker und Nobelpreisträger Emilio Segrè, um Einstein unsterblich zu
machen.1 Die erste Arbeit befaßt sich mit dem „lichtelektrischen Effekt“ und
war nach Max Plancks Entdeckung des Wirkungsquantums im Jahr 1900 ein
wichtiger Schritt zur weiteren Entwicklung der Quantentheorie.2 Die zweite
Arbeit thematisiert die „Brownsche Molekularbewegung“ und kann damalige
Skeptiker unter den Naturwissenschaftlern von der realen Existenz der Atome
überzeugen. In der dritten Arbeit mit dem Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“3 entwickelt Einstein schließlich die spezielle Relativitätstheorie.
Wer rückblickend die im vorigen Abschnitt dargestellte Entwicklung betrachtet, die nun zur speziellen Relativitätstheorie Einsteins führt, mag den originären Beitrag Einsteins möglicherweise weitaus geringer einstufen, als dies
gemeinhin geschieht.4 Sind nicht alle „revolutionären“ Entdeckungen bereits
gemacht? Die Lorentz-Transformation, die erstaunlicherweise auch eine
Transformation der Zeit erforderlich macht, liegt genauso vor wie die experimentell gut belegte Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom jeweiligen
Bezugssystem. Wer aus diesem Grund die Leistung Einsteins schmälern will,
verkennt freilich die Tatsache, daß erst ein grundsätzlicher Neuansatz und ein
neues Prinzip die umfassende Lösung ermöglichen kann, die Einstein
aufzeigt.5 Einsteins überragende Bedeutung besteht eben darin, daß er ganz
verschiedene, teils vor ihm teils zeitgleich mit ihm von Mathematikern und
Physikern herausgearbeitete Erkenntnisse in den Disziplinen Mathematik,
1
Vgl. E. Segrè, Die großen Physiker, Bd. 2, 90f.
Vgl. 5. Kap. III. 1. vorliegender Arbeit.
3
A. Einstein, Zur Elektrodynamik bewegter Körper, in: Annalen der Physik 17 (1905),
891–921; wiederabgedruckt in: H. A. Lorentz u.a., Das Relativitätsprinzip, 26–50.
4
E. Whittaker, A History of the Theories of Aether and Electricity, 27, vgl. 40, schreibt die
Entdeckung der speziellen Relativitätstheorie vor allem H. A. Lorentz und H. Poincaré zu;
noch K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, 404, bezeichnet im Anschluß daran Lorentz,
Einstein und Poincaré als „Väter der Relativitätstheorie“ und weist insbesondere Einstein
eine eher bescheidene Nebenrolle zu (398); vgl. dazu die gegenteilige Stellungnahme von M.
Born, Physik und Relativität, 187f.
5
Vgl. dazu H. Sachsse, Naturerkenntnis und Wirklichkeit, 109.
2
45
Mechanik, Gravitationstheorie, Elektrodynamik, und Optik in einen neuen
Zusammenhang stellt: „Erst im wissenschaftlichen Werk Einsteins konvergieren [...] die von anderen Denkern nur isoliert verfolgten Ideenstränge in einer
kohärenten und auch experimentell stimmigen R[elativitäts]t[heorie].“6
Einstein unterscheidet in der Physik zwei verschiedene Arten von Theorien,
konstruktive oder synthetische Theorien und Prinziptheorien. Konstruktive
Theorien, die viel häufiger vorkommen, „suchen aus einem relativ einfachen
zugrunde gelegten Formalismus ein Bild der komplexeren Erscheinungen zu
konstruieren“7. Als Beispiel hierfür nennt Einstein die kinetische Gastheorie,
die die thermischen Diffusionsvorgänge aus der Hypothese der Molekularbewegung zu erklären versucht. Im Unterschied dazu zählt Einstein die Relativitätstheorie zur Klasse der Prinziptheorien:
„Diese bedienen sich nicht der synthetischen, sondern der analytischen Methode.
Ausgangspunkt und Basis bilden nicht hypothetische Konstruktionselemente, sondern
empirisch gefundene, allgemeine Eigenschaften der Naturvorgänge, Prinzipien, aus denen
dann mathematisch formulierte Kriterien folgen, denen die einzelnen Vorgänge bzw.
deren theoretische Bilder zu genügen haben.“ 8
Der Vorteil von konstruktiven Theorien liegt für Einstein in ihrer Vollständigkeit, Anpassungsfähigkeit und Anschaulichkeit. Prinziptheorien wie die spezielle Relativitätstheorie zeichnen sich nach Einstein dagegen durch ihre
logische Vollkommenheit und durch ihre experimentell gesicherte Grundlage
aus.
Um das Wesen der speziellen Relativitätstheorie zu erfassen, „muß man also
in erster Linie die Prinzipe kennenlernen, auf denen sie beruht“9. Das erste
dieser Prinzipien ist das Prinzip der Relativität, das zweite das der Konstanz
der Lichtgeschwindigkeit.
Das Relativitätsprinzip: Auf das Galileische Relativitätsprinzip wurde bereits
im vorigen Kapitel hingewiesen. Demnach gelten in zwei relativ zueinander
geradlinig und mit konstanter Geschwindigkeit bewegten Bezugssystemen
dieselben mechanischen Naturgesetze. Beide Systeme sind physikalisch völlig
gleichberechtigt.
Dieser Sachverhalt wurde für den Bereich der Mechanik schon von Galilei
entdeckt und bewährte sich hier in der Folgezeit sehr gut. Schwierigkeiten
entstanden aber, wie im vorigen Kapitel erwähnt, als Versuche unternommen
wurden, dieses Relativitätsprinzip auch auf elektrodynamische Vorgänge und
insbesondere auf die Lichtausbreitung anzuwenden.
Einstein postuliert nun, daß das Relativitätsprinzip für alle Naturvorgänge
gültig sein soll und formuliert ganz allgemein für die entsprechenden Gesetze:
6
K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie, 3.
7
A. Einstein, Was ist Relativitätstheorie? 210.
8
A.a.O., 210f (Hervorhebungen vom Verf.).
9
A.a.O., 211.
46
„Die Gesetze, nach denen sich die Zustände der physikalischen Systeme ändern, sind
unabhängig davon, auf welches von zwei relativ zueinander in gleichförmiger Translationsbewegung befindlichen Koordinatensystemen diese Zustandsänderungen bezogen
werden.“10
Zur Begründung dieser Verallgemeinerung verweist Einstein auf die
Tatsache, daß sich das Relativitätsprinzip innerhalb der Mechanik sehr gut
bewährt habe:
„Daß aber ein Prinzip von so großer Allgemeinheit, welches auf einem
Erscheinungsgebiete mit solcher Exaktheit gilt, einem anderen Erscheinungsgebiete
gegenüber versage, ist apriori wenig wahrscheinlich.“ 11
Damit wird die Identität aller Naturgesetze in allen zueinander gleichförmiggeradlinig bewegten Systemen behauptet. Einstein selbst sieht dieses Postulat
„durch die Erfahrung mächtig gestützt“12. Auch ein ansonsten nicht zur
Emphase neigendes Physiklehrbuch bestätigt Einstein zwar, daß dieses Postulat durch die Erfahrung tatsächlich bestens gesichert sei, bemerkt aber
zugleich, daß die von Einstein vorgeführte „Behandlungsweise ‚gordischer‘
Probleme brutal [sei] und sich durch ihre Folgen rechtfertigen [müsse]“13.
Das zweite Prinzip, auf der die spezielle Relativitätstheorie beruht, ist die
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: Vergeblich versuchten die Experimentalphysiker im 19. Jahrhundert eine Abhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom
Bewegungszustand des Beobachters nachzuweisen. Dieses negative Ergebnis
konnte in keine der vorliegenden Theorien zufriedenstellend eingeordnet
werden. Einstein kehrt nun die Vorgehensweise um, indem er nicht mehr eine
Erklärung dieses Ergebnisses unter den traditionellen, hier konstruktiv vorgehenden Theorien sucht, sondern die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zum
Ausgangspunkt einer neuen Prinziptheorie nimmt. Entsprechend postuliert
Einstein:
„Jeder Lichtstrahl bewegt sich im ‚ruhenden‘ Koordinatensystem mit der bestimmten
Geschwindigkeit V, unabhängig davon, ob dieser Lichtstrahl von einem ruhenden oder
bewegten Körper emittiert ist.“14
Das bisher unerklärliche Faktum, so kommentiert Hans Sachsse Einsteins
Vorgehen, werde damit als Axiom der Theorie vorangestellt. Einstein nehme
gerade das Phänomen, das sich nicht als Konsequenz aus anderen Vorstellungen habe ableiten lassen, nun zur Voraussetzung und zum Angelpunkt der
neuen Betrachtungsweise. Das führt zu einer grundlegenden Umorientierung
des ganzen Gedankensystems.15
Auch im Zusammenhang mit diesem Postulat betont Einstein, daß er damit
kein hypothetisches Konstruktionselement an den Anfang seiner Theorie
10
A. Einstein, Zur Elektrodynamik bewegter Körper, 29.
Ders., Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, 9.
12
Ders., Was ist Relativitätstheorie? 213.
13
C. Gerthsen/H. O. Kneser/H. Vogel, Physik, 643.
14
A. Einstein, Zur Elektrodynamik bewegter Körper, 29. Gewöhnlich wird heute die Lichtgeschwindigkeit mit c bezeichnet.
15
Vgl. H. Sachsse, Naturerkenntnis und Wirklichkeit, 110.
11
47
stelle, sondern ein „empirisches Gesetz“16. Wiederholt hebt Einstein hervor,
daß die Relativitätstheorie nicht spekulativen Ursprungs sei, sondern ihre
Entdeckung nur der Bestrebung verdanke, „die physikalische Theorie den
beobachteten Tatsachen so gut als nur möglich anzupassen“17.
Mit dem verallgemeinerten Relativitätsprinzip und der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sind die beiden Prinzipien genannt, die nun einer weiteren
Deduktion als Basis dienen können. Aus diesen Prinzipien folgen jetzt
„mathematisch formulierte Kriterien [...], denen die einzelnen Vorgänge bzw.
deren theoretische Bilder zu genügen haben“18. Dabei ergeben sich überraschende Folgerungen und ungeahnte Zusammenhänge, „welche über das
Tatsachengebiet, an dem die Prinzipe gewonnen sind, weit hinausreichen“19.
Im folgenden Abschnitt wird auf einige Konsequenzen, die Einstein selbst aus
seinem neuen Ansatz zieht, hingewiesen.
II. Folgerungen aus der speziellen Relativitätstheorie
Für alle physikalischen Folgerungen aus der speziellen Relativitätstheorie, die
in diesem Abschnitt in knapper Form vorgestellt werden, gilt:
w Sie ergeben sich durch relativ einfache mathematische Ableitungen aus den
beiden Postulaten, die Einstein seiner Theorie zugrunde legt;
w sie stehen im Widerspruch zu unserer alltäglichen Erfahrung, erscheinen
dem „gesunden Menschenverstand“ geradezu als paradox und entziehen
sich weitgehend anschaulicher Vorstellung; und
w sie gestatten Voraussagen, die experimentell bestätigt werden können.
1. Relativität der Gleichzeitigkeit
Der Gedanke, es gebe ein objektiv feststellbares „Jetzt“ unseres Universums,
erscheint selbstverständlich. Das mit „das Universum jetzt“ bezeichnete
Ereignis, das die Gleichzeitigkeit aller Vorgänge in unserem Universum
behauptet, die sich „in diesem Augenblick“ ereignen, erweist sich physikalisch betrachtet jedoch als problematisch und eben nicht von objektiver
Gültigkeit. Um sich an unterschiedlichen Orten über gleiche Zeiten zu
verständigen, muß man sich mit Signalen behelfen. Als solche Signale kann
16
A. Einstein, Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik, 239; vgl. ders., Was ist
Relativitätstheorie? 210f.
17
Ders., Über Relativitätstheorie, 217.
18
Ders., Was ist Relativitätstheorie? 211.
19
Ders., Prinzipien der theoretischen Physik, 182.
48
man elektromagnetische Wellen wie zum Beispiel Lichtsignale verwenden.
Diese aber breiten sich – anders als Newton vorausgesetzt hatte – nicht
instantan, sondern nur mit einer endlichen Geschwindigkeit aus. Für die sich
daraus zusammen mit der bezugssystemunabhängigen Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ergebenden Komplikationen gibt Einstein ein Beispiel, das
hier in etwas abgewandelter Form vorgestellt wird.20
Ein Eisenbahnwagen (Bezugssystem K') bewege sich mit der konstanten
Geschwindigkeit v gegenüber dem Bahndamm (Bezugssystem K). Genau in
der Mitte des Eisenbahnwagens am Punkt x' wird ein Lichtblitz ausgesandt,
der sich nach beiden Seiten des Zuges ausbreitet. Für einen Beobachter, der
sich in x' befindet, erreichen die Lichtblitze das vordere und hintere Ende des
Wagens gleichzeitig.
Ein Beobachter auf dem Bahndamm registriert die Ereignisse anders.
Bezogen auf seinen Standpunkt bewegt sich das hintere Ende des Zuges auf
den Lichtblitz zu, wohingegen sich das vordere Ende des Zuges vom Lichtblitz wegbewegt. Für diesen Beobachter erreicht der Lichtblitz zuerst das
hintere und erst etwas später das vordere Ende des Zuges. Ein im Bezugssystem K' (Eisenbahnwagen) gleichzeitiges Ereignis erweist sich somit im
Bezugssystem K (Bahndamm) als ungleichzeitig. Dieses scheinbar paradoxe
Ergebnis ist eine direkte Konsequenz aus der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: sowohl in K als auch in K' wird dieselbe Geschwindigkeit des
Lichtblitzes gemessen.21 Da wegen des Relativitätsprinzips kein Bezugssystem vor dem anderen ausgezeichnet ist, kann weder der Beobachter in K
noch derjenige in K' behaupten, er registriere den „richtigen“ zeitlichen
Zusammenhang. Die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse kann damit nur im
Hinblick auf ein bestimmtes Bezugssystem behauptet werden.
2. Zeitdilatation und Längenkontraktion
Geschwindigkeit ist definiert als zurückgelegte Wegstrecke pro Zeiteinheit.
Um die Lichtgeschwindigkeit zu messen, muß man demnach die Zeit messen,
die das Licht für eine bestimmte Wegstrecke benötigt. In zwei relativ zueinander bewegten Bezugssystemen wird für den gleichen Lichtblitz derselbe
Geschwindigkeitsbetrag gemessen. Dies ist aber nur denkbar, wenn in beiden
Bezugssystemen unterschiedliche Maßstäbe für Weg und Zeit verwendet
werden. Diese Maßstäbe müssen beim Wechsel des Bezugssystems gerade so
verändert werden, daß sich in beiden Bezugssystemen jeweils der vorausgesetzte (aber experimentell bestätigte) konstante Betrag der Lichtgeschwindigkeit ergibt. Als die Umrechnungsgleichungen, die diese
20
Vgl. ders., Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, 15f. Dieses Beispiel ist
bereits vor dem Jahr 1905 diskutiert worden; vgl. H. Poincaré, Der Stand der theoretischen
Physik, 196.
21
Entsprechend der klassischen Physik und der Galilei-Transformation müßte man dagegen
im Bezugssystem K zur Lichtgeschwindigkeit in Fahrtrichtung des Zuges noch den Betrag
der Zuggeschwindigkeit addieren.
49
Anpassung der Raum- und Zeitkoordinaten vornehmen, ergeben sich nun
gerade die schon vor Einstein bekannten Lorentzschen Transformationsgleichungen. Ursprünglich waren diese Gleichungen nur Ad-hoc-Lösungen, die
sich in keinen größeren Zusammenhang sinnvoll einordnen ließen. Nun
können sie elegant aus Einsteins Postulaten abgeleitet und physikalisch
gedeutet werden.
Aus den Transformationsgleichungen können nun weiterhin die verschiedenen bekannten Merkwürdigkeiten der speziellen Relativitätstheorie abgeleitet
werden. Dazu zählt zunächst die Zeitdilatation oder Zeitdehnung: Ein
Beobachter am Bahndamm stellt fest, daß aus seiner Perspektive im vorbeifahrenden Zug die Zeit langsamer vergeht („bewegte Uhren gehen
langsamer“). Wegen der Gleichwertigkeit der Bezugssysteme muß sich diese
Feststellung natürlich auch umkehren lassen. Für einen Beobachter im Zug
geht die gegenüber seinem Bezugssystem bewegte Uhr am Bahndamm
ebenfalls langsamer. Eine weitere Merkwürdigkeit ist die relativistische
Längenkontraktion: An einem gegenüber dem Bezugssystem K bewegten
Körper werden Strecken, die in Bewegungsrichtung liegen, kürzer gemessen
als im Bezugssystem K', das sich mit dem Körper mitbewegt.
3. Raum-Zeit-Kontinuum und beschränkter Kausalzusammenhang
Die Relativität der Gleichzeitigkeit zeigte bereits, daß die Relativitätstheorie
einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Raum und Zeit aufweist: Eine
räumliche Bewegung beeinflußt den zeitlichen Zusammenhang zweier Ereignisse. Raum und Zeit sind nicht, wie die klassische Physik annahm, absolut
voneinander getrennt, sondern bilden ein „Raum-Zeit-Kontinuum“. Dem
Mathematiker Hermann Minkowski, einem früheren Lehrer Einsteins, gelingt
es bald nach Veröffentlichung der speziellen Relativitätstheorie, diese Theorie
als Geometrie im vierdimensionalen Raum mit drei räumlichen und einer
zeitlichen Dimension zu formulieren. „Die Anschauungen über Raum und
Zeit, die ich Ihnen entwickeln möchte“, erklärt Minkowski dazu in einem
Vortrag im Jahr 1908, „sind auf experimentell-physikalischem Boden erwachsen. Darin liegt ihre Stärke. Ihre Tendenz ist eine radikale. Von Stund an
sollen Raum für sich und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken, und nur
noch eine Art Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren.“22 Einstein
selbst schreibt dazu:
„Mit der Erkenntnis der Relativität der Gleichzeitigkeit wurden Raum und Zeit in ähnlicher Weise zu einem einheitlichen Kontinuum verschmolzen, wie vorher [in der klassischen Physik] die drei räumlichen Dimensionen zu einem einheitlichen Kontinuum
verschmolzen worden waren. Der physikalische Raum wurde so zu einem vierdimensionalen Raum ergänzt, der auch die zeitliche Dimension enthält.“23
22
23
H. Minkowski, Raum und Zeit, 54.
A. Einstein, Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik, 237f.
50
Zwar läßt sich eine vierdimensionale Raum-Zeit nicht vorstellen, aber unter
Verzicht auf zwei Raumdimensionen lassen sich immerhin anschauliche
Raum-Zeit-Diagramme zeichnen. Im folgenden werden zwei Diagramme
verwendet, bei denen die Zeit nach oben hin zunimmt und räumliche Entfernungen waagerecht abgebildet werden. Ein Punkt in diesem Diagramm ist ein
Ereignis, das sich in einem hinreichend kleinen Raum- und Zeitbereich
abspielt.
In Abbildung 1 ist zum Beispiel der Punkt A das Ereignis „Die Erde jetzt“,
der Punkt B das Ereignis „Die Sonne vor acht Minuten“ und der Punkt D das
Ereignis „Die Erde in acht
Zeit "Erde in 8 Minuten"
Minuten“.24 Ein Körper, der im Abbildung 1
D
gewählten Bezugssystem ruht, wird
im Diagramm als zur Zeitachse parallele Gerade dargestellt. Die geradli"Sonne jetzt"
"Erde jetzt"
nig-gleichförmige Bewegung eines
C
A
Entfernung
Körpers wird durch eine gegen die
Zeitachse geneigte Gerade abgebildet.
Je flacher die Gerade verläuft, desto
B
schneller ist die Bewegung. Die
"Sonne vor 8 Minuten"
Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum)
bedeutet in der Relativitätstheorie aber eine nicht überschreitbare Grenzgeschwindigkeit für alle Körper.25 Das Licht benötigt ungefähr acht Minuten,
um die Strecke von der Sonne zur Erde zurückzulegen. Vom Ereignis C „Die
Sonne jetzt“ kann darum der Beobachter in A „Die Erde jetzt“ nichts wissen.
Erst im Punkt D „Die Erde in acht Minuten“ kann er dieses Ereignis sehen,
weil erst dann die entsprechenden Lichtstrahlen bei ihm eintreffen. Damit
kann das Ereignis C auch keine Wirkung auf das Ereignis A ausüben. Die
damit gegebene Einschränkung des kausalen Zusammenhanges der physikalischen Welt soll an einem
Abbildung 2
Zeit
weiteren, auf Minkowski
zurückgehenden Diagramm
ZUKUNFT
veranschaulicht werden (vgl.
Abbildung 2 ).
ZWISCHENZWISCHENAlle Ereignisse (Punkte) im
A
GEBIET
G E B I E T Entfernung
unteren Teil des sogenannten
stellen
die
Lichtkegels26
Vergangenheit in Bezug auf
B
VERGANGENHEIT
A dar. Diese Ereignisse
können auf das Ereignis A
B
B
24
Von den Relativbewegungen der Erde gegenüber der Sonne wird hier abgesehen.
Theoretisch läßt die Relativitätstheorie auch Teilchen zu, die sich schneller als Licht, aber
niemals langsamer bewegen können („Tachyonen“). Der Wert für die Ruhemasse eines
derartigen Teilchens wäre aber eine imaginäre Zahl (d. h. die Quadratwurzel aus einer negativen Zahl).
26
Durch Hinzunahme einer weiteren Raumdimension ergeben sich für die Bereiche von
Zukunft und Vergangenheit in unserem Diagramm Kegel.
25
51
wirken, das heißt, sie können Ursache von A sein. Alle Ereignisse, die sich
innerhalb des oberen Lichtkegels befinden, liegen bezüglich A in der Zukunft.
Auf diese Ereignisse kann A wirken. Das gesamte Gebiet außerhalb der
beiden Lichtkegel nennt Minkowski „Zwischengebiet“. Mit den Ereignissen
dieses Gebietes gibt es in Bezug auf A keine Möglichkeit eines kausalen
Zusammenhanges. Ereignis B kann nicht auf A wirken, weil sich Wirkungen
höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Eine physikalische
Fernwirkung mit Überlichtgeschwindigkeit läßt sich mit der Relativitätstheorie nicht vereinbaren. Die zeitliche Aufeinanderfolge von Ereignissen, die im
Zwischengebiet liegen, kann in Bezug auf A durch die Wahl eines anderen
Bezugssystems verändert werden. Da die zeitliche Reihenfolge zweier Ereignisse, von denen das eine die Ursache des anderen sein soll, feststehen muß,
kann auch aus diesem Grund zu den Ereignissen im Zwischengebiet kein
kausaler Zusammenhang bestehen.27
4. Veränderlichkeit der Masse
Im Bereich der klassischen Physik gilt der Satz von der Erhaltung der Masse:
In einem abgeschlossenen System kann Masse weder erzeugt noch vernichtet
werden, das heißt, die Gesamtmasse ist konstant. Schon vor der Entwicklung
der speziellen Relativitätstheorie tauchen allerdings im Zusammenhang mit
Versuchen an schnell bewegten Elektronen Zweifel an diesem Satz auf.
Henry Poincaré stellt im Jahr 1904 fest, daß das Prinzip über die Erhaltung
der Masse nicht angegriffen werden könne, ohne damit gleichzeitig die
gesamte klassische Mechanik umzustoßen. „Jetzt aber denken manche
Menschen“, so Poincaré weiter, daß dieses Prinzip „nur deshalb richtig
erscheint, weil man in der Mechanik bloß mäßige Geschwindigkeiten verwendet, daß es aber für Körper mit Geschwindigkeiten, die mit der des Lichts
vergleichbar sind, nicht mehr gelten würde.“28
Aus der speziellen Relativitätstheorie ergibt sich nun zwangsläufig die
Geschwindigkeitsabhängigkeit der Masse. Man hat die „Ruhemasse“ eines
Körpers zu unterscheiden von der bewegten oder „relativistischen Masse“, die
gegen unendlich geht, wenn sich die Geschwindigkeit des Körpers der Lichtgeschwindigkeit annähert. Einstein bezeichnet es darüber hinaus als die bedeutendste Folgerung aus der speziellen Relativitätstheorie, daß der Satz von der
Erhaltung der Masse im umfassenderen Energieerhaltungssatz aufgeht:
„Das wichtigste Ergebnis der speziellen Relativitätstheorie betraf die träge Masse körperlicher Systeme. Es ergab sich, daß die Trägheit eines Systems von seinem Energieinhalt
abhängen müsse, und man gelangte geradezu zur Auffassung, daß träge Masse nichts
anderes sei als latente Energie. Der Satz von der Erhaltung der Masse verlor seine
Selbständigkeit und verschmolz mit dem von der Erhaltung der Energie.“29
27
28
29
Vgl. dazu P. Mittelstaedt, Philosophische Probleme der modernen Physik, 28–31.
H. Poincaré, Der Stand der theoretischen Physik, 198.
A. Einstein, Was ist Relativitätstheorie? 213f.
52
Die Relativitätstheorie lehrt demnach, daß Masse nur eine der vielen Formen
ist, in denen uns Energie in der Physik begegnet. In einem abgeschlossenen
System muß zwar die Gesamtenergie konstant bleiben, nicht aber die Gesamtmasse. Bedeutsam wird diese Tatsache später insbesondere im Zusammenhang mit Kernprozessen. Wird ein Atomkern gespalten, dann ist die Gesamtmasse der Spaltprodukte etwas kleiner als die ursprüngliche Masse. Dieser
„Massendefekt“ ist nicht verloren, sondern bleibt in Form von Energie, die
bei der Spaltung frei wird, erhalten. Die Energie E, die beim Massendefekt m
frei wird, läßt sich mit der aus der speziellen Relativitätstheorie abgeleiteten
Formel E=mc² leicht berechnen. Wegen des hohen Betrags der Lichtgeschwindigkeit c ist diese Energie sehr groß.
Freilich äußert auch Einstein noch zwanzig Jahre nach Veröffentlichung der
speziellen Relativitätstheorie die Meinung, daß der Gleichung E=mc² keine
praktische Verwendung im Hinblick auf eine mögliche Energieausbeutung
zukomme. Erst als im Jahr 1938 die Kernspaltung realisiert und dabei ein
Massendefekt festgestellt wird, ist mit Hilfe von Einsteins Formel sofort klar,
welche ungeheuren Energien auf diese Weise freigesetzt werden können.
III. Die allgemeine Relativitätstheorie
Isaac Newton entwickelte in seinen „Philosophiae naturalis principia mathematica“ das universelle Gravitationsgesetz, das die allgemeine Massenanziehung beschreibt. Demnach wirkt zwischen zwei Massen eine
Anziehungskraft, die dem Produkt der beiden Massen proportional und dem
Quadrat ihrer Entfernung umgekehrt proportional ist. Mit Hilfe dieses Gesetzes konnte Newton den Aufbau unseres Planetensystem in fast allen Einzelheiten erklären.30 Allerdings nahm er an, daß die Anziehungskräfte zwischen
den Himmelskörpern den Raum ohne jede Zeitverzögerung überbrücken.31
Solche unmittelbaren Fernwirkungen stehen jedoch grundsätzlich im Widerspruch zur speziellen Relativitätstheorie, gemäß der sich Wirkungen maximal
mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Schon aus diesem Grund muß
nunmehr eine neue Theorie der Gravitation notwendig erscheinen.
Doch auch noch in anderer Hinsicht weist für Einstein „die spezielle Relativitätstheorie [...] über sich selbst hinaus“32. Das seiner Theorie vorangestellte
Relativitätsprinzip beschränkt sich auf Bezugssysteme, die sich geradlinig
und gleichförmig zueinander bewegen. Bezugssysteme sind aber nur von
Menschen geschaffene Hilfsmittel, um Naturvorgänge beschreiben zu
30
Vgl. I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, 178–224; vgl. ders.,
Mathematische Prinzipien der Naturlehre, 379–576.
31
Um derartige Fernwirkungen verständlich zu machen, nahm Newton die Metaphysik zu
Hilfe und ließ sogar die Mitwirkung Gottes zu, der gleichzeitig auf alle Dinge einwirken
sollte; vgl. R. Locqueneux, Kurze Geschichte der Physik, 65f.
32
A. Einstein, Was ist Relativitätstheorie? 214.
53
können. Darum ist es für Einstein nicht nachvollziehbar, daß die Naturgesetze
von unserer Wahl des Bezugssystems abhängen sollen:
„Sollte die Unabhängigkeit der physikalischen Gesetze vom Bewegungszustand des
Koordinatensystmes auf gleichförmige Translationsbewegungen der Koordinatensysteme
zueinander beschränkt sein? Was hat die Natur mit den von uns eingeführten Koordinatensystemen und deren Bewegungszustand zu tun? Wenn es schon für die Naturbeschreibung
nötig ist, sich eines von uns willkürlich eingeführten Koordinatensystems zu bedienen, so
sollte die Wahl von dessen Bewegungszustand keiner Beschränkung unterworfen sein; die
Gesetze sollten von dieser Wahl ganz unabhängig sein [...].“ 33
Die Verallgemeinerung der Relativitätstheorie, die nun auch beschleunigte
Bezugssysteme berücksichtigte, stellte Einstein vor ungleich größere mathematische Probleme und konnte von ihm erst im Jahr 1916 vollendet werden.
„Im Lichte bereits erlangter Erkenntnis erscheint das glücklich Erreichte fast
wie selbstverständlich“, schreibt Einstein im Rückblick. „Aber das ahnungsvolle, Jahre währende Suchen im Dunkeln mit seiner gespannten Sehnsucht,
seiner Abwechslung von Zuversicht und Ermattung, und seinem endlichen
Durchbrechen zur Wahrheit, das kennt nur, wer es selber erlebt hat.“ 34
Ausgangspunkt für Einsteins Überlegungen ist die auch schon Galilei und
Newton bekannte Äquivalenz von träger und schwerer Masse. Mit „Trägheit“
und „Schwere“ werden zwei verschiedene Eigenschaften eines Körpers
bezeichnet:
Um einen Körper zu beschleunigen, muß man das „Beharrungsvermögen“
oder die „Trägheit“ dieses Körpers durch eine beschleunigende Kraft
überwinden. Diese Trägheit ist eine Eigenschaft aller Körper und ihre Größe
kann durch die quantitativ meßbare träge Masse angegeben werden. Die träge
Masse eines Körpers „wehrt sich“ gegen jede Geschwindigkeitsänderung
nach Größe und Richtung und versucht sich gleichförmig geradlinig fortzubewegen. Weil die träge Masse eines Körpers darum geradlinige von krummen
Bahnen, gleiche von ungleichen Strecken und Zeiten „unterscheiden“ kann,
wird sie als sein „Organ für die Maßstruktur der Welt“35 oder auch als
„Fühlorgan des Körpers für das metrische Feld in Raum und Zeit“36 bezeichnet.
Mit schwerer Masse oder Schwere wird die Eigenschaft eines Körpers
benannt, in einem Gravitationsfeld angezogen zu werden. Die schwere Masse
ist der Ausgangs- und Angriffspunkt der Massenanziehung an einem Körper
gemäß dem erwähnten newtonschen Gravitationsgesetz. Sie wird darum auch
ein „Organ für Gravitationswirkungen“37 genannt.
Es ist keineswegs selbstverständlich, daß träge und schwere Masse äquivalent
sind.38 Denn zunächst bezeichnen diese beiden Begriffe völlig verschiedene
33
34
35
36
37
38
Ebd.
Ders., Einiges über die Entstehung der Allgemeinen Relativitätstheorie, 228f.
E. Fues, Art. Relativitätstheorie, 305.
Ders., Art. Masse, 81.
Ders., Art. Relativitätstheorie, 305.
Genau genommen sind träge und schwere Masse zueinander proportional, da der Propor-
54
Eigenschaften eines Körpers. Es wäre immerhin denkbar, daß zwei Körper
mit gleicher träger Masse, aber zum Beispiel unterschiedlicher äußerer Form
am gleichen Ort eine unterschiedliche Gravitationswirkung erfahren. Der einfachste experimentelle Nachweis der Identität von Trägheit und Schwere liegt
in der Beobachtung, daß am gleichen Ort alle Körper (im Vakuum) gleich
schnell fallen. Obwohl diese Identität längst bekannt war, wurde ihr lange
Zeit keine größere Bedeutung beigelegt:
„Viele haben sich wohl über die Tatsache gewundert, niemand aber suchte dahinter einen
tieferen Zusammenhang. Es gibt doch vielerlei Kräfte, die an einer Masse angreifen
können; warum sollte es nicht eine geben, die der Masse genau proportional ist? Eine
Frage, auf die keine Antwort erwartet wird, wird auch nicht beantwortet. Und so blieb die
Sache unberührt, jahrhundertelang. Das war nur dadurch möglich, daß die Erfolge der
Galilei-Newtonschen Mechanik überwältigend waren.“39
Erst Einstein erkennt die fundamentale Bedeutung der Äquivalenz von schwerer und träger Masse und nimmt sie zum Ausgangspunkt seiner allgemeinen
Relativitätstheorie:
„Dieser Satz, der auch als der Satz von der Gleichheit der trägen und schweren Masse
formuliert werden kann, leuchtete mir nun in seiner tiefen Bedeutung ein. Ich wunderte
mich im höchsten Grade über sein Bestehen und vermutete, daß in ihm der Schlüssel für
ein tieferes Verständnis der Trägheit und Gravitation liegen müsse. An seiner strengen
Gültigkeit habe ich [...] nicht ernsthaft gezweifelt.“40
Um den wesentlichen Inhalt des Äquivalenzprinzips zu verdeutlichen, wird es
von Einstein zunächst umformuliert: „In einem homogenen Gravitationsfeld
gehen alle Bewegungen so vor sich wie bei Abwesenheit eines Gravitationsfeldes in bezug auf ein gleichförmig beschleunigtes Koordinatensystem.“41
Dies kann veranschaulicht werden, indem man sich einen von der Außenwelt
abgeschlossenen Kasten vorstellt.42 Stellt ein Beobachter in diesem Kasten
nun eine Beschleunigung fest, so kann er diese theoretisch auf zwei unterschiedliche Arten deuten. Nach der ersten Betrachtungsweise ist der Kasten
so weit von allen anderen Himmelskörpern und ihren Gravitationsfeldern
entfernt, daß deren Massenanziehung vernachlässigt werden kann. In diesem
Fall deutet der Beobachter die in seinem Kasten wirkenden Kräfte als
Trägheitskräfte, die durch eine äußere Beschleunigung hervorgerufen werden.
Die Masse der Körper erscheint hier als träge Masse. Entsprechend der
zweiten Betrachtungsweise befindet sich der Kasten in einem homogenen
Gravitationsfeld, wie es zum Beispiel auf der Erdoberfläche näherungsweise
realisiert ist: Nun interpretiert der Beobachter im Kasten die auftretenden
Kräfte als Schwerkräfte in einem Gravitationsfeld. Die Massen der Körper
erscheinen damit als schwere Massen. Beide Betrachtungsweisen sind
tionalitätsfaktor aber nur in diesem Zusammenhang auftritt, setzt man ihn gleich 1.
M. Born, Die Relativitätstheorie Einsteins, 38.
40
A. Einstein, Über die Entstehung der Allgemeinen Relativitätstheorie, 224.
41
A.a.O., 225.
42
Vgl. ders., Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, 40–42.
39
55
angemessen und einander äquivalent. Der Beobachter im Kasten kann nicht
entscheiden, welches die „richtige“ Betrachtungsweise ist.
Einstein deutet den aufgezeigten Befund dahingehend, daß das „Organ für die
Struktur der Welt“ (träge Masse) und das „Organ für Gravitationsfelder“
(schwere Masse) physikalisch dasselbe sind. Er schließt darüber hinaus, daß
darin auch eine Wesensgleichheit von Gravitation und Beschleunigung zum
Ausdruck kommt, daß mithin die Struktur der Welt durch Gravitationsfelder
bestimmt werde.
Diese Wesensgleichheit beinhaltet aber auch, daß die tatsächliche Inhomogenität eines Gravitationsfeldes zwangsläufig auf die Maßstruktur der Welt
übergeht.43 Weil die Massen ungleichmäßig im Kosmos verteilt sind, ist auch
die metrische Struktur des Kosmos nicht mehr gleichmäßig. Man sagt, daß die
Massenverteilung eine Verzerrung oder Krümmung des Raumes (genauer der
Raum-Zeit) bewirkt. In einem derart strukturierten Raum gelten die aus der
Schulgeometrie geläufigen Sätze zum Beispiel des Pythagoras, des Euklid
oder des Thales nicht mehr.
Vor der allgemeinen Relativitätstheorie gingen die Physiker fast ausnahmslos
davon aus, daß der anschaulichen euklidischen Geometrie die Struktur der uns
umgebenden Welt exakt entspricht. Obwohl die einzelnen geometrischen
Sätze nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern aus einem Axiomensystem
abgeleitet werden, war man sicher, daß sie die physikalisch erfahrbaren
räumlichen Verhältnisse unserer Welt wiedergeben. Im Lauf des 19. Jahrhunderts setzt sich unter Mathematikern jedoch mehr und mehr die Einsicht
durch, daß es auch nichteuklidische Geometrien gibt, die in sich widerspruchsfrei und darum mathematisch genauso berechtigt sind wie die euklidische Geometrie.44 Damit stellt sich die physikalische Frage, welche Geometrie
die Struktur der uns umgebenden Welt am geeignetsten beschreibt.
So versuchte schon der Mathematiker und Physiker Karl Friedrich Gauß
(1777–1855) am Beispiel der Winkelsumme im Dreieck, die gemäß der euklidischen Geometrie zwei rechten Winkeln entspricht, zu überprüfen, ob dies
den tatsächlichen irdischen Verhältnissen entspricht. Dazu konstruierte er aus
Lichtstrahlen ein Dreieck zwischen dem Inselberg, dem Brocken und dem
Hohen Hagen. Obwohl dieser Versuch die euklidische Geometrie zu bestätigen schien, wird deutlich, daß diese Bestätigung im 19. Jahrhundert nicht
mehr als selbstverständlich betrachtet wurde. Gauß schien immerhin mit der
Möglichkeit zu rechnen, daß sich etwas, was im kleinen Maßstab exakt richtig
zu sein scheint, im größeren als ungenau erweisen könnte.
Die allgemeine Relativitätstheorie legt nun zugrunde, daß die räumliche
Struktur des Kosmos im allgemeinen nichteuklidisch ist. Die newtonsche
Gravitationstheorie und die euklidische Geometrie stellen jedoch so gute
43
Vgl. dazu E. Fues, Art. Relativitätstheorie, 305.
Vgl. dazu S. Gottwald, Grundlagen der Geometrie und nichteuklidische Geometrie, 768f.
Jedenfalls läßt sich mathematisch keine Präponderanz der euklidischen Geometrie gegenüber
nichteuklidischen Geometrien nachweisen, wie dies insbesondere von einigen neuscholastischen Autoren versucht wurde, vgl. dazu H.-D. Mutschler, Physik und Neothomismus, 38.
44
56
Näherungen dar, daß die raumzeitliche „Krümmung“ unserer Welt bei
irdischen Vorgängen in der Regel nicht in Erscheinung tritt.
Die gedankliche mathematische Nachkonstruktion der physikalischen Welt,
die Einstein in seiner allgemeinen Relativitätstheorie durchführt, verzichtet
mit der Aufgabe der euklidischen Geometrie zugleich auch auf Anschaulichkeit. Ein vierdimensionaler nichteuklidischer Raum läßt sich nicht mehr
vorstellen, man kann sich allenfalls mit Analogien behelfen: Nach Euklid ist
die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten eine Gerade. Eine
Kugeloberfläche (näherungsweise zum Beispiel die Erdoberfläche) stellt
einen zweidimensionalen gekrümmten Raum dar. In diesem Raum ist die
kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten – aus der Perspektive des dreidimensionalen Raumes – nicht mehr gerade, sondern gekrümmt.
Analog verfolgen nach der allgemeinen Relativitätstheorie die Körper in
einem nichteuklidischen Raum die kürzeste Verbindung zwischen zwei
Punkten – und und bewegen sich dabei auf gekrümmten Bahnen, wenn man
den Vorgang im euklidischen Raum beschreibt. Die veränderte Sichtweise
kann am Beispiel der Bewegung der Erde in Bezug auf die Sonne verdeutlicht
werden: Aus der Sichtweise der newtonschen Gravitationslehre würde sich
die Erde fern von anderen Massen geradlinig und gleichförmig bewegen. In
unserem Sonnensystem wird die Erde aber von der Schwerkraft der Sonne
gezwungen, von dieser geradlinigen Bewegung abzuweichen und sich in
elliptischen Bahnen um die Sonne zu bewegen. Aus der Sichtweise der allgemeinen Relativitätstheorie treten keine Schwerkräfte auf. Die Masse der
Sonne bewirkt aber in ihrer Umgebung eine „Verzerrung“45 der Raumzeit.
Während sich die Erde aus Perspektive des dreidimensionalem euklidischen
Raumes auf einer Ellipse um die Sonne zu bewegen scheint, folgt die Erde in
der „verzerrten“ Raumzeit in freier Bewegung einer Geraden. Gravitation
wird damit als ein geometrischer Effekt behandelt.
Die beiden hier skizzierten Sichtweisen erweisen sich freilich in dieser Form
nicht als gleichberechtigt. Obwohl die newtonsche Gravitationslehre für
irdische Verhältnisse sehr gute Näherungen liefert, treten bei astronomischen
Abmessungen Effekte auf, die sich nur noch aus der allgemeinen Relativitätstheorie ableiten lassen. Das bekannteste und schon im Jahr 1919 experimentell untersuchte Beispiel dafür ist die „Ablenkung“ von Lichtstrahlen, die die
Sonne passieren.46
Wollte man unsere Welt weiterhin exakt mit Hilfe der euklidischen Geometrie
beschreiben, müßte man feststellen, daß die Lichtstrahlen nicht mehr die
kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten wählen, sondern einen Umweg,
für den man eine zusätzliche Erklärung geben müßte. In den klassischen
Gesetzen der Optik und Mechanik müßten komplizierte Korrekturfaktoren
ein-
45
„Verzerrung“ ist aus Sicht des vertrauten euklidischen Raumes gesprochen; angemssener
wäre es hier von einer „Umstrukturierung“ oder „Umgestaltung“ der Raumzeit zu sprechen.
46
Vgl. A. Einstein, Über die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, 45f.
57
geführt werden. Man könnte sich durchaus für diese Art der Naturbeschreibung entscheiden, sofern man eben bereit ist, bizarre physikalische Gesetze
dafür in Kauf zu nehmen.47 Entscheidet man sich hingegen wie die moderne
Physik im Anschluß an Einstein für eine nichteuklidische Beschreibung
unserer Welt, so erhält man vergleichsweise sehr einfache physikalische
Gesetze. Die Ausbreitung des Lichts im genannten Beispiel folgt dann einer
Geraden in der durch die Sonnenmasse strukturierten Raum-Zeit.48
47
Die Feststellung von J. Wickert, Albert Einstein, 75, daß die neuen Einsichten für die
Physik bedeuten, „daß die alte Geometrie Euklids aufgegeben werden muß“, ist nicht korrekt.
Sie muß nicht aufgegeben werden, sondern es erweist sich in der Physik als zweckmäßig, an
ihrer Stelle eine nichteuklidische Geometrie zu verwenden.
48
Nach 1916 wird die allgemeine Relativitätstheorie auch auf die Frage nach Gestalt und
Geschichte unseres Universums angewandt. Einstein selbst vertritt dabei die Vorstellung
eines statischen und räumlich geschlossenen Universums, vgl. A. Einstein, Kosmologische
Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie, 142–152; ders., Geometrie und Erfahrung,
206–209; ders., Über Relativitätstheorie, 221.
58
Drittes Kapitel:
Deutungen der Relativitätstheorie
Für viele Physiker ist schon bald nach der Veröffentlichung der speziellen
und der allgemeinen Relativitätstheorie klar, daß diese Theorien Auswirkungen über die Grenzen der Physik und der Naturwissenschaften hinaus haben
werden. Nach dem Urteil von Max Planck übertrifft die mit Einsteins Relativitätstheorie verbundene neue Auffassung des Zeitbegriffs „wohl alles, was
bisher in der spekulativen Naturforschung, ja in der philosophischen Erkenntnistheorie geleistet wurde“1. In kurzer Zeit entstehen zahlreiche Schriften von
Physikern, vor allem aber auch von Philosophen über die philosophische
Bedeutung der neuen Theorie. Darüber hinaus gibt es bald populäre und
allgemeinverständliche Darstellungen, die freilich häufig die physikalischen
Sachverhalte nicht nur verkürzt, sondern auch verzerrt wiedergeben. Arnold
Sommerfeld spricht in diesem Zusammenhang von einem für Einstein nur
schwer erträglichen „Relativitätsrummel“2.
Im folgenden Kapitel werden unterschiedliche Deutungen der Relativitätstheorie vorgestellt. Dazu müssen aber zuerst einige geläufige Mißverständnisse und der ideologische, zum Teil antisemitisch motivierte Mißbrauch der
Relativitätstheorie zurückgewiesen werden (I.). Im Anschluß daran wird
aufgezeigt, welchen Ort verschiedene Physiker Einsteins Theorien im
Rahmen der Physik zuweisen (II.) und wie bereits die Benennung von
Einsteins Postulaten in der speziellen Relativitätstheorie eine folgenreiche
Interpretation beinhaltet, zu der es Alternativen gibt (III.). Dann werden
einige Fragen thematisiert, die sich aus der Verhältnisbestimmung von Relativitätstheorie und Kants Transzendentalphilosophie ergeben (IV.), und zum
Abschluß des Kapitels werden Deutung und Bedeutung, die der Relativitätstheorie im Rahmen des Logischen Positivismus zukommen, herausgestellt
(V.).
Die knappe Auseinandersetzung mit Transzendentalphilosophie und
Logischem Positivismus ist im Zusammenhang mit unserer Thematik
aufschlußreich, da auf diesem Weg deutlich wird, auf welcher Ebene die
Diskussion um die Interpretation der Relativitätstheorie sinnvoll geführt
werden kann; gerade vor diesem Hintergrund werden sich dann im vierten
Kapitel der vorliegenden Arbeit verschiedene theologische Reaktionen auf die
Relativitätstheorie als unangemessen oder sogar als indiskutabel erweisen.
Die Diskussion der Relativitätstheorie im „Wiener Kreis“ und in der Berliner
„Gesellschaft für Empirische Philosophie“ könnten dabei der gegenwärtigen
Theologie zugleich als lehrreiches Beispiel für eine zwar angreifbare, aber
1
2
Zit. in: C. Seelig, Albert Einstein. Eine dokumentarische Biographie, 163.
A. Sommerfeld, Albert Einstein, 39.
59
nichtsdestoweniger niveauvolle Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen dienen.
Überdies legt sich im gegebenen Zusammenhang auch noch aus einem weiteren Grund der Hinweis auf die Deutungen der Relativitätstheorie durch
Vertreter des Logischen Positivismus nahe: Da sich diese durch eine akzentuiert antimetaphysische Haltung auszeichnen und sie gerade die Relativitätstheorie als Beleg für ihre Metaphysikkritik heranziehen, kann die positive
Aufnahme, die die Relativitätstheorie bei ihnen findet, die massiven Vorbehalte neuscholastischer Theologen gegen die Richtigkeit der Relativitätstheorie erklären – aber nicht begründen.3
I. Relativitätstheorie und Ideologie
Nachdem Einstein im Jahr 1921 der Nobelpreis für Physik zugesprochen wird
und die Relativitätstheorie zunehmend auch in der Öffentlichkeit Aufsehen
erregt,4 ist es ein verbreitetes Mißverständnis, von der Relativitätstheorie
unversehens auf eine „Philosophie der Relativität“ zu schließen. Hans
Reichenbach, Philosoph und Physiker, weist das Ansinnen derartiger Interpretationsversuche entschieden zurück:
„Philosophen, die es für der Weisheit letzten Schluß halten, daß alles relativ ist, sind im
Irrtum, wenn sie glauben, daß Einsteins Theorie den Beweis für eine solche weittragende
Verallgemeinerung liefert. Und ihr Irrtum wird noch krasser, wenn sie eine derartige
Relativität auf das Gebiet der Ethik übertragen und behaupten, Einsteins Theorie führe
zum Relativismus der menschlichen Rechte und Pflichten. Die Relativitätstheorie gilt nur
auf dem Gebiet der Erkenntnis.“5
Ähnlich beklagt der physikalisch geschulte Philosoph Paul Volkmann im Jahr
1924, daß wegen der unvermeidlichen Vieldeutigkeit in den Worten der
Nichtphysiker leicht einen anderen Sinn in die Worte lege, als der Relativitätstheoretiker mit ihnen verbinde:
„So besagt auch der Ausdruck ‚Relativitätstheorie‘ keineswegs, daß nunmehr alles
Absolute zu relativieren ist, wenn auch manches, was bisher für absolut gehalten wurde,
mehr oder weniger relativiert werden muß.“6
Es wird freilich darauf zurückzukommen sein, daß gerade dieses Mißverständnis eine Reihe von Theologen auf den Plan ruft und dazu veranlaßt,
entweder den Glauben an das „Absolutum Gott“ einer vermeintlich alles
3
Vgl. 4. Kap. II.
Die Schwedische Akademie begründet die Nobelpreisverleihung an Einstein allerdings vor
allem mit dessen Verdiensten für die Entdeckung der Gesetze des lichtelektrischen Effekts –
die Relativitätstheorie wird in der Begründung nicht einmal erwähnt.
5
H. Reichenbach, Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, 142.
6
P. Volkmann, Rez. von G. Alliata, 103.
4
60
relativierenden Physik entgegenzusetzen7 oder überhaupt die Richtigkeit der
Relativitätstheorie in Frage zu stellen. 8
Bald stellt sich allerdings heraus, daß die Absicht vieler „Interpretationen“
weniger in einer redlichen Bemühung um ein Verständnis der Relativitätstheorie zu suchen ist als vielmehr in dem Versuch, diese physikalische
Theorie und ineins damit ihren Urheber in Mißkredit zu bringen. Vielen, die
sich etwa ab dem Jahr 1920 in der deutschen Öffentlichkeit als erklärte
Gegner der Relativitätstheorie hervortun, geht es bestenfalls vordergründig
um eine philosophische oder naturwissenschaftliche Diskussion. Immer
unverhüllter offenbart sich statt dessen in ihrer Argumentation das Gesicht
des nationalsozialistischen Antisemitismus.
Die Kampagne gegen Einstein und die Relativitätstheorie, zu deren Wortführern sich die Physiknobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark
aufschwingen, erreicht in Deutschland ihren traurigen Höhepunkt nach der
Machtergreifung der Nationalsozialisten in der absurden Unterscheidung
zwischen einer „jüdischen“ und einer „arischen“ Physik .9 Der Physiker
Bruno Thüring äußert im Jahr 1937 in der Universität München im Rahmen
einer Vortragsreihe „Das Judentum in der Wissenschaft“:
„[Die Relativitätstheorie] stellt nichts weiter als eine spezifische, wir müssen sagen
jüdische, Art dar, sich mit den Erscheinungen der Natur rein formal auseinanderzusetzen.
Ihre wirklichen ‚Leistungen‘ sind die Zerstörung der Begriffe des Raumes, der Zeit, der
Kraft, der Welt, des Äthers, der Unendlichkeit und der Kausalität und der Aufbau eines
Zerrbildes aus ihren Trümmern. Ihr Ziel ist nicht nur nicht Naturforschung durch Pflege
des menschlichen Naturerlebnisses und Förderung unvoreingenommenen Naturstudiums,
sondern Zerstörung der Grundlagen arischer Forschung durch Verdogmatisierung, in
deren konsequenter Verfolgung die ganze Welt in einer Rechenformel erstarrt [...]. Wir
sind deshalb berechtigt und im Interesse der Wahrheit gezwungen, von einer jüdischen
Physik zu sprechen, die zu der Physik des Ariers in vollständigem und das innere Wesen
treffenden Gegensatz steht [...]. Wer heute noch jüdischer Physik in Gestalt der Relativitätstheorie das Wort redet, und sie als die große im 20. Jahrhundert gewonnene neue
Grundlage der künftigen Naturforschung preist, der pflanzt [...] jüdischen Geist in
deutsche Seelen und macht sie unfruchtbar für wirkliche Naturforschung.“ 10
Dieses peinliche Dokument ist nur ein Beispiel für viele andere.11 Offensichtlich geht es hier nicht mehr um Physik oder Philosophie, sondern um die
7
So K. Heim, vgl. 4. Kap. III. 3.
So neuscholastische Theologen, vgl. 4. Kap. II. 4.
9
Vgl. dazu H. Rechenberg (Hg.), Werner Heisenberg, Deutsche und jüdische Physik, 7–13,
71–83. – P. Lenard und J. Stark engagieren sich in einem Aufruf schon im Jahr 1924 für
Hitler und erklären gemeinsam, daß sie in Hitler und seinen Genossen „eben denselben Geist
[erkennen], den wir bei unserer Arbeit, damit sie tiefgehend und erfolgreich sei, selbst stets
gesucht, erstrebt, aus uns hervorgeholt haben [...]“ (zit. in: A. D. Beyerchen, Wissenschaftler
unter Hitler. Physiker im Dritten Reich, 136).
10
B. Thüring, Physik und Astronomie in jüdischen Händen, 68f, 70.
11
Des weiteren wird die Relativitätstheorie von Thüring, a.a.O., 60, als „trügerisches Scheingebilde“ und von Lenard als „Judenbetrug“ bezeichnet (zit. in: A. D. Beyerchen, Wissenschaftler unter Hitler. Physiker im Dritten Reich, 133). Der Physiker L. Glaser schreibt im
Jahr 1939 in der Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft mit Bezug auf die vertriebenen
8
61
„physikalische“ Variante des antisemitischen Rassismus. Das Ende der
Unschuld kommt für viele Physiker im nationalsozialistischen Deutschland
nicht erst mit ihrer Bereitschaft, sich für eine Mitarbeit im damaligen
deutschen Kernforschungsprojekt zur Verfügung zu stellen.12
Im Deutschland setzt sich allerdings allmählich die Einsicht durch, daß sich
physikalische Erkenntnisse nicht um ideologische Prämissen kümmern und
daß es möglicherweise sogar kriegsentscheidend sein könnte, sich der modernen Physik zu bedienen. Ungefähr ab dem Jahr 1940 kann an deutschen
Universitäten die Relativitätstheorie wieder weitgehend ungehindert gelehrt
werden, wenngleich der Name Einsteins und anderer jüdischer Physiker
peinlichst vermieden wird. Der Führer der SS, Heinrich Himmler, gibt
Werner Heisenberg im Jahr 1938 in einem Brief den wohlmeinenden Rat, vor
seinen Studenten „die Anerkennung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse
von der menschlichen und politischen Haltung“13 des Forschers klar zu
trennen. Heisenberg verzichtet wie die meisten seiner Kollegen fortan auf die
Nennung Albert Einsteins, wenn er öffentlich von der Relativitätstheorie
spricht oder über sie schreibt.14
jüdischen Physiker und die „jüdische Physik“: „Wir danken unserem Führer Adolf Hitler,
daß er uns von der Plage der Juden befreit hat. [...] Der Jude hat in Deutschland auf
deutschen Lehrstühlen und in der Wissenschaft seine Tätigkeit beendet, nun gilt es aber,
seine Spuren zu beseitigen [...]. Der Kampf geht weiter um eine unbeschwerte Jugend“ (L.
Glaser, Juden in der Physik: Jüdische Physik, 275); vgl. auch H. Israel, E. Ruckhaber und R.
Weinmann, 100 Autoren gegen Einstein, Leipzig 1931.
12
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 und die ihm
nachfolgenden Maßnahmen vertreiben die jüdischen Physiker fast vollständig aus den
Universitäten und Forschungsinstituten. Insgesamt ein Viertel der akademischen Physiker
verliert seinen Arbeitsplatz, darunter nicht weniger als elf Nobelpreisträger für Physik. Nach
der „Reichspogromnacht“ 1938 fordert schließlich die „Deutsche Physikalische Gesellschaft“
die „reichsdeutschen Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze“ ausdrücklich zum Austritt auf
– die letzten sechs betroffenen Mitglieder müssen daraufhin ausscheiden. Die Vertreibung
der jüdischen Physiker hat bei ihren Kollegen bestenfalls ein zaghaftes und letztlich auch
folgenloses Protestieren zur Folge. Insgesamt scheint man sich erstaunlich schnell mit dem
erzwungenen Exodus jüdischer Gelehrter abzufinden. Als die verbliebenen Physiker aber mit
dem Hirngespinst einer arischen Parteiphysik konfrontiert werden, reagieren sie ungleich
empfindlicher und effektiver. Vgl. dazu H. Rechenberg (Hg.), Werner Heisenberg, Deutsche
und jüdische Physik, 71–106, sowie insgesamt A. D. Beyerchen, Wissenschaftler unter
Hitler. Physiker im Dritten Reich. – Zum deutschen Kernforschungsprojekt vgl. M. Walker,
Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe, 100, der die Beziehung zwischen Physik und Nationalsozialismus in Deutschland als ein Verhältnis von
Kompromiß und Kollaboration kennzeichnet; vgl. außerdem die deutlich andere Beurteilung
von C. F. v. Weizsäcker, Die Unschuld der Physiker? 37–40, 42–45.
13
Zit. in: H. Rechenberg (Hg.), Werner Heisenberg, Deutsche und Jüdische Physik, 75. –
Heisenberg wurde im Organ der SS zuvor als „weißer Jude“ und als „Statthalter des Judentums“ bezeichnet, da er die „jüdische Physik“ vertrete (‚Weiße Juden‘ in der Wissenschaft,
in: Das schwarze Korps vom 15.7.1937, 6).
14
Nach dem Zweiten Weltkrieg legt Heisenberg diese Zurückhaltung wieder ab (vgl. z. B.
Heisenbergs Rede bei der Grundsteinlegung des Einstein-Hauses der Ulmer
Volkshochschule: W. Heisenberg, Einstein ist ein guter Name, 162–164).
62
Auch unter Theologen gibt es zu dieser Zeit offensichtlich rassistisch
motivierte Vorbehalte gegen die Einsteinsche Relativitätstheorie. Obwohl
zum Beispiel der Theologe Rudolph Lettau „die stärksten Antriebe zur
Heiligung“15 in der Relativitätstheorie auszumachen vermag, sieht er sich zu
einer Begründung genötigt, warum ein Christ ausgerechnet durch Einstein in
seinem Glauben gestärkt werden sollte: „Einstein ist Jude und überzeugter
Jude, wie man aus den Zeitungen vernimmt. Da will es einem guten
Deutschen nicht ein, etwas von ihm anzunehmen.“ Lettaus Problem und die
von ihm gefundene „Lösung“ zeigen, daß die theologische Reaktion auf die
Relativitätstheorie in Deutschland auch durch offen antisemitische Einstellungen belastet war:
„Wie, wenn Gott aber mit den Juden noch etwas vorhätte? [...] Ihre Führerschaft bei den
radikalen Parteien zwingt geradezu die Langsamen und Widerstrebenden auf der anderen
Seite zu aufbauender Arbeit, die sonst vielleicht unterbliebe. Ist das nun etwa auch einem
Juden von Gott gegeben, in der Welt der Wissenschaft, in Weltanschauungsfragen Dinge
in Fluß zu bringen, die sonst noch lange ruhten, und sollten nicht Deutsche und Christen
auf den Plan treten und etwas Gutes aus dem, was schädlich zu sein schien, schaffen? Wir
wollen doch die Augen auftun, daß uns Satan [sic!] nicht durch Trägheit und Feigheit
übervorteilt.“16
Wo neben mangelhafter physikalischer Kenntnis auch noch solche dumpfen
Gesinnungen gären, kann es nicht wundern, wenn dort ein konstruktiver
Dialog zwischen Physik und Theologie aufgrund der Relativitätstheorie nicht
in Gang kommt. Selbst wer die Vorbehalte einiger evangelischer und katholischer Theologen gegenüber der Relativitätstheorie nicht auch antisemitisch
motiviert sehen will, wünscht sich eine Erklärung dafür, warum man sich hier
in der Diskussion über die Richtigkeit der Relativitätstheorie gegen die große
Mehrheit der Physiker wiederholt auf den erklärten Antisemiten Philipp
Lenard als Kronzeugen beruft.17
Ideologische Vorbehalte gegen die Relativitätstheorie meldet im übrigen
lange Zeit auch der dialektische Materialismus an. Wladimir I. Lenin veröffentlicht schon im Jahr 1909 eine Streitschrift, in der er sich vehement gegen
den „Machismus“ wendet, das heißt gegen die Philosophie Ernst Machs und
ihren Einfluß auf die moderne Physik.18 „Der Relativismus als Grundlage der
Erkenntnistheorie ist nicht nur die Anerkennung der Relativität unserer
Kenntnisse, sondern auch die Leugnung irgendeines objektiven, unabhängig
15
R. Lettau, Die Einsteinsche Relativitätstheorie im Verhältnis zur christlichen Weltanschauung, 155; vgl. dazu 4. Kap. I. vorliegender Arbeit.
16
Ebd.
17
T. Wulf S. J., Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 109, zählt Lenard zu den wenigen
„Gewährsmännern“ gegenüber denen es nicht viel bedeute, wenn die große Masse der Physiker anderer Meinung sei. – „Solange sich noch ein Mann von der Bedeutung Lenards auf die
Seite der Gegner stellt, muß die Sache uns anderen noch nicht als spruchreif gelten“, urteilt
der theologisch engagierte Biologe E. Dennert, Einige Bemerkungen zur Relativitätstheorie
und ihren Folgerungen, 46.
18
Vgl. W. I. Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus, insbes. 249–316 („Die neueste
Revolution in der Naturwissenschaft und der philosophische Idealismus“).
63
von der Menschheit existierenden Maßes oder Modells, dem sich unsere
relative Erkenntnis nähert“19, schreibt Lenin und versucht dies anhand von
Entwicklungen in der modernen Physik zu belegen. Lenin kritisiert vor allem
„das Prinzip des Relativismus, der Relativität unseres Wissens, ein Prinzip,
das sich den Physikern in der Periode des jähen Zusammenbruchs der alten
Theorien mit besonderer Kraft aufdrängt“20. Dieser Relativismus führe die
von Mach beeinflußten Physiker bei Unkenntnis der Dialektik unvermeidlich
zum „‚physikalischen‘ Idealismus“. Als „Grundidee der zur Diskussion
stehenden Schule der neuen Physik“ erkennt Lenin in diesem Zusammenhang
„die Leugnung der objektiven Realität [...] oder der Zweifel an der Existenz
einer solchen Realität“21. Lenin beschließt seine Ausführungen über die
„neueste Revolution in der Naturwissenschaft“ mit dem Urteil, der „‚physikalische‘ Idealismus“ seiner Zeit bedeute, „daß eine bestimmte Schule von
Naturforschern in einem bestimmten Zweig der Naturwissenschaft zu einer
reaktionären Philosophie abgeglitten ist, weil sie nicht vermochte, sich direkt
und von Anfang an vom metaphysischen Materialismus zum dialektischen
Materialismus zu erheben“22.
Noch zu Beginn der fünfziger Jahre gibt es in der Sowjetunion gegen die
Relativitätstheorie eine massive Kampagne, bei der behauptet wird, Einsteins
Theorie beruhe auf einer falschen Philosophie, widerspreche dem dialektischen Materialismus und könne die – zugegebenermaßen beobachtbaren –
relativistischen Effekte nicht erklären.23 Im Jahr 1952 wird in einem von der
Sowjetischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Sammelband
die Forderung erhoben, die Relativitätstheorie als ganze zu verwerfen und
durch eine materialistische „Theorie schneller Bewegungen“ zu ersetzen.
Namentlich A. A. Maksimov, Parteiphilosoph und Akademiemitglied,
bezeichnet Einsteins philosophische Ideen als antiwissenschaftliche Äußerung
eines reaktionären Angriffs und fordert eine Kritik an den idealistischen
Phantasien Einsteins und seiner Anhänger.24 Schließlich sieht sich aber auch
die offizielle Sowjetphilosophie zu einem pragmatischen Standpunkt gezwungen. Ab der Panunionskonferenz über philosophische Fragen der Naturwissenschaften im Oktober 1958 in Moskau wird der Widerstand gegen die
Relativitätstheorie aufgegeben, und einige Jahre später erkennt man in ihr
sogar eine Bestätigung des dialektischen Materialismus. Im „Philosophischen
Wörterbuch“ aus dem Jahr 1975, das nach Auskunft seines Vorworts „auf
marxistisch-leninistischer Grundlage aufgebaut“ sein will, heißt es unter dem
Stichwort Relativitätstheorie nunmehr:
19
A.a.O., 131.
A.a.O., 311.
21
A.a.O., 306.
22
A.a.O., 315.
23
Vgl. dazu die umfangreiche Darstellung und Materialiensammlung von S. Müller-Markus,
Einstein und die Sowjetphilosophie. Krisis einer Lehre, Bd. 1 und 2, hier Bd. 1, 59–63.
24
Vgl. a.a.O., Bd. 1, 136f.
20
64
„In der zeitgenössischen bürgerlichen Philosophie wird die Meinung verbreitet [...], die
Relativitätstheorie könne philosophisch sowohl im idealistischen als auch im materialistischen Sinne interpretiert werden. Diese Behauptung ist falsch [...]. Die [...] Ergebnisse der
Relativitätstheorie widersprechen nämlich allen idealistischen Thesen über das Wesen von
Raum und Zeit und bestätigen die entsprechenden philosophischen Auffassungen des
dialektischen Materialismus.“25
Die Relativitätstheorie darf nun sogar ausdrücklich als eine „materialistische
Erkenntnis“26 bezeichnet werden.
Die genannten Beispiele ideologischen Mißbrauchs der Relativitätstheorie
sind geeignet, mißtrauisch zu stimmen, wenn von „Deutungen der
Relativitätstheorie“ die Rede ist. Wann immer die Relativitätstheorie als
Beleg oder Bestätigung einer philosophischen oder gar theologischen Position
herangezogen wird, ist zunächst einmal Skepsis angebracht. Zu viele unterschiedliche und widersprüchliche Standpunkte beriefen sich in der Vergangenheit auf Einsteins Theorie. So schreibt Hans Reichenbach schon im Jahr
1949 sehr treffend:
„Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie ist zum Gegenstand widersprechender Meinungen geworden. Während viele Autoren den philosophischen Gehalt der
Theorie betont und sogar versucht haben, sie als eine Art philosophisches System zu interpretieren, haben andere das Vorhandensein einer philosophischen Problematik geleugnet
und die Ansicht vertreten, daß Einsteins Theorie eine rein physikalische, nur für den
mathematischen Physiker interessante Angelegenheit ist.“27
Der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell betont angesichts zahlreicher Mißverständnisse und vorschneller Folgerungen, daß die philosophischen Konsequenzen der Relativitätstheorie „weder so groß noch so
überraschend [sind], wie man manchmal denkt“28. Doch auch Russell hält es
für wahrscheinlich, „daß sich gewisse Änderungen in unseren Denkgewohnheiten ergeben, die auf lange Sicht eine große Bedeutung erlangen werden,
wenn man erst mit den in Einsteins Werk enthaltenen Ideen vertraut ist [...]“29.
II. Die Bedeutung der Relativitätstheorie im Rahmen der
Physik
Kein ernstzunehmender Physiker bezweifelt heute, daß die spezielle Relativitätstheorie zum gesicherten Bestand der Physik gehört. In ungezählten
Experimenten konnten die Voraussagen der speziellen Relativitätstheorie
25
26
27
28
29
G. Kröber und H. Mielke, Art. Relativitätstheorie, 1046.
A.a.O., 1045.
H. Reichenbach, Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, 142.
B. Russell, Das ABC der Relativitätstheorie, 165.
A.a.O., 166.
65
bestätigt werden, und kein einziges Experiment ist bekannt, das im Widerspruch zur speziellen Relativitätstheorie stünde. Auch die allgemeine Relativitätstheorie gilt heute als anerkannt und wird von der physikalischen
Forschung vorausgesetzt. Allerdings bezog diese Theorie längere Zeit ihre
Überzeugungskraft weniger aus experimentellen Bestätigungen als vielmehr
aus ihrer „Eleganz“ und ihrer „inneren Stimmigkeit“. In diesem Sinne
schreibt Einstein, daß der „Hauptreiz der Theorie [...] in ihrer logischen
Geschlossenheit [liege]“30, und er läßt seinen Kollegen Arnold Sommerfeld
auf einer Postkarte wissen: „Von der allgemeinen Rel[ativitäts-]Theorie
werden Sie überzeugt sein, wenn Sie dieselbe studiert haben werden. Deshalb
verteidige ich sie Ihnen mit keinem Wort.“31
Die Schwierigkeit, bei der Nachprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie
bestand darin, daß ihre experimentell prüfbaren Folgerungen so geringfügig
von den entsprechenden Folgerungen der newtonschen Theorie abweichen,
daß sie zunächst an der Grenze der Meßgenauigkeit lagen. Aufgrund von
Präzisionsmessungen gilt aber inzwischen auch die allgemeine Relativitätstheorie als sehr gut bestätigt.
Damit stellt sich die Frage, ob nunmehr Newtons Gravitationstheorie als
„falsch“ und „widerlegt“ anzusehen ist. Einstein weist dies zurück:
„Niemand [...] soll denken, daß durch diese oder irgendeine andere Theorie Newtons
große Schöpfung im eigentlichen Sinne verdrängt werden könne. Seine klaren und großen
Ideen werden als Fundament unserer ganzen modernen Begriffsbildung auf dem Gebiet
der Naturphilosophie ihre eminente Bedeutung in aller Zukunft behalten.“ 32
Die klassische Newtonsche Mechanik bleibt dabei nicht nur für die Physikhistoriker interessant. Für Geschwindigkeiten, die klein sind im Vergleich zur
Lichtgeschwindigkeit, geht die Lorentz-Transformation in die klassische
Galilei-Transformation über, das heißt, die Newtonsche Mechanik bleibt
gültig. Außerdem zeigt sich, daß die allgemeine Relativitätstheorie Newtons
Gravitationstheorie als erste und sehr gute Näherung bestätigt.
Insgesamt läßt sich also sagen, daß die Relativitätstheorie die klassische
Physik als einen Spezialfall enthält – ein Spezialfall überdies, der unter
irdischen Bedingungen in der Regel sehr gut erfüllt ist. Darum ist es ja auch
sinnvoll, daß im Physikunterricht an unseren Schulen vorrangig noch immer
die klassische Physik gelehrt wird. Auch die euklidische Geometrie ist nicht
widerlegt. Mathematisch ist sie korrekt wie eh und je. Im allgemeinen und
insbesondere in astronomischen Maßstäben erweist sich für die Physik aber
die Verwendung einer nichteuklidischen Geometrie als zweckmäßiger.
Soweit besteht über diese physikalischen Sachverhalte unter den Naturwissenschaftlern Einigkeit. Unterschiedlich wird von Physikern dagegen die
Rolle beurteilt, die der Relativitätstheorie bei der Entwicklung zur modernen
30
A. Einstein, Was ist Relativitätstheorie? 216.
A. Einstein/A. Sommerfeld, Briefwechsel. Sechzig Briefe aus dem goldenen Zeitalter der
modernen Physik, 41.
32
A. Einstein, Was ist Relativitätstheorie? 216f.
31
66
Physik zukommt. Die einen sehen in Einsteins Theorie den krönenden
Abschluß der klassischen Physik, die anderen betrachten die Relativitätstheorie als den entscheidenden Schritt zur modernen Physik.
Einstein selbst beurteilt seinen Beitrag eher bescheiden. Es handele sich bei
der Entdeckung der Relativitätstheorie „keineswegs um einen revolutionären
Akt, sondern um eine natürliche Fortentwicklung einer durch Jahrhunderte
verfolgbaren Linie“33. Insbesondere die spezielle Relativitätstheorie sei nichts
anderes als eine systematische Fortsetzung der Maxwell-Lorentzschen
Elektrodynamik“34. Die Relativitätstheorie habe „zum großartigen Gedankengebäude Maxwells und Lorentz‘ eine Art Abschluß geliefert“35. Man könnte
derartige Feststellungen Einsteins als Understatement und Ausdruck seiner
Bescheidenheit halten, zumal wenn man bedenkt, daß Einstein die zitierten
Sätze in England äußert, dem Geburtsland der klassischen Physiker Newton,
Faraday und Maxwell. Doch Einsteins spätere Haltung zur Quantentheorie
läßt es als durchaus plausibel erscheinen, daß es ihm mit diesen Feststellungen ernst ist; denn zeitlebens versucht Einstein im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der Physiker auch die Quantentheorie von einem klassischen
Standpunkt aus zu verstehen. Eine „Revolution“ oder einen Bruch in der
Entwicklung der Physik lehnt er damit ab. Im Zusammenhang mit der
Behandlung der Quantentheorie werden wir darauf zurückkommen.
Auch Victor Weisskopf, Atomphysiker und Schüler von Max Born und Niels
Bohr, kann in der Relativitätstheorie keinen revolutionären Umbruch für die
Entwicklung der Physik ausmachen. Zwar begründe sie eine neue Auffassung
von Raum und Zeit und stelle ein neues begriffliches Gerüst dar, mit dem die
bisherige Physik vereinheitlicht werden kann. Die Relativitätstheorie breche
damit aber nicht mit der klassischen Tradition, sondern sie stelle viel eher die
Krönung und die Synthese der Physik des 19. Jahrhunderts dar. Die radikale
Veränderung der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht für Weisskopf
allein auf die Quantentheorie zurück:
„Die Quantentheorie [...] stellte tatsächlich einen Vorstoß ins Unbekannte dar; mit ihrer
Hilfe dringt man in eine Welt von Phänomenen ein, die sich nicht in das Vorstellungsgebäude der Physik des vergangenen Jahrhunderts einfügen lassen. Um die Quantentheorie
zu begründen und weiterzuentwickeln, mußte man eine neue physikalische Sprache und
Denkweise schaffen.“36
Im folgenden wird noch gezeigt werden, daß diese Aussagen auf die Quantentheorie zweifellos zutreffen. Aber trifft es nicht gerade auch für die Relativitätstheorie zu, daß sie eine „neue physikalische Sprache und Denkweise“
geschaffen hat? Weisskopf beginnt sein Physikstudium in den zwanziger
Jahren und ist aktiv an der Entwicklung der Quantentheorie beteiligt. Der
ganze Bereich der Relativitätstheorie ist um diese Zeit, wie man bei Werner
33
34
35
36
Ders., Über Relativitätstheorie, 217f.
Ders., Was ist Relativitätstheorie? 214.
A.a.O., 217.
V. Weisskopf, Die Jahrhundertentdeckung: Quantentheorie, 18.
67
Heisenberg nachlesen kann, „schon ziemlich weitgehend erschlossen und
daher gar kein Neuland mehr“37, die spezielle Relativitätstheorie müsse man
„einfach lernen und anwenden, so wie jede ältere Disziplin der Physik“38.
Darum sei sie für jeden, der Neues entdecken wolle, nicht mehr sonderlich
interessant. Ältere Physiker wie zum Beispiel Max Planck, die die Entdekkung der Relativitätstheorie miterleben und sich nur mühsam von den
gewohnten traditionellen Vorstellungen trennen können, sind später eher
geneigt, darin eine physikalische „Revolution“ zu erkennen. Louis de Broglie
spricht dementsprechend auch von einer geistigen Leistung, „die die ältesten
Traditionen der Physik umgestürzt [habe]“39.
Eine vermittelnde Position nimmt in dieser Frage Max Born ein. Einstein
habe mit seiner Theorie „nicht nur die klassische Physik zum Gipfel geführt,
sondern ein neues Zeitalter der Physik eröffnet“40. Der klassischen Physik sei
Einstein noch verbunden, weil er weiterhin die Vorstellung „von kausalen –
oder genauer: deterministischen Naturgesetzen“41 gebrauche. Richtungsweisend für die moderne Physik sei dagegen, daß Einstein die newtonschen
Begriffe von Raum und Zeit einer scharfen Kritik unterziehe und sie durch
„neue, revolutionäre Begriffe“42 ersetze. Born sieht Einsteins Leistung insbesondere auch darin begründet, daß er konsequent Ernst Machs Prinzip der
Elimination des Unbeobachtbaren anwende. Dieses Prinzip fordert, in der
theoretischen Physik keine Begriffe mehr zuzulassen, die nicht empirisch
verifiziert werden können. Dies führt bei Einstein konsequent zur Ablehnung
eines Äthers und des klassischen Begriffs der Gleichzeitigkeit von Ereignissen an unterschiedlichen Raumstellen.
Für Leopold Infeld ist Einsteins Arbeit für die Geschichte der theoretischen
Physik besonders bedeutsam, „weil sie ein völlig neues Problem, nämlich das
der Struktur des Weltalls, formuliert, und weil sie zeigt, daß die allgemeine
Relativitätstheorie neues Licht auf dieses Problem werfen kann“43. Die allgemeine Relativitätstheorie habe „die kosmologischen Probleme aus dem
Bereich der Poesie oder der spekulativen Philosophie in den physikalischen
übertragen“44. Dies gilt bis heute: Auch wenn die gegenwärtige Astrophysik
zu anderen Schlußfolgerungen als Einstein kommt, so nimmt doch auch sie
ihren Ausgang von der allgemeinen Relativitätstheorie.
Auffällig ist, daß viele Physiker die Relativitätstheorie nicht nur zur inzwischen selbstverständlichen Grundlage für weitergehende physikalische
Fragestellungen nehmen, sondern sich nach Entwicklung dieser Theorie zu
einer grundsätzlichen Reflexion über ihre Wissenschaft und deren Erkenntnis37
38
39
40
41
42
43
44
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 32.
A.a.O., 37.
L. de Broglie, Das wissenschaftliche Werk Albert Einsteins, 43.
M. Born, Die Relativitätstheorie Einsteins, 3.
A.a.O., 2.
Ebd.
L. Infeld, Über die Struktur des Weltalls, 179.
Ebd.
68
methoden veranlaßt sehen. Hans Reichenbach stellt in diesem Sinne schon im
Jahr 1924 fest:
„Selten ist die Diskussion einer physikalischen Theorie in so hohem Maße mit philosophischen Denkmitteln geführt worden wie im Falle der Relativitätstheorie Einsteins. Nicht
nur Philosophen haben die Theorie zum Gegenstand ihrer Betrachtungen gemacht,
sondern auch die Physiker selbst fanden sich gezwungen, ihren Darstellungen und Kritiken der Theorie philosophische Begriffsbildungen zugrunde zu legen. Das ist kein Zufall,
und auch nicht bloße Wirkung einer überall beobachtbaren Welle philosophischen Interesses an den Grundlagen der exakten Wissenschaft. Sondern die Relativitätstheorie fordert
zu einer erkenntnistheoretischen Grundlegung geradezu heraus, ja, sie ist gar nicht
verständlich ohne klare Einsicht in die prinzipiellen Methoden der physikalischen Erkenntnis überhaupt.“45
Im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie sehen sich die Physiker dieser
Zeit mit Fragen konfrontiert, die weit über ihr jeweiliges Fachgebiet hinausreichen. Immer häufiger werden sie nun um Stellungnahmen zu Problemen
gebeten, für die sie sich von Haus aus nicht zuständig fühlen. Nicht wenige
Physiker nehmen aber diese Herausforderung an und geben nun Auskunft
über ihren erkenntnistheoretischen Standpunkt, die Methodik ihrer Wissenschaft und den „Wirklichkeitsbezug“ der Physik. Solche Besinnung der Physiker über die Grundlagen ihrer Wissenschaft wirkt zugleich wieder zurück auf
den weiteren Fortgang ihrer Forschung. Zurecht stellt Martin Heidegger in
„Sein und Zeit“ fest, daß sich die eigentliche „Bewegung“ der Wissenschaften
in der Revision ihrer Grundbegriffe abspiele:
„Das Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wie weit sie einer Krisis ihrer
Grundbegriffe fähig ist. In solchen immanenten Krisen der Wissenschaften kommt das
Verhältnis des positiv untersuchenden Fragens zu den befragten Sachen selbst ins
Wanken. Allenthalben sind heute in den verschiedenen Disziplinen Tendenzen wachgeworden, die Forschung auf neue Fundamente umzulegen.“ 46
Die Relativitätstheorie – Heidegger verweist in diesem Zusammenhang zwar
ausdrücklich auf sie, befaßt sich aber ansonsten in „Sein und Zeit“ nicht mit
ihr – unterzieht die für die Physik fundamentalen Begriffe von Raum und Zeit
einer radikalen Revision. Solche Grundbegriffe sind aber für Heidegger „die
Bestimmungen, in denen das allen thematischen Gegenständen einer Wissenschaft zugrundeliegende Sachgebiet zum vorgängigen und alle positive Untersuchung führenden Verständnis kommt“47. Im folgenden wird noch aufgezeigt
werden, daß sich in der Neufassung der Begriffe von Raum und Zeit ein
gewandeltes physikalisches Verständnis der Wirklichkeit andeutet, das für die
physikalische Forschung bis in die Gegenwart hinein maßgebend ist. Aus
diesem Grund ist die Relativitätstheorie zweifellos über ihren unmittelbaren
wissenschaftlichen Ertrag hinaus als wegweisend zu beurteilen sowohl für die
weitere Entwicklung der modernen Physik als auch für das gegenwärtige
Verständnis der Physiker von ihrer Wissenschaft.
45
46
47
H. Reichenbach, Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre, V.
M. Heidegger, Sein und Zeit, 9.
A.a.O., 10.
69
III. Relativitätsprinzip oder Postulat der absoluten Welt?
Die Relativitätstheorie ist anerkannt, ihre erkenntnistheoretische Bedeutung
ist umstritten. Bereits ihr Name gibt Anlaß zu diesbezüglichen Kontroversen.
So spricht etwa Arnold Sommerfeld, von dem „vielfach mißverstandenen und
nicht sehr glücklichen Namen ‚Relativitätstheorie‘“48. Das Unbehagen vieler
Physiker an dieser Bezeichnung rührt daher, daß der Titel
„Relativitätstheorie“ bereits eine keineswegs zwingende Interpretation eines
physikalischen Sachverhaltes beinhaltet und darüber hinaus zahlreichen
Fehldeutungen Vorschub leistet. Einstein selbst verwendet übrigens weder in
der Überschrift noch im Text der für die „spezielle Relativitätstheorie“ grundlegenden Arbeit aus dem Jahr 1905 das Wort „Relativitätstheorie“. Statt
dessen spricht Einstein vom „Prinzip der Relativität“ oder auch vom
„Relativitätsprinzip“49. Auch damit gibt Einstein allerdings schon eine
Deutung des postulierten Prinzips.
Das Relativitätsprinzip fordert, daß physikalische Gesetze von einem Wechsel
des Bezugssystems unabhängig sind und sich darum nicht verändern dürfen.
Als Konsequenz ergibt sich daraus die Abhängigkeit verschiedener physikalischer Größen vom jeweiligen Bezugssystem. Man hat in der Folge zu unterscheiden zwischen diesen „relativen“ physikalischen Größen und „absoluten“
Naturgesetzen:
Nicht invariant, sondern abhängig vom jeweiligen Bezugssystem und damit
„relativ“ sind zum Beispiel die Masse, die Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse
an unterschiedlichem Ort sowie die Orts- und Längenbestimmungen. Auch
die klassische Formulierung der mechanischen Gesetze ist in diesem Sinn
relativ. Invariant, das heißt unabhängig vom Bezugssystem und damit
„absolut“ sind dagegen die Naturgesetze, beispielsweise die fundamentalen
Sätze von der Energie- und Impulserhaltung. Invariant ist auch die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts im Vakuum.
Damit erweisen sich gerade die physikalischen Bestimmungen, die im Alltag
begegnen und mit denen man eine anschauliche Vorstellung verbindet, als
relativ. Was doch „augenscheinlich“ richtig scheint, das Bekannte und
Vertraute, ist bei genauerer Überprüfung nicht exakt, sondern nur eine
Näherung. Einstein betont diesen Aspekt seiner Theorie, indem er das Postulat, auf dem seine Theorie aufbaut, Prinzip der Relativität nennt.
48
A. Sommerfeld, Albert Einstein, 37.
A. Einstein, Zur Elektrodynamik bewegter Körper, 29. Einstein soll zunächst auch mit
dem Namen „Absoluttheorie“ und „Kovarianztheorie“ geliebäugelt haben, vgl. dazu K.
Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, 93. Später übernimmt Einstein aber den Begriff „Relativitätstheorie“.
49
70
Schon Hermann Minkowski kritisiert diese Namengebung. In dem bereits
erwähnten Vortrag aus dem Jahr 1908 nennt er die Bezeichnung „Relativitätspostulat“ für ein Postulat, das die Invarianz der Naturgesetze fordert, „sehr
matt“50. Er bevorzugt darum den Namen „Postulat der absoluten Welt (oder
kurz Weltpostulat)“51. Damit setzt Minkowski einen deutlich anderen Akzent
als Einstein. Das Wesentliche ist nicht, daß vertraute Erscheinungen auf ihr
Bezugssystem relativiert werden. Das Überraschende und Neue ist für
Minkowski vielmehr, daß sich die fundamentalen physikalischen Gesetze
einer derartigen Relativierung entziehen. Das Postulat drückt aus, daß es zwar
unendlich viele Bezugssysteme geben kann, daß aber in allen dieselben
Naturgesetze gültig sind. Vorausgesetzt wird nichts weniger als eine hintergründige, nicht relativierbare „absolute Welt“.
Minkowskis „Welt“ stellt allerdings ein sehr abstraktes Gebilde streng gesetzlicher Strukturen dar, das nicht mehr vergleichbar ist mit einer anschaulich
gegebenen, vorstellbaren Welt. Spätere Physiker verzichten darum in diesem
Zusammenhang auf den Begriff „Welt“, betonen aber weiterhin den Charakter
der Absolutheit und Unabhängigkeit der physikalischen Gesetze. Arnold
Sommerfeld schreibt in diesem Sinn, daß „nicht die Relativierung der
Vorstellungen von Länge und Dauer [...] die Hauptsache [sei], sondern die
Unabhängigkeit der Naturgesetze, insbesondere der elektrodynamischen und
optischen, vom Standpunkt des Beobachters“52. Aus dieser Perspektive wäre
beispielsweise die Bezeichnung „Invariantentheorie“ gewiß angemessener
und auch weniger mißverständlich gewesen.53
Victor Weisskopf weist außerdem darauf hin, daß die Bezeichnung „Relativitätstheorie“ nicht nur eine eigenwillige und ihm unangemessen erscheinende
Deutung darstellt, sondern auch Ursache vieler Fehlinterpretationen ist:
„Eigentlich bin ich der Meinung, [die Relativitätstheorie] wäre in gewissem Sinn besser
als ‚Theorie des Absoluten‘ bezeichnet worden. Man hätte so all die Widersinnigkeiten
und philosophischen Mißverständnisse, die mehr oder weniger ausgeklügelten Spitzfindigkeiten vermieden, die in dieser Theorie ein Argument zugunsten des Relativismus sehen
wollten. Als ob Einstein einfach hätte sagen wollen, daß ‚alles relativ‘ sei! Auch hätte man
mit obiger Benennung zugleich das unterstrichen, was an dieser Theorie wirklich neu ist:
Mit ihr können wir zum ersten Mal die Naturgesetze unabhängig von jedem Bezugssystem
formulieren; genau gesagt heißt das, daß wir ihnen mit dieser Theorie eine absolute
Bedeutung zuschreiben können.“ 54
Die Auswirkungen, die der Begriff „Relativitätstheorie“ auf die späteren
Kontroversen über die Bedeutung dieser Theorie hatte, sind nicht zu unterschätzen. Man ersetze einmal in einem Text von Karl Heim, der mit dem
Gegensatz von „relativen“ physikalischen Größen und dem „Absolutum Gott“
50
H. Minkowski, Raum und Zeit, 60.
Ebd.
52
A. Sommerfeld, Albert Einstein, 37.
53
Vgl. dazu K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, 92–105.
54
V. Weisskopf, Die Jahrhundertentdeckung: Quantentheorie, 17.
51
71
argumentiert, an den entsprechenden Stellen regelmäßig „Einsteins Relativitätstheorie“ durch „Einsteins Theorie des Absoluten“ und wird erstaunt sein
über die suggestive Kraft des jeweiligen Begriffs.55
Bereits in der Namengebung ein und desselben physikalischen Sachverhaltes
kommen unterschiedliche Bewertungen zum Ausdruck. Abhängig davon, ob
der Aspekt des „Relativen“ oder des „Absoluten“ als wesentlicher für die
Relativitätstheorie beurteilt wird, fallen auch die entsprechenden Deutungen
dieser Theorie unterschiedlich aus.
Gibt es aber zwingende über den Rahmen der Physik hinausgehende
Konsequenzen aus Einsteins Theorie? Oder läßt sich zum Beispiel mit der
„Einsteins Theorie des Absoluten“ ein idealistischer und mit „Einsteins
Relativitätstheorie“ ein positivistischer Standpunkt „begründen“? Ist diese
physikalische Theorie philosophisch und theologisch neutral, und alles
weitere nur ein suggestives Spiel mit Worten?
Im folgenden sollen zentrale Aspekte der Kontroverse um die philosophische
Bedeutung der Relativitätstheorie thematisiert werden, indem zunächst das
Verhältnis der Relativitätstheorie zu Kants transzendentalem Ansatz und
anschließend zum Logischen Positivismus untersucht wird. Auf diesem Weg
kann verdeutlicht werden, daß die über die Physik hinausgehende Bedeutung
der Relativitätstheorie vor allem erkenntnistheoretische Fragen betrifft.
IV. Relativitätstheorie und kantische Transzendentalphilosophie
1. Vorbemerkungen
Im Jahr 1781 veröffentlicht Immanuel Kant (1724–1804) die „Kritik der
reinen Vernunft“, sechs Jahre später folgt die zweite Auflage, und bereits in
den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts avanciert Kants kritisches Werk zur
offiziellen Philosophie an den deutschen Universitäten. Philosophiehistoriker
sind sich über die epochemachende Bedeutung Kants weitgehend einig: „Man
hat Kant den größten deutschen Philosophen geheißen, den größten Philosophen der Neuzeit überhaupt, den Philosophen der modernen Kultur und noch
verschiedenes anderes. Wie man aber seine Philosophie schließlich auch
bewerten mag, fest steht, daß mit Kant mindestens für die deutsche Philosophie eine neue Epoche anhebt.“56 Für Oswald Schwemmer stellt Kants System
„den Ausgangspunkt oder kritischen Hintergrund so gut wie aller philosophischen Entwürfe des 19. Jahrhunderts [...] dar und ist auch in der zeitgenössi55
56
Vgl. 5. Kap. II. vorliegender Arbeit.
J. Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Bd. 2, 268.
72
schen systematischen Philosophie explizit oder implizit weitgehend
präsent“57. Günther Patzig rechnet Kant zu den klassischen Philosophen der
ersten Größenordnung, dessen Fragestellungen insbesondere die philosophische Diskussion in der Erkenntnistheorie und in der Wissenschaftstheorie bis
in die Gegenwart hinein beherrschen.58 Vor allem die „Kritik der reinen
Vernunft“ gilt nicht nur „als ein klassisches Werk der Philosophie, das die
permanente gelehrte Erschließung verdient“59, sondern als nach wie vor
anerkanntes „Grundbuch der modernen Philosophie [...], das selbst diejenigen
zur Auseinandersetzung auffordert, die nicht bzw. nicht mehr bereit sind, im
Rahmen transzendentalphilosophischer Theoriebildung zu denken“60.
„Die Kritik der reinen Vernunft“ vollzieht eine „Revolution“ oder „Umänderung der Denkart“61, die eine neue und für Kants Erkenntnistheorie grundlegende Auffassung von Raum und Zeit beinhaltet. Gut ein Jahrhundert später
bricht Einstein mit der Raum- und Zeitvorstellung der zu Kants Zeit noch
konkurrenzlos akzeptierten Newtonschen Physik. Ist davon auch Kants
Ansatz betroffen, ist dieser möglicherweise damit endgültig widerlegt und
erledigt – oder thematisiert die Relativitätstheorie Raum und Zeit unter einem
völlig anderen Gesichtspunkt, so daß sie die erkenntnistheoretischen Überlegungen Kants überhaupt nicht widerlegen kann?
Strittig ist im Zusammenhang mit der speziellen Relativitätstheorie vor allem
der Zeitbegriff: Hat die Relativierung der Zeit und der Gleichzeitigkeit zweier
Ereignisse auf das jeweilige Bezugssystem Auswirkungen auf Kants System,
das die „Einheit der Zeit“62 behauptet? Demgegenüber führt im Hinblick auf
die allgemeine Relativitätstheorie hauptsächlich der gewandelte Raumbegriff
zu Kontroversen: Im 18. Jahrhundert waren in der Mathematik nichteuklidische Räume noch unbekannt, und die Beispiele, die Kant in der „Kritik der
reinen Vernunft“ zur Verdeutlichung anführt, beziehen sich auf die Verhältnisse innerhalb der euklidischen Geometrie. Zieht Einsteins Erkenntnis, daß
eine nichteuklidische Geometrie den physikalischen Raum im allgemeinen
geeigneter beschreiben kann, eine Beschränkung der von Kant beanspruchten
Allgemeingültigkeit nach sich, gelten die von Kant genannten „Bedingungen
der Möglichkeit der Erscheinungen“63 vielleicht nur für Erscheinungen im
Rahmen des Gültigkeitsbereiches der klassischen Physik?
Die Positionen, die in den diesbezüglichen Fragen bezogen werden, sind
denkbar extrem. Hans Reichenbach vertritt die Auffassung, daß Einstein mit
57
O. Schwemmer, Art. Kant, 357f.
Vgl. G. Patzig, Immanuel Kant: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? 10.
59
J. Kopper/W. Marx (Hg.), 200 Jahre Kritik der reinen Vernunft, 7 (Vorwort).
60
Ebd.
61
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XVI.
62
A.a.O., B 231, vgl. B 232: „Denn es ist nur Eine Zeit, in welcher alle verschiedenen Zeiten
nicht zugleich, sondern nacheinander gesetzt werden müssen“; vgl. dazu auch a.a.O., B 47.
Zur Kritik an den transzendentalen Aussagen der kantischen Philosophie im Anschluß an die
spezielle Relativitätstheorie vgl. P. Mittelstaedt, Philosophische Probleme der modernen
Physik, 16–45.
63
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 39.
58
73
der Relativitätstheorie auf die gleichen Fragen, mit denen sich Kant befaßt
habe, anders antworte. Kants Raumbegriff werde widerlegt, sein System sei
unhaltbar.64 Max Born bezweifelt, ob Kant seinen „Standpunkt beibehalten
hätte, wenn er etwas länger gelebt hätte“65 und ihm die Entwicklung nichteuklidischer Geometrien bekannt geworden wäre. Albert Einstein selbst erklärt
unumwunden, daß er „die Frage nach dem a priori im Sinne Kants niemals
[habe] begreifen können“66. Derart in die Defensive gedrängt wendet sich der
Kantherausgeber Raymund Schmidt gegen „die banalen Vorwürfe, welche
seit einiger Zeit von der Seite gewisser moderner mathematischer Physiker
gegen Kants Lehre von der Apriorität des Raumes und der Zeit vorgebracht
werden“67 und vertritt den Standpunkt, daß sich „Kants Überlegungen [...]
ohne jede Schwierigkeit auch auf die nichteuklidischen Sätze sowie auf jedes
andere mathematisch-physikalische Raumzeitschema übertragen [lassen], das
mit dem Anspruch auf Gültigkeit [auftrete]“68. Wilhelm K. Essler ist sogar der
Überzeugung, daß Kant ohne Zweifel selbst der Entdecker der speziellen wie
der allgemeinen Relativitätstheorie gewesen wäre, wenn er seine Gedanken
über Raum, Zeit und Bewegung in allen Details logisch-mathematisch analysiert hätte.69
Insgesamt ist bei dieser Kontroverse neben mangelhafter Sachkenntnis und
der damit verbundenen Unfähigkeit, sich auf die Argumentation des anderen
einzulassen, viel Polemik und Überheblichkeit festzustellen.70 Man kann
zuweilen den Eindruck gewinnen, es gehe dabei nicht so sehr um notwendige
gegenseitige Klärungen als vielmehr um einen vermeintlichen Prioritätenstreit
zwischen Philosophie und Physik, bei dem beide Seiten mit ihren hervorragendsten Vertretern Kant und Einstein gegeneinander zu Felde ziehen.
Dadurch wird diese Auseinandersetzung zu einem exemplarischen Fall der
gegenwärtigen Kommunikationsstörungen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften.
Tatsächlich wird hier aber auch beiden Seiten viel zugemutet. Philosophen
gestehen, daß Kants Hauptwerke „nicht nur zu den inhaltsreichsten, sondern
auch zu den schwierigsten der Weltliteratur“71 zu rechnen sind. Darüber
hinaus wird Kants Stil als langatmig, umständlich und gestelzt
charakterisiert.72 Auf der anderen Seite setzt ein auch mathematisch fundiertes
Verständnis der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie in der Regel
ein physikalisches oder mathematisches Fachstudium voraus. Die Vorausset64
Vgl. H. Reichenbach, Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, 143; vgl. 151.
M. Born, Philosophische Betrachtungen zur modernen Physik, 40.
66
A. Einstein, Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik, 229.
67
R. Schmidt (Hg.), Immanuel Kant. Die drei Kritiken, 104.
68
A.a.O., 105.
69
Vgl. W. K. Essler, Art. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 6267.
70
Vgl. dazu K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, 212–223.
71
H. J. Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, 392.
72
Vgl. C. Helferich, Geschichte der Philosophie, 185; vgl. G. Patzig, Immanuel Kant: Wie
sind synthetische Urteile a priori möglich? 11.
65
74
zungen für eine niveauvolle Auseinandersetzung sind damit außerordentlich
hoch gesteckt. Viel wäre freilich schon gewonnen, wenn in diesem interdisziplinären Austausch mangelndes Verständnis im Bereich der jeweils anderen
Disziplin nicht überspielt, vertuscht oder durch Polemik ersetzt werden
würde, sondern offen benannt werden könnte. Denn erst im sich ergänzenden
gemeinsamen Gespräch besteht Aussicht, die anstehenden komplexen Fragen
in gegenseitig verständlicher Weise beantworten zu können.
Dabei gelten gerade Kant und Einstein als Wissenschaftler, die um einen
fruchtbaren Austausch zwischen Philosophie und Physik besonders bemüht
sind. Kant ist über die Physik Newtons sehr gut informiert und erachtet deren
Wissenschaftlichkeit als vorbildlich. Einstein, der als „philosophierender
Physiker“73 bezeichnet wurde, bemerkt mehrfach, daß er durch die Lektüre
erkenntnistheoretischer Schriften wichtige Impulse für seine Theorie erhalten
habe, und er befaßt sich insbesondere in seinen späteren Jahren mit philosophischen Aspekten der Physik.
2. Kants Verhältnis zur Newtonschen Physik
Kant steht auf der Höhe der Physik seiner Zeit. An verschiedenen Stellen
spricht er mit größter Hochachtung von Newton und nennt dessen „Principia“
sogar ein „unsterbliches Werk“74. Darüber hinaus verfaßt Kant aber auch
eigene naturwissenschaftliche Werke, die heute zwar weitaus weniger
bekannt sind als seine kritischen Schriften, die aber auf ihrem Gebiet oft
wichtige Anstöße gaben. Mit Bezug auf diese fachwissenschaftlichen
Erkenntnisse gilt Kant „als ‚Vater der modernen Kosmologie‘, als Begründer
der Geographie als Wissenschaft sowie als Autorität auf den Gebieten der
Mathematik und der Geometrie; seine Arbeiten zur theoretischen Biologie,
zur theoretischen Physik, zur vergleichenden Geologie, zur Rassen-, Wüstenund Mondkunde sowie zur Theorie der Winde sind als grundlegend anerkannt
worden“75.
Von besonderem Interesse ist in unserem Zusammenhang Kants im Jahr 1755
veröffentlichtes vorkritisches Werk „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie
des Himmels“. Im Untertitel dieser Schrift bestimmt Kant sein Unternehmen
als „Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des
ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt“. Kant
entwickelt darin eine Geschichte des Universums unter mechanischem
Gesichtspunkt, wobei er von einem chaotischen Urzustand ausgeht:
„Ich nehme die Materie aller Welt in einer allgemeinen Zerstreuung an und mache aus
derselben ein vollkommenes Chaos. Ich sehe nach den ausgemachten Gesetzen der
Attraktion den Stoff sich bilden und durch die Zurückstoßung ihre Bewegung
modifizieren. Ich genieße das Vergnügen, ohne Beihülfe willkürlicher Erdichtungen, unter
73
74
75
F. Herneck, Einstein und sein Weltbild, 210.
I. Kant, Opus postumum. Erste Hälfte, 292.
J. Zehbe, Die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Philosophie Kants, VII.
75
der Veranlassung ausgemachter Bewegungsgesetze sich ein wohlgeordnetes Ganze erzeugen zu sehen, welches demjenigen Weltsystem so ähnlich siehet das wir vor Augen haben,
daß ich mich nicht entbrechen kann, es vor dasselbe zu halten.“ 76
Aus Newtons Gravitationsgesetz und den Bewegungsgesetzen, deren Gültigkeit Kant vorbehaltlos anerkennt, ergibt sich demnach die Geschichte des
Universums als ein notwendiger Prozeß. Kant übernimmt damit das mechanische Erklärungsmodell, das die Physik seiner Zeit prägt, und wendet es auf
die Kosmogonie an. Freilich gibt Kant zugleich auch seiner Überzeugung
Ausdruck, daß die Newtonsche Mechanik an Grenzen stoße und keine „Erklärung für alles“ leisten könne, wenn er betont, „daß eher die Bildung aller
Himmelskörper, die Ursach ihrer Bewegungen, kurz, der Ursprung der ganzen
gegenwärtigen Verfassung des Weltbaues, werde können eingesehen werden,
ehe die Erzeugung eines einzigen Krauts oder einer Raupe, aus mechanischen
Gründen, deutlich und vollständig kund werden wird.“77
An der Verehrung Newtons und an der Hochschätzung der Physik hält Kant
zeitlebens fest. Gerade auch in der „Kritik der reinen Vernunft“ nimmt er die
wissenschaftliche Exaktheit von Mathematik und Physik zum Maßstab für die
Metaphysik. Damit steht Kant in einer Linie mit René Descartes, der bereits
im Jahr 1637 in seinem „Discours de la Méthode“ die „mathematischen Disziplinen wegen der Sicherheit und Evidenz ihrer Beweisgründe“78 rühmt und
zugleich feststellt, daß es in der Philosophie noch nichts gebe, worüber nicht
gestritten werde und was folglich nicht zweifelhaft sei.79 Auch schon Descartes versucht darum eine an den mathematischen Wissenschaften orientierte
Neubegründung der Philosophie mit dem Ziel, sie auf ebenso „sichere und
vertrauenswürdige Fundamente“80 aufzubauen.
Die Relativitätstheorie relativiert die klassische Physik Newtons. Kant zieht
aber die Gesetze dieser Physik an keiner Stelle in Zweifel und beurteilt die
Wissenschaftlichkeit der „Physica“ sogar als vorbildlich für die in Frage
stehende Wissenschaftlichkeit der Metaphysik.81 Dies berechtigt zu der Frage,
ob die „Kritik der reinen Vernunft“ durch die moderne Physik in ihrer Aussagekraft eingeschränkt wird. Im folgenden wird zuerst Kants grundlegende
Fragestellung in der „Kritik der reinen Vernunft“ skizziert und kurz sein
Verständnis von Raum und Zeit als Formen reiner Anschauung erläutert. Im
Anschluß daran befassen wir uns mit einigen Fragen, die in Konsequenz der
allgemeinen Relativitätstheorie an Kants Konzeption gestellt werden müssen.
76
I. Kant, Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, A XXIII. Nach dem Urteil
von S. Sambursky, Der Weg der Physik, 357, nimmt Kant in dieser Schrift modernste kosmologische Entwicklungen vorweg.
77
A.a.O., A XXXV.
78
R. Descartes, Discours de la Méthode, 13.
79
Vgl. a.a.O., 15.
80
A.a.O., 13; vgl. 37, 53.
81
Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XII–XVI.
76
3. Raum und Zeit als Formen reiner Anschauung
Kants „Kritik der reinen Vernunft“ kann als Reaktion auf zwei einander
entgegengesetzte extreme Positionen verstanden werden. Auf der einen Seite
steht die traditionelle Metaphysik, die in keinem ihrer zentralen Themen Gott,
Freiheit und Unsterblichkeit zu sicheren Ergebnissen gelangen konnte, nichtsdestoweniger aber mit dogmatischer Selbstsicherheit auftritt, und auf der
anderen Seite steht ein radikaler Skeptizismus, der grundsätzlich die Möglichkeit sicherer Erkenntnis bezüglich metaphysischer Fragen leugnet.
In dieser Situation erachtet es Kant als notwendig, zuallererst die Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft zu untersuchen. Seine Kritik ist darum
eine Kritik des menschlichen Vernunftvermögens. Erst wenn die Grenzen
unserer Erkenntnisfähigkeit bekannt sind, kann über die Möglichkeit oder die
Unmöglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft entschieden werden. Die
gesamte „Kritik der reinen Vernunft“ stellt somit den Versuch dar, eine
umfassende Antwort auf die Reichweite menschlicher Erkenntnis zu geben.
Es erinnert an Newtons „hypotheses non fingo“82, wenn Kant dabei für seine
Untersuchungsergebnisse Gewißheit verlangt und jegliche Hypothesenbildung strikt ablehnt:
„Was nun die Gewißheit betrifft, so habe ich mir selbst das Urteil gesprochen: daß es in
dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sei, zu meinen und daß alles, was
darin einer Hypothese nur ähnlich sieht, verbotene Ware sei, die auch nicht für den
geringsten Preis feil stehen darf, sondern sobald sie entdeckt wird, beschlagen werden
muß.“83
Es sei schon viel gewonnen, schreibt Kant, wenn man seine Untersuchungen
unter die Formel einer einzigen Frage bringen könne. Als solche präzise
Frage, in der er die eigentliche Aufgabe enthalten sieht, formuliert Kant: „Wie
sind synthetische Urteile a priori möglich?“84 Zum Verständnis dieser Hauptfrage der „Kritik der reinen Vernunft“ muß erläutert werden, was Kant unter
„synthetischen Urteilen“ und unter „a priori“ versteht.
A priori: Kant zieht nicht in Zweifel, daß alle unsere Erkenntnis mit der
Erfahrung anfängt. Wenn aber auch alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung
anhebe, schreibt Kant, so entspringe sie darum doch nicht alle aus der Erfahrung:
„Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes
82
Vgl. I. Newton, Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, 230: “[.. .] und bloße
Hypothesen denke ich mir nicht aus. Was immer nämlich sich nicht aus den Naturerscheinungen ableiten läßt, muß Hypothese genannt werden, und Hypothesen, sei es metaphysische, sei
es physische, sei es solche über verborgene Eigenschaften, sei es solche über die Mechanik,
haben in der experimentellen Philosophie keinen Platz.“
83
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A XV.
84
A.a.O., B 19.
77
Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt
[...]“85.
Kants Interesse richtet sich dabei auf das, was „unser eigenes Erkenntnisvermögen aus sich selbst hergibt“. Derartige von der Erfahrung und von allen
Eindrücken der Sinne unabhängige Erkenntnisse nennt Kant Erkenntnisse a
priori und unterscheidet sie von empirischen Erkenntnissen, „die ihre Quellen
a posteriori, nämlich in der Erfahrung haben“86.
Synthetische Urteile: Beim analytischen Urteil erläutert und entfaltet das Prädikat nur den jeweiligen Begriff des Subjekts. „Ein Quadrat hat vier gleiche
Seiten“ ist ein analytisches Urteil, da im Begriff des Quadrats die vier
gleichen Seiten bereits enthalten sind. Bei synthetischen Urteilen hingegen
wird dem Begriff des Subjekts etwas hinzugefügt, was in diesem „gar nicht
gedacht war, und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden“87. Erst synthetische Urteile erweitern demnach unsere
Erkenntnis. „Alle Körper sind schwer“ nennt Kant als Beispiel für ein solches
„Erweiterungsurteil“. Das Schwersein ist „etwas ganz anderes, als das, was
ich in dem bloßen Begriff eines Körpers überhaupt denke“88. Da dieses Urteil
aber außerdem seine Quelle in der Erfahrung hat, ist es für Kant ein synthetisches Urteil a posteriori.
Kant fragt demnach in seiner Hauptfrage, wie Urteile möglich sind, die unsere
Erkenntnis erweitern und zugleich nicht aus der Erfahrung stammen. Kant
legt dar, daß derartige synthetische Urteile a priori in allen theoretischen
Wissenschaften enthalten sind. Dies gilt insbesondere für die Mathematik:
„Zuvörderst muß bemerkt werden: daß eigentliche mathematische Sätze jederzeit Urteile
a priori und nicht empirisch sind, weil sie Notwendigkeit bei sich führen, welche aus
Erfahrung nicht abgenommen werden kann.“89
Zugleich sind mathematische Sätze für Kant synthetisch, wie er am Beispiel 7
+ 5 = 12 zu erklären versucht. Weder in „7“ noch in „5“ ist die „12“
enthalten, „12“ ist also eine tatsächliche Erweiterung unserer Erkenntnis.
Auch den Grundsatz der reinen Geometrie, daß die gerade Linie zwischen
zwei Punkten die kürzeste sei, nennt Kant als Beispiel für einen synthetischen
Satz a priori.90
Von Interesse ist in unserem Zusammenhang überdies ein Beispiel, das Kant
als Beleg dafür angibt, daß neben der Mathematik auch die Naturwissenschaft
(Physica) synthetische Urteile a priori als Prinzipien in sich enthalte: In allen
Veränderungen der körperlichen Welt bleibe die Quantität der Materie unverändert. Weil die Erhaltung der Materie nicht im Begriff der Materie enthalten
ist, liegt eine synthetische Erkenntnis vor. Weil diese Erkenntnis überdies
85
86
87
88
89
90
A.a.O., B 1.
A.a.O., B 2.
A.a.O., B 11.
Ebd.
A.a.O., B 14.
Vgl. a.a.O., B 16.
78
notwendig ist, Erfahrungserkenntnis aber grundsätzlich nicht notwendig sein
kann, ist sie zugleich auch a priorisch:
„Der Satz ist also nicht analytisch, sondern synthetisch und dennoch a priori gedacht, und
so in den übrigen Sätzen des reinen Teils der Naturwissenschaft.“ 91
Die Erfolge von Mathematik und Naturwissenschaft beeindrucken Kant
offensichtlich stark. Die Mathematik, schreibt er, gebe uns ein glänzendes
Beispiel, wie weit wir es unabhängig von der Erfahrung in der Erkenntnis a
priori bringen können.92 Sie beschäftige sich dabei „mit Gegenständen und
Erkenntnissen bloß so weit, als sich solche in der Anschauung darstellen
lassen“93. Gegenstände werden uns aber vermittelt über die Sinnlichkeit
gegeben, denn allein diese liefert uns Anschauungen.94 Wie sollen aber a
priorische Erkenntnisse möglich sein, wenn wir bei Anschauungen unvermeidlich auf Sinnlichkeit angewiesen sind?
Kant unterscheidet zwischen empirischer und reiner Anschauung. Wenn ich
mir einen Ball vorstelle, so zählt seine Farbe, seine Härte, seine Größe usw.
zur empirischen Anschauung. Wenn ich nun von dieser empirischen Anschauung absehe, „so bleibt [...] noch etwas übrig“95, was Kant zur „reinen
Anschauung“ zählt. Diese reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinungen sei das einzige, „das die Sinnlichkeit a priori liefern kann“96. Als
Ergebnis von Kants Untersuchung ergibt sich, daß es zwei reine Formen der
Anschauung gibt, nämlich Raum und Zeit. Über den Raum schreibt Kant:
„Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zum
Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei,
ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen
werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als
eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die
notwendigerweise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt.“ 97
Indem Kant hier den Raum und im darauf folgenden Abschnitt die Zeit als
„Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen“ einführt, vollzieht er die
„kopernikanische Wendung“ der Erkenntnistheorie. Kant nimmt an, „[...]
unsere Vorstellung der Dinge, wie sie uns gegeben werden, richte sich nicht
nach diesen, als Dingen an sich selbst, sondern diese Gegenstände vielmehr,
als Erscheinungen, richten sich nach unserer Vorstellungsart“.98 Aus dieser
Perspektive erweisen sich Raum und Zeit „als Bedingungen der Existenz der
91
A.a.O., B 18. Vgl. I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A 116:
„Bei allen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die Quantität der Materie im Ganzen
dieselbe, unvermehrt und unvermindert.“
92
Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 8.
93
Ebd.
94
Vgl. a.a.O., B 33.
95
A.a.O., B 35.
96
A.a.O., B 36.
97
A.a.O., B 38f.
98
A.a.O., B XX.
79
Dinge als Erscheinungen“99. Auf Erkenntnisse über Dinge an sich, die hinter
den Erscheinungen liegen mögen, wird verzichtet. Aber unabhängig von jeder
Erfahrung und damit a priorisch kann ausgesagt werden, daß alles, was uns
anschaulich erscheinen will, uns in den reinen Anschauungsformen von Raum
und Zeit erscheinen muß.
Auf diesem Wege löst sich für Kant auch die Frage, warum die Mathematik
synthetischer Urteile a priori fähig ist. Raum und Zeit sind „zwei Erkenntnisquellen, aus denen a priori verschiedene synthetische Erkenntnisse geschöpft
werden können“100. In diesem Zusammenhang verweist Kant noch einmal auf
die grundsätzliche Einschränkung derartiger Erkenntnis: „Aber diese Erkenntnisquellen a priori bestimmen sich eben dadurch (daß sie bloß Bedingungen
der Sinnlichkeit sind) ihre Grenzen, nämlich, daß sie bloß auf Gegenstände
gehen, sofern sie als Erscheinungen betrachtet werden, nicht aber Dinge an
sich selbst darstellen.“101
4. Fragen an Kants Ansatz aus Perspektive der Relativitätstheorie 102
Der vorangegangene Abschnitt kann und will nicht den Anspruch erheben,
Kants erkenntnistheoretischen Ansatz umfassend dargestellt zu haben. Wohl
aber kann jetzt gezeigt werden, welche Schwierigkeiten sich schon hier ergeben, wenn man Kants Ausführungen aus der Sicht der Relativitätstheorie
verstehen und beurteilen will.
Zur Verdeutlichung welche Fragen sich insbesondere vor dem Hintergrund
der allgemeinen Relativitätstheorie stellen, soll zunächst noch einmal ein
Absatz aus Kants transzendentaler Erörterung des Raumbegriffs zitiert
werden:
„Geometrie ist eine Wissenschaft, welche die Eigenschaften des Raumes synthetisch und
doch a priori bestimmt. Was muß die Vorstellung des Raumes denn sein, damit eine solche
Erkenntnis von ihm möglich sei? Er muß ursprünglich Anschauung sein; denn aus einem
bloßen Begriffe lassen sich keine Sätze, die über den Begriff hinausgehen, ziehen, welches
doch in der Geometrie geschieht [...]. Aber diese Anschauung muß a priori, d. i. vor aller
Wahrnehmung eines Gegenstandes, in uns angetroffen werden, mithin reine, nicht empirische Anschauung sein. Denn die geometrischen Sätze sind insgesamt apodiktisch, d. i. mit
dem Bewußtsein ihrer Notwendigkeit verbunden, z. B. der Raum hat nur drei Abmessungen; dergleichen Sätze aber können nicht empirische oder Erfahrungsurteile sein, noch aus
ihnen geschlossen werden [...].“ 103
Im Zusammenhang von Kants Gedankengang gelesen sind diese Sätze
einleuchtend und stimmig. Liest man diesen Absatz dagegen vor dem Hintergrund der allgemeinen Relativitätstheorie, so ergeben sich Fragen, die aus
99
A.a.O., B XXV.
A.a.O., B 55.
101
A.a.O., B 56.
102
Vgl. dazu P. Mittelstaedt, Philosophische Probleme der modernen Physik, 16–99.
103
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 40f.
100
80
Kants Perspektive nicht mehr ohne weiteres beantwortet werden können.
Geometrie bestimme die Eigenschaften des Raumes a priorisch und synthetisch – von welchem Raum ist hier die Rede? Von einem durch die euklidischen Axiome festgelegten geometrischen Raum? Vom physikalischen Raum,
der aber nicht notwendig euklidisch beschrieben werden muß? Welcher
Geometrie gehorcht „die Vorstellung des Raumes“, die reine Anschauung ist?
Die geometrischen Sätze sind „apodiktisch, d. i. mit dem Bewußtsein ihrer
Notwendigkeit verbunden“ – notwendig sicherlich in Bezug auf das jeweils
zugrunde liegende Axiomensystem, aber nicht notwendig in Bezug auf die
physikalischen Erscheinungen. So gilt bei Kant der geometrische Satz, „daß
die gerade Linie zwischen zwei Punkten die kürzeste sei“104 als Beispiel für
ein synthetisches Urteil a priori. Im Raum einer euklidischen Geometrie ist
diese Aussage korrekt, aber eben nicht mehr in der physikalischen Raum-Zeit,
die der allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde liegt. Ein anderes Beispiel:
Die Dreidimensionalität des Raumes ist für Kant zwar eine notwendige
Erkenntnis – aber nicht aufgrund von Erfahrung, denn dann würde man „nur
sagen können, so viel zur Zeit noch bemerkt worden, ist kein Raum gefunden,
der mehr als drei Abmessungen hätte“105, wie es in der ersten Auflage der
„Kritik der reinen Vernunft“ heißt. Aber gestatten die apriorischen Sätze der
Geometrie überhaupt eine Aussage darüber, welcher Raum „gefunden“
werden kann?
Sind Kants Beispiele nur falsch gewählt? Läßt sich Kant ohne größere
Eingriffe korrigieren, indem man hier entsprechende Beispiele aus der „richtigen“ Riemannschen Geometrie auswählt, auf die die allgemeinen Relativitätstheorie aufbaut? Selbst wenn man hier Kant ergänzt, korrigiert oder einer
Revision unterzieht106 und apriorische Sätze und entsprechende Beispiele
dieser nichteuklidischen Riemannschen Geometrie zugrunde legt, so ist der
Raum der Physik keineswegs notwendigerweise, sondern nur zweckmäßigerweise dieser Riemannsche Raum.107
Alle die in diesem Abschnitt aus Sicht der modernen Physik gestellten Fragen
sind im Hinblick auf Kant eigentlich unangemessen. Kant setzt es – wie nicht
anders zu erwarten – als selbstverständlich voraus, daß sich die zu seiner Zeit
konkurrenzlose euklidische Geometrie in den physikalischen Erscheinungen
unbestreitbar bestätigt findet. Er hatte keinerlei Anlaß, eine andere Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen. Es wäre darum in der Tat beckmesse104
A.a.O., B 16.
A.a.O., A 24 (fehlt in B).
106
Vgl. z. B. E. Cassirer, Zur Einsteinschen Relativitätstheorie, 85–87, 98–103, oder auch S.
Körner, Kant, 27.
107
Aufgrund des apriorischen Systems einer Geometrie läßt sich überhaupt keine Aussage
machen über den physikalischen Raum. Aus dem reichlichen Angebot verschiedener
Geometrien wählt der Physiker diejenige aus, die ihm für seine Zwecke am geeignetsten
erscheint. Im Fall der allgemeinen Relativitätstheorie ist das die Geometrie, in der sich die
Naturgesetze am einfachsten darstellen lassen. Vgl. die diesbezügliche Kritik von P. Mittelstaedt an E. Cassirer (P. Mittelstaedt, Philosophische Probleme der modernen Physik, 59f,
Anm. 5).
105
81
risch, sich mit den verschiedenen Unstimmigkeiten zwischen Kants und
Einsteins Theorien zu befassen – wenn Kant nicht mit dem Anspruch antreten
würde, die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung zu bestimmen und
wenn nicht immer wieder die tatsächlichen Unstimmigkeiten geleugnet oder
verharmlost werden würden, um Kants Ansatz unangetastet lassen zu können.
Die meisten bislang nicht zufriedenstellend beantworteten Anfragen von
Seiten der modernen Physik an Kants Entwurf ergeben sich aus der Tatsache,
daß die rasante Entwicklung von Mathematik, Physik und auch Psychologie
im 19. und 20. Jahrhundert ein differenzierteres Verständnis von Raum und
Zeit notwendig macht.108 Heute unterscheidet man hinsichtlich des Raumes
die psychologische Raumanschauung vom physikalischen Raum der uns
umgebenden Welt und letzteren wieder von den unendlich vielen geometrisch
möglichen Räumen. Kant spricht statt dessen stets vom „Raum“, von der
„Einheit des Raumes“ usw., und mehrfach entstehen Unklarheiten bereits
dadurch, daß aus heutiger Sicht nicht eindeutig ist, welcher Raum von Kant
denn nun gemeint ist. Denn was zum Beispiel im Rahmen eines bestimmten
mathematischen Raumes apodiktische Gültigkeit besitzt, muß sich keineswegs auch im physikalischen Raum als gültig erweisen.
Angesichts dieser berechtigten Einwände sehen sich vor allem auf Seiten der
Neukantianer einige Philosophen dazu genötigt, die „Kritik der reinen
Vernunft“ gegenüber den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen dadurch zu
verteidigen, daß sie Kants Gedanken ergänzen, anpassen oder kurzerhand
gegen jede neue wissenschaftliche Erkenntnis zu immunisieren versuchen.109
Derartige Ausbesserungen und Immunisierungen des bereits sehr differenzierten kantischen Systems erscheinen aus heutiger Perspektive fragwürdig.
Zurecht wird „im allgemeinen die Kantsche Philosophie als eine Grundlegung
der Newtonschen Physik “110, als das „für unerschütterlich gehaltene Fundament der klassischen Physik“111 interpretiert. In vorbildlicher Weise gibt Kant
mit der „Kritik der reinen Vernunft“ und mit der fünf Jahre später veröffentlichten Schrift „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ eine
philosophische Antwort auf die vorangegangene naturwissenschaftliche
Entwicklung. Anstatt Kants Werk notdürftig auszubessern, damit es auch der
modernen Naturwissenschaft noch angemessen sei, wäre es m. E. an der Zeit,
eine philosophische Grundlegung der modernen Physik auszuarbeiten, die im
Anschluß an Kant für die moderne Physik leistet, was dieser für die klassische
Physik geleistet hat.
108
Vgl. K. Jaspers, Die großen Philosophen, 421.
Zu den verschiedenen Immunisierungs- bzw. Revisionsstrategien des Neukantianismus
vgl. K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie, 212–239.
110
I. Strohmeyer, Transzendentalphilosophische Raum-Zeit-Lehre, 111 (Hervorhebung vom
Verf.).
111
K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, 317 (Hervorhebung vom Verf.); vgl. dazu auch
H.-D. Mutschler, Die Welterklärung der Physik und die Lebenswelt des Menschen, 59, der
Kants „Kritik der reinen Vernunft“ als eine „Metatheorie der Newtonschen Physik“ bewertet.
109
82
Im Rahmen vorliegender Arbeit soll und kann aber nicht darüber entschieden
werden, ob Kants erkenntnistheoretischer Ansatz durch die moderne Physik
nun endgültig überholt ist. Auch Kritiker verweisen darauf, daß es wesentliche Gedanken der „Kritik der reinen Vernunft“ für eine heutige Deutung der
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu bewahren gelte. Trotz gewichtiger
Einwände gegen Kants Theorie beurteilt es beispielsweise Günther Patzig als
Kants epochemachende Entdeckung, „daß an allem unserem Erfahrungswissen apriorische Elemente beteiligt sein müssen“112, und auch Karl Jaspers
stellt fest, daß die heute vorgebrachten Widerlegungen nicht Kants „philosophischen Grundgedanken von der Erscheinungshaftigkeit des sinnlichen
Daseins in Raum und Zeit [treffen]“113, da alles, was als Realität erkannt
werde „in irgendwelche [sic] apriorisch erkennbare mathematische Formen
eintreten [müsse]“114.
Auch gegenüber der modernen Physik kann man mit Kant jedenfalls darauf
bestehen, daß unserer Erkenntnis die Wirklichkeit „an sich“ nicht zugänglich
ist. Wir können „von keinem Gegenstande als Dinge an sich selbst, sondern
nur sofern es Objekt der sinnlichen Anschauung ist, d. i. als Erscheinung,
Erkenntnis haben“115. Insbesondere können wir die Gegenstände physikalischer Erkenntnis immer nur als Erscheinung haben. Diese Grenze bleibt auch
der modernen Physik gezogen – was insbesondere die Theologen bedenken
sollten, die heute versuchen einzelne physikalische Erkenntnisse unmittelbar
metaphysisch in Anspruch zu nehmen.
Auf diese grundsätzlich den Naturwissenschaften gezogene Grenze bezieht
sich denn auch die Kritik Kants an der von ihm inhaltlich ansonsten voll
akzeptierten Newtonschen Physik. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß
Newton einen absoluten Raum und eine absolute Zeit zugrunde legt. Für Kant
sind Raum und Zeit „reine Formen der Anschauung“, die den Objekten selbst
vorhergehen:
„Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich
zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut würden, oder sind sie solche, die nur
an der Form der Anschauung allein haften, und mithin an der subjektiven Beschaffenheit
unseres Gemüts, ohne welche diese Prädikate gar keinem Dinge beigelegt werden
können?“ 116
112
G. Patzig, Immanuel Kant: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? 67. „Aber daß
es nur ein einziges System solcher apriorischer Elemente geben könne und dies durch die
Natur unseres Erkenntnisvermögens ein für alle Mal festgelegt sei“, so fährt Patzig ebd. fort,
„hat sich als eine viel zu kühne und optimistische Behauptung erwiesen.“
113
K. Jaspers, Die großen Philosophen, 421.
114
Ebd. Die Frage ob und ggf. wie synthetische Urteile a priori im Sinne Kants möglich sind,
ist mit dieser Formulierung Jaspers noch offen gelassen. Vor allem mit dieser Frage befaßt
sich der Logische Positivismus (vgl. 3. Kap. V. vorliegender Arbeit).
115
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XXVI.
116
A.a.O., B 37f (Hervorhebung vom Verf.).
83
Kant entscheidet sich für die letztere Möglichkeit. Er verneint damit die
Erkenntnis einer unabhängigen Existenz von Raum und Zeit „an sich“ – und
muß darum auch die newtonsche Vorstellung eines absoluten Raumes und
einer absoluten Zeit an sich zurückweisen. Diejenigen, die wie Newton „die
absolute Realität des Raumes und der Zeit behaupten [...], [müssen] mit den
Prinzipien der Erfahrung selbst uneinig sein“117. Denn, schreibt Kant im
Hinblick auf die „Partei der mathematischen Naturforscher“, sie müssen
„zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge (Raum und Zeit)
annehmen, welche da sind (ohne daß doch etwas Wirkliches ist), nur um alles
Wirkliche in sich zu befassen“118.
Im übrigen spricht sich Kant auch in den „Metaphysischen Anfangsgründen
der Naturwissenschaft“ (1786) gegen die Existenz eines absoluten Raumes
aus, akzeptiert diesen dort aber als eine für die Naturwissenschaften notwendige Idee.119 Eine Bewegung gegen den absoluten Raum, die Newton
aufgrund zweier Experimente irrtümlich als erwiesen betrachtete, muß Kant
freilich auch hier als „Paradoxon“120 erscheinen. Ernst Mach, ansonsten
bedacht, sich von „Kantschen Traditionen“121 abzuheben, verneint später als
erster aus physikalischen Gründen die Beweiskraft der Experimente Newtons
und schließt sich Kants Kritik an absoluter Zeit, absolutem Raum und absoluter Bewegung an. Darum schon von „der Vermittlung kantischer Überlegungen durch Ernst Mach an Einstein“122 zu sprechen, scheint in diesem
Zusammenhang allerdings etwas hoch gegriffen.
Es ist Kants Absicht, in der „Kritik der reinen Vernunft“ zu untersuchen, ob
und gegebenenfalls wie Metaphysik als Wissenschaft möglich ist. Dies führt
Kant zu der grundlegenden Frage, wie synthetische Urteile a priori möglich
sind; daß solche Urteile möglich sind, versucht Kant insbesondere aufgrund
von Beispielen aus Geometrie und Physik aufzuzeigen. Diese Beispiele halten
aber vor den Erkenntnissen der modernen Physik nicht stand. Darf dies als
Hinweis darauf gewertet werden, daß Geometrie und Physik grundsätzlich
keine synthetischen Urteile a priori enthalten können? Was würde es für die
weitergehende Frage nach der Möglichkeit der Metaphysik als Wissenschaft
besagen, wenn Geometrie und Physik als Fundgruben vorbildlicher Beispiele
ausfallen würden? Ist damit auch schon die Unmöglichkeit aller synthetischen Urteile a priori erwiesen?
Mit diesen Fragestellungen befassen sich, wie im folgenden Abschnitt gezeigt
werden wird, die Vertreter des Logischen Positivismus. Bereits jetzt soll aber
festgehalten werden, daß sich vor dem Hintergrund der modernen Physik
117
A.a.O., B 56.
Ebd. (Klammern von Kant); vgl. ders., Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A 3f.
119
Vgl. I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A 1ff, 149; vgl. dazu
I. Strohmeyer, Transzendentalphilosophische und physikalische Raum-Zeit-Lehre, 102–111.
120
I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A 144.
121
E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, IX.
122
J. Zehbe, Die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Philosophie Kants, XV.
118
84
einige grundsätzliche Fragen an Kants Konzept ergaben. Sofern die Theologie
heute akzeptieren könnte, daß eine „Kritik der reinen Vernunft“, die Grenzen
und Möglichkeiten menschlicher Vernunfterkenntnis absteckt, vor jedem
metaphysischen Entwurf vollzogen werden muß, sollte sie die Auseinandersetzung um diese Fragen zumindest mit Aufmerksamkeit verfolgen. Dies wäre
zweifellos ein lohnenderes Unterfangen als ohne Ansehen der von Kant
bezeichneten und schwerlich bestreitbaren Grenzen jeder Vernunfterkenntnis
immer wieder aufs Neue die gerade aktuellen physikalischen Entdeckungen
auf irgendwelche unmittelbaren metaphysischen Implikationen hin zu befragen.
5. Gewißheit aus Anschauung und Unanschaulichkeit der Relativitätstheorie
In Kants Erkenntnislehre kommt der „Anschauung“ zentrale Bedeutung zu.
So beginnt auch der erste Teil der „Kritik der reinen Vernunft“ mit der
Feststellung:
„Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar
bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. [...] Alles Denken
aber muß sich, es sei geradezu (direkte) oder im Umschweife (indirekte), vermittelst
gewisser Merkmale, zuletzt auf Anschauungen, mithin, bei uns, auf Sinnlichkeit beziehen,
weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann.“ 123
Für Kant wird beispielsweise der geometrische Satz, „daß in einem Triangel
zwei Seiten zusammen größer sind, als die dritte, [...] aus der Anschauung
und zwar a priori mit apodiktischer Gewißheit abgeleitet“124. Der Begriff der
Anschauung besitzt eine lange philosophische Tradition und tritt dabei in
unterschiedlichen, zum Teil einander widersprechenden Bedeutungen auf.
Weitgehend übereinstimmend aber gilt das, was „anschaulich“ vorgestellt
werden kann, als unmittelbar einleuchtend. Die Überzeugungskraft dessen,
was „angeschaut“ werden kann, spiegelt sich auch in der Sprache wider: es ist
„offensichtlich“, „einsichtig“, „augenscheinlich wahr“, „evident“. Unbestreitbar hängt das, was man gemeinhin als „anschaulich“ bezeichnet, auch von
Gewöhnung ab und ist durch gesellschaftliche, wissenschaftshistorische und
individuelle Faktoren mitbedingt. Man ist zum Beispiel nun eben gewohnt,
das Verhalten der Dinge im dreidimensionalen Raum und in der Zeit zu
erleben. Soweit nun diese Dinge derart in Raum und Zeit dargestellt werden
können, sind sie zugleich auch anschaulich vorstellbar. Die Newtonsche
Mechanik entspricht (inzwischen) unserer Gewöhnung und kommt unserem
Bedürfnis nach Anschaulichkeit weitgehend entgegen:
„Die klassische Mechanik, die es mit der Bewegung und der mechanischen Wechselwirkung von Körpern im dreidimensionalen euklidischen Raum und in der absoluten Zeit zu
123
124
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 33.
A.a.O., B 39.
85
tun hatte und die Gesetze dieser Bewegung und Wechselwirkung erforschte, war das
Musterbeispiel einer anschaulichen Theorie. Auch andere klassische physikalische Theorien, wie die Thermodynamik, die physikalische Statistik und die Elektrodynamik sind
ungeachtet ihrer Kompliziertheit im Prinzip anschauliche Theorien.“125
Solche Anschaulichkeit eignet der Relativitätstheorie nicht mehr. Konstanz
der Lichtgeschwindigkeit unabhängig vom Bezugssystem, Relativierung der
Gleichzeitigkeit, Bezugssystemabhängigkeit von Längenverhältnissen und
Zeitintervallen, relativistische Massenveränderlichkeit und „gekrümmte
Räume“ sind anschaulich nicht vorstellbar. Heutige Naturwissenschaftler
haben sich zwar längst an diese Konsequenzen der Relativitätstheorie
gewöhnt, es ist ihnen geradezu selbstverständlich geworden, damit umzugehen, aber genauso selbstverständlich verzichten sie in diesem Zusammenhang
auch auf anschauliche Vorstellungen. Physikalische Erscheinungen können
einsichtig sein, ohne anschaulich zu sein, und umgekehrt kann Anschaulichkeit – Kants Beispiele zeigen es – sehr wohl in die Irre führen. Weil sich die
anschauliche klassische Mechanik als ein spezieller Grenzfall der unanschaulichen Relativitätstheorie erwies, wurde von manchen die Unanschaulichkeit
sogar zum „Prinzip“ der modernen Physik erhoben.
Im Rahmen der modernen Physik hat, beginnend mit der Einsteinschen
Relativitätstheorie, eine auf unmittelbarer Anschauung beruhende Gewißheit
ihre Überzeugungskraft verloren. Eine physikalische Theorie muß in sich
stimmig und an den Erscheinungen überprüfbar, aber nicht anschaulich sein.
An die Stelle anschaulicher Vorstellungen sind abstrakte, unanschauliche
Strukturen und Gesetze getreten. Gerade dies zählt Bertrand Russell auch zu
den bleibenden philosophischen Konsequenzen der Relativitätstheorie:
„Was wir über die physikalische Welt wissen, ist viel abstrakter, als man früher annahm.
[...] Wir interpretieren die Welt von Natur aus bildlich; das heißt, wir stellen uns vor, daß
die Vorgänge mehr oder weniger dem gleichen, was wir sehen. Aber in Wirklichkeit kann
sich diese Gleichheit nur auf bestimmte formale logische Eigenschaften erstrecken, die die
Struktur ausdrücken, so daß alles, was wir wissen können, gewisse allgemeine Merkmale
ihrer Veränderungen sind.“ 126
Russell hält es für wahrscheinlich, daß der Prozeß, bei dem von allem, was
nur anschauliche Vorstellung ist, abstrahiert werden muß, um zum Kern
wissenschaftlicher Erkenntnis vorzudringen, noch nicht abgeschlossen ist:
„Die Relativitätstheorie hat auf diesem Gebiet vieles geleistet und uns dabei der nackten
Struktur immer näher gebracht, die das Ziel des Mathematikers ist – nicht weil sie das
einzige ist, wofür er sich als menschliches Wesen interessiert, sondern weil sie das einzige
ist, was er in mathematischen Formeln ausdrücken kann. Aber so weit wir die Abstraktion
schon getrieben haben: es kann sein, daß wir darin noch weiter gehen müssen.“ 127
Es wird sich zeigen, daß die Quantentheorie hinsichtlich Unanschaulichkeit
und Abstraktion noch weit über die Relativitätstheorie hinausgeht. Wenn
125
G. Kröber, Art. Anschaulichkeit, 78.
B. Russell, Das ABC der Relativitätstheorie, 170.
127
A.a.O., 171.
126
86
Hans Reichenbach im Jahr 1924 schließlich sogar noch einen Weg sehen
konnte, „in der physikalischen Welt der allgemeinen Relativitätstheorie
Anschaulichkeit zu finden“128, so dürfte dies in Bezug auf die zu eben dieser
Zeit weiter ausgearbeitete Quantenphysik gewiß nicht mehr zutreffen.
V. Relativitätstheorie und Logischer Positivismus
1. Neue Brücken zwischen Physik und Philosophie
Die Relativitätstheorie veranlaßt zum einen, wie bereits erwähnt, viele Physiker zu einer grundsätzlichen Reflexion über ihre Wissenschaft und deren
Erkenntnismethoden; zum anderen geht aber darüber hinaus in den ersten drei
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von den neuen Entwicklungen in Physik und
Mathematik ein mächtiger Impuls auf die Philosophie aus.129 Diesem Impuls
verdankt sich eine bis heute an Einfluß kaum zu unterschätzende philosophische Strömung, die unter den Namen Logischer Positivismus, Neopositivismus, Kritischer Empirismus oder Wissenschaftliche Philosophie bekannt
wird. Diese Richtung entwickelt sich vornehmlich in den zwanziger und
dreißiger Jahren im „Wiener Kreis“ um Max Schlick und etwas später in der
Berliner „Gesellschaft für Empirische Philosophie“, bei der Hans Reichenbach maßgebliche Bedeutung zukommt.130
In beiden Gruppen spielen Physiker die dominierende Rolle. Schlick promovierte im Jahr 1904 mit einer Arbeit „Über die Reflexion des Lichtes in einer
inhomogenen Schicht“ bei Planck und wird 1922 auf den Wiener Lehrstuhl
für Philosophie der induktiven Wissenschaften berufen, der 1895 für Ernst
Mach errichtet und später von Ludwig Boltzmann übernommen wurde.
Schlick steht in Austausch mit führenden Vertretern von Physik und Mathematik wie Planck, Einstein und dem Mathematiker David Hilbert. Im Wiener
Kreis, der im Jahr 1929 erstmals mit einer gemeinsamen Veröffentlichung
hervortritt,131 sind überdies noch weitere Physiker und Mathematiker sowie
128
H. Reichenbach, Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre, 156.
K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie, 196–504, befaßt sich mit mehr als zehn philosophischen Richtungen, die
sich an einer Deutung der Relativitätstheorie versuchen: Neukantianismus, Kritischer
Rationalismus, Husserlsche Phänomenologie, Fiktionalismus, Konventionalismus, Logischer
Empirismus, Operationalismus, Lebensphilosophie u. a.. Der sorgfältige Vergleich der
verschiedenen Interpretationen durch K. Hentschel kommt zu dem Ergebnis, daß „insgesamt
der logische Empirismus, also namentlich Schlick und Reichenbach, die angemessenste
Deutung vorlegten“ (a.a.O., 573).
130
Vgl. zur Geschichte der Wiener Kreises V. Kraft, Der Wiener Kreis, 1–10; R. Carnap,
Mein Weg in die Philosophie, 32–53; sowie R. Hegselmann, Wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis, 70–72.
131
Vgl. H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 299–336.
129
87
mathematisch und naturwissenschaftlich geschulte Philosophen vertreten: der
damalige Privatdozent Rudolf Carnap, der theoretische Physiker und Nachfolger Einsteins an der Deutschen Universität in Prag Philipp Frank, die Mathematiker Kurt Gödel, Hans Hahn und Karl Menger, ferner Otto Neurath,
Herbert Feigl und Victor Kraft. Auch Hans Reichenbach kommt von der
Physik und bleibt durch seine Vorlesungen und Forschungsarbeiten in Berlin
in engem Kontakt mit den neuen physikalischen Entwicklungen.
Sowohl im Wiener Kreis als auch innerhalb der Berliner Gruppe kommt bei
der Formulierung des eigenen philosophischen Standorts der Relativitätstheorie eine besondere Bedeutung zu. Dies zeigt bereits ein kurzer Blick auf
einige Titel der Veröffentlichungen, die von dieser Seite vorgelegt wurden:
Im Jahr 1915 schreibt Schlick über „Die philosophische Bedeutung des
Relativitätsprinzips“, 1917 über „Raum und Zeit in der gegenwärtigen
Physik“ und 1922 über „Die Relativitätstheorie in der Philosophie“. Reichenbach befaßt sich mit „Relativitätstheorie und Erkenntnis a priori“ (1920), mit
einer „Axiomatik der relativistischen Raum-Zeit-Lehre“ (1924) und schreibt
eingehend über „Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie“132.
Carnaps Dissertation „Der Raum“ (1921) handelt von den unterschiedlichen
Theorien über das Wesen des Raumes, die von Mathematikern, Philosophen
und Physikern vertreten werden.
Die Schwierigkeiten, die Carnap bei der Suche nach einem „Doktorvater“
überwinden muß, decken Widerstände auf, die den „Logischen Empiristen“
auch später immer wieder begegnen. So lobt der Physiker Max Wien Carnaps
Projektidee, verweist ihn aber an die philosophische Fakultät. Dort ist man
wiederum der Ansicht, daß dieses Thema eher in die Physik gehöre. In seinem
biographischen Rückblick schreibt Carnap:
„Die Erfahrung mit meinem Dissertationsthema, das weder in die Physik noch in die
Philosophie zu passen schien, machte mir erstmals klar, mit welchen Schwierigkeiten ich
in Zukunft ständig zu rechnen hatte. Wenn jemand an den Grenzbereichen verschiedener
Gebiete interessiert ist, die nach der üblichen akademischen Fächeraufteilung zu verschiedenen Fakultäten gehören, wird er nicht, wie er es vielleicht erwartet, als Brückenbauer
begrüßt, sondern von beiden Seiten eher als Außenseiter und lästiger Eindringling
angesehen.“133
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und der Ermordung
Schlicks an der Wiener Universität (1936) findet der Wiener Kreis ein abruptes Ende. Viele Vertreter des Logischen Positivismus fliehen in die Vereinigten Staaten und nach Großbritannien.134 Nach dem Zweiten Weltkrieg
entwickeln sie dort ihre Ideen insbesondere im Rahmen der modernen
Wissenschaftstheorie und der analytischen Philosophie weiter.
132
Vgl. H. Reichenbach, Gesammelte Werke, Bd. 2 (Philosophie der Raum-Zeit-Lehre) und
Bd. 3 (Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie).
133
R. Carnap, Mein Weg in die Philosophie, 18.
134
Zur Emigrationsgeschichte des Wiener Kreises vgl. R. Hegselmann, Wissenschaftliche
Weltauffassung. Der Wiener Kreis, 73–78.
88
Im folgenden soll aufgezeigt werden, aus welchem Grund im Rahmen des
Logischen Positivismus der Relativitätstheorie eine zentrale Bedeutung
zukommt. Dazu ist vorgängig eine kurze Charakteristik der philosophischen
Ausrichtung des Wiener Kreises und der Berliner Gruppe um Reichenbach
notwendig.
2. Charakteristika des Logischen Positivismus
Der Logische Positivismus darf nicht als eine geschlossene und einheitliche
philosophische Lehrmeinung aufgefaßt werden. Gerade der Wiener Kreis
stellt eine Gruppe von eigenständigen und eigenwilligen Denkern dar, denen
jeglicher uniforme Dogmatismus abhold ist. Es gibt einen „radikalen“ Flügel,
vertreten insbesondere durch Otto Neurath, der auch pragmatisch-politische
Argumente in die philosophischen Diskussionen einzubringen versucht, und
eine gemäßigte Richtung, der Max Schlick und Rudolf Carnap zuzurechnen
sind.135 Dennoch bemühen sich die Mitglieder des Wiener Kreises das sie
Verbindende in den Vordergrund zu rücken, um so eine fruchtbare Zusammenarbeit zu ermöglichen. Als diese verbindende Grundrichtung nennt die
erste öffentliche Selbstdarstellung des Wiener Kreises die „wissenschaftliche
Weltauffassung“.136 Diese Weltauffassung ist gekennzeichnet durch eine
empirische und zugleich antimetaphysische Ausrichtung (a), ferner durch die
an der Mathematik und der modernen Physik orientierte Methode der
logischen Analyse (b) und schließlich durch das angestrebte Ziel einer
Einheitswissenschaft (c).
a) Empirische und antimetaphysische Ausrichtung
Der Wiener Kreis knüpft an die Bemühungen von Ernst Mach an, die Naturwissenschaften und in erster Linie die Physik von metaphysischen Elementen
zu reinigen und auf rein empirische Grundlagen zu stellen. In dieser Absicht
unterzog Mach Newtons Vorstellungen von absolutem Raum und absoluter
Zeit einer eingehenden Kritik.137 Mach forderte, daß physikalische Gesetze so
formuliert werden müssen, daß man sie durch direkte experimentelle Beobachtungen oder wenigstens durch eine kurze Gedankenkette in Verbindung
mit direkten Beobachtungen verifizieren kann. „Es gibt nur Erfahrungserkenntnis, die auf dem unmittelbar Gegebenem beruht“138, heißt es entspre135
„Wir alle im Kreis waren an sozialem und politischem Fortschritt stark interessiert“,
schreibt Carnap, Mein Weg in die Philosophie, 36, im Rückblick auf den Wiener Kreis. „Die
meisten von uns, ich eingeschlossen, waren Sozialisten. Aber wir wollten unsere philosophische Arbeit von unseren politischen Zielen getrennt halten.“
136
Vgl. Anm. 131.
137
Vgl. E. Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 179–271.
138
H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 307.
89
chend in der Anfangszeit des Wiener Kreises. Dies wird später etwas
abgemildert, wenn Philipp Frank formuliert:
„Wie immer auch die grundlegenden Symbole und die Gesetze ihrer Kombination
beschaffen sein mögen, es muß logische Schlüsse von diesen Prinzipien aus geben, die mit
der direkten Erfahrung konfrontiert werden können.“ 139
Ist eine derartige Kombination oder Ableitung nicht möglich, so handelt es
sich bei den Prinzipien um „sinnlose“ Sätze oder Begriffe, denen kein
Erkenntniswert in Bezug auf die Wirklichkeit zukommen kann. Damit ist für
den Logischen Positivismus zugleich auch eine Grenze für den Inhalt legitimer Wissenschaft gezogen.140 Es gebe eine scharfe Grenze zwischen zwei
Arten von Aussagen, heißt es dazu in der Programmschrift des „Wiener
Kreises“:
„Zu der einen gehören die Aussagen, wie sie in der empirischen Wissenschaft gemacht
werden; ihr Sinn läßt sich feststellen [...] durch Rückführung auf einfachste Aussagen über
empirisch Gegebenes. Die anderen Aussagen [...] erweisen sich als völlig bedeutungsleer,
wenn man sie so nimmt, wie der Metaphysiker sie meint.“141
Der Metaphysiker und der Theologe glauben nämlich irrtümlich mit ihren
Sätzen einen Sachverhalt darzustellen, während diese in Wirklichkeit nur
Ausdruck eines Lebensgefühles seien. Das adäquate Ausdrucksmittel für
Lebensgefühle sei aber nicht eine wissenschaftliche Theorie, sondern die
Kunst, zum Beispiel Lyrik oder Musik.142
Insbesondere wird mit der genannten Unterscheidung jegliche Erkenntnis der
Wirklichkeit, die unabhängig von der Erfahrung durch reines Denken
zustande kommt, strikt abgelehnt. Synthetische Urteile a priori im Sinne
Kants sind grundsätzlich nicht möglich:
„Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unbedingt gültige Erkenntnis aus
reiner Vernunft, keine ‚synthetischen Urteile a priori‘, wie sie der Kantischen Erkenntnistheorie und erst recht aller vor- und nachkantischen Ontologie und Metaphysik zugrunde
liegen. [...] Gerade in der Ablehnung der Möglichkeit synthetischer Erkenntnis a priori
besteht die Grundthese des modernen Empirismus.“143
An dieser Einstellung hält zum Beispiel Carnap trotz vieler Wandlungen
seines Denkens zeitlebens fest. Noch in seiner letzten größeren Veröffentlichung betont er: „Wenn man den Empirismus akzeptiert, dann kann es kein
Wissen geben, das sowohl a priori wie auch synthetisch wäre.“144 Für den
Beleg dieser These spielt die allgemeine Relativitätstheorie, wie wir weiter
unten sehen werden, eine entscheidende Rolle.
139
P. Frank, Einstein, Mach und der Logische Positivismus, 180.
Vgl. H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 307.
141
A.a.O., 305f.
142
Vgl. dazu auch R. Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der
Sprache, 168–171.
143
H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 307.
144
R. Carnap, Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft, 182.
140
90
b) Methode der logischen Analyse
Einen Grund für die produktive Zusammenarbeit des Wiener Kreises sieht
Carnap darin, daß alle Mitglieder unmittelbar mit einem Wissenschaftsgebiet,
sei es Mathematik, Physik oder Sozialwissenschaften, vertraut sind:
„Das ergab ein höheres Niveau an Klarheit und Verantwortung, als es sonst in philosophischen Kreisen, besonders in Deutschland, anzutreffen war. Die Mitglieder des Kreises
kannten auch die moderne Logik. Dadurch ließ sich die Analyse eines zur Diskussion
stehenden Begriffs oder einer Aussage symbolisch darstellen, wodurch die Argumente
präziser wurden.“145
Mit diesem Vorgehen verbindet sich zugleich die Orientierung am Erkenntnis- und Methodenideal der Naturwissenschaften, das auch auf die Geisteswissenschaften übertragen werden soll. Da letztlich alle Sätze, die über die
Wirklichkeit etwas besagen, empirischer Natur sein müssen, reduziert sich
speziell die Aufgabe der Philosophie auf die Methode der logischen Analyse,
das heißt auf die „Rückführung auf einfachste Aussagen über empirisch
Gegebenes“146. Einerseits deckt Philosophie dadurch bedeutungslose Wörter
und sinnlose Scheinsätze auf, andererseits klärt sie sinnvolle Begriffe und
Sätze und trägt so zur Grundlagenforschung der Naturwissenschaften und der
Mathematik bei.147
c) Einheitswissenschaft und Physikalismus
Vor allem unter dem Einfluß Otto Neuraths sieht der Wiener Kreis eine
wichtige Aufgabe im Aufbau einer „Einheitswissenschaft“. Demnach sind die
verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zwar aus praktischen Gründen
getrennt, müssen aber grundsätzlich als Teile einer umfassenden einheitlichen
Wissenschaft verstanden werden. Diese Einheit soll eine alle Erkenntnis umfassende Gesamtsprache gewährleisten. Als solche Universalsprache wird die
physikalische Sprache verstanden, weshalb Neurath mit „Physikalismus“ auch
das Programm und die Philosophie des Wiener Kreises bestimmt:
„In einem Sinn ist die Einheitswissenschaft allgemeinste Physik, ein Gewebe von Gesetzen, die Raum-Zeit-Verknüpfungen ausdrücken – nennen wir das: Physikalismus.“ 148
Alle Aussagen der Einzelwissenschaften – neben der Chemie und Biologie
insbesondere auch der Psychologie und Soziologie – können in der Sprache
145
R. Carnap, Mein Weg in die Philosophie, 33f.
H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 305f.
147
Vgl. R. Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache, 167f.
148
O. Neurath, Physikalismus: Die Philosophie des Wiener Kreises, 415. – Auch R. Carnap,
Logische Syntax der Sprache, 248, bekennt sich im Jahr 1934 ausdrücklich zur „These des
Physikalismus“, die besage, „daß die physikalische Sprache eine Universalsprache der
Wissenschaft ist, d. h. daß jede Sprache irgendeines Teilgebietes der Wissenschaft gehalttreu
in die physikalische Sprache übersetzt werden kann.“
146
91
der Physik ausgedrückt werden. Die Physik rückt dadurch für Neurath in eine
Schlüsselposition:
„Die Einheitswissenschaft umfaßt nur physikalistische Formulierungen. Das Schicksal der
Physik im engeren Sinne wird so das Schicksal aller Wissenschaften, soweit Aussagen
über kleinste Teile in Frage kommen. Für den ‚Physikalismus‘ ist es wesentlich, daß eine
Art der Ordnung allen Gesetzen zugrunde liegt, ob es sich nun um geologische, chemische
oder soziologische Gesetze handelt.“149
Carnap bezeichnet im Rückblick die frühen Formulierungen des Physikalismus von Neurath und ihm selbst „nur als grobe Versuche“150, die in späteren
Jahren differenzierteren Betrachtungen weichen mußten. Diese Feststellung
gilt nicht nur bezüglich des Physikalismus. Victor Kraft weist darauf hin, daß
die Arbeit des Wiener Kreises nicht abgeschlossen, sondern durch die politischen Umstände unvermittelt abgebrochen wurde. Manche allzu große
Vereinfachung und mancher Radikalismus erklärt sich nach Kraft als erster
Ansatz, der später bei kontinuierlicher Weiterarbeit wohl ausgereiftere Lösungen zugelassen hätte.151 Doch es sind gerade die ersten, noch unausgereiften
Versuche des Logischen Positivismus, die von dem gewaltigen Eindruck, den
die moderne Physik und hier vor allem die Relativitätstheorie Einsteins auf
diese philosophische Strömung ausüben, zeugen können. In den frühen
Schriften des Wiener Kreises ist eine ungeheure Zuversicht spürbar, nun
endlich alle Wissenschaften auf sichere Grundlagen stellen zu können und
damit auch in der Philosophie, die sich ihrer eigentlichen Aufgabe bewußt
geworden ist, Fortschritte erzielen zu können.
In der Neuzeit hatten die Erfolge der mathematischen Naturwissenschaften
Descartes provoziert, es in der Philosophie genauso zu versuchen und die
Metaphysik durch Anwendung einer der Mathematik abgeschauten Methode
auf eine unerschütterliche Grundlage zu stellen. Entsprechend sah sich Kant
angesichts der Revolution der Denkart in Mathematik und Naturwissenschaft
veranlaßt „ihnen, soviel ihre Analogie, als Vernunfterkenntnis, mit der
Metaphysik verstattet, hierin wenigstens zum Versuche nachzuahmen“152.
Und nun lassen sich wiederum in ganz ähnlicher Weise, aber in radikaler
Abkehr von Kant, die Vertreter des Logischen Positivismus durch Einsteins
Relativitätstheorie für eine neue Grundlegung der Philosophie als Wissenschaft inspirieren. Sie analysieren dazu Einsteins methodisches Vorgehen und
beabsichtigen, es auch über den Rahmen der Physik hinaus anzuwenden. Sie
versuchen, so schreibt Philipp Frank, „ihre Formulierungen den Methoden
anzupassen, die mit Erfolg bei der allgemeinen Relativitätstheorie angewandt
worden waren“153. Welche Interpretation die Relativitätstheorie dabei im
einzelnen erfährt, wird nun im folgenden genauer untersucht.
149
O. Neurath, Physikalismus: Die Philosophie des Wiener Kreises, 419.
R. Carnap, Mein Weg in die Philosophie, 81.
151
Vgl. V. Kraft, Der Wiener Kreis, VI.
152
I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XVI.
153
P. Frank: Einstein, Mach und der logische Positivismus, 177.
150
92
3. Die Relativitätstheorie als empirische Philosophie
Die spezielle Relativitätstheorie kann als Bestätigung der empiristischen
These des Logischen Positivismus aufgefaßt werden, derzufolge nur Erfahrungserkenntnis zugelassen werden darf, die auf unmittelbar Gegebenem
beruht. Der von den Physikern des 19. Jahrhunderts postulierte Äther, der den
gesamten Weltraum ausfüllen sollte, ist keine beobachtbare Tatsache und
damit eben keine Erfahrungserkenntnis. Einstein sieht darum auch keinen
Anlaß einen derartigen Äther „neben dem Raum als ein Wesen besonderer
Art“154 einzuführen, dieser erweist sich ihm als „überflüssig“155. Statt dessen
gründet sich die spezielle Relativitätstheorie „direkt auf ein empirisches
Gesetz“156, nämlich auf die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, eine experimentell sehr gut belegte Erfahrungserkenntnis. Darüber hinaus betont Einstein
wiederholt den empirischen Charakter der Relativitätstheorie, wobei er
bewußt auf Formulierungen Ernst Machs zurückgreift: Die Relativitätstheorie
sei nicht spekulativen Ursprungs, sondern sie verdanke ihre Entdeckung nur
der Bestrebung, „die physikalische Theorie den beobachteten Tatsachen so
gut als nur möglich anzupassen“157. Es sei einer der wesentlichsten Züge der
Relativitätstheorie, so Einstein weiter, daß sie bemüht sei, „die Beziehungen
der allgemeinen Begriffe zu den erlebbaren Tatsachen schärfer
herauszuarbeiten“158. Die Berechtigung eines physikalischen Begriffes beruhe
„ausschließlich in seiner klaren und eindeutigen Beziehung zu den erlebbaren
Tatsachen“159. Reichenbach erkennt in dieser Einstellung eine „positivistische
oder wohl besser gesagt empiristische Haltung“, die Einsteins „philosophische Position“160 bestimme: „Die Einsteinsche Relativitätstheorie gehört [...]
zur Philosophie des Empirismus.“161
Allerdings modifiziert Einstein die Forderung Machs – und damit auch eine
ursprüngliche Forderung des Wiener Kreises – wenn er später darauf
hinweist, daß Erkenntnisse in der Physik in der Regel nicht auf unmittelbare
Erfahrungstatsachen
zurückgeführt
werden
können
und
zur
Veranschaulichung gerade wieder die allgemeine Relativitätstheorie anführt:
„Die Relativitätstheorie ist ein schönes Beispiel für den Grundcharakter der modernen
Entwicklung der Theorie. Die Ausgangshypothesen werden nämlich immer abstrakter,
erlebnisferner. Dafür aber kommt man dem vornehmsten wissenschaftlichen Ziele näher,
mit einem Mindestmaß von Hypothesen oder Axiomen ein Maximum von Erlebnisinhalten
durch logische Deduktion zu umspannen. Dabei wird der gedankliche Weg von den
154
A. Einstein, Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik, 237.
Ders., Zur Elektrodynamik bewegter Körper, 27.
156
Ders., Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik, 239.
157
Ders., Über Relativitätstheorie, 217.
158
A.a.O., 218.
159
Ebd.
160
Reichenbach, Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, 143.
161
A.a.O., 160.
155
93
Axiomen zu den Erlebnisinhalten bzw. zu den prüfbaren Konsequenzen ein immer längerer, subtilerer.“162
Die Theorie muß schon weit ausgearbeitet sein, um zu Folgerungen zu führen,
die sich mit der Erfahrung vergleichen lassen. Dennoch bleibt auch für
Einstein „die Erfahrungstatsache die allmächtige Richterin“163. Aber ihr
Spruch könne erst aufgrund großer und schwieriger Denkarbeit erfolgen, die
den weiten Raum zwischen den Axiomen und den prüfbaren Folgerungen zu
überbrücken habe. Diesem hier zum Ausdruck kommenden Vorgehen der
theoretischen Physik, das diese bis heute prägt, tragen spätere Modifizierungen und „Liberalisierungen“ der positivistischen Konzeption durch Frank und
Carnap Rechnung.164
Weiterhin sieht der Logische Positivismus im Fall der speziellen Relativitätstheorie ein Beispiel für den Erfolg der konsequent durchgeführten logischen
Analyse. Die entscheidenden, epochemachenden Fortschritte der Wissenschaft
sind für Schlick immer dadurch gekennzeichnet, „daß sie eine Klärung des
Sinnes der fundamentalen Sätze bedeuten“165. Dies gelte auch für die
Einsteinsche Relativitätstheorie, „die von einer Analyse des Sinnes der
Aussagen über Zeit und Raum ausging“. Schlick beurteilt Einsteins diesbezügliche Klärung als eine „eminent philosophische [...] Leistung“166.
Victor Kraft führt dies am Beispiel der Relativierung der Gleichzeitigkeit
noch etwas näher aus. Einstein gebe an, unter welchen Umständen das Wort
„Gleichzeitigkeit“ zu gebrauchen sei, und damit lege er – nach einer Formulierung von Ludwig Wittgenstein – die „Grammatik“ dieses Wortes fest.167
Einstein beschreibt exakt die komplexe Situation, die die genaue Bedeutung
des Begriffs „Gleichzeitigkeit“ überhaupt erst verständlich macht. Damit
entspricht Einstein in diesem konkreten Fall einer der ersten Bemühungen des
Wiener Kreises, die darin besteht, „die Sprache ihrer Bedeutungsfunktion
nach klarzustellen“168.
Die zweifellos wichtigste Funktion der allgemeinen Relativitätstheorie besteht
für den Logischen Positivismus aber darin, daß sie hier als das entscheidende
Argument gegen die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori im Sinne
Kants
dient.
Reichenbach
ordnet
die
Relativitätstheorie
aus
philosophiegeschichtlicher Perspektive aus diesem Grund auch in den
„Prozeß der Auflösung des synthetischen a priori“169 ein. Zufolge der
Programmschrift des Wiener Kreises macht die Ablehnung der Möglichkeit
synthetischer Erkenntnisse a priori die Grundthese des modernen Empirismus
162
A. Einstein, Das Raum-, Äther- und Feld-Problem in der modernen Physik, 238.
A.a.O., 238f.
164
Vgl. dazu P. Frank, Einstein, Mach und der logische Positivismus, 175–178, sowie R.
Carnap, Mein Weg in die Philosophie, 60, 88–93.
165
M. Schlick, Die Wende der Philosophie, 18.
166
Ebd.
167
Vgl. V. Kraft, Der Wiener Kreis, 27.
168
A.a.O., 26.
169
H. Reichenbach, Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, 159.
163
94
aus, und darum kommt der Relativitätstheorie an dieser Stelle sogar eine
konstitutive Bedeutung für den Logischen Positivismus zu.
Nach Auffassung der Vertreter des Logischen Empirismus sind für Kant die
Sätze der euklidischen Geometrie zum einen a priorisch gültig, das heißt
unabhängig von Erfahrung, und zum anderen sind sie synthetisch, das heißt
Erkenntnis der erfahrbaren Wirklichkeit. Mathematiker des 19. Jahrhunderts
entdeckten nun Geometrien, die unter logischem Gesichtspunkt mit der euklidischen Geometrie gleichberechtigt sind. Immerhin scheint aber zu dieser Zeit
die euklidische Geometrie noch dadurch ausgezeichnet zu sein, daß sich ihre
Aussagen mit der uns umgebenden physikalischen Wirklichkeit decken,
wohingegen die anderen, nichteuklidischen Geometrien reine Gedankengebilde ohne sinnvollen Bezug zur Wirklichkeit darzustellen scheinen.
Diese Vorzugsstellung verliert die euklidische Geometrie, als Einstein in
seiner allgemeinen Relativitätstheorie für den physikalischen Raum mit
Erfolg eine nichteuklidische Struktur zugrunde legt. Damit ist für die Vertreter des Logischen Positivismus erwiesen: Die (unendlich vielen) axiomatischen Systeme, die die Geometrie zur Auswahl stellt, sind zwar allesamt a
priorisch, aber sie sind nicht synthetisch, das heißt ohne unmittelbaren
Erkenntniswert in Bezug auf die physikalische Wirklichkeit. Carnap konstatiert in diesem Sinn unmißverständlich:
„Die Relativitätstheorie machte es allen, die es verstanden, klar, daß Geometrie, im
a-priori-Sinn genommen, uns nichts über die Realität sagt. Es gibt keine Aussage, die
logische Sicherheit mit einer Information über die geometrische Struktur der Welt verbindet.“170
Im gleichen Sinn faßt Victor Kraft die gemeinsame Überzeugung des Wiener
Kreises zusammen:
„Logik und Mathematik sagen nichts über die erfahrbare Wirklichkeit aus. Die Logik
enthält keine Erkenntnisse, sie gibt nicht die Grundgesetze des Seins, sondern die Grundlagen gedanklicher Ordnung. Logische Beziehungen sind bloß gedankliche Beziehungen,
sie bestehen nicht als tatsächliche Beziehungen innerhalb der Wirklichkeit, sondern nur als
Beziehungen innerhalb des Darstellungssystems.“171
Erst der Physiker entscheidet in Anbetracht von empirischen Vorgaben,
welche der zur Auswahl stehenden Geometrien ihm geeigneter erscheint, die
Struktur der physikalischen Wirklichkeit zu beschreiben. Theoretisch bieten
sich ihm dazu im Zusammenhang mit der allgemeinen Relativitätstheorie
unterschiedliche Möglichkeiten: Entweder er behält die euklidische Geometrie bei und erklärt die neuen Beobachtungsergebnisse durch zusätzliche
Korrekturfaktoren in den klassischen Gesetzen der Mechanik und Optik; oder
er zieht eine nichteuklidische Geometrie vor und erhält dann vergleichsweise
einfache physikalische Gesetze.172 In der Beurteilung dieser beiden Möglich170
R. Carnap, Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft, 183.
V. Kraft, Der Wiener Kreis, 16.
172
Eine Gegenüberstellung dieser beiden Möglichkeiten findet sich in: P. Mittelstaedt, Philosophische Probleme der modernen Physik, 46–99, insbesondere 98f.
171
95
keiten weichen die Ansichten der Logischen Positivisten voneinander ab. Für
Carnap führen beide Möglichkeiten zu äquivalenten Theorien, das heißt, daß
die Theorien jeweils zu genau den gleichen Vorhersagen führen. Allerdings
besitzt die von Einstein und der modernen Physik verwendete nichteuklidische Geometrie den Vorteil, das gesamte System der Physik zu
vereinfachen.173
Reichenbachs Standpunkt ist hier radikaler, wenn er darauf insistiert, daß es
im Hinblick auf die genannten Möglichkeiten „nur ein entweder-oder“174
gebe. Der Übergang zwischen beiden Möglichkeiten „würde den Übergang zu
einer anderen Physik bedeuten, die physikalischen Gesetze würden dann
materiell anders lauten, und eine Physik kann nur richtig sein“175. Wogegen
man freilich einwenden muß, daß die jeweils anders lautenden Gesetze zu
exakt den gleichen Voraussagen kommen würden und von da her keine
Theorie „richtiger“ als die andere ist. Aber Reichenbach geht es darum, die
nichteuklidische Geometrie, die in der allgemeinen Relativitätstheorie
zugrunde gelegt wird, nicht nur als zweckmäßig und praktikabel herauszustellen, sondern auch als „wahr“. Über diese Wahrheit entscheiden Beobachtung
und Experiment, wie Reichenbach in anderem Zusammenhang, aber gleichfalls mit Bezug auf die Geometrie feststellt:
„Es ist eine empirische Frage, zu welchem Typus unsere Welt gehört. Das Experiment hat
zugunsten der Einsteinschen Auffassung entschieden. Wie bei der Geometrie ist der
menschliche Geist fähig, auch verschiedene Formen eines Zeitschemas zu konstruieren.
Die Frage, welches dieser Schemata auf die physikalische Welt paßt, also wahr ist, kann
nur mit Bezug auf die Beobachtungsdaten beantwortet werden.“176
Es zeigt sich, daß die Relativitätstheorie für den Logischen Positivismus nicht
nur einen gedanklichen Anstoß bedeutet, sondern daß ihr auch eine überragende Bedeutung in der Argumentation dieser philosophischen Richtung
zukommt. Es kann darum nicht überraschen, daß Albert Einstein in der
Selbstdarstellung des Wiener Kreises neben Bertrand Russell und Ludwig
Wittgenstein als „führende[r] Vertreter der wissenschaftlichen Weltauffassung“ aufgeführt wird. Einstein wird unter den Denkern der Gegenwart
genannt, „die die wissenschaftliche Weltauffassung am wirkungsvollsten in
der Öffentlichkeit vertreten und auch stärksten Einfluß auf den Wiener Kreis
ausüben“177.
In gewissem Maß ist diese Berufung auf Einstein sicherlich begründet. Dies
gilt insbesondere für die von Carnap vertretene Position, mit der Einstein
weitgehend übereinzustimmen scheint,178 wenn er mit Bezug auf das Verhältnis von Mathematik zur Wirklichkeit feststellt: „Insofern sich die Sätze der
Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern
173
Vgl. dazu R. Carnap, Philosophie der Naturwissenschaften, 163f.
H. Reichenbach, Relativitätstheorie und Erkenntnis apriori, 296.
175
Ebd.
176
H. Reichenbach, Die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie, 158.
177
H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 332.
178
Vgl. R. Carnap, Mein Weg in die Philosophie, 60.
174
96
sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.“179 Einstein kann
aus diesem Grund „die Frage nach dem a priori im Sinne Kants niemals
begreifen“180. Einsteins Feststellung über das Verhältnis von Mathematik und
Wirklichkeit läßt aber offen, wie er zu Reichenbachs Position steht; mit
Geometrie und Mathematik allein ist jedenfalls auch für Einstein die Frage
nach der „Struktur der Welt“ nicht eindeutig entscheidbar.181
VI. Schlußbemerkung
Die Relativitätstheorie wirft philosophische Fragen nach ihrer Deutung auf,
die weit über den Rahmen der Physik hinausgehen. Diese Fragen werden von
Philosophen und Physikern wie gesehen im einzelnen sehr unterschiedlich
beantwortet und zum Teil bis heute kontrovers diskutiert. Die übereinstimmende Überzeugung, daß die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie
physikalisch richtig sind, schließt demnach miteinander unvereinbare
Deutungen dieser physikalischen Theorien keineswegs aus.
Bezüglich der Physiker ist außerdem schon hier festzuhalten, daß sich mit der
Relativitätstheorie ihr Wirklichkeitsverständnis nachhaltig zu verändern
beginnt. Das Bild, das die moderne Physik von der Welt – „ihrer“ Welt – Zug
um Zug entwirft, verzichtet zunehmend auf anschauliche Vorstellungen, es
wird abstrakter und mathematischer. Ein unreflektierter „Realismus“, der
insbesondere unter den Physikern des 19. Jahrhunderts noch die Regel ist, läßt
sich mit der modernen Physik nicht mehr vereinbaren. Physiker, die unbeirrt
an einer unmittelbar anschaulichen Weltauffassung festhalten, können immer
weniger mit selbstverständlicher Zustimmung rechnen und sehen sich
genötigt, gegenüber jüngeren Fachkollegen ihr physikalisches Wirklichkeitsverständnis zu rechtfertigen.
Im weiteren Verlauf vorliegender Arbeit wird deutlich werden, daß sich diese
Veränderung im Wirklichkeitsverständnis, die sich in der Relativitätstheorie
erst abzeichnet, in der Quantentheorie fortsetzt, bei den Physikern zu einem
ausdrücklich bewußt werdenden „Realismusproblem“ führt und sich insbesondere auch auf die Stellungnahmen von Physikern zu Fragen der Religion
auswirkt.
179
A. Einstein, Geometrie und Erfahrung, 197.
Ders., Das Raum-, Äther- und Feld-Problem der Physik, 231.
181
„Die Frage nach der geometrischen Struktur der Welt wird eindeutig entscheidbar“, heißt
es allerdings in der Programmschrift des Wiener Kreises – ausgerechnet unter Bezug auf
Einsteins Vortrag Geometrie und Erfahrung (H. Hahn/O. Neurath/R. Carnap (Hg.), Wissenschaftliche Weltauffassung, 333); vgl. dazu auch Einsteins Kommentar zu Reichenbachs
Interpretation der Relativitätstheorie in: P. A. Schilpp (Hg.), Albert Einstein als Philosoph
und Naturforscher. Eine Auswahl. Braunschweig 1983, 242–244.
180
97
Zuvor werden wir uns aber im folgenden Kapitel den Reaktionen auf die
Relativitätstheorie von Seiten der Theologie zuwenden. Die von den Vertretern des Logischen Positivismus geführten Diskussionen um die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie und um den damit in Frage stehenden
erkenntnistheoretischen Ansatz Kants stoßen damals freilich nicht auf das
Interesse der Theologie. Dies ist um so bedauerlicher, als gerade im Zusammenhang mit diesen Fragen ein konstruktiver Austausch zwischen moderner
Physik, Philosophie und Theologie vorstellbar gewesen wäre.
Vom „Wiener Kreis“ und von der Berliner Gruppe um Reichenbach hätte die
Theologie dabei zunächst einmal lernen können, daß die gründliche Kenntnis
physikalischer Sachverhalte ihrer Deutung vorangehen muß. Des weiteren
hätte aber die Inanspruchnahme der Relativitätstheorie für die Metaphysikkritik im Logischen Positivismus einer kritischen Beurteilung unterzogen
werden müssen. Dabei hätte sich ergeben, daß es zwar möglich, aber keineswegs zwingend ist, die Relativitätstheorie von einem physikalistischen Standpunkt aus im Sinne Neuraths zu deuten. Doch selbst wenn man etwa Carnap
zugesteht, daß mit der allgemeinen Relativitätstheorie belegt werden kann,
daß Mathematik und Geometrie keine synthetischen Urteile a priori enthalten
können, so ist damit noch keineswegs die Unmöglichkeit aller synthetischen
Urteile a priori erwiesen.
Wäre es damals im Anschluß an die Relativitätstheorie zu einem offenen
Dialog gekommen, hätte sich die Theologie vielleicht unversehens auf der
Seite Kants wiedergefunden und im Anschluß an ihn gegen physikalistische
Kurzschlüsse und für die Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und damit
für die Möglichkeit einer Metaphysik als Wissenschaft argumentiert. Auf
diesem Wege hätte sich der Theologie nach ihrer pauschalen Ablehnung der
kritischen Philosophie Kants im 19. Jahrhundert sogar ein Zugang zum
transzendentalphilosophischen Ansatz eröffnen können. Vielleicht wäre es
der Theologie im Ausgang von Kant dann auch gelungen, sich zu den modernen Naturwissenschaften in ein Verhältnis zu setzen, bei dem sie nicht immer
wieder neu entscheiden muß, ob sie sich durch neues naturwissenschaftliches
Wissen eher bedroht oder bestätigt sehen soll.
Dies bleiben Gedankenspiele. Auf dieser Ebene kommt in den ersten
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kein Dialog zwischen moderner Physik,
Philosophie und Theologie zustande. Zwar gibt es theologische Reaktionen
auf die Relativitätstheorie, aber sie sind von anderer Art, wie folgendes
Kapitel zeigen wird.
98
Viertes Kapitel:
Theologische Reaktionen auf die
Relativitätstheorie
Wer mit den grundlegenden physikalischen Aussagen der Relativitätstheorie
vertraut ist, wird sich wundern, wenn nun von theologischen Reaktionen auf
die Relativitätstheorie die Rede sein soll. Daß die Relativitätstheorie unterschiedliche erkenntnistheoretische Deutungen erfährt, ist aufgrund der physikalischen Revision der Begriffe von Raum und Zeit naheliegend und kann im
vorangegangenen Kapitel nachvollzogen werden. Was aber haben die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie mit Theologie und Religion zu tun?
Albert Einstein selbst reagiert amüsiert und verständnislos auf diesbezügliche
Anfragen und weist jeden Zusammenhang seiner Theorie mit religiösen
Fragen entschieden zurück. So bescheidet Einstein beispielsweise den Erzbischof von Canterbury Randall Thomas Davidson auf dessen direkte Frage
„what effect the theory of relativity had on religion“ kurz und bündig: „None.
Realtivity is a purly scientific theory, and has nothing to do with religion.“1
Dessen ungeachtet gibt es vor allem in den zwanziger Jahren zahlreiche
Beiträge von Theologen, die sich mit dem Verhältnis von Relativitätstheorie
und Religion und darüber hinaus auch mit der Bedeutung der Relativitätstheorie für den christlichen Glauben befassen.
Wenn man diese Beiträge allerdings mit der physikalisch kompetenten
Auseinandersetzung, die beispielsweise im „Wiener Kreis“ über die Relativitätstheorie geführt wurde, vergleicht, fällt sofort das bescheidene Niveau ins
Auge, auf dem diese „theologische Rezeption“ stattfindet. Der Physiker und
Einsteinbiograph Philipp Frank bemängelt, daß sich die theologischen Interpretationen der Relativitätstheorie mehr auf den Wortlaut als auf den Inhalt
dieser Theorie beziehen. Das sehe man besonders bei den „Hunderten von
Autoren, die die vierdimensionale Darstellung der Relativitätstheorie heranziehen, um ein Argument für die traditionelle Religion zu finden“2. Mit
einigen Beispielen einer derart oberflächlichen und unangemessenen
„Deutung“ der Relativitätstheorie beginnt der Überblick über die insgesamt
sehr unterschiedlichen Stellungnahmen, die hier von theologischer Seite
vorgelegt werden (I.). Im Anschluß daran wendet sich die vorliegende Untersuchung den argumentativen Anstrengungen katholischer Theologen zu, die
Unvereinbarkeiten von neuscholastischer Ontologie und Relativitätstheorie
ausmachen und darum sogar grundsätzlich die experimentelle Überprüfbar1
Zit. in: M. Jammer, Einstein und die Religion, 58; vgl. auch P. Frank, Einstein. Sein Leben
und seine Zeit, 303f, vgl. 416. – Einstein lehnt zwar jede religiöse Implikation der Relativitätstheorie ab, bekennt sich aber unabhängig davon verschiedentlich zu einer „kosmischen
Religiosität“; vgl. 7. Kap. II. 2. vorliegender Arbeit.
2
P. Frank, Einstein. Sein Leben und seine Zeit, 418.
99
keit der Relativitätstheorie leugnen (II.). Der darauffolgende Abschnitt befaßt
sich mit Karl Heims Versuch einer „neuen Apologetik“, in deren Rahmen die
Relativitätstheorie zwar bejaht, zugleich aber auch sehr fragwürdig gedeutet
wird (III.). Schließlich sollen Ansätze einer neuen Verhältnisbestimmung von
Naturwissenschaft und Theologie dargestellt werden, die von theologisch
interessierten und gebildeten Naturwissenschaftlern im Zusammenhang mit
der Relativitätstheorie vorgelegt werden (IV.).
Nur wenige Jahre dient die Relativitätstheorie als Impuls für einen möglichen
Austausch zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Kaum nehmen die
wenigen Theologen, die die Entwicklung der modernen Physik verfolgen, die
Relativitätstheorie zur Kenntnis, ist für die neue Physikergeneration insbesondere die spezielle Relativitätstheorie schon eine Theorie geworden, die man
„einfach lernen und anwenden [muß], so wie jede ältere Disziplin der
Physik“3. Faszinierend sind nun die Herausforderungen, die die Entfaltung der
neuen Quantentheorie stellt. Als nach dem zweiten Weltkrieg da und dort das
Gespräch zwischen Physikern und Theologen (wieder) in Gang kommt, geht
es dann fast ausschließlich um die Deutung der Quantentheorie.
I. Die Relativitätstheorie als vermeintliche Bestätigung des
Glaubens
Rudolph Lettau, evangelischer Pastor in Riezig bei Stargard, veröffentlicht im
Jahr 1920 in der „Furche“, einer „Monatsschrift zur Vertiefung christlichen
Lebens und Anregung christlichen Werkes“, einen Aufsatz mit dem Titel
„Die Einsteinsche Relativitätstheorie im Verhältnis zur christlichen Weltanschauung“. Obwohl Lettau zugesteht, daß eine umfassende philosophische,
mathematische und naturwissenschaftliche Bildung zum völligen Verständnis
des in Frage stehenden Problems gehöre, kann seiner Meinung nach „auch der
schlichte Verstand und besonders der christlich erleuchtete [...] sehr wohl zu
einem eigenen Urteil in der Streitfrage wegen der Relativitätstheorie
kommen“4. Lettaus Urteil soll hier erwähnt werden, da es ein – ausgesprochen
einfältiges – Beispiel darstellt sowohl für einen verbreiteten Typ früher
theologischer „Rezeption“ der Relativitätstheorie als auch für ein bis heute
geübtes Verfahren theologischer Reaktion auf gerade aktuelle und populäre
naturwissenschaftliche Erkenntnisse.
Die „Wiedergabe“ der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie wird bei
Lettau auf einen einzigen Satz komprimiert:
3
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 37.
R. Lettau, Die Einsteinsche Relativitätstheorie im Verhältnis zur christlichen Weltanschauung, 153.
4
100
„Mathematisch ausgedrückt: die Zeit wird die vierte Raumkoordinate und die Lehre von
der Kinematik wird zur vierdimensionalen Geometrie, und unsere gewöhnliche euklidische Geometrie ist nur ein Spezialfall vieler mögliche[r] Geometrien.“5
Nach den durch Kopernikus und Darwin provozierten Krisen für die christliche Weltanschauung bringe Einstein damit anscheinend auch die letzte der
festen Landmarken an unserem geistigen Horizont ins Schwanken:
„Hat er recht, dann ist für unsere Weltbetrachtung nirgends ein ruhender Pol in der
Erscheinungen Fluß. Alles um uns flieht, wo wir es greifen und fest halten wollen. Wir
müssen neben dem räumlich gedachten Himmel dann auch den zeitlich gedachten aufgeben. Und was bleibt uns als Christen dann z. B. auf dem Gebiet der
Unsterblichkeitshoffnung?“ 6
Das Wesentliche bleibe, versichert Lettau und beruhigt: „Einstein sagt dem
Christen nichts Seltsames, wenn Raum und Zeit relative Dinge sein sollen.“7
Gott stehe für den Christen ohnehin über Raum und Zeit und sei beiden
darum auch nicht unterworfen. Zum Beleg zieht Lettau unter anderem Verse
aus Psalm 90 („Ehe denn die Berge wurden, bist du Gott von Ewigkeit zu
Ewigkeit“) und Psalm 102 („Du bleibest, wie du bist, und deine Jahre nehmen
kein Ende“) hinzu. Für uns Menschen hingegen sei die Relativität von Raum
und Zeit dazu angetan, „eine harte Nuß zu werden“8. So stelle sich das vulgärchristliche Bewußtsein das Jenseits als eine irgendwie zeitlich geordnete
Fortsetzung unserer Weltzustände vor:
„Und nun kommt Einstein und untersagt uns solche Vorstellungen im Namen der Wissenschaft. Wir sollen gezwungen sein, all die lieben Vorstellungen dahinten zu lassen, mit
denen wir den Himmel uns schön machen. Können und müssen wir uns da fügen?“ 9
Wir können und müssen, ja wir sollen es, predigt Pastor Lettau:
„Laß nur alle fromme Selbstsucht fahren, wenn es sich um das Jenseits handelt; und wenn
Einstein dir zumutet, du sollst Raum und Zeit für diese Welt zurücklassen, so widerfährt
dir im Grunde nichts Seltsames. Richte dich nur immer auf eine jetzt noch ganz unvorstellbare Welt ein, und siehe zu, wie du darin lebensfähig sein magst. Und Hinweise sind ja
auch vorhanden, wie ein Wesen da auch ohne die Formen von Raum und Zeit ein Leben in
sich hegen mag.“10
Einstein verlange, das Unvorstellbare zu denken, und Lettau kann es darum
nur begrüßen, wenn weltliche Wissenschaft solcherart den Gläubigen nötige,
sich beizeiten um den geistlichen Habitus zu bemühen, auf den wir angewiesen sind, wenn wir in einer anderen Welt bestehen wollen:
„Wir stehen nicht an, auszusagen: Die stärksten Antriebe zur Heiligung können in dem für
uns Christen niedergelegt sein, was uns Einstein in seiner Relativitätstheorie über Raum
und Zeit zu bedenken gibt. Hat er recht, dann kann das in der Christenheit wie nie zuvor
dienen zum Aufbau eines inwendigen Lebens.“11
5
6
7
8
9
10
11
A.a.O., 154, bei Lettau: „möglichen“.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
A.a.O., 155.
Ebd.
Ebd.
101
Lettaus Aufsatz wäre nicht der Erwähnung wert, wenn er nur die kuriose
Sicht eines einzelnen Landpfarrers darstellen würde. Nun ist diese Art theologischer „Rezeption“ der Relativitätstheorie in den zwanziger und dreißiger
Jahren aber geradezu gängig. Die Mitherausgeberin der „Furche“, in der viele
namhafte Theologen und Religionswissenschaftler zu Wort kommen, würdigt
Lettaus Beitrag einer eigenen Erwiderung. Für den Christen, der in der Bibel
wirklich lebe und forsche, schreibt Elisabet Riemeier in ihrer Antwort an
Lettau, sei es immer eine ganz besondere Freude, wenn eine wissenschaftliche
Entdeckung die biblischen Aussagen bestätige:
„Lettau beweist, daß Einstein der biblischen Anschauung über die ‚Zeit‘ recht gibt, daß er
uns damit von der Vorstellung eines an die Zeit gebundenen Jenseits befreit, und uns
dadurch die stärksten Antriebe zur Heiligung, zur Loslösung vom Diesseits, geben
kann.“12
Die Alternative sei nun nicht mehr nur „Zeit oder Nicht-Zeit“, sondern
Einstein habe gezeigt, daß es „‚andere‘ Zeit“ gebe. „Könnte nicht dann die
‚Ewigkeit‘ einfach eine solche ‚andere‘ Zeit sein, aber doch ‚Zeit‘?“13 fragt
Riemeier. Sie bemängelt ansonsten an Lettaus Darstellung nur, daß er
Einstein und nicht schon Kant das Verdienst zukommen lasse, „im Namen der
Wissenschaft“ uns von einer absoluten, wirklichen Zeit befreit zu haben.
Jedenfalls aber kommen für Riemeier nunmehr geoffenbarter Glaube (Bibel),
Philosophie (Kant), Mathematik (Einstein) und innere Erfahrung zu ein und
demselben Resultat:
„Den heiligen Männern Gottes ist es offenbart, der Philosoph und der Mathematiker
beweisen es, unsere eigene innere Erfahrung gibt dem recht: Wer an ihn glaubt, der hat
das ewige Leben.“14
Am Ende ihrer Erwiderung regt Riemeier eine Diskussion in ihrer Zeitschrift
an:
„Wird Einstein nicht ein ganz neues ‚Weltgefühl‘ (vgl. Spengler) in uns wachrufen, das
auch für unser religiöses Leben von einschneidender Bedeutung sein wird, von größerer
als man heute ahnt? Oder sind seine Beweise nicht stichhaltig und wird das, was er Neues
bringen will, im Sande verrinnen? Ich glaube, das sind Fragen, die auch unser innerstes
Leben angehen und berühren und die darum in der ‚Furche‘ besprochen werden
könnten.“15
Der Versuch, die Relativitätstheorie unmittelbarer theologisch zu verwerten,
findet sich auch bei dem systematischen Theologen Henry H. Riggs. In einem
im „Hibbert Journal“ aus dem Jahr 1939 abgedruckten Artikel mit dem Titel
„Immortality and the Fourth Dimension“ meint Riggs von der Relativitätstheorie Aufklärung über die Wirklichkeit des ewigen Lebens erhalten zu
können:
12
13
14
15
E. Riemeier, Einstein und Kant, 156.
Ebd.
Ebd. (Hervorhebungen bei Riemeier).
A.a.O., 157.
102
„The mathematical concept from which I think that we may find some light on the reality
of eternal life is familiar to mathematicians as the Fourth Dimension; and this rather
nebulous idea has been brought to the front and set to work in connection with the Theory
of Relativity, in the proposition, built into the very foundations of that theory, that time is
the fourth dimension.“16
Würden wir als „Flatlander“, so Riggs‘ Gedanke auf den folgenden Seiten,
nur in zwei Dimensionen leben, könnten wir uns die dritte Dimension nicht
vorstellen, sondern nur an sie glauben. Entsprechend verhalte sich unser
gegenwärtiges Leben zum ewigen Leben, – mit dem Unterschied freilich, daß
uns aus Sicht der Relativitätstheorie schon jetzt das sterbliche dreidimensionale Leben in der vierten Dimension als „ewiges Leben“ begreifbar werden
kann:
„If the idea of time as a fourth dimension is valid, then the difference between this mortal
life and the ‚other life‘ is not a difference in the time nor the quality of the life. It is only a
difference in our view of it – our ability to see it whole. While we are limited to threedimensional understanding, it is mortal life. When we perceive it in four dimensions, it is
eternal life.“17
Fünf Merkmale kennzeichnet den in diesem Abschnitt vorgestellten Typ
theologischer „Rezeption“ der Relativitätstheorie:
w Erstes Merkmal ist das offensichtliche und meist auch ausdrücklich erklärte
Bestreben, aus christlicher Sicht naturwissenschaftliche Erkenntnis grundsätzlich nicht (mehr) korrigieren zu wollen. Der folgenreiche Irrtum im
Kampf gegen Galilei und Darwin soll nicht ein weiteres Mal wiederholt
werden. Darum die vorbehaltlose Anerkennung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis.
w Das zweite Merkmal ist das fehlende Verständnis der akzeptierten naturwissenschaftlichen Theorie und ihrer Bedeutung. Dabei handelt es sich
nicht um einen Verzicht des Verstehens, der sich aus grundsätzlichen
Erwägungen rechtfertigen kann, sondern um ein Defizit mangels Kompetenz, das auch als ein solches empfunden und darum verschleiert wird.
w Die notdürftige Verschleierung des mangelnden Verständnisses durch
Verwendung einzelner zentraler physikalischer Begriffe ist damit das dritte
Merkmal dieses Rezeptionstyps. Dadurch wird eine Kenntnis der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge vorgetäuscht. „Rezipiert“ werden aber
nur einzelne aus ihrem Zusammenhang gerissene naturwissenschaftliche
Begriffe oder Benennungen („vierte Dimension“, „Relativität von Raum
und Zeit“ etc.), die dann in einen theologischen Kontext übernommen und
hier ohne Ansehung ihres ursprünglich physikalischen Sinnes völlig neu
gedeutet werden.
w Viertes Merkmal ist die Hoffnung, daß sich die Anerkennung naturwissenschaftlicher Erkenntnis insofern bezahlt macht, als diese nun sogar zur
Festigung, ja zum Bestätigung religiöser Überzeugung beitragen kann.
16
17
H. H. Riggs, Immortality and the Fourth Dimension, 264.
A.a.O., 267.
103
Diese Hoffnung verbindet sich bezüglich der Einsteinschen Relativitätstheorie mit der irrigen Erwartung, diese Theorie könne belegen, wenn nicht
gar beweisen, was bislang nur geglaubt werden konnte: ein Jenseits von
Raum und Zeit, eine andere, uns vollkommen unvorstellbare Welt und Zeit
und dergleichen mehr.
w Es versteht sich von selbst, daß auf diesem Weg nur der flüchtige Schein
einer Synthese von Naturwissenschaft und Glaube vorgespiegelt werden
kann – um so mehr als im vorigen Kapitel gezeigt wurde, daß gerade die
zentralen Benennungen in einer physikalischen Theorie, die für diese
„Synthese“ aufgegriffen werden, deutende und unter Umständen irreführende Zutat zur Theorie selbst sein können (wie beispielsweise schon die
Bezeichnung „Relativitätstheorie“). Gleichwohl ist die Behauptung einer
gelungenen Synthese von naturwissenschaftlicher Erkenntnis und christlichem Glauben das fünfte Merkmal derartiger theologischer Reaktionen.
Aus heutiger Perspektive erscheint die Einsicht, daß Theologie und Kirche
gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht korrigieren dürfen,
begrüßenswert. Höchst fragwürdig dagegen ist es, wenn die jeweiligen
Erkenntnisse, an die die Theologie „Anschluß“ sucht, noch nicht einmal in
ihren Grundzügen verstanden werden. Eine derart oberflächliche
„Aneignung“ aktueller Forschungsergebnisse kann den christlichen Glauben
allenfalls kurzfristig als „zeitgemäß“ erscheinen lassen; auf Dauer stellt sie
aber die Theologie als ernstzunehmenden Dialogpartner der Physik in Frage.
Derartige theologische Anknüpfungen sind bis heute eine Begleiterscheinung
von spektakulären oder auch nur populären naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geblieben. Zurecht qualifiziert Peter Brügge zum Beispiel gegenwärtige Versuche, die „Chaostheorie“ – und hier insbesondere wiederum die
Benennung „Chaos“ – für eine „Chaos-Theologie“ nutzbar zu machen als
populärwissenschaftliche Vermarktung eines Schlagwortes, als Schwärmerei
und pseudoreligiöse Spekulation.18
18
Vgl. P. Brügge, Ausbreitung und Mißbrauch einer neuen Welterklärung (I–III); Brügge
beurteilt des weiteren die Wissenschaft vom Chaos als „Nährboden für märchenhaft falsche
Erwartungen und pseudoreligiöse Spekulationen“ (III, 246) und spricht diesbezüglich vom
„Showbusiness für die Masse der mathematisch Unkundigen“ (III, 240). Dies gilt m. E. auch
für die pseudotheologische Ausbeutung des „anthropischen Prinzips“ (vgl. die Einführung
vorliegender Arbeit, Anm. 67 und 68); vgl. auch H.-D. Mutschler, Physik – Religion – New
Age, insbes. 212–216, sowie K. Schmitz-Moormann, Materie – Leben – Geist, 17f, der
darauf hinweist, daß sich auch „in neueren Handbüchern der Theologie der Schöpfung [...]
Verallgemeinerungen [finden], die auf einem klaren Mißverständnis der naturwissenschaftlichen Aussagen über das Universum beruhen“.
104
II. Neuscholastische Apologetik
Im folgenden Abschnitt wird zunächst die Ausgangssituation der katholischen
Theologie um die Wende zum 20. Jahrhundert skizziert (1.). Diese ist
bestimmt durch die kirchlich angeordnete Festlegung auf die scholastische
Tradition (a) und ein rigoroses Vorgehen kirchlicher Autorität gegen
„modernistische“ Tendenzen innerhalb der Theologie (b). Reformerische
Ansätze und Versuche, den Gegensatz zwischen katholischer Kirche und
modernen Wissenschaften zu überwinden, können sich demgegenüber nicht
durchsetzen und berücksichtigen überdies kaum die modernen
Naturwissenschaften (c). Vor diesem Hintergrund kann die reflexartige und
polemische Ablehnung, die die Relativitätstheorie schon vergleichsweise früh
von neuscholastischer Seite erfährt, kaum verwundern (2.); die wenigen
sachlich etwas tiefer gehenden Auseinandersetzungen sind darüber hinaus
lange Zeit durch eine tendenziöse oder sogar physikalisch falsche Darstellung
der Relativitätstheorie gekennzeichnet (3.). Die Zurückweisung der
Relativitätstheorie durch neuscholastische Theologen gipfelt in der
Behauptung, diese Theorie sei „schlechte Metaphysik“ und eine rein
hypothetische Konstruktion, die sich experimentell nicht überprüfen lasse
(4.). Diese ablehnende Haltung und die Bevorzugung von physikalisch längst
überholten Alternativtheorien kann aufgrund des dabei vorausgesetzten
traditionellen Substanzbegriffs erklärt werden (5.). Solches Beharren auf einer
den neuen physikalischen Erkenntnissen nicht mehr angemessenen
Begrifflichkeit läßt nicht nur die theologische Reaktion auf die
Relativitätstheorie kläglich scheitern, sondern blockiert auch lange Zeit das
konstruktive Gespräch zwischen Theologie und moderner Physik (6.).
1. Ausgangssituation in der katholischen Theologie
Im 19. Jahrhundert wurden denkbar schlechte Voraussetzungen für einen
konstruktiven Dialog zwischen katholischer Theologie und modernen
Naturwissenschaften gelegt. Seit dem Jahr 1835 erscheinen zwar die grundlegenden naturwissenschaftlichen Werke von Kopernikus, Kepler und Galilei
nicht mehr auf dem kirchlichen Index verbotener Bücher,19 doch das Zerwürfnis zwischen neuzeitlicher Naturwissenschaft und Kirche ist damit noch nicht
einmal im Ansatz aufgearbeitet und führt im Ergebnis zur „beinahe lautlosen
Emigration der Naturwissenschaftler aus der Kirche“ und zum „permanenten
Konflikt
zwischen
Naturwissenschaft
und
der
herrschenden
Normaltheologie“20. Die verhärtete Haltung zu den modernen
Naturwissenschaften spiegelt sich exemplarisch in einer umfassenden Veröffentlichung über Galileo Galilei wider, die der Jesuit und Professor für Astro19
Vgl. L. Bieberbach, Galilei und die Inquisition, 121f; Newtons „Principia“ und später
erschienene Bücher, die die kopernikanische Lehre behandeln, wurden nie verboten.
20
H. Küng, Das Christentum. Wesen und Geschichte, 764.
105
nomie an der Gregoriana, Adolf Müller, im Jahr 1909 vorlegt. Die Verantwortung für den Konflikt um das kopernikanische Weltsystem sieht Müller darin
vor allem bei Galilei selbst. Hätte dieser „ruhig abgewartet, bis er einen schlagenden Beweis für die ausschließliche Wahrheit dieser Hypothese hätte
vorbringen können, so hätten sich die Theologen [...] vor diesem Beweise
zurückgezogen, sie hätten ohne Zögern eingestanden, daß man bis dahin
manche Stellen der Heiligen Schrift nicht richtig aufgefaßt habe“21. Entrüstet
wird von Müller insbesondere Galileis Auftreten kritisiert, stand diesem doch
„eine wirkliche geistliche Autorität gegenüber, ein mit Unfehlbarkeit in
Glaubensentscheidungen ausgerüstetes, geordnetes Lehramt“22. An Galileis
Charakter werden hervorgehoben seine „Sinnlichkeit, Streitsucht, Heftigkeit,
ein unbändiger Ehrgeiz, eine unversöhnliche Rachsucht, verbunden mit einer
Art Verfolgungswahn“23 und schließlich versucht Müller Galilei zu diskreditieren, indem er wiederholt auf die „wild[e] Ehe“ und das „unlauter[e]
Verhältnis“24 Galileis mit der Venezianerin Gamba hinweist.
Wo von einflußreicher kirchlicher Stelle derart uneinsichtige und polemische
„Konfliktbewältigung“ vorgenommen wird, hat ein fruchtbarer Austausch
zwischen Naturwissenschaft und kirchlicher Theologie von allem Anfang an
wenig Aussicht auf Erfolg. Man wird dann in der Folge kaum noch darüber
erstaunt sein, daß die neuscholastische Reaktion auf die Relativitätstheorie
dem historischen Muster folgt und auch diese neue Theorie als Hypothese
abtut, die experimentell gar nicht bewiesen sei, ja gar nicht bewiesen werden
könne.25 In dieses Bild fügt sich desgleichen die despektierliche Rede von den
„zahlreichen Freunde[n] und Anhänger[n]“ Einsteins, die „glauben in
Einsteins Theorie die höchste Weisheit zu schauen, zu welcher sich je der
Menschengeist emporgerungen“26. Da diese überdies „nicht müde [werden],
in halbwissenschaftlichen Zeitschriften so gut wie in den Tagesblättern ihren
Helden zu feiern und die ‚weltumwälzende‘ Bedeutung seiner Leistungen
nicht bloß für die Physik und Astronomie, sondern für die gesamte Philosophie zu betonen“, sei es nicht verwunderlich, „wenn es ihnen selbst in wissenschaftlichen Zeitschriften zuweilen in Tönen zurückschallt, die für eine
sachliche Erörterung so schwieriger Fragen nicht die geeignetsten sind“ 27.
21
A. Müller, Galileo Galilei und das kopernikanische Weltsystem, 176.
A.a.O., 104.
23
A.a.O., 174.
24
A.a.O., 14, vgl. 53f. „Das Ärgernis war so offenkundig“, schreibt Müller, a.a.O., 14, „daß
Galilei selbst nie den Versuch machte, seine Vaterschaft betreffs dieser illegitimen Kinder zu
leugnen.“ – Nach dem Urteil von J. Brandmüller handelt es sich bei dieser Veröffentlichung
Müllers um eine „nüchterne, sachliche, kritische Darstellung der Vorgänge um Galilei“ (J.
Brandmüller, Galilei und die Kirche oder das Recht auf Irrtum, Regensburg 1982, 15f).
25
Vgl. S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 212.
26
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 107.
27
Ebd.
22
106
a) Kirchliche Festlegung auf die scholastische Tradition
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird durch verschiedene päpstliche Verlautbarungen systematisch versucht, die katholische Theologie und
Philosophie auf die scholastische Überlieferung festzulegen.28 Die im Zusammenhang mit diesem Rückgriff auf die scholastische Tradition vor allem von
Kritikern geprägten Begriffe „Neuscholastik“ und „Neuthomismus“ und ihre
genauere inhaltliche Abgrenzung sind dabei allerdings umstritten.29 Im Jahr
1863 – kurz nach einer „Versammlung katholischer Gelehrter“ in München,
bei der Ignaz von Döllinger die Freiheit der Wissenschaft in der Theologie
unter Achtung der Glaubenssätze gefordert hatte – sieht sich Papst Pius IX.
veranlaßt an „die alte Schule und [...] die Lehre jener hervorragenden Lehrer“
zu erinnern, „die die gesamte Kirche wegen ihrer wunderbaren Weisheit und
Heiligkeit des Lebens verehrt“30. Durch Kritik an ihnen sieht Pius IX. „[...]
die Autorität der Kirche selbst in Zweifel gezogen, da ja die Kirche selbst
nicht nur durch so viele Jahrhunderte hindurch ununterbrochen gestattete, daß
nach der Methode ebendieser Lehrer und nach Prinzipien, die in gemeinsamer
Übereinstimmung aller katholischen Schulen festgelegt wurden, die theologische Wissenschaft ausgebildet werde, sondern ihre theologische Lehre auch
sehr oft mit höchstem Lobe pries und sie als stärkstes Bollwerk des Glaubens
28
Die thomistische Renaissance begann sich bereits vor der Jahrhundertmitte insbesondere
in Italien abzuzeichnen, vgl. dazu G. F. Rossi, Die Bedeutung des Collegio Alberoni in
Piacenza für die Entstehung des Neuthomismus, 83–108, sowie H. M. Schmidinger, Der
Streit um die Anfänge der italienischen Neuscholastik, 74–79.
29
In den damaligen päpstlichen Verlautbarungen findet sich weder der Begriff „Neuscholastik“ noch „Neuthomismus“ (allerdings spricht auch Papst Johannes Paul II. 1998 in seiner
Enzyklika „Fides et ratio“, Nr. 59, im Rückblick auf diese Zeit von einer „thomistische[n]
und neothomistische[n] Erneuerung“). Während sich nach der Enzyklika „Aeterni Patris“
aber viele katholische Gelehrte als „Neuscholastiker“ bezeichnen, wird der Begriff „Neuthomismus“ praktisch nie zur ausdrücklichen Selbstbezeichnung. Im Zusammenhang mit der
stärker differenzierenden geschichtlichen Erforschung der Scholastik in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, setzt die Auflösung des Begriffs „Neuscholastik“ ein, denn „mit der
Zeit umfaßte er eine derartige Vielzahl von zum Teil kontrastierenden Richtungen, daß er
seinen eindeutigen Inhalt verlor“ (H. M. Schmidinger, Art. Neuscholastik, Sp. 772). Unter
sachlichen Aspekten hebt H. M. Schmidinger bezüglich der (frühen) Neuscholastik u. a.
folgende charakteristischen Punkte hervor: die Philosophie ist dem kirchlichen Lehramt
untergeordnet; im Rückgriff auf die klassische Tradition der Kirche, vor allem auf das 13.
Jahrhundert, wird eine Form von „Philosophia perennis“ erhofft; darüber hinaus wird die
neuzeitliche Philosophie und überhaupt das moderne Geistesleben als ein durch den Protestantismus verursachter Irrweg, den die kirchliche Wissenschaft ignorieren muß, abgelehnt
(vgl. H. M. Schmidinger, „Scholastik“ und „Neuscholastik“, 50). Im Jahr 1920 nennt P.
Jansen als „unvergänglich[e] Grundanschauungen“ der Neuscholastik: „der abbildende
Charakter der höheren Erkenntnis, die Absolutheit und Unveränderlichkeit der Wahrheit, die
Möglichkeit, das Ding an sich, die körperliche Außenwelt, die metaphysische Idealordnung,
das Geistige und das Absolute, wenn auch unvollkommen, so doch wahrhaft mit dem
Verstand zu erfassen, die objektive Geltung des Kausalgesetzes“ (P. Jansen, Scholastische
und moderne Philosophie, 259).
30
Brief „Tuas libenter“ an den Erzbischof von München-Freising, 21.12.1863, in: H.
Denzinger/P. Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Nr. 2876 (=DH 2876).
107
und furchtbare Waffe gegen ihre Feinde nachdrücklich empfahl.“31 Im
berühmten „Syllabus“ von 1864 nimmt Pius IX. dann in die Sammlung der
dort aufgelisteten 80 Irrtümer auch ausdrücklich die Auffassung auf, wonach
„die Methode und die Grundsätze, nach denen die alten scholastischen Lehrer
die Theologie ausbildeten, [...] keineswegs den Erfordernissen unserer Zeiten
und dem Fortschritt der Wissenschaften [entsprechen]“32.
Sein Nachfolger Papst Leo XIII. setzt unter seinem Pontifikat (1878–1903)
den Rückgriff auf die scholastische Tradition systematisch fort und verschafft
ihm durch mehrere Verlautbarungen entsprechend nachhaltige Wirkung. Vor
allem seine Enzyklika „Aeterni Patris“ (1879) wird als „entscheidend
richtungsweisendes Dokument“33 für die Neuscholastik beurteilt. Leo XIII.
ermahnt darin die Theologen und Philosophen mit Nachdruck „zum Schutz
und zur Zierde des katholischen Glaubens, zum Wohle der Gesellschaft und
zum Wachstum aller Wissenschaften die goldene Weisheit des heiligen
Thomas wiederherzustellen und möglichst weit zu verbreiten“34. Die Absicht
des Papstes ist unbestritten „eine Erneuerung des philosophischen Denkens
überhaupt auf der Basis des Thomismus“35. Die Enzyklika „Aeterni Patris“ ist
zwar bei weitem nicht das erste päpstliche Dokument zugunsten des Thomismus, aber „wohl mit Sicherheit das am meisten entfaltete, das ausschließlichste und außerdem jenes, das am meisten auf der philosophischen Bedeutung
des Thomismus beharrte“36.
Darüber hinaus wird durch eine Serie konkreter Maßnahmen die Restauration
des Thomismus betrieben,37 wodurch sich die Neuscholastik und insbesondere
der Neuthomismus mehr und mehr als offizielle katholische Schulphilosophie
behaupten können.38 Im Jahr 1917 schließlich verlangt der „Codex Juris
31
Ebd.
DH 2913.
33
E. Coreth, Einleitung, 9; vgl. dazu R. Aubert, Die Enzyklika „Aeterni Patris“ und die
weiteren päpstlichen Stellungnahmen zur christlichen Philosophie, 310–332. – Dies wird
bestätigt in der Würdigung dieser Enzyklika durch Papst Johannes Paul II.: „Nach über einem
Jahrhundert haben viele in jenem Text enthaltene Hinweise sowohl unter praktischem wie
unter pädagogischem Gesichtspunkt nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt; das gilt zuallererst für die Bedeutung in bezug auf den unvergleichlichen Wert der Philosophie des hl.
Thomas“ (Fides et ratio, Nr. 57).
34
DH 3140. Diese Forderung wird ein wenig relativiert, wenn Leo XIII. unmittelbar im
Anschluß daran erläutert: „Die Weisheit des heiligen Thomas sagen Wir: denn wenn etwas
von den scholastischen Lehren entweder mit zu großer Spitzfindigkeit erörtert oder zu wenig
überlegt gelehrt wurde, wenn etwas mit den Forschungsergebnissen der späteren Zeit weniger
im Einklang steht oder schließlich in irgendeiner Weise nicht wahrscheinlich ist, so beabsichtigen Wir keineswegs, daß dies unserer Zeit zur Nachahmung vorgelegt werde.“
35
R. Aubert, Die Enzyklika „Aeterni Patris“ und die weiteren päpstlichen Stellungnahmen
zur christlichen Philosophie, 320.
36
A.a.O., 324.
37
U. a. wird im Jahr 1879 die Accademia Romana di S. Tommaso d’Aquino reorganisiert,
ein Jahr später Thomas von Aquin zum Patron der katholischen Schulen erhoben und außerdem die kritische Neuausgabe der Werke des Thomas („Leonina“) begründet.
38
Im Jahr 1914 werden in einem Dekret der Studienkonkregation 24 Thesen der thomisti32
108
Canonici“ von allen Theologiestudenten ein vorausgehendes zweijähriges
Philosophiestudium, das der Lehre und den Prinzipien des Thomas von Aquin
entsprechen soll.39 In der katholischen Theologie kann sich die Neuscholastik
im Jahr 1920 als „siegreiche Führerin“ feiern lassen, als „die überlegene
Herrscherin, die edle Wahrheitsträgerin auf dem Gebiete der Philosophie“40.
Die Neuscholastik wird damit „zur gesetzlich vorgeschriebenen römisch-katholischen Normaltheologie“41, bleibt „mindestens bis zur Mitte des 20.
Jahrhunderts vorherrschend und wirkt bis in die Gegenwart nach“ 42.
b) Abwehr „modernistischer“ Tendenzen43
Neben dieser Festlegung auf die scholastische Tradition werden vor allem
unter Papst Pius X. (1903–1914) reformerische Tendenzen in der Theologie,
die insbesondere von dem Exegeten Alfred Loisy und dem ehemaligen Jesuiten Georges Tyrell ausgehen und eine Vermittlung zwischen kirchlicher
Lehre und moderner Wissenschaft anstreben, unnachsichtig unterdrückt.
Nachdem Pius X. schon im Jahr 1903 fünf Schriften von Alfred Loisy auf den
Index verbotener Bücher setzen ließ und sich in den folgenden Jahren
verschiedentlich gegen die Neuerungen in der Theologie wandte, werden von
ihm im Jahr 1907 zunächst in dem Dekret „Lamentabili“ 65 vornehmlich aus
den Werken Loisys herausgegriffene Sätze „verworfen und geächtet“44. Explizit wird hier auch die Auffassung zurückgewiesen, der Fortschritt der Wissenschaften erfordere es, „daß die Vorstellungen [conceptus] der christlichen
Lehre von Gott, von der Schöpfung, von der Offenbarung, von der Person des
Fleischgewordenen Wortes und von der Erlösung umgebildet werden“45.
Wenig später werden dann in der großen Enzyklika „Pascendi dominici
schen Philosophie als bestätigt veröffentlicht (DH 3601–3624). In einer dieser Thesen heißt
es, daß durch die Quantität bewirkt werde, „daß der Körper umschreibbar an einem Ort ist
und auf diese Weise von jedweder Möglichkeit nur an einem Ort sein kann“ (DH 3612).
Allein schon die Festlegung auf diese These muß neuscholastisch argumentierende Theologen im Zusammenhang mit der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation und dem quantenmechanischen Indeterminismus in größte Verlegenheit bringen.
39
Vgl. CIC (1917) can. 1365 §1 sowie can. 1366 §2. In der Enzyklika „Studiorum ducem“
(1923) weist Pius XI. (1922–1939) noch einmal nachdrücklich auf diesen Kanon hin (vgl.
DH 3666).
40
B. Jansen, Scholastische und moderne Philosophie, 266.
41
H. Küng, Das Christentum. Wesen und Geschichte, 585.
42
E. Coreth, Einleitung, 9. – Pius XII. erinnert noch in der Enzyklika „Humani generis“
(1950) an die offizielle Haltung der Kirche bezüglich des Thomismus (vgl. DH 3894) und
hält 1953 in einer Rede vor dem vierten internationalen Thomistenkongreß fest: „Wir zögern
nicht zu sagen, daß die berühmte Enzyklika Aeterni Patris [...], in der Unser unsterblicher
Vorgänger Leo XIII. die katholisch Gebildeten an die Einheit der Lehre im Unterricht des hl.
Thomas erinnert hat, ihren vollständigen Wert behält“ (zit. in: R. Aubert, Die Enzyklika
„Aeterni Patris“ und die weiteren päpstlichen Stellungnahmen zur christlichen Philosophie,
329).
43
Vgl. zum folgenden insbes. F. Padinger, Die Enzyklika „Pascendi“ und der Antimodernismus, 349–361.
44
DH 3466.
45
DH 3464 (Hervorhebung vom Verf.).
109
gregis“ die Irrtümer des biblischen und theologischen „Modernismus“ noch
einmal aufgezählt und wieder in feierlicher Form verurteilt. Noch im gleichen
Jahr 1907 verhängt Pius X. in einem Motuproprio die Exkommunikation über
alle, die dem Dekret widersprechen und dem Dekret den Gehorsam
verweigern.46 Loisy selbst wird im Jahr 1908 exkommuniziert.
Im Jahr 1910 fordert Pius X. im Motuproprio „Sacrorum antistitum“ den
„Antimodernisteneid“, den alle Priesteramtskandidaten vor der Weihe und
alle in Seelsorge und Unterricht tätigen Geistlichen ablegen müssen. Nur
Theologieprofessoren an staatlichen Universitäten sind von der Eidespflicht
entbunden. An erster Stelle wird darin das Bekenntnis gefordert, „daß Gott,
der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der
Vernunft ‚durch das, was gemacht ist‘ (Röm 1,20), das heißt, durch die sichtbaren Werke der Schöpfung als Ursache vermittels der Wirkungen sicher
erkannt und sogar auch bewiesen werden kann“47. Mit dem Zusatz, daß Gott
nicht nur sicher erkannt, sondern auch bewiesen werden könne, wird die
Definition des I. Vaticanum, wonach Gott mit dem natürlichen Licht der
menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiß erkannt werden
kann, noch ergänzt.48 Erst im Jahr 1967 wird die Eidesverpflichtung suspendiert.
Der „Modernismus“, der innerhalb der katholischen Kirche und namentlich
von Pius X. zu Beginn des 20. Jahrhunderts rigoros bekämpft wird, wird erst
durch die kirchliche Reaktion – vor allem durch die Enzyklika „Pascendi“ –
zu einer vermeintlich einheitlichen theologischen Richtung zusammengefaßt.
Wenn man mit „Modernismus“ aber eine Einstellung bezeichnen will, die die
verurteilten Theologen auch tatsächlich gemeinsam teilen, so liegt diese vor
allem in dem Versuch, die katholische Theologie dem geistigen Leben ihrer
Zeit wieder zu öffnen. Dazu zeigt sich eine konstruktive Auseinandersetzung
mit den neuen Entwicklungen in Philosophie und Wissenschaft als
unumgänglich. Von seinem ursprünglichen Anliegen her ist der Modernismus
somit „eine Bewegung solcher, die in der Kirche bleiben wollten und dabei
doch aus der modernen Welt alles das anzunehmen bereit waren, was sich im
Bereich des Denkens als unwiderleglich und im institutionellen Bereich als
heilsam zu erweisen schien, um so den Katholizismus einer gewandelten Welt
anzupassen und von zufälligen und veraltet erscheinenden Elementen zu
befreien“49.
Durch die pauschale und kaum differenzierende Zurückweisung dieser
Bewegung und durch die Tatsache, daß in diesem Zusammenhang katholische
46
Vgl. Acta Sanctae Sedis 40 (1907), 723.
DH 3538 (Hervorhebung dort).
48
Vgl. die Dogmatische Konstitution „Dei Filius“, DH 3004.
49
R. Aubert, Art. Modernismus, 94. – Um so bedauerlicher ist es, daß auch Papst Johannes
Paul II. in seiner Enzyklika „Fides et ratio“ den Begriff „Modernismus“ und die von Pius X.
vorgegebenen negativen Konnotationen undifferenziert übernimmt (vgl. Fides et ratio, Nr.
54).
47
110
Denker „denunziert, indiziert, exkommuniziert wurden“50, wird die notwendige Auseinandersetzung der katholischen Theologie mit den modernen
Wissenschaften insgesamt schwer belastet und großenteils auch unterbunden.
Der Modernismusstreit zu Beginn des 20. Jahrhunderts erweist sich innerhalb
der katholischen Theologie als „traumatische Erfahrung“51 mit jahrzehntelangen Folgeerscheinungen. Das Unrecht, das katholischen Denkern und
Forschern im Zusammenhang mit dem Modernismusstreit geschieht, wirkt
nach dem Urteil von Emerich Coreth lähmend und erstarrend auf das gesamte
philosophisch-theologische Denken und Forschen im katholischen Bereich:
„Die Probleme wurden damals unterdrückt, nicht gelöst. Sie brechen später
erst recht auf und sind der Gegenwart neu zur Bewältigung gestellt.“ 52
Der Kirchenhistoriker Karl Bihlmeyer beurteilt die gesellschaftliche Entwicklung ab Mitte des 19. Jahrhunderts als „organisierten Massenabfall von
Christus“53, zeichnet aber mit seiner Beschreibung vor allem ein scharfes Bild
vom damaligen Selbstverständnis der katholischen Kirche:
„Es ist der größte und gefährlichste innere Umwälzungs- und Auflösungsprozeß, der die
Menschheit seit dem Eintritt des Christentums in die Welt erfaßte. Auch die katholische
Kirche, die mitten in die moderne Kulturentwicklung hineingestellt ist, blieb von seinen
verderblichen Einflüssen nicht verschont. Zur Rettung der heiligsten Güter der Religion
zog sie sich gleichsam in eine belagerte Festung zurück, um mit zusammengeballter Kraft
und unter straffster Führung ihrer obersten Autorität dem Ansturm der zentrifugalen
Mächte entgegenzutreten.“54
Unter den gegebenen Bedingungen ist für die katholische Theologie auch eine
offene und unbefangene Auseinandersetzung mit neuen naturwissenschaftlichen Theorien kaum denkbar. Dies gilt für die Entwicklungslehre Charles
Darwins genauso55 wie dann für die neuen physikalischen Erkenntnisse. Die
katholische Theologie sieht sich einerseits durch die Erfolge der
50
E. Coreth, Rückblick und Ausblick, 882. – Um eine Vorstellung vom damaligen innerkirchlichen Klima zu vermitteln, sei auf die Tätigkeit des „Sodalitium Pianum“ verwiesen: Im
Jahr 1906 wird Umberto Benigni, ehemaliger Professor für Kirchengeschichte, Unterstaatssekretär der Konkregation für außerordentliche Angelegenheiten. Er zeichnet unter zwölf
verschiedenen Decknamen, benutzt einen Geheimcode für interne Briefe und baut eine
Geheimorganisation mit ungefähr 1000 Mitarbeitern auf, die durch Bespitzelungen und
Denunziationen eine weltweite Aktivität entfaltet. Pius X. weiß von den Tätigkeiten dieser
Organisation und lobt sogar ihren Eifer. Als 1921 das „Sodalitium Pianum“ aufgelöst wird,
schließt sich Benigni den Faschisten an (vgl. F. Padinger, Die „Enzyklika Pascendi“ und der
Antimodernismus, 358f).
51
R. Schaeffler, Philosophie und katholische Theologie im 20. Jahrhundert, 50.
52
E. Coreth, Rückblick und Ausblick, 882.
53
K. Bihlmeyer, Kirchengeschichte, Bd. 3, 458.
54
Ebd.
55
K. Schmitz-Moormann, Herausgeber der kritischen Ausgabe der Schriften Teilhard de
Chardins, erinnerte kürzlich daran, daß keiner der frühen theologischen Texte Teilhards „die
Barriere der Zensoren zu überwinden vermochte. Mehr noch, als Teilhard 1922 auf die Bitte
eines seiner Mitbrüder hin seine Vorstellungen über die Erbsündenlehre zu Papier brachte,
fand dieser Text auf ungeklärte Weise den Weg nach Rom, wo er offensichtlich auf Mißfallen stieß“ (K. Schmitz-Moormann, Pierre Teilhard de Chardin. Evolution – die Schöpfung
Gottes, 16). Teilhard war so „Zeit seines Lebens gezwungen, gewissermaßen im theologischen Untergrund zu arbeiten“ (a.a.O., 17).
111
Naturwissenschaften und die sich daran anschließenden oft religionskritischen
Popularisierungen in die Ecke gedrängt und andererseits von der Kirche auf
eine neuthomistische Interpretation dieser Erkenntnisse festgelegt.
c) Versuch einer Neuorientierung: Die Görres-Gesellschaft
Die modernistische Bewegung ist ein Versuch, in der katholischen Theologie
durch neue Ansätze das Verhältnis zur „modernen Kultur“ insgesamt zu
klären. Diese Bewegung vereinigt dabei ganz verschiedene Reformbestrebungen auf den Gebieten von Religionsphilosophie, Soziallehre, Apologetik,
Bibelwissenschaft, Dogmengeschichte und politisch-sozialer Aktion. Allerdings spielt bei den bedeutendsten „Modernisten“ Alfred Loisy, Friedrich von
Hügel, George Tyrell und Ernesto Buanaiuti eine explizite und grundlegende
Auseinandersetzung mit den modernen Naturwissenschaften allenfalls eine
marginale Rolle.56 Dies gilt zunächst auch für die Aktivitäten der im Jahr
1876 gegründeten „Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im
katholischen Deutschland“, deren erklärtes Ziel insbesondere die Überwindung des Gegensatzes zwischen katholischer Kirche und intellektueller Elite
darstellt.
Unmittelbarer Hintergrund der Entstehung dieser Organisation ist die Kulturkampfszene, die katholischen Nachwuchskräften vielfach die wissenschaftliche Karriere erschwert. Die Gründung der Görres-Gesellschaft, die darum
von Anfang an auch die wissenschaftliche Nachwuchsförderung zu ihren
Aufgaben zählt, kann rückblickend verstanden werden „als eine Antwort auf
die Herausforderungen des Katholizismus durch die moderne Welt“57. Mit
Unterstützung von Seiten der Kirche kann aber auch diese „Laienorganisation
von Gelehrten“, der auch Theologen als Mitglieder angehören können, damals
nicht rechnen. Im Gegenteil, auch sie gerät vor dem Ersten Weltkrieg an der
römischen Kurie in den Verdacht „modernistischer Häresie“.58
In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß der Schwerpunkt der
Arbeiten der Görres-Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten fast ausschließlich
im geisteswissenschaftlichen Bereich lag. So werden schon kurz nach der
Gründung drei Fachsektionen für Rechts- und Sozialwissenschaft, Philosophie und Geschichte eingerichtet, die alsbald eigene Vereinsschriften und
Jahrbücher vorlegen. Doch die geplante vierte Sektion für Naturwissenschaft
kommt lange nicht richtig in Gang. Nach mehreren gescheiterten Gründungsversuchen wird diese Sektion erst im Jahr 1907 unter der Leitung des Mathematikers Wilhelm Killing neu konstituiert, allerdings ohne ein eigenes
Publikationsorgan einzurichten. Eine Reihe interessanter Beiträge insbesondere zur Relativitätstheorie findet sich aber im seit dem Jahr 1888 von der
Görres-Gesellschaft herausgegebenen „Philosophischen Jahrbuch“. Hier
kommen allerdings fast ausnahmslos neuscholastisch argumentierende Kriti56
57
58
Vgl. dazu I. Böhm, Das Denken der bedeutendsten Modernisten, 333–348.
L. Boehm, Begleitwort, 258.
Vgl. R. Morsey, Art. Görres-Gesellschaft, Sp. 1084.
112
ker der Relativitätstheorie zu Wort, die gewiß nicht mehr des Modernismus
verdächtigt werden können. Eine neuen und starken Impuls erhält in der
Görres-Gesellschaft der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften
erst, als im Jahr 1957 das „Internationale Institut zur Begegnung von
Naturwissenschaften und Glauben“ gegründet wird. Dieses Institut nennt sich
inzwischen
„Institut
für
interdisziplinäre
Forschung
(Naturwissenschaft-Philosophie-Theologie)“
und
gibt
eine
eigene
Forschungsreihe „Naturwissenschaft und Theologie“ (seit 1972
„Grenzfragen“) heraus.59
Ein weiteres frühes Beispiel für den Versuch einer Neuorientierung der katholischen Kirche zu den modernen Wissenschaften mit ausdrücklichem
Einschluß der modernen Naturwissenschaften sind die Schriften des Kirchenhistorikers Albert Ehrhard, der im Jahr 1901 „die wachsende Entfremdung der
gebildeten Kreise von der katholischen Kirche“ beklagt und bedauert, „daß
eine große Anzahl von Philosophen, Geschichtsschreibern, Naturforschern,
Juristen, Medizinern, Litteraten, Künstlern u.s.w., die aus katholischen
Familien stammen, sich nicht mehr als Katholiken fühlen“60. Für Ehrhard
unterliegt es keinem Zweifel, daß „die Beilegung des Konflikts der modernen
Welt mit der katholischen Kirche [...] bedeutsamste und wichtigste
Aufgabe“61 des 20. Jahrhunderts bilden müsse. Dabei äußert sich Ehrhard
deutlich skeptisch darüber, ob die im 19. Jahrhundert erstarkte neuscholastische Philosophie dieser Aufgabe gewachsen sein kann. Er erinnert daran, daß
sich die katholische Kirche nicht „mit einer bestimmten philosophischen und
theologischen Schule [...] identifizieren [kann]“62, beklagt den
„theologische[n] Hyperkonservatismus, der sich von den überkommenen
Naturanschauungen nicht frei machen konnte“63 und verweist ausdrücklich
auch auf die verhängnisvolle Rolle, die „in der aristotelisch-scholastischen
Naturtheorie festgebannt[e] Theologen“64 im Galileikonflikt und später in der
Kirche gespielt haben.
Sieht sich damals schon der Rottenburger Bischof Paul Wilhelm bei Erteilung
der kirchlichen Druckerlaubnis für Ehrhards Werk „Der Katholizismus und
das zwanzigste Jahrhundert“ gedrängt, darauf hinzuweisen, daß er in manchen
Punkten anderer Anschauung als der Verfasser sei, so folgt der Veröffentlichung ein Sturm kirchlicher Entrüstung.65 Auch Ehrhard wird nun des
59
Vgl. zur Geschichte der Sektion für Naturwissenschaft innerhalb der Görres-Gesellschaft
H. E. Onnau, Die Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, 143f. – Im Zusammenhang mit der Thematik vorliegender Arbeit sei hier verwiesen auf folgende jüngere Veröffentlichungen des Instituts: N. A. Luyten (Hg.), Wirklichkeitsbezug wissenschaftlicher
Begriffe: Gleichnis oder Gleichung? (Grenzfragen, Bd. 14), Freiburg/München 1986;
L. Honnefelder (Hg.), Natur als Gegenstand der Wissenschaften (Grenzfragen, Bd. 19),
Freiburg/München 1992; H. M. Baumgartner (Hg.), Zeitbegriffe und Zeiterfahrung (Grenzfragen, Bd. 21), Freiburg/München 1994.
60
A. Ehrhard, Der Katholizismus, 9, 11.
61
A.a.O., 339.
62
A.a.O., 251.
63
A.a.O., 298.
64
A.a.O., 299f.
65
Vgl. dazu die Dokumentation der Reaktionen in: A. Ehrhard, Liberaler Katholizismus? Ein
113
Modernismus verdächtigt und mit dem Entzug der Prälatenwürde
diszipliniert. Wieder zeigt sich, daß einer grundlegenden Neuorientierung der
katholischen Theologie gegenüber den modernen Wissenschaften zur damaligen Zeit innerhalb der Kirche kein Spielraum gewährt wird. Aber selbst dort,
wo die Bereitschaft zu einer solchen Neuorientierung vorhanden ist, erweist
sich der Versuch, mit den modernen Naturwissenschaften in einen fruchtbaren
Austausch einzutreten, als besonders problematisch.
Treffend zeichnet Karl Bihlmeyer das Bild eine Kirche, die sich ringsum von
feindlichen Mächten umringt wähnt und sich schutzsuchend hinter ihren
Mauern verschanzt. Entsprechend vermitteln auch die ersten Stellungnahmen
katholischer Theologen auf die Relativitätstheorie den Eindruck „in der
belagerten Festung“ geschrieben zu sein. Mit Polemik und unverhohlenem
Vorbehalt reagieren sie auf die Einsteinschen Theorien, die vor allem
zwischen den Jahren 1910 und 1924 die Welt bewegten. Die Relativitätstheorie wird – durchaus zurecht – als Infragestellung der scholastischen Begrifflichkeit verstanden und damit den feindlichen Mächten zugerechnet. Die
Reaktionen neuscholastischer Autoren sind damit fast ausnahmslos apologetischer Natur. Neben einigen kürzeren Beiträgen in den Zeitschriften „Revue
Néo-Scolastique de Philosophie“ und „Revue Thomiste“ sowie der wiederholten abfälligen Kommentierung der Relativitätstheorie durch Jacques Maritain
findet sich eine Anzahl zum Teil ausführlicher Arbeiten neuscholastischer
Autoren vor allem in den „Stimmen der Zeit“, einflußreiche „Katholische
Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart“, und im „Philosophischen
Jahrbuch“ der Görres-Gesellschaft.66
2. Erster Reflex: Polemische Zurückweisung der Relativitätstheorie
Vergleichsweise früh bezieht Constantin Gutberlet im Jahr 1913 im „Philosophischen Jahrbuch“ Stellung im Streit um „das von Einstein so laut verkündete Relativitätsprinzip“67. Für Gutberlet, der eine eingehende
Wort an meine Kritiker, Stuttgart und Wien 1902.
Vgl. F. Renoirte, La critique einsteinienne des mesures d’espace et de temps; L. Mélizan,
Théories einsteiniennes; J. Maritain, De la métaphysique des physiciens ou de la simultanéité
selon Einstein; ders.; La mathématisation du temps (zu J. Maritain vgl. F. Dessauer, Naturwissenschaftliches Erkennen, 389, sowie H.-D. Mutschler, Physik und Neothomismus,
28–33); T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie; S. v. Dunin-Borkowski, Neue
philosophische Strömungen; C. Gutberlet, Der Streit um die Relativitätstheorie; G.
Kreuzberg, Über die Möglichkeit der mechanischen Naturerklärung nach Einstein; E.
Hartmann, Raum und Zeit im Lichte der neuesten physikalischen Theorien; ders., Albert
Einsteins allgemeine Relativitätstheorie; A. Weber, Zur Relativitätstheorie; ders., Über Raum
und Zeit; W. Böhm, Realismus und Idealismus in der Einsteinschen Relativitätstheorie; A.
Ch. de Guttenberg, Das neue physikalische Weltbild und Einstein; G. Petry, Ist der „Äther“
als kosmologische Grundkonstante haltbar? A. Müller, Die Relativitätstheorie und die Struktur der physikalischen Erkenntnis.
67
C. Gutberlet, Der Streit um die Relativitätstheorie, 328.
66
114
Auseinandersetzung mit der Relativitätstheorie offensichtlich nicht für
notwendig erachtet und nur einzelne kontroverse Zitate der Physiker Ernst
Gehrke und Max Born gegeneinanderstellt, ist die Theorie „ganz evident
widerspruchsvoll“,
sie
widerspreche
„nicht
nur
‚altgewohnten
68
Anschauungen‘, sondern den klarsten logischen Sätzen“ . Der von Einstein
neu eingeführte Zeitbegriff sei „ganz und gar unsinnig“69. Auch lasse sich
„ganz evident zeigen, 10 dass absolute Bewegung möglich und 20 tatsächlich
ist“70. Mit Gehrke hält Gutberlet am Äther fest, der seines Erachtens auch von
der Relativitätstheorie gefordert werden müsse.71 So bleibt für ihn schließlich
nur die Frage zu beantworten, warum die offensichtlich so unsinnige und
widersprüchliche Relativitätstheorie derart große Verbreitung finden konnte:
den Grund dafür macht er – wiederum im Anschluß an Gehrke – in einer
„Massensuggestion“ aus und fährt fort:
„[...] es kann nicht geleugnet werden, dass die unsinnigsten philosophischen und religiösen
Systeme ebenso wunderbare Propaganda machen, wie die abgeschmacktesten Moden der
Frauenwelt. Ausser der psychischen Ansteckung liegen freilich auch geheime Motive
solcher Verbreitung zu Grunde, bei den Damen die Eitelkeit, bei geistiger Suggestion der
Reiz der Neuheit und regelmäßig die Weltanschauung, speziell die monistische, welcher
die Neuheit dient.“72
Gutberlets Urteil hat Gewicht. Jahrzehntelang befaßt er sich mit christlicher
Apologetik und beansprucht dabei, daß die apologetischen Beweise auf sicheren Tatsachen und streng logischen Schlüssen beruhen.73 Seiner allgemeinen
Denkrichtung nach gehöre Gutberlet der Scholastik an, schreibt Eduard
Hartmann in einem Nachruf aus dem Jahr 1928, rückt Gutberlet in die Nähe
des spanischen Jesuitenphilosophen Franciscus Suárez und lobt vor allem
seine „Vertrautheit mit der modernen Wissenschaft“74. Gutberlet ist Begründer des „Philosophischen Jahrbuches“ und bis 1925 auch dessen Herausgeber.
Diese Zeitschrift trage den Stempel seines Geistes, bescheinigt ihm die
GörresGesellschaft noch 1924.75 In der Tat verbindet fast alle Artikel, die im
„Philosophischen Jahrbuch“ auch unter späteren Herausgebern über die
Relativitätstheorie erscheinen, eine dezidiert kritische und oft auch polemisch
ablehnende Einstellung.
68
A.a.O., 331.
Ebd.
70
A.a.O., 332.
71
A.a.O., 329.
72
A.a.O., 334.
73
Vgl. C. Gutberlet, Glauben und Wissen, 119.
74
E. Hartmann, Constantin Gutberlet <, 261; vgl. zum Einfluß Gutberlets auch P. Walter,
Die neuscholastische Philosophie im deutschsprachigen Raum, 182–184.
75
Vgl. E. Hartmann, Constantin Gutberlet <, 264.
69
115
3. Tendenziöse Darstellung der Relativitätstheorie
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Versuch des Jesuiten und Experimentalphysikers Theodor Wulf76 in den „Stimmen der Zeit“ im Jahr 1920 eine
„vorurteilsfreie Darstellung des heutigen Standes der Relativitätstheorie zu
geben“77. Dazu gestattet Wulf es sich, die Versuche zur Lichtausbreitung
zunächst so zu beschreiben, „als ob es sich um die Ausbreitung des Schalls
und nicht des Lichtes gehandelt hätte, da die Geschwindigkeit des Lichtes so
über alle Vorstellung groß ist, daß dem weniger geübten Leser dadurch das
Verständnis erschwert werden könnte“78. Doch mit diesem Vergleich führt
Wulf den Leser gleich doppelt in die Irre, erstens weil er suggeriert, die hohe
Lichtgeschwindigkeit sei für das Verständnis der Sache nicht wesentlich (was
falsch ist, da für relativ kleine Geschwindigkeitsbeträge die klassische Physik
nach wie vor eine sehr gute Näherung darstellt) und zweitens weil Wulf damit
als Analogon zur Luft, die den Schallwellen als Träger dient, stillschweigend
die von Einstein bestrittene Existenz des Äthers voraussetzt („ein solcher
Freiballon im Äthermeer ist unsere Erde“79). Wulf wird an späterer Stelle
darauf zurückkommen und gegen Einstein und die große Mehrheit der
damaligen Physiker feststellen: „Das letzte Wort über den Äther ist noch nicht
gesprochen.“80 Durch diese „anschauliche“ Einführung wird ein Verständnis
der Relativitätstheorie nicht erleichtert, sondern von Grund auf verbaut.
Noch seltsamer mutet freilich die Darstellung der Relativitätstheorie selbst an:
Zunächst wird auf mehreren Seiten die spezielle Relativitätstheorie und ihre
Vorgeschichte zusammengefaßt, anschließend zählt Wulf einige der Folgerungen aus der speziellen Relativitätstheorie auf und wendet sich dann der
Frage zu, was „von der ganzen Theorie zu halten [sei]“81. Als Test für die
Richtigkeit der speziellen Relativitätstheorie fordert Wulf nun aber eine
Bestätigung der drei Erscheinungen, die Einstein selbst als Möglichkeit zu
Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie angegeben hatte. Darüber
hinaus anerkennt er entsprechende Ergebnisse – im Unterschied zur Royal
Astronomical Society in London ein Jahr zuvor am 7.11.1919 – „nicht als
Beweise für die Richtigkeit der Einsteinschen Theorie“82 an und erwartet, daß
die Theorie „einen tödlichen Stoß“ erhalte, wenn die Versuche der nächsten
76
T. Wulf studiert unter W. H. Nernst in Göttingen Physik und lehrt von 1904 bis 1935
Physik und Naturphilosophie an der Ordenshochschule der Jesuiten in Valkenburg.
77
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 116.
78
A.a.O., 100.
79
A.a.O., 101.
80
A.a.O., 109. Wulf beruft sich in diesem Zusammenhang wiederholt auf den „Amerikaner
Professor See“ bzw. den „amerikanischen Astronomen See“ – gemeint ist der Navy-Kapitain
T. J. J. See, der in polemischen Zeitungsartikeln der New York Times und im San Francisco
Journal Einstein des Plagiats bezichtigt und zahlreiche „Irrtümer“ der Relativitätstheorie
festzustellen meint (vgl. dazu K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der
speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, 150, 158f).
81
A.a.O., 107.
82
A.a.O., 112.
116
Zeit nicht wesentlich andere- Ergebnisse zutage fördern.83 Wer dem Autor bei
seinem verschlungenen Argumentationsgang hier keine böswillige Irreführung der Leser unterstellen will, muß annehmen, daß hier noch nicht einmal
die Grundgedanken der speziellen Relativitätstheorie verstanden sind. Naturphilosophisch besonders interessante Aspekte der allgemeinen Relativitätstheorie wie zum Beispiel die Zugrundelegung einer nichteuklidischen
Geometrie werden nicht einmal erwähnt.
Dieses peinliche Unverständnis ist kein Einzelfall. Den Vorwurf, die spezielle
Relativitätstheorie nicht verstanden zu haben und schon darum falsch zu
beurteilen, muß sich selbst noch im Jahr 1936 Aloys Müller gefallen lassen,
Autor des Artikels, den das „Lexikon für Theologie und Kirche“ der Relativitätstheorie widmet. Auch hier ist wieder mit Bezug auf die allgemeine und
spezielle Relativitätstheorie nur von den drei Folgerungen aus der allgemeinen Relativitätstheorie die Rede, „die an der Erfahrung geprüft werden
können“84. Kritisch wird dabei von Müller hinzugefügt, daß die zahlenmäßigen Größen nur bei zwei dieser Erscheinungen „mit der R[elativitätstheorie]
übereinzustimmen [scheinen]“, sich aber „auch aus anderen Theorien ableiten
[lassen]“85. Erst in der zweiten Auflage des „Lexikon für Theologie und
Kirche“ (1963) wird die irreführende Darstellung der Relativitätstheorie
korrigiert und nunmehr korrekt zwischen spezieller und allgemeiner Relativitätstheorie und den jeweiligen Nachweisen differenziert. Spezielle und allgemeine Relativitätstheorie werden jetzt als experimentell bestätigt akzeptiert.86
– Wie ist dieser getrübte Blick sogar eines soliden Physikers wie Wulf, der
sich freilich als Theologe zugleich der scholastischen Tradition verpflichtet
weiß, schon bei dem Versuch einer angeblich vorurteilsfreien Darstellung der
Relativitätstheorie zu erklären?
Für Hans-Dieter Mutschler sind die von der scholastischen Philosophie bereitgestellten ontologischen Fundamente zu schmal, um die moderne Physik zu
begründen. Er vertritt in einem im Jahr 1993 veröffentlichten Beitrag die
These, daß „die Neuscholastik naturphilosophisch scheitern mußte, wenn sie
an ihrem Substanzbegriff festhielt und zugleich beanspruchte, eine philosophische Fundierung der Physik zu leisten“87. Da Paradigma alles Existierenden für den Neuscholastiker „das sinnenfällige und sichtbare Ding“88 sei,
führe dies auch zu einem „dinghaften Substanzbegriff“89. Physikalische
Gesetze beziehen sich aber nicht auf eine dinghaft vorkommende Einzelsubstanz, sondern auf das mathematisch-funktionale Verhältnis metrisierbarer
Eigenschaften des Seienden. Spätestens mit der Unanschaulichkeit der moder83
Vgl. a.a.O., 113.
A. Müller, Art. Relativitätstheorie, Sp. 757.
85
Ebd; vgl. zu A. Müllers Vorbehalten gegenüber der Richtigkeit der speziellen Relativitätstheorie A. Müller, Die Relativitätstheorie und die Struktur der physikalischen Erkenntnis,
433–474, insbes. 460f, 469.
86
Vgl. H. Rollnik, Art. Relativitätstheorie, Sp. 1162f.
87
H.-D. Mutschler, Physik und Neothomismus, 28.
88
A.a.O., 29.
89
A.a.O., 33. Mutschler bezieht sich in seinem Beitrag vor allem auf die Substanzontologie
von J. Maritain.
84
117
nen Physik ist darum nach Mutschler jede Möglichkeit geschwunden, „das
Physikalisch-Reale mit dem Tastbaren zu identifizieren“90. Das klassische
Substanzdenken stehe „quer [...] zum Fortschritt der Naturwissenschaft“91.
Setzt man bei Theodor Wulfs Darstellung der Relativitätstheorie einen
solchen dinghaften Substanzbegriff voraus, dann erklärt sich zwanglos die
irreführende Darstellung: Die Relativitätstheorie wird ihm erst verständlich,
wenn sie anschaulich und vorstellbar, das heißt für einen „dinghaften
Substanzbegriff“ zugänglich gemacht wird. Aus Perspektive dieser alltäglichen Anschaulichkeit (kleine Geschwindigkeiten, Beibehaltung des Äthers als
„Vergegenständlichung des absoluten Raumes“, dreidimensionaler Raum)
muß die Relativitätstheorie dann paradox und widersprüchlich erscheinen.
Auf das durch sie neu entworfene unanschauliche Bild der physikalischen
Wirklichkeit, wo scheinbare Paradoxien und Widersprüche aufgehoben sind,
läßt sich Wulf erst gar nicht ein.
Dies geht nebenbei auch aus Wulfs Erwähnung einer der Erscheinungen, die
aus der (allgemeinen) Relativitätstheorie folgen, hervor, und die bereits ein
deutendes Element enthält. Wulf spricht in diesem Zusammenhang von der
„Krümmung der Lichtstrahlen in der Nähe der Sonne“92 und beschreibt damit
dieses Phänomen ganz selbstverständlich aus Sicht des euklidischen dreidimensionalen Raumes – daß der allgemeinen Relativitätstheorie eine ganz
andere unanschauliche Geometrie zugrunde liegt, verschweigt er.93 Weiter
oben wurde in vorliegender Arbeit ausgeführt, daß unter mathematischen
Gesichtspunkten euklidische und nichteuklidische Darstellung gleichwertig
ist, die nichteuklidische Geometrie aber die Darstellung der physikalischen
Gesetze erheblich vereinfacht.94 Interessanterweise scheint dieser Sachverhalt
aber für neuscholstisch denkende Autoren problematisch zu sein. Weil der
dreidimensionale alltägliche Anschauungsraum, „Ausgangspunkt der scholastischen Seinslehre ist, muß sie eine mathematische Präponderanz der euklidischen gegenüber nichteuklidischen behaupten“95. Entsprechende Äußerungen
finden sich denn auch bei späteren neuscholastischen Theologen wieder.96 Für
90
A.a.O., 34.
A.a.O., 36f.
92
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 112.
93
Legt man wie Einstein eine nichteuklidische Geometrie zugrunde, dann folgt die Ausbreitung des Lichts hier der kürzesten Entfernung in der durch die Sonnenmasse strukturierten
Raumzeit.
94
Vgl. 2. Kap. III. sowie 3. Kap. V. 3. vorliegender Arbeit.
95
H.-D. Mutschler, Physik und Neothomismus, 38.
96
Für J. Maritain haben die nichteuklidischen Entitäten die euklidischen Entitäten zur
Grundlage ihrer logischen Existenz. Trotz ihrer Verwendung durch die Astronomie seien die
nichteuklidischen Räume entia rationis, dagegen erscheine der euklidische Raum dem Philosophen als ens geometricum reale, vgl. J. Maritain, Die Stufen des Wissens, 193f. – Auch für
C. Nink sind die nichteuklidischen Raumformen „bestimmte abstraktiv festgehaltene oder
rein arithmetisch berechnete Gebilde im dreidimensionalen, homogenen, unbegrenzten euklidischen Raum“, vgl. C. Nink S.J., Ontologie. Versuch einer Grundlegung, 482, vgl. 146–148.
91
118
die modernen Physiker stellt sich die Neuscholastik mit derartigen Behauptungen allerdings selbst ins Abseits.
Wulfs offensichtlich voreingenommene Wiedergabe der Relativitätstheorie
erweist sich damit weder als Zufall noch als Böswilligkeit. Sie zeigt vielmehr
das Unvermögen unter Voraussetzung der neuscholastischen Begrifflichkeit
die Relativitätstheorie auch nur angemessen verstehen zu können. Schon ganz
elementare Zusammenhänge der im 19. Jahrhundert entwickelten Feldphysik
sind nicht mehr in die Sprache der neuscholastischen Philosophie
übersetzbar,97 um wieviel weniger dann erst die unanschaulichen mathematischen Konstruktionen der modernen Physik, die gleichwohl erwiesenermaßen
geeignet sind, die experimentell erfahrbare Wirklichkeit exakt zu beschreiben.
Immerhin sieht Wulf durch die Relativitätstheorie die (neuscholastische)
Philosophie herausgefordert. Ihre Aufgabe erkennt er allerdings in einer
„eingehende[n] kritische[n] Nachprüfung der Grundprinzipien Einsteins“98. Er
nimmt das Ergebnis dieser Überprüfung schon weitgehend vorweg, wenn er
feststellt, daß der Kern der Einsteinschen Theorie in diesen „Grundhypothesen“ liege, „das spätere sind paradoxe Folgerungen aus paradoxen
Grundannahmen“99.
Wenn die philosophische „Nachprüfung“, die Möglichkeit der Ablehnung
einer physikalischen Theorie beinhaltet, so ist bereits dies eine Verkennung
dessen, was Einsteins Postulate – und überhaupt physikalische Theorien –
leisten wollen und was die spezielle Relativitätstheorie auch tatsächlich
leistet: eine möglichst einfache und überzeugende Klärung vorliegender
Beobachtungen und Experimente sowie zugleich eine möglichst präzise
Vorhersage künftiger Messungen und Versuchsergebnisse. Nur eine diesbezügliche „Nachprüfung“ kann die Ablehnung einer physikalischen Theorie
zur Folge haben. Natürlich können und müssen sich Philosophen mit den
Voraussetzungen und dem erkenntnistheoretischen Stellenwert dieser Postulate auseinandersetzen. Aber Probleme, die sich für eine bestimmte Ontologie
bei der Auseinandersetzung mit einer bewährten physikalischen Theorie
ergeben, berechtigen selbstverständlich nicht zur Zurückweisung einer sich
physikalisch bewährenden Theorie.
4. Bestreitung von Richtigkeit und experimenteller Verifizierbarkeit der
Relativitätstheorie
Wurde im vorigen Abschnitt gezeigt, daß neuscholastische Begrifflichkeit
schon eine angemessene Wiedergabe der Relativitätstheorie erschwert und im
dargestellten Fall verhindert, so belegt ein Beitrag des Jesuiten und Spinozaforschers Stanislaus von Dunin-Borkowski aus dem Jahr 1921, daß von
97
Vgl. 4. Kap. II. 5. vorliegender Arbeit.
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 109. Wulf meint hier eine Überprüfung
der beiden Postulate, die der speziellen Relativitätstheorie zugrunde liegen.
99
A.a.O., 110.
98
119
neuscholastischer Seite darüber hinaus aufgrund philosophischer Vorgaben
die Richtigkeit der Relativitätstheorie bestritten wird.
Einige philosophische Gedankengänge, die mit der Relativitätstheorie
„zusammenfließen“, zählt Dunin-Borkowski „zu den wichtigsten Strömungen
und Aufgaben der jetzigen Naturphilosophie“, und er will darum „auf einige
philosophische Fragen, welche die neue Theorie aufruft, eingehen“100.
Zunächst verweist Dunin-Borkowski dazu auf die sich aus der speziellen
Relativitätstheorie ergebende Folgerung der Längenkontraktion und Zeitdilatation, wonach das Ergebnis der Messungen unterschiedlich ausfällt, je
nachdem welches Bezugssystem zugrunde gelegt wird. Doch seinen knappen
diesbezüglichen Ausführungen fügt Dunin-Borkowski sofort apodiktisch
hinzu: „Diese Unterschiede lassen sich natürlich [sic] nicht experimentell
nachweisen.“101 Sie werden von ihm ins Feld mathematischer Theorien
verwiesen, die unter Umständen Wirklichkeit erklären, aber keine Erkenntnis
über die Wirklichkeit vermitteln können. Die Folgerungen aus der speziellen
Relativitätstheorie sind ihm „rein mathematische Ergebnisse, durch Einsetzung der Lorentzschen Gleichungen erzielt“102.
In diesem Sinne räumt schon Gutberlet ein, daß sich die spezielle Relativitätstheorie mit der „noch abenteuerlicheren Fiktion“ einer vierdimensionalen
Raumzeit vielleicht mathematisch beweisen lasse, betont aber im selben Satz:
„[...] aber die Wirklichkeit richtet sich nicht darnach“103. Ganz entsprechend
kommt auch L. Mélizan in einem Beitrag für die „Revue Thomiste“ bezüglich
der speziellen Relativitätstheorie zu dem Urteil: „Il reste vrai néanmoins que
le beau travail d’Einstein est de l’ordre purement mathématique. Il n’ajoute
rien aux faits acquis de la science expérimentale [...].“104 Dunin-Borkowski
kann gerade noch zugestehen, daß diese mathematischen Ergebnisse eine
ganze Reihe physikalischer und astronomischer Tatsachen „einfach und sicher
[erklären]“105 können.
Insofern aber Physiker behaupten, daß die Relativitätstheorie nicht nur eine
mathematische Konstruktion sei, sondern experimentell nachprüfbare Aussagen über die Wirklichkeit beinhalte, werden sie von neuscholastischen
Autoren einer unhaltbaren „Metaphysik“ geziehen. So etwa von Anton Weber
– eigentlich verdienter Priester und Katechet106 – dem im „Philosophischen
Jahrbuch“ wiederholt Gelegenheit gegeben wird, sich zur Relativitätstheorie
Einsteins zu äußern. Weber akzeptiert zwar ein „physikalisches Relativitätsprinzip“,
hält
Einstein
aber
vor,
ein
„metaphysisches
100
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 211.
A.a.O., 212.
102
Ebd.
103
C. Gutberlet, Der Streit um die Relativitätstheorie, 334.
104
L. Mélizan, Théories einsteiniennes, 438.
105
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 212.
106
Vgl. A. Weber, Zur Relativitätstheorie (1920) sowie ders., Über Raum und Zeit (1922).
Weber ist Mitbegründer des Münchener Katechetenvereins und von 1902 bis 1908 Herausgeber der „Katechetischen Blätter“.
101
120
Relativitätsprinzip“107 zu vertreten, indem er die „Existenz eines Weltäthers“
verneine. Auch Jacques Maritain argumentiert auf dieser Linie, wenn er
Einstein zwar als guten Physiker aber als miserablen Metaphysiker beurteilt:
„[...] et de nous rendre ainsi capables de regarder avec admiration Einstein pur
physicien, et avec une entière aversion Einstein pseudométaphysicien“108.
Aber weder die spezielle noch die allgemeine Relativitätstheorie sind
Metaphysik, sondern bestätigte und bewährte physikalische Theorien, die
aber offensichtlich die begrifflichen Voraussetzungen der neuscholastischen
Metaphysik in arge Verlegenheit bringen.
Der Versuch, die Relativitätstheorie als schlechte Metaphysik und experimentell grundsätzlich nicht verifizierbar darzustellen, erinnert in fast schon fataler
Weise an die kirchliche Reaktion auf die Infragestellung des geozentrischen
Weltbildes. Als mathematische Theorien und physikalische Hypothesen, die
einfache Erklärungen und womöglich noch praktischen Nutzen gewähren,
werden Einsteins „Berechnungen“ widerwillig akzeptiert (wie damals die
kopernikanischen „Hypothesen“), als Aussagen über erfahrbare und experimentell nachweisbare Wirklichkeit aber strikt zurückgewiesen.109 Auch
Theodor Wulf stößt sich offensichtlich daran, daß Einstein die Relativitätstheorie nicht nur als in sich widerspruchsfreie Theorie behauptet, sondern
meint, „daß die Welt wirklich nach seiner Theorie eingerichtet sei“110. Noch
einmal soll hier aufgrund kirchlich verordneter Philosophie der physikalisch
erfahrbaren Wirklichkeit vorgeschrieben werden, wie sie sich zu zeigen habe.
Für Dunin-Borkowski ist Einsteins Relativitätstheorie nichts weiter als „eine
Lehre über das System relativer Bewegungen“111. Wo darum aus der Relativitätstheorie Schlüsse gezogen werden, die zwar paradox erscheinen, aber den
Anspruch erheben, im Experiment überprüft werden zu können, spricht
Dunin-Borkowski dementsprechend von einer „unerlaubten Vergegenständlichung eines bloßen Verhältnisses“ und kritisiert, daß auf diese Weise
„objektive Veränderungen statt relativer Verschiebungen eingesetzt
[werden]“112. Aus dieser grundsätzlichen philosophischen Erwägung leitet er
107
Ders., Über Raum und Zeit, 106. „Unter dem metaphysischen Relativitätsprinzip verstehe
ich den Satz, dass kein Raum-Zeit-System vor dem übrigen irgendwie ausgezeichnet ist. Wer
diesen Satz anerkennt muß beispielsweise die Existenz des Weltäthers leugnen [...]. Dagegen
ist der Aether recht wohl vereinbar mit dem blossen physikalischen Relativitätsprinzip“. Zu
den Gründen, warum neuscholastisch argumentierenden Autoren so viel am Äther gelegen ist
vgl. 4. Kap. II. 5. vorliegender Arbeit.
108
J. Maritain, De la métaphysique des physiciens ou de la simultanéité selon Einstein, 301.
109
In einem unerbetenen Vorwort zu N. Kopernikus, De revolutionibus orbium coelestium,
Nürnberg 1543, versucht A. Osiander den kopernikanischen Darlegungen die Spitze zu
nehmen, indem er darauf hinweist, daß es nicht erforderlich ist, „daß diese Hypothesen wahr,
ja nicht einmal, daß sie wahrscheinlich sind, sondern es reicht schon allein hin, wenn sie eine
mit den Beobachtungen übereinstimmende Rechnung ergeben“ (zit. in: K. v. Meyenn [Hg.],
Triumph und Krise der Mechanik, 125). Entsprechend rät auch Kardinal Bellarmin Galilei
dringend, die Bewegungsverhältnisse im Planetensystem nur hypothetisch vorzutragen, sie
aber nicht als wirklich zu behaupten, vgl. dazu J. Hemleben, Galileo Galilei, 89.
110
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 107.
111
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 213.
112
A.a.O., 214f.
121
im übrigen auch eine Lösung des „Zwillingsparadoxons“ ab, die aber inzwischen experimentell widerlegt ist.113
Dunin-Borkowski hält an der grundsätzlichen Möglichkeit einer Erkennbarkeit der objektiven Wirklichkeit fest. In einer Laudatio auf die Neuscholastik
zählt auch der Jesuit Bernhard Jansen zu deren „siegreich bewährten Grundanschauungen“ ausdrücklich „die Möglichkeit, das Ding an sich, die körperliche Außenwelt [...], wenn auch unvollkommen, so doch wahrhaft mit dem
Verstand zu erfassen“114. Wie ein ragender unzerstörbarer Fels stehe die
„Philosophia perennis da inmitten der gegen sie anstürmenden Wogen all der
neuen Erkenntnistheorien, die die Möglichkeit sicherer, unveränderlicher,
objektiv gültiger Erkenntnisse leugnen“115. Dunin-Borkowski bestreitet nun
aber, daß die Relativitätstheorie solche objektiv gültige Erkenntnis über die
körperliche Außenwelt aussage, ja auch nur aussagen wolle. Man dürfe
Einstein nicht mißverstehen, schreibt Dunin-Borkowski, er „nimmt nicht an,
daß die Länge eines starren Stabes durch die Bewegung objektiv kürzer
wird“116. Allerdings macht er Einstein den Vorwurf, daß „er und manche
seiner Anhänger [...] aber doch philosophische [sic] Folgerungen zu ziehen
[scheinen], die sich aus den Vordersätzen nicht mit Notwendigkeit ergeben“117
und daß „verblüffende philosophische [sic] Schlüsse“ – darunter rechnet er
auch das „Zwillingsparadoxon“ – „bei genauem Zusehen nicht
[standhalten]“118 .
Dunin-Borkowski verweigert Einstein immer dann die Zustimmung, wenn er
die „Möglichkeit absoluter Bestimmungen“ bezüglich der körperlichen
Außenwelt gefährdet sieht.119 Insbesondere hält er offensichtlich an der
113
Vgl. ebd. – Das „Zwillings-“ oder „Uhrenparadoxon“ besagt im allgemeinen, daß für zwei
Uhren, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt am selben Ort befinden und die zu einem
späteren Zeitpunkt wieder an einem Ort zusammentreffen, aufgrund ihrer unterschiedlichen
Eigenzeit im allgemeinen unterschiedliche Zeitintervalle vergangen sind.
114
B. Jansen, Scholastische und moderne Philosophie, 259.
115
Ebd.
116
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 212 (Hervorhebung vom
Verf.).
117
Ebd.
118
A.a.O., 215.
119
Vgl. dazu A. Müller, Die Relativitätstheorie und die Struktur des physikalischen Erkennens, 469. – Nach J. Geyser schließt die Relativitätstheorie „die Leugnung des absoluten
Raumes ein. Sie ist die moderne Ausführung Protagoreischer Relativierungsgedanken des
Platonischen Theätet“ (J. Geyser, Allgemeine Philosophie des Seins und der Natur, 353).
Vgl. dazu J. Maritain, Stufen des Wissens, 180: „Der Philosoph weiß, daß die Körper
absolute Dimensionen haben, daß es in der Welt absolute Bewegungen, eine absolute Zeit,
absolute Gleichzeitigkeiten für Ereignisse gibt, wieweit sie auch im Raume voneinander
entfernt sein mögen: Absolut bedeutet hier ganz und gar in sich determiniert, unabhängig von
jedem Beobachter [...].“ Maritain gesteht nun aber zu, daß sich diese absoluten Bestimmungen physikalischer Messung entziehen. Dem Philosophen genüge es jedoch „daß sie für reine
Geister feststellbar sind, welche erkennen, ohne von einem Punkte im Raum und einem
Moment in der Zeit aus zu beobachten“ (ebd.). Ob Maritain dann wohl auch weiß, wie der
quantentheoretische Indeterminismus aus der Perspektive reiner Geister aussieht? Dann muß
er wohl – im Widerspruch zur heutigen Physik – seine Zuflucht zur Theorie „Verborgener
122
Vorstellung einer „absoluten Bewegung“ fest.120 Aus physikalischer Perspektive lassen sich die Deutungsversuche Dunin-Borkowskis damit am ehesten
noch mit den Anstrengungen von Hendrik A. Lorentz vergleichen. Dieser
deutet die Versuche zur Lichtausbreitung noch „klassisch“, indem er bei
einem Bezugssystemwechsel zwar neben der Bewegung auch die Zeit transformiert, dabei aber an der Vorstellung einer „wahren“ oder „absoluten Zeit“
gegenüber den „Ortszeiten“ anderer Bezugssysteme festhält.121 Erst im
Rahmen der Relativitätstheorie wird deutlich, daß physikalisch kein Inertialsystem Vorrang vor einem anderen genießt und darum von „absoluter
Bewegung“ oder „absoluter Zeit“ in der Physik nicht begründet die Rede sein
kann.
Im Unterschied zu Einstein und der modernen Physik konstatiert DuninBorkowski aber schlicht, „daß man diese Folgerung nicht mitzumachen
[brauche]“122. Entsprechend behauptet auch schon Wulf in seiner Darstellung,
daß die Philosophie „mit aller Bestimmtheit [lehre], daß es absolute
Bewegung gibt“123. Wenn man hinzunimmt, daß die Neuscholastik an der
Möglichkeit festhält, die „körperliche Außenwelt [...] wahrhaft mit dem
Verstand zu erfassen“124, dann muß diese absolute Bewegung nachweisbar
sein. Dies wäre zum Beispiel möglich, wenn das gesamte Universum mit
einem feinen Stoff, dem Äther, ausgefüllt wäre. Das Koordinatensystem, in
dem dieser Äther ruht, wäre gegenüber den anderen Systemen ausgezeichnet;
eine absolute Bewegung wäre eine Bewegung gegenüber diesem bevorzugten
Koordinatensystem. Aber nicht allein aus diesem Grund setzen neuscholastische Autoren ihre Hoffnung auf eine „Ätherphysik“, sondern auch weil sich
nur so der traditionelle Substanzbegriff noch unverändert auf die physikalischen Vorstellungen anwenden läßt.
5. Substanzbegriff und Ätherphysik
„Um den Substanzbegriff zu bilden, bedurften die Scholastiker gar keiner
Naturerkenntnis: er ist eine Denknotwendigkeit für das Sein überhaupt, wie
immer es geartet sein mag“125, schreibt Constantin Gutberlet im Jahr 1907.
Für ihn ist „die objektive Realität, die absolute Notwendigkeit und Wahrheit
des Substanzbegriffes erwiesen“126. Betrachtet man aber Beharrlichkeit und
Unzerstörbarkeit als notwendige Kennzeichen einer Substanz, so stellt die
naturwissenschaftliche Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert die neuscholastische Philosophie vor die Frage, was in der objektiven Wirklichkeit denn
noch rechtmäßig als Substanz angesprochen werden darf.
Parameter“ nehmen; vgl. 6. Kap. IV. und V. vorliegender Arbeit.
Vgl. S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 213f.
121
Vgl. 1. Kap. III. vorliegender Arbeit.
122
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 214.
123
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 115.
124
P. Jansen, Scholastische und moderne Philosophie, 259.
125
C. Gutberlet, Die Substanz als Bewegungsmelodie, 439.
126
A.a.O., 438.
120
123
Ist die Masse eine Substanz, wie der Jesuit und Physiker Ludwig Dressel noch
im Jahr 1907 annimmt?127 Aber bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist
die Geschwindigkeitsabhängigkeit der Masse und die Möglichkeit des radioaktiven Zerfalls bekannt geworden. Genügen die im Jahr 1897 entdeckten
Elektronen dem traditionellen Substanzbegriff wie selbst der Atomphysiker
Arnold Sommerfeld noch glauben kann? „Entweder haben [die Elektronen]
Bestand in sich“, schreibt Gutberlet, „und dann sind es Substanzen, oder
wenn dieses nicht der Fall ist, in einem anderen; ein drittes ist unmöglich.“128
Derart schlicht kann man allenfalls noch vor Entwicklung der Quantentheorie
und insbesondere vor der Entdeckung von „Paarbildung“ und
„Zerstrahlungsprozessen“ argumentieren.129
Doch schon lange zuvor ist der Substanzbegriff im Zusammenhang mit den
Feldvorstellungen der Physik problematisch geworden. Im 19. Jahrhundert
setzte sich gegen Newton und die von ihm vertretende „substantielle“
Korpuskulartheorie des Lichts mehr und mehr die auf Christian Huygens und
Thomas Young zurückgehende Wellentheorie des Lichts durch.130 Nach
James C. Maxwell kann Licht als eine elektromagnetische Welle verstanden
werden, die sich im leeren Raum ausbreitet, ohne an einen materiellen Träger
gebunden zu sein: „eine Bewegung ohne Bewegtes“, ein „fließend[es]
Geschehen“131 ohne Beharrung, wie neuscholastische Autoren argwöhnten.
Wer im Anschluß an Aristoteles und die Scholastik „den Begriff der Substanz
[...] ontologisch aus der Tatsache der Veränderung, der ein letzter Träger
zugrunde liegt, ableitet“132, muß in der Tat auf Schwierigkeiten stoßen, wenn
er die Vorstellungen der elektromagnetischen Wellentheorie auch nur verstehen will. „Es kann überhaupt keine kontinuierliche Bewegung (Veränderung)
geben, ohne etwas Unveränderliches, was derselben zu Grunde liegt“133,
schreibt Felix Budde 1908, dessen Wunsch es ist, „den grossartigen Gedankenreichtum der peripatetischen Schule mit dem nicht minder grossen Reichtum der Erfahrungstatsachen, welche die Naturforscher im 19. Jahrhundert
gesammelt haben, zu einem harmonischen Ganzen mehr und mehr zu
verschmelzen“134.
127
Vgl. L. Dressel, Die neuere Entwickelung des Massenbegriffes, 142.
C. Gutberlet, Die Substanz als Bewegungsmelodie, 438.
129
Unter dem Vorgang der Paarbildung oder Paarerzeugung versteht man die nach dem
Einstein-Gesetz (Äquivalenz von Masse und Energie) erfolgende Umwandlung von Strahlungsenergie in Masse. Dabei entstehen jeweils zwei zusammengehörige Teilchen (z. B.
negativ geladenes Elektron und positiv geladenes Positron), während das erzeugende
Energiequant verschwindet. Unter einer Zerstrahlung versteht man umgekehrt die Umwandlung materieller Teilchen in elektromagnetische Strahlung, wobei die gesamte Masse der
Teilchen in Strahlung übergeht; vgl. dazu z. B. O. Höfling, Physik, 990–996.
130
Vgl. 1. Kap. III. vorliegender Arbeit.
131
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 215.
132
B. Jansen, Scholastische und moderne Philosophie, 264.
133
F. Budde, Lässt sich die scholastische Lehre von Materie und Form [...], 324.
134
A.a.O., 482.
128
124
Die neue Feldtheorie führt darüber hinaus elektromagnetische Kräfte unmittelbar auf die Wirkung von Kraftfeldern zurück. Im „Lexikon der Physik“
heißt es heute darüber:
„Nach moderner Auffassung ist die Ursache derartiger Kräfte ein besonderer physikalischer Zustand des leeren Raumes, nicht des möglicherweise anwesenden, den Raum
ausfüllenden Stoffes. Dieser Zustand heißt Kraftfeld; er ist von Ort zu Ort veränderlich.
Das Kraftfeld übt auf anwesende Körper aus der unmittelbaren Umgebung heraus eine
Feldkraft [...] aus (Nahkraft, Nahewirkung).“ 135
Auch in diesem Zusammenhang erweist sich der traditionelle Substanzbegriff
als schwerfälliges Instrument zum Verständnis des zugrunde liegenden physikalischen Sachverhalts, wenn beispielsweise Dunin-Borkowski von Substanzen fordert, daß sie „nicht dinglich [...] von ihren Kräften unterschieden
werden“136. Müßte demnach das elektromagnetische Feld als Substanz
verstanden werden, da dieses doch die unmittelbare Ursache der Kraftwirkung
ist? Was wäre aber bei einem sich ändernden elektromagnetischen Feld im
Vakuum das „Beharrende“, das Unveränderliche, das der Bewegung zugrunde
liegt? Der Sender der elektromagnetischen Wellen? Aber die Maxwell-Gleichungen beschreiben die Ausbreitung „freier“ elektromagnetischer Wellen
weit weg von allen elektrischen Ladungen und Strömen – für das Nahfeld
gelten andere Gleichungen. Für Joseph Geyser läßt die elektromagnetische
Lichttheorie
„die sehr bedeutsame Frage offen, wie man sich die elektrischen und magnetischen Felder
selbst zu denken habe. Bedeuten sie gewisse, im Raum sich fortpflanzende, in ihrem
Ansich uns unbekannte quantitative und qualitative Zustandsänderungen des Äthers, oder
bedeuten sie flüssigkeitsartige, periodisch auf- und abschwingende Bewegungen selbständiger Stoffe, wobei alsdann die Ätherannahme selbst überflüssig wäre?“ 137
Da die Wellentheorie eine „stoffartige Natur der elektrischen und magnetischen Felder“138 nicht nahelegt, bleibt neuscholastischen Autoren als Alternative einzig das Festhalten am Äther. Ihnen kommt dabei entgegen, daß auch
viele Physiker im 19. Jahrhundert hypothetisch einen Äther als zugrundeliegenden Träger der elektromagnetischen Wellen voraussetzen. Doch die physikalische Äthervorstellung führt zu den bereits erwähnten Widersprüchen, und
überdies schlagen alle Versuche, den Äther experimentell nachzuweisen,
fehl.139 Mit der Relativitätstheorie verschwindet der Äther dann vollständig
aus der modernen Physik – nur vereinzelte, zumeist der älteren Generation
angehörende Physiker vertreten nach 1905 noch die Ätherhypothese.
Die Ablehnung der Ätherhypothese durch Einstein hat massive Vorbehalte
neuscholastischer Philosophen gegen die Relativitätstheorie zur Folge. Was
kann ohne Äther noch als Träger der Lichtausbreitung angesprochen werden?
Was kann noch als Bezugspunkt für eine absolute Bewegung gelten, wenn
nicht ein das gesamte Universum ausfüllender Äther? Zwei Jahre nach Veröf135
W. Reidelbach, Art. Kraftfeld, 132.
S. v. Dunin-Borkowski, Neue philosophische Strömungen, 215.
137
J. Geyser, Allgemeine Philosophie des Seins und der Natur, 339.
138
Ebd.
139
Vgl. 1. Kap. III. vorliegender Arbeit.
136
125
fentlichung der speziellen Relativitätstheorie hält es der oben zitierte Physiker
und Jesuit Ludwig Dressel noch für denkbar, daß „auch der Aether aus
Elektrizität bestehe und der ganze Weltraum mit Elektrizitätsteilchen erfüllt
sei“140. Diese Teilchen wären dann „das ‚Etwas‘, welches Träger der
Bewegung und der Kraft ist“141.
Zehn Jahre später anerkennt Eduard Hartmann im „Philosophischen
Jahrbuch“ die Relativitätstheorie zwar als widerspruchslos an und sieht sie
„mit den Tatsachen im Einklange“142 stehen – aber dies beansprucht er
genauso für die Lorentzsche Theorie, die am Äther, absoluter Zeit und absolutem Raum festhält. Es werde kaum möglich sein, so Hartmann, auf experimentellem Wege eine Entscheidung zwischen beiden Theorien zu
gewinnen.143 Am Ende seines ansonsten kenntnisreichen Artikels über die
spezielle Relativitätstheorie kommt Hartmann entgegen der Entwicklung der
damaligen Physik „auf die Lorentzsche Theorie zurück, wonach die Abweichungen, die zwischen den absoluten Raum- und Zeitverhältnissen und den
Feststellungen eines Beobachters bestehen, auf den Einfluss des Aetherwindes zurückzuführen sind“144.
Das inzwischen nun schon krampfhafte Festhalten neuscholastisch geprägter
Autoren am Äther setzt sich fort in der „Aether-Theorie“ Anton Webers.
Zwar stellt Weber zutreffend fest, daß „viele Physiker mit Rücksicht auf die
Relativitätstheorie die Aetherhypothese [haben] fallen lassen“145, aber er
vermißt – gewiß nur als neuscholastischer Theologe, nicht als Physiker! –
einen „brauchbare[n] Ersatz für den Aether“, und so bleibt ihm die Frage
unbeantwortet, „wie sich im leeren Raum die Wirkungen von Punkt zu Punkt
fortpflanzen können“146. Weber kreiert darum eine neue „Aether-Theorie“
derzufolge der Äther „der substanziierte Raum [ist]“147:
„Wir betrachten jetzt den Raum als identisch mit dem Weltäther. Dieser Substanz haben
die Physiker seit langem eine Reihe wichtiger Funktionen zuerteilt, und nun soll sie mit
einer neuen Aufgabe betraut werden, sie soll den Raum verkörpern [...]. Jede Wechselwirkung wird durch den Aether vermittelt, ähnlich wie die Schallwirkung durch die Luft.“ 148
Auch wenn Weber am Ende urteilt, daß nur die Äthertheorie vollkommen
befriedige,149 so bleibt er jeden physikalischen Beleg für seine Hypothese
schuldig.
Mehr als fünfzig Jahre nach Veröffentlichung der speziellen Relativitätstheorie erscheinen im Jahr 1956 im „Philosophischen Jahrbuch“ – wohl als eine
140
L. Dressel, Die neuere Entwickelung des Massenbegriffes, 305.
Ebd.
142
E. Hartmann, Raum und Zeit im Lichte der neuesten physikalischen Theorien, 24.
143
Vgl. a.a.O., 16.
144
A.a.O., 24.
145
A. Weber, Über Raum und Zeit, 111.
146
Ebd.
147
A.a.O., 116.
148
A.a.O., 116f.
149
Vgl. a.a.O., 120.
141
126
Art Nachruf auf den im Jahr zuvor verstorbenen Einstein gedacht – noch
einmal zwei Artikel, die sich mit der Relativitätstheorie und dem Substanzbegriff der modernen Physik befassen. Im ersten spricht Walter Böhm – im
Anschluß an Lenard! – von der „Verworrenheit“150 der speziellen Relativitätstheorie und bekennt sich unbeirrt nicht nur zu einem experimentell nachweisbaren, sondern zu einem experimentell nachgewiesenen Äther. Die
Ablenkung, die knapp an der Sonne vorbeilaufende Lichtstrahlen erfahren,
„beweist“, so Böhm, „daß [...] der Lichtäther von einem Himmelskörper in
seiner unmittelbaren Umgebung gewissermaßen mitgenommen wird“151.
Böhm weiter: „Wie die Schallwellen bei Windstille sich nach allen Richtungen gleich schnell ausbreiten, weil die Luft von der Erde mitgenommen wird,
so auch die Lichtwellen, weil der Äther in unmittelbarer Nähe der Erdoberfläche von der Erde mitgenommen wird, so daß hier kein ‚Ätherwind‘ nachweisbar ist.“152 Das ist ein Anachronismus sondergleichen, der in der Physik
spätestens zu Beginn unseres Jahrhunderts aufgrund zahlreicher negativ
ausgefallener Präzisionsversuche aufgegeben worden ist153 und der nur einmal
mehr zeigt, mit welchem von jeder physikalischen Entwicklung unbeeindrucktem Starrsinn neuscholastische Autoren am Äther festhalten wollen.
Im zweiten Artikel gelangt Lothar von Strauß und Torney zu „einer Art
Erneuerung der Äther-Hypothese“154. Nachweisen oder messen lasse sich
dieser Äther freilich nicht, gesteht von Strauß und Torney nun immerhin ein
und zählt den Äther dem Bereich der Metaphysik zu, die er insgesamt „als
den der physikalischen Erkenntnis zu Grunde liegenden irrationalen Rest
[ansieht]“155. Der metaphysische Äther gehört damit zur „grundlosen Tiefe
des Irrationalen“156, aus der für von Strauß und Torney jede Wissenschaft
entspringt und ist somit Ausdruck davon, daß „die Physik ein Arbeiten über
einem irrationalen Grund ist“157. Hier konnte dann Günther Petry im Jahr
1959 noch einmal anknüpfen und unbeirrt eine „in der Veränderung beharrende Äthersubstanz“158 voraussetzen, von „der absoluten Substanz Äther“159
sprechen und zugleich einräumen: „Der Äther ist jenseits seiner begrenzten
und geformten Veränderungsvorgänge nicht größenbestimmt, nicht meßbar;
er ist physikalisch leer, ein überempirisches Apeiron.“160 Das heißt, gerade
das „Beharrende“ ist nicht nachweisbar.
150
W. Böhm, Realismus und Idealismus in der Einsteinschen Relativitätstheorie, 123.
Ebd.
152
Ebd.
153
Am wichtigsten für die Ablehnung des Äthers wurde der Trouton-Noble-Versuch im Jahr
1903, der später im übrigen auch in großer Höhe wiederholt wurde. Der wohl ernstgemeinte
Vorschlag Böhms, a.a.O., 123f, den Michelson-Versuch doch einmal „in einem Flugzeug mit
verschwindender Masse“ durchzuführen, erscheint vor diesem Hintergrund reichlich naiv.
154
L. v. Strauß und Torney, Der Substanzbegriff in der neueren Physik und seine Grenzen,
105.
155
A.a.O., 109.
156
A.a.O., 111.
157
A.a.O., 104.
158
G. Petry, Ist der „Äther“ als kosmologische Grundkategorie haltbar? 387.
159
Ebd.
160
Ebd.
151
127
So ließ das Festhalten an einem Substanzbegriff, der die Existenz eines Äthers
zu erfordern scheint, neuscholastische Autoren auf der Vorstellung dieses
Äthers beharren: Erst jahrzehntelang unter Berufung auf überholte und widerlegte physikalische Theorien, dann unter Verzicht auf die Nachweisbarkeit
des weiterhin behaupteten Äthers. Einen anderen Weg, der freilich mit der
vollständigen Umwandlung vom substantiellen zum funktionalen Denken
verbunden ist, weist demgegenüber schon Ernst Cassirer:
„Das, wovon wahrhaft und endgültig ‚Beharrlichkeit‘ ausgesagt wird, ist kein Dasein
mehr, das sich im Raume und in der Zeit ausbreitet, sondern es sind jene Größen und
Größenbeziehungen, die die universellen Konstanten für jegliche Beschreibung des physikalischen Geschehens bilden. Die Invarianz solcher Beziehungen, nicht die Existenz
irgendwelcher Einzelwesen, bildet die letzte Schicht der Objektivität.“161
6. Fazit
Überblickt man die neuscholastische Reaktion auf die Relativitätstheorie, so
lassen sich grob drei Phasen unterscheiden:
w Die erste Phase (bis etwa 1920) ist gekennzeichnet durch polemische
Ablehnung. Gegen die Relativitätstheorie wird behauptet, daß es in der
objektiven Wirklichkeit absolute Bestimmungen gibt (absoluter Raum,
absolute Zeit, absolute Bewegung) und daß diese physikalisch nachweisbar
sind. Die Relativitätstheorie wird als mathematische Konstruktion und
Fiktion abgetan, die sich experimentell nicht bestätigen lassen kann.
w In der zweiten Phase (ab etwa 1920) wird versucht, die Relativitätstheorie
physikalisch zu widerlegen oder zumindest gleichwertige Alternativkonzepte zu finden. Dies geschieht unter Rückgriff auf ältere physikalische
Theorien, die aber alle von der modernen Physik wegen ihrer inneren
Widersprüchlichkeit aufgegeben wurden. Diese Theorien zeichnen sich
durch ein Festhalten an der „Äthervorstellung“ aus: Der Äther ist eine
Substanz, die den Nachweis absoluter Bestimmungen von Raum, Zeit und
Bewegung erlaubt.
w Die dritte Phase (nach 1945) ist neben polemischen Rückfällen162 durch
Rückzug und Korrektur bestimmt. Die Relativitätstheorie wird als physikalisch korrekte und bewährte Theorie akzeptiert. Wo noch an der Äthervorstellung festgehalten wird, wird auf deren physikalische Nachweisbarkeit
verzichtet. Allerdings werden nach dem Zweiten Weltkrieg kaum noch
Stellungnahmen von theologischer Seite zur Relativitätstheorie vorgelegt.
161
E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil, 554; vgl. ders., Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Berlin 1910, insbes. 4. und 7. Kap.
162
Vgl. A. Ch. de Guttenberg, Das neue physikalische Weltbild und Einstein, 380, 384, 392f
sowie W. Böhm, Realismus und Idealismus in der Einsteinschen Relativitätstheorie, 123f.
128
Im Jahr 1990 veröffentlichte Klaus Hentschel eine umfassende Arbeit mit
dem Titel „Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie durch Zeitgenossen Albert Einsteins“. Hentschel
verfolgt darin das Ziel „zu zeigen, wie die von den Vertretern verschiedenster
philosophischer
Grundanschauungen
bei
der
Interpretation
der
R[elativitäts]t[heorie] eingebrachten Voraussetzungen die jeweilige Interpretation prädeterminierten, wie groß also der ‚Denkzwang‘ war, dem die
Fachphilosophen und die philosophisch vorbelasteten Fachwissenschaftler
unterlagen.“163 Obwohl sich Hentschel mit mehr als zehn philosophischen
Richtungen befaßt, die sich an einer Interpretation der Relativitätstheorie
versuchen, widmet er der neuscholastischen Rezeption der Relativitätstheorie
keinen eigenen Abschnitt. Dies ist verständlich, wenn man bedenkt, daß in
den Jahren zwischen 1916 und 1933 eine ungeheure Fülle von Sekundärliteratur zur Relativitätstheorie veröffentlicht wird. Die Stellungnahmen neuscholastischer Autoren fallen darunter nicht weiter auf. Sie können gleichwohl
Hentschels These besonders anschaulich bestätigen, denn der (äußere und
innere) Denkzwang erweist sich in diesen Jahren in der katholischen Theologie als besonders ausgeprägt und gerade auch ontologische Voraussetzungen
neuscholastischer Theologen prädeterminieren die äußerst skeptische oder
offen ablehnende Haltung gegenüber der Relativitätstheorie.
Die Ausführungen von neuscholastischer Seite zur Relativitätstheorie sagen
so wohl einiges über die Schwierigkeiten der Neuscholastik, ein angemessenes Verhältnis zu der Entwicklung in der modernen Physik zu finden, aber sie
können nichts mehr zu einem Verständnis geschweige denn zu einer fundierten Kritik der Relativitätstheorie beitragen. Schon bei dem neuscholastischen
Theologen Bernhard Jansen wächst im Jahr 1920 die Erkenntnis, daß es mit
der schlichten Anwendung scholastischer Terminologie auf moderne naturwissenschaftliche Erkenntnisse allein nicht mehr getan sein kann. Er verweist
darauf, daß Aristoteles und das Mittelalter ihre Begriffe und Leitsätze durch
eine Bearbeitung der vorwissenschaftlichen Beobachtungen und Erfahrungen
gewonnen hätten, während sich die neuere Philosophie im engsten Zusammenhang mit den Ergebnissen und Methoden der modernen hochentwickelten
Einzelwissenschaften entwickelt habe:
„Infolgedessen genügen häufig die Beweisführungen und Ableitungen oder die philosophischen Methoden, welche die Vorzeit mit Recht angewandt hat und welche an sich auch
heute noch nichts von ihrer Kraft eingebüßt haben, dem von den Einzelwissenschaften,
von den Begriffen und Methoden der antischolastischen Philosophie herkommenden
modernen Menschen nicht mehr. Darum sieht sich der Neuscholastiker, der der Wahrheit
seiner überlegenen Weltanschauung bei der Jetztzeit siegreichen Eingang verschaffen will,
häufig genötigt, gangbare Verbindungsbrücken zwischen der Anschauungsweise von
heute und den aus der griechisch-mittelalterlichen Umwelt abgeleiteten Denkformen zu
schlagen.“164
163
K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen
Relativitätstheorie, XIII.
164
B. Jansen, Scholastische und moderne Philosophie, 264.
129
Jansen bemerkt in diesem Zusammenhang, daß dem „heutigen Sprachkenner
und Naturforscher“ beispielsweise für ein Verständnis des zentralen scholastischen Begriffs Substanz „fast alle geschichtlichen und sachlichen Voraussetzungen fehlen“.165 Von hier aus wäre es naheliegend, auf diesen Begriff
zumindest im Dialog mit den Naturwissenschaften überhaupt zu verzichten,
und eine andere, beiden Seiten zugängliche Begrifflichkeit für das Gespräch
zwischen Naturwissenschaft und Theologie zu suchen. Statt dessen erkennt
Jansen die Aufgabe aber darin, Verbindungsfäden zu spannen, „die vom
heutigen Denken zum scholastischen hinführen“166. Derart könnte freilich
allenfalls ein Gespräch zwischen (Neu-)Scholastik und Naturwissenschaft in
Gang kommen – woran heute wohl kaum mehr ein Naturwissenschaftler
ernsthaft interessiert sein dürfte. Im beiderseitigen Interesse wäre aber ein
philosophisch reflektierter Austausch zwischen moderner Naturwissenschaft
und einer zeitgemäßen christlichen Theologie – einer Theologie, die nicht
mehr an eine ganz bestimmte, geschichtlich bedingte und auf einen völlig
anderen (natur)wissenschaftlichen Kontext bezogene Philosophie gebunden
ist.
Nach dem Urteil von Friedrich Dessauer, gibt es „sehr viele gesicherte Tatbestände der Physik und Biologie, die man in der Sprache der traditionellen
scholastischen Naturphilosophie [...] nicht adäquat ausdrücken kann, weil ihre
traditionellen Grundbegriffe dazu nicht ausreichen“167. Die angeführten
Reaktionen katholischer Theologen auf die Relativitätstheorie können dies in
aller Deutlichkeit illustrieren. Im „Sprachspiel“ der traditionellen Scholastik
kann offensichtlich kein Dialog zwischen Theologie und moderner Naturwissenschaft in Gang kommen. Vielleicht könnten durch eine gründliche
Revision des traditionellen Substanzbegriffs offene Widersprüche mit physikalischen Aussagen noch vermieden werden.168 Erfolgversprechender ist es,
wenn heutige Theologie aus dem kläglichen Scheitern des „Dialogs“ von
Neuscholastik und Relativitätstheorie die Konsequenz zieht, auf die für den
Bereich der modernen Naturwissenschaft erwiesenermaßen unangemessene
mittelalterliche Begrifflichkeit ganz zu verzichten. Das beharrliche Festhalten
an der neuscholastischen Begrifflichkeit bis weit in die zweite Hälfte des 20.
Jahrhunderts hinein erweist sich im Rückblick jedenfalls als einer der
maßgeblichen Gründe, warum der Dialog zwischen katholischer Theologie
und moderner Physik erst jahrzehntelang blockiert war und bis heute nur
stockend in Gang kommt.
165
Ebd.
A.a.O., 265.
167
F. Dessauer, Naturwissenschaftliches Erkennen, 175.
168
H.-D. Mutschler, Physik und Neothomismus, 50, vertritt die Auffassung, daß ein „kräftig
modifizierter Neothomismus“, der insbesondere den traditionellen Substanzbegriff verändert
oder ersetzt, durchaus „als ontologische Basis und als metaphysischer Abschluß der modernen Physik“ dienen könnte. Er bedauert aber zugleich, daß diesbezügliche Ansätze nur
rudimentär entwickelt worden seien.
166
130
III. Karl Heim: Neue Apologetik
1. Ausgangssituation in der protestantischen Theologie
Schon Johannes Kepler ist der Meinung, daß die biblischen Schriften nicht
beabsichtigen, die Menschen in natürlichen Dingen zu belehren, irrige
Meinungen über die Welt zu korrigieren und menschliches Forschen damit
überflüssig zu machen. Nach Kepler ist das Interesse der Verfasser des Bibeltextes vielmehr auf das Heil der Menschen gerichtet, und entsprechend zielen
sie darauf, dem Menschen das für sein Heil Notwendige zu offenbaren.169 In
diesem Sinne äußert sich auch Galileo Galilei in einem Brief an einen Freund
und Schüler, den Benediktinermönch Benedetto Castelli: „Ich möchte annehmen, daß die Autorität der Heiligen Schrift einzig das Ziel hat, die Menschen
von denjenigen Artikeln und Aussagen zu überzeugen, die, notwendig für das
Seelenheil und alle menschliche Vernunft übersteigend, durch keine andere
Wissenschaft einsichtig gemacht werden könnte[n], es sei denn durch den
Mund des Heiligen Geistes selbst.“ Aber Galilei ist nicht der Meinung, daß es
notwendig sei zu glauben, daß derselbe Gott, der uns unsere Sinne, Vernunft
und Intelligenz gegeben habe, wünschen könnte, daß wir davon keinen
Gebrauch machen sollen, weil er uns auf anderem Wege das Wissen vermittele, das wir durch sie erlangen können. Dies gilt für Galilei „besonders in
Angelegenheiten, von denen man nur einen geringen Teil und nur sehr wenige
Schlußfolgerungen in der Bibel lesen kann, denn solcherart ist die
Astronomie, deren Anteil so gering ist, daß nicht einmal die Planeten benannt
werden“170.
Damit ist eine klare Grenze zwischen Naturwissenschaft und Theologie
gezogen, die von der reformatorischen Theologie akzeptiert wird und die bis
in die jüngste Gegenwart hinein für die protestantische Theologie prägend
bleibt: Die Theologie konzentriert sich auf das „Heil der Person“, ihre
Domäne wird die „seelische Heilsgewißheit im Reich der Innerlichkeit“171; im
Gegenzug überläßt die Theologie den Naturwissenschaften die Erkenntnis
und Bemächtigung von Welt und Natur.
Auf diese Weise fallen freilich geoffenbarte Glaubenswahrheit und naturwissenschaftlich erkannte Vernunftwahrheit auseinander. Dies hat zur Folge, daß
sich die protestantische Theologie von wenigen Ausnahmen abgesehen lange
Zeit durch die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft nicht herausfordert sieht. Da nach Karl Barth die „Naturwissenschaft freien Raum jenseits
169
Vgl. dazu J. Hübner, Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft, 158–229, insbes. 220f.; sowie J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 47–54.
170
G. Galilei, Brief an Benedetto Castelli, 286f.
171
J. Moltmann, Gott in der Schöpfung, 49. Allerdings verweist G. Altner, Schöpfungsglaube
und Entwicklungsgedanke in der protestantischen Theologie zwischen Ernst Haeckel und
Teilhard de Chardin, 2, auch zurecht darauf, daß man gegen Ende des 19. Jahrhunderts von
einer „sauberen Trennung zwischen Theologie und Naturwissenschaft weit entfernt [ist]“.
131
dessen [hat], was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben
hat“172, scheint sich auch eine Auseinandersetzung mit neuen naturwissenschaftlichen Ergebnissen zu erübrigen – zumindest so lange, als der der
Theologie vorbehaltene Bereich der Innerlichkeit unangetastet bleibt. 173
Karl Heim (1874–1958) hat schon im Jahr 1908 diese Dichotomie von Theologie und Naturwissenschaft, von Glauben und Vernunft, von Seele und Welt
beschrieben und kritisiert. Die von ihm abgelehnte defensive Methode
bestehe darin, so schreibt Heim, „daß die Religion sich darauf beschränkt, ihr
Heiligtum gegen die Naturwissenschaft zu verteidigen, sich ein sturmfreies
Gebiet abzustecken und einzuzäunen, in der sie frei atmen kann, mag die
Naturwissenschaft auch alles, was außerhalb dieses heiligen Bezirkes liegt, in
eine Sandwüste verwandeln“174. Das Sondergebiet, auf das sich die defensive
Apologetik zurückgezogen habe, um es zum Sitz der Religion zu machen, sei
„der Mensch, noch enger die menschliche Seele als das Organ der Religion,
das Subjekt der Sünde und der Gegenstand der Erlösung“175. Doch gerade
diesen Bereich und damit überhaupt die Methode der defensiven Apologetik
sieht Heim durch die Entwicklung der Naturwissenschaft bedroht:
„Mit dem Zerfall des ptolemäischen Weltbildes verlor die Menschenseele ihre zentrale
Sonderstellung im Raum. Der Evolutionismus nahm ihr ihre Sonderstellung innerhalb der
zeitlichen Entwicklung. Die heutige Physiologie endlich brachte sie in den Zustand einer
belagerten Festung, um die sich der eiserne Ring immer enger zusammenzieht. Die Außenforts sind längst genommen; jetzt wird um die innere Burg gekämpft.“176
In unserem Zusammenhang ist festzuhalten, daß für Heim diese Entwicklung
bereits mit der Behauptung eines unendlichen Kosmos durch Giordano Bruno
in ein neues Stadium tritt. Denn waren erst einmal die Grenzen verwischt
„zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen, zwischen Ruhe und
Bewegung, so war damit ein Relativierungsprozeß eingeleitet, der nach und
nach alle absoluten Grenzen in Frage stellen mußte, auch die scheinbar unverrückbaren Grenzsteine, die das Gebiet der Menschenseele von der Natur
schieden“177. Einige Jahre später wird Heim die Einsteinschen Theorien als
konsequenten Endpunkt dieses Relativierungsprozesses interpretieren.
172
K. Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. III, Teil 1, Vorwort.
J. Hübner, Die Welt als Gottes Schöpfung ehren, 9, beschreibt noch im Jahr 1982 die
Situation zwischen Naturwissenschaft und Theologie „als schiedlich-friedliches Nebeneinander beider Gebiete“. – Vgl. auch H. Hafner, Gespräch... Selbstgespräch... Sendepause...?
Orientierungen und Fragen zur Situation des Gesprächs zwischen Theologie und Naturwissenschaft vor 100 Jahren und heute, 47–77.
174
K. Heim, Der gegenwärtige Stand der Debatte zwischen Theologie und Naturwissenschaft,
39.
175
A.a.O., 40.
176
A.a.O., 50.
177
A.a.O., 43.
173
132
2. Naturwissenschaft und Theologie als zentrales Thema in Karl Heims Werk
Aufgrund des drohenden Scheiterns der defensiven Strategie sieht sich Heim
gegenüber den Naturwissenschaften „zur Offensive gezwungen, zu einem
glaubensmutigen Ringen mit den Rätseln der Natur“178. Heim will nun aber
keine eigene, in apologetischer Absicht geschriebene christliche Naturphilosophie vorlegen, sondern er will sich unmittelbar mit den jeweiligen neuen
Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften auseinandersetzen. Wirklichen apologetischen Wert haben für ihn dabei allerdings nur jene wissenschaftlichen Ergebnisse, die ohne jede direkte apologetische Absicht
gewonnen wurden:
„Das einzige, was wir tun können, ist darum dies: Wir können den Gang der heutigen
Naturforschung mit aufmerksamen Auge[n] verfolgen und abwarten, ob sich in ihr
wissenschaftliche Bewegungen anbahnen, die ganz unabsichtlich dem Glauben den Weg
bereiten, ob noch einmal eine Flutwelle kommt, die, ohne es zu wollen, das Schiff des
Glaubens wieder emporhebt.“179
Mit dieser zumindest zunächst eher abwartend als offensiv erscheinenden
Strategie, die Heim als „neue Apologetik“180 bezeichnet, stellt sich Karl Heim
eine Aufgabe, der er zeitlebens verbunden bleibt. Über Jahrzehnte hinweg
äußert er sich zu den jeweils aktuellen Entwicklungen in den Naturwissenschaften und nimmt dabei insbesondere Bezug auf die Erkenntnisse der
modernen Physik. Diese Bereitschaft wird auch in der Heim-Rezeption der
vergangenen Jahre wiederholt gewürdigt. Heims vorrangiges Interesse ist für
Rolf Hille „auf die geistige Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlich begründeten Säkularismus gerichtet“181, und Manfred Büttner hebt
hervor, daß es in Heims ganzem theologischen System „einzig und allein um
die Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaft geht“182. Für
Büttner ist Heim sogar „tatsächlich der einzige Theologe des 20. Jahrhunderts
[...], der dem Weltbild des Unglaubens ein wirklich alle naturwissenschaftlichen Bereiche umfassendes Weltbild des Glaubens gegenüberstellt“183. Nach
Hermann Timm ist dabei Heims Denken aber nicht auf Konfrontation
angelegt, sondern er sei zeitlebens „um ein positives Verhältnis zwischen
Theologie und Naturwissenschaft“184 bemüht gewesen. Heim habe sich mit
Entschlossenheit auf „jedwedes relevante Gespräch zwischen Theologie,
Naturwissenschaft, Philosophie, Ideologie und Religion“185 eingelassen,
178
A.a.O., 57.
A.a.O., 58 (Heim: „aufmerksamen Auge“).
180
K. Heim, Eine neue Apologetik, 386–389.
181
R. Hille, Das Ringen um den säkularen Menschen, 11.
182
M. Büttner, Das „physikotheologische“ System Karl Heims und seine Einordnung in die
Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 269.
183
A.a.O., 279.
184
H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims, 11 (Hervorhebung
vom Verf.).
185
R. Hille, Das Ringen um den säkularen Menschen, 103.
179
133
bemerkt Rolf Hille, und Horst W. Beck stellt bei Heim bei allem Wandel der
Themen doch „als bleibendes Rückgrat das Ziel und die Methode des SichEinlassens auf die Naturwissenschaften“186 fest. Auch in der Neuauflage des
„Lexikon für Theologie und Kirche“ wird Heim als „intimer Kenner der
Naturwissenschaften“ gelobt, der mit diesen einen „intensiven Dialog“187
geführt habe.188
Diese – späten – Würdigungen ändern nichts daran, daß Karl Heim innerhalb
der protestantischen Theologie seiner Zeit ein Außenseiter bleibt. In mancher
Hinsicht ist dabei seine Rolle durchaus mit derjenigen Teilhard de Chardins
(1881–1955) innerhalb der katholischen Theologie vergleichbar. Heim konnte
seine Schriften im Unterschied zu Teilhard zwar selbst veröffentlichen, aber
„bei seinen Fachkollegen [...] fand er für seine Arbeit weder Zustimmung
noch Unterstützung“189 und blieb „innerhalb der Universitätstheologie immer
ein bedrängter Außenseiter“190. Als seine Schriften dann in den siebziger
Jahren neu aufgelegt und damit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich
werden, sind sie bereits „veraltet“, wenn auch nicht unbedingt überholt.191
Während Teilhard sich kompetent mit der biologischen Evolution beschäftigt
und selbst zahlreiche geologische und paläontologische Arbeiten verfaßt, gilt
Heims Interesse vorrangig den Erkenntnissen der modernen Physik. Dabei
werden in der Entwicklung von Heims Theologie drei Phasen unterschieden,
die jeweils auf bestimmte Entwicklungen in der Geschichte der modernen
Physik bezogen sind: die erste Phase auf die Thermodynamik, die zweite auf
die Relativitäts- und die dritte auf die Quantentheorie.192 Im hier gegebenen
Zusammenhang beschränken wir uns zunächst auf die zweite Phase, die von
Heims Auseinandersetzung mit der Relativitätstheorie geprägt ist.
3. Heims Rezeption und Deutung der Relativitätstheorie
Karl Heim befaßt sich in mehreren Schriften mit den Einsteinschen Theorien:
zuerst im Jahr 1921 in einem eigens der Relativitätstheorie gewidmeten
186
H. W. Beck, Zur Einführung, in: K. Heim, Weltschöpfung und Weltende, 10.
H. Schwarz, Art. Heim, Karl, Sp. 1364.
188
Zur gegenwärtigen Rezeption K. Heims vgl. auch die Veröffentlichungen im jährlich
erscheinenden Jahrbuch der Karl-Heim-Gesellschaft „Glaube und Denken“. Die Karl-HeimGesellschaft, die das Erbe Karl Heims bewahren und fortführen will, widmete ihre Jahrestagung 1995 dem Thema „Neu-Orientierungen im Gespräch zwischen christlicher Theologie
und Naturwissenschaft. Anstöße Karl Heims für die heutige Gesprächssituation“. Beiträge
dieser Tagung sind dokumentiert in: H. Schwarz (Hg.), Glaube und Denken. Jahrbuch der
Karl-Heim-Gesellschaft 9 (1996).
189
H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims, 11.
190
H. E. Tödt, Vorwort, in: H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl
Heims, 7.
191
Vgl. dazu M. Büttner, Das „physikotheologische“ System Karl Heims und seine Einordnung in die Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 270f.
192
Vgl. dazu H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims, 50.
187
134
Beitrag in der „Zeitschrift für Theologie und Kirche“193 sowie im Kontext der
größeren Schrift „Glaubensgewißheit“194. Darüber hinaus weist Heim auf die
Relativitätstheorie in mehreren Artikeln in unterschiedlichem Zusammenhang
kurz hin195 und thematisiert schließlich auch noch einmal im Rahmen seines
sechsbändigen Alterswerkes „Der evangelische Glaube und das Denken der
Gegenwart“ ausführlicher die spezielle196 und die allgemeine197 Relativitätstheorie.
In seinem Beitrag aus dem Jahr 1921 „Gedanken eines Theologen zu
Einsteins Relativitätstheorie“ vermittelt Heim zunächst den Eindruck, als
halte er es keineswegs für ausgemacht, daß „die Einsteinsche Relativitätstheorie irgend etwas mit der Religion zu tun [habe]“198 und die Theologie darum
Anlaß habe, sich in die „internen Angelegenheiten der Physik
einzumischen“199. Allerdings gibt er zu bedenken, daß sich erfahrungsgemäß
gewisse Grundgedanken, die auf einem Wissenschaftsgebiet aufgetreten sind,
wie Wellen in einem Medium verbreiten. Es verhalte sich damit wie bei einer
„Krankheitsinfektion, die, einmal in den Körper hineingekommen, im ganzen
Körper herumzieht“200. Von dem Gedanken, den Einstein neu aufgenommen
und bis in seine letzten Konsequenzen verfolgt habe, gilt für Heim in besonderem Maß, daß er „über kurz oder lang alle anderen Wissenschaftsgebiete
infizieren [werde]“201. Deutet schon dieser einführende Vergleich der
Wirkung der Relativitätstheorie mit der einer ansteckenden Krankheit auf eine
erstaunlich negative Qualifizierung der Relativitätstheorie hin, so verwundert
auch die Darstellung der Relativitätstheorie, die Heim im Anschluß daran
liefert.
Nach dem Hinweis auf die bekannten Experimente zur Ausbreitung des
Lichts im 19. Jahrhundert und die Widersprüche, die sich für die klassische
Physik daraus ergeben hatten, fährt Heim fort:
„Bei allen bisherigen Relativierungen hatte man das Zeitmaß als etwas Absolutes und
Konstantes angesehen. Einstein kam der Gedanke: Wie, wenn auch die Zeit keine unveränderliche Größe wäre, wenn auch das Zeitmaß, wie alle anderen Maßstäbe, mit denen wir
arbeiten, von der Wahl des Orientierungspunktes abhinge?“ 202
Damit behauptet Heim als Ausgangspunkt der Einsteinschen Theorie die
Relativierung des Zeitmaßes – und stellt Einsteins Gedankengang damit auf
193
K. Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie.
Ders., Glaubensgewißheit. Eine Untersuchung über die Lebensfrage der Religion, 31923,
insbes. 161–169.
195
Vgl. dazu u. a. K. Heim, Zeit und Ewigkeit, die Hauptfrage der heutigen Eschatologie,
547f, sowie ders., Der Schicksalsgedanke als Ausdruck für das Suchen der Zeit, 406ff.
196
Ders., Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, 75–94 („Die spezielle Relativitätstheorie als Frucht der Erschütterung des Glaubens an den festen Weltmittelpunkt“).
197
A.a.O., 94–107 („Die allgemeine Relativitätstheorie als letzte Konsequenz“).
198
Ders., Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie, 330.
199
A.a.O., 331.
200
Ebd.
201
A.a.O., 331f.
202
A.a.O., 338.
194
135
den Kopf. Dieser war in der speziellen Relativitätstheorie von dem experimentell abgesicherten Postulat der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und
dem Postulat der Gültigkeit der Naturgesetze in allen gleichförmig gegeneinander bewegten Bezugssystemen ausgegangen. Die Relativierung des Zeitmaßes hatte sich hingegen nur als Konsequenz aus diesen Postulaten ergeben.
Auf die absolute Größe der Lichtgeschwindigkeit weist Heim hier überhaupt
nicht hin. Statt dessen betont Heim, daß mit der Erkenntnis der Relativität des
Zeitmaßes „die Lawine ins Rollen gekommen [sei]“ und eine „Umwälzung
der physikalischen Grundbegriffe [...] begonnen [habe]“203.
Erst die einseitige und dem physikalischen Gehalt der Relativitätstheorie in
keiner Weise angemessene Betonung der relativierten Größen und das
Verschweigen anderer absoluter Aspekte kann erklären, warum Heim in der
Einsteinschen Relativitätstheorie nur noch eine „Relativierung der physikalischen Grundbegriffe“204 und der „raumzeitlichen Urmaße“205 ausmacht, die
keine absoluten Maßstäbe mehr stehen lassen. Die diesbezügliche Behauptung
Heims, daß „mit dem Zeitmaß vollends die letzten Maßstäbe der Wirklichkeitsbeschreibung ihre Konstanz verloren haben“206, ist im Hinblick auf die
Relativitätstheorie einfach falsch und deutet auf ein völliges Mißverstehen
dieser Theorie hin. Darauf weist im übrigen auch ein Beispiel hin, das Heim
an anderer Stelle zur Veranschaulichung der Relativitätstheorie gibt, das sich
aber ganz trivial und widerspruchslos mit Hilfe des Galileischen Relativitätsprinzips erklären läßt.207
Endgültig verläßt Heim den Boden der Relativitätstheorie, wenn er behauptet,
„daß hier in der Schulsprache der exakten Wissenschaft die alte Menschheitsfrage nach dem Verhältnis von Geist und Natur, Seele und Welt verhandelt
203
A.a.O., 339.
A.a.O., 336.
205
A.a.O., 341.
206
A.a.O., 344.
207
Vgl. K. Heim, Glaubensgewißheit, 163. Heim versucht hier „am Beispiel des Steins, den
ein Reisender im schnell fahrenden D-Zug aus dem Fenster fallen läßt“ Inhalte der Relativitätstheorie „anschaulicher als an [den] astronomischen Verhältnissen“ zu verdeutlichen:
„Vom Standpunkt des Reisenden aus gesehen fällt der Stein schnurgerade am Wagen
herunter. Vom Standpunkt des Bahnwärters aus, der am Bahndamm stehend den Zug
vorüberfahren sieht, [fiel der Stein] in einer langen nach der Lokomotive zu parabelförmig
gebogenen Linie zur Erde.“ – Einen weiteren Hinweis darauf, daß Heim von Grund auf nicht
verstand, um was es in der Relativitätstheorie geht, kann man dem autobiographischen
Hinweis (1957) entnehmen, er habe bereits im Alter von 15 Jahren (das heißt im Jahr 1889!),
während sich seine Kompromotionalen anderweitig vergnügt hätten, Gespräche „über Gedanken der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins“ geführt. Auch das einzige in
diesem Zusammenhang geschilderte Problem verbleibt im Rahmen der klassischen Physik:
„Wir sprachen davon, daß es nicht absolut feststellbar sei, ob ein Körper im Weltall ruht und
welcher Körper sich im Verhältnis zu ihm bewegt, daß man einen Körper alpha als unbewegt
annehmen müsse, um zu entscheiden, was sich im Weltall bewegt und in welcher Richtung
das geschieht“ (K. Heim, Ich gedenke der vorigen Zeiten, 95f). Heim nennt diese Gedanken
als Beispiel für „konsequenten Skeptizismus“ und für den „radikalen Zweifel an allem [...],
was nach menschlicher Anschauung feststeht“ (95).
204
136
[werde]“208. Heim begründet dies damit, daß Einstein mit einer neuen Fragestellung an das Zeitproblem herantrete, die „von Anfang an den erkennenden
Geist mit dem Gegenstand der Naturerkenntnis [zusammennehme]“209. Mit
Bezug auf die spezielle Relativitätstheorie schreibt Heim: „Der erkennende
Beobachter wird von vornherein in die Darstellung des physikalischen Tatbestands hineingenommen als ein Element, von dem nicht abstrahiert werden
darf“210. Wir können also, so Heim weiter „das sehende Ich mit seiner
perspektivischen Einstellung überhaupt nicht mehr aus der Natur
herausnehmen“211. Damit gerate aber – und darin meint Heim die philosophische Bedeutung der Relativitätstheorie zu erkennen – „der ganze bisherige
Begriff des objektiven Gegenstandes ins Schwanken“212, und es sei überhaupt
kein anschauliches Bild des Weltprozesses mehr denkbar, das dem perspektivischen Standpunkt gegenüber neutral wäre:
„Die wissenschaftliche Forschung jagt also einem Phantom nach, wenn sie feststellen will,
wie die Welt aussieht, wie es bei irgendeinem Ereignis eigentlich zugegangen ist oder
zugeht, wenn man die Dinge ganz ohne subjektive [sic] Beimischung unbefangen und
vorurteilslos betrachtet. Das erkennende Ich, das die Wirklichkeit von einem bestimmten
Standort aus betrachtet, gehört als zweiter konstituierender Faktor notwendig mit zur
Wirklichkeit, kann also bei der Feststellung eines Tatbestandes nie außer acht gelassen
werden.“213
In Anbetracht dieser Äußerungen Heims, die sich als Konsequenzen aus der
Einsteinschen Theorie ausgeben, ist einmal mehr daran zu erinnern, daß es die
Leistung der Relativitätstheorie ausmacht, die physikalischen Gesetzte wieder
unabhängig vom Bezugssystem formulieren zu können, was im Rahmen der
klassischen Physik nicht mehr möglich war. In diesem Sinne ist Arnold
Sommerfelds Feststellung zu verstehen, daß nicht die Relativierung der
Vorstellungen von Länge und Dauer die Hauptsache der Relativitätstheorie
208
K. Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie, 342.
Ebd.
210
Ebd.
211
A.a.O., 343.
212
Ebd.
213
A.a.O., 344. – Ähnlich formulierte Äußerungen begegnen einige Jahre später im
Zusammenhang mit der Deutung der Quantentheorie, insbes. bei N. Bohr, W. Heisenberg
und C. F. v. Weizsäcker. Letzterer vertritt die Ansicht, „vom Objekt [könne] hier nicht
getrennt vom Subjekt geredet werden“ (Beziehungen der theoretischen Physik zum Denken
Heideggers, 245) und meint, „die Subjekt-Objekt-Beziehung [werde] hier, zum erstenmal in
der neuzeitlichen Physik, thematisch“ (Heidegger und die Naturwissenschaft, 313). Aber
diese, im übrigen umstrittene Deutung gilt selbst bei v. Weizsäcker allenfalls für die
Quantentheorie, ergibt aber bezüglich der Relativitätstheorie keinerlei nachvollziehbaren
Sinn. Zumindest in diesem Zusammenhang erscheint es darum nicht angemessen, Heims
Beitrag als „prophetisch“, „genial“ und „hellseherisch“ zu beurteilen (vgl. H. W. Beck,
Einführung zu: K. Heim, Weltschöpfung und Weltende, 7f). Entsprechendes gilt für die
Bemerkung, Heim habe „schon aus der Relativitätstheorie [...] diejenigen philosophischen
Folgerungen gezogen, welche später Bohr und Heisenberg aus der Quantenmechanik
gezogen haben“ (H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims, 66).
Heims „Folgerungen“ können eben nicht aus der Relativitätstheorie gezogen werden.
209
137
sei, sondern gerade die „Unabhängigkeit der Naturgesetze [...] vom Standpunkt des Beobachters“214. Es bedeutet eine vollständige Verkennung der
physikalischen Bedeutung der Relativitätstheorie, wenn man aus ihr eine
„Standpunktphysik“ oder „Perspektivenlehre“ ableiten will und sie darüber
hinaus – durch die willkürliche Gleichsetzung von „relativ“ mit „subjektiv“ –
als eine Form des „Subjektivismus“ interpretiert.
Für Heim kann die von Grund auf und restlos relativierte, standpunktabhängige Physik das Urdatum eines „primären Koordinatensystems als Grundlage
der Weltorientierung “215, das Physik ermöglicht, nicht mehr erklären – und
gerade deshalb führe „das Nachdenken über die letzten Voraussetzungen der
Physik auf einen Weltgrund, der das geschlossene raumzeitliche Kontinuum
trägt, in dem die Ursetzungen wurzeln, die alles andere erst möglich
machen“216. Im ersten Gedankenschritt instrumentalisiert Heim demnach die
Relativitätstheorie zum Erweis der völligen Relativität nicht nur naturwissenschaftlicher, sondern überhaupt menschlicher Erkenntnis, ja sogar menschlichen Daseins. In dieser Hinsicht kann Heim an anderer Stelle auch von der
„Vollendung der relativistischen Bewegung durch Einstein und Spengler“
sprechen. Einstein und Spengler haben Heim zufolge „auch das Letzte, was
uns Menschen trägt, die Wahrheit, die Denknotwendigkeit und das Gewissen
[sic!], in den Strudel des Relativismus hineingerissen“217. Im zweiten Gedankenschritt verweist dieser Relativismus für Heim gerade auf die Notwendigkeit eines „Absoluten“. Die als Relativismus fehlinterpretierte
Relativitätstheorie soll auf die schlechthinnige Angewiesenheit des Menschen
auf ein Absolutum verweisen.
Man kann mit Gründen prinzipielle Grenzen physikalischer Erkenntnis, ihr
zugrunde liegende, von ihr selbst nicht zu klärende Voraussetzungen und
damit eine so verstandene „Relativität“ der Physik belegen. Heim ist es auch
unbenommen als Theologe von der „schlechthinnige[n] Abhängigkeit der
ganzen Bewußtseinswirklichkeit von Gott“218 zu sprechen. Letzteres hat mit
der Einsteinschen Theorie nichts zu tun, und ersteres hat mit ihr nicht mehr zu
tun als mit jeder anderen physikalischen Theorie. Die zugegebenermaßen
mißverständliche Namengebung als „Relativitätstheorie“ leistet allerdings der
Fehlinterpretation Vorschub, als würden gerade in dieser Theorie der relative
(und darum auf ein Absolutum bezogene) und unvollkommene (und darum
ergänzungsbedürftige) Charakter physikalischer Erkenntnis besonders
deutlich.219 Hätte sich der von mehreren Physikern bevorzugte Name
„Absoluttheorie“ oder „Theorie der absoluten Welt“ durchgesetzt, hätten die
Sätze, mit denen Heim die „Gedanken eines Theologen zur
Relativitätstheorie“ abschließt, ihre suggestive Kraft eingebüßt:
214
A. Sommerfeld, Albert Einstein, 37.
K. Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie, 346.
216
A.a.O., 347.
217
Ders., Der Schicksalsgedanke als Ausdruck für das Suchen der Zeit, 406.
218
Ders., Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie, 347.
219
Vgl. 3. Kap. III. vorliegender Arbeit.
215
138
„Die Relativierung der naturwissenschaftlichen Grundbegriffe schließt uns also ein neues
Verständnis auf für Empfänge aus der Sphäre des Absoluten, für die schlechthinnige
Abhängigkeit der ganzen Bewußtseinswirklichkeit von Gott. Man könnte darum vom
naturwissenschaftlichen Relativismus, der in einer langen Entwicklung von Ptolemäus bis
zu Einstein die absoluten Fundamente des alten Weltbilds stückweise abgetragen hat,
dasselbe sagen, was der Naturforscher Baco von Verulam von der Philosophie überhaupt
gesagt hat: Philosophia obiter delibata deducit a Deo, penitus exhausta reducit ad
Deum.“220
Für Karl Heim führt die Relativitätstheorie entgegen dem ersten Anschein bei
tieferem Eindringen doch wieder zurück zu Gott. Mehr als 30 Jahre später
korrigiert Heim zwar seine Darstellung der Relativitätstheorie in einigen
Punkten und weist nun auch ausdrücklich darauf hin, daß mit der Konstanz
der Lichtgeschwindigkeit eine „tiefer liegende Objektivität ans Licht
[kam]“221, aber dies bleibt ohne Auswirkung auf seine Argumentation. Nun
bezeichnet er die Entwicklung, die mit der allgemeinen Relativitätstheorie
endete „als die Geschichte aller der Versuche, die der Mensch gemacht hat,
das Absolute, dessen er bedarf, in titanischer Weise selbst zu setzen“222. Doch
die darauf aufgebauten Weltgebäude sind nacheinander eingestürzt: „Ihre
Grundlagen erwiesen sich als relativ.“223
Wieder aber führt die physikalische Forschung auf einen „‚Urgrund‘,
‚Urschoß‘, ‚Urquell‘ alles Seins und Geschehens“224. Schließlich kann für
Heim die Entwicklung der Physik vom ptolemäischen Weltbild bis hin zur
allgemeinen Relativitätstheorie als negative Vorbereitung der positiven
Erkenntnis Gottes dienen:
„Der Einsturz aller dieser selbstaufgeführten Bauten des Menschengeistes war aber nur die
negative Vorbereitung zu einer letzten, außerordentlich positiven Erkenntnis: Gott, der
Schöpfer, der als der Ewige jenseits aller unserer Systeme steht, ist allein der Absolute.
[...] In Gott allein ist im Wechsel der Erscheinungen unser ewiger Ruhepunkt. In der
ganzen geschaffenen Welt gibt es aber nur relative Größen und relative Maßstäbe. [...] Nur
wenn das Geschöpf in die Gemeinschaft mit dem Schöpfer zurückkehrt, findet es einen
absoluten Mittelpunkt und ewigen Ruhepunkt.“225
Mit dieser Deutung – die Heim als „praktisches Schlußergebnis“226 seiner
Ausführungen über den „Glaube[n] an die absolute Zeit und den absoluten
Raum und seine Erschütterung durch die Relativitätstheorie“227 ankündigt –
220
K. Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie, 347.
Ders., Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, 79.
222
A.a.O., 117.
223
Ebd.
224
A.a.O., 112.
225
A.a.O., 117. Nur nebenbei sei angemerkt, daß Heim hier auch die Auffassung vertritt, daß
das existenzialistische Denken Heideggers zu demselben Punkt führe, „zu dem die physikalische Erkenntnis gelangt, wenn man sie bis zu ihrer letzten Konsequenz verfolgt“ (a.a.O.,
111, vgl. 109). Die Verbindung von Existenzphilosophie und Relativitätstheorie treibt Heim
zu der Formulierung: „Es ist unser Schicksal, euklidische Wesen zu sein. Es ist ohne unser
Zutun über uns entschieden worden“ (110).
226
A.a.O., 107.
227
A.a.O., 65.
221
139
nähert sich Heim den „Rezeptionen“ der Relativitätstheorie, die im ersten
Abschnitt dieses Kapitels vorgestellt wurden. Waren es dort vor allem die
„vierte Dimension“, die zu Spekulationen über das „Ewige Leben“ einlud, so
nehmen Heims Überlegungen ihren Ausgang von dem angeblichen „Relativismus“ der Relativitätstheorie. Mit dem theologisch und philosophisch gebildeten Physiker Bernhard Bavink ist demgegenüber festzuhalten, daß alle
Interpreten, die aus der Relativitätstheorie „einen Physik gewordenen ‚Relativismus‘ im philosophischen Sinne dieses Wortes herausdestillieren wollten,
[...] an dem eigentlichen Sinne der Relativitätstheorie vollständig [vorbeigehen], indem sie sich an ein bloßes Wort klammern, das einen ganz anderen
Sinn hat, als den sie ihm beilegen wollen“228.
4. Motiv und Methode Karl Heims bei der Auseinandersetzung mit den
Naturwissenschaften
Karl Heim zählt zu den wenigen Theologen, die sich im 20. Jahrhundert
überhaupt auf die Erkenntnisse der modernen Physik eingelassen haben. Seine
lebenslange Bemühung wird heute verschiedentlich als Pionierarbeit gewürdigt, an die es sich – nach einer Phase der Vergessenheit Heims – wieder
anzuknüpfen lohne.229 Für A. M. Klaus Müller ist Heim „als der große
Anreger zu einem neuen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft“
auch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts „eine Herausforderung geblieben
und hat seine Bedeutung nicht eingebüßt“230. Der Theologe Hans-Rudolf
Müller-Schwefe stellt Heim sogar als Genie in eine Reihe mit Planck,
Einstein, Klee und Kandinsky.231 Andere Theologen erwarten für die Zukunft
eine „Heim-Renaissance“ und prognostizieren, daß die Zeit komme, „da wir
überhaupt erst anfangen werden, bei Karl Heim in die Schule zu gehen“232.
Aus diesem Grund soll im folgenden untersucht werden, ob Heims Methode
der Auseinandersetzung mit physikalischen Erkenntnissen ein heute noch
228
B. Bavink, Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften (61940), 119f. – Zur
Relativismusdebatte im Anschluß an die Relativitätstheorie vgl. K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, 92–105.
Hentschel weist darauf hin, daß gerade in polemischen und physikalisch unqualifizierten
Artikeln (in vulgarisierenden „Quartärtexten“ zur Relativitätstheorie) „relativ“ oft synonym
für „subjektiv“ gestanden habe; „umgekehrt wurde ‚absolut‘ als gleichbedeutend mit ‚objektiv‘ angesehen, woraus sich wiederum leicht ein Argument Vom Relativen zum Absoluten
ableiten ließ“ (a.a.O., 95, vgl. 57f).
229
Vgl. H. W. Beck, Götzendämmerung in den Wissenschaften. Karl Heim – Prophet und
Pionier, 70, der zuversichtlich ist, daß sich Heims Methode bei der Auseinandersetzung mit
der Naturwissenschaft auch in neuen „Problemständen“ bewähren werde.
230
A. M. K. Müller, Wende der Wahrnehmung: Erwägungen zur Grundlagenkrise in Physik,
Medizin, Pädagogik und Theologie, 157.
231
Vgl. R. Hille, Das Ringen um den säkularen Menschen, 9.
232
F. Melzer, zit. in: R. Hille, a.a.O., 11.
140
tragfähiges Modell für den Dialog von Naturwissenschaft und Theologie
abgeben kann.
Um diese Methode zu verstehen, muß zunächst Heims Selbstverständnis
berücksichtigt werden. Heim geht von der Überzeugung aus, daß auch die
Existenz eines akademischen Theologen als Lehrer und Schriftsteller missionarisch motiviert und auf das praktische Christentum hin orientiert sein muß.
Diese Überzeugung gründet sich bei Heim auf ein in seiner Autobiographie
geschildertes Bekehrungserlebnis und auf die ihn prägenden Erfahrungen als
Reisesekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung.233 So fühlt
sich Heim persönlich dazu berufen „in missionarischer Absicht theologisches
Neuland [zu] erschließen“234. Diese Absicht bestimmt nach Rolf Hille „nicht
nur die Themen und Inhalte, sondern durchgehend den Stil und die Argumentationsstruktur der Veröffentlichungen Karl Heims“235.
Mission setzt als Adressaten Un- oder Andersgläubige voraus. Nun stellt sich
die Frage, wie es dazu kommen kann, daß bei einem Theologen, dessen
erklärte Absicht die Mission darstellt, ausgerechnet die Auseinandersetzung
mit den Naturwissenschaften und speziell mit der Physik zum zentralen
Thema seines gesamten Lebenswerkes werden kann. Inwiefern können die
Naturwissenschaften zum Feld missionarischer Absichten werden? Erst
Heims Darstellung und Bewertung der Geschichte der Physik erlaubt darauf
eine Antwort. Im fünften Band seines Spätwerkes (1954) fragt Heim, worin
„von der Gottesfrage aus [gesehen]“ die Umwälzung bestehe, die sich in der
Physik vor unseren Augen vollziehe, und antwortet selbst:
„Sie besteht offenbar darin, daß in einer ‚Götzendämmerung‘ großen Ausmaßes eins ums
andere dieser Absoluta, die jahrhundertelang als unumstößlich galten, zusammenstürzten,
und zwar nicht durch irgendeine theoretische Reflexion, wie man sie auch schon früher in
Zeiten des radikalen Relativismus und Skeptizismus angestellt hatte, sondern durch experimentell feststellbare Erfahrungstatsachen, die nicht geleugnet werden konnten [...].“236
Die drei Absoluta, die der klassischen Physik Heim zufolge als Götzen
gedient haben sollen, sind das absolute Objekt, der absolute Raum und die
absolute Zeit sowie die absolute Determination des Weltgeschehens. Für
Heim gilt aber auch auf naturwissenschaftlichem Gebiet das biblische Gebot:
„‚Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andern Götter neben mir haben‘,
oder allgemeiner, universaler ausgedrückt: ‚Ich bin das Absolute, und du
sollst kein Absolutum neben mir haben.‘“237 Wo in die Naturbeschreibung ein
absoluter Faktor aufgenommen werden müsse, rage im Grunde „der religiöse
Glaube in die wissenschaftliche Berechnung herein“238. Damit erhält die
neuzeitliche Physikgeschichte für Heim notwendig pseudoreligiösen Charakter, ja die Physik muß bis ins 20. Jahrhundert hinein als Welt des Unglaubens
233
Vgl. K. Heim, Ich gedenke der vorigen Zeiten, 66–69.
H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims, 111, vgl. 11f.
235
R. Hille, Das Ringen um den säkularen Menschen, 101.
236
K. Heim, Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, 24.
237
A.a.O., 25, vgl. 23.
238
A.a.O., 22.
234
141
qualifiziert werden, da in ihr ja in titanenhafter Selbstüberschätzung des
Menschen nur vermeintliche Absoluta als Götzen verehrt werden. Diese
ungläubige Welt bedarf der Mission, und diese Mission kann sich glücklicherweise wieder die Grundlagenkrise in der Physik zu Nutze machen. Denn die
Entwicklung, die Heim in der Relativitäts- und Quantentheorie miterlebt,
relativiert die Absoluta der Physik, stürzt damit die Götzen der klassischen
Physik in einer „gnädige[n] Katastrophe“239 von ihrem Sockel und ermöglicht
so einen neuen Zugang zum Glauben an das einzige wahre Absolutum, Gott.
Auf diese Weise erscheint aus Heims Perspektive die klassische Physik als
anmaßender Unglaube und Götzenverehrung und die moderne Physik als
Durchgangsstadium und „Götzendämmerung“, an deren Horizont sich der
Glaube als einzig wahre Alternative abzeichnet.
Heim erkennt demnach seine missionarische Aufgabe darin, die Naturwissenschaft über sich selbst aufzuklären, indem er sie auf die sich in ihr vollziehende Entwicklung hinweist. Die von Heim gewählte Methode, folgt dabei
dem Vorgehen der traditionellen Mission: Der Missionar erwirbt sich Grundkenntnisse in der fremden Religion, versucht sich in ihre Welt hineinzudenken, macht in ihr einzelne Anknüpfungspunkte aus und führt davon
ausgehend zur Wahrheit des christlichen Glaubens. Ausdrücklich orientiert
sich Heim hier an der Struktur der paulinischen Missionspredigt, wie sie in
der Apostelgeschichte geschildert wird.240 Entsprechend bemüht sich Heim
für die naturwissenschaftliche Mission um physikalische Grundkenntnisse,
beobachtet aufmerksam „den Gang der heutigen Naturforschung“ und wartet
ab, „ob sich in ihr wissenschaftliche Bewegungen anbahnen, die ganz
unabsichtlich dem Glauben den Weg bereiten“241. Hat Heim dann erst einmal
eine derart günstige Bewegung in der naturwissenschaftlichen Entwicklung
ausgemacht, dann versteht er seine Mission durchaus kämpferisch und offensiv:
„Angreifen bedeutet feindlichen Boden betreten mit der Absicht, den Feind aus seinem
Terrain zu verdrängen. Das bedeutet auf den Kampf mit den Waffen des Geistes übertragen: auf die Gedankengänge der atheistischen Gegner eingehen und zeigen, daß diese,
sobald man sie in ihre eigenen Konsequenzen verfolgt, über den Atheismus hinausführen.
[...] Ich dringe selbst in das Labyrinth des Relativismus ein und gebe den Verhältnischarakter aller räumlichen und zeitlichen Wirklichkeit ohne weiteres zu, suche aber zu zeigen,
daß von jedem, auch dem entlegensten Gang dieses Labyrinths aus ein Weg nach dem
Ausgang und der Welt des Lichtes führt.“ 242
239
A.a.O., 65.
Vgl. K. Heim, Die Botschaft des Neuen Testaments an die Heidenwelt, 740: „Das erste
Element ist nicht das, was Botschaft im eigentlichen Sinne ist, sondern mäeutischer Unterricht, durch den etwas ins Bewußtsein erhoben wird, was schon im Unterbewußtsein der
Zuhörer schlummert: Ich verkündige euch den einen Gott, den ihr unwissend verehrt [...].
Dieser erste, sokratisch-mäeutische Teil der Predigt will also nur ein Frühlingsregen sein, der
einen Samen aufkeimen läßt, der schon in der Erde liegt und zum Lichte drängt. Dieser Teil
wird meist ruhig mit angehört und nicht durch Lärm oder Spott unterbrochen [...].“
241
Ders., Der gegenwärtige Stand der Debatte zwischen Theologie u. Naturwissenschaft, 58.
242
Ders., Eine neue Apologetik, 387f.
240
142
Dabei zeigt sich Heim in der Wahl der Argumentation und in seiner Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Adressaten höchst flexibel. Rolf Hille zeigt,
daß Heim „aus missionarischem Interesse [...] durch perspektivischen
Wechsel der Argumente, durch die Bereitschaft, sich auf neue Themen einzustellen und flexibel mit seinen Begriffen umzugehen, auf das Verständnis
seines Hörers bzw. Lesers [eingeht]“243 und daß dabei die Linienführung
seines Denkweges „durch die unterschiedlichsten apologetischen Frontstellungen einen mitunter bizarren Verlauf genommen [hat]“244. Bei der Beschreibung der jeweiligen gegnerischen Position geht Heim bisweilen sehr
großzügig vor. „Weil es ihm letztlich einzig um eine schroffe Gegenüberstellung von Glaube und Unglaube geht“, so Hille weiter, „verblassen ihm [...]
die Unterschiede der säkularen Weltanschauungen.“245 Entscheidend ist, daß
Heim die gesamte Physik bis hin zu dem Umbruch, der sich zu seinen Lebzeiten vollzieht, diesen säkularen Weltanschauungen und dem Unglauben
zurechnet. Ohne sich auf weitere Differenzierungen einzulassen, beabsichtigt
er, verschiedene Erkenntnisse der Physik bis zu ihren „äußersten Konsequenzen“ weiterzudenken, um dadurch vor die Alternative Glaube oder Nihilismus
zu führen. Wer sich für die Wahrheit des Glaubens entscheidet, wird dann im
Licht der Offenbarung die Konvergenz naturwissenschaftlicher und biblischer
Aussagen erkennen.246
5. Kritik
Heim will den Physikern ein Physiker werden, um sie mit ihren eigenen
Waffen zu schlagen. Im folgenden soll davon abgesehen werden, daß Heim
keineswegs die Höhe der Physik seiner Zeit zu erreichen vermag und er schon
darum seine Absicht nicht realisieren kann. Angesichts der Komplexität der
modernen Physik ist es auch kaum vorstellbar, ein Nichtphysiker könnte die
notwenige Kompetenz erwerben, um auf dieser Ebene in einen fruchtbaren
Dialog mit Physikern zu treten; aber die Tatsache, daß Heim entgegen seinem
Anspruch auch als Physiker keineswegs überzeugen kann, könnte immerhin
die höflich zurückhaltende Reaktion einiger Physiker erklären.247 Die folgenden Einwände sehen von den physikalischen Mißverständnissen Heims
243
R. Hille, Das Ringen um den säkularen Menschen, 104.
Ebd.
245
A.a.O., 108.
246
Zur apologetischen Methode Heims vgl. H. W. Beck, Götzendämmerung in den Wissenschaften, 54ff.
247
B. Bavink, Wesentliches und Unwesentliches im Christentum, 85, beurteilt Heims Ansatz
kurz als „zu ‚theologisch‘ und zu wenig ‚realistisch‘“. Bei Heims Vortragsreise in die USA
im Jahr 1935 bleibt Einstein einem Empfang, bei dem man Heim mit ihm bekannt machen
will, fern. Heim, Ich gedenke der vorigen Zeiten, 291, hält es darum „für richtig, ihm am
anderen Tage mit meiner Frau einen Besuch zu machen“. Über den Austausch von Freundlichkeiten scheint diese Begegnung nicht hinausgekommen zu sein.
244
143
weitgehend ab und beschränken sich im wesentlichen auf eine grundsätzliche
Kritik der Methode Heims:
w Der Physik wird kein positiver Eigenwert zuerkannt:
Physik ist für Heim etwas, das überwunden werden muß. Zwar wagt er sich
auf deren Terrain, aber es ist für ihn feindliches Terrain. Als positiv
erscheint an der Physik allenfalls, daß sie selbst die Mittel zu ihrer
Überwindung in sich trägt. Doch wie in der Mission kommt dem alten
Glauben keine Funktion mehr zu, nachdem der neue Glaube angenommen
ist. Er hat ausgedient und keinen berechtigten Eigenwert mehr aufzuweisen.
Nach Hermann Timm ist für Heim „die Naturwissenschaft [...] die geistige
Großmacht der modernen Welt – und mithin die Macht, an deren Überwindung [sic] heute die umfassende Wahrheit des christlichen Glaubens offenbar werden soll, wenn anders der neutestamentliche Missionsbefehl auch
für unsere Welt bestehen bleibt“248. Wenn der Zusammensturz, die Zertrümmerung, die Götzendämmerung der Physik Voraussetzung ist, daß Gott
„auf den Trümmern der menschlichen Weltenthrone“249 seinen Thron
aufschlägt, ist auch ein positives Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft nicht mehr vorstellbar.
w Die Dichotomie von Glaube und Naturwissenschaft wird bestätigt:
Heim war angetreten, um die Zweiteilung von Glaube und Naturwissenschaft zu überwinden. Durch die negative Qualifizierung der Physik als
Welt des Unglaubens, die in letzter Konsequenz vor die Entscheidung für
das „ganz Andere“ stellt, verschärft Heim die Entgegensetzung von Naturwissenschaft und Glaube.
w Die Charakterisierung der neuzeitlichen Physik entspricht nicht deren
Selbstverständnis:
Der pauschale Vorwurf, daß die klassische Physik ihre Absoluta als Götzen
verehrt habe und als Alternative zum Glauben aufgetreten sei, ist nicht
richtig. Es sind vor allem Theologen des 19. Jahrhunderts, die die Unvereinbarkeit von geoffenbartem Glauben und neuzeitlicher Naturwissenschaft behaupten. Johannes Kepler, Galileo Galilei, Isaac Newton und viele
andere Physiker können die Vorstellung einer absoluten Zeit und eines
absoluten Raumes durchaus mit dem Gottesglauben verbinden.250
w Die unterschiedliche theologische Beurteilung von klassischer und moderner Physik ist physikalisch nicht schlüssig:
Richtig ist, daß die klassischen „Absoluta“ Raum, Zeit und strenge Determination physikalischer Abläufe durch die moderne Physik relativiert
248
H. Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims, 109. Timm will in
seiner Arbeit Heims Denken nur darstellen und interpretieren; für eine Würdigung oder
Kritik sieht er im Jahr 1968 die Zeit noch nicht gekommen (vgl. a.a.O., 14).
249
K. Heim, Die Wandlung im naturwissenschaftlichen Weltbild, 21.
250
Vgl. dazu und zum folgenden die Einwände M. Büttners gegen Heims theologisches
System, in: M. Büttner, Das „physikotheologische“ System Karl Heims, 279–284, hier 282.
144
werden. Aber an ihre Stelle rücken neue physikalische „Absoluta“, andere
universelle Naturkonstanten wie die Lichtgeschwindigkeit oder das Plancksche Wirkungsquantum; aber weder die neuen noch die alten Absoluta
treten als physikalische Erkenntnisse in Konkurrenz zum „Absolutum
Gott“.
w Heim unterscheidet nicht zwischen physikalischer Aussage und ihrer
weltanschaulichen Deutung:
Sowohl die Aussagen der neuzeitlichen wie der modernen Physik können
als Aussagen interpretiert werden, die zusätzliche (Glaubens-)Aussagen als
sinnlos erscheinen lassen. Man kann derartige Interpretationen mit guten
Gründen als „Götzenverehrung“, als „Reduktionismus“ oder dergleichen
zurückweisen und zugleich an invarianten physikalischen Größen
festhalten. Erst Heim stellt physikalische Größen und theologische Aussagen auf dieselbe Ebene und konstruiert dadurch eine Konfrontation, die
nicht in der Sache begründet ist.
w Die selektive, von ganz spezifischen theologischen Motiven geleitete
Wahrnehmung physikalischer Erkenntnisse macht die theologische
Argumentation von jeweiligen Stand der Naturwissenschaft abhängig:
Heim beobachtet die naturwissenschaftliche Entwicklung einzig im
Hinblick darauf, ob nicht „noch einmal eine Flutwelle kommt, die, ohne es
zu wollen, das Schiff des Glaubens wieder emporhebt“251. Er erhofft sich
damit von der Physik „theologische Ausbeute“252. So knüpft Heim
beispielsweise in seiner ersten Schaffensperiode an die Bestreitung der
experimentellen Verifizierbarkeit der Atome (Ernst Mach) und an die
Energetik (Wilhelm Ostwald) an und verweist den modernen Atomismus
ins Reich des Mythos.253 Nachdem diese Positionen überholt und widerlegt
sind,254 greift Heim die Relativitätstheorie auf – und mißversteht sie gründlich. Mit dem Aufkommen der Quantentheorie versucht Heim schließlich
an diese anzuknüpfen. Auf dieses Weise liefert Heim seine Argumentation
an die jeweilige aktuelle wissenschaftliche Welle aus, auf deren Höhe er
sich im besten Fall solange zu halten vermag, bis ihr die nächste folgt.255
251
K. Heim, Der gegenwärtige Stand der Debatte zwischen Theologie und Naturwissenschaft,
58.
252
K. Rahner, Zum grundsätzlichen Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft, 40.
253
Vgl. K. Heim, Der gegenwärtige Stand der Debatte zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 58–65. Auch aus der vermeintlichen Widerlegung des Atomismus versucht Heim ein
Argument für den christlichen Glauben zu schlagen: „Die Befreiung vom Atomismus bedeutet [...] eine Befreiung für das Christentum“ (a.a.O., 63).
254
Sowohl E. Mach als schließlich auch W. Ostwald wechseln nach der offensichtlichen
experimentellen Verifikation der Atome (u.a. Crookes 1903, Einstein 1905) zurück ins Lager
der Atomistik, vgl. K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, 485.
255
Auch M. Büttner, Das „physikotheologische“ System Karl Heims und seine Einordnung in
die Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 270, muß sich
in seinem Beitrag darauf beschränken zu zeigen, daß Heims „System solange völlig
ungefährdet [ist], wie nur die augenblicklich herrschende Raumvorstellung, mit der man vor
145
Die hier genannten Einwände gegen Heims Methode der Auseinandersetzung
mit der Physik lassen sich auf Heims „Missionsmodell“ zurückführen. Doch
beim notwendigen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft geht es
nicht um „Mission“ – auch wenn der heutige interreligiöse Dialog von einem
positiveren Verständnis der jeweils anderen Religionen ausgeht, als es in der
ersten Hälfte unseres Jahrhundert üblich war. Der Dialog zwischen Theologen
und Naturwissenschaftlern kann nicht in Analogie etwa zum Dialog zwischen
Christen und Buddhisten gesehen werden, weil sich die Weltreligionen auch
heute bei aller Gesprächsbereitschaft letztlich als Alternativen zueinander
verstehen. Glaube und Naturwissenschaft aber von Anfang an als Alternativen
aufzufassen, wie es Heims Missionsmodell impliziert, nimmt einseitig das
Ergebnis eines „Dialogs“ zwischen Theologie und Naturwissenschaft schon
vorweg. Wo Naturwissenschaftler von der Theologie als zu bekehrende
Ungläubige betrachtet werden, ist weder die Voraussetzung für einen
konstruktiven Dialog gegeben noch die spezifische Eigenart dieses Dialoges
erkannt. Der Dialog von Naturwissenschaft und Theologie muß geführt
werden als ein Dialog zwischen Christen, die möglicherweise Naturwissenschaftler sind, und Naturwissenschaftlern, die Christen sein können. Dabei
kann es hier nie um gegenseitige „Überwindung“, ja nicht einmal um bloßen
gegenseitigen Respekt gehen, sondern tatsächlich um eine positive Verhältnisbestimmung. Gerade dafür bietet aber das Missionsmodell keinen Ansatzpunkt, da hier die Naturwissenschaften nur als negativ beurteilte Vorstufe der
Entscheidung für den Glauben erscheinen.
Wenngleich das an der paulinischen Missionspredigt orientierte Modell
Heims demnach heute für einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft nicht mehr anwendbar ist, kommt Heim doch das Verdienst zu, nicht
wie die Mehrzahl seiner evangelischen und katholischen Kollegen der
Herausforderung durch die moderne Physik ausgewichen zu sein. Heim
erkennt in der Begegnung mit der modernen Physik die Revisionsbedürftigkeit der traditionellen Zuordnungen von Naturwissenschaft und Theologie.
Sein Lösungsversuch verweist überdies auf das Defizit eines befriedigenden
Gesamtkonzepts, das theologische und naturwissenschaftliche Betrachtungsweise der Wirklichkeit weder konfrontiert, noch gegeneinander isoliert,
sondern stimmig einander zuordnet. Ein solches Gesamtkonzept läßt sich aber
nur erreichen, wenn man in einen philosophisch und naturwissenschaftlich
kompetent geführten Diskurs über mögliche Deutungen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse eintritt. Das theologische Interesse an diesem Diskurs
besteht darin aufzuzeigen, daß es vernünftig begründete Interpretationsmöglichkeiten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse gibt, die in die christliche
Sicht von Gott, Welt und Mensch integriert werden können. Der folgende
Abschnitt zeigt, daß es fruchtbare Ansätze derartiger Integration bereits im
Anschluß an die Diskussion um die Bedeutung der Relativitätstheorie gab.
allem in der Relativitätstheorie arbeitet, in Geltung bleibt“.
146
IV. Ansätze zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von
Physik und Metaphysik
1. „Kampf der Weltanschauungen“: Monistenbund und Keplerbund
Anstöße zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Physik und Theologie kommen in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nicht zuerst
von ausgewiesenen Theologen oder Philosophen. Gerade die Diskussionen im
Anschluß an die Relativitätstheorie zeigen, daß viele Theologen den neuen
physikalischen Fragestellungen nur mit Mühe und oft auch nicht in angemessener Weise folgen können. Neue Anstöße kommen in erster Linie –
wenngleich auch nur vereinzelt – von theologisch interessierten und gebildeten Naturwissenschaftlern, die sich nicht nur weiterhin zu ihrem christlichen
Glauben bekennen, sondern auch über die Vereinbarkeit von Glaube und
Naturwissenschaft Rechenschaft abzulegen versuchen.
Eine unmittelbare Herausforderung stellt dabei für diese Naturwissenschaftler
eine Schrift des Zoologen Ernst Haeckel dar: „Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie“. In erster Auflage im Jahr
1899 erschienen findet sie große Resonanz nicht nur in Fachkreisen, sondern
vor allem auch in der Öffentlichkeit. Bis zum Jahr 1922 wird Haeckels Buch
dreizehnmal aufgelegt, in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt und insgesamt
in mehreren hunderttausend Exemplaren gedruckt.
Erklärte Absicht Haeckels ist eine „naturgemäß[e] Weltanschauung“256, die
über den „Weg der empirischen Naturforschung und der darauf gegründeten
monistischen Philosophie“257 erreicht werden kann. Für Haeckel ist mit den
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des 19. Jahrhunderts in Physik,
Chemie und Biologie „die Unhaltbarkeit aller jener mystischen Weltanschauungen offenbar geworden, welche die Vernunft unter das Joch der sogenannten ‚Offenbarung‘ beugen wollten“258. Haeckel konstatiert somit einen
„offenkundigen und unversöhnlichen Gegensatz zwischen der modernen
wissenschaftlichen und der überlebten christlichen Weltanschauung“259 und
stellt die religiösen Glaubensvorstellungen der modernen Kulturvölker mit
dem „erblichen Aberglauben ihrer Primaten-Ahnen“260 in eine Linie. Anstelle
256
E. Haeckel, Die Welträthsel, 4.
A.a.O., VIII.
258
A.a.O., 357.
259
Ebd.
260
A.a.O., 349. – Neben Polemik ist Haeckels Werk auch von antisemitischen und rassistischen Tönen durchsetzt. Die Behauptung, der römische Hauptmann Pandera sei der wahre
Vater von Jesus gewesen, erscheint Haeckel „um so glaubhafter, wenn man von streng
anthropologischen Gesichtspunkten aus die Person Christi kritisch prüft. Gewöhnlich wird
derselbe als reiner Jude betrachtet. Allein gerade die Charakter-Züge, die seine hohe und edle
Persönlichkeit besonders auszeichnen, und welche seiner ‚Religion der Liebe‘ den Stempel
aufdrücken, sind entschieden nicht semitisch; vielmehr erscheinen sie als Grundzüge der
257
147
eines auf nur vermeintlicher Offenbarung gegründeten Glaubens fordert
Haeckel eine monistische Weltanschauung, welche – im Gegensatz zum
christlichen Dualismus von Natur und Geist – den Menschen in die Natur
eingebettet sieht und Wahrheit allein auf die Erforschung dieser Natur
gründet:
„Die wahre Offenbarung, d. h. die wahre Quelle vernünftiger Erkenntniß, ist nur in der
Natur zu finden. Der reiche Schatz wahren Wissens, der den werthvollsten Theil der
menschlichen Kultur darstellt, ist einzig und allein den Erfahrungen entsprungen, welche
der forschende Verstand durch Natur-Erkenntniß gewonnen hat, und den Vernunft-Schlüssen, welche er durch richtige Associon dieser empirischen Vorstellungen gebildet hat.“ 261
Zur Verbreitung dieser einheitlichen, einzig auf Naturerkenntnis beruhenden
monistischen Weltanschauung – Haeckel spricht auch von „monistische[r]
Religion“262 – dringt Haeckel auf die Schaffung einer Organisation, die im
Jahr 1906 dann als „Deutscher Monistenbund“ gegründet wird. Dieser findet
zahlreiche Mitglieder unter bekannten Wissenschaftlern und Schriftstellern
und entwickelt sich ab 1911 unter dem Vorsitz des Chemikers und Naturphilosophen Wilhelm Ostwald zu einem einflußreichen „Kulturbund für ‚wissenschaftlich begründete Weltanschauung und Lebensgestaltung‘“263 mit eigener
Zeitschrift und reger Vortragstätigkeit in Deutschland und Österreich. Dabei
versucht Ostwald in seinen naturphilosophischen Schriften – darunter
„Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft“ (1909) und regelmäßige
„Monistische Sonntagspredigten“ (1911–1916) – Materie und Geist wie
überhaupt alles Sein und Geschehen als Erscheinungsformen von Energie zu
verstehen.264
Der durch Haeckels „Welträthsel“ und die Gründung des Monistenbundes
verschärfte „Weltanschauungskampf“ führt unter den christlichen Naturwissenschaftlern zu ganz unterschiedlichen Reaktionen. Eine kleine Gruppe
beabsichtigt, der monistischen Weltanschauung die Grundlage zu entziehen,
höheren arischen Rasse und vor Allem ihres edelsten Zweiges, der Hellenen“ (a.a.O., 379). –
D. Sobczynska und E. Czerwinska, Szientismus in der Praxis. Das Wirken Wilhelm Ostwalds
im Deutschen Monistenbund, 191, verweisen darauf, daß viele Historiker „einen unmittelbaren, kontinuierlichen Zusammenhang [sehen], der vom Sozialdarwinismus Haeckels und des
Deutschen Monistenbundes bis zum Nationalsozialismus reicht“ (vgl. a.a.O., 191).
261
A.a.O., 354 (131922: „Assoziation“ anstelle von „Associon“).
262
A.a.O., 381.
263
A. Ströle, Art. Monistenbund, 175. – Im Jahr 1913 zählte der Monistenbund in 45
Ortsgruppen 7000 Mitglieder, darunter der Physiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius
sowie die Schriftsteller Wilhelm Bölsche, Carl Hauptmann und Bruno Wille.
264
Vgl. W. Ostwald, Monistische Sonntagspredigten. Dritte Reihe, 57–79. Ostwald will auf
monistischer Grundlage auch eine moderne Ethik aufbauen, die auf dem „energetischen
Imperativ: Vergeude keine Energie!“ (Monistische Sonntagspredigten, Erste Reihe, 97)
gründen soll. Darüber hinaus versucht Ostwald „eine Grundlegung der Soziologie vom
Gesichtspunkt der Energetik aus“ durch „Anwendung“ der in Physik und Chemie bewährten
Energiegesetze „auf soziale Erscheinungen“ (Energetische Grundlagen der Kulturwissenschaft, 3). – Eine Zusammenstellung weiterer Publikationen Ostwalds findet sich in: D.
Sobczynska und E. Czerwinska, Szientismus in der Praxis, Das Wirken Wilhelm Ostwalds im
Deutschen Monistenbund, 193f.
148
indem sie diese naturwissenschaftlich zu widerlegen versucht. So bestreitet
etwa der Physiker Edmund Hoppe in einer Entgegnung auf die „Welträthsel“
grundsätzlich die Richtigkeit der Darwinschen Entwicklungstheorie und
charakterisiert Haeckels Monismus insgesamt „als ein Phantasiegebilde, das
mit naturwissenschaftlichen Ausdrücken und Redewendungen operiert, aber
weder auf naturwissenschaftlicher Grundlage ruht, noch auch der naturwissenschaftlichen Methode gerecht wird, und welches endlich in seinen Konsequenzen zu einer Weltanschauung führt, die unsere Kultur, unser Geistesleben
verneint“265. Da aber auch nach Hoppe Deszendenztheorie und religiöse
Vorstellungen miteinander unvereinbar sind,266 ergibt sich für ihn im Gegenzug die Notwendigkeit, „eine Darstellung der biblischen Schöpfungsgeschichte in ihrer Bedeutung für die Gegenwart“267 zu geben. Hoppe kann
dabei zwar noch zugestehen, daß der Zweck dieses „Schöpfungsberichts“
keine Belehrung über die Modalitäten der Schöpfung sei und daß darum in
ihm „alles wegbleibt, was nur der naturwissenschaftlichen Belehrung dient“268
– aber zugleich hält Hoppe daran fest, daß uns nichts zwinge, „den Offenbarungscharakter von Gen. 1 auch nur in etwas zu bezweifeln“269. Wenn
beispielsweise der Schöpfungsbericht tatsächlich die Vorstellung zugrunde
liegen würde, daß die Erde eine Scheibe mit einem Gewölbe darüber sei und
dergleichen mehr, dann wäre er nicht mehr „völlige Wahrheit“, hätte mithin
für Hoppe keinen Offenbarungscharakter mehr. Alle Aussagen, die die biblische Schöpfungsgeschichte in dieser Weise naturwissenschaftlich falsch
erscheinen lassen, führt Hoppe teils auf falsche Übersetzung und Erklärung,
teils auf den Entstehungs- und Überlieferungsprozeß biblischer Schriften
zurück.270 Für Hoppe dürfen somit naturwissenschaftliche Erkenntnisse biblischen Aussagen niemals widersprechen, sie können diese aber sehr wohl
bestätigen.
Anders argumentiert der Botaniker Eberhard Dennert gegenüber der Haeckelschen Herausforderung. Es dürfe nie und nimmer das Bestreben christlicher
Apologetik sein, schreibt Dennert im Jahr 1903, „mit Hilfe der Naturwissenschaften und ihrer Ergebnisse Lehren oder Berichte der Bibel als wahr zu
erweisen“271. Derartige Versuche zeugen ihm von einer „gänzlichen Verkennung des Charakters und der Bedeutung der Bibel“272. Dennerts Argumentation gegen Haeckel liegt die strenge Unterscheidung zwischen Weltbild und
Weltanschauung zugrunde. Das Weltbild einer Zeit gibt die Vorstellung
wieder, die man sich „auf Grund der gerade vorliegenden Tatsachen vom Bau
265
E. Hoppe, Der naturalistische Monismus Ernst Haeckels, 87.
A.a.O., 4.
267
E. Hoppe, Glauben und Wissen. Antworten auf Weltanschauungsfragen, 189.
268
A.a.O., 193.
269
A.a.O., 188.
270
Vgl. ebd.
271
E. Dennert, Bibel und Naturwissenschaft, 318.
272
Ebd.
266
149
der Welt macht“273. Darum ist auch das moderne Weltbild „ein außerordentlich fließender und schwankender Begriff, der sich von heute auf morgen
gewaltig ändern kann, und der auch gerade in der Gegenwart nichts weniger
als feststehend ist“274. Die Weltanschauung geht demgegenüber weit über das
„Tatsachenmaterial und die um und durch dasselbe gewobenen Hypothesen
hinaus“275, hat „metaphysischen Charakter“276, ist „religiös-philosophisch“277.
Für Dennert kann nun „dasselbe ‚moderne Weltbild‘ die Grundlage für grundverschiedene Weltanschauungen bilden [...], weil es sich ja bei den letzteren
um die Verarbeitung der Tatsachen des Weltgeschehens mit metaphysischen
Begriffen handelt“278. Es gibt demgemäß nicht nur eine „Weltanschau[u]ng
des modernen Naturforschers“, sondern „viele Weltanschauungen, die sich
auf der Grundlage der modernen Naturwissenschaft errichten lassen“279, – und
dazu zählt eben auch die christliche Weltanschauung, zu der sich Dennert
bekennt. Dennert zufolge können sich aufgrund moderner Naturwissenschaft
das biblische Weltbild und verschiedene Einzelheiten biblischer Texte als
„menschliche Zutat“280 erweisen, die Grund- und Heilswahrheiten der Bibel
werden dadurch aber nicht betroffen. Dennert resümiert: „Die Naturwissenschaften können die Heilswahrheiten der Bibel überhaupt nicht antasten, weil
sie außerhalb ihres Forschungsbereiches liegen.“281 Darum kann Dennert, der
sich selbst als einen Naturforscher bezeichnet, „der sein Leben in den Dienst
der Verteidigung der christlichen Weltanschauung gestellt hat“282, gesicherte
naturwissenschaftliche Erkenntnisse, selbst wenn sie dem Wortlaut der Bibel
widersprechen, ohne Vorbehalt bejahen.
An der strikten Unterscheidung zwischen Weltbild und Weltanschauung hält
Dennert gerade auch im Hinblick auf die Relativitätstheorie fest. Obgleich
Dennert lange Zeit der Relativitätstheorie gegenüber sehr skeptisch bleibt,
steht ihm außer Zweifel, daß über ihre Richtigkeit Physiker und Mathematiker
zu entscheiden haben. Bezüglich der „tieferen Fragen der Weltanschauung“
erscheint es ihm dagegen „nebensächlich, was die exakte Forschung – mit
273
E. Dennert, Die Weltanschauung des modernen Naturforschers, 332.
A.a.O., 338.
275
A.a.O., 332.
276
A.a.O., 333.
277
A.a.O., 334. Die Problematik der Unterscheidung zeigt sich, wenn Dennert andernorts
feststellt, nichts „muß dem auch nur einigermaßen modern naturwissenschaftlich geschulten
Menschen klarer sein, als daß es einen Zufall im Naturgeschehen nicht gibt und nichts muß
so einem einigermaßen philosophisch geschulten Denker klarer sein, als daß die ganze Welt
gesetzmäßig und zielstrebig gebaut ist und daß auch dies den Zufall ausschließt und einen das
Ziel setzenden Gesetzgeber und Leiter fordert“ (E. Dennert, „Es werde!“ Ein Bild der Schöpfung, 73f). Spätestens mit dem „Indeterminismus der Quantentheorie“ sind diese Feststellungen Dennerts nicht mehr vereinbar.
278
A.a.O., 343.
279
Ebd.
280
E. Dennert, „Es werde!“ Ein Bild der Schöpfung, 74.
281
Ders., Bibel und Naturwissenschaft, 316, vgl. 308.
282
A.a.O., 4.
274
150
gutem Recht – über Materie, Raum und Zeit darlegt“283. Selbst wenn die
Relativitätstheorie restlos zutreffen sollte – was freilich Dennert nicht annehmen kann – besteht Dennert darauf, daß die christliche Weltanschauung
grundsätzlich durch keine physikalische Theorie erschüttert werden kann und
darum insbesondere auch nicht durch die Relativitätstheorie. 284
Als Reaktion auf die Gründung des Monistenbundes ruft Dennert im Jahr
1907 den „Keplerbund“ ins Leben. In den ersten Jahren geht es diesem
überkonfessionellen Verein neben der „Verbreitung der Naturwissenschaften
in allgemein verständlicher Weise“285 vor allem um die Rechtfertigung der
Verträglichkeit von Naturwissenschaft und Religion. Dabei verwahrt sich der
Keplerbund ausdrücklich gegen die „Auffassung, daß die Naturwissenschaften irgend welche Rückschlüsse auf Weltanschauung oder Religion ausüben
könnten“286. Insbesondere kritisiert wird dabei die „Behauptung der rein
materialistisch gesinnten Naturwissenschaftler, die christliche Religion tue
den Naturwissenschaften Abbruch“287. Defensive Apologetik auf Seiten des
Keplerbundes und beidseitige Polemik bestimmen den „Kampf um die
Weltanschauung“288 zwischen Kepler- und Monistenbund, der bis nach dem
Ersten Weltkrieg andauert.
Im Verlauf der zwanziger Jahre – nachdem „in den Kreisen der Gebildeten
[...] eine allgemeine Hinwendung zu religiösen Strömungen“289 festgestellt
wird – entwickelt sich der Keplerbund zunehmend zu einer Organisation die
es sich nunmehr „zum ausdrücklichen Ziele setzt, die Beziehungen zwischen
Naturerkenntnis und Weltanschauung zu pflegen“290. Der Physiker Bernhard
Bavink, seit 1920 wissenschaftlicher Leiter des Keplerbundes, formuliert
dessen Programm im Ton nun zwar gedämpfter, in der Sache aber deutlich
offensiver. Es geht nun nicht mehr allein um die mögliche Verträglichkeit von
Naturwissenschaft und christlichem Glauben, sondern darüber hinaus um die
notwendige Verwiesenheit der Naturwissenschaft auf „letzte Fragen“, das
heißt auf Metaphysik: „Wir bringen den Naturwissenschaftlern und allen, die
ihres Geistes sind, die Notwendigkeit zum Bewußtsein, [...] zu den letzten
Fragen vorzudringen und einzusehen, daß auch Philosophie und Religion
283
Ders., Einige Bemerkungen zur Relativitätstheorie und ihren Folgerungen, 48.
Vgl. a.a.O., 50, 45. Seine ablehnende Haltung gegenüber der Relativitätstheorie begründet
Dennert u. a. mit dem Hinweis auf Lenard: „Solange sich noch ein Mann von der Bedeutung
Lenards auf die Seite der Gegner stellt, muß die Sache uns anderen noch als nicht spruchreif
gelten“ (a.a.O., 46).
285
C. Schöning, Zweck und Ziel des Kepler-Bundes in der Gegenwart, 18.
286
A.a.O., 23.
287
A.a.O., 21.
288
Der Titel von Dennerts 1908 erschienener Programmschrift für den Keplerbund lautet:
„Die Naturwissenschaft und der Kampf um die Weltanschauung“.
289
B. Bavink, Zweck und Ziel des Keplerbundes in der Gegenwart, 257.
290
Ebd. Der Keplerbund will sich dabei ausdrücklich nicht nur „von antikirchlicher und
antireligiöser Agitation“ frei halten, sondern zugleich auch „von sog. ‚apologetischer‘
Tendenzmacherei“ (ebd.).
284
151
Urbedürfnisse des Menschengeistes eben so gut wie das wissenschaftliche
Erkennen sind.“291
Die vom Keplerbund ab dem Jahr 1909 herausgegebene Monatsschrift
„Unsere Welt“, die sich als „Zeitschrift für Naturwissenschaft und Weltanschauung“ versteht, widmet bis zu ihrem Verbot im Jahr 1941 zahlreiche
Artikel dem Verhältnis von Religion und Naturwissenschaften im allgemeinen und der Rolle, die dabei der Relativitätstheorie zukommt, im besonderen.
In einem Rückblick bezeichnet der Naturphilosoph Alois Wenzl die Beiträge
dieser Zeitschrift als „zeitgeschichtlich ungemein wichtiges Zeugnis für die
naturphilosophische Entwicklung“292 dieser Periode. Insbesondere die
Beiträge von Bernhard Bavink, mit dem nach dem Urteil von Albrecht Ströle
„wahrhaft wissenschaftlicher Geist“293 im Keplerbund Einzug hält, tragen
wesentlich dazu bei, daß aus „Unsere Welt“ eine Plattform für eine niveauvolle Diskussion über das Verhältnis von Naturwissenschaft und christlichem
Glauben wird.294
2. Bernhard Bavink I (1920–1928): Forderungen für das Verhältnis von
Naturwissenschaft und christlicher Weltanschauung
Bernhard Bavink (1879–1947) wächst in der Mennonitengemeinde der ostfriesischen Stadt Leer auf, tritt als Jugendlicher dem lutherischen Bekenntnis
bei und bleibt zeitlebens dem protestantischen Glauben verbunden.295
Während seines Mathematik-, Chemie- und Physikstudiums macht er in
Göttingen die Bekanntschaft des theoretischen Physikers Woldemar Voigt
(1850–1919) und promoviert bei diesem im Jahr 1904. Dies ist in unserem
Zusammenhang insofern von Interesse, als Voigt schon im Jahr 1887 die
Frage theoretisch untersucht, welcher Zusammenhang zwischen den Koordinaten eines ruhenden und eines bewegten Koordinatensystems existieren
muß, wenn vorausgesetzt wird, daß die Lichtgeschwindigkeit in beiden Syste291
A.a.O., 258.
A. Wenzl, Gedenkrede, 6.
293
A. Ströle, Art. Keplerbund, Sp. 729.
294
W. Achtner, Physik, Mystik und Christentum. Eine Darstellung und Diskussion der
natürlichen Theologie bei T. F. Torrance, 7, schreibt über die Literatur zum „Thema Physik –
Theologie“: „Der Beginn einer sachlichen Auseinandersetzung läßt sich vielleicht [...] auf das
Jahr 1934 festlegen“ und belegt damit einmal mehr, wie sehr die frühe seriöse Auseinandersetzung über das Verhältnis von Theologie und moderner Physik in Vergessenheit
geraten ist. Achtner erwähnt a.a.O., 9, auch B. Bavinks Schrift „ Die Naturwissenschaft auf
dem Wege zur Religion“ (datiert sie allerdings auf 1948 statt auf 1933), die gerade die
Abkehr Bavinks von einer sachlichen Auseinandersetzung markiert (vgl. 4. Kap. IV. 4.
vorliegender Arbeit).
295
A. Wenzl, Gedenkrede, 8: „Bernhard Bavink [...] hatte seinen religiösen Standort im
Protestantismus, aber er fühlte sich solidarisch und einig auch mit katholischen Freunden in
der Aufgabe, die Verträglichkeit des christlichen Glaubens mit der naturwissenschaftlichen
Entwicklung bewußt zu machen, ja die aus der eigengesetzlichen Entwicklung entsprungenen
Hinweise und Antworten, die freilich erst die Religion geben kann, aufzuzeigen.“
292
152
men den gleichen Wert haben soll. Die von Voigt gefundenen Transformationsgleichungen unterscheiden sich nur noch durch einen Faktor von der
richtigen Lorentz-Transformation der Einsteinschen Relativitätstheorie.
Daraus ergibt sich dem Wissenschaftshistoriker Karl Simonyi zufolge
erstmals in der Geschichte der Physik ein Hinweis darauf, daß der Begriff der
absoluten Zeit sowohl experimentell als auch theoretisch in Frage gestellt
werden kann.296 Die Vermutung liegt nahe, daß Bavink sich schon während
seines Studiums bei Voigt mit der von Einstein schließlich gelösten Problematik befaßt, die sich aus den Experimenten von Michelson und Morley zur
Lichtgeschwindigkeit ergibt. Später setzt sich Bavink jedenfalls eingehend
und kompetent mit der Relativitätstheorie und ihren physikalischen und philosophischen Folgerungen auseinander.
Bavink befaßt sich in seinen Veröffentlichungen zunächst vor allem mit der
allgemeinverständlichen Darstellung neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Darüber hinaus greift er aber auch zunehmend naturphilosophische Fragestellungen auf und thematisiert dabei insbesondere die
Beziehungen zwischen Naturwissenschaft und Religion. Von Physikern
erfährt Bavink verschiedentlich Zustimmung. Namentlich Max Planck, mit
dem er im Briefwechsel steht,297 Max von Laue298 und Arnold Sommerfeld
würdigen Bavinks naturphilosophische Arbeiten. Sommerfeld sieht in ihm
einen notwendigen Ergänzer und Fortsetzer seines eigenen Denkens. 299
Auf theologischer Seite hingegen werden Bavinks Anregungen für eine neue
Verhältnisbestimmung von moderner Physik und Metaphysik nur vereinzelt
wieder aufgegriffen.300 Neben überholten naturphilosophischen Vorstellungen
– darunter der Gedanke eines Stufenbaues der Wirklichkeit im Anschluß an
Max Scheler und den Neovitalisten Hans Driesch301 – finden sich bei Bavink
bis ungefähr 1928 eine Reihe von Überlegungen und Forderungen zum
Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie, die bis heute unvermindert aktuell sind und an die möglicherweise angeknüpft werden könnte.
Bavinks diesbezügliche Gedanken sind in mehreren Veröffentlichungen
verstreut und werden im folgenden systematisch zusammengestellt. Im
Anschluß daran wird sich die vorliegende Untersuchung mit der (vorübergehenden) Abkehr Bavinks von seinen ursprünglichen Forderungen und den sich
daraus ergebenden Konsequenzen befassen.
296
Vgl. K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, 403.
Vgl. B. Bavink, Briefe von und an Bernhard Bavink, 12–17.
298
M. v. Laue bezeichnete Bavink darüber hinaus „als den besten aller Popularisatoren der
Naturwissenschaft, welche Deutschland in den letzten Jahrzehnten besaß“ (zit. in: Philosophisches Jahrbuch 61 [1951], 274).
299
Vgl. A. Wenzl, Gedenkrede, 10.
300
Vgl. z. B. G. Hennemann, Philosophie – Religion – moderne Naturwissenschaft, Witten
1955.
301
Vgl. B. Bavink, Das Weltbild der heutigen Naturwissenschaften und seine Beziehungen zu
Philosophie und Religion, 9–12.
297
153
a) Kenntnis der wesentlichen naturwissenschaftlichen Ergebnisse
Grundvoraussetzung für einen fruchtbaren Dialog und erst recht für eine
tragfähige Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft und Theologie ist
nach Bavink die Kenntnis der wesentlichen naturwissenschaftlichen Ergebnisse. Diesbezügliche Kenntnis ist Voraussetzung, um zunächst einmal die
naturwissenschaftliche Bedeutung der jeweiligen Erkenntnis in groben Zügen
nachvollziehen zu können. Bereits auf dieser Stufe zeigt sich häufig, daß
schon im Rahmen der Naturwissenschaft eine Theorie unterschiedlich interpretiert werden kann. Dies gilt bereits für die Relativitätstheorie, es wird sich
aber erweisen, daß dies in noch ungleich stärkerem Ausmaß für die Quantentheorie zutrifft, die den Physikern einen weiten Spielraum für unterschiedliche Deutungen läßt, die gleichwohl alle in Einklang mit dem experimentellen
Befund stehen können.
Bavinks umfangreichstes und bekanntestes Werk ist der allgemeinverständlichen Vermittlung bedeutender naturwissenschaftlicher Erkenntnisse gewidmet. Die „Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften“ – die erste
Auflage erschien bereits im Jahr 1914, die neunte, erweiterte und aktualisierte
Auflage kurz nach Bavinks Tod im Jahr 1948 – versuchen vor allem die
wichtigsten Entwicklungen der modernen Physik und Biologie auch naturwissenschaftlichen Laien verständlich zu machen. In seiner ursprünglichen
Zielsetzung und Darstellung könnte dieses Werk in seinen physikalischen
Teilen beispielgebend für heutige populärwissenschaftliche Schriften sein, die
allgemeinverständlich und zugleich wissenschaftlich seriös sein wollen. 302
Bavink bedauert wiederholt, daß gerade unter Theologen eine gewisse
Überheblichkeit gegenüber naturwissenschaftlicher Forschung festzustellen
sei. Unkenntnis über wesentliche physikalische Sachverhalte führe dann zu
Mißverständnissen und unangemessenen Deutungen. Darum betont Bavink
gegenüber „den kirchlich und christlich Gesinnten die Notwendigkeit des
Anschlusses an die heutige Welterkenntnis und Weltbeherrschung in Naturwissenschaft und Technik“ und hält es „für ein Unglück, daß kirchliche [...]
Kreise oft so wenig Verständnis für die gewaltigen Ergebnisse der Naturwissenschaften haben, die sowohl theoretisch wie praktisch unser ganzes Leben
auf eine neue Grundlage gestellt haben“303. Die vorangegangenen Abschnitte
dieses Kapitels veranschaulichen die Folgen dieses von Bavink erlebten und
beklagten mangelnden Verständnisses. Trotz der angeblichen Bemühung,
ihrer Auseinandersetzung mit der Einsteinschen Theorie eine „vorurteilsfreie
302
Für die biologischen Teile der späteren Auflagen von Bavinks Werk gilt dieses positive
Urteil nicht; vgl. 4. Kap. IV. 5. vorliegender Arbeit.
303
B. Bavink, Ziel und Zweck des Keplerbundes in der Gegenwart, 258. „Am allergefährlichsten aber wäre es“, schreibt Bavink, Das neue physikalische Weltbild und seine
weltanschaulich-religiöse Bedeutung, 64, einige Jahre später, „wenn das Wissen um die neue
Physik die Theologen und Geisteswissenschaftler etwa veranlassen sollte, sich nunmehr der
Mühe einer Vertiefung in naturwissenschaftliche Einsicht überhaupt überhoben zu glauben.“
154
Darstellung des heutigen Standes der Relativitätstheorie“304 zugrunde zu
legen, zeigt sich, daß auf theologischer Seite grundlegende Vorstellungen der
Relativitätstheorie falsch oder überhaupt nicht verstanden werden. Auf diese
Weise ist die Möglichkeit eines fruchtbaren Austausches zwischen Physik
und Theologie schon im Ansatz verbaut.
b) Unbedingte Freiheit naturwissenschaftlicher Forschung und Anerkennung
gesicherter Erkenntnis
Obgleich der Keplerbund auf die Verträglichkeit von Naturwissenschaft und
christlicher Weltanschauung pocht, werden von ihm mit Nachdruck „jegliche
Übergriffe der Religion wie der Kirchen in das Gebiet der Naturwissenschaften [zurückgewiesen]“305. „Religion kann niemals die Wissenschaft verbessern, denn diese bildet ein Gebiet für sich“306, schreibt im Jahr 1920 der
Generalsekretär des Keplerbundes, Carl Schöning, in einem programmatischen Artikel. Die unbedingte Freiheit naturwissenschaftlicher Forschung und
die vorbehaltlose Anerkennung ihrer gesicherten Ergebnisse wird auch von
Bavink eingefordert. Der Versuch dogmatischer Korrektur wissenschaftlicher
Erkenntnis disqualifiziert nur die jeweilige Weltanschauung selbst: „Jede
Weltanschauung wird durch ihre Anhänger in den Augen naturwissenschaftlich denkender Menschen herabgesetzt oder unmöglich gemacht, wenn diese
zum Zwecke ihrer Verteidigung die wissenschaftliche Bewegungsfreiheit
auch nur von ferne einzuschränken scheinen.“307
Die grundsätzliche Bejahung naturwissenschaftlicher Forschung und Erkenntnis entspringt bei Bavink keiner vordergründigen Wissenschaftsgläubigkeit
und keineswegs der Hoffnung unbegrenzter Erkenntnisfähigkeit der Naturwissenschaften. Die zuversichtliche Freigabe der Naturwissenschaft als
Voraussetzung für ein tragfähiges Verhältnis von Naturwissenschaft und
Weltanschauung ist bei dem Physiker Bavink theologisch begründet:
„Mag die Wissenschaft zusehen, was sie herausbringt. Je mehr, desto besser, denn desto
klarer werden mir die Fußspuren des lebendigen Gottes in der Welt werden. Wir gewinnen
so auch die Stellung zur Naturerkenntnis, die unser allein würdig ist: helle ungetrübte
Freude am Erkennen, keinen Schatten mehr von dem halb ängstlichen, halb triumphierenden Gedanken: Gott sei Dank, noch wissen sie’s nicht.“ 308
Wo die gesamte Natur wie schon bei Eberhard Dennert „als Quelle der natürlichen Offenbarung Gottes“309 begriffen wird, hat die christliche Weltanschauung von den Erkenntnissen der Naturwissenschaft nichts zu befürchten. Diese
können dann als schrittweise Aufdeckung der „Spuren Gottes in seiner Schöpfung“ verstanden werden, wie verblüffend und unerwartet dieses Erkenntnisse
304
T. Wulf, Der heutige Stand der Relativitätstheorie, 116.
C. Schöning, Zweck und Ziel des Kepler-Bundes in der Gegenwart, 24.
306
Ebd.
307
B. Bavink, Naturwissenschaft und Weltanschauung, 44.
308
A.a.O., 48.
309
E. Dennert, Bibel und Naturwissenschaft, 5.
305
155
auch immer sein mögen. Bavink kann „in allem, was nun einmal geworden
ist, den Willen dessen [erkennen], der es so werden ließ, der den ganzen
Vorgang der Weltentwicklung in jedem Stadium nach seinem all unser
Verstehen überragenden Willen lenkt“310.
Diese Sicht entspricht dem Selbstverständnis Johannes Keplers, der seine
naturwissenschaftliche Forschung geradezu als Offenbarungswerk, als Gottesdienst und Verherrlichung der göttlichen Schöpfung verstanden wissen will.311
Die im „Keplerbund“ vereinigten Naturwissenschaftler wollen zeigen, daß die
gläubige Haltung, die Kepler gegenüber der neuzeitlichen Astronomie
einnimmt, genauso noch im Hinblick auf die moderne Naturwissenschaft
möglich ist.
c) Ablehnung jeder „Anknüpfungs-“ und „Lückentheologie“
Wenn die Natur insgesamt als Werk Gottes begriffen wird, sind christliche
Apologeten nicht mehr darauf angewiesen, einzelne naturwissenschaftliche
Tatsachen als besonders deutliche Hinweise – oder gar Beweise – für das
göttliche Schöpfungswerk suchen zu müssen. In allem, so Bavink, kann man
Gott in gleichem Maße finden, dazu bedarf es nicht noch „besonderer,
möglichst krasser Anknüpfungspunkte“312.
„Gottesbeweise“ im Anschluß an die „fünf Wege zu Gott“ von Thomas von
Aquin spielten innerhalb der katholischen Theologie im 19. und auch noch zu
Beginn des 20. Jahrhundert eine große Rolle.313 Im Jahr 1887 stellt der Theologe und Mathematiker Caspar Theodor Isenkrahe in der Tübinger „Theologischen Quartalschrift“ fest, daß es sich dabei von selbst verstehe „daß nur
wirklich solide Beweise uns dienen können, Beweise, die keinem vernünftigen Zweifel Raum lassen und die daher auch erst den Namen von Beweisen
verdienen“.314 Im Hinblick auf den kosmologischen Gottesbeweis schreibt
Isenkrahe, daß ihm zwar vieles, was Thomas von Aquin dazu vorbringe,
unhaltbar erscheine, aber das Übrige reiche noch immer „zu einem völlig
sicheren und unanfechtbaren Gottesbeweise“315. Es gibt zu dieser Zeit noch
zahlreiche Naturwissenschaftler und Theologen, die beispielsweise im
Kausalgesetz „das Sprungbrett zu Gott“316 erblicken, andere versuchen sich
an einem „mechanischen“ oder auch – im Anschluß an den zweiten Hauptsatz
der Wärmelehre – an einem „entropologischen“ Gottesbeweis.317 In einem
310
B. Bavink, Entwicklungslehre und Religion, 28.
Vgl. 1. Kap. I. vorliegender Arbeit.
312
B. Bavink, Naturwissenschaft und Weltanschauung, 48.
313
Vgl. dazu auch B. Weissmahr, Gottes Wirken in der Welt, 23f, der noch gegenwärtig die
Notwendigkeit und die Möglichkeit von Gottesbeweisen verteidigt.
314
C. T. Isenkrahe, Der kosmologische Gottesbeweis 377.; vgl. ders., Über die Grundlegung
eines bündigen kosmologischen Gottesbeweises, Kempten 1915.
315
Ders., Der kosmologische Gottesbeweis, 378.
316
Vgl. J. Geyser, Der kosmologische Gottesbeweis und seine begriffliche Grundlage, 52.
317
Vgl. z. B. J. Reinke, Naturwissenschaft, Weltanschauung, Religion. Bausteine für eine
natürliche Grundlegung des Gottesglaubens, Freiburg 1924.
311
156
Dekret der päpstlichen Studienkonkregation aus dem Jahr 1914 wird noch
einmal ausdrücklich die folgende These der thomistischen Philosophie bestätigt:
„Daß Gott ist, [...] beweisen wir [...] a posteriori, das heißt, ‚durch das, was gemacht ist‘
(Röm. 1,20), wobei der Beweis von den Wirkungen zur Ursache geführt wird: nämlich
von den Dingen, die bewegt werden und nicht das angemessene Prinzip ihrer Bewegung
sein können, zum ersten unbeweglichen Beweger; vom Hervorgehen der weltlichen Dinge
aus einander untergeordneten Ursachen zur ersten unverursachten Ursache, [...] schließlich
von der Ordnung des Alls zur abgesonderten Vernunft, die die Dinge ordnete, einrichtete
und zum Ziel lenkt.“318
Alle Versuche, Gott mit naturwissenschaftlichen Argumenten „a posteriori“
beweisen zu wollen, sind für Bavink „Versuche mit untauglichen Mitteln“319.
Insbesondere wendet er sich gegen die „Methode der Ausbeutung einzelner
bestimmter Ergebnisse oder Probleme zu apologetischen Zwecken“320 und
weist die Gewohnheit zurück, „den Gottesglauben als Lösung ganz bestimmter ‚Welträtsel‘, also als theoretisches Mittel zu betrachten, das da noch
brauchbar ist, wo unser Wissen zu Ende ist.“321 Weder läßt sich so Gott naturwissenschaftlich beweisen, noch entspricht das, was da bewiesen werden soll,
einem angemessenen Gottesverständnis: „Gott ist nicht eine theoretische
Lösung für dies oder jenes Welträtsel, nein, er ist die Antwort, die der ganze
Mensch haben kann auf das Welträtsel.“322
Bavinks Motto „Los vom Einzelproblem!“323 gilt dabei positiv wie negativ:
Weder darf die Theologie einzelne besonders seltsame oder unerwartete
naturwissenschaftliche Erkenntnisse herausgreifen, um darauf einen unmittelbaren Beweis Gottes aufzubauen (seien es beispielsweise die besonders
„zweckmäßigen“ Eigenschaften des Wassers oder die Entstehung des
Lebens), noch darf sich die Theologie auf Lücken oder Unvollständigkeiten
der naturwissenschaftlichen Erklärung berufen, indem sie etwa „auf den
(einstweilen) hypothetischen Charakter irgendwelcher Naturerkenntnis
hinweist“324.
Es sei hier hinzugefügt, daß einige Jahre später der inhaftierte Dietrich
Bonhoeffer bei der Beschäftigung mit der Entwicklung der modernen Physik
zu demselben Ergebnis kommt. Bonhoeffer schreibt nach der Lektüre von
Carl Friedrich von Weizsäckers Werk „Weltbild der Physik“ am 29. Mai 1944
an seinen Freund Eberhard Bethge:
318
H. Denzinger/P. Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen
Lehrentscheidungen, Nr. 3622 (=DH 3622). Vgl. die ganz ähnliche, im „Antimodernisteneid“
(1910) verlangte Bekenntnisformel (DH 3538).
319
B. Bavink, Physikalische Gottesbeweise, 204.
320
Ebd.
321
Ebd.
322
A.a.O., 206.
323
Ders., Naturwissenschaft und Weltanschauung, 48.
324
A.a.O., 44.
157
„Es ist mir wieder ganz deutlich geworden, daß man Gott nicht als Lückenbüßer unserer
unvollkommenen Erkenntnis figurieren lassen darf; wenn nämlich dann – was sachlich
zwangsläufig ist – sich die Grenzen der Erkenntnis immer weiter hinausschieben, wird mit
ihnen auch Gott immer weiter weggeschoben und befindet sich demgemäß auf einem
fortgesetzten Rückzug. In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht aber in
dem, was wir nicht erkennen [...].“325
d) Leitende Vorstellung einer harmonischen Einheit von Naturwissenschaft
und Religion
Schon im Jahr 1920 stellt Bavink fest, daß einer der wesentlichsten, wenn
nicht der wesentlichste Faktor der gegenwärtigen „inneren Zerklüftung [...]
der Mangel einer einheitlichen Weltanschauung [sei]“326. Die Ursache für die
„ungeheuerliche Vielfältigkeit und Zersplitterung“ auf dem Gebiet der Weltanschauungen macht Bavink in dem Umstand aus, daß es im 19. Jahrhundert
nicht gelungen sei, die rasante Entwicklung der Wissenschaften in Einklang
und Ausgleich mit den überkommenen Gedankensystemen zu bringen.327
Bis in die Wortwahl hinein trifft sich diese Charakterisierung der damaligen
Situation mit der anthropologisch zugespitzten Beschreibung, die Max
Scheler in seiner bekannten Schrift „Die Stellung des Menschen im Kosmos“
gibt. „So besitzen wir denn eine naturwissenschaftliche, eine philosophische
und auch eine theologische Anthropologie, die sich nicht umeinander
kümmern“, stellt Scheler im Jahr 1928 fest, „eine einheitliche Idee vom
Menschen aber besitzen wir nicht“328. Wie Scheler in seinem anthropologischen Entwurf den Gegensatz von Natur und Geist überwinden will, so
erhofft sich auch Bavink eine „durchgreifende Besserung“ erst von einer
„wirkliche[n] Synthese“329. Der Begriff einer „Synthese“ von Geistes- und
Naturwissenschaften, von naturwissenschaftlichem Weltbild und religiöser
Weltanschauung hat bei Bavink die Funktion eines programmatischen
Begriffs. Die „wahrhaft[e] Synthese“ oder „harmonisch[e] Einheit“ wird von
ihm andernorts als bislang unerreichtes „sehr hohes Ziel“ bezeichnet, das erst
„in stiller, langsamer Arbeit heranreifen muß“330.
Bavink bezeichnet seine erkenntnistheoretische Position gelegentlich als die
eines „kritischen Realismus“ im Anschluß an Eduard von Hartmann, Oswald
Külpe und Erich Becher. Diese „Kritischen Realisten“ halten gegen Kant an
der Möglichkeit der Erkenntnis des „Dinges an sich“ fest und fordern
325
D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 162. Im Unterschied zu manch anderem
Theologen dieser Zeit versucht Bonhoeffer sein „naturwissenschaftliches Defizit“ nicht
theologisch zu rechtfertigen, sondern gesteht es offen ein: „Daß die naturwissenschaftliche
Seite bei mir ganz ausfällt“, schreibt er an E. Bethge, a.a.O., 111, „empfinde ich als peinliche,
aber nicht mehr aufzuholende Lücke“.
326
B. Bavink, Naturwissenschaft und Weltanschauung, 41.
327
Vgl. ebd.
328
M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, 9.
329
B. Bavink, Naturwissenschaft und Weltanschauung, 42.
330
Ders., Von Kepler zu Leibzig? 103.
158
ausdrücklich den Aufbau einer „induktiven Metaphysik“.331 Bavink deutet
zwar verschiedentlich an, daß der Weg zu der von ihm gesuchten Synthese
über die Aufgabenstellung einer „induktiven Metaphysik“ führen könnte332,
äußert sich aber ansonsten ungleich skeptischer zu diesbezüglichen Versuchen als insbesondere Erich Becher, der die Metaphysik als „Gesamtrealwissenschaft“ versteht:
„Die Metaphysik als Gesamtrealwissenschaft übergreift und krönt die beiden Gruppen der
Einzelrealwissenschaften, die Geistes- und die Naturwissenschaften, indem sie deren
Gegenstände im Gesamtwirklichen zusammenfaßt, deren Methode übernimmt und auf
deren Ergebnisse sich stützt.“333
Bavinks spätere Äußerungen zum Verhältnis von Naturwissenschaft und
Religion und die Abkehr von seinen hier zusammengestellten Forderungen
(vgl. den folgenden Abschnitt: Bavink II) läßt sich mit dieser Sympathie für
den „Kritischen Realismus“ und Külpes „induktiver Metaphysik“ erklären. So
vehement Bavink aber eine „Naturwissenschaft nach metaphysischer Methode“ ablehnt, so zweifelhaft müßte ihm letztlich auch eine „Metaphysik nach
naturwissenschaftlicher Methode“ à la Becher sein. Eine im Anschluß an die
Naturwissenschaften entwickelte Metaphysik, die sich auf deren Ergebnisse
zu stützen versucht, müßte von Bavink als „Anknüpfungsmetaphysik“
verworfen werden.
Bis zum Jahr 1928 bedauert Bavink zwar das Fehlen einer tragfähigen Synthese, sieht sich ansonsten aber vor allem dazu herausgefordert, voreilige und
unhaltbare Syntheseversuche zurückzuweisen. Die harmonische Einheit von
Naturwissenschaft und Religion erweist sich somit bei Bavink zu dieser Zeit
zwar als wichtige leitende Vorstellung – gegenüber allenthalben behaupteten
Realisierungen dieser harmonischen Einheit zeigt sich Bavink damals aber
aus guten Gründen sehr abweisend.
e) Keine Naturwissenschaft nach metaphysischer Methode
Anlaß, eine vermeintliche Synthese von Naturwissenschaft und christlicher
Weltanschauung zu kritisieren, erhält Bavink durch die Veröffentlichung des
Paläontologen Edgar Dacqué „Urwelt, Sage und Menschheit“ und die freundliche Aufnahme, die diese Schrift bei einigen christlichen Apologeten findet.
Dacqué kommt dabei angeblich „in Konsequenz rein naturwissenschaftlichen
Zuendedenkens“ zu dem „Beweis, daß eine andere Vorstellung vom Kommen
und Werden des Menschen gar nicht vorhanden und wahrscheinlich
331
Vgl. ders., Vom Relativen zum Absoluten, 160, 187ff; ders., Die Naturwissenschaft auf
dem Wege zur Religion (1933), 77. – Dies erklärt, warum die Arbeiten der „Kritischen
Realisten“ von neuscholastischen Theologen mit Wohlwollen registriert wurden, vgl. z. B. Z.
Bucher, Wandel im Weltbild der Naturphilosophie, 16, sowie K. Leidlmair, Induktive
Metaphysik: Ostwald Külpe, Erich Becher und Aloys Wenzl, 147–158.
332
B. Bavink, Die Rolle der Naturwissenschaften und der Technik in der Kultur der Gegenwart, 104.
333
E. Becher, Der Zusammenhang von Metaphysik und Naturwissenschaften, 7.
159
überhaupt nicht möglich ist als die, welche uns als älteste und festgeschlossenste Lehre in allen Mythen und Religionen entgegentritt“334. Entsprechend
sei der Mensch ein eigenes Wesen, ein eigener Stamm „uranfänglich
gewesen, was er sein und werden sollte“335. Wohlmeinenden Kritikern
erscheint Dacqués „Typenlehre“ nicht nur als Bestätigung der biblischen
Schöpfungserzählungen, sondern als Hinweis darauf, „wie auch die moderne
Naturwissenschaft in das Zeichen der Metaphysik tritt“ 336.
Bavink bemängelt an Dacqués Theorie, daß dieser für seine Behauptungen
keinerlei Beweise vorlege. Das ganze sei ein „genial konzipierter Entwurf,
dessen Grundlagen aber von vornherein in der Luft schweben“337. Bavink
erkennt darin einen Rückfall der Naturwissenschaft in „ungeklärte und vage
metaphysische Spekulationen, Naturwissenschaft nach metaphysischer
Methode“338. Was Bavink über die „Gefährlichkeit“ derartiger Veröffentlichungen schreibt, erweist sich bis heute als gültig:
„Das Gefährliche an solchen Büchern ist nun, daß sie die Laien blenden, weil sie eine
große Menge an sich richtiger und längst der Wissenschaft bekannter, dem Laien aber
neuer Daten in fast unlöslicher Vermengung mit den gewagtesten neuen Thesen bringen
[...]. Die Durchschlagskraft, die jenen Bestandteilen mit Recht zukommt, überträgt sich für
den unkritischen Leser dann unvermerkt auf diese höchst angreifbaren Dinge mit, und so
entsteht ein ganz falsches Bild von dem, was sicheres oder wahrscheinliches Ergebnis und
dem, was kühnste, womöglich längst als undurchführbar erwiesene Hypothese ist.“ 339
Die von Dacqué vorgelegte „Synthese“ ist jedenfalls nicht die Lösung für die
von Bavink gesuchte „einheitliche Weltanschauung“; Dacqué leistet gewiß
keinen Beitrag zu dem von Bavink geforderten „Wiederaufbau einer wirklichen christlichen Seinslehre“340. Hinweise, in welcher Richtung diese zu
finden sein könnte, gibt Bavink bei der Untersuchung, welche Konsequenzen
sich aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen für die christliche Weltanschauung ergeben müssen.
f) Rückwirkungen naturwissenschaftlicher Erkenntnis auf die christliche
Weltanschauung
Zunächst greift Bavink Dennerts Unterscheidung von veränderlichem naturwissenschaftlichen Weltbild und davon unbeeinflußbarer christlicher Weltanschauung auf. Die Weltanschauung betrachtet, was die Naturwissenschaft
ermittelt, unter einem ganz neuen Gesichtspunkt: „Ihr Grundproblem ist nicht
die Frage: Was ist und wie ist die Welt und wie ist sie geworden, sondern die
334
E. Dacqué, Urwelt, Sage und Menschheit. Eine naturhistorisch-metaphysische Studie, 95.
Ebd.
336
Scherwatzky, Die moderne Naturwissenschaft auf dem Wege zur Metaphysik, 112; vgl.
auch M. Müller, Naturwissenschaft und Weltanschauung, 60–64.
337
B. Bavink, Anmerkungen, 112.
338
Ebd.
339
Ebd.
340
B. Bavink, Wesentliches und Unwesentliches im Christentum, 78f.
335
160
Frage nach dem Sinn und Ziel der Welt: Was bedeutet die Welt, was soll sie
und was soll ich mit ihr anfangen?“341 Doch mit der schlichten Behauptung
einer „Neutralität der Naturwissenschaft in Weltanschauungsfragen“ ist es
Bavink nicht getan. Im Gegensatz zu Dennert hält Bavink eine strikte
Trennung zwischen naturwissenschaftlichem Weltbild und Weltanschauung
für problematisch, da die Geschichte offensichtlich zeigt, daß
naturwissenschaftliche Revolutionen nicht nur das Weltbild umstürzen,
sondern auch eine Veränderung der jeweiligen Weltanschauung zur Folge
haben. Mag eine Weltanschauung „im Kern“ eine naturwissenschaftliche
Umwälzung überdauern, so verändert sich doch ihre jeweilige konkrete
Ausgestaltung. Insofern vermag eine neue naturwissenschaftliche Erkenntnis,
die mit bestimmten Zügen der christlichen Weltanschauung unvereinbar
scheint, bei dieser eine Besinnung auf das Wesentliche auszulösen.
In dieser Weise bewirkt zum Beispiel die neuzeitliche Astronomie zunächst,
daß die seinerzeit noch durchaus gängige „naiv räumliche Anschauung vom
Himmel droben über den goldenen Sternen“342 endgültig aufgegeben werden
muß. Gehört demnach diese Anschauung gewiß nicht zum Wesentlichen des
Christentums, so ergibt sich für Bavink aus der Aufgabe des geozentrischen
Weltbildes noch eine weitaus grundsätzlichere Anfrage an die christliche
Weltanschauung – die in der Theologie erst Jahrzehnte später aufgegriffen
wird – wenn Bavink fragt, ob der christliche Anthropozentrismus, der im
geozentrischen Weltbild eine anschauliche Stütze gefunden hatte, tatsächlich
auch zum „Kern“ des Christentums zähle oder als verzichtbare menschliche
Zutat anzusehen sei.343
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können auch für Bavink den christlichen
Glauben niemals widerlegen, aber sie können unter Umständen eine Modifikation der konkreten Ausgestaltung dieses Glaubens notwendig machen. Dies
mag ein schmerzlicher Vorgang sein, da es auch den Verzicht auf gewohnte
Vorstellungen beinhalten kann, letztendlich kann es aber eine Konzentration
des Glaubens auf seinen wesentlichen Kern bedeuten – sofern die christliche
Theologie die Herausforderung der wissenschaftlicher Forschung annimmt.
Das Christentum, das sich so Zug um Zug auf sein eigentliches Wesen
besinnt, wäre für Bavink die gesuchte und von ihm geforderte „neue Form des
Christentums, die die volle Breite moderner Welterkenntnis und moderner
Weltbeherrschung vereinigt mit der ganzen Tiefe des alten Glaubens“344,
mithin wäre dies ein weiterer Schritt hin auf die gesuchte Synthese.
341
Ders., Naturwissenschaft und Weltanschauung, 45.
Ders., Philosophische Folgerungen der Einsteinschen Relativitätstheorie, 134.
343
Vgl. ders., Astronomie und Religion, 5.
344
Ders., Vom Relativen zum Absoluten, 190.
342
161
3. Vorläufiges Fazit
Zumindest im Hinblick auf die Relativitätstheorie scheinen sich Bavinks hier
systematisch zusammengestellte Forderungen zu bewähren. Bavinks vorzügliche Kenntnis und Darstellung der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie wird selbst von dem ansonsten mit Kritik wahrlich nicht zimperlichen
Hans Reichenbach belobigt.345 Bavink kann – im Unterschied zu den Reaktionen auf neuscholastischer Seite – die Entwicklung der Relativitätstheorie
vorbehaltlos als „eine der großartigsten Leistungen des Menschengeistes“346
anerkennen, und er widersteht – im Unterschied zu Karl Heim – der Versuchung, anknüpfend an die „Relativität“ der Einsteinschen Theorie die
Notwendigkeit des „Absoluten“ erweisen zu wollen. Durch seine Kompetenz
im Bereich der Physik und seinen Verzicht auf metaphysische Spekulationen
im Anschluß an naturwissenschaftliche Erkenntnisse erwirbt sich Bavink in
dieser Zeit den Ruf eines seriösen Gesprächspartners im Dialog zwischen
Naturwissenschaft und Theologie.
Wenn Bavink dennoch reichlich euphorisch schreibt, daß sich von der Höhe
der Relativitätstheorie aus „ein großartiger Fernblick ins gelobte Land der
Metaphysik“347 ergebe und in diesem Zusammenhang auch von „metaphysischen Folgerungen“348 aus der Relativitätstheorie die Rede ist, so verbleibt er
auch mit seinen diesbezüglichen Ausführungen noch im Rahmen der oben
genannten Forderungen. Wenn die Relativitätstheorie nachweise, daß weder
Raum noch Zeit ohne Materie existieren könnten, so ergibt sich nach Bavink
für die christliche Weltanschauung „einmal, daß der Begriff ‚Schöpfung‘
seines zeitlichen Sinnes als ‚Anfang‘ entkleidet werden muß, zum anderen,
daß auch die ‚Ewigkeit‘ nicht mehr als die ins Unendliche fortgesetzte Zeit
aufgefaßt werden darf“349.
Entscheidend soll in diesem Zusammenhang nicht sein, daß man zu dieser
Einsicht nicht der Relativitätstheorie bedurft hätte.350 Entscheidend ist, daß
Bavink die Relativitätstheorie weder als ein Argument für noch gegen die
christliche Weltanschauung benutzt, sondern als Anstoß, um sich über den
„Kern“ des christlichen Glaubens Rechenschaft abzulegen. Naturwissenschaft
kann keinen physikotheologischen Gottesbeweis erbringen, daran läßt Bavink
in dieser Zeit keinen Zweifel. Aber – und dies ist das eigentliche Anliegen
Bavinks – dem Naturwissenschaftler soll mit dem christlichen Glauben nichts
zugemutet werden, was er mit seinem naturwissenschaftlichen Weltbild nicht
345
Vgl. K. Hentschel, Interpretationen und Fehlinterpretationen der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie, 246.
346
B. Bavink, Philosophische Folgerungen der Einsteinschen Relativitätstheorie, 131 (dort
Anm. 1).
347
A.a.O., 132.
348
A.a.O., 135.
349
A.a.O., 137.
350
Schon Augustinus verweist im 11. Buch seiner Confessiones auf die qualitative Verschiedenheit von „Zeit“ und „Ewigkeit“; vgl. A. Augustinus, Bekenntnisse, 309–312; vgl. auch M.
Seckler, Was heißt eigentlich ‚Schöpfung‘? 183–204 (vgl. S. 20 vorliegender Arbeit).
162
vereinbaren kann und woran er, wenn er Naturwissenschaftler bleiben will,
somit gar nicht glauben kann.
Das Beispiel der theologischen Rezeption der Relativitätstheorie durch
Bavink zeigt, was mit seinem „Modell“ erreicht werden kann: Zunächst
Freiheit für die naturwissenschaftliche Forschung, dann „im Wesentlichen“
völlige Unangreifbarkeit der christlichen Weltanschauung, zugleich damit die
Vereinbarkeit von Naturwissenschaft und Glaube und schließlich die Zielvorstellung einer harmonischen Einheit von christlichem Glaube und Naturwissenschaft in einer neu zu formulierenden „christlichen Seinslehre“.
Zwei Schwächen dieses Modells, das durch die Vereinbarkeit von Glaube und
Naturwissenschaft bei vorläufigem Verzicht auf eine Synthese gekennzeichnet ist, sind augenscheinlich: Zunächst fragt sich, ab wann eine naturwissenschaftliche Erkenntnis als so gesichert zu gelten hat, daß eventuelle Rückwirkungen auf die konkrete Ausgestaltung des Glaubens bedacht werden müssen.
Des weiteren bleibt aber auch fraglich, ob und wie sich unabhängig von der
jeweiligen naturwissenschaftlichen Entwicklung entscheiden lassen soll, was
zum „Wesentlichen“ des Christentums zählt und was nicht – oder bleibt die
naturwissenschaftliche Verträglichkeit das letzte Kriterium für die wesentlichen Wahrheiten des Glaubens? Es wird sich zeigen, daß sich Bavink unter
Zugrundelegung ihm sicher erscheinender rassebiologischer „Erkenntnisse“
zu antisemitischen und rassistischen „Folgerungen“ über „Wesentliches und
Unwesentliches im Christentum“ versteigen wird. Doch noch ehe es dazu
kommt, wendet sich Bavink in einem anderen Punkt von seinem eigenen
Modell ab und verändert unter dem Eindruck der sich entwickelnden
Quantentheorie seine Argumentation.
4. Bernhard Bavink II (1928–1933): Naturwissenschaft auf dem Wege zur
Religion?
Noch zu Beginn des Jahres 1925 erntet ein Beitrag mit dem Titel „Die
moderne Naturwissenschaft auf dem Wege zur Metaphysik“, in dem der
Verfasser sich bemüht zu zeigen „wie auch die moderne Naturwissenschaft in
das Zeichen der Metaphysik tritt“351 Bavinks harsche Kritik. Wenige Jahre
später (1933) veröffentlicht Bavink selbst ein mehrfach wiederaufgelegtes
Buch mit dem fast gleichlautenden Titel „Die Naturwissenschaft auf dem
Wege zur Religion“ – was ist in der Zwischenzeit geschehen? „Ich habe
einfach“, so erläutert Bavink im Jahr 1936 seine nunmehr veränderte Auffassung, „eine große neue wissenschaftliche Entdeckung zur Kenntnis genommen, und daraus die mir ganz unvermeidlich erscheinenden philosophischen
Konsequenzen gezogen [...].“352
351
352
Scherwatzky, Die moderne Naturwissenschaft auf dem Wege zur Metaphysik, 112.
B. Bavink, Moderne Physik und Weltanschauung, 65.
163
Diese neue Entdeckung ist die Quantentheorie, insbesondere die von Heisenberg im Jahr 1927 veröffentlichte Unbestimmtheitsrelation. Bavink betont,
daß er es bis dahin „konsequenter wie [sic] jeder Theologe [...] abgelehnt
habe, in irgendeiner Form aus naturwissenschaftlichen Ergebnissen Kapital
für die christliche Weltanschauung schlagen zu wollen“353. Angesichts der
Quantentheorie befürchtet er nun aber „aus übergroßer Vorsicht und Zurückhaltung vielleicht die richtige Stunde [zu] verpassen“354.
Ohne hier schon auf die Quantentheorie, die Gegenstand der folgenden
Kapitel sein wird, näher einzugehen, sollen die theologischen Folgerungen,
die Bavink aus der Quantentheorie meint ziehen zu können, hier kurz genannt
werden. Zwar hält Bavink nach wie vor einen Gottesbeweis im alten physikotheologischen Sinne nicht für möglich, aber er spricht nun von der Tatsache,
daß jedes einzelne Wirkungsquantum als eine völlig freie „Setzung Gottes“ zu
gelten habe. Im Hinblick auf den quantenmechanischen Indeterminismus
schreibt Bavink:
„Es existiert im buchstäblichsten Sinne nicht ein einziges Wirkungsquant in der Welt, ohne
daß es ganz direkt und unmittelbar aus Gott hervorginge. Kein Naturgesetz, auch kein
statistisches, erzwingt sein Dasein [...]. In Wahrheit war ja doch für den Gläubigen auch
bisher gerade der Zufall Gottes unmittelbarer Wille (Matth. 10, 29), das wird jetzt erst
recht ganz evident, denn dieser Zufall der letzten Elementarakte des Daseins ist ja nichts
anderes als eben die vollkommen freie Setzung seitens Gottes.“355
Wir werden sehen, daß Bavink hier nicht nur physikalische Erkenntnisse
theologisch deutet, sondern daß darüber hinaus dieser Deutung bereits eine
bestimmte und keinesfalls zwingende physikalische Interpretation der
Quantentheorie zugrunde liegt.356
Wie nahe sich Bavink mit der Quantentheorie tatsächlich einem neuen physikalischen „Gottesbeweis“ wähnt, geht aus seiner Bemerkung hervor, er halte
es angesichts des gegenwärtigen Standes des Wissens für gerechtfertigt zu
sagen, es sei „zwar nicht gewiß, aber [...] doch sehr gut möglich und sogar
schon einigermaßen wahrscheinlich, daß wirklich in absehbarer Zeit die
gesamten bisherigen Kämpfe um ‚Glauben und Wissen‘ nur noch der
Geschichte angehören werden“357.
Als Physiker muß sich Bavink im klaren darüber sein, daß seine Folgerungen
nicht den Rang eines naturwissenschaftlichen Schlusses haben können. Aber
er scheint andererseits auch zu erwarten, daß die neue Physik ohne ihr Zutun
dem Christentum günstige „gesamtweltanschauliche Wirkungen“ auslösen
werde und daß es nur fraglich bleibe „bis wie weit diese de jure an sie
angeknüpft werden“358. Entgegen seiner früheren Forderung, in der Natur als
353
Ders., Die Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion (1933), 75.
A.a.O., 76.
355
A.a.O., 63 (Hervorhebungen von Bavink).
356
Gott fungiert bei Bavink gewissermaßen als „verborgener Parameter“; vgl. dazu 6. Kap.
IV. und V. vorliegender Arbeit.
357
B. Bavink, Die Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion (1933), 77.
358
Ders., Moderne Physik und Weltanschauung, 35.
354
164
Ganzer die Spuren Gottes zu sehen, knüpft nun Bavink an ein – zugegebenermaßen grundlegendes – physikalisches Einzelproblem an. Ganz unverhohlen
gesteht er, daß er sich die günstige Situation auszunutzen gedenke: „Soviel
aber ist sicher, daß [Arthur] Titius recht hat, wenn er mir neulich schrieb: ‚es
ist Saatzeit für uns.‘“359
Damit nähert sich Bavink der oben vorgestellten Methode, die Karl Heim bei
der Auseinandersetzung mit den modernen Naturwissenschaften anwendete.
Bavinks ursprüngliche Konzeption gibt sich somit nur als ein „Verlegenheitsmodell“ zu erkennen. Nicht aus grundsätzlichen Überlegungen verzichtete er
ursprünglich auf eventuelle „Anknüpfungspunkte“ in der Physik, sondern
weil er jetzt zugesteht, daß „mechanistische Biologie, materialistische Philosophie, strengster Determinismus und Atheismus oder höchstens ein unfruchtbarer Deismus [...] die unmittelbaren Folgen dieses mechanistischen
Weltbildes zu sein [schienen]“360. Das weitgehende „Trennungsmodell“
Bavinks und sein Verzicht, aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
Kapital für die Religion zu schlagen, entpuppt sich nun als eine Verlegenheitslösung für Zeiten, in denen die Naturwissenschaften keine günstigen
Anknüpfungspunkte zu bieten haben und die christliche Weltanschauung im
Gegenteil sogar in die Defensive drängen.
Bavinks theologische Deutung der Quantentheorie trägt ihm die Kritik von
Physikern ganz unterschiedlicher Provenienz ein. Der dem „Wiener Kreis“
nahe stehende Physiker Philipp Frank weist Bavinks „metaphysische
Interpretation“ der Quantentheorie genauso zurück361 wie der Quantenphysiker Pascual Jordan, der Bavink vorhält, er wolle „durch die bohrende Vertiefung in die Geheimnisse der Natur auf geradem Wege zu einer positiven
Gotteserkenntnis gelangen“362. Bavink sieht sich denn auch in einem späteren
Nachwort zur Feststellung veranlaßt, er sei bei seinen Ausführungen von der
Voraussetzung ausgegangen, „daß man i. a. schon auf dem Boden eines
christlichen Gottesbegriffs [stehe]“363, er habe beabsichtigt, „für solche
Gläubige, besonders für Theologen, die Dinge klarzulegen“364.
359
Ders., Die Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion (1933), 78.
Ders., Der Grundlagenwandel in den Naturwissenschaften, 656.
361
Vgl. P. Frank, Philosophy of Science, 235–238, mit Bezug auf die amerikanische Ausgabe
von „Die Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion“ (B. Bavink, Science and God, New
York 1933).
362
P. Jordan, Die Physik des 20. Jahrhunderts, 132.
363
B. Bavink, Die Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion (61947), 147.
364
Ebd. Im Vorwort zur ersten Auflage (1933) gab Bavink freilich noch seiner Hoffnung
Ausdruck, daß auch „mancher Naturwissenschaftler das Büchlein lesen wird“ (IV).
360
165
5. Bernhard Bavink III (1933–1945): Synthese von Realismus, Religion und
Deutschtum?
Bereits in Bavinks früheren Schriften wie auch in der Zielsetzung des Keplerbundes fallen nationalistische und rassistische Tendenzen auf.365 Eine Anfrage
nach Zweck und Ziel des Keplerbundes beantwortet Bavink im Jahr 1928 mit
dem Hinweis auf die von ihm angestrebte „Synthese“ und führt dazu dann
weiter aus:
„Die Leiter des Bundes sind zudem ihres Deutschtums bewußte Männer, denen es klar ist,
daß eine Weltanschauung, wie wir sie heute brauchen, nicht nur auf dem Boden realer
Welterkenntnis stehen, dabei den echten religiös-sittlichen Werten voll gerecht werden,
sondern auch der deutschen Volksart gemäß sein muß. Wir sehen das Heil nur in einer
Synthese dieser drei Elemente Realismus, Religion (Christentum) und Deutschtum, die
sich in keiner Weise widersprechen, sondern nur ergänzen.“ 366
Schon im Jahr 1932 ist Bavink die Tatsache, daß „unter Hitlers Fahnen
Katholiken, Protestanten und ‚Neuheiden‘ einträchtig nebeneinander für das
deutsche Vaterland und Volkstum marschieren, ja bluten und sterben [...] eine
so einzigartige, in der deutschen Geschichte fast unerhörte Leistung, daß auch
der nicht zur N.S.D.A.P. gehörende national gesinnte Deutsche dies unbedingt
bewundern und sich darüber freuen muß [...]“367. Die gesamte Grundanschauung der Nationalisten sei biologisch bedingt,368 weshalb auch die ganze völkische Bewegung „entweder biologisch, d. h. erbwissenschaftlich und
‚ganzheitsdenkend‘ unterbaut sein [werde] oder [...] überhaupt nicht sein
[werde]“369. Diesen weltanschaulichen Unterbau nimmt nun Bavink ausdrücklich „als eine spezifische Aufgabe für den Keplerbund in Anspruch“370, was
sich in zahlreichen in „Unsere Welt“ veröffentlichen Beiträgen zu „Fragen der
Rasse“, der „Rassenhygiene“, zu „Rasse und Kultur“ usw. niederschlägt.
Im August 1933 konstatiert Bavink eine „‚Duplizität der Ereignisse‘, die [...]
fast an ein Wunder grenzt“371: Gemeint ist damit einerseits die angebliche
Bereitschaft im Kreise der Naturwissenschaften „die Fäden von dieser
Wissenschaft aus zu allen höheren Werten des Menschenlebens, zu Gott und
Seele, Willensfreiheit und sittlicher Verantwortung usw. wieder ehrlich anzu365
Vgl. ders., Entwicklungslehre und Religion, 28; ders., Vom Relativen zum Absoluten,
169; ders., Die Naturwissenschaften im Dritten Reich, 245–236. – Im Zusammenhang mit der
Umschreibung von „Wissenschaft“ findet sich beispielsweise bei C. Schöning, Generalsekretär des Keplerbundes, folgende Nebenbemerkung: „Ein Neger hat auch Kenntnis von
manchen praktischen Tatsachen. Er oder seine Nachkommen können aber auf diesen Kenntnissen geistig nicht weiter bauen, weil er sie nicht zu einem System zusammengestellt hat,
und weil er es nicht verstanden hat, daraus eine Wissenschaft zu machen“ (C. Schöning,
Zweck und Ziel des Kepler-Bundes in der Gegenwart, 19).
366
B. Bavink, Zweck und Ziel des Keplerbundes in der Gegenwart, 258.
367
Ders., Zum 25. Geburtstage des Keplerbundes, 331.
368
Vgl. a.a.O., 333.
369
A.a.O., 334.
370
A.a.O., 332.
371
Ders., Die Naturwissenschaften im Dritten Reich, 231.
166
knüpfen“372 und andererseits die „fast als ein Wunder anmutende endliche
Vereinigung der alten und der jungen volkserhaltenden Kräfte im Januar
dieses Jahres“373. Bavink, dem es ein Anliegen ist, dem „neuen deutschen
Staat“ zu zeigen, wie sehr er auf die naturwissenschaftlichen Fächer angewiesen ist, verweist darauf, daß „ein Zweig der Biologie, die Vererbungslehre,
geradezu das Fundament auch der praktischen Politik dieses Staates bildet,
denn diesem Staate ist es um das Leben des Volkes zu tun [...]; dieses Leben
aber ruht in jener Erbmasse, die von einer Generation zur anderen weiter
getragen wird, und diese wird nur dann sachgemäß gepflegt, wenn wir die
Erkenntnisse der heutigen Vererbungswissenschaft uns zunutze machen“374;
Biologie werde darum in Zukunft zum entscheidenden Bildungsgut jedes
Deutschen gehören.
Es kann aus diesem Grund nicht verwundern, daß sich Bavink in der folgenden Zeit verstärkt der Biologie zuwendet und im Jahr 1934 eine Schrift
„Eugenik als Forschung und Forderung der Gegenwart“ veröffentlicht. Darin
ist die Rede von der Bekämpfung gefährlicher Rassemischungen und dem
dringlichen Problem der „riesenhaften und stark anwachsenden farbigen
Bevölkerung“375 in den Vereinigten Staaten, der „Notwendigkeit eugenischen
Handelns, und zwar raschen Handelns“376, da werden Statistiken bemüht über
staatliche Aufwendungen für „Geisteskranke, Idioten, Krüppel usw.“ um vor
dem drohenden „erbbiologischen Ruin“377 zu warnen, da werden Ehestandsbeihilfen, „die ja nur erbgesunden Brautpaaren zugute kommen sollen“ als
„an sich höchst segensreiche Einrichtung“ beurteilt, die aber durch ungenügende Prüfung ihren Zweck verfehle und „zu einer neuen Verstärkung
Minderwertiger führen [könne]“378, da wird der zwangsweisen Sterilisation
das Wort geredet379 und bedauert, daß bisher noch alle wirksamen eugenischen Maßregeln daran gescheitert seien, daß „immer wieder das Mitleid mit
der Vernunft [durchgehe]“380.
372
Ebd.
A.a.O., 230.
374
A.a.O., 233. Nachdem Bavink in diesem Artikel erst feststellt, „daß die Naturwissenschaften selber die größte aller Leistungen eben des germanischen Geistes vorstellen“ (234),
versucht er dann zu erklären, warum unter den führenden Naturwissenschaftlern so viele
Juden zu finden sind und insbesondere die Relativitätstheorie nicht schon von seinem Lehrer
W. Voigt („ein wahres Musterbild eines echten germanischen Recken“) entwickelt wurde:
„Die dazu nötige Abstraktionskraft besaß er zehnmal, wie jeder seiner Schüler weiß. Richtig
bleibt deshalb nur, daß dem jüdischen Geiste derart spitzfindige und abstrakte Unterscheidungen offenbar besondere Freude machen, während sie der Deutsche zwar auch machen kann,
wenn’s not tut, aber im allgemeinen nicht besonders liebt“ (234).
375
B. Bavink, Eugenik als Forschung und Forderung der Gegenwart, 9.
376
A.a.O., 4.
377
A.a.O., 121.
378
A.a.O., 122.
379
Vgl. a.a.O., 128f.
380
A.a.O., 122. – Noch nach dem Zweiten Weltkrieg (Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaften, 91948) behauptet Bavink eine Verschlechterung des Genotypus in Europa in
den letzten 100 bis 150 Jahren, fordert darum einerseits eine „positive Auslese“ (661) und
373
167
Warum sind diese Äußerungen Bavinks in unserem Zusammenhang von
Bedeutung? Bavink vertritt, wie oben gezeigt wurde, die Auffassung, daß
naturwissenschaftliche Erkenntnisse zur Modifikation der (christlichen) Weltanschauung führen können und unter Umständen führen müssen. Bavink
anerkennt nun offensichtlich auch Teile der nationalsozialistischen Rassenbiologie als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis381 und fordert entsprechende weltanschauliche Konsequenzen. In einem längeren Beitrag über
„Rasse und Kultur“ widmet Bavink den zentralen Abschnitt dem Verhältnis
von „Rasse und Religion“. In diesem Zusammenhang weist es Bavink
zunächst zurück, „den Graben zwischen uns und dem Juden zu einem
schlechthin unausfüllbaren zu machen“ und lehnt es ab, daß man „ohne weiteres den Juden mit dem Neger und Mongolen auf eine Stufe stellt“382, dann
stellt er unumwunden fest, daß „jeglicher Judaismus [...] heute im Christentum, zum wenigsten im evangelischen Deutschland, nicht mehr tragbar
[sei]“383. Bavink macht eine – „wohl rassisch mitbegründet[e]“384 – „grundsätzliche Naturfremdheit der jüdischen Religion“ aus und stellt ihr eine „in
zahlreichen indogermanischen Völkern sich findende und daher auch in ihren
Religionen zum Ausdruck kommende, innige Naturverbundenheit“385 gegenüber. Die Naturverbundenheit dieser indogermanischen Völker nennt Bavink
ausdrücklich eine „irgendwie in ihrer Erbmasse verankerte Eigenschaft“ 386.
In seinem im Jahr 1938 erschienenen Buch „Wesentliches und Unwesentliches im Christentum“ beabsichtigt Bavink, sein Programm einer Modifikation
der christlichen Weltanschauung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis konsequent durchzuführen. Wenngleich sich Bavink dabei vor allem auf einzelne
Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung bezieht, so schlägt auch hier
wieder sein vermeintlich biologisch begründeter Antijudaismus durch.387
andererseits die „Abstellung derjenigen Vorgänge, durch die eine fortgesetzte ‚negative
Auslese‘ sich in unserem gegenwärtigen Kulturleben vollzieht. Dazu gehören außer den
heutigen Kriegen – der moderne Krieg bedeutet [...] die schärfste nur denkbare negative
Auslese, da er gerade die Besten am meisten dezimiert – vor allem die Tatsache, daß die
minderwertigsten Schichten der Bevölkerung, insbesondere die sog. Asozialen, weitaus die
höchsten Vermehrungsziffern, die Höherwertigen hingegen viel zu kleine Kinderzahlen
aufweisen“ (662).
381
Im einzelnen geht Bavink durchaus auf Distanz zur nationalsozialistischen Rassenideologie, insbesondere wendet er sich gegen einen „Rassenrelativismus“, der „jeden gemeinsamen
Wertbesitz mit den anderen Rassen oder Nationen [aufkündigt]“ (B. Bavink, Rasse und
Kultur, 190, vgl. 164f). Andererseits kommt für Bavink im Christentum, das „sich wirklich
allzu einseitig [...] an das Judentum gebunden [habe]“, „ein Stück der zeitgeschichtlichen und
rassisch-völkischen Relativität, die jeder Religion anhaftet“ zu Tage (B. Bavink, Religion als
Lebensfunktion, 261).
382
B. Bavink, Rasse und Kultur, 169.
383
A.a.O., 177.
384
A.a.O., 180.
385
A.a.O., 178.
386
Ebd.
387
Dies läßt Bavink, Wesentliches und Unwesentliches im Christentum, 83, unter anderem
die Anerkennung eines „indogermanisch[en] Alt[en] Testament[s]“ fordern. Es macht die
168
V. Rückblick und Ausblick
Bernhard Bavink gilt ohne Zweifel unter Theologen und Naturwissenschaftlern zwischen 1920 und 1947 über Deutschland hinaus als die Instanz für
einen kompetenten Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Er
steht im Austausch genauso mit führenden Naturwissenschaftlern wie mit
katholischen und evangelischen Theologen.
In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg werden eine Reihe seiner
Bücher in überarbeiteter Fassung mehrfach wiederaufgelegt, neue Veröffentlichungen kommen hinzu. Bavink versucht dabei wieder an seine ursprünglich
zurückhaltende und vorsichtige Einstellung anzuknüpfen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf mögliche weltanschauliche Konsequenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse:
„Das Bild der Welt, das uns die moderne Naturwissenschaft zeichnet, läßt uns den Zugang
zu einer [...] Auffassung des Menschen als eines ‚Wanderers zwischen beiden Welten‘
durchaus offen. Daß sie uns direkt von sich aus dazu hinführte, m. a. W. daß es einen
wirklichen ‚physikotheologischen Gottesbeweis‘ gäbe, das ist freilich ein Irrtum, der leicht
zum Gegenteil dessen umschlagen kann, was er wollte.“388
Die Physik kommt auch mit der Quantentheorie nicht auf den Weg zur Religion (Bavink II), und der Versuch, aus einem Gemisch von Ideologie und
Wissenschaft zum „Wesentlichen“ des Christentums zu finden, gerät Bavink
zur intellektuellen Katastrophe (Bavink III). Bavinks Stellungnahmen insbesondere zwischen den Jahren 1933 und 1938 können erklären, warum seine
Gedanken später fast nicht mehr rezipiert werden und damit auch sein
ursprünglicher Ansatz für eine Zuordnung von Naturwissenschaft und Theologie (Bavink I) nicht mehr aufgegriffen und weitergeführt wird.389
Sache nicht besser, daß Bavink zweifellos die Intention hat, das Christentum gegenüber
einem „nationalsozialistischem Neuheidentum“ zu verteidigen. Vgl. auch B. Bavink, Thesen
zur religiösen Lage der Gegenwart, 213.
388
B. Bavink, Das Weltbild der heutigen Naturwissenschaften und seine Beziehungen zu
Philosophie und Religion, 150.
389
Die verschiedenen Würdigungen, die Bavink nach dem Zweiten Weltkrieg erfährt,
verschweigen allerdings seine rassistischen Tendenzen und sein Engagement innerhalb der
nationalistischen Bewegung fast völlig. Zur Biographie von Bavink vgl.: Zenke, Bernhard
Bavink – ein Lebensbild, in: B. Bavink. Seine Heimat, sein Leben und sein Werk (Festschrift
anläßlich der Bavink-Gedächtnisfeier), hg. v. der Stadt Leer/Ostfr., Leer 1952, 5–11. Über
Bavinks Haltung zum Nationalsozialismus schreibt Zenke: „Der nationalsozialistischen
Bewegung hat er sich als Idealist früh angeschlossen, aber sehr bald und mit seltener Offenheit diesen Weg als einen Irrweg bekannt, den er als Christ und als Forscher nicht mitgehen
konnte“ (10).
169
Blicken wir am Ende dieses Kapitels auf die verschiedenen ernstzunehmenden theologischen Reaktionen zurück, die durch die Relativitätstheorien
ausgelöst werden, so ergibt sich ein ernüchterndes Bild: der katholischen
Theologie ist durch die starre kirchliche Festlegung auf eine anachronistische
ontologische Begrifflichkeit ein fruchtbarer Austausch mit der modernen
Physik von Anbeginn an versperrt; die protestantische Theologie entzieht sich
weitgehend der Auseinandersetzung mit der modernen Physik, ausgenommen
Karl Heim, dessen Vorstellung der modernen Physik allerdings auf einer
schlechten Karikatur derselben beruht; und die vorsichtigen, aber vielversprechenden Versuche einiger Naturwissenschaftler, die sich in Anbetracht des
nahezu völligen Ausfalls der Theologie um deren Rechtfertigung bemühen,
finden kaum Beachtung und verstrickten sich im Fall Bavinks später in kaum
noch entwirrbarer Weise mit ideologisch verblendetem Wahn.
Nur kurze Zeit bietet die Relativitätstheorie die Chance für einen Neubeginn
im Dialog zwischen Theologie und Physik. Die ersten Ansätze einer theologischen Rezeption der Relativitätstheorie werden überholt durch immer neue
physikalische Errungenschaften im Zusammenhang mit der sich rasant
entwickelnden Quantentheorie. Mit ihr setzt sich der grundlegende Wandel im
Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik fort.
Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Dialog zwischen Theologie und Physik
wieder aufgenommen wird, werden fast ausschließlich Fragen im Zusammenhang mit der Quantentheorie thematisiert. Die folgende Auseinandersetzung
mit der Quantentheorie, die die bis heute unbestrittene Grundlage der modernen Physik darstellt, ist für ein Verständnis der gegenwärtigen Gesprächssituation im Dialog zwischen Physik und Theologie unabdingbar, da nur so
die unterschiedlichen philosophischen und theologischen Deutungen der
Quantentheorie beurteilt werden können. Die folgenden Kapitel werden aber
zugleich zeigen, daß die im Zusammenhang mit der Relativitätstheorie formulierten Forderungen für das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie
(vgl. Bavink I) auch im Hinblick auf die Quantentheorie einen praktikablen
Ausgangspunkt darstellen können.
170
Fünftes Kapitel:
Die Quantentheorie
Im folgenden Kapitel wird in allgemeinverständlicher Weise in die Grundgedanken der Quantenphysik eingeführt. Nach einleitenden Bemerkungen über
die Bedeutung der Quantentheorie im Rahmen der modernen Physik (I.)
werden kurz einige traditionelle naturphilosophische Problemstellungen
skizziert, die mit der Entwicklung der Quantentheorie zumindest aus naturwissenschaftlicher Perspektive vorläufig gelöst werden (II.). Im Anschluß
daran werden in zwei Schritten die zentralen Aussagen der Quantentheorie
dargestellt: zunächst durch die physikgeschichtliche Darstellung der Entwicklung der Quantentheorie im 20. Jahrhundert (III.) und dann durch die
Beschreibung eines Experiments, dessen Diskussion in der Geschichte der
Quantentheorie eine exemplarische Bedeutung zukommt (IV.). Auf dieser
Grundlage können dann wesentliche Aspekte der Quantentheorie und ihrer
Interpretation verdeutlicht werden (6. Kapitel). Das sich in den Deutungen der
Quantentheorie – wie im Ansatz schon in der Relativitätstheorie – äußernde
gewandelte Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik bestimmt maßgeblich die veränderte Gesprächssituation im gegenwärtigen Dialog zwischen
Physik und Theologie (7. Kapitel).
I. Die Bedeutung der Quantentheorie für die moderne Physik
Relativitätstheorie und Quantentheorie sind die grundlegenden Theorien, die
das Fundament der modernen Physik bilden und auf denen alle anderen physikalischen Disziplinen aufbauen. Im Zusammenhang mit der Diskussion der
Relativitätstheorie wurde allerdings darauf hingewiesen, daß die Rolle, die
der Relativitätstheorie bei der Entwicklung zur modernen Physik zukommt,
im einzelnen unterschiedlich beurteilt wird.1 Einerseits kann man in der
Relativitätstheorie den entscheidenden Schritt zur modernen Physik erkennen,
insofern als sie die klassischen Begriffe von Raum und Zeit einer radikalen
Kritik unterzieht und durch neue, die Physik revolutionierende Begriffe
ersetzt. Es gibt andererseits aber auch gute Gründe, Einsteins Theorie als den
krönenden Abschluß der klassischen Physik zu betrachten, hat sie doch „den
Charakter der physikalischen Gesetze in ihrem Wesen nicht verändert“2,
sondern mit der Forderung nach Invarianz gegenüber den Lorentz-Transfor1
2
Vgl. 3. Kap. II. vorliegender Arbeit.
K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, 425.
171
mationen nur eine Bedingung genannt, der alle physikalischen Gesetze
genügen müssen.
Wie die Relativitätstheorie schafft aber auch die Quantentheorie die Gesetze
der klassischen Physik nicht einfach ab, sondern bestimmt aus einer umfassenderen Perspektive deren Gültigkeitsbereich. Auch heute noch berechnet
man etwa Satellitenumlaufbahnen genauso korrekt nach der Newtonschen
Mechanik wie Radiowellen mit Hilfe der klassischen Gesetze von Michael
Faraday und James Clerk Maxwell. Dennoch ist unter Physikern unbestritten,
daß die Physik durch die Entwicklung der Quantentheorie revolutioniert wird.
Victor Weisskopf, der als Schüler von Niels Bohr die Ausgestaltung der
Quantentheorie unmittelbar miterlebt, spricht für die große Mehrheit seiner
Kollegen, wenn er die Quantentheorie als die wissenschaftliche Entdeckung
des 20. Jahrhunderts bezeichnet und feststellt, daß mit ihr ein Vorstoß in eine
bis dahin unbekannte Welt von Phänomenen möglich geworden ist:
„Durch sie erschloß sich der Einsicht des Menschen die Welt der Atome und Moleküle mit
ihren diskreten Energiezuständen, charakteristischen Spektren und chemischen
Bindungen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, daß sich die Physik zu Beginn dieses
Jahrhunderts radikal verändert hat. Und diese Veränderung geht auf die Quantentheorie
zurück.“3
Für die moderne Physik ist die Quantentheorie die allgemeinste physikalische
Theorie, deren mathematischer Formalismus heute unangefochten als
Rahmenbedingung der Mikrophysik dient. Insofern die Quantenphysik exakt
das Verhalten der Elektronen, die die Atomhülle bilden, wiedergibt,
beschreibt sie darüber hinaus zumindest grundsätzlich auch alle chemischen
und physikalischen Eigenschaften der makrophysikalischen Objekte. Bis zur
Gegenwart ist kein einziges Experiment bekannt geworden, das den Voraussagen der Quantentheorie widersprechen würde. Diese Voraussagen betreffen
die heutige Hochenergiephysik genauso wie beispielsweise Kern- , Atom- und
Festkörperphysik, Quantenoptik oder molekulare Quantenchemie. Viele der
modernen Technologien wie beispielsweise im Zusammenhang mit Mikroelektronik, Laser, Kernenergie oder Supraleitfähigkeit wären ohne die
Quantentheorie nicht vorstellbar.
Angesichts der glänzenden experimentellen Bestätigung, die die Quantentheorie in den zurückliegenden Jahrzehnten erfährt, kann es nicht wundern,
daß die große Mehrheit der Physiker die Quantentheorie mit uneingeschränktem Vertrauen anwendet. Was den Physikern noch zu Beginn des 20.
Jahrhunderts erst undenkbar, dann revolutionär erscheint, ist längst Bestand
des Standardwissens in den Naturwissenschaften geworden. Der theoretische
Physiker Paul Davies schreibt im Jahr 1986 über die Selbstverständlichkeit,
mit der die Quantentheorie in naturwissenschaftlicher Lehre und Forschung
gehandhabt wird:
„[Die Quantentheorie] hat inzwischen die Mehrzahl der Gebiete naturwissenschaftlicher
Forschung durchdrungen, besonders in der Physik ist sie seit zwei Generationen für die
3
V. Weisskopf, Die Jahrhundertentdeckung: Quantentheorie, 18.
172
meisten Studenten naturwissenschaftlicher Fächer selbstverständlicher Unterrichtsstoff
und wird routinemäßig auf mancherlei Weise in der Technik angewandt. Kurz gesagt, die
Quantentheorie ist in ihrer alltäglichen Anwendung eine äußerst nüchterne Angelegenheit,
deren Leistungsfähigkeit vielfach nachgewiesen ist [...].“4
Die von der Quantentheorie getragene moderne Physik besitzt damit derzeit
genau die Kennzeichen, die Thomas S. Kuhn der zweiten Phase der wissenschaftsgeschichtlichen Entfaltung eines Paradigmas zuweist. Das heißt, die
moderne Physik ist nach dem sie revolutionierenden Umbruch in den ersten
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts längst in die „normale Phase“ eingetreten, in
der sie von einem Paradigma geprägt wird, das allgemeine Anerkennung
genießt.5
Wer angesichts des heute selbstverständlichen Umgangs mit der Quantentheorie den tiefgreifenden Wandel, den die Physik durch sie erfahren hat,
erfassen will, muß dazu einen Blick auf die Entwicklung dieser Theorie und
auf ihre naturphilosophischen Wurzeln werfen. Dann wird verständlich,
warum die Quantentheorie für die damaligen Physiker wie ein Schock wirken
mußte. Niels Bohr soll einmal sogar gesagt haben, wer von der Quantentheorie nicht schockiert sei, habe sie nicht verstanden.6
II. Die naturphilosophische Grundfrage: Quantentheorie oder
Theorie des Kontinuums
Ist die Wirklichkeit aus diskreten Einheiten zusammengesetzt, oder bildet sie
ein einziges zusammenhängendes Ganzes ohne Bruch und Sprung? Läßt sich
die den Raum ausfüllende Materie beliebig oft teilen oder gibt es letzte unteilbare Materieelemente? Laufen energetische Veränderungen kontinuierlich
oder in Sprüngen ab? Die alltägliche Wahrnehmung hilft bei diesen Fragen
nicht weiter: einmal erweist sich das Getrennte bei genauerem Zusehen als
kontinuierlicher Übergang, ein andermal entdecken wir Stufen, Teile oder
Sprünge, wo uns der erste Eindruck ein kontinuierliches, bruchloses Bild
vermittelt. Welcher Vorstellung ist der Vorzug zu geben? Ist der Wirklichkeit
eine Theorie des Diskreten, eine „Quantentheorie“, oder eine „Theorie des
Kontinuums“ angemessen? Kann aufgrund physikalischer Theorien überhaupt
4
P. Davies, Gott und die moderne Physik, 136.
Vgl. T. S. Kuhns Ausführungen über das Wesen der normalen Wissenschaft (Die Struktur
wissenschaftlicher Revolutionen, 44–57). Der Paradigmenwechsel in der modernen Physik
wird freilich erst mit reichlicher Verzögerung außerhalb der Naturwissenschaften zur Kenntnis genommen. Der Atomphysiker Hans-Peter Dürr äußerte in einem Brief an den Verf.
sogar, daß selbst innerhalb der Physik zwar „das ganze Instrumentarium moderner Physik
[...] wissenschaftlich akzeptiert wurde, aber eben nicht die dahinterliegenden Vorstellungen,
um die sich heute ganz Wenige nur noch bemühen, soweit sie nicht schon ganz in der
Vergessenheit versunken sind.“
6
Vgl. P. Davies/J. R. Brown (Hg.), Der Geist im Atom, 7.
5
173
entschieden werden, ob eine Quanten- oder Kontinuumstheorie „die Wirklichkeit“ zutreffend wiedergibt? In welcher Beziehung stehen physikalische
Vorstellungen zu dieser Wirklichkeit? Die Frage, ob die Welt „im Grunde“
aus getrennten Einheiten aufgebaut oder als zusammenhängendes Kontinuum
gedacht werden muß, führt viele Physiker zu der erkenntnistheoretischen
Frage, inwieweit physikalische Vorstellungen „Wirklichkeit“ erreichen, was
physikalische Theorien überhaupt von der „Wirklichkeit“ aussagen können, ja
was die Physik unter „ihrer Wirklichkeit“ eigentlich versteht. Die Diskussion
um die Quantentheorie führt so zu einer Reflexion über das Wirklichkeitsverständnis der Physik.
Die oben genannten Fragen, die der Auseinandersetzung um die Quantentheorie zugrunde liegen, und die von der modernen Physik unter naturwissenschaftlichem Aspekt neu aufgegriffen werden, lassen sich bis zu den
Anfängen der abendländischen Philosophie zurückverfolgen. In der Philosophiegeschichte werden dabei schon früh sowohl Theorien des Kontinuums als
auch Theorien des diskreten Aufbaus der Welt aufgestellt und mit guten
Gründen vertreten. Die folgenden Ausführungen begnügen sich mit wenigen
exemplarischen Hinweisen. Erwähnt werden dabei vor allem die Positionen,
auf die einzelne Physiker bei der Diskussion um die moderne Quantenphysik
ausdrücklich Bezug nehmen.7
1. Theorien des diskreten Aufbaus der Wirklichkeit
Aristoteles zufolge ist Thales (624 bis 545) aus dem ionischen Milet der
„Ahnherr“ der griechischen Philosophie und Wissenschaft, da er erstmals die
Frage nach dem Urgrund der Welt, der DUFK, beantwortet habe, ohne auf
übernatürliche Gründe zurückzugreifen:8 Für Thales ist der Ursprung aller
Dinge, das heißt das Eine und alles Umfassende, das bewirkt, daß alles ist und
wird und besteht, das Wasser. Die Frage nach dem Urstoff, aus dem alle
Dinge bestehen, wird für die frühgriechische Philosophie zentral. Allein
schon die unsichere Quellenlage bezüglich der Naturphilosophen im
Anschluß an Thales sollte aber genügen, um hier keine „Vorwegnahmen“
moderner naturwissenschaftlicher Theorien entdecken zu wollen. Gleichwohl
nehmen moderne Physiker gerne Bezug auf die Fragmente dieser „Vorsokratiker“ und stellen sich nicht selten in der einen oder anderen Weise in deren
Tradition. Entsprechend beinhalten auch die meisten Darstellungen der
Geschichte der Physik ein Kapitel über die frühgriechische Naturphilosophie.
Besonders interessant ist in unserem Zusammenhang die antike Atomistik, die
auf Leukipp und seinen Schüler Demokrit (um 470 bis 360) aus Abdera in
Thrakien zurückgeht. Deren Lehre wird zur Unterscheidung von ihrer Weiterentwicklung bei Epikur und Lukrez auch „ältere Atomistik“ genannt. Atom7
8
Vgl. dazu H. Sachsse, Naturerkenntnis und Wirklichkeit, 127–133.
Vgl. Aristoteles, Metaphysik I, 3 (983b).
174
lehre, mechanistische Weltanschauung und eine erkenntniskritische Haltung
kennzeichnen die bekanntesten und wirkmächtigsten Teile von Demokrits
Denken:9
Atomlehre: Alles Seiende ist für Demokrit in unendlich viele und kleinste, mit
den Sinnen nicht mehr wahrnehmbare Körperchen geteilt, die von ihm
„DWRPRL“ genannt werden, da er sie als nicht mehr weiter teilbar betrachtet.
Sextus Empiricus zufolge bilden für Demokrit diese Atome die eigentliche
Wirklichkeit, wohingegen das, was die Sinne vermitteln, nur durch Festsetzung (QRPZ bestimmt ist: „Durch Festsetzung süß, durch Festsetzung bitter,
durch Festsetzung warm, durch Festsetzung kalt, durch Festsetzung Farbe, in
Wirklichkeit aber Atome und Leeres.“10
Diese Atome sind ewig und unveränderlich, bestehen alle aus dem gleichen
Stoff, sind aber von verschiedener Größe. Da für Demokrit im Unterschied zu
Parmenides ein „leerer Raum“ denkbar ist, können sich die Atome trennen
und hin- und herbewegen. Der Neuplatoniker Simplikios überliefert bezüglich Demokrits Quantentheorie der Materie und dessen Vorstellung von
Atomen:
„[...] diese Atome dagegen, im unbegrenzten Leeren eins vom anderen getrennt und
wohlunterschieden durch ihre Gestalten und Größen, Lage und Ordnung, bewegten sich
im Leeren, und wenn sie sich einholten, stießen sie zusammen; dabei würden die einen in
eine beliebige Richtung abprallen und die anderen sich nach Maßgabe ihrer Gestalten,
Größen, Lagen und Ordnungen miteinander verwickeln und zusammenbleiben und so zur
Entstehung der zusammengesetzten Gebilde führen.“11
Alles Zusammengesetzte entsteht demnach durch Kombination ursprünglich
getrennter Atome. Vergehen bedeutet entsprechend die Auflösung der Kombination bis dahin verbundener Atome.
Mechanistische Weltanschauung: Die Atomlehre ist bei Leukipp und
Demokrit mit einem mechanischen und kausalen Weltbild verbunden, das
ganz auf Ursache und Wirkung aufbaut, jeden Zufall aber ausschließt. So
jedenfalls läßt sich der einzige von Leukipp selbst erhaltene Ausspruch
deuten: „Nichts geschieht aufs Geratewohl, sondern alles aufgrund eines
Verhältnisses (sc. in begründeter Weise) und infolge von Notwendigkeit.“12
Jeder Gegenstand und jedes Ereignis ergibt sich zwangsläufig aus einer Folge
von Stoßprozessen und Verbindungen, die jeweils der Gestalt und Lage der
beteiligten Atome entsprechen.
Erkenntniskritische Haltung: Demokrit leugnet mit seiner Atomlehre zwar
nicht die sinnliche Erfahrung schlechthin, aber er betont deren Relativität und
Subjektivität. Eigentlich wahr sind nicht die Eindrücke, die uns die Sinne
9
Vgl. dazu K. Vorländer, Philosophie des Altertums, Bd. 1, 45–49. Zu Demokrits Atombegriff vgl. A. G. M. van Melsen, Atom gestern und heute. Die Geschichte des Atombegriffs
von der Antike bis zur Gegenwart (deutsche Ausgabe mit Quellentexten erweitert von H.
Dolch), Freiburg und München 1957, insbes. 27f.
10
Zit. in: G. S. Kirk u. a., Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und
Kommentare, 448f.
11
A.a.O., 464.
12
A.a.O., 457 (Anm. 17).
175
vermitteln, sondern die Begriffe, die das Denken bildet (die Gedankendinge,
WD QRKWD: „Es gibt zwei Arten der Erkenntnis, die eine echt, die andere
dunkel. Zur dunklen gehört alles dies: Gesichts-, Gehör-, Geruchs-,
Geschmack- und Tastsinn. Die andere dagegen ist echt und von dieser
verschieden.“13 Die „echte“ Erkenntnis wird durch das Denken gewonnen
(GLD WK9 GLDQRLD9). Darüber hinaus scheint Demokrit das menschliche
Erkenntnisvermögen aber durchaus skeptisch beurteilt zu haben, wenn er
feststellt, „daß wir in Wirklichkeit nichts über irgend etwas wissen; vielmehr
ist das, was jedem einzelnen von uns zufließt, die [bloße] Meinung.“15
„Freilich wird klar sein“, so zitiert Sextus Empiricus Demokrits Lehre weiter,
„daß in Wirklichkeit, wie jedes Ding beschaffen ist, – das zu erkennen, eine
unlösbare Aufgabe ist.“16
Wie ist Demokrits Atomlehre unter physikgeschichtlichem Aspekt zu
beurteilen? Eröffnet diese Lehre vielleicht schon „die sogenannte quantitativmechanistische Naturbetrachtung, die den Grund legt für die moderne Naturwissenschaft und Technik und ihre Beherrschung der Welt“17? Nimmt diese
Naturbetrachtung, die das Naturgeschehen auf Gesetzmäßigkeiten zurückführen will, tatsächlich schon „das Ideal der modernen Naturwissenschaft“18
vorweg? Gibt Demokrits Atomlehre „den Stimulus zur Entwicklung der
modernen Atomtheorie“19, ist sie möglicherweise gar „ein Fundament der
modernen Physik geworden“20? Schuf Demokrit „in seinem Atomismus jene
Grundlagen, die in der Neuzeit zu den großartigen Entdeckungen und technischen Fortschritten geführt haben“21 – oder haben „Demokrit mit seinem
Begriff des Unteilbaren und die Atomtheorie der modernen experimentellen
Naturwissenschaft [...] nur das Wort ‚Atom‘ gemeinsam“22? Zu bedenken ist
bei einer Beurteilung der antiken Atomistik jedenfalls der Hinweis Hans-Georg Gadamers, daß diese „keine Forschungshypothese einer mathematischphysikalischen Wissenschaft [ist], die sich an ihrer Leistung der exakten
Erklärung der Erfahrungswirklichkeit ausweisen müßte“, sondern „ein
Grundentwurf der wahren Wirklichkeit, wie er aus der philosophischen Frage
nach dem Sein [...] erwächst“23. Entsprechend ist die antike Atomistik in
erster Linie als eine ontologische Konzeption zu verstehen und zu beurteilen
13
A.a.O., 450.
A.a.O., 449.
15
A.a.O., 448.
16
Ebd.
17
J. Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Bd. 1, 45.
18
Ders., Kleine Philosophiegeschichte, 19.
19
G. S. Kirk u. a., Die vorsokratischen Philosophen, 472.
20
K. Vorländer, Philosophie des Altertums, Bd. 1, 46.
21
J. Fischl, Geschichte der Philosophie, 37.
22
C. Helferich, Geschichte der Philosophie, 9.
23
H.-G. Gadamer, Antike Atomtheorie, in: H.-G. Gadamer (Hg.), Um die Begriffswelt der
Vorsokratiker, Darmstadt 1968, 517f.
14
176
und nicht als eine naturwissenschaftliche Theorie, die sich einzig durch ihre
experimentelle Verifikation rechtfertigen könnte.24
Ob die Atomlehre der antiken Atomistik, die von Epikur und Lukrez weiterentwickelt wird, auch nur mittelbare Auswirkungen auf die Entwicklung
moderner physikalischer Theorien nimmt, sei dahingestellt. Bemerkenswert
ist im Zusammenhang mit der Thematik der vorliegenden Arbeit allerdings,
daß sich von nun ab die atomistischen Theorien – Theorien also, die einen
diskreten Aufbau der Welt zugrunde legen – mit einer deutlich religionskritischen Haltung verbinden. Der Philosophiehistoriker Christoph Helferich sieht
in der Weltsicht der Atomisten seit Demokrit einen Bezugspunkt für „kritische Denker“: „Für Philosophen, denen das unfaßbare Walten eines
geheimnisvollen Gottes problematisch war bzw. die kirchliche Lehre ablehnten, stand die Atomistik als Bild einer in sich selbst begründeten Welt.“25
Aus diesem Grund kann auch die Inanspruchnahme der Atomistik durch das
„Philosophische Wörterbuch“, das nach eigener Auskunft auf marxistisch-leninistischer Grundlage aufbaut, nicht verwundern: „Ihr Festhalten an der
Auffassung von der diskreten Struktur der Materie macht sie [die Atomistik]
zu einer der Hauptstützen des philosophischen Materialismus im Kampf
gegen Idealismus und Religion und – nicht zuletzt – zum Vorläufer der
Atomphysik.“26 Die religionskritische Wirkungsgeschichte der Atomlehre ist
zu bedenken, wenn man sich mit modernen Interpreten der Quantentheorie
und deren Aussagen über Religion und Metaphysik befaßt. Da sich die
Quantentheorie der modernen Physik und der moderne Atomismus aber
anders als bei Demokrit gerade nicht mehr mit mechanistischen und deterministischen Vorstellungen verbinden, ist diesen damit allerdings auch ihre
religionskritische Spitze genommen. Es wurde bereits darauf hingewiesen,
daß im Gegenteil der Indeterminismus der modernen Quantentheorie von
einzelnen Theologen und Physikern dazu benutzt wird, um im unmittelbaren
Anschluß an die moderne Physik wieder religiöse Aussagen zu formulieren.27
Die antike Vorstellung eines diskreten Aufbaues der Materie wird erst im 18.
Jahrhundert, nun aber auf experimenteller Grundlage weiterentwickelt. Die
entscheidenden Entdeckungen liefert dabei die Chemie. Antoine Laurent
Lavoisier (1743 bis 1794) nennt die Stoffe, die auf chemischem Weg nicht
weiter zerlegt werden können, nach antikem Vorbild Elemente. John Dalton
geht in seiner im Jahr 1808 erschienenen Abhandlung „A New System of
24
Vgl. dazu auch W. Röd, Der Weg der Philosophie, Bd. 1, 71, der betont, daß die antike
Atomistik nicht naturwissenschaftlich, sondern naturphilosophisch bzw. metaphysisch
motiviert ist, da Leukipp, Demokrit und ihre Nachfolger die Theorie der Atome nicht auf
Beobachtungen beziehen können: „Der Begriff des Atoms wird nicht der Erfahrung entnommen, er wird auch nicht gebildet, um bestimmte Erfahrungstatsachen zu erklären, sondern er
dient in erster Linie dazu, eine philosophische Theorie des Werdens zu formulieren. Mit Hilfe
dieser Theorie sollte begreiflich gemacht werden, daß Dinge entstehen, sich wandeln und
eines Tages zu bestehen aufhören.“
25
C. Helferich, Geschichte der Philosophie, 9.
26
M. Buhr/G. Kröber, Art. Atomistik, 152.
27
So beispielsweise B. Bavink, Die Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion (1933),
63, oder noch jüngst J. Guitton/G. u. I. Bogdanov, Gott und die Wissenschaft, 118f.
177
Chemical Philosophy“ davon aus, daß Gase aus nicht mehr teilbaren Partikeln
bestehen, die er wie Demokrit Atome nennt. Diese Atome (die kleinsten
Bausteine chemischer Elemente) können sich zu Molekülen (kleinste
Bausteine chemischer Verbindungen) vereinigen. Dalton erkennt die relativen
Atomgewichte als charakteristische Eigenschaften der Elemente und stellt auf
dieser Grundlage die erste Atomgewichtstabelle auf.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gibt es in der Chemie Versuche, auch die
verschiedenen chemischen Elemente, das heißt die verschiedenen bekannten
„Atomsorten“ als zusammengesetzt aus einer einzigen Urmaterie zu
begreifen. Humphry Davy bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Thales
und schreibt von „jener erhabenen Idee der alten Philosophen, die durch
Newtons Zustimmung bekräftigt worden ist, [...] daß es nämlich nur eine Art
von Materie gibt, deren verschiedene chemische und mechanische Eigenschaften auf die verschiedene Anordnung ihrer Teilchen zurückzuführen
sind“28.
Zwar erschüttert die Entdeckung der Radioaktivität von Henri Antoine
Becquerel im Jahr 1896 die Vorstellung tatsächlich unteilbarer Atome, aber
um die Jahrhundertwende hofft man in der Chemie immerhin, die bekannten
Atomsorten aus allenfalls zwei Grundbausteinen zusammensetzen zu können.
Als diese selbst nicht wieder teilbare Grundbausteine bieten sich den Naturwissenschaftlern der (positiv geladene) Wasserstoffkern und das (negativ
geladene) Elektron an.
2. Theorien des kontinuierlichen Aufbaus der Wirklichkeit
Man sollte erwarten, daß die Physik durch diese Entwicklung der Atomtheorie auf eine Theorie, die von einer diskreten Struktur auch der physikalischen
Wirklichkeit ausgeht, gut vorbereitet ist. Daß dies in keiner Weise der Fall ist,
hat mehrere Gründe:
w Die „Atomtheorie“, die sich in der Chemie durchgesetzt und bewährt hatte,
ist um die Wende zum 20. Jahrhundert unter Physikern keineswegs
unumstritten. Zu den schärfsten Kritikern der Atomtheorie zählt auch hier
wieder vor allem der einflußreiche Physiker und Erkenntnistheoretiker
Ernst Mach, der Atome als nützliche Konstrukte des Denkens zwar noch
akzeptieren kann, die tatsächliche Existenz von Atomen aber vehement
bestreitet, da sich diese nicht mit der von ihm geforderten Ökonomie der
Wissenschaft vereinbaren läßt.29 „Wenn der Geometer die Form einer
Kurve erfassen will“, schreibt Mach, „so zerlegt er sie zuvor in kleine
geradlinige Elemente. Er weiß aber wohl, daß dieselben nur ein vorübergehendes willkürliches Mittel sind, stückweise zu erfassen, was auf einmal
28
29
Zit. in: S. F. Mason, Geschichte der Naturwissenschaft, 537.
Vgl. Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 457–471.
178
nicht gelingen will.“30 Ganz entsprechend beurteilt nun Mach auch die
Atomvorstellung als vorläufiges Hilfsmittel und rein gedankliches
Konstrukt zur besseren Erfassung der Wirklichkeit. Es zieme sich aber der
Naturwissenschaft nicht, so Mach weiter, „in ihren selbstgeschaffenen,
veränderlichen, ökonomischen Mitteln, den Molekülen und Atomen, Realitäten hinter den Erscheinungen zu sehen und eine mechanische Mythologie
an die Stelle der animistischen und metaphysischen zu setzen“31. Mach
zählt allerdings spätestens ab dem Jahr 1905, in dem Einstein eine Theorie
der Brownschen Molekularbewegung vorlegt, zu den ganz wenigen Physikern, die die Realität der Atome noch eine Zeitlang zu leugnen versuchen. 32
w Es wurde schon darauf hingewiesen, daß im 19. Jahrhundert die klassische
Physik newtonscher Prägung fast unangefochtene Gültigkeit besitzt. Gerade
diese Physik geht aber von der Idee der Stetigkeit aller Naturereignisse aus.
Diese Idee der Stetigkeit scheint zwar im Widerspruch zur newtonschen
„Korpuskulartheorie des Lichts“ zu stehen, wonach „die Lichtstrahlen aus
sehr kleinen Körpern [bestehen], die von den leuchtenden Substanzen
ausgesandt werden“33. Doch gerade bezüglich der Lichtausbreitung setzt
sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Diskontinuitäten vermeidende
Wellentheorie des Lichtes, die gegen Newton schon von Christian Huygens
(1629 bis 1695) vertreten wird, durch.
w Atomistische Vorstellungen legen – wie schon bei Demokrit – den Gedanken eines „leeren Raumes“ zwischen den einzelnen Teilchen nahe. Da aber
im 19. Jahrhundert die mechanische Erklärbarkeit aller physikalischer
Erscheinungen angestrebt wird, ist nur sehr schwer vorstellbar, wie eine
kausale Wechselwirkung zwischen den diskreten Teilchen über den leeren
Raum hinweg stattfinden könnte: atomistische (also „quantenhafte“)
Vorstellungen in der Physik hätten damit nicht nur das mechanistische
Weltbild der Physik, sondern auch das für unantastbar gehaltene Kausalgesetz in Frage gestellt.
30
Zit. in: H. Sachsse, Naturerkenntnis und Wirklichkeit, 132.
Ebd. – „Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie sind wie alle Substanzen Gedankendinge. [...] Mögen die Atomtheorien immerhin geeignet sein, eine Reihe von Tatsachen
darzustellen, die Naturforscher, welche Newtons Regeln des Philosophierens sich zu Herzen
genommen haben, werden diese Theorien nur als provisorische Hilfsmittel gelten lassen und
einen Ersatz durch eine natürlichere Anschauung anstreben. Die Atomtheorie hat in der
Physik eine ähnliche Funktion wie gewisse mathematische Hilfsvorstellungen; sie ist ein
mathematisches Modell zur Darstellung der Tatsachen“ (E. Mach, Die Mechanik in ihrer
Entwicklung, 466f).
32
Zu einer Meinungsänderung E. Machs bezüglich der Existenz von Atomen vgl. G.
Wolters, Atome und Relativität – Was meinte Mach? in: R. Haller und F. Stadler (Hg.), Ernst
Mach – Werk und Wirkung, Wien 1988, 484–507.
33
I. Newton, Optik, 244f. K. Simonyi, Kulturgeschichte der Physik, 282, weist aber darauf
hin, daß Newtons Vorstellungen nur in sehr simplifizierter Form weitergegeben wurden und
daß „die ursprüngliche Newtonsche Vorstellung, in der der korpuskulare Aspekt der Erscheinung und die räumliche Periodizität gleichermaßen berücksichtigt werden“, der Auffassung
des 20. Jahrhunderts vom Dualismus des Lichts am nächsten komme.
31
179
Die Kontinuumsphysik bewährt sich im Rahmen der Physik bis ins 19.
Jahrhundert sehr gut, diskontinuierliche Vorstellungen begegnen hingegen
massiven physikalischen Bedenken. Hans Sachsse skizziert die Situation im
ausgehenden 19. Jahrhundert treffend, wenn er feststellt: „Vereinfachend
kann man sagen: die Physik dachte kontinuierlich, die Chemie rechnete mit
diskreten Einheiten, und beide Disziplinen hielten ihre Denkweisen für natürlich und selbstverständlich.“34
Darüber hinaus bewährt sich die Kontinuumstheorie nicht allein in der klassischen Physik, sondern sie wird auch durch einflußreiche naturphilosophische
Gedanken gestützt. Dies gilt insbesondere für diesbezügliche Überlegungen
von Gottfried Wilhelm Leibniz, dessen Gedanken auch in den Stellungnahmen späterer Interpreten und Kritiker der Quantentheorie nachwirken.
In der lateinisch geschriebenen Abhandlung „Principium quoddam generale
non in mathematicis tantum sed et physicis utile“ (1687) und in zwei im Jahr
1702 auf französisch verfaßten Briefen an den Mathematiker Pierre Varignon
– einem der ersten Verteidiger des von Leibniz geschaffenen Infinitesimalkalküls – äußert sich Leibniz zum Kontinuitätsprinzip, das er „mon Principe de
Continuité“35, „la loi de la Continuité“36 oder auch „Principium [...] Ordinis
Generalis“37 nennt. Da für Leibniz Erkenntnisprinzipien immer auch Seinsprinzipien sind, gilt ihm auch dieses „Prinzip der allgemeinen Ordnung“ nicht
nur als Fundamentalprinzip des Erkennens, sondern als ein Grundprinzip der
Weltordnung: die ganze Welt ist ein kontinuierlicher Seins- und Sinnzusammenhang.
Nachdem Leibniz ausführt, daß das Kontinuitätsprinzip überall in der Geometrie gültig sei, fährt er fort:
„Die Allgemeingültigkeit dieses Prinzips [der Kontinuität] hat mich bald einsehen lassen,
daß es auch in der Physik seinen Platz haben muß: sehe ich doch, daß, damit Regelmäßigkeit und Ordnung in der Natur herrsche, es notwendig ist, daß die Physik mit der Geometrie in andauernder Harmonie sein muß, und daß das Gegenteil einträte, wenn da, wo die
Geometrie Kontinuität verlangt, die Physik eine plötzliche Unterbrechung zuließe.“38
Für Leibniz ist das metaphysische Prinzip der Kontinuität unvereinbar mit
Zufall und Indeterminismus, mit Sprüngen und leeren Räumen. Er fordert
darum sowohl eine Kontinuität in der Ordnung des zeitlich Aufeinanderfolgenden als auch eine Kontinuität in der Ordnung des Gleichzeitigen. Erstere
garantiert nach Leibniz den kausalen Zusammenhang aller Ereignisse:
„Nach meiner Ansicht ist kraft metaphysischer Gründe alles im Universum derart miteinander verbunden, daß die Gegenwart stets mit der Zukunft schwanger geht und daß jeder
gegebene Zustand nur durch den ihm unmittelbar vorausgehenden auf natürliche Weise
34
H. Sachsse, Naturerkenntnis und Wirklichkeit, 133.
G. W. Leibniz, Philosophische Schriften, Bd. IV. Schriften zur Logik und zur philosophischen Grundlegung von Mathematik und Naturwissenschaft, hg. v. H. Herring, Darmstadt
1992, 227–267, vgl. die Vorbemerkung des Hg., a.a.O., 260.
36
A.a.O., 264.
37
A.a.O., 230.
38
A.a.O., 261.
35
180
erklärbar ist. Leugnet man dies, dann wird es in der Welt Lücken geben, die das große
Prinzip des zureichenden Grundes umstoßen und uns dazu zwingen werden, für die Erklärung der Phänomene zu Wundern oder zum bloßen Zufall Zuflucht zu nehmen.“ 39
Die Kontinuität in der Ordnung des Gleichzeitigen besagt, daß der Raum
durchgehend von Materie erfüllt sein muß. In den gleichzeitig existierenden
Dingen kann es nach Leibniz selbst dort Kontinuität geben, wo die sinnliche
Anschauung nichts als Sprünge bemerkt, die leeren Räume sind darum „in das
Reich der Träume verwiesen“40.
Hier zeigt sich einmal mehr, wie bei Leibniz metaphysische und mathematisch-physikalische Anschauungen eng miteinander verbunden sind. Das metaphysische „Principe de Continuité“ spiegelt sich für Leibniz im geometrischen
Begriff der Stetigkeit, zu dem er selbst Wesentliches beiträgt. Wie für Kant
steht auch für Leibniz außer Frage, daß die (ihm bekannte) Geometrie
wiederum den tatsächlichen physikalischen Verhältnissen und letztlich auch
der Ordnung der Welt im Ganzen entspricht. Dies erklärt aber auch, daß es
bei der Diskussion um das Kontinuitätsprinzip für Leibniz nicht nur um ein
geometrisches oder physikalisches Problem geht, sondern daß zugleich damit
sein gesamtes metaphysisches System auf dem Spiel steht. Das Prinzip des
Kontinuums ist untrennbar mit dem Gedanken der „prästabilierten Harmonie“
der Welt und mit der leibnizschen „Theodizee“ verbunden. In unserer Zeit
weist Carl Friedrich von Weizsäcker darauf hin, daß insbesondere der
Gedankengang in der „Theodizee“ das „philosophische Abbild von Überlegungen ist, die in der Physik zu Hause und dort ohne Zweifel legitim sind“41.
So wird die Theodizee bei Leibniz nach dem Muster mathematischer Extremalaufgaben angegangen. Extremalaufgaben sind aber im allgemeinen nur
lösbar unter Voraussetzung der Stetigkeit, das heißt bei Gültigkeit des Kontinuitätsprinzips.
Von dieser leibnizschen Tradition her wird verständlich, daß sich die
Quantentheorie in unserem Jahrhundert nicht nur gegen physikalische
Einwände und Bedenken durchsetzen muß, sondern daß sie auch eine starke
naturphilosophische Tradition gegen sich hat und überwinden muß. Dies
äußert sich nicht zuletzt darin, daß bei den Diskussionen um die Quantentheorie nicht nur rein physikalische Argumente vorgetragen werden, sondern
häufig auch weltanschauliche Positionen in die jeweiligen Überlegungen
miteinfließen. So sind – um das bekannteste Beispiel zu zitieren – für Albert
Einstein die Zumutungen der Quantentheorie an sein „naturphilosophisches
Gesamtkonzept“ offensichtlich unerträglich. Nicht zufällig formuliert er
darum seine Kritik an der Quantentheorie auch unter Bezugnahme auf bei
Leibniz ausgeführte naturphilosophische Positionen.42
39
Ebd. (Hervorhebungen im Original).
A.a.O., 263.
41
C. F. v. Weizsäcker, Naturgesetz und Theodizee, 161.
42
Vgl. A. Einstein/A. Sommerfeld, Briefwechsel, 109, 112, 121; vgl. auch R. Locqueneux,
Kurze Geschichte der Physik, 123.
40
181
III. Zur Geschichte der Quantentheorie
Die Relativitätstheorie ist bleibend mit dem Namen Albert Einsteins verbunden, selbst wenn immer wieder mehr oder weniger ernsthaft diskutiert wird,
ob damit das Verdienst anderer Physiker nicht zu wenig gewürdigt wird. Die
Quantentheorie verdankt demgegenüber ihre Entwicklung unbestreitbar den
Beiträgen einer ganzen Reihe von Physikern, wobei diesen freilich in den
physikgeschichtlichen Darstellungen je unterschiedliche Bedeutung zugemessen wird.
Eine Beschreibung der Geschichte der Quantentheorie wird außerdem
dadurch erschwert, daß in der Quantentheorie, wie sie um das Jahr 1927
vorliegt, verschiedene physikalische Entwicklungslinien zusammengeführt
werden. Vereinfacht dargestellt lassen sich zwei zunächst voneinander
unabhängige Linien verfolgen:
w Die eine Entwicklungslinie führt über die Probleme, die die Beschreibung
der sogenannten „Hohlraumstrahlung“ mit sich bringt: Darauf nimmt etwa
George Trigg Bezug, wenn er schreibt, daß als Ausgangspunkt der
Quantentheorie „der Versuch anzusehen [sei], die Strahlung aus einem
kleinen Loch in einer Ofenwand vollständig zu beschreiben“43.
Diese erste Linie führt über die Physiker Wilhelm Wien und John William
Rayleigh zu Max Planck und dann über Albert Einstein weiter zu Louis de
Broglie. Ins Zentrum rückt dabei zunehmend die Frage nach der physikalischen Natur von Strahlung und hier insbesondere die Frage, ob Licht
angemessener als kontinuierlicher Wellenvorgang oder als diskrete
Teilchenstrahlung zu verstehen ist (III. 1. a).
w Die andere Entwicklungslinie, die schließlich in die Quantentheorie
mündet, befaßt sich mit dem Bau der Atome: Nachdem sich auch in der
Physik die Vorstellung vom atomaren Aufbau der Materie durchzusetzen
beginnt, stellt sich die Frage nach der Struktur der Atome.
Hier führt die Entwicklung über die Atommodelle von Joseph John
Thomson und Ernest Rutherford zu Niels Bohr und Arnold Sommerfeld,
wobei Bohr erstmals erfolgreich die Idee des Quants auf die Atomstruktur
anwendet (III. 1. b).
Zwischen den Jahren 1925 und 1927 formulieren dann Physiker in Dänemark
(Bohr), Deutschland (Born, Heisenberg, Jordan und Pauli), England (Dirac)
und Österreich (Schrödinger) jeweils gleichwertige mathematische Konzepte,
in denen die bisherige „ältere“ Quantentheorie neu begründet und die oben
genannten Entwicklungslinien zusammengeführt werden können (III. 2.).
43
G. L. Trigg, Experimente der modernen Physik, 4.
182
1. Die ältere Quantentheorie (1900 bis 1924)
a) Was ist unter Licht physikalisch zu verstehen?
Um die Wende zum 19. Jahrhundert gelingt es zunächst dem französischen
Physiker Augustin Jean Fresnel und etwas später dem englischen Physiker
und Arzt Thomas Young verschiedene optische Erscheinungen – darunter die
Beugung am Doppelspalt44– mit Hilfe der Wellentheorie des Lichts überzeugend zu deuten. Wie unangefochten diese Theorie noch gegen Ende des
19. Jahrhunderts vertreten wird, belegt eine Feststellung von Heinrich Hertz
auf der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Heidelberg
im Jahr 1889. Auf die von ihm selbst gestellte Frage, was unter „Licht“ physikalisch zu verstehen sei, antwortet er:
„Seit den Zeiten Youngs und Fresnels wissen wir, daß es [sc. das Licht] eine Wellenbewegung ist. Wir kennen die Geschwindigkeit der Wellen, wie kennen ihre Länge, wir
wissen, daß es Transversalwellen sind; wir kennen mit einem Wort die geometrischen
Verhältnisse der Bewegung vollkommen. An diesen Dingen ist ein Zweifel nicht mehr
möglich, eine Widerlegung dieser Anschauungen ist für den Physiker undenkbar. Die
Wellentheorie des Lichtes ist, menschlich gesprochen, Gewißheit [...].“45
Neben dem sichtbaren Licht ist seit dem 18. Jahrhundert auch die Wärmestrahlung noch nicht leuchtender Körper bekannt, die wie das Licht spektral
aufgefächert werden kann. Aber die Versuche – insbesondere von Wien
(1896) und Rayleigh (1900) – die spektrale Energieverteilung dieser Strahlung korrekt wiederzugeben, führen zu offensichtlichen Widersprüchen. Dies
scheint darauf hinzuweisen, daß der Ausstrahlungsmechanismus dieser Strahlung, mit den Mitteln der klassischen Physik nicht beschrieben werden kann.
Der Physiker Hendrik Antoon Lorentz veranschaulicht die Widersprüche, zu
der die damaligen Lösungsansätze führen, indem er scherzhaft feststellt: „Die
Gleichungen der klassischen Physik sind unfähig zu erklären, weshalb ein
erlöschender Ofen nicht auch neben der Wärmestrahlung gelbes Licht
aussendet.“46
Der Tag, an dem Max Planck in einer Sitzung der Berliner Physikalischen
Gesellschaft die korrekte Strahlungsformel vorstellt, der 14. Dezember 1900,
wird oft als die Geburtsstunde der Quantentheorie bezeichnet. Der Grund
dafür ist, daß Planck seine Formel nur unter Voraussetzung einer Konstanten
h ableiten kann. Dieses „Wirkungsquantum h“, bezeichnet die kleinste
Wirkung, die in einem mikroskopischen Prozeß auftreten kann, und bedeutet
in Plancks Formel, daß die Strahlung in „Energiepaketen“ – also gequantelt –
erfolgt. Damit ist das von Newton und Leibniz geforderte Kontinuitätsprinzip
erstmals durchbrochen. Obzwar der Name der „Quantentheorie“ auf dieses
44
Vgl. 5. Kap. IV. vorliegender Arbeit.
H. Hertz, Über sehr schnelle elektrische Schwingungen, 98. Hertz führt hier des weiteren
aus, daß das, was aus der Wellentheorie mit Notwendigkeit folge, damit ebenfalls Gewißheit
sei: „Es ist also auch gewiß, daß aller Raum, von dem wir Kunde haben, nicht leer ist,
sondern erfüllt mit einem Stoffe, welcher fähig ist, Wellen zu schlagen, dem Äther“ (ebd.).
46
Zit. in: W. Schreier u. a., Geschichte der Physik, 333.
45
183
Wirkungsquantum zurückgeht, ist sich Planck damals noch keineswegs dieser
Konsequenzen bewußt und versucht im Gegenteil die später nach ihm
benannte Konstante auf der Grundlage der herkömmlichen Physik zu verstehen. Lange Zeit bleibt Planck gegenüber der Quantentheorie skeptisch eingestellt und schreibt später in seiner wissenschaftlichen Autobiographie:
„Meine vergeblichen Versuche, das Wirkungsquantum irgendwie der klassischen Theorie
einzugliedern, erstreckten sich auf eine Reihe von Jahren und kosteten mich viel Arbeit.
Manche Fachgenossen haben darin eine Art Tragik erblickt. Ich bin darüber anderer
Meinung. Denn für mich war der Gewinn, den ich durch solch gründliche Aufklärung
davontrug, um so wertvoller. Nun wußte ich ja genau, daß das Wirkungsquantum in der
Physik eine viel bedeutendere Rolle spielt, als ich anfangs geneigt war anzunehmen [...].“47
Zurecht bezeichnet Emilio Segrè Planck darum als einen „Revolutionär wider
Willen“48. Das Scheitern aller Versuche, die neue Konstante in die klassische
Theorie einzupassen, läßt aber schließlich auch für Planck keinen Zweifel
mehr daran zu, daß die Physik auf eine neue Grundlage gestellt werden muß.
Wenn seine Ableitung des Strahlungsgesetzes nicht nur „inhaltsleere Formelspielerei“ sein sollte, „dann mußte das Wirkungsquantum in der Physik eine
fundamentale Rolle spielen, dann kündigte sich mit ihm etwas ganz Neues,
bis dahin Unerhörtes an, das berufen schien, unser physikalisches Denken,
welches seit der Begründung der Infinitesimalrechnung durch Leibniz und
Newton sich auf der Annahme der Stetigkeit aller ursächlichen Zusammenhänge aufbaut, von Grund aus umzugestalten“49.
Ehe diese fundamentale Bedeutung des Wirkungsquantums voll erkannt wird,
bedarf es noch weiterer Arbeiten. Wieder ist es Einstein, der einen wichtigen
Schritt zur Entwicklung der Quantentheorie beiträgt, indem er 1905 – also im
gleichen Jahr, in dem er auch die spezielle Relativitätstheorie vorlegt – eine
Arbeit zur Deutung des „lichtelektrischen Effektes“ veröffentlicht. Ausgehend
von Plancks Strahlungsformel untersucht Einstein „ob auch die Gesetze der
Erzeugung und Verwandlung des Lichtes so beschaffen sind, wie wenn das
Licht aus derartigen Energiequanten bestünde“50.
Unter der Voraussetzung, daß bei Licht eine derartige korpuskulare oder
gequantelte Struktur berücksichtigt wird, präsentiert Einstein in der genannten
Arbeit ein einfaches Modell für die Wechselwirkung von Licht mit Atomen.
Dafür – und nicht etwa für seine Relativitätstheorie! – verleiht die Schwedische Akademie Einstein im Jahr 1921 den Nobelpreis. Die Entwicklungslinie
der Quantentheorie, die über die Frage nach der physikalischen Natur des
Lichts läuft, tritt dann aber vorübergehend zurück. Entscheidende Impulse
erhält die Quantentheorie nun im Zusammenhang mit der Frage nach der
Atomstruktur.
47
48
49
50
M. Planck, Wissenschaftliche Selbstbiographie, 18.
E. Segrè, Die großen Physiker, Bd. 2, 71.
M. Planck, Die Entstehung und bisherige Entwicklung der Quantentheorie, 131.
Zit. in: E. Segrè, Die großen Physiker, Bd. 2, 99.
184
b) Wie ist das Atom gebaut?
Nachdem sich die Atomhypothese in der Chemie bestens bewährt und allmählich auch von Physikern übernommen wird, bewegt um die Wende zum
20. Jahrhundert die Frage nach der Struktur dieser Atome die physikalische
Forschung. Bekannt ist zunächst nur, daß ein Atom aus einem vergleichsweise schweren (positiv geladenem) Anteil und mehreren (negativ geladenen)
Elektronen besteht. Über die innere Struktur der Atome gibt es zu dieser Zeit
aber nur sehr vage und ganz unterschiedliche Vorstellungen. Joseph John
Thomson präsentiert im Jahr 1902 beispielsweise ein Atommodell, bei dem
im kugelförmigen Atom die positiv geladene Masse kontinuierlich verteilt ist
und die Elektronen darin eingebettet sind.
Experimentelle Untersuchungen lassen dagegen Ernest Rutherford im Jahr
1909 ein Atommodell favorisieren, das einem Planetensystem en miniature
ähnelt. Die Elektronen umkreisen demnach einen sehr kleinen positiven
Atomkern, in dem dennoch fast die gesamte Masse des Atoms vereinigt ist.
Nach den Gesetzen der klassischen Physik wäre dieses Atommodell allerdings instabil, da die Elektronen auf ihren Bahnen Strahlungsenergie abgeben
und darum nach kurzer Zeit in den Kern stürzen müßten.
Im 19. Jahrhundert hatte sich die „Spektralanalyse“ als ein eigener
Forschungsbereich etabliert: das Licht, genauer die Spektrallinien, die von
verschiedenen Stoffen ausgesendet werden, dienen zur chemischen Analyse
dieser Stoffe. Außerdem erhofft man sich zu dieser Zeit aus der Spektralanalyse auch Rückschlüsse auf die Struktur der Licht emittierenden Atome.
Umgekehrt muß ein Atommodell die bei der Spektralanalyse beobachteten
Lichtemissionen erklären können. Doch dies gelingt auf der Grundlage der bis
dahin vorgelegten Atommodelle noch nicht einmal für den einfachsten Fall
des Wasserstoffatoms.
Im Jahr 1911 organisiert Walther Nernst, der selbst das Phänomen der spezifischen Wärme erfolgreich auf der Grundlage des Quantenkonzepts untersucht,
eine internationale Konferenz, auf der die führenden Physiker über die
fraglich gewordenen Grundlagen ihrer Wissenschaft diskutieren sollen. Auf
diesem ersten „Solvay-Kongreß“ erregt die Quantenidee großes Aufsehen und
scheint verschiedene Physiker dazu zu bewegen, das Wirkungsquantum nun
auch in die Erklärung des Atombaus miteinzubeziehen.
Nachdem sich Niels Bohr im Jahr 1912 während eines Studienaufenthaltes bei
Rutherford mit dessen Atommodell auseinandergesetzt hat, legt er ein Jahr
später eine eigenes Modell vor, das mit den bisherigen klassischen Vorstellungen radikal bricht. Bohr postuliert für die Struktur des Atoms:
w Die Elektronen dürfen – anders als Planeten in unserem Sonnensystem –
nur auf bestimmten Bahnen um den Atomkern kreisen.
w Die Elektronen dürfen – in offenem Widerspruch zur klassischen Theorie –
auf diesen Bahnen nicht strahlen.
185
w Elektronen können von einer äußeren zu einer weiter innen gelegenen Bahn
springen. Mit der dabei frei werdenden Energie strahlen sie ein Lichtquant
ab. In die Berechnung der Frequenz (Farbe) dieses Lichtquants geht das
Wirkungsquantum h ein.
Bohr wendet also die Plancksche Quantenidee auf die Struktur des Atoms an
und kann so erstmals die Spektrallinien des Wasserstoffatoms korrekt berechnen. Bohr schreibt denn auch durchaus zuversichtlich:
„Diese Postulate, die sich einer Deutung mittels der klassischen Vorstellungen entziehen,
scheinen eine geeignete Grundlage für die allgemeine Beschreibung der physikalischen
und chemischen Eigenschaften der Elemente darzubieten. Im besonderen findet durch sie
ein grundsätzlicher Zug der empirischen Gesetzmäßigkeit der Spektren eine unmittelbare
Deutung.“51
Doch obgleich Sommerfeld das Bohrsche Atommodell in den folgenden
Jahren noch verbessert, kann damit die Struktur etwas komplizierter gebauter
Atome nicht befriedigend erklärt werden. Zwar sind sich die meisten
Atomphysiker darin einig, daß die Probleme des Atombaus mit Hilfe der
klassischen Physik nicht mehr gelöst werden können, aber zugleich fehlt der
Quantenphysik der damaligen Zeit offensichtlich noch ein theoretisches
Gesamtkonzept, in das die bisherigen quantenphysikalischen Entdeckungen
sinnvoll eingeordnet werden können: „Es festigte sich die Überzeugung, daß
man in der Quantenphysik nicht über einen weiteren kontinuierlichen Ausbau
der vorliegenden Theorien, sondern nur mit prinzipiell neuen theoretischen
Ansätzen vorwärts kommen könne.“52 Dies gelang Werner Heisenberg im
Jahr 1925.
2. Die neuere Quantentheorie
a) Von den Materiewellen zur Wellenmechanik
Aufgrund der anfänglichen Erfolge der Bohr-Sommerfeldschen-Atomtheorie
konzentrierte sich die quantentheoretische Forschung zunächst vor allem auf
Fragen im Zusammenhang mit dem Atombau; die Lichtquantenhypothese
rückte demgegenüber vorübergehend in den Hintergrund. Um das Jahr 1923
beschäftigt die Physiker nach den Worten von Louis de Broglie aber wieder
das Rätsel, „für das Licht zwei einander widersprechende Theorien gelten zu
lassen“53: die nach wie vor unverzichtbare Wellentheorie des Lichts und die –
im Jahr 1922 durch Arthur Compton erneut experimentell bestätigte – Lichtquantenhypothese. Licht sei lange Zeit zu unrecht als reine Wellenerscheinung gedeutet worden, denn jetzt zeige sich, daß sie auch als
Teilchenstrahlung aufgefaßt werden müsse, resümiert der junge Physiker
51
52
53
N. Bohr, Atomtheorie und Mechanik, 694.
W. Schreier u. a., Geschichte der Physik, 339.
L. de Broglie, Die Wellennatur des Elektrons, 669.
186
Louis de Broglie in seiner Dissertation und fragt, warum sich nicht umgekehrt
bei Materieteilchen der Wellenbegriff bewähren sollte. Rückblickend schreibt
de Broglie über seine damalige Entdeckung:
„So bin ich zu folgender Gesamtidee gelangt, die meine Forschungen geleitet hat: sowohl
für die Materie wie für die Strahlungen, insbesondere für das Licht, ist es geboten, den
Korpuskel- und den Wellenbegriff gleichzeitig einzuführen. Mit anderen Worten, man
muß in beiden Fällen die Existenz von Korpuskeln annehmen, die von Wellen begleitet
werden.“54
Im Jahr 1927 wird denn auch tatsächlich die Wellennatur von Elektronen
experimentell bestätigt; darüber hinaus hatte Erwin Schrödinger schon ein
Jahr zuvor anknüpfend an die Arbeiten von de Broglie eine Abhandlung
veröffentlicht, die eine „Wellengleichung der Materie“ und damit eine Verallgemeinerung des de Broglieschen Materiewellenkonzepts enthält. Angewandt
zum Beispiel auf das Wasserstoffatom ergibt diese „Schrödinger-Gleichung“
dieselben Ergebnisse für das Emissionsspektrum des Atoms wie das oben
erwähnte Bohrsche Atommodell.
Vielen Physikern scheint damals im Anschluß an die Wellenmechanik Schrödingers wieder eine Integration der bisherigen „Quantenphysik“ in klassische
Vorstellungen denkbar. Wenn sich schon das Elektron als kontinuierlich über
das ganze Atom verteilte Welle verstehen läßt, warum dann nicht auch die
Strahlung, insbesondere Licht? Also doch keine „Quantentheorie“, nicht
einmal ein „Welle-Teilchen-Dualismus“, sondern ein mit der bewährten
klassischen Kontinuumsphysik vereinbarer Wellenmonismus? Schrödinger
selbst leistet diesbezüglichen Deutungen seiner Gleichung Vorschub durch
seine äußerst skeptische Einstellung gegenüber Vorstellungen, „daß im Naturlauf wirklich etwas Unstetiges, Sprunghaftes steckt, daß von dem alten Satze:
natura non facit saltum das genaue Gegenteil wahr sei: natura facit nil nisi
saltus – die Natur macht überhaupt gar nichts anderes als unstetige
Sprünge.“55
Auch gegenüber allen dualistischen Überlegungen äußert sich Schrödinger
zunehmend ablehnend, da „ehrliche Überzeugung lehrt, daß ein wirklich
existierendes Ding unmöglich zugleich ein Massenpunkt und ein Wellenzug
sein kann“56. Schrödinger verfolgt bis zu seinem Tod die Idee einer einheitlichen Wellentheorie, die als physikalische Realität nur Wellen anerkennt und
zugleich damit behauptet, daß jeder Tatbestand in der Physik mit Hilfe der
Wellenvorstellung beschrieben werden kann. – Gegen Schrödingers Mathematik ist nichts einzuwenden; doch bald erweist sich, daß seine sehr anschauliche Interpretation der „Wellengleichung der Materie“ keinen Bestand haben
sollte.57
54
A.a.O., 670.
E. Schrödinger, Die Wandlung des physikalischen Weltbegriffs, 606.
56
A.a.O., 601.
57
Zur Kritik der Interpretation E. Schrödingers vgl. M. Born, Die Interpretation der
Quantenmechanik, 132–144.
55
187
b) Vorläufige Vollendung der Quantentheorie
Obwohl Max Born „Schrödingers Wellenmechanik für eine der bewundernswertesten Leistungen in der Geschichte der theoretischen Physik“58 hält,
arbeitet er gemeinsam mit Bohr, Heisenberg, Pauli, Jordan und Dirac in einer
anderen Richtung. Für diese Physiker hat sich die bisherige Quantenphysik
trotz ihrer inneren Widersprüche schon so gut bewährt, daß sie sich mit einer
Wellentheorie à la Schrödinger nicht mehr zufriedengeben können. Aber sie
erkennen, daß in der „atomaren Teilchenphysik“ grundsätzlich neue Gesetze
gefunden werden müssen und nicht einfach nur die klassischen Gesetze
verallgemeinert oder modifiziert werden dürfen.
Im Zusammenhang mit dem klassischen Rutherfordschen Atommodell, aber
auch noch beim „halbklassischen“ Bohrschen Atommodell spricht man durchaus unbekümmert von Bahnen, Örtern oder Umlauffrequenzen der Elektronen
– obgleich diese Größen nicht beobachtet werden können. Im Unterschied
dazu fordert Werner Heisenberg ganz im Sinne des Machschen Ökonomieprinzips nunmehr eine „Physik, in der nur die beobachtbaren Größen eine
Rolle spielen sollten“59, das heißt, nur meßbare Folgen atomarer Prozesse
sollen der Quantentheorie zugrundegelegt werden. Gemeinsam entwickeln
nun Born, Heisenberg, Jordan und Pauli für die „Quantenmechanik“ im Atom
neue Regeln, die sich grundlegend von der klassischen Mechanik unterscheiden. Die wenig später von Heisenberg vorgelegte „Unbestimmtheitsrelation“
liefert dann die theoretische Begründung dafür, warum die klassischen
Begriffe (Bahn, Ort usw.) im atomaren Bereich keine beobachtbare Entsprechung mehr haben.
Auf diese Weise werden innnerhalb kurzer Zeit und unabhängig voneinander
zwei unterschiedliche Arten von „Mechanik im atomaren Bereich“
entwickelt: die Wellenmechanik (de Broglie, Schrödinger) und die Quantenmechanik. Über die mathematische Äquivalenz beider Theorien, die Schrödinger bereits im Jahr 1926 zeigen kann, sind sich die Physiker schnell einig.
Die wichtigsten theoretischen Grundlagen der Quantentheorie, die ab dem
Jahr 1927 eine Flut von Anwendungen ermöglichen, liegen damit vor.
Nun leistet allerdings mit den Worten von Max Born „ein mathematischer
Formalismus [...] ganz wunderbare Dienste in der Beschreibung komplizierter
Dinge, ohne jedoch viel zu einem wirklichen Verständnis der Vorgänge
beizutragen“60. Dieses „wirkliche Verständnis der Vorgänge“ betrifft die
Interpretation des mathematischen Formalismus der Quantentheorie, und
gerade diese ist bis heute unter Physikern umstritten – und gleichwohl in der
Praxis der Forschung „kein Thema“.
58
59
60
M. Born, a.a.O., 135.
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 77.
M. Born, Philosophische Betrachtungen zur modernen Physik, 46.
188
IV. Der experimentelle Befund: Versuche am Doppelspalt
1. Der exemplarische Charakter der Doppelspaltexperimente
In der Geschichte der Quantentheorie spielt die Diskussion um die Deutung
sogenannter „Doppelspaltexperimente“ eine wichtige Rolle. So erläutern etwa
Bohr, Heisenberg und Jordan zentrale Gedanken der Quantentheorie mit Hilfe
dieses Doppelspaltexperiments.61 Berühmt geworden ist insbesondere die
Auseinandersetzung zwischen Bohr, Ehrenfest, Einstein und anderen Physikern auf dem fünften Physikalischen Kongreß des Solvay-Institutes in Brüssel
im Jahr 1927. Einstein tritt dabei als skeptischer Kritiker der Quantentheorie
auf und gibt – wie Bohr berichtet – seiner „tiefen Besorgnis darüber
Ausdruck, daß in der Quantenmechanik von einer kausalen Beschreibung in
Raum und Zeit so weitgehend Abstand genommen wurde“62. Einstein vertritt
im Gegensatz zur Mehrheit seiner Kollegen die Ansicht, daß die quantenmechanische Betrachtungsweise nicht vollständig sei und die Analyse darum
weitergetrieben werden müsse.63
Da zentrale Aspekte der Quantentheorie und die dabei entstehenden erkenntnistheoretischen Probleme mit Hilfe der „Doppelspaltexperimente“ verdeutlicht werden können, sollen diese Versuche hier kurz vorgestellt werden.
Zuerst werden dazu Doppelspaltexperimente mit klassischen Teilchen, daran
anschließend mit klassischen Wellen (IV. 2. und 3.) und schließlich mit
Quantenobjekten (IV. 4.) skizziert. Das unterschiedliche Verhalten von
„klassischen Teilchen“ (wie zu Beispiel Tennisbällen, Gewehrkugeln,
Farbtröpfchen ...) und „klassischen Wellen“ (wie etwa Wasser- oder Schallwellen) einerseits und Quantenobjekten (wie zum Beispiel Licht oder Elektronen) andererseits zeigt exemplarisch das grundsätzlich Neue der
Quantentheorie gegenüber der klassischen Physik. 64
In diesem Abschnitt wird nur eine Beschreibung der entsprechenden Experimente gegeben und noch so weit als möglich auf eine Interpretation
verzichtet. Wenn dann im folgenden Kapitel diese Experimente physikalisch
gedeutet werden, zeigt sich, daß diese Interpretation keineswegs eindeutig ist,
sondern einen Spielraum für unterschiedliche Interpretationen läßt.
61
Vgl. W. Heisenberg, Physik und Philosophie, 34f; P. Jordan, Atom und Weltall, 82–85; N.
Bohr, Diskussion mit Einstein über erkenntnistheoretische Probleme in der Atomphysik,
93–110.
62
N. Bohr, a.a.O., 93f.
63
Vgl. a.a.O., 95.
64
Vgl. dazu die übersichtlichen Darstellungen in F. Bader/F. Dorn, Physik, 296–325, insbes.
311f, und W. Kuhn, Physik, Bd. 2, 293–307, insbes. 295f.
189
2. Doppelspaltexperiment mit klassischen Teilchen65
Als Beispiel für den trivialen Fall klassischer Teilchen können kleine Farbtröpfchen dienen. Zur Durchführung des entsprechenden Experiments denke
man sich eine Farbspraydose, eine Platte mit zwei schmalen Spaltöffnungen
und dahinter eine Wand, auf der die Farbtröpfchen, die durch die Spalte
gesprüht werden, aufgefangen werden und dort einen Farbfleck bilden. Ein
Farbtröpfchen kann selbstverständlich nur durch den einen oder den anderen
Spalt fliegen (vgl. Abbildung 3 unten).
Im ersten Versuch wird nun der linke Spalt verdeckt, so daß nur durch den
rechten Spalt Farbtröpfchen fliegen können. Im zweiten Versuch wird
dagegen der rechte Spalt verdeckt, und im dritten Versuch bleiben schließlich
beide Spalte geöffnet.
Es ergibt sich folgendes
Intensität
Abbildung 3
(beide Spalte offen)
Doppelspaltexperiment mit
Resultat: Beim dritten
klassischen Teilchen (schematisch)
Versuch erhält man
III
erwartungsgemäß eine
Farbverteilung auf der
Intensität
(je ein Spalt offen)
Wand, die der ÜberlaII
I
gerung der Farbverteilung des ersten und
Wand
zweiten
Versuch
entspricht (vgl. Abbill
r
Platte mit 2 Spalten
dung 3 oben). Offensichtlich ist es demnach
Farbspraydose
für den Bahnverlauf
eines Farbtröpfchens, das durch den linken Spalt fliegt, gleichgültig, ob der
andere Spalt geöffnet oder geschlossen ist.
3. Doppelspaltexperiment mit klassischen Wellen
Als Beispiel für klassische Wellen eignen sich bei diesem Experiment
Wasserwellen; die entsprechenden Versuche können leicht in einer Wellenwanne durchgeführt werden. Als Wellenerreger dient dabei ein Stift, der
periodisch in die Wasseroberfläche eintaucht und dadurch kreisförmige
Wellenberge und Wellentäler erzeugt, die von der Erregerstelle weglaufen.
Diese Wellenberge und -täler treffen auf eine Trennplatte mit zwei schmalen
Spalten. Hinter jeder Spaltöffnung bilden sich wieder neue, kreisförmig
auseinanderlaufende Wellenberge und -täler (vgl. Abb. 4).
Die an der Wand ankommenden Wellen haben dort eine unterschiedliche
Amplitude, das heißt die Wellenberge sind an verschiedenen Stellen der
Wand unterschiedlich hoch und haben damit auch eine unterschiedliche Inten65
Vgl. Bader/F. Dorn, a.a.O., 311, und W. Kuhn, a.a.O., 296.
190
sität. Kurve I gibt die
ungefähre Intensitäts- Abbildung 4
Intensität
(beide Spalte offen)
mit
verteilung
wieder, Doppelspaltexperiment
klassischen Wellen (schematisch)
wenn nur der rechte
III
Spalt geöffnet ist (erster
Intensität
Versuch), Kurve II gibt
(je ein Spalt offen)
die Intensitätsverteilung
II
I
an, sofern nur der linke
Spalt
geöffnet
ist
Wand
(zweiter
Versuch).
l
r
Wenn beide Spalte
Platte mit 2 Spalten
geöffnet sind (dritter
Versuch), ergibt sich
Wellenerreger
hier nicht die Summe
der Intensitäten des
ersten und des zweiten
Versuchs, sondern die in Kurve III wiedergegebene Intensität. Der Grund
dafür ist, daß sich die von den beiden Spalten ausgehenden Kreiswellen
gegenseitig überlagern (Interferenz). Dadurch kommt es in einigen Richtungen zur Verstärkung (Wellenberge treffen auf Wellenberge, Wellentäler auf
Wellentäler) in anderen Richtungen zur Schwächung oder gar zur Auslöschung (Wellentäler treffen auf Wellenberge, Wellenberge auf Wellentäler).
Auf die hier beschriebene Art kann die klassische Physik das Verhalten von
Teilchen (vgl. Abb. 3) beziehungsweise von Wellen (vgl. Abb. 4) am Doppelspalt erklären. Umgekehrt formuliert: was sich entsprechend Abbildung 3
verhält, wird im Rahmen der klassischen Physik als Teilchen, was sich
dagegen entsprechend Abbildung 4 verhält, wird als Welle identifiziert. Wie
schon erwähnt, gilt insbesondere Licht im 19. Jahrhundert als eine Wellenerscheinung.
4. Doppelspaltexperimente mit Licht und anderen Quantenobjekten
Im folgenden Experiment trifft (Laser-)Licht66 auf einen Schirm mit zwei sehr
schmalen parallelen Spalten. Jeder der beiden Spalte ist wieder einzeln
abdeckbar. Hinter dem Schirm steht in einigem Abstand als Wand eine
feinkörnige Photoplatte. Ganz entsprechend zu den bisherigen Versuchen ist
im ersten Versuch wieder der linke und im zweiten Versuch der rechte Spalt
verdeckt und sind im dritten Versuch beide Spalte geöffnet. Es ergeben sich
folgende Resultate (vgl. Abb. 5):
66
Im Jahr 1961 kann C. Jönsonn nachweisen, daß sich die im folgenden mit Lichtquanten
beschriebenen Versuche in entsprechender Weise mit Elektronen durchführen lassen. Inzwischen wird auch erfolgreich mit Neutronen am Doppelspalt experimentiert, vgl. A. Zeilinger,
Fundamentale Experimente mit Materiewellen, 73–76.
191
w Die bei den drei Versuchen entstehende Verteilung auf der Photoplatte setzt
sich jeweils aus einzelnen, unregelmäßig verteilten geschwärzten Punkten
zusammen.
w Die Verteilung, die beim dritten Versuch entsteht, entspricht nicht der
Überlagerung der Verteilungen aus den beiden ersten Versuchen.
w Die Verteilung der geschwärzten Punkte auf der Photoplatte beim dritten
Versuch hat die gleiche Struktur, wie die Verteilung beim Doppelspaltversuch mit klassischen Wellen (vgl. Abb. 4).
Dieses
hier
nur
Intensität
Abbildung 5
schematisch beschrie- Doppelspaltexperiment mit
(beide Spalte offen)
Laserlicht (schematisch!)
bene Experiment wirft
III
verschiedene Fragen
auf: Der dritte Versuch
Intensität
(je ein Spalt offen)
beim DoppelspaltexpeII
I
riment mit Laserlicht
scheint darauf hinzudeuten, daß es sich bei Photoplatte
Licht um eine Welle
l
r
Schirm mit 2 Spalten
handelt. Wie klassische Wellen würden
Laserquelle
sich demnach die von
den beiden Spalten
ausgehenden Lichtwellen an einigen Stellen der Wand (Photoplatte) verstärken und an anderen schwächen, bzw. ganz auslöschen. Damit ließe sich
zwanglos erklären, warum einzelne Stellen, auf die bei einem geöffneten Spalt
Licht fallen konnte, bei beiden geöffneten Spalten dunkel bleiben. – Wie paßt
die Vorstellung von Licht als Welle aber zu der Beobachtung, daß sich die
Verteilung aus einzelnen Punkten zusammensetzt? Deutet dies nicht auf eine
teilchenartige Natur des Lichts hin? Überlagern sich die „Lichtteilchen“ im
dritten Versuch dann aber etwa mit sich selbst? Soll man sich denn vorstellen,
daß ein Teilchen durch beide Spalte zugleich geht, sich dann mit sich selbst
überlagert und so sich selbst verstärkt oder schwächt?
Der erste und der zweite Versuch scheinen dagegen zunächst eher darauf
hinzudeuten, daß es sich bei Licht doch – wie schon Newton geneigt ist
anzunehmen – um einzelne Teilchen (Photonen, Quanten) handelt. Demnach
zeigen die einzelnen geschwärzten Körner auf der Photoplatte die scharf
lokalisierten Orte, wo ein einzelnes „Lichtteilchen“ aufgetroffen ist. – Aber
warum verhalten sich diese Lichtquanten dann bei dritten Versuch nicht auch
wie klassische Teichen? Warum ergibt sich als Gesamtverteilung nicht die
Überlagerung der Verteilungen aus den ersten beiden Versuchen? Warum
treffen insbesondere an einigen Stellen, an denen bei nur einem geöffneten
Spalt Teilchen auftrafen, bei zwei geöffneten Spalten keine Teilchen mehr
auf? Warum sollte es einem „Lichtteilchen“, das durch den linken Spalt fliegt,
192
nicht gleichgültig sein, ob der rechte Spalt geöffnet oder geschlossen ist?
Wenn aber gar nicht zu klären sein sollte, ob ein Lichtteilchen durch einen
oder beide Spalte zugleich fliegt – darf man dann überhaupt noch von einer
„Bahn“ dieser „Teilchen“ sprechen? Und weiter: Ist das Auftreffen jedes
einzelnen „Teilchens“ determiniert oder zufällig? Was determiniert die sich
ergebende Struktur der gesamten Verteilung? Sind der Physik überhaupt alle
Bedingungen und Voraussetzungen bekannt, die eine befriedigende Erklärung
des beschriebenen experimentellen Befundes erlauben?
Das Resultat der Doppelspaltversuche mit Licht, Elektronen, Neutronen oder
anderen Quantenobjekten stellt eine Zumutung für unsere Vorstellungskraft
dar. Man kann sich an das „Verhalten“ der Quantenobjekte nach und nach
gewöhnen, so daß es einem mit der Zeit als selbstverständlich erscheint. Aber
es ist unmöglich, damit anschauliche Vorstellungen zu verbinden. Eine
„anschauliche“ Erklärung quantenphysikalischer Experimente gibt es nicht. In
diesem Sinne heißt es in einem Lehrbuch zur Quantentheorie, der Schlüssel
zum Verständnis dieser Experimente bestehe „in einer Abkehr von der
verbreiteten Praxis, sich vom ‚gesunden Menschenverstand‘ auch außerhalb
solcher Gebiete leiten zu lassen, in denen er sich herausgebildet [habe]“ 67.
Die uns so anschaulich erscheinende Physik Newtons und Maxwells kann
diese Experimente nicht mehr erklären. Jürgen Audretsch beschreibt die
Konsequenz, die die Physiker im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aus
diesem überraschenden Befund ziehen:
„Da sich die massiven Quantenobjekte so manifest anders verhalten, als wir es von Punktteilchen gewohnt sind, werden wir uns dazu berechtigt fühlen, von völlig neuen theoretisch-physikalischen Konzepten auszugehen und eine Theorie zu diskutieren, die sowohl
mathematisch wie in der Interpretation nur noch wenig Ähnlichkeit mit der Klassischen
Mechanik aufweist. Diese neue Theorie für den Quantenbereich ist die
Quantenmechanik.“68
67
68
G. L. Trigg, Experimente der modernen Physik. Schritte zur Quantenmechanik, 3.
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 24.
193
Sechstes Kapitel:
Aspekte der Quantentheorie und ihrer Deutung
Im Anschluß an das im vorangegangenen Kapitel beschriebene Doppelspaltexperiment lassen sich nun zentrale Aspekte der Quantenphysik noch einmal
verdeutlichen. Ausgehend vom sogenannten Welle-Teilchen-Dualismus (I.)
werden dazu im folgenden kurz die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation
und ihre Deutung erläutert (II.), die Eigenart des quantenmechanischen
Meßprozesses skizziert (IV.) und der quantentheoretische Indeterminismus
vorgestellt (IV.). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die hier getrennt beschriebenen Aspekte aufeinander verweisen und im Zusammenhang miteinander zu
betrachten sind. Darüber hinaus zeigt sich, daß der experimentell bewährte
und in sich stimmige Formalismus der Quantentheorie gleichwohl einen
Spielraum für unterschiedliche Interpretationen erlaubt. Der letzte Abschnitt
dieses Kapitels befaßt sich mit der Diskussion um die Vollständigkeit der
Quantentheorie und begründet, warum mit dieser Theorie trotz ihrer unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten, eine Rückkehr zu der Wirklichkeitsvorstellung, die meist mit der klassischen Physik verbundenen wurde, heute
definitiv ausschlossen werden muß (V.).
I. Welle-Teilchen-Dualismus
Der experimentelle Befund bei den Doppelspaltexperimenten zeigt, daß das
Verhalten von Licht einmal dem von Wellen, ein andermal dem von Teilchen
gleicht. Physiklehrbücher sprechen darum heute oft von einer „Doppelnatur“
des Lichts oder auch vom „Welle-Teilchen-Dualismus“. Bei der genaueren
Beschreibung dieser Dualität finden sich in den gängigen Lehrbüchern allerdings erstaunliche Unterschiede:
w Ein Teil der Autoren betont die Unentbehrlichkeit sowohl des Wellen- als
auch des Teilchenmodells: „Beide Modelle sind unerläßlich, sie bedürfen
der gegenseitigen Ergänzung.“1 Darum könne die Aufgabe „nicht eine
Entscheidung zwischen ihnen, sondern nur deren Vereinigung sein“2: „Das
Licht verhält sich wie eine Münze, die eine Vorder- und eine Rückseite hat.
Erst beide Seiten zusammen ergeben ein Gesamtbild der Münze.“3 Licht sei
ein Etwas, das sich der anschaulichen Beschreibung durch ein Modell
1
2
3
J. Schreiner, Physik, 212.
A.a.O., 213.
A.a.O., 212.
194
entziehe, darum müsse man „beide Modelle gleichzeitig nebeneinander
benutzen“4.
w Andere Autoren hingegen legen Wert darauf, daß Lichtquanten (Photonen)
weder auf Bahnen fliegende klassische Korpuskeln noch Wellen mit kontinuierlicher Energieverteilung seien: „Photonen sind weder Welle noch
Teilchen, sondern etwas Neues!“5 Dieses Neue wird dann verschiedentlich
sogar mit einem eigenen Namen bedacht (Wavicle, Quanton).6
w Wieder andere Physiker kritisieren überhaupt das „Modelldenken“, wonach
zur Beschreibung von Licht sich manchmal ein Teilchenmodell, manchmal
dagegen ein Wellenmodell als zweckmäßig erweise, als eine „rudimentäre,
simplifizierte Form“7 des Bohrschen Komplementaritätsgedankens (siehe
unten).
Bereits die hier zitierten unterschiedlichen Stellungnahmen deuten darauf hin,
daß sich hinter dem Welle-Teilchen-Dualismus tatsächlich der „Kern des
Interpretationsproblems der Quantenmechanik“8 verbirgt und daß die dadurch
aufgeworfenen Probleme bis heute nicht abschließend gelöst sind. Bei den
unterschiedlichen Deutungen des Welle-Teilchen-Dualismus zeigt sich insbesondere, daß die erkenntnistheoretische Frage nicht geklärt ist, worüber die
Quantentheorie eigentlich spricht.9 Sind Welle und Teilchen ein mehr oder
weniger angemessenes Modell der Wirklichkeit von Quantenobjekten? Sind
sie nur eine verzichtbare Veranschaulichung eines unanschaulichen mathematischen Formalismus? Würde nicht eine in sich widerspruchsfreie mathematische Theorie genügen, in der alles enthalten ist, was mittels Experiment und
Messung über die physikalische Wirklichkeit ausgesagt werden kann?
Die gängigen (insbesondere auch die oben zitierten) Interpretationen des
Dualismus gehen jedenfalls alle zurück auf die „Kopenhagener Deutung“10
der Quantentheorie, die Ende der zwanziger Jahre von Physikern um Niels
Bohr entwickelt wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei der von Bohr eingebrachte und von Max Born und anderen aufgegriffene Gedanke der Komplementarität. Teilchen- und Wellenbild verhalten sich demnach komplementär
zueinander:
„Ebenso wie alle sichtbaren Farben in Paare von Komplementärfarben angeordnet werden
können, die zusammen Weiß ergeben, so lassen sich alle physikalischen Vorgänge von
zwei Standpunkten aus betrachten, deren einer der Partikelvorstellung, der andere der
4
O. Höfling, Physik, Bd. 2, 730.
F. Dorn/F. Bader, Physik, 312; vgl. W. Kuhn, Physik, 298f.
6
Vgl. M. Stöckler, Neun Thesen zum Dualismus von Welle und Teilchen, 233.
7
K. Baumann/R. U. Sexl, Die Deutungen der Quantentheorie, 19, vgl. 6.
8
M. Stöckler, Neun Thesen zum Dualismus von Welle und Teilchen, 235.
9
Vgl. a.a.O., 235, 237.
10
Vgl. zur Interpretation der Kopenhagener Schule E. Scheibe, Die Kopenhagener Schule,
374–392, sowie ders., Die Kopenhagener Schule und ihre Gegner, 159–182.
5
195
Wellenvorstellung entspricht und die niemals miteinander in Widerspruch geraten, aber
beide notwendig sind zum vollen Verständnis der Naturvorgänge.“ 11
Wellen- und Teilchenbild können nicht in Widerspruch geraten, weil ihre
gleichzeitige Anwendung ausgeschlossen ist, sie also miteinander unvereinbar sind. Des weiteren bedürfen Wellen- und Teilchenbild aber nach der
Kopenhagener Deutung der gegenseitigen Ergänzung „zum vollen Verständnis der Naturvorgänge“.12 Mit diesen Bildern will Bohr aber keineswegs
simple Veranschaulichungen des mathematischen Formalismus geben; im
Gegenteil ruft Bohr wiederholt in Erinnerung, „wie weit wir in der Quantentheorie außerhalb der Reichweite anschaulicher Bilder stehen“13. Die
Tragweite der anschaulichen Vorstellungen, die mit dem Teilchen- und
Wellenbild verbunden sind, läßt sich nur beurteilen, wenn man untersucht,
inwieweit diese Bilder mit dem experimentellen Befund übereinstimmen und
vom mathematischen Formalismus der Quantentheorie gedeckt sind. Dies
führt weiter zur bekannten Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation.
II. Die Unbestimmtheitsrelation
1. Im Experiment gleichzeitig unbeobachtbare Größen
Läßt sich vielleicht durch ein Experiment entscheiden, ob das Lichtquant
Welle oder Teilchen ist? Wenn das Lichtquant ein klassisches Teichen wäre,
dann müßte sich beim Doppelspaltexperiment auch sein Weg durch die
Versuchsanordnung – von der Lichtquelle bis zur Photoplatte – verfolgen
lassen, das heißt, man müßte dem Lichtquant auch eine „Bahn“ zuschreiben
können. Pascual Jordan diskutiert die Frage, auf welchem Weg das Lichtquant
von der Lichtquelle auf die Photoplatte gelangt, und erläutert in diesem
Zusammenhang, was mit der „Bahnvorstellung“ gefordert wäre:
„Wir haben früher hervorgehoben, daß eine selbstverständliche Voraussetzung unserer
klassischen Galilei-Newtonschen Mechanik in der Überzeugung liegt, daß ein physikalischer Körper nicht anders von einem Orte zu einem zweiten gelangen kann, als unter
Durchlaufung einer stetig zusammenhängenden Bahn zwischen diesen Punkten.“ 14
11
M. Born, Philosophische Betrachtungen zur modernen Physik, 50.
Demnach versteht die Kopenhagener Deutung die Quantentheorie als vollständige
Theorie, das heißt: „1. Die Quantentheorie beschreibt die Wirklichkeit, nicht nur unsere
Kenntnisse von ihr. [...] 2. Die Quantentheorie beschreibt die Wirklichkeit vollständig, eine
kausale Ergänzung ist nicht möglich“ (H. Gärtner, Nicht-lokale Realität oder was ist
Wirklichkeit? 69). – Vgl. dazu auch den 6. Kap. V.
13
N. Bohr, Diskussion mit Einstein über erkenntnistheoretische Probleme in der
Atomphysik, 111.
14
P. Jordan, Atom und Weltall, 83.
12
196
Die exakte Beschreibung der Bahn eines Teilchens verlangt, daß man in
jedem Ort zugleich auch einen Geschwindigkeits- und damit einen Impulsvektor exakt angeben kann. Ist dies nun bei einem Lichtquant möglich, kann
man seinen individuellen Weg durch die Apparatur verfolgen? Kann man
insbesondere entscheiden, ob ein Lichtquant durch den rechten oder durch
den linken Spalt geflogen ist? Jordan schreibt dazu:
„Wir können uns vornehmen, wirklich unbedingt erfahren zu wollen, durch welche
Öffnung das Lichtquant hindurchgegangen ist. Dann aber müssen wir [...] darauf verzichten, eine Interferenz der beiden Strahlen zu erhalten. Denn wir können, wenn dies jetzt
unsere Absicht ist, nichts wesentlich anderes machen, als etwa, daß wir ganz grob die eine
der Schirmöffnungen zuschließen, um dann gewiß zu sein, daß ein durchgegangenes
Lichtquant tatsächlich nur durch die andere Öffnung geflogen sein kann. Es gibt tatsächlich keine experimentelle Möglichkeit, uns irgendwie zu vergewissern, durch welche
Öffnungen das Lichtquant hindurchgeflogen ist, ohne gleichzeitig die Bedingungen des
Experimentes so abzuändern, daß die Interferenz der beiden Strahlen verhindert wird.“ 15
Zwingt man das Lichtquant, seinen Ort preiszugeben, indem man nur einen
Spalt geöffnet hält, so ist zwar sein Durchgangsort bekannt, aber es
verschwindet sofort das beim Doppelspaltexperiment typische Interferenzmuster auf dem Schirm, beziehungsweise auf der Photoplatte. Bleiben dagegen
beide Spalte geöffnet, so bleibt zwar unbestimmt, wie das Lichtquant die
Spalte passiert – welche „Bahn“ es durchläuft – aber es sind wieder die
beschriebenen Interferenzmuster beobachtbar. Dies besagt aber, daß bei
Doppelspaltexperimenten gerade die experimentellen Messungen nicht durchgeführt werden können, mit denen man nachweisen könnte, daß es sich bei
einem Lichtquant um ein klassisches Teilchen handelt, das ein bestimmte
nachvollziehbare Bahn durchläuft. Versucht man es dennoch, so ist es – wie
von Jordan beschrieben – kein Doppelspaltexperiment mehr.
Was Jordan hier für Lichtquanten feststellt, gilt grundsätzlich für alle Mikroobjekte, auch für Elektronen und für die vergleichsweise schweren
Neutronen. Der Experimentalphysiker Anton Zeilinger schreibt bezüglich den
im Jahr 1988 von ihm und anderen durchgeführten Experimenten mit Neutronen am Doppelspalt:
„Wir haben [...] keinerlei Wissen darüber, welchen Spalt das Neutron passiert hat. Ja, wir
können nicht einmal behaupten, daß wir wüßten, das Neutron sei mit Sicherheit nur durch
einen der beiden Spalte oder durch beide Spalte gleichzeitig gegangen!“ 16
2. Begrenzte Anwendbarkeit anschaulicher Begriffe
In eine Grundlegung der Quantentheorie, in der erklärtermaßen „nur die
beobachtbaren Größen eine Rolle spielen sollten“17, darf aufgrund des gerade
15
16
17
A.a.O., 108.
A. Zeilinger, Fundamentale Experimente mit Materiewellen und deren Interpretation, 74.
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 77.
197
beschriebenen experimentellen Befundes keine Kenntnis darüber eingehen,
welchen der beiden Spalte das Quantenobjekt passiert hat. Sucht man das
Phänomen der nicht gleichzeitigen Meßbarkeit bestimmter Observablen in
der mathematischen Formulierung der Quantentheorie, so stößt man auf die
Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation.18 Diese besagt insbesondere, daß
es beispielsweise unmöglich ist, Ort und Impuls eines Teilchens gleichzeitig
mit beliebiger Genauigkeit zu bestimmen. Mit Heisenbergs eigenen Worten in
seiner berühmten Abhandlung aus dem Jahr 1927:
„Im Augenblick der Ortsbestimmung [...] verändert das Elektron seinen Impuls unstetig.
Diese Änderung ist um so größer, [...] je genauer die Ortsbestimmung ist. In dem Moment,
in dem der Ort des Elektrons bekannt ist, kann daher sein Impuls nur bis auf Größen, die
jener unstetigen Änderung entsprechen, bekannt sein; also je genauer der Ort bestimmt ist,
desto ungenauer ist der Impuls bekannt und umgekehrt.“19 „Gäbe es Experimente“, so
Heisenberg weiter, „die gleichzeitig eine ‚schärfere‘ Bestimmung vom p [Impuls] und q
[Ort] ermöglichen [...], so wäre die Quantenmechanik unmöglich.“20
Nach Heisenbergs hier anklingender ursprünglichen Deutung der
Unbestimmtheitsrelation wird das beobachtete System durch die Messung
gestört („unstetige Änderung“), und die genaue Bestimmung der Lage eines
Teilchens führt deshalb zu einer Unbestimmtheit seines Impulses. Demnach
wäre der Impuls vor der Messung genauso bestimmt wie der Ort, nur wird er
eben durch die Messung unstetig verändert. Die Deutung der Unbestimmtheitsrelation als Folge einer Störung des Systems durch Messung gibt Heisenberg später auf. Er betrachtet nunmehr die Unbestimmtheit – entsprechend der
„Kopenhagener Deutung“ – als fundamentale Eigenschaft atomarer Systeme.
Diese Unbestimmtheit gilt nicht nur für Elektronen sondern für alle
Quantenobjekte, beispielsweise auch für Lichtquanten oder Neutronen. Mit
herkömmlichen Meßfehlern hat die Unbestimmtheitsrelation nichts zu tun.
Vielmehr gibt sie die mathematisch exakt bestimmten Grenzen an, die klassischen Begriffen wie zum Beispiel „Ort“, „Impuls“ oder „Bahn“, in der Mikrowelt gezogen sind.
III. Quantenmechanischer Meßprozeß
Beim klassischen Wurf eines Körpers kann durch eine geeignete Versuchsanordnung sowohl der Ort als auch die Geschwindigkeit des Körpers gleichzeitig exakt gemessen und damit die Bahn dieses Körpers beschrieben werden.
Die Messungen selbst haben im Rahmen der klassischen Physik keinen
18
Vgl. dazu E. Scheibe, Die Kopenhagener Schule und ihre Gegner, 166–169.
W. Heisenberg, Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und
Mechanik, 481.
20
A.a.O., 485f.
19
198
Einfluß auf das jeweilige Versuchsergebnis. Dies gilt innerhalb der Quantentheorie nicht mehr. Entsprechend der Unbestimmtheitsrelation legt das jeweilige Experiment hier fest, ob Ort oder Geschwindigkeit (beziehungsweise
Impuls) eines Quantenobjekts bestimmt werden kann. Bei einem Elektron
können wir Ort und Geschwindigkeit nicht simultan beliebig genau bestimmen: „Je genauer wir den Ort bestimmen, desto ungenauer ist in diesem
Augenblick die Geschwindigkeit bestimmbar und umgekehrt.“21 Damit
kommt aber dem quantenmechanischen Meßprozeß selbst besondere Bedeutung zu: Sobald nach der Messung etwa der Ort des Quantenobjekts exakt
bekannt ist, ist seine Geschwindigkeit (beziehungsweise sein Impuls) zu
ebendiesem Zeitpunkt nicht exakt bekannt.
Diese Aussage läßt sich – wie schon der Welle-Teilchen-Dualismus – bezüglich des Wirklichkeitsverständnisses der Physik unterschiedlich interpretieren:
Sind vor der Messung Impuls und Ort nur unbekannt und zumindest für die
heutige Quantentheorie unbestimmbar – oder sind sie tatsächlich unbestimmt,
das heißt, ist der exakte Ort und Impuls nicht existent? Ist des weiteren nach
der Messung des Ortes der Impuls nur unbekannt, weil er unbestimmbar –
oder weil er unbestimmt ist? Sind alle diese Fragen für den Physiker
überhaupt von Belang?
Für Heisenberg und die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie findet
während des Beobachtungsaktes ein Übergang vom Möglichen zum Faktischen statt. Man könne sagen, so schreibt Heisenberg, nachdem er seine
„Störungstheorie“ aufgegeben hat, daß dieser
„Übergang vom Möglichen zum Faktischen stattfindet, sobald die Wechselwirkung des
Gegenstandes mit der Meßanordnung, und dadurch mit der übrigen Welt, ins Spiel gekommen ist. Der Übergang ist nicht verknüpft mit der Registrierung des Beobachtungsergebnisses im Geiste des Beobachters. Die unstetige Änderung [...] findet allerdings statt durch
den Akt der Registrierung; denn hier handelt es sich um die unstetige Änderung unserer
Kenntnis im Moment der Registrierung [...].“22
Für Jürgen Audretsch, der in seiner Darstellung der Quantentheorie strikt
zwischen dem mathematischen Formalismus und seiner Deutung unterscheiden will, drückt die Unbestimmtheitsrelation in Bezug auf ein Quantenobjekt
aus, „daß diesem Objekt vor einer Messung im allgemeinen weder die Eigenschaft Ort noch die Eigenschaft Impuls zugesprochen werden kann. Es
handelt sich also – so werden wir interpretieren – um Unbestimmtheit im
Sinne von Abwesenheit und nicht um die Unschärfe einer an sich vorhandenen Eigenschaft.“23 Audretsch betrachtet (interpretiert) es darum als eine
Konsequenz aus der Unbestimmtheitsrelation, daß ein Quantenobjekt vor der
Messung im allgemeinen weder einen definierten Ort noch einen definierten
Impuls hat. Erst nach der Messung liegt dann eine dieser Eigenschaften fest,
wohingegen die jeweils andere völlig unbestimmt, das heißt abwesend ist.24
21
22
23
24
W. Heisenberg, Über die Grundprinzipien der „Quantenmechanik“, 21.
Ders., Physik und Philosophie, 38.
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 33.
Vgl. a.a.O., 38.
199
Diese heute gängige Interpretation führt aber unmittelbar zu weiteren Fragen:
Was geschieht im Augenblick der Messung? Wie ist die plötzliche Veränderung, die zur Festlegung einer zuvor nicht existenten physikalischen
Eigenschaft des Quantenobjekts führt, genauer zu verstehen? Was geschieht
zwischen zwei Beobachtungen? Gerade die damit zusammenhängenden
Fragen kann die Quantentheorie zumindest bis heute nicht beantworten. Weil
diese Fragen nicht beantwortbar sind – oder weil die Quantentheorie noch
nicht vollständig ist? Weil „die Wirklichkeit“ tatsächlich eine „Quantenwelt“
ist – oder weil die physikalische Wirklichkeit uns die möglicherweise ganz
anders strukturierte „tatsächliche Wirklichkeit“ als Quantenwelt erscheinen
läßt?
Audretsch jedenfalls resümiert, daß wir „nur Aussagen über die Meßergebnisse [haben], aber [...] nicht viel darüber [wissen], wie sie zustande
kommen“25. Trotz ihren großen Erfolgen habe darum die „Quantenmechanik
noch keine endgültige Form angenommen“26. Genau an diesem Punkt gibt es
in der heutigen Quantentheorie offensichtlich einen Spielraum für sehr unterschiedliche Interpretationen, die sich bislang in aller Regel aber einer experimentellen Überprüfung im Labor entziehen. Während Audretsch hier von
einer „Lücke“ der Quantentheorie spricht und es als Aufgabe betrachtet, diese
Lücke im Rahmen einer umfassenderen Theorie zu schließen,27 erachtet etwa
der Physiker John Gribbin schon die Frage, was zwischen zwei Messungen
liege, für „völlig sinnlos“ und für eine Verkennung der Quantentheorie:
„Manchmal findet man Dinge im Zustand A, manchmal im Zustand B, und die Frage, was
dazwischen liegt oder wie sie vom einen in den anderen Zustand gelangen, ist völlig
sinnlos. Dies ist das wirklich fundamentale Merkmal der Quantenwelt. Es ist interessant,
daß unsere Kenntnis davon, was ein Elektron tut, wenn wir es betrachten, begrenzt ist,
aber es ist absolut umwerfend, festzustellen, daß wir überhaupt keine Ahnung davon
haben, was es tut, wenn wir es nicht betrachten.“ 28
Sicher ist jedoch, daß die bei der Messung feststellbare Veränderung damit zu
tun hat, daß das beobachtete System mit einem Meßgerät verbunden wird und
mit diesem in Wechselwirkung tritt. Bei klassischen Systemen spielt diese
Kopplung keine Rolle, die Messung kann als eine einseitige Einwirkung des
Meßobjekts auf das Meßgerät verstanden werden. Bei Quantensystemen
hingegen, bilden messende Apparatur und gemessenes Objekt eine neues
„maßgebliches“ System. Das ursprüngliche Quantensystem, das gemessen
werden soll, kann nicht mehr als abgeschlossen betrachtet werden. Aber was
ist nun alles in das „Gesamtsystem“ miteinzubeziehen? Nur die Meßgeräte
oder auch den das Meßgerät registrierenden Beobachter? Wo verlaufen die
Grenzen zwischen Meßobjekt, Meßgerät und Beobachter? Ist jede Grenzziehung weitgehend willkürlich?29 Bohr weist wiederholt darauf hin, daß in der
25
26
27
28
29
A.a.O., 41.
Ebd.
Vgl. a.a.O., 36, 42.
J. Gribbin, Das Prinzip der Unbestimmtheit, 107.
Diese Auffassung vertritt J. v. Neumann; vgl. dazu K. Baumann/R. U. Sexl, Deutungen
200
Quantenphysik „jede Beobachtung einen Eingriff in der Verlauf der Erscheinungen [fordere]“30, und er erinnert in diesem Zusammenhang „an die alte
Wahrheit [...], daß wir sowohl Zuschauer als Teilnehmer in dem großen
Schauspiel des Daseins [seien]“31. Wolfgang Pauli faßt demgemäß zusammen:
„Die Beobachter oder Beobachtungsmittel, welche die moderne Mikrophysik in Betracht
ziehen muß, unterscheiden sich demnach wesentlich von dem losgelösten Beobachter der
klassischen Physik. Unter letzterem verstehe ich einen solchen, der zwar nicht notwendig
ohne Wirkung auf das beobachtete System ist, dessen Einwirkung aber jedenfalls durch
determinierbare Korrekturen eliminiert werden kann. In der Mikrophysik ist dagegen jede
Beobachtung ein Eingriff von unbestimmbarem Umfang sowohl in das Beobachtungsmittel wie in das beobachtete System und unterbricht den kausalen Zusammenhang der ihr
vorausgehenden mit den ihr nachfolgenden Erscheinungen.“ 32
Paulis Hinweis auf die Unterbrechung des kausalen Zusammenhanges führt
uns weiter zum Indeterminismus in der Quantenphysik.
IV. Der Indeterminismus der Quantentheorie
1. Reproduzierbarkeit und Determiniertheit innerhalb der klassischen Physik
Das „Credo“ des in der klassischen Physik waltenden Determinismus ist in
der berühmten Schrift von Pierre Simon de Laplace „Philosophischer Versuch
über die Wahrscheinlichkeit“ (1812) formuliert:
„Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als die Ursache des folgenden Zustands betrachten. Eine Intelligenz, welche für
einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige
Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennte, und überdies umfassend genug wäre,
um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die
Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts
würde ihr ungewiß sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen
liegen.“33
Diese Konzeption der Welt übertrifft sogar noch das newtonsche mechanistische Weltbild, das von Zeit zu Zeit des Eingriffes Gottes bedurfte, um die
gestörte Ordnung wiederherzustellen.34 Der Determinismus von Laplace stellt
im 19. Jahrhundert für die Physik das angestrebte und zumindest für die
Himmelsmechanik auch weitgehend realisierte Ideal dar. Wie der Eingriff
Gottes, so soll auch jeglicher Zufall aus der Physik ausgeschlossen bleiben.
der Quantentheorie, 19–22.
N. Bohr, Die Atomtheorie und die Prinzipien der Naturbeschreibung, 697.
31
A.a.O., 699.
32
W. Pauli, Die philosophische Bedeutung der Idee der Komplementarität, 15.
33
P. S. de Laplace, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, 1f.
34
Vgl. dazu E. Dijksterhuis, Die Mechanisierung des Weltbildes, 548.
30
201
Zufall ist in dieser Perspektive nichts weiter als der „Ausdruck unserer
Unkenntnis der wahren Ursachen“35. Bemerkenswerterweise nimmt Laplace
in seiner Abhandlung auch ausdrücklich auf atomare Vorgänge Bezug – und
wie noch bei Ernest Rutherford zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelten für ihn
im Großen wie im Kleinen, im Planetensystem wie im Atom selbstverständlich dieselben Gesetzmäßigkeiten:
„Die von einem einfachen Luft- oder Gasmolekül beschriebene Kurve ist in eben so sicherer Weise geregelt wie die Planetenbahnen: es besteht zwischen beiden nur der Unterschied, der durch unsere Unwissenheit bewirkt wird.“ 36
Ist das physikalische Gesetz bekannt, das einem in der Natur sich abspielenden Vorgang zugrunde liegt, so kann der entsprechende physikalische
Vorgang quantitativ vorausgesagt werden. Als exemplarischer Fall derartiger
Prognosen gilt im 18. und 19. Jahrhundert die exakte Vorausberechnung der
Wiederkehr des Kometen Halley, dessen plötzliches Erscheinen im 15.
Jahrhundert noch Furcht und Schrecken ausgelöste. Darüber hinaus können
nun aber in einem physikalischen Experiment „die Naturgesetze in den Dienst
menschlicher Ziele“37 gestellt werden. Als ein wesentliches Element der
klassischen Physik wird dabei die Reproduzierbarkeit der Experimente und
der jeweiligen Versuchsergebnisse betrachtet. Das gleiche Experiment unter
exakt gleichen Bedingungen ausgeführt, würde demnach exakt dasselbe
Ergebnis ergeben. Die strenge Gültigkeit des Kausalgesetzes, wonach gleiche
Ursachen unter ein und denselben Bedingungen stets exakt gleiche Wirkungen hervorrufen, hätte insbesondere zur Folge, daß der Ablauf physikalischer
Vorgänge als vollständig determiniert betrachtet werden könnte.
2. Grenzen des Determinismus in der Quantentheorie
Reproduzierbarkeit und Determiniertheit physikalischer Experimente
aufgrund des Kausalgesetzes bilden eine wesentliche Grundlage der klassischen Physik. Werden durch die Quantentheorie Determinismus und Kausalgesetz beseitigt? Die verschiedenen Interpretatoren der Quantentheorie
zeichnen hier – zumindest auf den ersten Blick – ein sehr widersprüchliches
Bild. So meint beispielsweise Wolfgang Marx, die Beiträge von Physikern
und Philosophen in einem dem Thema „Determinismus-Indeterminismus“
gewidmeten Sammelband dahingehend zusammenfassen zu können, daß in
der physikalischen Wissenschaft „der Determinismus unumgänglich [sei]“38.
Allerdings reiche der „traditionelle, reichlich simple Kasualismus“39 nicht
35
P. S. de Laplace, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, 1.
A.a.O., 3.
37
C. Gerthsen/H. O. Kneser/H. Vogel, Physik, 1f.
38
W. Marx (Hg.), Determinismus, Indeterminismus: philosophische Aspekte physikalischer
Theoriebildung, 7.
39
Ebd.
36
202
mehr aus, der Überkomplexität der Phänomene, wie sie heute gegeben sind,
zu entsprechen. Indessen stellt etwa Günther Ludwig in ebendieser Veröffentlichung fest, die moderne Physik habe sich „längst vom Determinismus gelöst
und sich statistischen Naturgesetzen zugewandt“40. Für Peter Richter
wiederum ist an anderer Stelle „die Quantenmechanik nicht weniger deterministisch als die Newtonsche Mechanik“41. Für Jürgen Audretsch dagegen liegt
„im Quantenbereich charakteristischerweise kein deterministisches Verhalten
mehr [vor]“, er erachtet es vielmehr als unvermeidliche Konsequenz, daß es
im Quantenbereich den „absoluten Zufall“42 gibt. Peter Mittelstaedt vertritt
die Auffassung, daß das Komplementaritätsprinzip und die Unbestimmtheitsrelation zu Folge haben, „daß für den Beobachter die Kausalität verloren
geht“43; da Ort und Impuls bei Quantenobjekten nur gemeinsam unscharf
bestimmt werden können, „gibt es keine strenge Kausalität [...] mehr“44.
Dieses widersprüchliche Bild ergibt sich bereits aus den Aussagen der
Begründer der Quantentheorie. Für Max Planck gilt, daß „die Physik [...] auf
allen ihren Gebieten, die strenge Gültigkeit des Kausalgesetzes
zugrundelegt“45, Louis de Broglie erkennt in der Quantenmechanik eine
„Kausalität ohne Determinismus“46, für Johann von Neumann fällt im
Rahmen der gegebenen Bedingungen die Entscheidung gegen Kausalität,47
und Werner Heisenberg macht in der Quantentheorie zumindest „ein gewisses
Versagen des Kausalgesetzes“48 aus. Niels Bohr neigte dem Indeterminismus
in der Quantentheorie zu und sprach von einer totalen Unterbrechung in der
kausalen Beschreibung.49 Max Born lehnte zwar gleichfalls eine deterministische Deutung der Quantenmechanik ab, versuchte aber den Begriff der
Kausalität auch für die moderne Physik zu retten.50
Die Beispiele für die hier skizzierte Begriffsverwirrung könnten beliebig
vermehrt werden. Physiker nehmen sie in der Regel kaum wahr, fühlen sich
jedenfalls durch sie nicht sonderlich gestört. Auch eine extreme diesbezügliche Ansicht macht Born zufolge „nicht viel aus bei Erörterungen zwischen
40
G. Ludwig, Ist der Determinismus eine Grundvoraussetzung für Physik? 69.
P. Richter, Chaos: Das Weltbild der deterministischen Physik in der Krise, 118. Richter
scheint hier allerdings nur die Schrödingerische Version (und Interpretation) der Quantentheorie im Blick zu haben.
42
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 28.
43
P. Mittelstaedt, Objektivität und Realität in der Quantenphysik, 134.
44
Ebd.
45
M. Planck, Kausalgesetz und Willensfreiheit, 156; vgl. ders., Die Kausalität in der Natur,
256: „Zusammenfassend können wir sagen: Während in der Sinnenwelt die Voraussage eines
Ereignisses immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist, verlaufen im physikalischen
Weltbilde alle Ereignisse nach bestimmten angebbaren Gesetzen, sie sind kausal streng determiniert.“
46
L. de Broglie, Die Elementarteilchen, 68.
47
Vgl. J. v. Neumann, Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik, 157–172, insbes.
170.
48
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 143.
49
Vgl. E. Scheibe, Die Kopenhagener Schule und ihre Gegner, 165f.
50
Vgl. M. Born, Physik und Metaphysik, 103f.
41
203
Gelehrten, die genau wissen, über was sie sprechen. Sie ist aber gefährlich,
wenn sie gebraucht wird, um Nichtwissenschaftlern die jüngsten Ergebnisse
der Naturwissenschaft zu erläutern.“51 Gestört, ja provoziert fühlen sich offensichtlich hier insbesondere auch Philosophen. Von Physikern vertretene „sehr
merkwürdige Meinungen“ werden schnell als „absurd“52 bezeichnet. Dies
alles zeigt nur einmal mehr, wie notwendig Physiker und Nichtphysiker auf
gegenseitige Vermittlung angewiesen sind. Insbesondere wird deutlich, daß
sich eine philosophische Interpretation der Physik zunächst um ein Verständnis des physikalischen Sachverhalts bemühen muß. Viele Mißverständnisse
können dadurch vermieden beziehungsweise ausgeräumt werden.
Im vorliegenden Fall ist wiederum ein Blick auf das beschriebene
Doppelspaltexperiment nützlich, um zu klären, inwiefern sich die Quantentheorie von der klassischen Physik im Hinblick auf „Determinismus“ beziehungsweise „Indeterminismus“ unterscheidet. Das Bild auf der Photoplatte
hinter den beiden Spalten baut sich aus einzelnen geschwärzten Körnern
zusammen. Dadurch werden die scharf lokalisierten Stellen angezeigt, an
denen ein einzelnes Lichtquant aufgetroffen ist. Der Auftreffpunkt eines
einzelnen Lichtquants kann beim Doppelspaltversuch – in Übereinstimmung
mit der Unbestimmtheitsrelation – nicht vorhergesagt werden. Das bedeutet
aber, daß das Doppelspaltexperiment bezüglich der Auftreffpunkte einzelner
Lichtquanten nicht reproduzierbar ist, daß mithin das Verhalten eines einzelnen Lichtquants nicht streng determiniert ist.
Die sich beim Doppelspalt ergebende Gesamtstruktur der Verteilung ist
hingegen durch die jeweilige Versuchsanordnung vorgegeben, das heißt
determiniert. Damit ist beispielsweise auch vorgegeben, an welchen Stellen
überhaupt keine und an welchen anderen Stellen Lichtquanten gehäuft auftreffen werden. Dies bedeutet aber, daß der Auftreffpunkt des Lichtquants zwar
nicht streng determiniert, aber auch nicht einfach beliebig ist. Mit Hilfe des
Formalismus der Quantentheorie läßt sich vielmehr exakt die Wahrscheinlichkeit für die einzelnen Auftreffpunkte des Lichtquants angeben: Die Gesamtverteilung ist streng determiniert, die einzelnen Quantenlokalisationen
erfolgen stochastisch. Genau dies ist gemeint, wenn gesagt wird, daß wir „in
der Quantenmechanik prinzipiell auf Wahrscheinlichkeitsaussagen angewiesen [sind]“53.
Ein anderes sehr anschauliches Beispiel für diese Art des Indeterminismus der
modernen Physik ist der radioaktive Zerfall. Für jedes radioaktive Nuklid gibt
es eine charakteristische Zeit, nach deren Ablauf die Hälfte der vorhandenen
Nuklide zerfallen ist (die Halbwertszeit). Obwohl sich das Zerfallsgesetz
eines radioaktiven Nuklids in präziser mathematischer Form darstellen läßt,
ist es unmöglich, auch eine Aussage über den exakten Zerfallszeitpunkt eines
bestimmten Atomkerns zu machen. Darüber sind wieder nur Wahrscheinlich51
52
53
A.a.O., 104.
A. Anzenbacher, Einführung in die Philosophie, 261.
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 28.
204
keitsaussagen möglich. Dieses Beispiel wird auch von Werner Heisenberg im
Zusammenhang mit der Diskussion des Kausalgesetzes beschrieben:
„Nehmen wir an, wir hätten es mit einem einzelnen Atom der Sorte Radium B zu tun [...].
Dann wissen wir also, über kurz oder lang wird das Radium B-Atom in irgendeiner
Richtung ein Elektron aussenden und damit in ein Radium C-Atom übergehen. Im Mittel
wird das nach einer knappen halben Stunde geschehen, aber das Atom kann sich ebensogut schon nach Sekunden oder erst nach Tagen umwandeln. [...] Aber wir können, und
darin äußert sich eben ein gewisses Versagen des Kausalgesetzes, beim einzelnen Radium
B-Atom keine Ursache dafür angeben, daß es gerade jetzt und nicht früher oder später
zerfällt, daß es gerade in dieser Richtung und nicht in einer anderen das Elektron aussendet.“54
Nun gibt es auch schon im Rahmen der klassischen Physik Fälle, bei denen
man sich statistischer Gesetze bedient, da die genaueren Gesetzmäßigkeiten
der beteiligten Objekte entweder noch nicht bekannt oder zu kompliziert zu
berechnen sind. Heisenberg verdeutlicht, daß es sich in der Quantenphysik
nicht um diese Art von Wahrscheinlichkeitsaussagen handelt, indem er unmittelbar im Anschluß an die eben zitierte Stelle betont, daß die Physiker aus
vielen Gründen überzeugt seien, daß es eine Ursache für einen bestimmten
Zeitpunkt des Zerfalls und eine bestimmte Richtung der Aussendung des
Elektrons gar nicht gebe und sie deshalb grundsätzlich nicht gefunden werden
könne. Heisenberg hält somit die Kenntnis vom Zustand des Radium
B-Atoms vor der Aussendung des Elektrons für vollständig:
„Denn aus anderen Experimenten, die wir auch mit diesem Radium B-Atom anstellen
können, geht hervor, daß es keine weiteren Bestimmungsstücke dieses Atoms geben kann
als jene, die wir schon kennen. [...] Die Natur teilt uns also mit, daß es die umstrittenen
Bestimmungsstücke gar nicht gibt, daß unsere Kenntnis schon ohne neue Bestimmungsstücke vollständig ist.“55
Nach dem Gesagten erklären sich die widersprüchlichen Stellungnahmen zum
Indeterminismus und zur Gültigkeit des Kausalgesetzes in der Quantenphysik
zum größten Teil als Versuche, ein und denselben physikalischen Befund
auszudrücken. Versteht man unter Kausalität das Prinzip, daß jede Wirkung
eine ihr zeitlich vorausgehende Ursache haben muß, so bleibt dieses Kausalitätsprinzip auch in der Quantenphysik gewahrt. Aber die Beziehung zwischen
Ursache und Wirkung besteht nun nicht mehr in dem Sinn, daß eine
bestimmte Ursache eine ganz bestimmte, streng determinierte Wirkung zur
Folge hat. Insofern ist es berechtigt, vom Indeterminismus der Quantenphysik
zu sprechen. Wo terminologische Unterschiede ausgeräumt sind, zeigt sich
freilich, daß es tiefgreifende Unterschiede gibt, wie der beschriebene Indeterminismus der Quantentheorie zu beurteilen ist. Dies führt weiter auf die Frage
nach der nun schon mehrfach angesprochenen Vollständigkeit der Quantentheorie.
54
55
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 143.
A.a.O., 143f.
205
V. Diskussionen um die Vollständigkeit der Quantentheorie
1. Das EPR-Gedankenexperiment
Auch als die Quantentheorie in den dreißiger Jahren immer neue experimentelle Bestätigungen aufweisen kann und sie sich unter der großen Mehrheit
der Physiker durchzusetzen beginnt, stehen ihr einige angesehene Physiker
weiterhin skeptisch gegenüber. Zu ihnen zählen Physiker der älteren Generation, insbesondere Albert Einstein. Dabei betont Einstein wiederholt, daß er
an der „Richtigkeit“ von Unbestimmtheitsrelation und Quantentheorie nicht
zweifele. Auch wird von ihm das Zutreffen der Unbestimmtheitsrelation „mit
Recht als endgültig erwiesen betrachtet“56, und er qualifiziert die Quantentheorie sogar als „einzige gegenwärtige Theorie, welche die Erfahrungen über
den Quantencharakter der mikromechanischen Vorgänge einheitlich zu
begreifen gestattet“57. Einstein kritisiert aber die vermeintliche Gewißheit
vieler Physiker, mit der Quantentheorie die „physikalische Realität“ bereits
vollständig und endgültig beschrieben zu haben.
In einem Brief an Max Born äußert Albert Einstein im Hinblick auf die
Wechselwirkung von Licht mit einem Elektron sein Unbehagen an der
Quantentheorie mit deutlichen Worten:
„Der Gedanke, daß ein einem Strahl ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluß den
Augenblick und die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir unerträglich. Wenn
schon, dann möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter in einer Spielbank sein als
Physiker.“58
Dies zeigt, daß Einstein – und mit ihm bis heute eine Reihe weiterer Physiker
– nicht gewillt ist, den Indeterminismus der Quantentheorie schon als endgültig hinzunehmen. Der „statistische Charakter der gegenwärtigen Theorie“,
wie Einstein einmal etwas abfällig feststellt, ist für ihn damit – ganz im Sinne
von Laplace – nur Ausdruck der „Unvollständigkeit der Beschreibung der
Systeme in der Quantenmechanik“59. Einstein schätzt die Quantentheorie an
anderer Stelle als „richtige Theorie statistischer Gesetze“ ein, die „aber eine
unzutreffende Auffassung der einzelnen Elementarprozesse sein [dürfte]“60 –
56
A. Einstein, Bemerkungen zu den in diesem Bande vereinigten Arbeiten, 234.
Ders., Autobiographisches, 30.
58
A. Einstein/H. und M. Born, Briefwechsel, 118.
59
A. Einstein, Autobiographisches, 32; vgl. ders., Bemerkungen zu den in diesem Bande
vereinigten Arbeiten, 234: „Ich bin sogar fest davon überzeugt, daß der grundsätzlich statistische Charakter der gegenwärtigen Quantentheorie einfach dem Umstande zuzuschreiben ist,
daß diese mit einer unvollständigen Beschreibung der physikalischen Systeme operiert.“
60
A. Einstein/A. Sommerfeld, Briefwechsel, 112.
57
206
gerade letztere gelten aber, wie wir gesehen haben, im Rahmen der Quantentheorie als indeterminiert.
Zugleich mit dem Indeterminismus kann Einstein auch dem „anscheinend
sprunghafte[n] Charakter der Elementarvorgänge“61 allenfalls vorläufigen
Charakter zubilligen. Noch im Jahr 1946 schreibt er in einem Brief an Arnold
Sommerfeld, daß er „allen Ernstes immer noch [glaube], daß schließlich die
Klärung der Basis der Physik vom Kontinuum aus erfolgen [werde]“62, und
offensichtlich rechnet er in der Tradition von Leibniz nach wie vor mit „einer
erschöpfenden Darstellung der physischen [sic] Realität auf der Grundlage
des Kontinuums“63. So ist Einstein schließlich „geneigt zu glauben, daß [...]
die Beschreibung der Quanten-Mechanik als eine unvollständige und
indirekte Beschreibung der Realität anzusehen sei, die später wieder durch
eine vollständige und direkte ersetzt werden wird“ 64.
Ein wichtiger Grund für Einsteins skeptische Beurteilung der Quantentheorie
ist neben deren Indeterminismus, „daß die Physiker, welche die Beschreibungsweise der Quanten-Mechanik für prinzipiell definitiv halten, [...] die
Forderung [...] von der unabhängigen Existenz des in verschiedenen RaumTeilen vorhandenen physikalisch-Realen fallen lassen“65. Einstein selbst
findet freilich im Unterschied dazu „nirgends eine Tatsache, die es mir als
wahrscheinlich erscheinen läßt, daß man die Forderung aufzugeben habe“66.
Auf dieser Forderung beruht auch ein Gedankenexperiment, das im Jahr 1935
gemeinsam von Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen veröffentlicht wird (EPR-Experiment).67
Gemäß der Unbestimmtheitsrelation können an einem Quantenobjekt nur Ort
oder Impuls in einem bestimmten Zeitpunkt exakt ermittelt werden. Dem
EPR-Experiment liegt nun die Idee zugrunde, daß die Messung, die uns die
Kenntnis von Ort oder Impuls des Quantenobjekts vermitteln soll, gar nicht
unmittelbar an dem uns interessierenden Objekt selbst ausgeführt wird. Dazu
stellt man sich vor, daß ein ruhendes Teilchen (der Gesamtimpuls ist damit
Null) in zwei gleiche Teile S1 und S2 explodiert und auseinanderfliegt. Aus
61
A. Einstein, Autobiographisches, 33.
A. Einstein/A. Sommerfeld, Briefwechsel, 121.
63
A. Einstein, Autobiographisches, 35 (Anm. 2).
64
A. Einstein/H. und M. Born, Briefwechsel, 234. Hier deutet sich auch an, daß Einstein die
Quantentheorie für unvollständig und nicht für vervollständigbar hielt. An ihre Stelle würde
eine ganz andere, umfassendere Theorie treten, die sich zur Quantentheorie vielleicht so
verhielte, wie diese zur klassischen Physik. Andere Kritiker der gegenwärtigen Quantentheorie – die „Unorthodoxen“ wie z. B. David Bohm oder Franco Selleri – halten dagegen eine
Ergänzung der Quantentheorie durch lokale oder nicht-lokale „verborgene Parameter“ für
möglich; vgl. dazu W. Meißner, Wie tot ist Schrödingers Katze? 214–231, sowie C. F. v.
Weizsäcker, Zeit und Wissen, 903–909.
65
A. Einstein/H. und M. Born, Briefwechsel, 234.
66
Ebd; vgl. A. Einstein, Autobiographisches, 4.
67
A. Einstein/B. Podolsky/N. Rosen, Kann man die quantenmechanische Beschreibung der
physikalischen Wirklichkeit als vollständig betrachten? (1935), 80–86. In vorliegender Arbeit
wird das EPR-Experiment in etwas abgewandelter und vereinfachter Form skizziert; vgl. zum
folgenden auch A. Einstein, Autobiographisches, 30–33.
62
207
der Messung des Impulses von S1 läßt sich somit zunächst einmal der Impuls
von S2 im Augenblick der Messung von S1 exakt berechnen, ohne daß an S2
direkt eine Messung durchgeführt werden würde.
Einstein hält nun im folgenden an der erwähnten Forderung fest, daß „der
reale Sachverhalt (Zustand) des Systems S2 ist unabhängig davon [ist], was
mit dem von ihm räumlich getrennten System S1 vorgenommen wird.“68 Dies
bedeutet nun insbesondere, daß eine Messung an S1 ohne Auswirkung auf
eine Messung an S2 sein soll. Dies vorausgesetzt kann man im Augenblick der
Impulsmessung von S1 zugleich den Ort von S2 exakt messen. Für S2 sind
damit in einem Augenblick Ort und Impuls durch direkte Messung (Ort)
beziehungsweise durch Berechnung (Impuls) exakt bestimmbar. Exakter Ort
und exakter Impuls zur gleichen Zeit müssen darum nach Einstein als „ein
Element der physikalischen Realität“69 betrachtet werden.
Für die Vollständigkeit einer Theorie fordern Einstein, Podolsky und Rosen,
daß nun auch „jedes Element der physikalischen Realität [...] seine Entsprechung in der physikalischen Theorie haben [muß]“70. Exakter Ort und exakter
Impuls zur gleichen Zeit haben aber prinzipiell keine Entsprechung in der
Quantentheorie. Damit ist für Einstein, Podolsky und Rosen erwiesen, daß es
Elemente der physikalischen Realität gibt, die von der Quantentheorie nicht
erfaßt werden können, mithin ist diese nicht vollständig.
Für Einstein ist das programmatische Ziel aller Physik aber „die vollständige
Beschreibung der naturgesetzlich möglichen realen Sachverhalte“71. Weil bei
den quantentheoretischen Theorien diese Vollständigkeit nicht gegeben ist,
zwingen sie Einstein „zwar zur Bewunderung, riechen [ihm] aber nicht nach
der Wirklichkeit“72. Äußert sich in Einsteins Haltung nur ein naiver Realismus? Begegnet hier noch einmal in konzentrierter Form, die unbekümmerte
Einstellung der Pioniere der klassischen Physik? Carl Friedrich von Weizsäkker jedenfalls mutmaßt, daß sich in einer derartigen Sicht nur „der Wunsch
der Rückkehr zur einfachen klassischen Ontologie“73 ausspricht.
2. Bestätigung der Nicht-Lokalität der Quantentheorie
Im Jahr 1982 von Alain Aspect und seinen Mitarbeitern realisierte „EPR-Experimente“ erbrachten nun inzwischen den Nachweis, daß die beiden (möglicherweise schon weit voneinander entfernten) Quantenobjekte S1 und S2,
68
A. Einstein, Autobiographisches, 32.
A. Einstein/B. Podolsky/N. Rosen, Kann man die quantenmechanische Beschreibung der
physikalischen Wirklichkeit als vollständig betrachten? 81.
70
Ebd.
71
A. Einstein, Bemerkungen zu den in diesem Bande vereinigten Arbeiten, 235.
72
A. Einstein/A. Sommerfeld, Briefwechsel, 108. Einsteins philosophisches Präjudiz sollte
man aus diesem Grund weniger als „deterministisch“ bezeichnen, sondern als „realistisch“,
wie Wolfgang Pauli zurecht feststellt; vgl. dazu W. Meißner, Wie tot ist Schrödingers Katze?
212.
73
C. F. v. Weizsäcker, Zeit und Wissen, 907.
69
208
obgleich sie über keinerlei Mechanismus miteinander wechselwirken, trotzdem miteinander in Beziehung stehen.74 Die beispielsweise an S1 vorgenommene Impulsmessung beeinflußt demnach im selben Augenblick das Ergebnis
einer möglichen Messung an S2 und schließt vor allem auch eine gleichzeitige Ortsmessung an S2 aus. Die damit gegebene Korrelation von Meßergebnissen widerlegt die Voraussetzung des EPR-Experiments, daß die Messungen
an S1 und S2 unabhängig voneinander durchgeführt werden können.
Dieses von Aspect nachgewiesene nichtlokale Einflußnehmen – man spricht
darum auch von der „Nicht-Lokalität“ der Quantentheorie – kann auf der
Grundlage der klassischen Physik nicht erklärt werden, stimmt aber mit den
theoretischen Voraussagen der Quantentheorie präzise überein.75 Im übrigen
hat schon Niels Bohr in seiner Erwiderung auf das EPR-Experiment festgestellt, daß die gesamte Versuchsanordnung das jeweilige Objekt definiere. Da
es sich bei einer Impulsmessung und einer Ortsmessung um verschiedene
Versuchsanordnungen handle, handle es sich auch jeweils um Objekte mit
anderen Eigenschaften: je nach Versuchsanordnung haben die beiden Objekte
einmal nur einen exakten Ort ein andermal nur einen exakten Impuls.76
Zurecht werden die Experimente von Aspect heute als wiederum glänzende
Bestätigung der Quantentheorie beurteilt – da sie aber nur bestätigen, wovon
ohnehin die große Mehrheit der Physiker längst überzeugt ist, wurden diese
Experimente in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Spätestens seit den
Experimenten von Aspect ist jedenfalls einer einfachen Rückkehr zu den
Vorstellungen der klassischen Physik der Weg abgeschnitten. Eine bessere
Theorie als die Quantentheorie muß auch das nunmehr erwiesene und
klassisch unerklärliche „nicht-lokale Einflußnehmen“ berücksichtigen.
Vielleicht wird einmal noch eine derartige allen experimentellen Befunden
genügende Alternative gefunden werden – wahrscheinlich erscheint dies
gegenwärtig nicht. Eine einfache (lokale) Alternative zur Quantentheorie, wie
sie Einstein fordert, muß heute ausgeschlossen werden.77
74
Vgl. A. Aspect/P. Grangier/G. Roger, Experimental Realization of Einstein-Podolsky-Rosen-Bohm Gedankenexperiment: A New Violation of Bell’s Inequalities, in: Physical Review
Letters 49 (1982), 91–94; sowie A. Aspect/J. Dalibard/G. Roger, Experimental Test of Bell’s
Inequalities Using Time-Varying Analyzers, in: Physical Review Letters 49 (1982),
1804–1807.
75
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 51f, weist aber darauf hin, daß heutige EPR-Experimente keineswegs beweisen können, daß im Sinne eines populär gewordenen Holismusbegriffes „in der Welt alles mit allem zusammenhängt“, da es eines großen experimentellen
Aufwandes bedarf, um Quantenobjekte in EPR-Experimenten entsprechend zu präparieren.
Außerdem eigenen sich EPR-Experimente nicht zum Informationsaustausch. Die NichtLokalität der Quantentheorie steht damit nicht in Widerspruch zur Relativitätstheorie, vgl.
dazu K. Mainzer, Naturphilosophie und Quantenmechanik, 270, sowie M. Lambeck, Physik
und New Age (II), 19–22. Vgl. auch die deutlich andere Beurteilung von M. Esfeld, Der
Holismus und die Quantenphysik: seine Bedeutung und seine Grenzen, 181, der eine „behutsame Einstellung in der Frage nach der Reichweite des Quanten-Holismus“ vorschlägt.
76
Vgl. N. Bohr, Diskussion mit Einstein über erkenntnistheoretische Probleme in der
Atomphysik, 111–114.
77
Vgl. J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 59, sowie K. Mainzer, Naturphilosophie und
209
Sind die quantenstatistischen Gesetze und die damit gegebene „Auflockerung
der kausalen Zusammenhänge“ in der Mikrophysik, „das letzte, was es gibt“,
da sie eine „in der Natur selbst liegende Unbestimmtheit“78 ausdrücken – oder
stellen diese Gesetze nur einen vorübergehenden Behelf dar, bis es fundamentalere physikalische Gesetze einmal erlauben werden, zu einem „vollen
kausalen Verständnis der physikalischen Vorgänge“79, das heißt zum strengen
Determinismus der klassischen Physik zurückzukehren? Wird es im Rahmen
einer alternativen nichtlokalen Theorie einmal möglich sein, die quantenphysikalischen Gesetze „deterministisch“ zu ergänzen oder zu überbieten?
Obwohl dies immerhin denkbar ist, spricht Jürgen Audretsch für die ganz
überwiegende Mehrheit der heutigen Physiker, wenn er feststellt, daß es zu
den theoretischen Konzepten der Quantenmechanik auf lange Sicht keine
Alternative gebe.80
Quantenmechanik, 252, 265f, 270.
O. Höfling, Physik, 1024.
79
A.a.O., 1023.
80
Vgl. J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 59.
78
210
Siebtes Kapitel:
Ausgangssituation für den gegenwärtigen Dialog
zwischen Physik und Theologie
Das sich gegenüber der klassischen Physik gewandelte Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik bestimmt maßgeblich die veränderte Gesprächssituation im gegenwärtigen Dialog zwischen Physik und Theologie. Im folgenden
Kapitel wird zunächst im Rückblick auf die Relativitäts- und Quantentheorie
die Veränderung in der physikalischen Vorstellung von Wirklichkeit noch
einmal zusammenfassend dargestellt (I.). So wenig wie von der klassischen,
so führt auch von der modernen Physik kein unmittelbarer und zwingender
Weg zur Religion. Sofern sich aber Physiker der Religion zuwenden, prägt
dieses veränderte Wirklichkeitsverständnis offensichtlich auch die Stellungnahmen zu religiösen Fragen in charakteristischer Weise. Dies wird in diesem
Abschnitt anhand entsprechender Äußerungen von Max Planck, Albert
Einstein und Werner Heisenberg aufgezeigt (II.). Der Rückgriff auf diese an
der Entwicklung der modernen Physik maßgeblich beteiligten Physiker bietet
sich an, da bei diesen Physikern noch ein feineres Gespür für die Tragweite
des Umbruches von der klassischen zur modernen Physik feststellbar ist als
bei der jüngeren Physikergeneration, für die Relativitäts- und Quantentheorie
längst zum Standardwissen gehören. Darüber hinaus stehen Planck, Einstein
und Heisenberg bis heute stellvertretend für die Physiker, die in wohltuendem
Gegensatz zu den gegenwärtig den Dialog mit der Theologie dominierenden
Physikern nie als Physiker zu religiösen Fragen Stellung nehmen, sondern
nachdrücklich die Notwendigkeit einer „reinlichen Scheidung von Religion
und Naturwissenschaft“1 betonen. Ihre gleichwohl von ihrer Physik geprägten
und nur vor dem Hintergrund dieser Physik verständlichen Fragen und Erwartungen an die Theologie bedeuten für den Dialog zwischen Theologie und
moderner Physik eine noch nicht bewältigte Herausforderung (III.). Das
Kapitel endet mit sechs Feststellungen, die von der Theologie vor dem Dialog
mit der modernen Physik zu bedenken sind und die das Ergebnis der vorliegenden Arbeit zusammenfassen (IV.).
1
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 75.
211
I. Gewandeltes Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik
„Die Vorstellung von der Wirklichkeit in der physikalischen Welt ist im
Laufe der letzten 100 Jahre etwas problematisch geworden“2, schreibt Max
Born im Jahr 1953 mit unverkennbarer ironischer Untertreibung. Im Rahmen
der klassischen Physik gilt die physikalische Wirklichkeit als objektiv erfahrbar, meßbar, berechenbar und damit beherrschbar. Insbesondere die exakte
Vorausberechnung der Planetenbahnen geben den Physikern bis ins 20.
Jahrhundert hinein die Gewißheit, daß sie mit den Gesetzen der klassischen
Physik eine von ihnen selbst unabhängig existierende Wirklichkeit beschreiben. Erkenntnistheoretische Fragen, die die Erkennbarkeit der „Außenwelt“
und eines „Dinges an sich“ problematisieren, treffen bei den meisten Physikern dieser Zeit weder auf Verständnis noch auf Interesse: Aufgrund von
Beobachtung und Experiment gefundene physikalische Gesetze beschreiben
für sie zweifellos die „Wirklichkeit an sich“. Erst recht ist den klassischen
Physikern der Gedanke fremd, daß das jeweilige Experiment konstitutiv für
die zu erkennende Wirklichkeit sein könnte. Weithin unbestritten ist dagegen
die „Vorstellung einer objektiven, realen Welt, deren kleinste Teile in der
gleichen Weise objektiv existieren wie Steine und Bäume, gleichgültig, ob
wir sie beobachten oder nicht“3. Physik kann sich darum „die vollständige
Beschreibung der naturgesetzlich möglichen realen Sachverhalte“4 zum Ziel
setzen.
Bereits mit der Relativitätstheorie, mehr aber noch mit der Quantentheorie
beginnt sich dieses „unmittelbare“ Wirklichkeitsverständnis in der Physik zu
wandeln. „Das naive Angreifen des Problems der Wirklichkeit, das während
der klassischen oder Newtonschen Periode so erfolgreich gewesen war, hat
sich als unzureichend erwiesen“5, konstatiert Born. Physiker machen die
Erfahrung, daß sich fortschreitender physikalischer Erkenntnis zum Trotz die
Wirklichkeit ihrem Zugriff entzieht. Unversehens sieht sich die Physik damit
einem „Realismusproblem“6 konfrontiert. Vorliegende Arbeit zeigte, daß sich
im Anschluß an die Relativitäts- und Quantentheorie eine Reihe von Anstößen ergibt, zu überdenken, was die Physik eigentlich meint, wenn sie von
„Wirklichkeit“ spricht:
w Die physikalische Wirklichkeit ist unanschaulich:7 Bereits die spezielle
Relativitätstheorie demonstriert, daß anschauliche Vorstellungen der physikalischen Wirklichkeit immer weniger genügen können. Konstanz der
Lichtgeschwindigkeit unabhängig vom Bezugssystem, relativistische
2
M. Born, Physikalische Wirklichkeit, 145.
So charakterisiert W. Heisenberg, Die Entwicklung der Deutung der Quantentheorie, 439,
die Einstellung aller Gegner der Quantentheorie.
4
A. Einstein, Bemerkungen, 235.
5
M. Born, Physikalische Wirklichkeit, 146.
6
Vgl. dazu L. Arendes, Gibt die Physik Wissen über die Natur? Das Realismusproblem in
der Quantenmechanik.
7
Vgl. 3. Kap. IV. 5. vorliegender Arbeit.
3
212
Massenveränderung, Bezugssystemabhängigkeit von Längen- und Zeitintervallen und damit auch die Relativierung der Gleichzeitigkeit sind
anschaulich nicht vorstellbar. Darüber hinaus lassen die Relativitätstheorien
und die Quantenmechanik keinen Zweifel mehr daran, daß physikalische
Gesetze, die sich in „menschlichen“ (klassischen) Dimensionen bewähren,
nicht unbesehen auf astronomische und atomare Dimensionen übertragen
werden dürfen. Die Physiker sehen sich damit zu einer Abkehr von der
verbreiteten Praxis veranlaßt, „sich vom ‚gesunden Menschenverstand‘
auch außerhalb solcher Gebiete leiten zu lassen, in denen er sich herausgebildet hat“8. Die Quantentheorie nötigt sie, sich von einem „Ding bzw.
Dingbegriff zu lösen, der nach den Bedürfnissen der sinnlichen Anschauungsfähigkeit des Menschen konzipiert war“9.
w Geometrische Aussagen erlauben keine notwendigen Rückschlüsse auf die
Struktur der physikalischen Wirklichkeit: Bis zur allgemeinen Relativitätstheorie scheint die euklidische Geometrie gegenüber den im 19. Jahrhundert entwickelten nichteuklidischen Geometrien dadurch ausgezeichnet zu
sein, daß sich ihre Aussagen mit der uns umgebenden physikalischen
Wirklichkeit decken. Da Einstein in der allgemeinen Relativitätstheorie
erfolgreich eine nichteuklidische Geometrie zugrunde legen kann, stellt
sich die Frage nach dem Verhältnis von axiomatischen geometrischen
Systemen und physikalischer Wirklichkeit völlig neu. Für Rudolf Carnap
zeigt die allgemeine Relativitätstheorie, „daß Geometrie, im a-priori-Sinn
genommen, uns nichts über die Realität sagt“, insbesondere nichts über die
„geometrische Struktur der Welt“10.
w Der Wirklichkeitsmodus der Eigenschaften von Quantenobjekten ist nicht
geklärt: Im Zusammenhang mit der Quantentheorie stellt sich dann die
Frage nach der Wirklichkeit der Eigenschaften eines Quantenobjekts vor
der Messung. Es ist das Besondere der Quantentheorie, daß sie ein gemessenes Quantenobjekt ganz anders als ein ungemessenes beschreibt. Das
gemessene Objekt hat einen bestimmten Wert für die gemessenen Eigenschaften wie Ort oder Impuls. Das ungemessene Quantenobjekt „besitzt“
dagegen in der der Quantentheorie zugrunde liegenden mathematischen
Darstellung nicht einen bestimmten, sondern alle möglichen Werte für
seine Eigenschaften. Quantenphysiker sehen sich dadurch vor die Frage
gestellt, was diese Art der mathematischen Darstellung bezüglich der
Wirklichkeit aussagt: „Sind die Attribute der ungemessenen Atome
vielwertig, verwaschen, nicht-existent oder einfach unbekannt?“ 11
8
G. L. Trigg, Experimente der modernen Physik, 3.
W. Marx, Determinismus, Indeterminismus: philosophische Aspekte physikalischer
Theoriebildung, 8.
10
R. Carnap, Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaft, 183; vgl. dazu 3. Kap. V.
3. vorliegender Arbeit.
11
N. Herbert, Quantenrealität, 11.
9
213
w Die moderne Physik stößt auf eine Grenze der Objektivierbarkeit: Auch
gemessene Objekte begegnen in der Quantenphysik anders als in der klassischen Physik: „In den atomphysikalischen Experimenten tritt niemals das
Atom in dem Sinne als ein ganzes Ding in Erscheinung wie etwa ein
Hammer.“12 Gemäß der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation kann
beispielsweise nur der Ort oder der Impuls eines Quantenobjekts exakt
bestimmt werden. In sich gegenseitig ausschließenden Experimenten wird
darüber entschieden, welche Eigenschaften des Objekts in Erscheinung
treten und welche nicht. Nach Niels Bohr bedeutet damit in der Quantenphysik „jede Beobachtung einen Eingriff in den Verlauf der
Erscheinungen“13.
In der Bewertung gerade dieses letzten Punktes gehen die Meinungen der
Physiker freilich weit auseinander. Carl Friedrich von Weizsäcker sieht
infolge
der
Unbestimmtheitsrelation
eine
„Modifikation
des
Realitätsbegriffes“ mit „revolutionäre[m] Charakter“14, weil damit die
absolute Trennung von Subjekt und Objekt, auf der die klassische Physik
beruhe, nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Gerade die moderne
Physik überwinde damit den im 20. Jahrhundert von Philosophen so
vehement kritisierten Ansatz der dualistischen Ontologie René Descartes‘.15
„[Der] Verzicht auf die Cartesische Ontologie [ist] Vorbedingung des
Verständnisses der modernen Physik“16, schreibt Weizsäcker, denn „[vom]
Objekt kann hier nicht getrennt vom Subjekt geredet werden“17.
In einem Sri Chandrasekharendra Sarasvati gewidmeten Aufsatz zieht
Weizsäcker weitreichende Schlüsse aus der so veränderten Wirklichkeitsvorstellung der Quantentheorie: „Ich werde die Behauptung aufstellen, die
heutige Physik habe eine Philosophie zur Konsequenz, die der neuzeitlichen
12
C. F. v. Weizsäcker, Einstein und Bohr. Der Streit um den Realitätsbegriff des Physikers,
209.
13
N. Bohr, Die Atomtheorie und die Prinzipien der Naturbeschreibung, 697, vgl. dazu 6.
Kap. III. vorliegender Arbeit.
14
C. F. v. Weizsäcker, Einstein und Bohr. Der Streit um den Realitätsbegriff des Physikers,
209.
15
Ders., Beziehungen der theoretischen Physik zum Denken Heideggers, 243–245, stellt
insbesondere eine Beziehung zwischen der „Denkbewegung“ Martin Heideggers in „Sein
und Zeit“ und der modernen theoretischen Physik fest, wenn es auch keine sichtbare
Wechselwirkung zwischen beiden gebe. Gemeinsam sei aber beiden „die entschiedene
Abwendung von demjenigen Bilde der Wirklichkeit, das in der ‚klassischen Physik‘ seine
vielleicht geschlossenste Gestalt angenommen hatte“ (243f). Heidegger kritisiert die cartesische Ontologie und sieht in deren Destruktion eine Vorbedingung für seine Fundamentalontologie. Die cartesische Ontologie ist nach Weizsäcker zugleich auch Grundlage der
gesamten klassischen Naturwissenschaft; eine Vorbedingung des Verständnisses der modernen Physik ist damit gleichfalls der Verzicht auf die dualistische cartesische Ontologie (vgl.
dazu auch C. F. v. Weizsäcker, Heidegger und die Naturwissenschaft, 308–322; ders., Wer
ist das Subjekt in der modernen Physik? 125–138).
16
Ders., Beziehungen der theoretischen Physik zum Denken Heideggers, 245.
17
Ebd.; vgl. ders, Heidegger und die Naturwissenschaft, 313: „Man kann in der Quantentheorie ein mögliches Ereignis nur noch in bezug auf einen möglichen Beobachter definieren.
Die Subjekt-Objekt-Beziehung wird hier, zum erstenmal in der neuzeitlichen Physik, thematisch.“
214
westlichen Tradition des Denkens in Vielheiten entgegengesetzt ist, und diese
Philosophie sei die einzige mögliche Auflösung der scheinbaren Paradoxien
der Quantentheorie.“18 Diese aus quantentheoretischen Vorstellungen
folgende Philosophie sieht Weizsäcker in großer Nähe zur indischen
Vedanta-Philosophie.19 David Bohm geht sogar noch einen Schritt weiter,
wenn er feststellt, daß die Relativitätstheorie und die Quantentheorie in der
Notwendigkeit übereinstimmen, „die Welt als ein ungeteiltes Ganzes
anzuschauen, worin alle Teile des Universums einschließlich dem Beobachter
und seiner Instrumente zu einer einzigen Totalität verschmelzen und sich
darin vereinigen“20.
Andere Physiker sind gegenüber derart weitreichenden Schlußfolgerungen
ungleich zurückhaltender und keineswegs geneigt, in der Wechselwirkung
von Meßgerät und Quantenobjekt bereits das Subjekt-Objekt-Verhältnis der
philosophischen Tradition thematisiert zu sehen. Wolfgang Pauli hält sogar
die „Zielvorstellung einer Überwindung der Gegensätze, zu der auch eine
sowohl das rationale Verstehen wie das mystische Einheitserlebnis umfassende Synthese gehört, für den ausgesprochenen oder unausgesprochenen
Mythos unserer eigenen, heutigen Zeit“21.
Der Hinweis auf derart unterschiedliche Ausdeutungen der Quantentheorie
erfordert eine kurze grundsätzliche Besinnung auf das Verhältnis der zweifellos bewährten und bestätigten modernen Physik zu ihren möglichen Interpretationen. Wie verhält sich die fast unumstrittene und erfolgreiche Physik zu
ihren teils äußerst umstrittenen Interpretationen? 22
Eine physikalische Theorie ist als ein interpretierter mathematischer Formalismus zu verstehen und besteht dementsprechend aus mathematischem
Formalismus und dessen Interpretation. Die mathematische Formulierung der
physikalischen Theorie kann beschrieben werden als ein System formaler
Symbole, das den Regeln der Mathematik folgt. Insbesondere bezüglich der
Quantenmechanik gibt es unterschiedliche mathematische Formulierungen,
die aber einander äquivalent sind.
18
Ders., Wer ist das Subjekt in der Physik? 126.
„Objekte und endliche Subjekte sind, was sie sind, nur für endliche Subjekte. Dies scheint
nicht weit entfernt zu sein von dem, was die Advaita-Lehre Maya nennt“ (a.a.O., 137). Die
monistische Advaita-Lehre, wonach alle Wirklichkeit eins und göttlich ist, geht auf den
Hindu-Philosophen Shankara (788–820 n. Chr.) zurück. Nur brahman, das Absolute, gilt hier
als real; die Welt der Sinne wird dagegen als widersprüchlich und traumhaft bezeichnet, weil
sie maya, d. h. Illusion und Täuschung ist.
20
D. Bohm, Fragmentierung und Ganzheit, 275.
21
W. Pauli, Die Wissenschaft und das abendländische Denken, 205. Im Unterschied zu C. F.
v. Weizsäcker ist W. Pauli, Die philosophische Bedeutung der Idee der Komplementarität,
16, davon überzeugt, daß die „Extrapolation [...] der Hindu-Metaphysik vom reinen Subjekt
des Erkennens, dem kein Objekt mehr gegenübersteht, [...] als unhaltbare Extrapolation
erkannt werden muß“.
22
Vgl. zum folgenden J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 17–19, sowie M. Wolff,
Naturwissenschaftliche Erkenntnis – Basis für ethische Entscheidungen? 3–14.
19
215
Ein mathematischer Formalismus leistet mit den Worten von Max Born „ganz
wunderbare Dienste in der Beschreibung komplizierter Dinge, ohne jedoch
viel zu einem wirklichen Verständnis der Vorgänge beizutragen“23. Das
gewünschte „wirkliche Verständnis der Dinge“ soll eben die Interpretation
ermöglichen. Unter der Interpretation des Formalismus versteht man in der
Physik „seine Abbildung in die Wirklichkeit durch Angabe dessen, was
zumindest einigen Symbolen in der Natur bzw. im Experiment jeweils
entsprechen soll, wie also die mathematischen Endergebnisse der Theorie
physikalisch ‚zu lesen‘ sind“24. Gerade die moderne Physik und hier insbesondere wieder die Quantentheorie zeigen, daß diese Interpretation auf unterschiedliche Weise geleistet werden kann. Der Formalismus läßt sich mit
unterschiedlichen Bildern und Vorstellungen von Wirklichkeit verbinden.
Diese Ausgestaltung kann sehr sparsam vorgehen, möglichst eng auf den
mathematischen Ausdruck bezogen bleiben und auf Modelldenken weitgehend verzichten; die Ausgestaltung kann aber auch phantasievoll und
geradezu verschwenderisch geschehen, wobei dann im einzelnen freilich zu
untersuchen ist, inwieweit die jeweiligen Vorstellungen, Bilder und Modelle
noch vom zugrunde liegenden Formalismus getragen werden und inwieweit
sie zu Lasten der Interpretation gehen. Solange diese Interpretationen jedenfalls in Einklang mit dem mathematischen Formalismus und mit den experimentellen Daten stehen und in sich widerspruchsfrei bleiben, sind sie aus
physikalischer Perspektive alle möglich. Es gibt somit unterschiedliche
„Modelle der Welt, die mit der Quantentheorie verträglich sind“25, es gibt
„unterschiedlich[e] physikalisch[e] Weltbilder“26.
Nach Gerhard Vollmer geht es bei diesem Interpretationsstreit letztlich
darum, ob es eine vom Menschen unabhängige Welt gibt und ob und inwieweit die Physik diese Welt erkennen kann.27 Entsprechend stellt sich für
Günther Ludwig in diesem Zusammenhang die Frage, was in einer physikalischen Theorie reine Fiktion ist und was reale Strukturen der Welt widerspiegelt:
„Bei der Beantwortung dieser Frage unterscheiden sich die Geister trotz desselben Urteils
über die ‚Brauchbarkeit‘ einer physikalischen Theorie. Die Spanne der Meinungen reicht
vom Positivismus, der keine ‚Realitätsansprüche‘ an eine physikalische Theorie stellt bis
hin zu einem ‚naiven Realismus‘, der unkritisch ein realistisches Weltbild der Physik
meint ausmalen zu können.“28
In einer Arbeit über das „Realismusproblem in der Quantenmechanik“ unterscheidet Lothar Arendes als Extrempole zwischen Instrumentalisten, die den
23
M. Born, Philosophische Betrachtungen zur modernen Physik, 46.
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 18.
25
N. Herbert, Quantenrealität, 13.
26
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 18. J. Audretsch, Physikalische und andere
Aspekte der Wirklichkeit, 21–25, spricht auch von einer legitimen „Theorienpluralität“ (24)
in der Physik und der Freiheit in der Konstruktion physikalischer Theorien: „Tatsächlich
bedingen Experimente nur, daß eine zu entwerfende Theorie nicht mit ihnen in Widerspruch
steht. Darüber hinaus herrscht Freiheit in der Theorienkonstruktion.“
27
Vgl. G. Vollmer, Geleitwort, X–XII.
28
G. Ludwig, Ist der Determinismus eine Grundvoraussetzung für Physik? 63.
24
216
theoretischen Termen in einer physikalischen Theorie generell den Bezug auf
reale Objekte absprechen und Realisten, die „eine vom menschlichen Bewußtsein unabhängig existierende Welt [postulieren], über welche sie mittels
experimentell getesteter Theorien objektive Erkenntnisse zu geben
beanspruchen“29.
Da ein mathematischer Formalismus erst durch Interpretation zur physikalischen Theorie wird, kann beim Umgang mit den Theorien der modernen
Physik auf Interpretation gar nicht verzichtet werden. Damit ist aber immer
auch eine erkenntnistheoretische Stellungnahme impliziert. Zurecht weist
Klaus Mainzer darauf hin, daß jeder Physiker bei seiner alltäglichen Arbeit im
Labor, Hörsaal oder Schreibtisch einen philosophischen Hintergrund habe:
„Die schlechteste Position ist diejenige, die sich dessen nicht bewußt ist.“30
Obgleich die zumindest implizite Bewertung verschiedener Interpretationen
damit unverzichtbarer Teil des Umganges mit Physik ist, betont Jürgen
Audretsch, daß diese Bewertung nicht Teil der Physik selber ist:
„Kriterien für eine Bewertung gibt es in großer Zahl. Ihre systematische Ausarbeitung und
Gewichtung ist Aufgabe einer Meta-Physik, die heute ihren Platz in Wissenschaftstheorie
bzw. Naturphilosophie gefunden hat.“ 31
Der Mathematiker Manfred Wolff nennt beispielsweise (ohne Anspruch auf
Vollständigkeit) sieben solche Bewertungskriterien für naturwissenschaftliche
Theorien, „die heute mehr oder weniger bewußt angewendet werden“32.
In unserem Zusammenhang kann es nicht darum gehen, in diesem „quantentheoretischen Universalienstreit“33 Stellung zu beziehen. Aber es soll noch
einmal kurz zusammengefaßt werden, was nach jahrzehntelangen Diskussionen über Deutungen der modernen Physik und insbesondere der Quantentheorie als fast einhelliger Konsens unter Physikern festgehalten werden kann:
w Spätestens mit der Quantentheorie ist der selbstverständliche „naive“
anschauliche Wirklichkeitsbezug physikalischer Theorien zerbrochen; die
Wirklichkeit der Physik wird als problematisch erkannt, es gibt in der
Physik ein „Realismusproblem“.
29
L. Arendes, Gibt die Physik Wissen über die Natur? 1; vgl. H. Römer, Naturgegeben oder
frei erfunden? Wieviel Freiheit gibt es in der Physik? 220–232.
30
K. Mainzer, Naturphilosophie und Quantenmechanik, 251
31
J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 19.
32
M. Wolff, Naturwissenschaftliche Erkenntnis – Basis für ethische Entscheidungen? 13.
Als diese sieben Kriterien zählt Wolff auf: „1. Tatsachenkonformität 2. Rationalität 3.
Einfachheit 4. Experimenteller Gehalt, Reichweite 5. Sinnstiftungsgehalt, Erklärungsgehalt
6. Theoretischer Gesamtüberhang 7. Fruchtbarkeit“ (a.a.O., 14). Wolff betont ebd., daß die
Reihenfolge dieser Kriterien zufällig sei und kein Kriterium vollständig präzisiert werden
könne. Vgl. dazu auch die im einzelnen etwas veränderte Kriterienliste, die Wolff anderenorts vorlegt (Das Naturverständnis des Naturwissenschaftlers und seine Verwendung im
ethischen Argument, 49).
33
E. Rudolph, Naturgesetz und gegenständliche Realität, 12.
217
w Lokal realistische Interpretationen der Quantentheorie sind inzwischen
experimentell widerlegt. Eine Rückkehr zu den der klassischen Physik
zugrunde liegenden Vorstellungen ist damit ausgeschlossen.
w Abgesehen davon gibt es eine breite Skala möglicher Deutungen der
Quantentheorie. Spricht man noch in den ersten Jahrzehnten des 20.
Jahrhunderts in der Verlängerung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse von
dem naturwissenschaftlichen Weltbild oder der wissenschaftlichen
Weltauffassung,34 so zeigt sich mittlerweile, daß die allgemeinste physikalische Theorie (die Quantentheorie) Raum läßt für ganz unterschiedliche
„physikalische Weltbilder“. Weniger denn je kann heute von dem physikalischen Weltbild oder der naturwissenschaftlichen Weltanschauung die
Rede sein.
w Alle gängigen Deutungen der Quantentheorie treffen dieselben physikalisch
nachprüfbaren Aussagen;35 experimentell kann darum nicht über ihre
Richtigkeit entschieden werden. Im Alltag gemeinsamer physikalischer
Arbeit können unterschiedliche Deutungen problemlos miteinander koexistieren, da der jeweilige mathematische Formalismus als gemeinsame
Kommunikationsbasis dienen kann. Es erscheint darum angemessener im
Rahmen der Physik anstatt von einem Interpretationsstreit einem im
Vollzug der Physik nicht mehr als problematisch empfundenen Interpretationspluralismus oder sogar von einem Interpretationsrelativismus zu
sprechen. In abgewandelter Form läßt sich hier Borns bereits im vorigen
Kapitel erwähntes Diktum anwenden: auch eine extreme Deutung der
Quantentheorie stört kaum bei Erörterungen unter Fachphysikern, die
genau wissen, über was sie sprechen. Sie kann aber gefährlich werden,
wenn sie Nichtphysikern als jüngstes Resultat der Naturwissenschaft
präsentiert wird.36
Im Hinblick auf den Dialog von Theologie und Physik ist festzuhalten, daß es
in diesem Dialog selbstverständlich nicht darum gehen kann, in irgendeiner
Weise den bewährten mathematischen Formalismus der Quantentheorie in
Zweifel zu ziehen. Auch die gängigen physikalischen Interpretationen der
Quantentheorie sind ohne unmittelbare Bedeutung für die Theologie. Ob ein
Physiker beispielsweise die Eigenschaften eines Quantenobjekts vor der
Messung als unbestimmt, unbekannt, vielwertig, verwaschen oder was auch
immer betrachtet, ist aus theologischer Perspektive ohne direkten Belang.
Es gibt nun allerdings auch einige mögliche, in sich widerspruchsfreie Interpretationen der Quantentheorie „mit sehr hohen ontologischen Kosten“37.
34
E. Haeckel, Die Welträthsel, 384, will der „vernünftigen Weltanschauung Ausdruck
geben, welche uns durch die neueren Fortschritte der einheitlichen Naturerkenntniß mit
logischer Nothwendigkeit aufgedrungen wird“; vgl. auch 3. Kap. V. vorliegender Arbeit.
35
Vgl. J. Audretsch, Eine andere Wirklichkeit, 18. Selbst D. Bohm, Vorschlag einer
Deutung der Quantentheorie durch „verborgene“ Variable, 163, stellt fest, daß die von ihm
vorgeschlagene, höchst ungewöhnliche Deutung der Quantentheorie „zu genau denselben
Ergebnissen für alle physikalischen Prozesse führt wie die übliche Deutung“.
36
Vgl. M. Born, Physik und Metaphysik, 104
37
K. Mainzer, Naturphilosophie und Quantenmechanik, 253.
218
Dazu zählt beispielsweise die von Hugh Everett entwickelte
„Mehrfachwelten-Interpretation“.38 Diese Interpretation nimmt eine unendliche Zahl paralleler, aber nicht beobachtbarer Welten an, die wiederum von
unendlich vielen Individuen bewohnt werden, die mit uns jeweils mehr oder
weniger identisch sind. Möglicherweise könnte diese Deutung – ihr Zutreffen
vorausgesetzt – unmittelbar einige problematische theologische Fragen
aufwerfen. Im Dialog zwischen Theologie und Physik ist aber auch hier
zunächst die Bewertung dieser Deutung von Interesse. Dabei dürfte der
Hinweis genügen, daß diese wie manch andere hypertrophe Deutung moderner physikalischer Theorien zwar in der Öffentlichkeit großes Interesse erregt,
aber unter Physikern als „mit überflüssigem metaphysischen Ballast
befrachtet“39 und schlicht als „nicht überprüfbar“40 gilt und sich darum in der
Physik schon aufgrund pragmatischer Kriterien (sparsame Verwendung
physikalisch nicht verifizierbarer Annahmen) nicht als besonders plausible
Deutung aufdrängt.
Wichtiger sind die mittelbaren Auswirkungen der modernen Physik auf den
Dialog von Theologie und Physik. Hier zeigt sich, daß die veränderte Sicht
der Wirklichkeit die Stellungnahmen der Physiker zu Fragen der Religion
nachhaltig beeinflußt.
II. Physiker des Umbruches zu Fragen der Religion
1. Vorbemerkung: Kein apologetischer Mißbrauch bedeutender Physiker
„Tatsächlich kann bisher kein christlicher Naturwissenschaftler sagen, was sein Glauben
mit seiner Wissenschaft zu tun hat. Es gibt keine Brücke zwischen beidem und schon gar
keine Bestätigung des Glaubens. Es gibt aber um so reichlicher den apologetischen
Mißbrauch der Wissenschaftler als Glaubenszeugen, die sie nicht sein können und meist
auch gar nicht sein wollen.“41
Dieser Feststellung von Eike Christian Hirsch ist in mehrfacher Hinsicht
zuzustimmen: Die beliebte Aufzählung bedeutender Naturwissenschaftler, die
zugleich Christen sind, weckt allenfalls die Frage, warum andere bedeutende
Naturwissenschaftler dann keine Christen sind.42 Eine Zusammenstellung
38
Vgl. dazu P. Mittelstaedt, Objektivität und Realität in der Quantenphysik, 153f; C. F. v.
Weizsäcker, Zeit und Wissen, 905–907; A. Bartels, Grundprobleme der modernen Naturphilosophie, 92f.
39
P. Davies, Der Geist im Atom, 50.
40
A.a.O., 51.
41
E. C. Hirsch, Das Ende aller Gottesbeweise? Naturwissenschaftler antworten auf die
religiöse Frage, 24.
42
Vgl. W. Trillhaas, Evangelische Predigtlehre. Vierte, durchgesehene Auflage, München
1955, 159.
219
gläubiger Naturwissenschaftler mitsamt ihren Biographien, Bekehrungserlebnissen und Bekenntnissen mag Christen das Gefühl guter Gesellschaft vermitteln, ist aber ohne Beweiskraft.43 Es gibt darüber hinaus keine zwingende
naturwissenschaftliche Bestätigung des christlichen Glaubens, es gibt nicht
die eine Brücke, die unmittelbar und notwendig von der Naturwissenschaft
zum Glauben führt.
Es gibt aber – um im vorgegebenen Bild zu bleiben – sehr viele verschiedene
Brücken, die gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnis mit ganz unterschiedlichen Weltbildern, Weltanschauungen und auch religiösen Überzeugungen verbinden können. Wenn sich nun ein Naturwissenschaftler Fragen
der Religion zuwendet, dann läßt sich sehr wohl fragen und feststellen, was
seine Sicht des Glaubens mit seiner Wissenschaft zu tun hat und wie sich in
naturwissenschaftlicher Forschung herausgebildete Denkweisen auswirken,
wenn sie sich mit religiösen Vorstellungen auseinandersetzen. Der Mathematiker und Astrophysiker Hermann Bondi betont beispielsweise, daß seine
„Haltung zur Religion etwas mit der kritischen, analytischen, ja, skeptischen
Einstellung zu tun hat, die man lernt, wenn man Naturwissenschaftler wird“44.
Auch für Niels Bohr bedeutet die intensive Beschäftigung mit der Atomphysik eine „Belehrung“, die nicht folgenlos bleibt, wenn man sich Fragen
jenseits der Physik zuwendet. Am Ende eines Vortrages über die „Einheit des
Wissens“ rechtfertigt er sich, warum er bei der Besprechung derart allgemeiner Fragen so häufig auf das begrenzte Wissensgebiet der Physik hingewiesen
habe. Er habe damit versucht, „eine allgemeine Einstellung anzudeuten, die
uns durch die eindringliche Belehrung, die wir in unseren Tagen auf diesem
Gebiete empfangen haben, nahegelegt wird“45. Bohr drückt sich hier
angemessen vorsichtig aus. Der Umgang mit moderner Physik nötigt gewiß
nicht zu konkreten Antworten, die Gebiete jenseits der Physik betreffen. Aber
er legt Bohr eine allgemeine Einstellung nahe, die sich beispielsweise auch in
der Auseinandersetzung mit Glaubensfragen widerspiegeln kann.
Wenn im folgenden die Einstellungen der drei Physiker Max Planck, Albert
Einstein und Werner Heisenberg zur Religion skizziert werden, geschieht dies
nicht in irgendeiner apologetischen Absicht, sondern um zu verdeutlichen,
daß sich aus den Stellungnahmen dieser Physiker Anfragen und Erwartungen
an die Theologie ergeben, die im Dialog zwischen Physik und Theologie aufgegriffen werden müssen. Entgegen ihrem verbreiteten Ruf als „Glaubens-
43
Vgl. z. B. nachfolgende Zusammenstellungen: O. Zöckler, Gottes Zeugen im Reiche der
Natur. Biographien und Bekenntnisse großer Naturforscher aus alter und neuer Zeit, Gütersloh ²1906; K. A. Kneller, Das Christentum und die Vertreter der neueren Naturwissenschaft.
Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts, 41912; E. Dennert, Die Religion der
Naturforscher. Auch eine Antwort auf Häckels „Welträtsel“, Leipzig 91925; H. Muschalek,
Gottesbekenntnisse moderner Naturforscher, Berlin ³1960; vgl. dazu auch H.-H. Jenssen,
Naturforscher und ihr Glaube. Sinn und Wert der Berufung auf die Glaubenszeugnisse
moderner Naturforscher, in: Die Christenlehre. Zeitschrift für den katechetischen Dienst 36
(1983), Heft 10.
44
H. Bondi, Wissenschaft als kritisches Kooperationsmodell, 57.
45
N. Bohr, Einheit des Wissens, 83.
220
zeugen“, erweisen sich diese Physiker somit bei genauerem Zusehen als
Herausforderer der Theologie.
Die hier getroffene kleine Auswahl der Physiker ist gewiß nicht repräsentativ
für die religiöse Einstellung heutiger Physiker insgesamt. Wie bereits in der
Einführung erwähnt, sehen sich gegenwärtig nur sehr wenige Physiker veranlaßt, zu religiösen Fragen überhaupt Stellung zu nehmen. Die folgende
Darstellung erhebt darum nur den Anspruch, charakteristische Einstellungen
unter Physikern wiederzugeben, wenn sie sich Fragen der Religion zuwenden.
Bewußt werden zudem mit Planck, Einstein und Heisenberg Physiker ausgewählt, die maßgeblich an der Grundlegung der modernen Physik beteiligt sind
und deren wissenschaftliche Arbeit aus den vorangegangenen Kapiteln der
vorliegenden Arbeit bekannt ist. Diesen Physikern des Umbruches sind die
Folgen des revolutionären Wandels in der modernen Physik deutlicher
bewußt, als den jüngeren Physikern, für die die Relativitäts- und die Quantentheorie bereits zum selbstverständlichen Bestand der Physik zählen.46 Dabei
kann auch deutlich werden, wie sich bestimmte Einstellungen im Wirklichkeitsverständnis der Physik von Planck und Einstein, die beide noch gewisse
Vorbehalte gegen bestimmte Deutungen der Quantentheorie anmelden, bis
hin zu Heisenberg allmählich entwickeln und sich dabei zugleich der Akzent
in der Beurteilung von Religion verschiebt.
2. Max Planck: Gott als naturgesetzliche Macht
Max Planck (1858–1947) zählt einerseits zur letzten Generation der klassischen Physiker: So vertritt er noch bei seiner Antrittsrede vor der Preußischen
Akademie der Wissenschaften im Jahr 1894 die Ansicht, daß sich die angestrebte Vereinheitlichung der Physik auf keinem Gebiet besser durchführen
lasse als in der Mechanik.47 Andererseits gibt Planck im Jahr 1900 durch die
Einführung des elementaren Wirkungsquantums den entscheidenden Anstoß
zur Entwicklung der Quantenphysik. Deren indeterministische Wahrscheinlichkeitsinterpretation kann Planck allerdings nur als etwas Vorläufiges
akzeptieren. „Der Gedanke, daß die Welt wie ein Uhrwerk gesetzmäßig
abschnurrt, hat auch für mich etwas Abstoßendes“, schreibt Planck 1941 an
Bernhard Bavink, „aber nicht weniger, ja viel mehr abstoßend ist mir der
entgegengesetzte Gedanke, daß in letzter Linie der blinde Zufall regiert“ 48.
Erst in seinen späteren Jahren wendet sich Planck in seinen Veröffentlichungen naturphilosophischen Fragestellungen zu. In diesem Zusammenhang
befaßt er sich am Rande auch mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und
Religion. Aufschlußreich sind hier vor allem seine Vorträge über „Religion
und Naturwissenschaft“ (1937), „Sinn und Grenzen der exakten
Wissenschaft“ (1941) und „Scheinprobleme der Wissenschaft“ (1946).
46
47
48
Vgl. dazu auch C. F. v. Weizsäcker, Einstein und Bohr, 210.
Vgl. dazu Max Planck in seinen Akademie-Ansprachen, 3f.
B. Bavink, Briefe von und an Bernhard Bavink, 13.
221
Plancks Ausführungen zur Religion werden aber nur vor dem Hintergrund
seiner Sicht der Naturwissenschaften angemessen verständlich.
a) Ziel der Naturwissenschaft: das endgültig Reale
Es ist für Planck die Aufgabe naturwissenschaftlicher Arbeit, „in die bunte
Fülle der uns durch die verschiedenen Gebiete der Sinnenwelt übermittelten
Erlebnisse Ordnung und Gesetzlichkeit hineinzubringen“49. Auf diese Weise
entsteht ein wissenschaftliches Weltbild, das in permanenter Wandlung und
Verbesserung begriffen ist. Der ständige Wechsel des Weltbildes bedeutet für
Planck aber kein „regelloses Hin- und Herschwanken im Zickzack, sondern
[...] ein Fortschreiten, ein Verbessern, ein Vervollkommnen“50. Ziel naturwissenschaftlicher Erforschung ist im Verlauf dieser Entwicklung schließlich
„die Schaffung eines Weltbildes, dessen Realitäten keinerlei Verbesserung
mehr bedürftig sind und die daher das endgültig Reale darstellen“51.
Mit dem „endgültig Realen“ verweist Planck hier auf etwas, das er andernorts
zugleich als eine notwendige Voraussetzung der Physik bezeichnet. Die
physikalische Wissenschaft fordere „die Annahme einer realen, von uns
unabhängigen Welt [...], die wir allerdings niemals direkt erkennen, sondern
immer nur durch die Brille unserer Sinnesempfindungen und der durch sie
vermittelten Messungen wahrnehmen können“52. Das naturwissenschaftliche
Weltbild kann sich freilich an das „endgültig Reale“ – Planck spricht auch
vom „metaphysisch Reale[n]“, von der „reale[n] Welt im absoluten, metaphysischen Sinn“53 oder kurz vom „Absoluten“54 – nur immer weiter annähern, es
aber niemals nachweislich erreichen; es bleibt somit „das in unerreichbarer
Ferne winkende und richtungsweisende Ziel aller wissenschaftlichen
Arbeit“55.
Die Voraussetzung einer „unabhängigen Welt“ kann sich für Planck in dem
unbezweifelbaren Ergebnis physikalischer Forschung bestätigt sehen, „daß in
allen Vorgängen der Natur eine universale, uns bis zu einem gewissen Grad
erkennbare Gesetzlichkeit herrscht“56 und die Physiker dabei die Erfahrung
machen, „daß die Naturgesetze nicht von den Menschen erfunden worden
sind, sondern daß ihre Anerkennung ihnen von außen aufgezwungen wird“57.
Insbesondere die universellen Konstanten – Planck erwähnt in diesem Zusammenhang die Vakuumlichtgeschwindigkeit und das elementare Wirkungs49
M. Planck, Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 10.
A.a.O., 17.
51
Ebd.
52
M. Planck, Religion und Naturwissenschaft, 32.
53
Ders., Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 18.
54
„Indem wir bei jeglichem Naturgeschehen von dem Einzelnen, Konventionellen und
Zufälligen dem Allgemeinen, Sachlichen und Notwendigen zustreben, suchen wir hinter dem
Abhängigen das Unabhängige, hinter dem Relativen das Absolute, hinter dem Vergänglichen
das Unvergängliche“ (M. Planck, Vom Relativen zum Absoluten, 181).
55
Ders., Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 21f.
56
Ders., Religion und Naturwissenschaft, 33.
57
Ebd.
50
222
quantum – sind nicht nur die „unveränderlich gegebenen Bausteine, aus denen
sich das Lehrgebäude der theoretischen Physik zusammensetzt“58, sondern sie
sind auch ein „greifbarer Beweis für das Vorhandensein einer Realität in der
Natur, die unabhängig ist von jeder menschlichen Messung“59.
Wiederholt rechtfertigt Planck die Unanschaulichkeit der modernen Physik
im Vergleich zu den Vorstellungen der klassischen Physik. Es sei eine
unerfüllbare Forderung, daß die metaphysisch reale Welt mit den Anschauungen, die dem bisherigen naiven Weltbild entnommen sind, vollkommen
faßbar und verständlich sein solle:
„Die mit den verfeinerten Meßinstrumenten gemachten Erfahrungen verlangen es
unerbittlich, daß alteingewurzelte anschauliche Vorstellungen aufgegeben und durch
neuartige, mehr abstrakte Begriffsbildungen ersetzt werden, für welche die entsprechenden
Anschauungen erst noch gesucht und ausgebildet werden müssen. Damit zeigen sie der
theoretischen Forschung ihren Weg in der Richtung vom naiven zum metaphysisch
Realen.“60
Planck deutet hier an, daß Physik seines Erachtens zwar kaum auf Anschauungen wird verzichten können, daß aber die der modernen Physik „entsprechenden Anschauungen“ noch nicht entwickelt sind. Doch dies ist für die
Richtigkeit dieser Physik belanglos: für den Wert einer neuen Idee, so
schreibt Planck einige Seiten weiter, sei nicht der Grad der Anschaulichkeit
maßgebend, sondern der Umfang und die Genauigkeit der einzelnen gesetzlichen Zusammenhänge, zu deren Entdeckung diese Idee führe. Anschaulichkeit beruhe ohnehin zu ihrem wesentlichen Teil nur auf Übung und
Gewohnheit.61
b) Inhalt und Formen der Religion
Nur sehr behutsam und vorsichtig äußert sich Planck zu Fragen der Religion.
Es liegt ihm „auch der leiseste Versuch fern, denjenigen [...], die mit ihrem
Gewissen im reinen sind und die bereits den festen Halt besitzen, der uns für
unsere Lebensführung vor allem nötig ist, den Boden unter den Füßen zu
lockern. Das wäre ein unverantwortliches Beginnen [...].“62
Plancks Aussagen zur Religion liegt die Unterscheidung zwischen Inhalt und
Formen der Religion zugrunde. Religion begegnet zwar in unterschiedlichen,
vielleicht sogar einander widersprechenden Formen, doch nur der Inhalt
macht das Wesen der Religion aus. Zum „wesentliche[n] Inhalt der Sätze,
58
A.a.O., 30.
A.a.O., 32. „Daß nicht wir uns aus Zweckmäßigkeitsgründen die Außenwelt schaffen,
sondern daß umgekehrt sich uns die Außenwelt mit elementarer Gewalt aufzwingt, ist ein
Punkt, welcher in unserer stark von positivistischen Strömungen durchsetzten Zeit nicht als
selbstverständlich unausgesprochen bleiben darf“ (M. Planck, Vom Relativen zum
Absoluten, 181).
60
Ders., Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 20.
61
Vgl. a.a.O., 23.
62
Ders., Religion und Naturwissenschaft, 22.
59
223
deren Anerkennung die Religion von ihren Anhängern fordert“, zählt Planck
vor allem, „daß Gott existiert, ehe es überhaupt Menschen auf der Erde gab,
daß er von Ewigkeit her die ganze Welt, Gläubige und Ungläubige, in seiner
allmächtigen Hand hält und daß er auf seiner aller menschlichen Fassungskraft unzugänglichen Höhe unveränderlich thronen bleibt, auch wenn die Erde
mit allem, was auf ihr ist, längst in Trümmer gegangen sein wird.“63 Dies ist
für Planck damit der Inhalt „echter Religion“64 und „wahrhaft religiöse[r]
Gesinnung“65.
In letzter Linie fordert nach Planck Religion Gültigkeit und Bedeutung nicht
nur für den einzelnen, sondern für die gesamte Menschheit, sie beansprucht
universelle Geltung. Um sich aber über den Glauben austauschen und ihm
einen gemeinsamen Ausdruck geben zu können, muß „der Inhalt der Religion
in eine bestimmte äußere Form gefaßt [werden], die sich durch ihre Anschaulichkeit für die gegenseitige Verständigung eignet“66. Diese „anschauliche
Form“ der Religion variiert in den verschiedenen Kulturen stark – daher sind
viele Arten von Religionen entstanden. Insbesondere prägten sich im Kult
„anschauliche Symbole“ aus. Ein religiöses Symbol stellt aber „niemals einen
absoluten Wert [dar], sondern immer nur einen mehr oder weniger unvollkommenen Hinweis auf ein Höheres, das den Sinnen nicht direkt zugänglich
ist“67. Symbole sind zwar für die religiöse Kommunikation genauso unentbehrlich wie die Sprache, aber es „darf niemals vergessen werden, daß auch
das heiligste Symbol menschlichen Ursprungs ist“68 – dies gilt ausdrücklich
bei Planck auch für die nicht übereinstimmenden kirchlichen Bekenntnisse.
„Der tiefreligiöse Mensch, der seinen Glauben an Gott durch die Verehrung
der ihm vertrauten heiligen Symbole betätigt“, so Planck weiter, „klebt
gleichwohl nicht an den Symbolen fest, sondern hat Verständnis dafür, daß es
auch andere, ebenso religiöse Menschen geben kann, denen andere Symbole
vertraut und heilig sind, ebenso wie irgendein bestimmter Begriff der nämliche bleibt, ob er durch dieses oder jenes Wort, in dieser oder jener Sprache
ausgedrückt wird.“69
Die verschiedenen Konfessionen und Religionen bringen damit jeweils „echte
Religion“ durch unterschiedliche anschauliche Formen zum Ausdruck. Die
Anschaulichkeit der Religion hat für Planck ganz offensichtlich den gleichen
Rang wie die Anschaulichkeit im Rahmen der Physik: sie beruht vor allem
auf Übung und Gewohnheit und berührt nicht das Wesen, die Richtigkeit oder
Wahrheit der Religion.
63
64
65
66
67
68
69
A.a.O., 29.
A.a.O., 24.
Ebd.
A.a.O., 25.
A.a.O., 27.
A.a.O., 28.
Ebd.
224
c) Religion und Naturwissenschaft
Planck verbindet mit dem von der Physik angestrebten metaphysisch Realen
die Vorstellung von etwas absolut Beständigem, Unveränderlichem und
Konstantem.70 Religion wiederum beinhaltet für ihn im Kern den Glauben an
einen ewigen, allmächtigen, unveränderlichen und universalen Gott, wie auch
immer er anschaulich vorgestellt werden mag. Von daher kann es nicht
verwundern, wenn Planck zu dem Ergebnis kommt, daß sich Religion und
Naturwissenschaft „in der Frage nach der Existenz und nach dem Wesen einer
höchsten über die Welt regierenden Macht“71 begegnen und darin übereinstimmen, „daß erstens eine von den Menschen unabhängige vernünftige
Weltordnung existiert und daß zweitens das Wesen dieser Weltordnung
niemals direkt erkennbar ist, sondern nur indirekt erfaßt beziehungsweise
geahnt werden kann.“72
Religion verweist durch verschiedene, sich möglicherweise vordergründig
widersprechende anschauliche Symbole auf die Wirklichkeit des ewigen,
unveränderlichen und allmächtigen Gottes. Naturwissenschaft nähert sich
mehr und mehr dem endgültig Realen, erkennt, daß die „elementaren
Bausteine des Weltgebäudes [...] nach einem einzigen Plan aneinandergefügt
sind“73, – ja das physikalische „Prinzip der kleinsten Wirkung“ vermag für
Planck sogar den Eindruck zu erwecken „als ob die Natur von einem vernünftigen, zweckbewußten Willen regiert würde“74. Es bedürfe nur eines kleinen
Gedankenschritts, so sagt Planck an anderer Stelle, um in der Bevorzugung
der kleinsten Wirkungsgröße das Walten der göttlichen Vernunft zu
erkennen.75 Dies führt Planck schließlich zur Gleichsetzung von dem Gott der
Religion und der von den Naturwissenschaften gesuchten und teils schon
gefundenen naturgesetzlichen Ordnung:
„Nichts hindert uns also, und unser nach einer einheitlichen Weltanschauung verlangender
Erkenntnistrieb fordert es, die beiden überall wirksamen und doch geheimnisvollen
Mächte, die Weltordnung der Naturwissenschaft und den Gott der Religion, miteinander
zu identifizieren. Danach ist die Gottheit, die der religiöse Mensch mit seinen anschaulichen Symbolen sich nahezubringen sucht, wesensgleich mit der naturgesetzlichen Macht,
von der dem forschenden Menschen die Sinnesempfindungen bis zu einem gewissen
Grade Kunde geben.“76
Aufgrund dieser Gleichsetzung sieht Planck keinen Widerspruch zwischen
Religion und Naturwissenschaft, sondern „gerade in den entscheidenden
70
Vgl. ders., Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 14.
Ders., Religion und Naturwissenschaft, 37.
72
Ebd.
73
A.a.O., 32f.
74
A.a.O., 34. Das Prinzip der kleinsten Wirkung besagt kurz gefaßt, „daß unter gewissen als
möglich gedachten Vorgängen stets gerade derjenige in Wirklichkeit stattfindet, welcher mit
dem Mindestaufwand von Aktion oder Wirkungsgröße verbunden ist“ (M. Planck in seinen
Akademie-Ansprachen, 43).
75
Vgl. M. Planck in seinen Akademie-Ansprachen, 43.
76
Ders., Religion und Naturwissenschaft, 37.
71
225
Punkten volle Übereinstimmung“77. Obgleich aber damit „Wissenschaft und
Religion in ihren letzten Auswirkungen in dem nämlichen Endziel
ausmünden, nämlich in der Anerkennung einer die Welt beherrschenden
allmächtigen Vernunft“, betont Planck in einem seiner letzten Vorträge, „so
sind doch sowohl ihre Ausgangspunkte als auch ihre Methoden
grundverschieden“78. Wiederholt warnt Planck vor einer „Verwechslung der
wissenschaftlichen mit der religiösen Betrachtungsweise“79 und einer „Verwischung des Gegensatzes der Aufgaben von Wissenschaft und Religion“80.
Insbesondere zählt Planck Fragen der Ethik zum Zuständigkeitsbereich der
Religion: „Die Naturwissenschaft braucht der Mensch zum Erkennen, die
Religion aber braucht er zum Handeln“81.
d) Grenzen der Religion
Die Verträglichkeit von Religion und Naturwissenschaft gilt bei Planck
freilich nur für das von ihm skizzierte Verständnis von „echter Religion“, das
heißt für den von ihm herausgestellten wesentlichen Inhalt von Religion. Wo
die Anerkennung darüber hinausgehender Glaubensinhalte gefordert wird,
kann Naturwissenschaft durchaus berechtigten Einspruch erheben.82 Insbesondere gilt dies aus Sicht der modernen Naturwissenschaft im Hinblick auf den
Glauben an Naturwunder. Hier verläuft für Planck offensichtlich eine der
„Grenzen“, welche „eventuell dem religiösen Glauben durch sie [d. h. durch
die Erkenntnisse der physikalischen Wissenschaft] vorgeschrieben werden“83.
Plancks Stellungnahme zum Thema Naturwunder ist jedenfalls unmißverständlich:
„[Die] unablässig auf unanfechtbar sicheren Pfaden fortschreitende Naturerkenntnis hat
dahin geführt, daß es für einen naturwissenschaftlich einigermaßen Gebildeten schlechterdings unmöglich ist, die vielen Berichte von außerordentlichen, den Naturgesetzen
widersprechenden Begebenheiten, von Naturwundern, die gemeinhin als wesentliche
Stützen und Bekräftigungen religiöser Lehren gelten und die man früher ohne kritische
Bedenken einfach als Tatsachen hinnahm, heute noch als auf Wirklichkeit beruhend
anzuerkennen. [...] Schritt für Schritt muß der Glaube an Naturwunder vor der stetig und
sicher voranschreitenden Wissenschaft zurückweichen, und wir dürfen nicht daran
zweifeln, daß es mit ihm über kurz oder lang zu Ende gehen muß.“84
Einen Naturwissenschaftler, der es also mit seinem Glauben wirklich ernst
meine und es nicht ertragen könne, wenn dieser mit seinem Wissen in Widerspruch gerät, sieht Planck vor der Gretchenfrage stehen, „ob er sich überhaupt
77
A.a.O., 38.
Ders., Scheinprobleme der Wissenschaft, 360.
79
Ebd.
80
M. Planck in seinen Akademie-Ansprachen, 47.
81
Ders., Religion und Naturwissenschaft, 38.
82
Dieser Gedanke Plancks erinnert an die ganz entsprechende Forderung B. Bavinks (vgl. S.
160f vorliegender Arbeit). Nach dem Tod Bavinks äußert Planck, daß er keinen einzigen
Menschen wisse, mit dem er „in allen weltanschaulichen Fragen eine solche Übereinstimmung fühlte“ (B. Bavink, Briefe von und an Bernhard Bavink, 17).
83
M. Planck, Religion und Naturwissenschaft, 30.
84
A.a.O., 22f.
78
226
noch ehrlich zu einer Religionsgemeinschaft zählen darf, welche in ihrem
Bekenntnis den Glauben an Naturwunder einschließt“85.
3. Albert Einstein: Kosmische Religiosität
Religiöse Implikationen der Relativitätstheorie weist Albert Einstein mit
Entschiedenheit zurück. Nichtsdestotrotz äußert er sich in mehreren Interviews, Briefen, Zeitungsartikeln, Vorträgen, ja sogar auf einer Schallplatte
und in einem Telegramm auf entsprechende Anfragen bereitwillig zum
Themenbereich „Religion“ und insbesondere auch zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion.86 Im folgenden werden die diesbezüglichen
Äußerungen Einsteins kurz zusammengestellt.
a) Kritik an der Gottesvorstellung
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Einstein die Quantentheorie wegen
ihres indeterministischen Charakters nur als vorläufige und letztlich unvollständige statistische Theorie anerkennen kann.87 Einsteins Vorstellung von
den in der Natur wirkenden Gesetzen steht in diesem Punkt noch derjenigen
der Physiker des 19. Jahrhunderts nahe – und wie für viele Naturforscher
dieser Zeit ist auch für Einstein das streng determinierte Naturgeschehen mit
einem in die Weltgeschichte eingreifenden Gott unvereinbar:
„Wer von der kausalen Gesetzmäßigkeit allen Geschehens durchdrungen ist, für den ist die
Idee eines Wesens, welches in den Gang des Weltgeschehens eingreift, ganz unmöglich –
vorausgesetzt allerdings, daß er es mit der Hypothese der Kausalität wirklich ernst nimmt.
[...] Ein Gott, der belohnt und bestraft, ist für ihn schon darum undenkbar, weil der
Mensch nach äußerer und innerer gesetzlicher Notwendigkeit handelt, vom Standpunkt
Gottes also nicht verantwortlich wäre, sowenig wie ein lebloser Gegenstand für die von
ihm ausgeführten Bewegungen.“88
Aufgrund der allgemeingültigen naturwissenschaftlichen Gesetze können wir
auf bestimmten Gebieten das jeweilige Verhalten von Phänomenen mit großer
Präzision und Bestimmtheit vorhersagen. Einstein beansprucht diese Vorhersagbarkeit nicht allein für physikalische Erscheinungen, sondern er spürt auch
85
A.a.O., 23.
Vgl. A. Einstein, Religion und Wissenschaft (1930); ders., Jüdische Gemeinschaft (1930);
ders. Christentum und Judentum; ders., Gibt es eine jüdische Weltanschauung?; ders., Wie
ich die Welt sehe (1931); ders., Die Religiosität der Forschung; ders., Naturwissenschaft und
Religion I (1939); ders., Naturwissenschaft und Religion II (1941); ders., Autobiographisches
(1946); ders., Die Notwendigkeit der ethischen Kultur (1951); vgl. ferner Albert Einsteins
gesprochenes Glaubensbekenntnis, in: F. Herneck, Einstein und sein Weltbild, 98–102, sowie
Einsteins telegraphische Nachricht an Herbert S. Goldstein (1929), in: M. Jammer, Einstein
und die Religion, 31.
87
Vgl. 6. Kap. V. vorliegender Arbeit.
88
A. Einstein, Religion und Wissenschaft, 26.
86
227
in der Biologie „die Gesetze einer festen Notwendigkeit“89. Infolgedessen
bleibt bei Einstein selbst für menschliche und göttliche Willensfreiheit kein
Raum mehr:
„Je mehr der Mensch von der gesetzmäßigen Ordnung der Ereignisse durchdrungen ist,
um so fester wird seine Überzeugung, daß neben dieser gesetzmäßigen Ordnung für
andersartige Ursachen kein Platz mehr ist. Er erkennt weder einen menschlichen noch
einen göttlichen Willen als unabhängige Ursache von Naturereignissen an.“ 90
Wiederholt kritisiert Einstein den anthropomorphen Charakter der „Gottesidee in den gegenwärtig gelehrten Religionen“91 und sieht darin ein Relikt
der „jugendlichen Periode der geistigen Menschheitsentwicklung“92. Dieser
Anthropomorphismus äußert sich nicht nur in der Vorstellung eines strafenden und belohnenden Gottes, sondern auch „in der Tatsache, daß die
Menschen das göttliche Wesen im Gebet angehen und von ihm die Erfüllung
ihrer Wünsche erflehen“93.
Einsteins Religionskritik, die sich im wesentlichen von Ludwig Feuerbach,
Arthur Schopenhauer und Sigmund Freund beeinflußt zeigt, mündet nun
freilich nicht in eine grundsätzliche Zurückweisung von Religion und Religiosität, sondern in die Forderung nach einem „Läuterungsprozeß“, in dem „die
Religiosität von den Schlacken ihres Anthropomorphismus“94 gereinigt
werden muß. Dies kann neben Einsteins Äußerungen zur Gottesvorstellung
auch verdeutlicht werden an seinen Bemerkungen zum Verhältnis von
Religion und Ethik (b), zur kosmischen Religiosität (c) und schließlich zur
Zuordnung von kosmischer Religiosität und Naturwissenschaft (d).
Der geforderte Läuterungsprozeß beinhaltet für Einstein freilich zuerst den
Verzicht auf die Vorstellung eines persönlichen Gottes:
„In ihrem Kampf um das Gute müßten die Lehrer der Religion die innere Größe haben und
die Lehre von einem persönlichen Gott fahren lassen, das heißt auf jene Quelle von Furcht
und Hoffnung verzichten, aus der die Priester in der Vergangenheit so riesige Macht
geschöpft haben.“95
Dieser Forderung kommt bei Einstein besonderes Gewicht zu, da er die
gegenwärtige Spannung zwischen Religion und Naturwissenschaft hauptsächlich auf diese Auffassung eines persönlichen Gottes zurückführt.96 In diesem
Zusammenhang empfiehlt Einstein den Theologen, sie sollten „ihre
Bemühungen lieber auf jene Kräfte richten, die das Gute, Wahre und Schöne
im Menschen selbst fördern“97.
89
Ders., Naturwissenschaft und Religion II, 77.
Ebd.; vgl. dazu ders., Wie ich die Welt sehe, 10: „An Freiheit des Menschen im philosophischen Sinne glaube ich keineswegs. Jeder handelt nicht nur unter äußerem Zwang,
sondern auch gemäß innerer Notwendigkeit.“
91
Ders., Naturwissenschaft und Religion II, 76.
92
A.a.O., 75.
93
A.a.O., 76.
94
A.a.O., 78.
95
A.a.O., 77.
96
Vgl. a.a.O., 76.
97
A.a.O., 77.
90
228
b) Religion und Ethik
Mit dem zuletzt angeführten Zitat deutet sich zugleich an, daß Einstein die
wesentliche Aufgabe der geläuterten Religion in einer Begründung der Ethik
erkennt. Naturwissenschaftliche Erkenntnis kann stets nur feststellen, was ist,
aber sie kann grundsätzlich keine Auskunft über Werte und Ziele menschlichen Handelns geben. Es sei klar, stellt Einstein fest, „daß von dem, was ist,
kein Weg führt zu dem, was sein soll. Aus der noch so klaren und vollkommenen Erkenntnis des Seienden kann kein Ziel unseres menschlichen
Strebens abgeleitet werden. [...] Das allerletzte Ziel und das Verlangen nach
seiner Verwirklichung muß aus anderen Regionen stammen.“98 Es sei die
wichtigste Funktion der Religion, so schreibt Einstein hier weiter, „uns diese
fundamentalen Ziele und Werte aufzustellen und sie im täglichen Leben des
einzelnen zu befestigen“99. In diesem Sinn beschreibt Einstein an anderer
Stelle Wesen und Aufgabe der Religion als „das uralte Bemühen der Menschheit, sich dieser Werte und Ziele klar und vollständig bewußt zu werden und
deren Wirkung beständig zu vertiefen und zu erweitern“100.
Für Einstein liegt der wesentliche Kern von Judentum und Christentum darum
auch in deren ethischem Gehalt. „Wenn man das Judentum der Propheten und
das Christentum, wie es Jesus Christus gelehrt hat“, schreibt Einstein einmal,
„von allen Zutaten der Späteren, insbesondere der Priester, loslöst, so bleibt
eine Lehre übrig, die die Menschheit von allen sozialen Krankheiten zu heilen
imstande wäre“101, eine „Lehre der reinen Menschlichkeit“102. Ganz entsprechend bezeichnet Einstein einige Jahre später die Pflege der „wichtigsten
Triebfedern moralischen Handelns“ als das, „was von der Religion
übrigbleibt, wenn man sie von der Komponente des Aberglaubens gereinigt
hat“103. In diesem Sinne bildet die Religion für Einstein auch einen wichtigen
Teil der Erziehung. Auch die Form des Judentums, zu der sich Einstein
bekennt, ist „keine transzendente Religion“104, es scheint ihm „fast ausschließlich die moralische Einstellung im und zum Leben zu betreffen“105. Als
98
Ders., Naturwissenschaft und Religion I, 72.
Ebd. Der hier zitierte Aufsatz geht zurück auf eine Ansprache Einsteins, die er im Jahr
1939 in einem Beitrag für die Konferenz der American Association of Theological Schools in
Princeton hielt. Neun Jahre zuvor hatte er sich am 9.11.1930 in einem Zeitungsbeitrag für das
New York Times Magazine (zwei Tage später im Berliner Tagblatt veröffentlicht) bezüglich
des Verhältnisse von Religion und Ethik noch anders geäußert. „Das ethische Verhalten der
Menschen“, so schrieb er damals, Religion und Wissenschaft, 26, „ist wirksam auf Mitgefühl,
Erziehung und soziale Bindung zu gründen und bedarf keiner religiösen Grundlage“.
100
Ders., Naturwissenschaft und Religion II, 74.
101
Ders., Christentum und Judentum, 148
102
Ebd.
103
Ders., Die Notwendigkeit der ethischen Kultur, 31.
104
Ders., Gibt es eine jüdische Weltanschauung? 147.
105
A.a.O., 146
99
229
Wesen dieser Lebensauffassung nennt Einstein die „Bejahung des Lebens
aller Geschöpfe.“106
Dennoch reduziert Einstein Religion nicht auf ihren ethischen Gehalt:
„Es steckt aber noch etwas anderes in der jüdischen Tradition, was sich in manchen
Psalmen so herrlich offenbart, nämlich eine Art trunkener Freude und Verwunderung über
die Schönheit und Erhabenheit dieser Welt, von welcher der Mensch eben noch eine
schwache Ahnung erlangen kann. Es ist das Gefühl, aus welchem auch die wahre
Forschung ihre geistige Kraft schöpft [...].“ 107
Das „Gefühl“, von dem hier die Rede ist, beschreibt Einstein an anderen
Stellen als „kosmische Religiosität“108. Diese steht ohne Zweifel im Zentrum
von Einsteins Äußerungen zur Religion.
c) Kosmische Religiosität
Einstein sieht grundsätzlich zwei Quellen religiösen Denkens und Gestaltens:
zum einen Furcht vor Hunger, Krankheit und Tod, zum anderen soziale
Gefühle gegenüber nahestehenden Menschen. Die erste Quelle führe zur
„Furcht-Religion“, die zweite zur „moralischen Religion“. Obwohl Einstein
in der – insbesondere im Juden- und Christentum aufweisbaren – Entwicklung
von der Furcht-Religion zur moralischen Religion „einen wichtigen
Fortschritt im Leben der Völker“109 ausmacht, ist beiden „Stufe[n] religiösen
Erlebens“110 noch der von Einstein kritisierte „anthropomorphe Charakter der
Gottesidee“111 gemeinsam. Dieser Anthropomorphismus ist erst auf der
„dritten Stufe“ überwunden, die von Einstein als „wahre Religiosität“112,
„kosmische Religiosität“113, „höchste Religiosität“114 oder auch als „Erlebnis
des Geheimnisvollen“115 bezeichnet wird:
„Das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster
Vernunft und leuchtendster Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten
Formen zugänglich sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem
Sinn und nur in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen.“ 116
Einstein findet diese Form der Religiosität auch bei Buddha,117 in manchen
Psalmen Davids, bei einigen Propheten und bei den „religiösen Genies aller
106
Ebd.
A.a.O., 147.
108
Ders., Religion und Wissenschaft, 25.
109
A.a.O., 24.
110
Ebd.
111
Ebd.
112
Ders., Wie ich die Welt sehe, 14.
113
Ders., Religion und Wissenschaft, 24.
114
A.a.O., 25.
115
Ders., Wie ich die Welt sehe, 14.
116
Ebd.; vgl. dazu die ganz ähnlich lautenden Äußerungen Einsteins zit. in: F. Herneck,
Albert Einsteins gesprochenes Glaubensbekenntnis, in: ders., Einstein und sein Weltbild,
100f.
117
Vgl. ders., Naturwissenschaft und Religion II, 74; ders., Religion und Wissenschaft, 25.
107
230
Zeiten“118, ferner bei Demokrit, Franziskus von Assisi und Spinoza,119 Kepler
und Newton120 und überhaupt bei den „ernsthaften Forscher[n] in unserer im
allgemeinen materialistisch eingestellten Zeit“121. Die Religiosität des
Forschers liegt für Einstein „im verzückten Staunen über die Harmonie der
Naturgesetzlichkeit, in der sich eine so überlegene Vernunft offenbart, daß
alles Sinnvolle menschlichen Denkens und Anordnens dagegen ein gänzlich
nichtiger Abglanz ist“122. Wiederholt spricht Einstein von dem „ergebene[n]
Streben nach dem Begreifen eines noch so winzigen Teiles der in der Natur
sich manifestierenden Vernunft“123, von einem „tiefe[n] Glaube[n] an die
Vernunft des Weltenbaues“124, von der „tiefe[n] Ehrfurcht vor der Vernunft
[...], die sich in der Wirklichkeit offenbart“125 und einer „demütige[n] Geisteshaltung gegenüber der Erhabenheit der Vernunft, die sich in der Wirklichkeit
verkörpert und [dem Menschen] in ihren letzten Tiefen unzugänglich ist“126.
Die hier mit verzücktem Staunen, ergebenem Streben, tiefem Glauben, tiefer
Ehrfurcht und demütiger Geisteshaltung beschriebene Einstellung des Naturforschers bezeichnet Einstein als „im höchsten Sinne des Wortes religiös“127.
Dieser Religiosität entspricht aber „kein menschartiger Gottesbegriff“128, sie
führt zu „keinem geformten Gottesbegriff und zu keiner Theologie“129, sie
kennt keine Dogmen und entzieht sich jeder Institutionalisierung. 130
d) Kosmische Religiosität und Naturwissenschaft
Nur wenn man Religion im Sinn dieser „kosmischen Religiosität“ versteht,
erscheint Einstein ein Gegensatz zwischen Religion und Naturwissenschaft
„ganz unmöglich“131. Darüber hinaus bleiben für Einstein „selbst bei einer
reinlichen Scheidung zwischen Religion und Naturwissenschaft [...] starke
wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten bestehen“132. Da sich
Einstein einerseits einen echten Wissenschaftler ohne die von ihm als religiös
bezeichnete Einstellung nicht vorstellen kann, ist Naturwissenschaft auf diese
Religiosität angewiesen. Andererseits kann aber Wissenschaft zur Überwin118
Vgl. ders., Religion und Wissenschaft, 25.
Vgl. ebd.
120
Vgl. a.a.O., 27.
121
A.a.O., 28.
122
Ders., Die Religiosität der Forschung, 28.
123
Ders., Wie ich die Welt sehe, 14.
124
Ders., Religion und Wissenschaft, 27.
125
Ders., Naturwissenschaft und Religion II, 78.
126
Ebd.
127
Ebd.
128
Ders., Religion und Wissenschaft, 24.
129
A.a.O., 25.
130
Vgl. ebd.; C. F. v. Weizsäcker, Brief an M. Jammer, 125, rechnet Einstein zwar nicht zu
den Mystikern, beurteilt „seine Erlebnisweise derjenigen der wahren Mystik doch recht
nahe“.
131
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion I, 74.
132
A.a.O., 75.
119
231
dung anthropomorpher religiöser Vorstellungen und damit zur Läuterung der
Religion beitragen – dies drückt Einstein mit der Bemerkung aus, daß
„wissenschaftliche Erkenntnis die wahre Religion adelt und vertieft“133. Die
wechselseitige Beziehung zwischen Religion und Naturwissenschaft bringt
Einstein auf die bekannte Formel: „Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm,
Religion ohne Naturwissenschaft ist blind.“134 Dieser gerade von Theologen
gern zitierte Ausspruch bezieht sich bei Einstein freilich einzig auf die durch
wissenschaftliche Erkenntnis geläuterte, von anthropomorphen Vorstellungen
befreite Religion. Ein Christentum, das etwa an einer persönlichen Gottesvorstellung, an einem belohnenden und strafenden Gott festhält, zählt für
Einstein nicht dazu. Dies geht auch aus Einsteins kurzem „religiösen Credo“
hervor, in dem es heißt:
„Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit den Schicksalen und Handlungen der Menschen
abgibt.“135
Aus der Perspektive dieses Glaubens beurteilt Einstein die „gegenwärtige
Spannung zwischen Religion und Naturwissenschaft“136 (die vor allem von
der Auffassung eines persönlichen Gottes herrührt), die historischen Konflikte
zwischen Religion und Naturwissenschaft (die auf einem verhängnisvollen
Irrtum beruhen137) und die „wahre Frömmigkeit“, die „nur durch das Streben
nach rationaler Erkenntnis“138 erreicht werden kann.
4. Werner Heisenberg: Gott als zentrale Ordnung
Werner Heisenberg (1901–1976) sei in religiösen Äußerungen sehr scheu
gewesen, schreibt sein Schüler und Freund Carl Friedrich von Weizsäcker.139
Gleichwohl nimmt Heisenberg in unterschiedlichem Zusammenhang dezidiert
Stellung zu religiösen Fragen und vor allem zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion. Dies gilt insbesondere für einige Vorlesungen über die
Auswirkungen der modernen Physik auf das heutige Weltbild und mehrere,
133
Ders., Naturwissenschaft und Religion II, 78.
A.a.O., 75.
135
So schreibt Einstein in dem Telegramm, mit dem er 1929 auf die Anfrage des New Yorker
Rabbiners H. S. Goldstein „Glauben Sie an Gott? Bezahlte Antwort 50 Worte“ reagiert (zit.
in: M. Jammer, Einstein und die Religion, 31). Einstein verweist im Zusammenhang mit
seiner Religiosität wiederholt auf Spinoza, vgl. F. Herneck, Einstein und sein Weltbild 34f. –
Einstein könnte auch in seinen deterministischen Vorstellungen und insbesondere in der
Ablehnung von Willensfreiheit durch die Lektüre Spinozas beeinflußt sein (vgl. Spinozas um
1660 entstandene Frühschrift „Kurze Abhandlung vom Menschen und seinem Glück“).
Einsteins Forderung nach einer „reinlichen Scheidung von Religion und Naturwissenschaft“
erinnert an Spinozas Trennung von Theologie und Philosophie in seinem „Tractatus theologico-politicus“ (1670).
136
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 76.
137
Vgl. ders., Naturwissenschaft und Religion II, 75.
138
A.a.O., 78.
139
Vgl. C. F. v. Weizsäcker, Heisenbergs Entwicklung seit 1927, 31.
134
232
später veröffentlichte Gespräche in seinem letzten Lebensjahrzehnt.140 In einer
Rede vor der katholischen Akademie in Bayern aus Anlaß der Entgegennahme des Guardini-Preises im Jahr 1973 befaßt sich Heisenberg explizit mit
naturwissenschaftlicher und religiöser Wahrheit.141 Darüber hinaus enthält
Heisenbergs bekannte autobiographische Schrift „Der Teil und das Ganze“
zwei Kapitel, die der genannten Thematik gewidmet sind.142 Schließlich findet
sich in den Gesammelten Werken noch zusätzlich eine in unserem Zusammenhang aufschlußreiche, von Heisenberg selbst aber nicht publizierte Schrift. 143
Allen hier aufgeführten allgemeinverständlichen Schriften, Vorlesungen und
Gesprächen liegt Heisenbergs Überzeugung zugrunde, daß die Konsequenzen
der Atomphysik – und dabei denkt Heisenberg vor allem an die Konsequenzen der von ihm maßgeblich entwickelten Quantenphysik – an vielen Stellen
das Bild der Welt verändert haben: „Sie zwingen zum Umdenken und gehen
daher einen weiteren Kreis vom Menschen an.“144 Insbesondere ist Heisenberg der Auffassung, daß man auch die Zusammenhänge im Verhältnis von
Religion und Naturwissenschaft sehr viel besser denken könne, seit man die
Quantentheorie verstanden habe.145
a) Die „Schichtentheorie“ der Wirklichkeit
Ausgangspunkt von Heisenbergs Reflexionen über sein Verständnis naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist die Frage nach dem Verhältnis des Wirklichkeitsbereiches, der sich über die Atomphysik erschließt, zum Ganzen der
Wirklichkeit. Wie verhält sich der naturwissenschaftlich erkennbare Teil der
Wirklichkeit zu dem Ganzen oder Einen, als das uns die Wirklichkeit be140
W. Heisenberg, Über das Weltbild der Naturwissenschaft, in: ders., Gesammelte Werke,
Abt. C, Bd. I, 207–215 (ein wohl schon 1942 in Zürich gehaltener Vortrag); ders., Physik
und Philosophie, in: ders., Gesammelte Werke, Abt. C, Bd. II, 3–201 (veröffentlichte
Fassung von Heisenbergs Gifford-Vorlesungen an der schottischen Universität St. Andrews
im Wintersemester 1955/56, „die nach dem testamentarischen Willen ihres Stifters eigentlich
die natürliche Theologie zum Gegenstand haben sollen, d. h. jene Einstellung zu den letzten
Fragen, die sich ergibt, wenn man von der Bindung an irgendeine spezielle Religion oder
Weltanschauung absieht“, a.a.O., 5); ders., Double dialogue with Werner Heisenberg, in:
ders., Gesammelte Werke, Abt. C, Bd. III, 464–471 und 472–486 (der erste Teil dieses Interviews wurde 1969 durchgeführt, der zweite 1973); vgl. auch E. C. Hirsch, Das Ende aller
Gottesbeweise? 28–42.
141
Ders., Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit, in: ders., Gesammelte Werke, Abt.
C, Bd. III, 422–439.
142
Die jeweiligen Kapitelüberschriften lauten: „Erste Gespräche über das Verhältnis von
Naturwissenschaft und Religion“ und „Positivismus, Metaphysik und Religion“, in: W.
Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 101–113 und 241–255 (wiederabgedruckt in: ders.,
Gesammelte Werke, Abt. C, Bd. III, 116–130 und 279–295).
143
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, in: ders., Gesammelte Werke, Abt. C, Bd. I, 217–306
(nach Angaben der Herausgeber wurde das Manuskript im Herbst 1942 beendet; einige
Schreibmaschinenkopien verschickte Heisenberg an Freunde; vgl. a.a.O., 217).
144
Ders., Physik und Philosophie, 6.
145
Vgl. ders., Der Teil und das Ganze, 252.
233
gegnet? Immer wieder befaßt sich Heisenberg mit dieser Fragestellung, am
ausführlichsten in „Der Teil und das Ganze“, aber auch schon in der früheren,
aber erst postum veröffentlichten Manuskript „Ordnung der Wirklichkeit“:
„Wer sein Leben für die Aufgabe bestimmt, einzelnen Zusammenhängen der Natur
nachzugehen, der wird von selbst immer wieder vor die Frage gestellt, wie sich jene
einzelnen Zusammenhänge harmonisch dem Ganzen einordnen, als das sich uns das Leben
oder die Welt darbietet. [...] So kreisen die Gedanken immer wieder um das Problem, wie
jenes Ganze zusammenhängt, das wir Welt oder Leben nennen (– je nachdem wir uns ausoder eingeschlossen denken –) und an welcher Stelle in diesem Ganzen die besonderen
Zusammenhänge stehen, denen etwa ein großer Teil der Lebensarbeit gilt.“146
Heisenberg geht davon aus, daß in den zurückliegenden Epochen „Wirklichkeit“ jeweils unterschiedlich begriffen wurde und daß im 20. Jahrhundert „in
der Quantentheorie die stärksten Veränderungen hinsichtlich der Wirklichkeitsvorstellung stattgefunden haben“147. Für die moderne Naturwissenschaft
zerfalle die Wirklichkeit in verschiedene, zunächst voneinander getrennte
Bereiche, die sie jeweils mit verschiedenen Begriffssystemen beschreiben und
möglichst vollständig zu analysieren versuche. Es sei ein charakteristischer
Zug des modernen Weltbildes, schreibt Heisenberg, daß die Naturwissenschaftler, die von ihnen untersuchten Wirklichkeitsbereiche – diese „Gruppen
von Zusammenhängen“148, wie er auch sagt – nebeneinander bestehen lassen
und nicht von Anfang an versuchen, sie alle auf einen von ihnen
zurückzuführen.149
Durch den Wandel in der Wirklichkeitsvorstellung ergibt sich für Heisenberg
nun abermals die Aufgabe, „die verschiedenen Zusammenhänge oder ‚Bereiche der Wirklichkeit‘ zu ordnen, zu verstehen und in ihrem gegenseitigen
Verhältnis zu bestimmen“150. Bei einem tieferen Eindringen in einem
Wirklichkeitsbereich eröffnen sich dabei Zusammenhänge zu anderen Bereichen, und es zeigen sich viele Probleme, „die man gar nicht in einer Schicht
von Zusammenhängen lösen kann, sondern die man von den verschiedenen
Schichten aus diskutieren muß und deren Lösung erst gefunden werden kann,
wenn das Aufeinanderpassen der verschiedenen Schichten richtig verstanden
ist“151. Erklärtes Ziel ist es, schließlich „zu einem Verständnis der Wirklichkeit vorzudringen, das die verschiedenen Zusammenhänge als Teile einer
einzigen sinnvoll geordneten Welt begreift“152.
Neben den Wirklichkeitsbereichen, die von der modernen Naturwissenschaft
untersucht werden, spricht Heisenberg auch von „Gruppen von Zusammenhängen in der Wirklichkeit, die wir mit den Begriffen Bewußtsein und Geist
charakterisieren“153 und die für ihn „gleichberechtigt neben den verschiedenen
146
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 218.
Ders., Physik und Philosophie, 10f; vgl. dazu: ders., Über das Weltbild der Naturwissenschaft, 207–212.
148
Ders., Über das Weltbild der Naturwissenschaft, 213.
149
Vgl. ebd.
150
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 221, vgl. 218f.
151
Ders., Über das Weltbild der Naturwissenschaft, 213.
152
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 221.
153
Ders., Über das Weltbild der Naturwissenschaft, 214.
147
234
Bereichen [stehen], die wir in der Naturwissenschaft kennengelernt haben“154.
Obwohl Heisenberg hier von der Gleichberechtigung dieser Bereiche spricht,
entwickelt er doch eine „Stufenleiter der Wirklichkeitsbereiche“155, eine
„‚Schichtentheorie‘ der Wirklichkeit“156: Die unterste Schicht umfaßt dabei
die kausalen Zusammenhänge der Erscheinungen, die als Abläufe in Raum
und Zeit objektiviert werden können (wie zum Beispiel in der klassischen
Physik), die nächste Schicht eröffnet sich der modernen Physik, die insbesondere die Zusammenhänge zwischen atomarem Aufbau der Materie und chemischem Verhalten analysiert, dann folgt die dritte Schicht, die auch die
biologischen Gesetzmäßigkeiten umfasse und sie in einer heute noch
unbekannten Weise an die physikalisch-chemischen Gesetze anschließen
werde.157
Seinen Abschluß findet Heisenbergs Schichtenmodell in „der obersten
Schicht der Wirklichkeit [...], in der sich der Blick öffnet für die Teile der
Welt, über die nur im Gleichnis gesprochen werden kann“158. Diese oberste
Schicht nennt Heisenberg zugleich auch „den letzten Grund der
Wirklichkeit“159, den die Religionen zur Sprache bringen. Auf dieser Ebene ist
eine die jeweiligen „Sachverhalte“ objektivierende Erkenntnis, wie sie insbesondere die klassische Physik voraussetzt, nicht mehr möglich. Aber schon
auf der zweiten Stufe zeichnen sich – im Zusammenhang mit dem quantenmechanischen Meßprozeß – die Grenzen der Objektivierung und damit eine
Überwindung der Trennung von Subjekt und Objekt ab. Heisenberg faßt
rückblickend sein Schichtenmodell zusammen:
„Die Ordnung der Bereiche sollte ja die grobe Teilung der Welt in eine objektive und in
eine subjektive Wirklichkeit ersetzen, sie sollte sich zwischen diesen Polen: Objekt und
Subjekt ausspannen, so daß an ihrem untersten Ende die Bereiche stehen, in denen wir
vollständig objektivieren können. Dann sollten sich die Bereiche anschließen, in denen die
Sachverhalte nicht völlig getrennt werden können von dem Erkenntnisvorgang, durch den
wir zur Feststellung des Sachverhalts gelangen. Ganz oben sollte schließlich die Schicht
der Wirklichkeit stehen, in der die Sachverhalte erst im Zusammenhang mit dem Erkenntnisvorgang geschaffen werden.“ 160
Heisenberg versteht dies aber nicht so, als handle es sich bei den „Sachverhalten“ der obersten Ebene nur um „subjektiv[e] Illusionen [...], die sich sozusagen beim Streben nach Erkenntnis von selbst einschleichen“161. Erkenntnis auf
dieser Stufe kann vielmehr neue und den Menschen für ihr Glück und
Unglück besonders wesentliche Sachverhalte schaffen – Heisenberg spricht in
diesem Zusammenhang auch von der „Kraft der Seele zum Verwandeln der
154
Ebd.
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 294.
156
Ders., Über das Weltbild der Naturwissenschaft, 212.
157
Vgl. a.a.O., 213.
158
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 294.
159
A.a.O., 302.
160
A.a.O., 294.
161
Ebd.
155
235
Welt“162, die gleichwohl nicht vom menschlichen Willen gelenkt werden
kann.
b) Naturwissenschaftliche und religiöse Sprache
Für die naturwissenschaftlichen Bereiche gilt, daß ihnen jeweils unterschiedliche Begriffssysteme angemessen sind. Die Quantentheorie beispielsweise
zeigt, daß Begriffe, die in der klassischen Physik noch eine unmittelbar
anschauliche Bedeutung haben, in der modernen Physik allenfalls noch in
übertragener und unanschaulicher Weise benutzt werden können. Dieselben
Begriffe bedeuten damit in der modernen Physik etwas anderes als in der
klassischen Physik. Aufgrund derartiger Erfahrungen sei man heute auch
weniger geneigt anzunehmen, daß die Begriffe der Physik, insbesondere auch
die der Quantentheorie, mit Sicherheit überall in der Biologie und in anderen
Wissenschaften angewendet werden können:
„Die neuen Ergebnisse stellten vor allem eine ernsthafte Warnung dar gegen die etwas
gezwungene Anwendung physikalischer Begriffe in Gebieten, in die sie nicht gehörten.“ 163
Zeichnen sich schon die naturwissenschaftlichen Bereiche durch ein ihnen
jeweils eigenes Begriffssystem aus, so gilt dies viel mehr noch für den
obersten Bereich der Wirklichkeit, dem sich die religiöse Sprache anzunähern
versucht. Bei den Bildern und Gleichnissen der Religion handle es sich um
eine Art Sprache, schreibt Heisenberg, die eine Verständigung ermögliche
über den hinter den Erscheinungen spürbaren Zusammenhang der Welt. Diese
Sprache sei der Sprache der Dichtung näher verwandt als jener der auf Präzision ausgerichteten Naturwissenschaft.164 Über die letzten Dinge könne man
eigentlich nicht sprechen, daher beginne alle Religion mit dem Gleichnis:
„Durch das Gleichnis wird gewissermaßen erst die Sprache festgesetzt oder
geschaffen, in der über die Zusammenhänge der Welt gesprochen werden
soll.“165 Allgemeine Begriffe wie „Geist, menschliche Seele, Leben, Gott“
haben darum für Heisenberg zwar ihre Berechtigung, aber er gibt zu
bedenken,
„[...], daß diese Begriffe nicht im wissenschaftlichen Sinne wohldefiniert sein können und
daß ihre Anwendung zu mancherlei inneren Widersprüchen führen wird; trotzdem müssen
wir diese Begriffe einstweilen so nehmen, wie sie sind, unanalysiert und ohne präzise
Definition. Denn wir wissen, daß sie die Wirklichkeit berühren.“ 166
Wiederholt betont Heisenberg, daß naturwissenschaftliche und religiöse
Sprache nicht durcheinandergebracht werden dürfen, da in beiden die
gleichen Wörter oft etwas Unterschiedliches bedeuten:
162
A.a.O. 295.
Ders., Physik und Philosophie, 194.
164
Vgl. ders., Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit, 435f.
165
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 228.
166
Ders., Physik und Philosophie, 195.
163
236
„Zu der Sorgfalt, mit der wir die beiden Sprachen, die religiöse und die naturwissenschaftliche, auseinanderhalten müssen, gehört auch, daß wir jede Schwächung ihres Inhalts
durch ihre Vermengung vermeiden müssen.“167
Obwohl Heisenberg mit Nachdruck für eine strikte Unterscheidung zwischen
naturwissenschaftlicher und religiöser Sprache eintritt, kann die Sprache der
modernen Physik ein besseres Verständnis der religiösen Sprache ermöglichen. So lassen sich die Ordnungsstrukturen der Welt, die Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung sind, zwar exakt in mathematischen Formeln
darstellen; aber wenn wir über diese Welt sprechen wollen, so Heisenberg,
„müssen wir uns mit Bildern und Gleichnissen begnügen, fast wie in der
religiösen Sprache“168. Auf diesen Punkt geht Heisenberg in einem Gespräch
ein, in dem er darauf hinweist, daß sich Religion und Naturwissenschaft in
dieser Hinsicht in der nämlichen mißlichen Lage wiederfinden:
„And, even from the gnoseological point of view, it was a great consolation for me to
realize that modern physics is in the same situation: I mean the same unhappy situation;
that of not being able to explain or express what it is except by means of comparisons and
approximations. In atomic physics, for example, we have to use images such as the ‚orbit‘
or ‚wave‘ of an electron, knowing clearly that these images are false, or that they can
express no more than half the truth.“169
Für Heisenberg handelt es sich auch bei der religiösen Sprache um eine
Sprache, die auf Bilder und Gleichnisse angewiesen ist und dabei nie genau
darstellen kann, worauf sie verweist; letzten Endes gehe es aber in den
meisten alten Religionen „um den gleichen Inhalt, den gleichen
Sachverhalt“170. Die Religionen verweisen somit in unterschiedlichen
Sprachen letztendlich auf ein- und dasselbe, wie Heisenberg in dem gerade
zitierten Gespräch näher ausführt:
„I have always liked the idea that all the religions of the world tend towards the same end,
making use of different images and allegories to express the same thing. [...] I believe that
the religions signify the same fundamental realities framed in distinct languages – the
Christian, the Buddhist, the Zen – but willing to express the same hidden thing.“171
167
Ders., Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit, 437, vgl. 435.
A.a.O., 436. Eine ähnliche Äußerung findet sich auch in einem Gespräch, das Heisenberg
im Jahr 1971 mit E. C. Hirsch führte: „Wir können über die Atome völlig klar reden, nämlich
in einer mathematischen Sprache, die präzis und widerspruchsfrei ist. Aber wenn wir das,
was wir mathematisch aufgeschrieben haben, in unsere gewöhnliche Sprache übersetzen, sind
wir gezwungen Bilder und Gleichnisse zu verwenden. Diese Denksituation schien mir einen
guten Vergleich zu bieten, um die Aussagen der Religion besser zu verstehen. Dort sprechen
wir einerseits auch von einer Realität – oder: von einer Wirklichkeit, will ich besser sagen –,
die in allen Völkern immer wieder verstanden worden ist, von der aber doch andererseits in
allen Völkern, in allen Kulturen und zu allen Zeiten nur in Gleichnissen und Bildern gesprochen worden ist“ (E. C. Hirsch, Das Ende aller Gottesbeweise? 41f).
169
W. Heisenberg, Double dialogue with Werner Heisenberg, 471.
170
Ders., Der Teil und das Ganze, 248.
171
Ders., Double dialogue with Werner Heisenberg, 471.
168
237
c) Die zentrale Ordnung der Dinge und des Geschehens
Bedenkt man, welche Bedeutung für Heisenberg der Einteilung und Ordnung
der Wirklichkeit zukommt, dann kann es nicht verwundern, daß er den
gemeinsamen „Sachverhalt“, auf den die Religionen verweisen, wiederholt als
„zentrale Ordnung“ bezeichnet. Die eigentlichen Religionen lassen sich für
ihn daran erkennen, daß in ihnen „der geistige Bereich, die zentrale geistige
Ordnung der Dinge eine entscheidende Rolle spielt“172. An dieser zentralen
Ordnung der Dinge oder des Geschehens sei nicht zu zweifeln, schreibt
Heisenberg.173 Ähnlich wie Planck scheint Heisenberg die von den Naturwissenschaften aufgedeckten Gesetzlichkeiten als Hinweis auf die zentrale
Ordnung zu interpretieren.174Ihre eigentliche Bedeutung aber erhält die
zentrale Ordnung im Hinblick auf die Begründung einer Ethik. Bei der „Frage
nach den Werten“ handelt es sich für Heisenberg „um die Beziehungen der
Menschen zur zentralen Ordnung der Welt“175: Die Ethik nimmt „den
Kompaß, nach dem sie sich richtet [...,] letzten Endes immer nur aus der
Beziehung zur zentralen Ordnung“176. Wenn nach Werten gefragt werde,
schreibt Heisenberg, so scheine die Forderung zu lauten, daß wir im Sinne
dieser zentralen Ordnung handeln sollen.177 Die Wirksamkeit der zentralen
Ordnung – oder des „Einen“178, wie Heisenberg gelegentlich schreibt – zeigt
sich ihm schon darin, „daß wir das Geordnete als das Gute, das Verwirrte und
Chaotische als schlecht empfinden“179.
Die zentrale Ordnung als tiefster Grund der Wirklichkeit ist nichts, was der
Mensch objektivieren könnte. Die zentrale Ordnung ist für Heisenberg nicht
vom erkennenden Subjekt zu trennen, sondern auch als „Mitte“ des Menschen
selbst erfahrbar. So bezeichnet bei Heisenberg das Wort „Seele“ gleichfalls
„die zentrale Ordnung, die Mitte“180 eines Menschen. Dennoch kann Heisenberg zugleich auch von einer Beziehung zur zentralen Ordnung sprechen. Was
ist damit gemeint?
Wenn man den autobiographischen Erzählungen in „Der Teil und das Ganze“
folgt, unterhielt sich Heisenberg mit verschiedenen Physikern eingehend über
religiöse Fragen, wobei wiederholt auch die Frage nach einem „persönlichen
Gott“ erörtert wurde. Als Gesprächspartner werden in diesem Zusammenhang
172
Ders., Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit, 429.
Vgl. ders., Der Teil und das Ganze, 253.
174
„In der Naturwissenschaft ist die zentrale Ordnung daran zu erkennen, daß man schließlich
solche Metaphern verwenden kann wie ‚die Natur ist nach diesem Plan geschaffen‘. Und an
dieser Stelle ist mein Wahrheitsbegriff mit dem in den Religionen gemeinten Sachverhalt
verbunden“ (W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 252). – Heisenberg weist aber
ausdrücklich die Gleichsetzung des naturgesetzlichen Zusammenhangs mit Gott als
„unerlaubte Vereinfachung“ (zit. in E. C. Hirsch, Das Ende aller Gottesbeweise? 32) zurück.
175
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 251.
176
A.a.O., 254.
177
Vgl. a.a.O., 251f.
178
A.a.O., 252.
179
Ebd.
180
A.a.O., 253.
173
238
Niels Bohr, Wolfgang Pauli und Paul Dirac genannt.181 Der Glaube an einen
persönlichen Gott, den die anderen genannten Physiker nach Heisenbergs
Darstellung nicht nachvollziehen können, bedeutet für Heisenberg, daß „man
der zentralen Ordnung der Dinge oder des Geschehens, an der ja nicht zu
zweifeln ist, so unmittelbar gegenübertreten, mit ihr so unmittelbar in Verbindung treten [kann], wie dies bei der Seele eines anderen Menschen möglich
ist“182. In diesem Zusammenhang verweist dann Heisenberg kurz – „weil es ja
auf meine persönlichen Erlebnisse hier nicht ankommt“183 – auf die
Erfahrung, die Blaise Pascal in seinem berühmten „Memorial“ ausgedrückt
hat. In dem Manuskript „Ordnung der Wirklichkeit“ geht Heisenberg allerdings etwas ausführlicher auf das „religiöse Erlebnis“ und auf eigene diesbezügliche Erfahrungen ein:
„Wenn es uns selbst angeht, so können wir vom Inhalt des Erlebnisses überhaupt nur in
Gleichnissen reden. Wir können etwa sagen, daß uns plötzlich die Verbindung mit einer
anderen, höheren Welt in einer für das ganze Leben verpflichtenden Weise aufgegangen
sei, oder daß uns in einer bestimmten Situation Gott unmittelbar begegnet sei und zu uns
gesprochen habe (ich selbst würde hier z. B. zuerst an die Nacht auf dem Söller der Ruine
Pappenheim im Sommer 1920 denken); oder wir können es so ausdrücken, daß uns mit
einem Male der Sinn unseres Lebens klar geworden sei und daß wir nun sicher zwischen
Wertvollem und Wertlosem zu unterscheiden wüßten.“184
Heisenberg schreibt dann weiter, daß das Bewußtwerden der anderen höheren
Welt etwas sei, das ganz unvermittelt, gewissermaßen von außen an uns herantrete, so daß wir nicht daran zweifeln können, daß eine andere Welt uns
gegenüberstehe und uns fordere. Alle Religion beginnt für Heisenberg mit
diesem religiösen Erlebnis, dessen Inhalt schließlich eine faßbare Form im
religiösen Mythos und im Gleichnis erhalte. Dadurch werde die Sprache
geschaffen, durch die erst über den Inhalt der religiösen Erfahrungen gesprochen werden könne.185
III. Moderne Physiker: Offen für Religion – herausfordernd
für die Theologie
Planck, Einstein und Heisenberg betonen in zum Teil fast gleichlautenden
Formulierungen die Notwendigkeit einer „reinlichen Scheidung von Religion
und Naturwissenschaft“186 (Einstein), warnen vor einer „Verwischung des Ge181
Vgl. a.a.O., 105–107, 252f. Heisenberg nennt nur die Vornamen seiner Kollegen; wer
jeweils gemeint ist, läßt sich aber leicht aus dem Kontext erschließen.
182
A.a.O., 253.
183
Ebd.
184
Ders., Ordnung der Wirklichkeit, 296.
185
Vgl. a.a.O., 296f.
186
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 75.
239
gensatzes der Aufgaben von Wissenschaft und Religion“189 (Planck) und
fordern eine sorgfältige Unterscheidung zwischen naturwissenschaftlicher
und religiöser Sprache (Heisenberg).190 Zum einen sollen damit Übergriffe in
das Arbeitsgebiet der Physik zurückgewiesen werden; zum anderen kommt
hier aber auch der bis zur Gegenwart bestehende, fast einhellige Konsens in
der Physik zum Ausdruck, daß über theologische Fragen „eine physikalische
Aussage zu formulieren, [...] eine Vermessenheit [wäre]“191. Dennoch stehen
für Planck, Einstein und Heisenberg Religion und Naturwissenschaft nicht
beziehungslos nebeneinander: Nach Planck „begegnen sich“192 Naturwissenschaft und Religion, ja sie „ergänzen und bedingen einander“193, Einstein sieht
„starke wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten“194, und Heisenberg
kann aufgrund eines Vergleiches mit der „Denksituation“ in der modernen
Physik „religiöse Aussagen besser [...] verstehen“195.
Vergleicht man die entsprechenden Äußerungen der drei Physiker, so lassen
sich im wesentlichen drei ihnen weitgehend gemeinsame Zugänge von der
Physik zur Religion unterscheiden.
Der erste Zugang ergibt sich aus der Einsicht, daß Physiker auf ethische
Normierungen zwar nicht verzichten können, diese aber nicht von der Physik
selbst oder einer anderen Naturwissenschaft begründet werden können.
Planck, Einstein und Heisenberg bietet sich darum offensichtlich die Religion
als zuständige Instanz für die Vorgabe ethischer Normen an. Planck betrachtet
Religion als unabdingbare Voraussetzung für entschlossenes Handeln:
„Denn wir stehen mitten im Leben und müssen in dessen mannigfachen Anforderungen
und Nöten oft sofortige Entschlüsse fassen oder Gesinnungen betätigen, zu deren richtiger
Ausgestaltung uns keine langwierige Überlegung verhilft, sondern nur die bestimmte und
klare Weisung, die wir aus der unmittelbaren Verbindung mit Gott gewinnen.“ 196
Fragen der Ethik, so Planck lapidar, gehören nicht in den Zuständigkeitsbereich der Physik.197 Einstein betrachtet es, wie gesehen, sogar als die wichtigste Funktion der Religion, fundamentale Werte und Ziele zu vermitteln –
„man soll nicht versuchen, sie zu begründen“, so schreibt Einstein über diese
Ziele, „sondern sie ihrem Wesen nach klar und rein erkennen.“198 Auch
Heisenberg delegiert ethische Fragen in den Zuständigkeitsbereich der Religion:
189
M. Planck in seinen Akademieansprachen, 47.
Vgl. W. Heisenberg, Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit, 436.
191
E. Lüscher, Moderne Physik, 10.
192
M. Planck, Religion und Naturwissenschaft, 37.
193
A.a.O., 38.
194
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 75.
195
Zit. in: E. C. Hirsch, Das Ende aller Gottesbeweise? 41.
196
M. Planck, Religion und Naturwissenschaft, 38.
197
Vgl. ebd.
198
A. Einstein, Religion und Wissenschaft, 72.
190
240
„Die Religion ist [...] Grundlage der Ethik, und die Ethik ist die Voraussetzung des
Lebens. Denn wir müssen ja täglich Entscheidungen treffen, wir müssen die Werte wissen
oder mindestens ahnen, nach denen wir unser Handeln ausrichten.“ 199
Zwar ist es zweifellos richtig, daß ethische Normen nicht physikimmanent
entwickelt werden können und Physiker hier auf die Unterstützung anderer
Wissenschaften angewiesen sind; aber dies allein kann nicht schon rechtfertigen, daß ethische Fragen – und damit auch Fragen nach der Verantwortung
physikalischer Forschung – unbesehen an die theologische Fakultät weitervermittelt werden. Derart schlichten Verweisungen auf Theologie oder Religion,
wann immer es um Fragen der Ethik geht, begegnet man bei Naturwissenschaftlern bis in die Gegenwart hinein – aber deutlich seltener. Bei Physikern ist das diesbezügliche Verantwortungsbewußtsein insbesondere seit der
Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki, aber auch durch die sich in den
vergangenen Jahrzehnten immer deutlicher abzeichnende Ambivalenz des
technisch-naturwissenschaftlichen Fortschritts gewachsen. In diesem Zusammenhang muß auch noch einmal erwähnt werden, daß bezüglich ethischer
Fragen in den vergangenen Jahren ein vergleichsweise intensiver Dialog
zwischen Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften eingesetzt hat, der
allen Beteiligten die Verantwortung für die Folgen naturwissenschaftlicher
Forschung als gemeinsame Aufgabe begreiflich werden ließ.
Der zweite Zugang zur Religion ist von den klassischen Physikern, insbesondere von Kepler her bekannt: Namentlich für Einstein offenbart sich Gott in
der Harmonie der Naturgesetze,200 aber auch bei Planck bedarf es nur eines
kleinen Gedankenschrittes, um in den Naturgesetzen „das Walten der göttlichen Vernunft“201 zu erkennen, was bei ihm schließlich sogar zur Gleichsetzung von Gott und naturgesetzlicher Ordnung führt. In dieser Hinsicht äußert
sich Heisenberg allerdings ungleich zurückhaltender und qualifiziert eine
derartige Gleichsetzung als unerlaubte Vereinfachung.202 Weniger die naturgesetzlichen Zusammenhänge, die die Physik aufdecken kann, als vielmehr
das Bewußtwerden ihrer grundsätzlichen Grenzen schaffen bei Heisenberg
wieder Raum für Religion.
Damit zeigt sich ein dritter Zugang zur Religion, der sich den Physikern
gerade aufgrund der neuen physikalischen Theorien nahelegt und der eng mit
dem veränderten Verständnis physikalischer Wirklichkeit verbunden ist. Wie
viele klassische Physiker nennt Planck als Ziel naturwissenschaftlicher
Forschung noch die „Schaffung eines Weltbildes, dessen Realitäten keinerlei
Verbesserung mehr bedürftig sind und die daher das endgültig Reale
darstellen“203. Aber schon bei Planck entzieht sich diese Wirklichkeit letztem
naturwissenschaftlichem Zugriff: die Gesetzlichkeit der Natur ist nur bis zu
einem gewissen Grad erkennbar,204 der realen Welt können wir uns nur immer
weiter annähern, sie bleibt aber „in unerreichbarer Ferne“205. Auch Einstein
199
W. Heisenberg, Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit, 429.
Vgl. A. Einstein, Die Religiosität der Forschung, 28.
201
Vgl. M. Planck in seinen Akademie-Ansprachen, 43.
202
Vgl. Anm. 173.
203
M. Planck, Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 17.
204
Vgl. ders., Religion und Naturwissenschaft, 33.
205
Ders., Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 21f.
200
241
verweist auf „das Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen“206
und betont wiederholt die Begrenztheit physikalischer Erkenntnis. Für
Heisenberg schließlich haben „Begriffe, wie ‚objektiv real‘ [...] gegenüber der
Situation, wie man sie in der Atomphysik vorfindet, keine von vornherein
klare Bedeutung“207, „die klassische Vorstellung der ‚objektiven-realen
Dinge‘ [muß] hier aufgegeben werden“208, und die moderne Physik sieht sich
damit in der Situation, die Wirklichkeit nur noch in Bildern und Annäherungen ausdrücken zu können, von denen sie zugleich weiß, daß sie falsch sind
oder nur die Hälfte der Wahrheit ausdrücken.209
Auch andere Physiker sind in ihren Aussagen über die Wirklichkeit im
Verlauf des 20. Jahrhunderts sehr vorsichtig geworden. Kein Physiker, der die
Entwicklung der Relativitäts- und Quantentheorie erlebt habe, werde „über
die Richtung, in der die Wirklichkeit liegt, allzu dogmatische Behauptungen
aufstellen“210, schreibt der Astrophysiker und Mathematiker James Jeans.
Noch um die Jahrhundertwende habe man gedacht, „daß wir auf eine letzte
Wirklichkeit mechanischer Art lossteuerten“211. Nun aber würden die meisten
Physiker zugeben, daß die Bilder, die die Wissenschaft von der Natur entwerfe, Fiktionen seien, sofern man unter einer Fiktion verstehe, daß die Wissenschaft noch nicht mit der letzten Wirklichkeit in Berührung sei.212 Die
hervorstechendste Leistung der Physik des 20. Jahrhunderts sei damit für
viele Physiker weder Relativitäts- noch Quantentheorie oder Kernspaltung,
sondern eben „die allgemeine Erkenntnis, daß wir noch nicht in Berührung
mit der letzten Wirklichkeit sind“213. Der Atomphysiker und Heisenbergschüler Hans-Peter Dürr äußert, die Quantenphysik mache wieder deutlich, „daß
unsere wissenschaftliche Erfahrung, unser Wissen über die Welt nicht der
‚eigentlichen‘ oder ‚letzten‘ Wirklichkeit, was immer man sich darunter
vorstellen will, entspricht“214. In diesem Sinn stellt auch der Physiker Helmut
Gärtner fest, trotz der Beiträge, die die Quantenmechanik zur Erhellung partieller Aspekte der Wirklichkeit liefere, bleibe diese „eine ‚verschleierte
Wirklichkeit‘ (d’Espagnat) oder nach Paulus ein dunkles Bild, das wir durch
einen Spiegel sehen“215.
Die Erfahrung, daß sich der Physik die „Wirklichkeit“ letztlich entzieht, führt
freilich nicht geradewegs und zwangsläufig von der Physik zur Religion.
Aber die durch die moderne Physik so nachhaltig geförderte Einsicht in die
206
A. Einstein, Wie ich die Welt sehe, 14.
W. Heisenberg, Die Entwicklung der Deutung der Quantentheorie, 444.
208
A.a.O., 448.
209
Vgl. W. Heisenberg, Double dialogue with Werner Heisenberg, 471.
210
J. Jeans, In unerforschtes Gebiet, 63.
211
Ebd.
212
Vgl. a.a.O., 49.
213
Ebd. – Das „noch“ in diesem Zitat, läßt hier freilich den Gedanken zu, daß einmal doch
möglich sein könnte, von der Physik aus, „in Berührung mit der letzten Wirklichkeit“ zu
kommen.
214
H.-P. Dürr, Physik und Transzendenz, 13.
215
H. Gärtner, Nicht-lokale Realität oder was ist Wirklichkeit? 73.
207
242
Grenzen physikalischer Erkenntnis verdeutlicht immerhin, daß Physik den
Zugang zur Religion offenhält. Daran erinnert auch der Quantenphysiker
Pascual Jordan, wenn er feststellt, daß alle Hindernisse und Mauern, welche
die ältere Naturwissenschaft auf dem Wege zur Religion aufgerichtet habe,
nicht mehr vorhanden seien.216 Der Biophysiker Alfred Gierer verweist
darauf, daß insbesondere auch die Quantentheorie erbracht habe, daß es
„prinzipielle, unüberwindliche, aber auch gedanklich einsehbare Grenzen
wissenschaftlicher Erkenntnis gibt“217, und Gierer konstatiert in diesem
Zusammenhang, daß die moderne Wissenschaft damit „bescheidener, aufgeschlossener und offener zu sein [scheint], offen besonders für die großen
Sinn- und Deutungsfragen“218. Die metatheoretische Mehrdeutigkeit der Welt,
so Gierer weiter, sei eben auch Freiheit zur Interpretation, die allerdings die
durch die Wissenschaft selbst gesetzten Grenzen respektieren muß.
Die Offenheit der modernen Physik „für die großen Sinn- und Deutungsfragen“ kann im Anschluß an einen Vergleich von Hans-Dieter Mutschler veranschaulicht werden. Mutschler vergleicht die uns begegnende Wirklichkeit mit
einem Text und den Physiker mit einem Wissenschaftler, der die Grammatik
dieses Textes aufzudecken versucht.219 Die grammatikalische Analyse eines
Textes könne prinzipiell nichts über Sinn oder Unsinn dieses Textes ausmachen, und selbst „wenn der Grammatiker in einem Text alle Regeln seiner
Wissenschaft verifiziert hat, wenn ihm darin kein Sinn begegnet ist, so darf er
daraus nicht rückschließen, daß es diesen Sinn überhaupt nicht gibt“220.
Genauso wenig vermag nach Mutschler die Physik Aussagen über den Sinn
und Inhalt der Wirklichkeit im Ganzen zu machen. Allerdings sieht Mutschler
eine „Korrelation zwischen grammatikalischer Struktur und Sinnstruktur,
zwar nicht derart, als könnte man aus der Grammatik den Sinn des Textes
erschließen, aber doch so, daß die beiden aufeinander hingeordnet sind“221.
Grammatik gebe nämlich nicht allein objektive Regeln des richtigen
Sprechens vor, sondern stelle zugleich auch die Möglichkeit von Sinnerschließung, aber auch von Sinnverbergung bereit.222
Führt man diesen Vergleich noch etwas weiter aus, so läßt sich damit die
durch die moderne Physik veränderte Situation verdeutlichen. Der Umbruch
von der klassischen zur modernen Physik läßt sich dann damit vergleichen,
daß dem Text eine neue und angemessenere Grammatik zugrunde gelegt wird.
Auch die neue Grammatik vermag freilich unmittelbar keine Aussage über
Sinn und Inhalt der Wirklichkeit im Ganzen zu machen; aber sie ist gegenüber
216
P. Jordan, Der Naturwissenschaftler vor der religiösen Frage, 357.
A. Gierer, Physik, Leben, Bewußtsein. Über Tragweite und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis, 120.
218
A.a.O., 121. – Auf für den theoretischen Physiker H. Römer, Physik der Unsterblichkeit?
128, „macht das Naturbild der heutigen Physik das Glauben leichter: Die Welt gleicht nicht
mehr einem riesigen Uhrwerk, sie ist offener, persönlicher, ‚beseelter‘ geworden. Der Reduktionismus verliert immer mehr an Boden.“ Vgl. ders., Naturgegeben oder frei erfunden? 224,
sowie 232: „Wir können an der Natur sowohl ihre strenge Ordnung als auch deren farbigen
Abglanz in unendlich interpretierbarer Mannigfaltigkeit bewundern.“
219
Vgl. H.-D. Mutschler, Physik, Religion, New Age, 25f; vgl. auch 33f, 114, 116, 120, 135f.
220
A.a.O., 30.
221
A.a.O., 36f.
222
Vgl. a.a.O., 38.
217
243
der alten Grammatik, die eher Möglichkeiten der „Sinnverbergung“
nahelegte, offener auch für Möglichkeiten der Sinnerschließung. Die von der
modernen Physik der Wirklichkeit zugrunde gelegte Struktur erlaubt dementsprechend viel eher eine Korrelation zu einer „Sinnstruktur“, als dies im
Rahmen der klassischen Physik mit ihrem Ideal mechanischer Erklärbarkeit
denkbar war.
Die mit der Quantentheorie (wieder) offensichtlich gewordene Einsicht in die
grundsätzliche Begrenztheit physikalischer Erkenntnis kann den Physikern
auch einen Zugang zur Religion eröffnen. Diese Offenheit für Religion äußert
sich in den Stellungnahmen von Planck, Einstein und Heisenberg allerdings
als eine Offenheit, die unter Vorbehalten geschieht und mit bestimmten,
deutlich von der modernen Physik inspirierten Vorstellungen von Religion
verbunden ist.
Unbestritten ist für diese Physiker, daß das durch den Umbruch in der Physik
veränderte Wirklichkeitsverständnis mit religiösen Vorstellungen vereinbart
werden kann. Fraglich ist ihnen selbst aber, ob sich diese Vorstellungen noch
mit spezifisch christlichen Glaubensvorstellungen verbinden lassen. Ist einem
„naturwissenschaftlich einigermaßen Gebildeten“223 der Zugang zu wesentlichen christlichen Glaubensaussagen verwehrt? Wird Physikern, die sich in
ihrer Wissenschaft mehr und mehr von anschaulichen Vorstellungen gelöst
und immer abstrakteren Gesetzen zugewandt haben, mit dem christlichen
Glauben ein Rückfall in anthropomorphes Denken zugemutet? Geschieht dies
in der christlichen Rede von einem persönlichen Gott, der sich in der
Geschichte den Menschen offenbart? Jedenfalls ist bemerkenswert, daß die
Offenheit von Physikern für Religion nicht einer konfessionell geprägten
Gläubigkeit zugute kommt. Einstein entdeckt die kosmische Religiosität bei
Juden und bei Christen unterschiedlicher Konfession genauso wie bei
Angehörigen anderer Religionen, ja sogar bei Menschen, „die ihren Zeitgenossen oft als Atheisten erschienen“224. Überhaupt fällt auf, daß Physikern die
Pluralität von Religionen unproblematisch erscheint: die Religionen sind nur
unterschiedliche anschauliche Formen „echter Religion“ (Planck), sie drücken
dieselbe grundlegende Wirklichkeit nur in unterschiedlichen Sprachen aus
(Heisenberg), oder sie werden als komplementäre Beschreibungsweisen
aufgefaßt, „die aber erst in ihrer Gesamtheit einen Eindruck von dem Reichtum vermitteln, der von der Beziehung der Menschen zu dem großen Zusammenhang ausgeht“225.
Im Bewußtsein des revolutionären Umbruches in der modernen Physik, die
nicht nur nach Überzeugung vieler Physiker das moderne Bewußtsein
nachhaltig prägt, erwarten diejenigen Physiker, die sich mit religiösen Fragen
befassen, daß sich nun auch die Theologie bemüht, sich gegenüber diesem
gewandelten Bewußtsein verständlich zu machen. „Naturwissenschaftler
223
M. Planck, Religion und Naturwissenschaft, 22.
A. Einstein, Religion und Wissenschaft, 25.
225
W. Heisenberg, Der Teil und das Ganze, 109, gibt hier eine von N. Bohr ihm gegenüber
geäußerte Vorstellung wieder.
224
244
müssen die Christen fragen“, fordert Carl Friedrich von Weizsäcker in diesem
Sinn, „ob sie das moderne Bewußtsein vollzogen haben.“226 Es sei keine
Schande und keine Gefährdung, so Weizsäcker weiter, zuzugeben, daß die
gedanklichen Probleme zwischen religiöser Wahrheit und modernem Bewußtsein ungelöst seien. Aber dieses Geständnis nötigt Theologie und Naturwissenschaft zu einem Dialog, in dem die Theologie unter Beweis stellen muß,
ob sie das moderne Bewußtsein überhaupt noch nachvollziehen kann.
Allein eine den veränderten Umständen nur notdürftig angepaßte Interpretation des überlieferten Glaubens würde die Erwartungen der modernen Physiker kaum befriedigen können. Ohne Theologie auf Physik reduzieren zu
wollen, beanspruchen sie – implizit oder explizit –, daß Einsichten der modernen Physik mittelbar zur Klärung des Wesens der Religion beitragen können.
Planck fragt ausdrücklich nach den Grenzen, welche eventuell dem religiösen
Glauben durch die Erkenntnisse der physikalischen Wissenschaft vorgeschrieben werden.227 Nach Einstein vermag wissenschaftliche Erkenntnis die
Religion zu adeln, zu vertiefen und zu reinigen, indem sie zur Überwindung
anthropomorpher Gottesvorstellungen beiträgt.228 Entsprechend vertritt auch
der Physiker und Mathematiker Nevill Mott die Ansicht, „daß die Wissenschaft eine reinigende Wirkung auf die Religion haben könnte, indem sie sie
von Überzeugung[en] aus einem vorwissenschaftlichen Zeitalter befreit und
uns zu einer wahreren Vorstellung von Gott verhilft“229. Damit werden von
diesen Physikern nachdrücklich Rückwirkungen naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse auf religiöse Vorstellungen gefordert. Ähnlich hatte schon
Bernhard Bavink die Ansicht vertreten, daß eine neue naturwissenschaftliche
Erkenntnis, die mit bestimmten religiösen Vorstellungen unvereinbar ist, eine
Modifikation dieser Vorstellungen notwendig mache und damit zu einer
Besinnung auf das Wesen der Religion beitragen könne.230 Derartigen Gedanken scheint im übrigen auch Papst Johannes Paul II. grundsätzlich aufgeschlossen zu sein, wenn er – mit ganz ähnlichen Worten wie Albert Einstein
und Nevill Mott – erklärt, daß nicht nur Religion die Naturwissenschaft von
Götzendienst und falschen Absolutsetzungen befreien, sondern umgekehrt
auch Naturwissenschaft die Religion von Irrtum und Aberglauben reinigen
könne.231
226
C. F. v. Weizsäcker, Notizen zum Gespräch über Physik und Religion, 329.
Vgl. M. Planck, Religion und Naturwissenschaft, 30.
228
Vgl. A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 77f.
229
N. Mott, Die Existenz Gottes und die Wissenschaft, 164.
230
Vgl. 4. Kap. IV. 2. f. vorliegender Arbeit.
231
„Science can purify religion from error and superstition; religion can purify science from
idolatry and false absolutes. Each can draw the other into a wider world, a world in which
both can flourish“ (John Paul II., in: R. J. Russell/W. R. Stoeger/G. V. Coyne, Physics, Philosophy and Theology: A Common Quest for Understanding, M 13; deutsch: Johannes Paul II.,
Schreiben an George V. Coyne, 159). Im übrigen hat schon Thomas von Aquin daraufhingewiesen, daß ein Irrtum über die Schöpfung zuweilen auch von der Wahrheit des Glaubens
abführe: „Est etiam necessaria creaturarum consideratio non solum ad veritatis instructionem,
sed etiam ad errores excludendos. Errores namque qui circa creaturam sunt, interdum a fidei
veritate abducunt, secundum quod verae Dei cognitioni repugnant. Hoc autem multipliciter
contingit“ (Summa contra gentiles 2, 3).
227
245
IV. Rückblick und Ausblick: Sechs Feststellungen zum Dialog
von Theologie und moderner Physik
In den folgenden sechs Feststellungen werden noch einmal einige zentrale
Gedanken der vorliegenden Arbeit zusammengefaßt. Dies ist zugleich ein
Ausblick auf die Möglichkeiten und Aufgaben des künftigen Dialogs von
Theologie und moderner Physik.
1. Bei der überwiegenden Zahl der insgesamt spärlichen theologischen
Reaktionen auf die moderne Physik in den ersten Jahrzehnten des 20.
Jahrhunderts erwies sich die Theologie als fragwürdiger und weitgehend
inkompetenter Dialogpartner der Physik.
Insbesondere die theologischen Reaktionen auf die Relativitätstheorie zeigten,
daß die Theologie selbst grundlegende Entwicklungen in der modernen
Physik nicht mehr angemessen nachvollziehen konnte. Die Folge davon war
eine zunehmende Entfremdung zwischen theologischen Denkweisen und der
Vorstellungswelt der modernen Physik. Neben den Nachwirkungen des
Konflikts zwischen den neuzeitlichen Naturwissenschaften und der katholischen Kirche ist die uneingestandene, für Physiker aber offensichtliche
Inkompetenz, die sich in diesen Reaktionen äußerte, ein Grund für das
geringe Interesse der meisten Physiker an einem Dialog mit der Theologie.
Konstruktive Anstöße für eine Reflexion über das Verhältnis zwischen
moderner Physik und Religion kamen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
nicht von Theologen, sondern von einigen theologisch gebildeten und
interessierten Naturwissenschaftlern.
2. Die unmittelbare Auseinandersetzung der Theologie mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die schon zur Konfrontation zwischen neuzeitlicher
Astronomie und Theologie geführt hatte, stellte sich auch im Hinblick auf die
moderne Physik als falscher Ausgangspunkt für einen fruchtbaren Dialog
heraus: Das Bestreiten der experimentellen Verifizierbarkeit der Relativitätstheorie durch neuscholastische Theologen endete genauso kläglich wie der
Versuch, aus quantenphysikalischen Phänomenen einen Hinweis auf das
unmittelbare Eingreifen Gottes abzuleiten.
Die Theologie ist nicht zuständig, wenn es um die Richtigkeit physikalischer
Erkenntnisse geht – dies ist Sache des innerphysikalischen
Klärungsprozesses. Die vergangenen drei Jahrhunderte zeigen überdies, daß
wiederholt neue physikalische Theorien – richtige oder falsche, bis heute
bewährte oder längst aufgegebene – kurz nach ihrem Auftreten sowohl von
Theologen als auch von Naturwissenschaftlern als naturwissenschaftliches
Argument für oder gegen die Möglichkeit von Metaphysik gedeutet wurden.
246
Mechanismus, Atomismus, Energetismus, Relativitätstheorie, Quantentheorie
und dergleichen lösten fast reflexartig angeblich sichere Extrapolationen aus,
die die tatsächliche Aussagekraft der jeweiligen Theorie aber weit
überstiegen: einmal glaubten sich eher die „Metaphysiker“ bestätigt sehen zu
können (etwa bei der Quantentheorie), ein andermal eher die „Metaphysikkritiker“ (etwa bei der Relativitätstheorie oder im Zusammenhang mit dem
klassischen Mechanismus); stets aber versuchten Vertreter beider Seiten die
betreffende Theorie für sich in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus gab es
immer wieder den Versuch, diverse physikalische Einzelphänomene, die
besonders erstaunlich und für die Naturwissenschaft noch unerklärlich waren,
theologisch auszubeuten (heute gilt dies vor allem für die „Feinabstimmung“
der fundamentalen Naturkonstanten und für das davon abgeleitete „anthropische Prinzip“). Doch mit einigem Abstand erwies sich noch allemal: Keine
physikalische Theorie – und schon gar kein physikalisches Einzelphänomen –
nötigt zu einer bestimmten metaphysischen Extrapolation, und keine physikalische Theorie kann die Möglichkeit von Metaphysik widerlegen.
3. Die Theologie muß bedenken, daß die physikalischen Erkenntnisse, die im
Dialog mit der modernen Physik zur Sprache kommen, immer schon und
notwendigerweise philosophisch gedeutete Erkenntnisse sind.
Es gibt verschiedene mögliche Interpretationen des mathematischen Formalismus, der einer physikalischen Theorie zugrunde liegt. In diesen verschiedenen
Interpretationen äußert sich explizit oder implizit ein bestimmter erkenntnistheoretischer Standpunkt, der darüber hinaus zu ganz unterschiedlichen
Weltbildern ausgebaut werden kann. Bereits die Begriffe der Alltagssprache,
mit deren Hilfe physikalische Theorien vermittelt werden (müssen), enthalten
unvermeidlich Anschauungen und Vorstellungen, die mit deutenden Elementen verbunden sind. Dies gilt ganz besonders für die populärwissenschaftlichen Darstellungen physikalischer Erkenntnisse, die oft völlig auf die
mathematischen Formulierungen verzichten und dafür um so mehr vielleicht
legitime, aber keineswegs zwingende Deutungen enthalten. Es gibt jedenfalls
nicht die eindeutige Physik, mit Bezug auf die (oder im Anschluß an die) die
Theologie metaphysische Vorstellungen konzipieren könnte.
4. Erst auf der Ebene der expliziten philosophischen Deutungen physikalischer Theorien ist ein Dialog zwischen Physik, Philosophie und Theologie
sinnvoll.
Der Umbruch von der klassischen zur modernen Physik in den ersten
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sowie die sich anschließenden philosophischen Deutungen und theologischen Reaktionen zeigten in aller Deutlichkeit:
um einen fruchtbaren Dialog zu führen, müssen sich Physik und Theologie
auf eine Ebene begeben, auf der physikalische Theorien explizit philosophisch gedeutet werden können.232 Dieser Dialog kann zur Klärung beitragen,
wo Übergänge von gesicherten physikalischen Erkenntnissen und ihren unterschiedlichen Deutungen zu reiner, von physikalischer Forschung zwar längst
232
Vgl. U. Kropac, Naturwissenschaften und Theologie im Dialog, 325–331, 339; W.
Achtner, Chance der Metaphysik. Naturwissenschaft und Theologie im Dialog, 97f.
247
abgehobener, aber dennoch möglicher Spekulation stattfinden. Philosophen
und Theologen, denen die moderne Physik meist nur in popularisierter Form
zugänglich sein kann, sind hier zwangsläufig auf die Hilfe der Physiker und
Mathematiker angewiesen, die Einblick haben in das Zusammenspiel von
experimentellen Befunden, mathematischer Theorie und diesbezüglichen
Deutungen. Schon die Bewertung unterschiedlicher Deutungen physikalischer
Theorien anhand entsprechender Kriterien ist freilich eine philosophische
Aufgabe, die heute allerdings nur noch von den Naturwissenschaftlern selbst
oder doch in engem Austausch mit ihnen angegangen werden kann. Voraussetzung für einen konstruktiven Austausch zwischen Physik, Philosophie und
Theologie ist jedenfalls, daß die unterschiedlichen philosophischen Deutungen von allen Beteiligten explizit als Deutungen erkannt werden können.
Das Interesse einer Theologie, die gelernt hat, auf die unmittelbare theologische Ausbeutung der modernen Physik zu verzichten, gilt in diesem
Zusammenhang insbesondere der Kritik physikalistischer Entwürfe, bei denen
physikalische Erkenntnisse unversehens metaphysisch extrapoliert werden.
Selbst wenn manche Physiker diese Entwürfe als Bestätigung der Theologie
verstehen und einzelne Theologen sie in diesem Verständnis bestärken, so
treten diese Entwürfe dessen ungeachtet in Konkurrenz zur Theologie. Die
Wirklichkeit begegnet der modernen Physik nur nach Maßgabe ihres methodischen Zugangs unter einem bestimmten eingeschränkten Aspekt. Da es
Aufgabe der Theologie bleibt, die Wirklichkeit als Ganze zu deuten, muß sie
zwar unabdingbar die der modernen Physik begegnende Wirklichkeit in ihre
Deutung mit einbeziehen, aber sie darf diese von der Physik nicht allein zu
leistende Deutung nicht den fragwürdigen Extrapolationen einzelner Physiker
überlassen.
Im Rückblick auf die theologischen Reaktionen im Anschluß an die Relativitätstheorie läßt sich verdeutlichen, was sinnvolles Thema für einen Dialog
zwischen Physik, Philosophie und Theologie gewesen wäre: Anstatt sich
unmittelbar über die Richtigkeit oder die Falschheit der Relativitätstheorie
auszulassen, hätten neuscholastische Theologen die Auseinandersetzung mit
der Deutung, die die Philosophen und Physiker im „Wiener Kreis“ der Relativitätstheorie zuschrieben, führen müssen. Es wäre für die Theologie lohnend
gewesen nachzuweisen, daß die dortige Deutung der Relativitätstheorie als
„empirische Philosophie“ und als Bestätigung der Metaphysikkritik im Sinn
des Logischen Positivismus zwar möglich, aber keineswegs notwendig ist.
Umgekehrt hätten Physiker zum Beispiel Karl Heim darauf hinweisen
können, daß seine „Gedanken eines Theologen zu Einsteins
Relativitätstheorie“233 auf einer krassen Fehldeutung dieser Theorie beruhten.
Die bisherigen Feststellungen betonen, daß einerseits kein zwingender Weg
von der Physik zur Metaphysik führt, andererseits aber die Grenzen zwischen
Physik, Philosophie und Theologie keineswegs mit der gewünschten Schärfe
gezogen werden können: Physik enthält bereits unvermeidlich philosophische
233
K. Heim, Gedanken eines Theologen zu Einsteins Relativitätstheorie, 330–347.
248
Deutungen, und extreme, aber mögliche Deutungen können sich zum Religionsersatz aufblähen und damit in Konkurrenz zur Theologie treten.234
Bezüglich der jeweiligen umstrittenen Übergänge besteht darum permanenter
Klärungsbedarf. Aber darüber hinaus ist der Dialog von Theologie und Physik
noch aus weiteren Gründen notwendig.
5. Im Vergleich zur klassischen Physik prägt die moderne Physik die
Wirklichkeitsvorstellungen der Physiker in völlig anderer Weise – und damit
auch ihre Stellungnahmen zu Fragen der Religion, sofern sie sich mit diesen
Fragen befassen.
Wie schon für die klassische Physik sind auch für die moderne Physik alle
Bemühungen, metaphysische Fragen auf dem Weg der Naturwissenschaft
beantworten zu wollen, „Versuche mit untauglichen Mitteln“235. Gleichwohl
kann weder die klassische noch die moderne Physik den Weg zur Metaphysik
versperren. Im Gegenteil zeigt sich, daß gerade die moderne Physik ausdrücklicher als die klassische Physik zur Einsicht führen kann, daß sich mit ihren
Mitteln die Wirklichkeit als Ganze nicht erfassen läßt. Auch die moderne
Physik kann (und will in aller Regel) Metaphysik darum weder ersetzen noch
ausschließen. Wenn sich nun aber Physiker auch tatsächlich mit metaphysischen Fragen befassen, erweist sich, daß ihre diesbezüglichen Äußerungen
durch das veränderte Wirklichkeitsverständnis der modernen Physik maßgeblich geprägt werden. Vorliegende Arbeit zeigte dies anhand der Äußerungen
von Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg; entsprechendes
ließe sich auch bei Niels Bohr, Max Born, Pascual Jordan und anderen Physikern, die sich zu Fragen der Religion äußerten, aufweisen. Dabei leisten sich
diese Physiker keine illegitimen Grenzüberschreitungen, sondern betonen die
Notwendigkeit einer „reinlichen Scheidung von Religion und
Naturwissenschaft“236. Trotzdem spiegelt sich in ihren Äußerungen zur
Religion ihre naturwissenschaftliche Denkweise wider. Bohr spricht in
diesem Sinn von einer allgemeinen Einstellung, die den heutigen Physikern
durch die moderne Physik nahegelegt werde,237 Bondi von einer „kritischen,
analytischen, ja, skeptischen Einstellung [...], die man lernt, wenn man Naturwissenschaftler wird“238.
6. Diese Stellungnahmen verschiedener Physiker zu religiösen Fragen
beinhalten konkrete Anfragen an die christliche Theologie. Die Theologie
muß die veränderten physikalischen Wirklichkeitsvorstellungen nachvollziehen, wenn sie der Herausforderung, die sich aus diesen Anfragen ergibt,
angemessen begegnen und sie konstruktiv aufgreifen will.
Carl Friedrich von Weizsäcker hält bewußt antireligiöse Überzeugungen bei
Physikern für vergleichsweise selten und beschreibt die durchschnittliche
234
Vgl. die „Beispiele zur Metaphysik in der Physik“ in: E. Anwander, Denkweisen und
Methoden der Physik und ihr Verhältnis zu Metaphysik und Theologie, 242–247.
235
B. Bavink, Physikalische Gottesbeweise, 204.
236
A. Einstein, Naturwissenschaft und Religion II, 75.
237
Vgl. N. Bohr, Einheit des Wissens, 83.
238
H. Bondi, Wissenschaft als kritisches Kooperationsmodell, 57.
249
Haltung heutiger Physiker zur Religion als „agnostisch, aber offen“239. Im
Anschluß daran kann man die Einstellung einer Reihe von Physikern als
„offen für Religion, aber kritisch“ bezeichnen. Ihre kritischen, im einzelnen
aber sehr unterschiedlichen Stellungnahmen betreffen wie gesehen unter
anderem die christliche Gottesvorstellung: Physikern, die schon in der
Quantenphysik auf eine unüberwindliche Grenze der Objektivierbarkeit
stoßen, erscheint die theologische Rede von einem „persönlichen Gott“ als
unzumutbare Vergegenständlichung. Für Physiker, die sich bewußt geworden
sind, daß die anschaulichen Bilder in der Physik nur notdürftige Hilfsmittel
sind, um über eine anders nicht vorstellbare Wirklichkeit zu sprechen, stellt
sich die Pluralität unterschiedlicher anschaulicher Bilder als völlig legitim
dar – und es legt sich ihnen eine Analogie zur Anschaulichkeit religiöser
Sprache sowie zum Verhältnis der verschiedenen Konfessionen und Religionen untereinander nahe. Sind dies Analogien, die sich leichter zu östlichen
Religionen ziehen lassen als zum Christentum? Gründet die Hinwendung
einiger Physiker zu den östlichen Religionen darin, daß es der christlichen
Theologie nicht mehr gelingt, sich gegenüber den modernen Naturwissenschaftlern verständlich zu machen? Ist aus Perspektive der modernen
Physik, die die Erfahrung eines „Paradigmenwechsels“ zu Beginn des 20.
Jahrhunderts bereits hinter sich hat, das abendländische Christentum tatsächlich nicht mehr vermittelbar? Könnte ein „neue[s] Paradigma von Christentum“, „ein postkonfessionelles, ein ökumenisches Paradigma“240, den
Anfragen der modernen Naturwissenschaft genügen? Könnten die Anstöße
der Physik vielleicht sogar eine Rückbesinnung auf das Wesen des Christentums auslösen? Welche Anregungen für die christliche Theologie enthalten
von Physikern festgestellte Ähnlichkeiten und Analogien zwischen physikalischer Theorie und religiösem Glaube?241 Vorliegende Arbeit zeigte jedenfalls,
daß gerade auch Physiker, denen die Grenzen ihrer Wissenschaft bewußt sind
und die keineswegs „heimlich eine heidnische Gnosis und Religionslehre“242
zu schaffen versuchen, davon überzeugt sind, daß der Umgang mit den
Theorien der modernen Physik zum besseren Verständnis, zur Klärung und
zur Läuterung religiöser Vorstellungen beitragen kann.
Die Theologie muß sich auf einen intensiven Dialog mit der modernen Physik
einlassen, um wieder Zugang zu den Denkweisen und den Wirklichkeitsvorstellungen in der Physik zu gewinnen. Erst dann kann sie die verschiedenen
Anfragen und Anregungen, die sich aus Sicht der modernen Physik ergeben,
angemessen verstehen und aufarbeiten. Weicht die christliche Theologie
dieser Herausforderung aus, dann bleibt sie den Erweis schuldig, daß es auch
angesichts heutigen Wissens über die Natur möglich und vernünftig ist, sich
zum christlichen Glauben zu bekennen.
239
C. F. v. Weizsäcker, Notizen zum Gespräch über Physik und Religion, 328.
H. Küng, Das Christentum. Wesen und Geschichte, 900.
241
Vgl. J. Audretsch, Physikalische und andere Aspekte der Wirklichkeit, 34f; vgl. J.
Polkinghorne, Belief in God in an Age of Science, 25–47.
242
K. Barth, Die kirchliche Dogmatik, Bd. III, Teil 1, Vorwort.
240
250
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