3 Ergebnisse - Universitätsklinikum Münster

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3 Ergebnisse - Universitätsklinikum Münster
Universitätsklinikum Münster
Klinik und Poliklinik für
Technische Orthopädie und Rehabilitation
Leiter: Prof. Dr. H.H. Wetz
Bericht der Klinischen Prüfstelle
für orthopädische Hilfsmittel
zum Prüfauftrag
" Klassifikation von Schaftsystemen und
Stumpfbettungen"
an das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Stand: 31. Januar 2008
Impressum
Verantwortlich für
den Inhalt:
Univ.-Prof. Dr. med. H.H. Wetz
Klinik und Poliklinik für
Technische Orthopädie und Rehabilitation
Robert-Koch-Str. 30, 48149 Münster
Tel.: 0251 – 8356764,
FAX: 0251 – 8356776
E-Mail: [email protected]
Münster, im Januar 2008
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
2
Gliederung
1 Einleitung …………………………………………………………………………..
6
1.1 Anforderungen an eine Oberschenkelprothese …………………………..
6
1.2 Anforderungen an den Stumpf ……………………………………………..
6
1.3 Anforderungen an einen Schaft ……………………………………………
7
1.4 Tuberunterstützende und tuberumgreifende Schaftsysteme …………...
10
1.4.1 Aufbau eines Oberschenkelschaftes ……………………………….
10
1.4.2 Der tuberunterstützende Schaft ……………………………………..
11
1.4.3 Der tuberumgreifende Schaft ………………………………………..
13
1.5 Die Entwicklung der Schaftformen für Oberschenkelprothesen ………..
15
1.6 Schaftkonstruktionen und –materialien ……………………………………
18
1.6.1 Konstruktionstypen …………………………………………………...
18
1.6.2 Schaftmaterialien ……………………………………………………..
19
1.7 Liner …………………………………………………………………………...
19
1.8 Stand der Diskussion ……………………………………………………….
21
1.8.1 Klinischer Schaftvergleich ……………………………………………
21
1.8.2 Biomechanischer Schaftvergleich …………………………………..
23
1.9 Bisherige Arbeiten der Klinischen Prüfstelle ……………………………...
24
1.9.1 Direkte Vergleiche …………………………………………………………
24
1.9.2 Maßnahmen zur Qualitätssicherung …………………………………….
25
1.10 Hypothesen zur Klassifikation von Schaftsystemen ……………………
25
2 Material und Methode …………………………………………………………….
27
2.1 Inter-individuelle Studie ……………………………………………………..
27
2.1.1 Klinische Untersuchungen …………………………………………
27
2.1.1.1 Retrospektive Versorgungsstudie ………………………..
27
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Klassifikation von Schaftsystemen
3
2.1.1.2 Befragung zur Versorgungssituation ……………………..
28
2.1.2 Biomechanische Untersuchungen ………………………………...
29
2.2 Intra-individuelle Studie ……………………………………………………..
30
2.2.1 Patienten ……………………………………………………………..
31
2.2.2 Versorgungskombinationen ………………………………………..
33
2.2.3 Klinische Untersuchungen …………………………………………
33
2.2.3.1 Handhabbarkeit ……………………………………………..
33
2.2.3.2 Variabilität der Fußlängsrichtung ………………………….
34
2.2.3.3 Patientenbefragung ………………………………………..
35
2.2.4 Biomechanische Untersuchungen ………………………………...
35
2.2.4.1 Prothesenhub ……………………………………………….
35
2.2.4.2 Variabilität des Gangbildes ………………………………..
36
2.2.4.3 Druckverteilung im Schaft ………………………………….
35
2.2.4.4 Beckenschiefstand und –neigung ………………………...
37
3 Ergebnisse …………………………………………………………………………
38
3.1 Inter-individuelle Studie ……………………………………………………..
38
3.1.1 Klinische Untersuchungen …………………………………………..
38
3.1.1.1 Retrospektive Untersuchung von Versorgungen nach
Aktenlage (Versorgungsstatistik) …………………………
38
3.1.1.2 Patientenbefragung ………………………………………...
49
3.1.1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der interindividuellen Studie ……………………………………….
57
3.1.1.4 Tragekomfort und Zufriedenheit …………………………..
59
3.1.2 Biomechanische Untersuchungen ………………………………….
67
3.2 Intra-individuelle Studie ……………………………………………………..
70
3.2.1 Klinische Untersuchungen …………………………………………...
70
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3.2.1.1 Handhabbarkeit der Schäfte ………………………………
70
3.2.1.2 Variabilität der Fußlängsrichtung ………………………….
71
3.2.1.3 Befragung ……………………………………………………
71
3.2.2 Biomechanische Untersuchungen ………………………………….
74
3.2.2.1 Prothesenhub ……………………………………………….
74
3.2.2.2 Variabilität des Gangbildes ………………………………..
74
3.2.2.3 Druckverteilung im Schaft ………………………………….
77
3.2.2.4 Beckenschiefstand und –neigung ………………………...
79
4 Disskussion ………………………………………………………………………..
81
4.1 Hypothese 1 ………………………………………………………………….
81
4.2 Hypothese 2 ………………………………………………………………….
82
4.3 Hypothese 3 ………………………………………………………………….
83
4.3.1 Klinisch …………………………………………………………………
83
4.3.2 Biomechanisch ..............................................................................
85
4.4 Hypothese 4 ..........................................................................................
87
4.5 Hypothese 5 ...........................................................................................
88
4.6 Hypothese 6 ………………………………………………………………….
88
4.7 Hypothese 7 ………………………………………………………………….
89
5 Zusammenfassung ………………………………………………………………..
91
6 Literatur …………………………………………………………………………….
93
7 Anhang ……………………………………………………………………………..
98
7.1 Fragebogen zur Untersuchung der Versorgungssituation ………………
98
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1
Einleitung
Amputation bedeutet immer den irreversiblen Verlust eines Körperteils und somit den
Verlust der körperlichen Integrität ohne die Möglichkeit einer vollständigen Kompensation durch eine prothetische Versorgung. Ein relevantes Maß der damit verbundenen Beeinträchtigung ist die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQL, siehe
dazu Hagberg et al. 2001). Danach führt die Amputation zu einer Verringerung der
Lebensqualität insgesamt, gehäuften Depressionen und sozialer Benachteiligung.
1.1 Anforderungen an eine Oberschenkelprothese
Das Ziel jeder orthopädietechnischen Prothesenversorgung ist die Wiederherstellung
der Funktion und des äußeren Erscheinungsbildes des verlorenen Körperteils. Dies
lässt sich durch die folgende Auflistung von Anforderungen, die an eine Prothese,
insbesondere für die untere Extremität, zu stellen sind, spezifizieren [Bieringer 2007]:
•
Längenausgleich
•
Kosmetik/Ästhetik
•
Haftung am Körper
•
Schmerzfreie Übertragung von Kräften und Momenten
•
Gebrauchssicherheit und Kontrolle der Bewegung
1.2 Anforderungen an den Stumpf
Das Versorgungsergebnis verbessert sich entsprechend den Voraussetzungen, die
der Stumpf des Amputierten mit sich bringt. Kuhn [1956] spricht hier von
"Prothesenreife".
Dazu
gehört
die
freie,
aktive
Beweglichkeit
in
allen
Bewegungsrichtungen, die in Zusammenarbeit mit den Physiotherapeuten erreicht
werden
sollte.
Besonders
leicht
zu
versorgen
ist
ein
muskelaktiver
Oberschenkelstumpf, der sich auch aktiv im Schaft verklemmen kann. Weiterhin
sollte der Stumpf unempfindlich sein - Neurome erschweren die Stumpfeinbettung
und mindern die Leistungsfähigkeit. Andernfalls kann eine operative Stumpfrevision
erforderlich sein. Außerdem sollten sämtliche verbliebenen Muskeln des Stumpfes
am Femur fixiert sein oder mit ihren Antagonisten zu einer Muskelschlinge
verbunden sein.
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1.3 Anforderungen an einen Schaft
Der Schaft ist ein wesentlicher Bestandteil - wenn nicht der wichtigste Bestandteil
überhaupt - einer Prothese. Die moderne Modularbauweise von Prothesen erlaubt
die Betrachtung des Schaftes unabhängig von dem Kniepassteil. Der vorliegende
Bericht widmet sich dem Schaft für die Versorgung Oberschenkelamputierter.
Ziel einer Versorgung ist ein optimaler Schaft. Wie noch ausführlich gezeigt wird, gibt
es verschiedene Konzepte für seine Gestaltung. Um die Güte und Funktionalität
eines Schaftes beurteilen zu können - und hierzu ist eine Prüfung unter Einbeziehung des Patienten erforderlich - liefert die ISO-Norm ISO/DIS 13405-2 eine
Hilfestellung, indem sie die allgemeinen Anforderungen an einen Schaft wie folgt
formuliert:
1. Support:
Der
Schaft
soll
axiale
Kräfte
zur
Lastaufnahme
übernehmen.
2. Stabilisation:
Der Schaft soll horizontale Kräfte zur Steuerung der
Prothese übernehmen.
3. Suspension:
Der Schaft soll eine Haftung zwischen Stumpf und
Prothese erzeugen.
Bei den klinischen Anforderungen an einen Schaft besteht die Forderung, dass er
groß genug ist, das komplette Stumpfvolumen aufzunehmen, aber eng genug die
Prothese am Stumpf zu fixieren ohne die Blutzirkulation zu beeinträchtigen. Wichtig
ist dabei die Beschaffenheit des Oberschenkelstumpfes und in welchem Maße der
Schaft die individuellen Besonderheiten des Stumpfes berücksichtigt. Es ergibt sich
die Forderung nach einer Stumpfbettung, die sowohl den anatomischen wie auch
den funktionellen Gegebenheiten des Patienten entspricht.
Ein Vollkontaktschaft mit maximal möglicher Endbelastung ist die Basis für ein
optimales Versorgungsergebnis. Eine gute Passform des Schaftes und eine gute
Haftung sind Voraussetzungen dafür, dass die von Müller et al. [1955] sowie Schede
[1956] so bezeichnete "Stumpfpseudarthrose" so weit wie möglich reduziert wird.
Mit dem Begriff Stumpfpseudarthrose ist gemeint, dass am Übergang zwischen
Stumpf und Schaft nicht kontrollierbare Bewegungen auftreten können. Hierzu zählt
an erster Stelle der Prothesenhub - auch "Pumpen" genannt - also eine longitudinale
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Bewegung des Schaftes gegen den Stumpf in Abhängigkeit von der Belastung. Und
zwar wird der Stumpf in der Standphase durch das Körpergewicht des Patienten in
den Schaft hineingedrückt, während in der Schwungphase durch das Eigengewicht
der Prothese der Stumpf aus dem Schaft herausrutschen kann. Aufgrund dessen
verlängert sich das Prothesenbein in der Schwungphase, was zum Stolpern führen
kann. Störend sind weiterhin das sogenannte "Shiften", also die Lateralbewegung
zwischen Stumpf und Schaft und die Rotationsbewegung um die Longitudinalachse
des Stumpfes - letztere Bewegung erfolgt besonders beim Fersenauftritt und
Zehenabstoß. All diese Bewegungen des Schaftes gegenüber dem Stumpf machen
unharmonische
und
kraftaufwändige
Ausgleichsbewegungen
des
Patienten
erforderlich.
Die knöcherne Stumpflänge hat eine herausragende Bedeutung. Sehr kurze Stümpfe
sind generell problematischer zu versorgen als lange Stümpfe. Das Stumpfvolumen,
insbesondere wenn es größeren Schwankungen unterworfen ist, spielt weiterhin eine
wichtige Rolle. „Problemstümpfe“ mit Narben, Hauttransplantationen, Neuromen,
Exostosen und Prothesenrandknoten bereiten bei der Schaftherstellung spezielle
Schwierigkeiten, ebenso wie Streckdefizite im Hüftgelenk, wenn diese durch
Physiotherapie nicht beseitigt werden können.
Eine Flexionsfehlstellung des Stumpfes ist im Aufbau der Prothese durch die
Einbettung zu berücksichtigen. Dies hat Auswirkungen auf die Kosmetik und den
Sitzkomfort; eine Vergrößerung der A-P-Weite lässt sich in der Regel allerdings nicht
vermeiden.
Auch eine verstärkte Beckenneigung (Beckenvorkippung) ist eine verbreitete
Nebenerscheinung. Sie ist vielfach mit einer Haltungsschwäche verbunden. Eine
Ursache dafür kann z.B. das jahrelange Tragen einer querovalen Schaftform mit
Sitzbeinunterstützung sein, die ein beckenvorkippendes Moment hervorrufen kann.
Ebenso begünstigt langes Sitzen mit sich dadurch verkürzenden Hüftbeugern diese
Beckenposition. Das Becken dreht dabei im Stand um den Hüftdrehpunkt nach vorn,
das Tuber ossis ischii wandert nach hinten oben, die Symphyse in Gegenrichtung
dazu nach vorn unten. Es kommt hierdurch zu einer verstärkten Lordosierung im
LWS-Bereich.
Ein wichtiger Aspekt ist auch, wie lange und wie viel am Tag eine Prothese benutzt
wird. Für die Aktivitäten des täglichen Lebens gehen Nichtamputierte typischerweise
1500 bis 13500 Schritte am Tag [Marsden et al. 1972]. Die kleinere Zahl wird
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gleichzeitig als das für die Organisation eines selbständigen Lebens erforderliche
Minimum angesehen. Für Amputierte liegen diese Zahlen
[Holden et al 1987]
deutlich niedriger und es wird eine Mindestzahl von 600 Schritten angesetzt. Mit
zunehmendem Alter verringert sich diese Zahl weiter, und der Patient benutzt
häufiger den Rollstuhl [Beekman et al. 1987]. Das bedeutet, dass der geriatrische
Patient vermehrt sitzt und dass besonders für diesen neben dem Gehen und Stehen
auch das Sitzen mit der Prothese von großer Bedeutung ist.
Neben den Stumpfbedingungen, dem Alter und dem Allgemeinzustand sind als
Faktoren für die Art des Prothesenschaftes zu berücksichtigen:
•
häusliche Umgebung und Versorgung
•
Begleiterkrankungen
•
Körpergewicht
•
Geschlecht
Der Prothesenträger wünscht eine ausreichende Stabilität bei gleichzeitig maximal
möglicher Beweglichkeit. Dies bedeutet, dass der Schaft gut am Stumpf fixiert ist und
eine ausreichende Führung der Prothese erlaubt. Es sollte zu einer möglichst
geringen Stumpfpseudarthrose kommen, da alle unkontrollierten Bewegungen den
Amputierten beeinträchtigen.
Die Handhabbarkeit ist ein Kriterium, das für den Prothesenträger mit zunehmendem
Alter an Bedeutung gewinnt. Dazu gehört, dass der Patient die Prothese selbständig
an- und ausziehen kann. Ist er dazu nicht in der Lage, so ist die Abhängigkeit dabei
von Anderen eine der Hauptursachen, warum ein ansonsten prothetisch gut
versorgter Patient seine Prothese nicht nutzen kann oder will.
Vielfach besteht auch der Wunsch nach einer perfekten Kosmetik, um den Verlust
der Gliedmaße nach außen so wenig wie möglich sichtbar zu machen und auch
subjektiv die Prothese als Extremität in das Körperschema zu integrieren. Lösungen
hierzu werden bei Botta [1990] und Baumgartner [1997] beschrieben.
Aus den oben geschilderten Kriterien wird offensichtlich, dass neben klinischen und
biomechanischen Aspekten die Fertigung eines Schaftes sehr individuell und auf den
Patienten zugeschnitten sein muss, wobei - wie gezeigt - viele Einflussgrößen bei der
Herstellung eines Schaftes zu berücksichtigen sind.
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Die äußerst unterschiedlichen individuellen Arten von Oberschenkelstümpfen
erfordern vom Techniker umfassende anatomische Kenntnisse und eine ausführliche
Anamnese des Patienten. Es wird deutlich, dass die Maß-/Abformtechnik am
Patienten, das systematische Vorgehen in der Analyse der Passform und nicht
zuletzt die Beachtung der Aufbaukriterien Grundlage einer individuellen Versorgung
sind.
Somit zeigt sich, dass eine zufriedenstellende Versorgung im Sinne des Patienten
nur in einem interdisziplinären Team möglich ist, angefangen von dem das Hilfsmittel
verordnenden Arzt über die physiotherapeutische Behandlung bis hin zur
technischen Versorgung.
1.4 Tuberunterstützende und tuberumgreifende Schaftsysteme
1.4.1 Aufbau eines Oberschenkelschaftes
Um die Funktion des Oberschenkelschaftes zu beschreiben, bedient man sich im
Allgemeinen der auf Hepp [1948] und Elle zurückgehenden Notation, die die drei
Zonen: Schaftendbereich, Steuerungsbereich und Schafteintrittsebene vorsieht. Der
Steuerungsbereich, der ca. 5-6 cm unterhalb der Stumpfeintrittsebene beginnt, und
der Stumpfendbereich geben unabhängig vom Schaftsystem die anatomischen
Strukturen
des
Stumpfes
bei
Vollkontakt
wieder.
Durch
den
benötigten
Stumpfendkontakt wird zusätzlich die Muskelpumpe unterstützt beziehungsweise das
Bodenkontaktgefühl verbessert. Dieses gilt grundsätzlich für alle Arten von
Schaftsystemen. Die Gestaltung der Schafteintrittsebene ist allerdings für die
Funktion des Schaftes von entscheidender Bedeutung [Sibbel 2003]. Funktional
unterscheidet man heute zwischen zwei grundsätzlichen Schaftarten:
1.
der tuberunterstützende Schaft
2.
der tuberumgreifende Schaft
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Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
Abb. 1 Tuberunterstützender und tuberumgreifender Schaft für den gleichen
linksseitig amputierten Patienten. Die Gangrichtung ist durch einen Pfeil
gekennzeichnet.
1.4.2 Der tuberunterstützende Schaft
Der tuberunterstützende Schaft wird auch als queroval oder quadrilateral [Hall 1964]
bezeichnet. Desgleichen gibt es noch Varianten wie z.B. die Herz- oder
Perineumform, die trotz leichter Formunterschiede alle eine Zweckformung haben,
mit dem Ziel das Tuber ischiadicum auf dem dorsalen Schaftrand zu platzieren. Dort
soll das Körpergewicht des Amputierten auf die Prothese übertragen werden. Damit
das Tuber nicht in den Schaft hineinrutscht ist es notwendig, die hüftstreckende
Muskulatur unter dem Sitzbein zu verdrängen und im Gegenzug im frontalen Bereich
des Schaftes ein Widerlager zu schaffen, die so genannte Frontalpelotte. Deshalb
muss der tuberunterstützende Schaft ein möglichst schmales Perineum und einen
breiteren lateralen Anteil aufweisen, um die Muskulatur von medial nach lateral zu
verdrängen. Grundsätzlich ist die Verdrängung der Weichteile im querovalen Schaft
nicht ganz unproblematisch, da gerade im Bereich der Frontalpelotte sich das
Trigonum femoralis befindet, wo sich neben dem Nervus auch die Vena und die
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Arteria femoralis dicht unter der Haut befinden und somit außerordentlich
druckgefährdet sind.
Orthopädietechnisch gibt es deshalb einige Grundsätze zu beachten:
•
Der Tuberaufsitz muss immer horizontal gestaltet sein, um ein seitliches
Verrutschen des Sitzbeins auf dem Prothesenrand zu verhindern.
•
Der frontale Schaftrand muss höher (ca. 25 mm) als der dorsale sein, um eine
Beckenvorkippung zu vermindern.
•
Beide Schaftränder müssen besonders abgerundet sein, um den Druck auf die
verdrängten Muskeln, Sehnenansätze und das Gefäßdreieck möglichst
großflächig zu verteilen.
•
Bei einem Streckdefizit des Stumpfes muss der Verlauf der Tuberbank in der
Horizontalen angepasst werden und der frontale Schaftverlauf mit der
Frontalpelotte angeglichen werden.
Abb. 2 Tuberunterstützender Schaft aus frontaler und lateraler Sicht mit schematischer Darstellung des Schaftrandverlaufs und der Frontalpelotte [Hall 1964].
Als Begründung für das Konzept des tuberunterstützenden Schaftes schreibt Ploetz
[1956]: "Die natürliche Unterstützung des Körpers … muss durch das Kunstbein
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mechanisch ersetzt werden. Da eine Abstützung des Kunstbeines am Femur nicht
möglich ist, geht auch die natürliche Abstützung am Hüftgelenk verloren. Die
Abstützung muss also an anderen Stellen erfolgen. Prädestiniert erscheint hierfür
zunächst der Tuberbereich. Da eine feste Verbindung zwischen Stumpf und Schaft
nicht erreicht werden kann, kommt es zur Ausbildung der sogenannten Pseudarthrose (Schede)". Weiter wird dort ausgeführt, dass eine Tragefläche im Tuberbereich von ca. 15 cm² erforderlich ist, um schmerzhafte Drücke oberhalb von 4
N/cm² zu vermeiden.
Fehler, die der Orthopädietechniker bei der Herstellung des tuberunterstützenden
Schaftes machen kann - und die offensichtlich auch häufig gemacht wurden - werden
sowohl bei Ploetz [1956] als auch bei Kuhn [1956] pragmatisch beschrieben.
Auch für Kuhn ist das Hauptproblem die Aufnahme der Körperlast. Ist die
Lastverteilung nicht richtig, kommt es zu Zirkulationsstörungen, Anschwellung des
Stumpfes, Atrophie der Muskulatur und Stauungsgeschwüren. Weiterhin wichtig ist,
dass der Tubersitz in der vorderen Schaftwand ein genügendes Widerlager findet.
Hier ist eine schwierige Balance herzustellen. Andernfalls kommt es zu
Druckbeschwerden, Schwierigkeiten beim Sitzen und Durchblutungsstörungen.
1.4.3 Der tuberumgreifende Schaft
Dem tuberumgreifenden Schaft, der aufgrund seiner Form auch längsovaler Schaft
genannt wird, liegt eine komplett andere Philosophie
als dem tuberunterstützenden Schaft zugrunde. Das
Körpergewicht
soll
nicht
knöchern
über
das
Sitzbein, sondern großflächig von der gesamten
Stumpfoberfläche in einem quasi hydrostatischen
System
vom
Prothesenschaft
aufgenommen
werden. Dadurch ist es möglich den Stumpf in
seiner anatomischen Form in den Prothesenschaft
einzubetten ohne die Muskulatur unphysiologisch zu
verdrängen. Zur besseren Prothesenführung in der
Schwungphase und zur Vermeidung des Shiftings,
also
des
Verschiebens
und
Verkippens
des
Schaftes nach lateral, wird der Tuber von medial
Abb. 3 Schema eines tuberumgreifenden Schaftes
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Klassifikation von Schaftsystemen
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angestützt. Dabei ist vor allem die Kongruenz der Winkel des Tuber ischiadicum
und der entsprechenden Sitzbeinumgreifung von großer Bedeutung. Als Widerlager
der Tuberabstützung
dienen
die
laterale
subtrochantäre
Anlage
und eine
großflächige frontale Weichteilanlage. Dadurch soll es zu einer Zentrierung der
Bodenreaktionskräfte auf das Hüftgelenk kommen.
Bereits Habermann [1958] und später Botta [2003] haben auf die Bedeutung der
Kongruenz zwischen Stumpf- und Schaftvolumen hingewiesen: Schmerzen und
Gewebeschädigungen in der Schafteintrittsebene werden nicht nur durch Druck,
sondern auch durch Druck in Kombination mit Reibung hervorgerufen [Botta 1990].
Durch ihre knöcherne Blockierung, bestehend aus Ramusumgreifung und einer
subtrochantären Anlage verringert die längsovale Schaftform eine Stumpf-SchaftPseudarthrose, kann sie jedoch nicht vollständig vermeiden, da die Haftung des
Schaftes über die Weichteile des Stumpfes erfolgt. Je nach Beschaffenheit und
Menge des umgebenden Weichteilgewebes kann die Bewegung des Femurs im
Schaft stärker oder schwächer ausfallen. Dieses Problem soll jedoch beim
tuberunterstützenden Schaft stärker auftreten als beim tuberumgreifenden Schaft
[Baumgartner 1997]. Hierüber fehlen bisher allerdings ausreichend wissenschaftliche
Studien.
Modifikationen des tuberumgreifenden Schaftes werden als Narrow M-L, NSNA,
CAT-CAM oder ischial-containment Schaft [Schuch 1988; Schuch und Pritham 1999]
oder - in letzter Zeit besonders aktuell - als M.A.S. Schaft (Marlo-Anatomic-Socket)
bezeichnet, wobei der Namensgeber nach seiner Schaftphilosophie nicht nur das
Tuber, sondern den Ramus gleich mit in den Prothesenschaft einbettet [Gottinger
2005].
Grundsätzlich gilt für alle Modifikationen des tuberumgreifenden Schaftes:
•
Die dorso-medialen Anteile des Sitzbeinastes werden innerhalb des Schaftes
mit eingefasst.
•
Das Tuber wird nicht vertikal angestützt.
•
Die Weichteile übernehmen hydrostatische Lastübertragungsfunktion durch
Stabilisierung in a-p Richtung.
Trotz der augenscheinlichen Überlegenheit des tuberumgreifenden Schafttyps
werden immer noch zahlreiche Patienten mit tuberunterstützenden Schäften versorgt
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und auch von der Fachwelt durchaus noch akzeptiert [Schuch 1999; Sibbel 2008].
Die
Ergebnisse
einer
aktuellen
Befragung
der
klinischen
Prüfstelle
von
Oberschenkelamputierten und Statistiken der Bufa und des BIV bestätigen diese
Einschätzung.
1.5 Die Entwicklung der Schaftformen für Oberschenkelprothesen
Die Diskussion um die richtige, physiologische Form der Stumpfbettung findet sich in
frühen Veröffentlichungen bei Schede [1919], Mommsen [1918], Riedl [1915] und
Suchier [ca.1915]. In der Literatur finden sich darüber hinaus Hinweise und
Empfehlungen zur richtigen Form der "Stumpfköcher" bereits bei J.G. Heine [ca.
1811], M. C. Eichler [ca. 1836] und Karpinsky [1881]. Eine Übersicht geben Knoche
et al. [2005].
Bei der Schaftgestaltung verlangt Suchier schon 1915 eine trochanterumfasssende
Schaftform: “...nach außen steigt die Schnittlinie so weit an, dass sie mindestens mit
dem oberen Rand des Trochanter major anschließt .... je höher die Schnittführung
umso größer die Sicherheit für den Träger.“
Dass die Schaftform unstrittig der physiologischen Funktion der Stumpfmuskulatur
Rechnung tragen muss, betonen sowohl Schede [1919] als auch Gocht [1917].
Schede vertritt die Ansicht, dass bei der zu seiner Zeit vorherrschenden tuberunterstützenden Schaftform die Tuberbank den Drehpunkt des Hüftgelenks nach
hinten verlagere, die Lendenwirbelsäule in die Lordose führe und der Muskelatrophie
und Kontraktur Vorschub leiste. Er führt ferner aus, dass mit jeder Beckenaufrichtung, wie sie bei besonders muskelkräftigen Patienten während des Gehens
stets zu finden ist, das Tuber ossis ischii von der Tuberbank in den Schaft herabgezogen werde und umgekehrt. Eine Tuberbank lehnt er aus diesen Gründen ab.
Mit der Forderung, einen ventralen Schaftwulst – die Frontalpelotte - zu bilden, die
den Stumpf nach hinten auf die Tuberbank drängt, um ein ständiges Hin und Her und
Auf und Ab im Schede´schen Sinne zu vermeiden, hatten Görlach [1928] und
Glasewald [1928] jedoch die theoretische Begründung für den querovalen Schaft
gefunden.
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Nach der Einführung des „Saugschaftes“ 1933 und der Verwendung rigider
Materialien wie z.B. Holz oder Kunststoff für die Schaftherstellung werden immer
häufiger Probleme mit der tuberunterstützenden Schaftform berichtet.
In seiner Monografie „Das Kunstbein messen und bauen“ legt J. Schnur [1952] sehr
deutlich die für den Stumpf biomechanisch schädliche Funktion der Tuberbank dar.
Dies wären unter anderem
ƒ
Erhöhte Druckerscheinungen
ƒ
Blockierung des Schrittrücklagevorganges
ƒ
Pseudarthrotische Wirkung
ƒ
Entstehung des Schubmomentes
ƒ
Entstehung von Prothesenrandgeschwüren
Er forderte daher schon damals die Entwicklung einer „Sitzbeinmulde“. Auch
Habermann zeigt 1958 die Probleme dieser Schaftform auf.
In seiner Knud Jansen Lecture zur Eröffnung des ISPO Weltkongresses 1977 bestätigte C. W. Radcliffe allerdings den querovalen Schaft und differenzierte 3 Typen:
1) soft stump socket, 2) average musculature stump socket, 3) very muscular stump
socket.
Demgegenüber haben auf der Basis des NSNA-Schaftes (normal shape- normal
alignment) von Long 1974 Lehneis mit dem APO- Schaft (anterior- posterior- oval)
und Sabolich 1985 mit der „(Skeletal) Contured Adducted Trochanteric- Controlled
Alignment Method“ ein neues Schaftsystem der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf den
Ideen Schnurs und anderer (Schede, Suchier, Riedl) aufbauend entwickelten sie ein
tuberumgreifendes Schaftsystem, welches durch eine eher anatomische, längsovale
Form die Weichteile nicht einzwängt. Durch die Lastübertagung mittels der
Weichteile und die bekannte Dreipunktanlage des proximalen Schaftrandes soll das
seitliche Wegrutschen der Prothese bei der Lastaufnahme vermieden und das Femur
im Schaft in seiner physiologischen Adduktionsstellung gehalten werden. Das GefäßNervenbündel im Trigonum femorale soll so kaum erhöhtem Druck ausgesetzt
werden und die Lastübertragung vom Bein zum Becken nicht mehr über das Sitzbein
verlaufen, sondern über das anatomische Hüftgelenk, womit auch das Problem der
Beckenkippung beim Tuberaufsitz gelöst wäre [Schnur 1952; zur Verth 1941].
1985 stellten Christopher Hoyt et al. in der University of California Los Angeles
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(UCLA USA) ein erstes lehrbares, didaktisch ausgearbeitetes Konzept dieser
Schafttechnik vor. 1986 besuchte Kaphingst anläßlich einer Studienreise sowohl die
NYU-Post Graduate Medical School, als auch das RUSK-Institut der NYU und John
Sabolich in Oklahoma City (Original CAT-CAM - Konzept) und berichtete 1987 in
Deutschland erstmals über diese SCAT-CAM und CAT-CAM-Schafttechnik und über
erste vorsichtige Versorgungsversuche.
1989 berichtet Kogegei von den ersten Erfahrungen mit dieser neuen tuberumgreifenden Schaftform, erarbeitete an der Bundesfachschule eine strukturierte,
lehrbare Technik und führte den Begriff "längsovale Schaftform" ein. Die Vorteile
dieser Schaftform verbreiten sich im Handwerk. Botta greift die neue Technik auf,
bleibt beim bekannten Material Holz und diskutiert schon ein Jahr später darüber, ob
die querovale Schaftform noch vertretbar sei [Botta 1990]. Zur eindeutigen
Abgrenzung der unterschiedlichen Schaftphilosophien prägen Fitzlaff und Kaphingst
den Begriff "sitzbeinumgreifende Schaftform". Die heute synonym genutzten
Bezeichnungen
sitzbeinumgreifend
und
längsoval
haben
ihr
sprachliches
Entsprechung in sitzbeinunterstützend und queroval.
Obwohl die Vorteile des neuen biomechanischen Konzeptes sich schnell zeigen und
von anerkannten Kapazitäten der Prothetik (z.B. Habermann, Pohlig, Botta) die
tuberumgreifende Schafttechnik bald fast ausschließlich eingesetzt wird, gibt es bis
heute nur
wenige Studien,
die sich
mit
diesem
Thema
wissenschaftlich
auseinandersetzen [Baumgartner 1997, Michael 1990, Pritham 1990, Radcliffe
1995].
Mit der Einführung der neuen tuberumgreifenden Schaftform sind auch neue
Arbeitstechniken verbunden. Unter anderem werden zur Kontrolle der Passform
während der Anprobe die Klarsichtschäfte eingeführt. Der Tragekomfort wird durch
die Weiterentwicklung des ISNY-Schaftes zu Rahmen- und Containerschäften mit
flexibler Randgestaltung verbessert. Mitte der 90er Jahre wird die SilikonlinerVersorgung, die sich in der Unterschenkelprothetik bereits etabliert hatte, auch im
Bereich der Oberschenkelprothesenversorgung eingesetzt.
Mit dem M.A.S.-Schaftsystem stellt Marlo Ortiz 2001 eine Weiterentwicklung des
sitzbeinumgreifenden Schaftes vor, der aufgrund seines proximalen Schaftzuschnittes den Patienten einen großen Bewegungsspielraum lässt. Auch wegen des
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17
besseren Gangbildes und seiner guten kosmetischen Eigenschaften ist der M.A.S.Schaft vor allem von Anwenderseite aktuell sehr gefragt [Piro 2006].
Eine Prothesenschaftlose direkte Verankerung der Passteile am Stumpf durch
Osseointegration ist eine andere Technik, die in den letzten Jahren publiziert wurde
[Hagberg 2005]. Elle hat bereits 1948 auf eine Methode von Dümmer-Pinnenberg
hingewiesen, mit V2A-Edelstahlbolzen die Unterschenkelprothese zu verankern. Er
glaubte, „das Problem der aufsteigenden Infektion scheint überwunden zu sein“.
Baumgartner weist darauf hin, dass eine wissenschaftlich einwandfreie kritische
Dokumentation der bisherigen Ergebnisse nicht greifbar sei.
So wird auch in Zukunft die funktionelle Einheit zwischen Stumpf und Prothese die
Herausforderung bleiben.
1.6 Schaftkonstruktionen und -materialien
Die Konstruktion des Schaftes hat ebenfalls Einfluss auf den funktionellen Nutzen
der Prothese. Dabei wird grundsätzlich unterschieden zwischen flexiblen und rigiden
Schäften. Wobei die flexiblen Schäfte sich in 3 Konstruktionstypen einteilen lassen:
Containerschaft, Rahmenschaft und ISNY- oder Spangenschaft.
1.6.1 Konstruktionstypen
Der ursprünglich auf Össur Kristinsson zurückgehende ISNY-Schaft (Iceland,
Schweden, New York) steht für den querovalen Spangenschaft. Die Bezeichnung
wird allerdings mittlerweile auch für tuberumgreifende Schäfte gleicher Bauart
benutzt, die aber kaum Verwendung finden. Er ist der Flexibelste unter den dreien,
da ca. 2/3 des Außenschaftes gefenstert und somit freigelassen werden. Demzufolge
muss der Innenschaft die nötige Stabilität bieten.
Der Rahmenschaft hat noch mindestens einen kompletten proximalen Außenschaftring mit einer medialen und einer lateralen Verstrebung zur Kniegelenksaufnahme. Aufgrund des geschlossenen Systems kann der thermoplastische
Innenschaft erheblich flexibler als beim ISNY-Schaft sein.
Der Containerschaft ist normalerweise nicht gefenstert und bietet dem Amputierten in
erster Linie einen komfortablen Schaftrand durch einen überstehenden weichen
Innenschaft und den im Randverlauf gekürzten Außencontainer.
Demgegenüber ist der rigide Schaft überall fest und variiert nur beim Material.
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18
Welcher Konstruktionstyp für welchen Patienten eingesetzt wird, hängt von
verschienen Faktoren ab. Je flexibler eine Prothese am proximalen Schaftrand ist,
umso größer ist der Komfort beim Sitzen aber auch beim Gehen und Stehen.
Patienten mit muskulösen Stümpfen empfinden flexible Schäfte, die das Muskelspiel
bei Bewegung zulassen, als angenehm. Allerdings gibt ein rigider Schaft den nötigen
Halt insbesondere bei kurzen oder muskelschwachen Stümpfen. Somit gilt: So
flexibel wie möglich, aber so rigide wie nötig.
1.6.2 Schaftmaterialien
Die
flexiblen
Schäfte
werden
in
der
Regel
mit
einem
tiefgezogenen,
thermoplastischen Innenschaft versehen, dessen Flexibilität von den Eigenschaften
des Rohmaterials abhängig ist, das je nach Bedarf vom Orthopädietechniker
ausgewählt wird. Über diesen Innenschaft wird ein rigider Außenschaft in
Carbonfaserverbundtechnik
gegossen
und
entsprechend
der
gewünschten
Schaftflexibilität freigelegt. Auch bei definitiven Versorgungen mit rigiden Schäften
kommen zunehmend gegossene Kunststoffschäfte in Carbonfaserverbundtechnik zur
Anwendung, die wegen ihres geringen Gewichtes einerseits und der Fertigungsmöglichkeit über ein Gipspositiv Holzschäfte in der Beinprothetik zeitweise fast
verdrängt haben. Aufgrund seiner wärmeregulierenden und hautfreundlicheren
Eigenschaften sowie besserer Nachbearbeitungsmöglichkeiten ist aber auch das
Material Holz immer noch aktuell.
Wichtig ist, dass sich Orthopädietechniker und verordnender Arzt mit den
Eigenschaften der verwendbaren Materialien auskennen und nach den speziellen
Patientenbedürfnissen entscheiden.
1.7 Liner
Linergestützte Schaftsysteme z. B ICEROSS – Schäfte (ICEland Roll Over Socket
System) kamen von der Anwenderseite, und zwar über den Behindertensport, wo sie
neben einer formschlüssigen und hochhaftenden Verbindung zwischen Stumpf und
Prothese die Teilnahme der Behinderten an Sprung- und Laufdisziplinen mit
Prothese erst ermöglichten, in die Routineversorgung Behinderter. Der Vorteil der
Linersysteme liegt nicht nur in der hohen Haftung, sondern auch in der Verlagerung
der wirkenden Scherkräfte weg vom Übergang Schaft/Haut hin zum Übergang
Schaft/Liner. Auch die Stumpfpseudarthrose wird von der Haut weg zu einer
Bewegung
zwischen
Liner
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Klassifikation von Schaftsystemen
und
Schaft.
Dies
wissen
nicht
nur
sportliche
19
Prothesenträger, bei denen es zu hohen Scherkräften und damit zu Belastungen des
Stumpfes kommt, zu schätzen, sondern auch ältere Patienten und insbesondere
Patienten mit Hautproblemen.
Einigen Linern sind daher inzwischen Pflegeemulsionen eingearbeitet, die - nach
Herstellerangaben - auch hautpflegende Eigenschaften haben sollen. Eine
unabhängige Studie hierzu fehlt allerdings.
Da Liner das selbstständige Anziehen der Prothese erleichtern, sind sie für
geriatrische Patienten oftmals von Vorteil [Piro 2003].
Ein besonderer Vorteil ist, dass die Prothese im Sitzen angezogen werden kann.
Somit können ältere und alleinstehende sowie doppelt oberschenkelamputierte
Patienten mit einem Liner das An- und Ausziehen ihrer Prothese ohne fremde Hilfe
zuverlässig erlernen und durchführen.
Durch die Kompression des Stumpfes durch einen Liner können vorhandene Narben
im Laufe der Zeit weicher und flacher sowie das Stumpfvolumen stabilisiert werden.
Liner werden somit als Übergangs- bzw. Verbindungselemente zwischen dem Oberschenkelstumpf und dem Schaft eingesetzt, wenn folgende Aufgaben zu erfüllen
sind:
•
Verbesserte Fixierung der Prothese am Stumpf
•
Schutz des Stumpfes
•
Ausgleich lokaler Kraftspitzen auf den Stumpf
•
Vereinfachtes Anziehen der Prothese
•
Stabilisierung des Stumpfvolumens.
Liner sind in verschiedenen Ausführungen zu erhalten, je nach Bedarf des
Anwenders und der Aktivitätsklasse. Dabei stehen der hohe Tragekomfort und die
einfache Anwendung im Vordergrund.
Als Materialien stehen zur Auswahl
•
Silikon
für
alle
hauptsächliches
Aktivitätsklassen,
Anwendungsgebiet:
bei
schwierigen
Stumpfformen;
Oberschenkelstümpfe;
Stumpfkom-
pression, auch wenn keine Prothese getragen wird.
•
Co-Polymer für niedrige und mittlere Aktivitätsklassen, insbesondere bei
trockener Haut.
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Klassifikation von Schaftsystemen
20
•
Polyurethan für alle Aktivitätsklassen; bei geringer Weichteildeckung des
Stumpfes oder empfindlicher Haut mit Narbengewebe. Hauptsächliches
Anwendungsgebiet
sind
Unterschenkelstümpfe.
Es
besitzt
fließende
Eigenschaften und ist somit ideal bei Druckschmerzen.
1.8 Stand der Diskussion
1.8.1 Klinischer Schaftvergleich
In den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg ist der tuberunterstützende Schaft die
Versorgung der Wahl [Thomsen und Rost 1956; Kuhn 1956, Ploetz 1956].
In der hauptsächlich englischsprachigen Literatur der letzten Jahrzehnte (Donovan et
al. 1987, Schuch 1988, Schuch und Pritham 1999, Huang et al. 2001) werden
Indikationen für den tuberumgreifenden CAT-CAM Schaft einerseits und den
tuberunterstützenden quadrilateralen Schaft andererseits gegeben. Die auf dem
ISPO-Congress in Glasgow 1987 mehrheitlich vertretene Meinung lässt sich wie folgt
zusammenfassen:
ƒ
Es gibt keine spezifische Kontraindikation für eine der beiden Schaftformen.
ƒ
Eine erfolgreiche Versorgung mit einem tuberunterstützenden Schaft sollte
nicht auf einen tuberumfassenden Schaft umgestellt werden.
ƒ
Ein guter Sitz eines tuberunterstützenden Schaftes wird besonders bei langen,
festen Stümpfen mit intakter Adduktoren-Muskulatur erreicht.
ƒ
Umgekehrt werden CAT-CAM Schäfte besser an kurze, "fleischige" unstabile
Stümpfe angepasst.
ƒ
Tuberumgreifende Schäfte werden für Sportler (insbesondere Laufsport)
empfohlen.
ƒ
Es kann keine Empfehlung für beidseitig Oberschenkelamputierte gegeben
werden.
Schuch geht 1999 noch weiter und präzisiert diese Empfehlungen wie folgt:
ƒ
Beidseitig
Oberschenkelamputierte
bevorzugen
meist
tuberumgreifende
Schäfte.
ƒ
Tuberunterstützende Schäfte sind bei langen Stümpfen besonders erfolgversprechend.
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Klassifikation von Schaftsystemen
21
ƒ
Je besser der Adductor-Muskel ist, desto mehr spricht für den tuberunterstützenden Schaft.
ƒ
Tuberunterstützende Schäfte sind für geriatrische und verwirrte Patienten zu
empfehlen, da diese mit Stock oder Rollator gehen und dadurch die
Anforderungen an die Becken- und Rumpfstabilität in der mittleren Standphase an Bedeutung verlieren.
ƒ
Für den ultrakurzen, fleischigen und rotationsinstabilen Stumpf haben
tuberumgreifende Schäfte gegenüber tuberunterstützenden Schäften Vorteile,
insbesondere wenn die Versorgung mit einem tuberunterstützenden Schaft
zuvor misslungen ist.
ƒ
Für den tuberumgreifenden Schaft sprechen weiterhin der Komfort, die
erhöhte Sicherheit, die größere Kontaktfläche und zudem die bessere
Haftung.
Dass ein langer Stumpf und eine gute Muskulatur für einen tuberunterstützenden
Schaft sprechen, wird in der deutschsprachigen Literatur nicht unterstützt, es finden
sich aber auch keine Diskussionsbeiträge dazu.
Bezüglich geriatrischer Patienten verglich Kickinger [1993] zwei Gruppen von
betagten Patienten (jeweils ca. 25 Patienten). Eine Gruppe war mit tuberunterstützenden Schäften, die andere mit tuberumgreifenden Schäften versorgt worden.
Er kam zu folgendem Ergebnis:
ƒ
Die Gehleistung bei den tuberumgreifend versorgten Patienten war deutlich
besser.
ƒ
Deutlich mehr Patienten (15 gegenüber 9) waren mit der Passform der tuberumgreifenden Schäfte zufrieden.
ƒ
Gerade für geriatrische Patienten mit schlechter Weichteildeckung des Tuber
oder schlechten Narbenverhältnissen bietet der tuberumgreifende Schaft
erhebliche Vorzüge.
Für geriatrische Patienten, insbesondere solche mit Durchblutungsstörungen, ist der
tuberumgreifende Schaft nach Ansicht von Piro [2003] ohne Alternative. Allerdings,
so stellt Kokegei in einer Umfrage unter Orthopädie-Technikern fest, sieht die
Versorgungsrealität anders aus: 76% der über 60-Jährigen sind tuberunterstützend
versorgt. Als Anziehhilfe wird - obwohl in der Handhabbarkeit nicht ganz einfach - in
50% der Fälle ein doppelwandiges Segeltuch (Quick-Fit) eingesetzt. Allerdings
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Klassifikation von Schaftsystemen
22
erlaubt die Tatsache, dass Anziehhilfen benutzt werden, keine Aussage darüber, ob
der Schaft passgerecht oder zu eng bzw. zu weit ist.
Gottschalk et al. [1989] weist auf die Bedeutung einer richtigen Operationstechnik
hin. Wenn die Adduktoren-Plastik unzureichend ist, kann die Lage des Femurs in
physiologischer Adduktionsstellung weder durch einen tuberunterstützenden noch
tuberumgreifenden Schaft erreicht werden.
Baumgartner [1997] weist bei tuberunterstützenden Schäften auf die Gefahr einer
Behinderung der Blutzirkulation durch die Arteria femoralis hin, die im Bereich des
Scarpa-Dreiecks durch die vordere Schaftwand abgedrückt wird. Das impliziert, dass
der geriatrische Patient, der für Minderdurchblutung eher anfällig ist, besser mit
einem tuberumgreifenden Schaft versorgt werden sollte. Dies mag auch eine
Ursache dafür sein, dass Kickinger (s.o.) bei geriatrischen Patienten dem
tuberumfassenden Schaft eine erhöhte Leistungsfähigkeit in Form einer längeren
Gehstrecke attestiert.
Sibbel fasst 2006 noch einmal die Vorteile des tuberumgreifenden Schaftes wie folgt
zusammen [Sibbel 2006]:
ƒ
Keine Verdrängung der Muskulatur in m-l-Richtung, damit Erhalt der
physiologischen Form des Oberschenkels
ƒ
Keine Frontalpelotte und damit auch keine Druckausübung im sog.
„Scarpa´schen Dreieck“
ƒ
physiologische Durchblutungssituation
ƒ
kein Auftreten beckenvorkippender Momente
ƒ
keine Inkongruenz zwischen Schaft und Tuber ischiadicum in der prothesenseitigen Schrittvorlage
ƒ
Zentrierung der Bodenreaktionskräfte
Trotz der offensichtlichen Überlegenheit des tuberumgreifenden Schafttyps werden
immer noch zahlreiche Patienten mit tuberunterstützenden Schäften versorgt.
1.8.2 Biomechanischer Schaftvergleich
Biomechanische Messungen zur Analyse der Schaftform wurden direkt nach dem 2.
Weltkrieg in den USA durchgeführt [Eberhardt 1947] und beschäftigten sich - wenn
auch nicht primär - mit dem Vergleich verschiedener Schaftformen. In Deutschland
wurden an tuberunterstützenden Schäften Druckverteilungsmessungen [Hettinger
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
23
1955] und Messungen zur Stumpfpseudarthrose [Müller et al. 1955] zum besseren
Verständnis der Funktion dieser Schaftform durchgeführt. Diese Untersuchungen
wurden erst in jüngster Zeit fortgesetzt. Ein biomechanischer Vergleich eines
tuberunterstützenden und tuberumgreifenden Schaftes am gleichen Patienten auf
der Grundlage von Druckverteilungsmessungen wurde in Strathclyde geplant, aber
nicht verwirklicht [Lee et al. 1997]. Ansonsten sind direkte biomechanische
Vergleiche zwischen den beiden Schaftformen nicht bekannt [Mak et al. 2001].
1.9 Bisherige Arbeiten der Prüfstelle
Die Klinische Prüfstelle legte im Juni 2004 einen Bericht vor, in dem eine historische
und systematische Darstellung der verschiedenen in Deutschland anzutreffenden
Schaftsysteme gegeben wurde und in dem die Versorgungspraxis der letzten Jahre
in der Klinik für Technische Orthopädie analysiert wurde. Diese Untersuchung beinhaltete jedoch keine klinischen und biomechanischen Prüfergebnisse, die auf
einem direkten Vergleich der beiden Systeme beruhen.
1.9.1 Direkte Vergleiche
Deshalb wurde mit dem Bundesministerium vereinbart, die Prüfung um einen
direkten Vergleich zu erweitern. Dieser Vergleich wurde methodisch sowohl als interindividueller Vergleich als auch als intra-individueller Vergleich ausgelegt. Im ersten
Fall handelte es sich um eine Statistik über die in der Klinik für Technische
Orthopädie
in
den
letzten
Jahren
durchgeführten
Versorgungen
(Versorgungsstatistik), die gezielte Befragung von Amputierten mit Schwerpunkt
Kriegsversehrte („Fragebogenuntersuchung“) und um die Zusammenstellung von
biomechanischen Beobachtungen zum Zweck einer Gegenüberstellung von
tuberumgreifenden
und
tuberunterstützenden
Schäften
(„Biomechanische
Untersuchungen“). Für den intra-individuellen Vergleich mussten Patienten sowohl
mit einem tuberumgreifenden als auch mit einem tuberunterstützenden Schaft
versorgt werden. Ein erster Versuch, aus Gründen der Reproduzierbarkeit hier auf
die Maßkonfektion der Industrie zurück zu greifen, scheiterte: bei 5 Patienten war
genau nach den Richtlinien des Herstellers (im Beisein eines Firmenvertreters) Maß
genommen worden, und anschließend 5 mal 2 Schaftrohlinge zur Feinanpassung
angeliefert worden. Allerdings eigneten sich nur 3 der insgesamt 10 Schaftrohlinge
als Ausgang für die Herstellung eines geeigneten Schaftes. Daraufhin wurde das
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Klassifikation von Schaftsystemen
24
Konzept dahingehend umgestellt, dass die jeweils zwei zu vergleichenden Schäfte
vom Orthopädietechniker der klinischen Prüfstelle hergestellt wurden. Beide
Versionen wurde gleichermaßen entweder mit oder ohne Liner gefertigt. Bei einem
Patienten wurden 4 Versionen hergestellt: zwei ohne und zwei mit Liner.
1.9.2 Maßnahmen der Qualitätssicherung
Die Erfahrungen mit der unzureichenden Qualität bei der industriellen Produktion von
Schaftrohlingen hat deutlich gemacht, dass die Frage der Qualitätssicherung zentrale
Bedeutung hat. Dies hat zu einem verstärkten Engagement der Klinischen Prüfstelle
auf diesem Feld geführt, so dass es im Mai 2007 zur Gründung eines Arbeitskreises
"Qualität von Oberschenkel-Schaftsystemen" kam. Die Gründung fand in der
Klinischen Prüfstelle statt. Teilnehmer waren und sind Vertreter des MDK, der
Bundesfachschule für Orthopädietechnik und der Klinischen Prüfstelle. Ziel ist die
Erarbeitung von Richtlinien für die Qualitätssicherung von Schäften. Die Arbeit ist
noch nicht abgeschlossen, hat aber schon ihren Niederschlag in der Durchführung
des Prüfauftrages gefunden. Umgekehrt haben die im Rahmen des Prüfprojektes
gemachten Erfahrungen Auswirkungen auf den Arbeitskreis gehabt.
1.10 Hypothesen zur Klassifizierung von Schaftsystemen
Die Hypothesen, die hier als Gerüst für eine Klassifikation aufgestellt werden, sind:
1. Aufgrund der historischen Entwicklung:
•
Der tuberunterstützende Schaft ist bei Kriegsversehrten und Langzeitamputierten
die Regelversorgung.
•
Der tuberumgreifende Schaft ist die Versorgung der Wahl bei Neuversorgungen.
2. Aufgrund klinischer und biomechanischer Gründe:
•
Klinisch und biomechanisch überwiegen die Vorteile des tuberumgreifenden
Schaftes.
•
Patienten, denen die Möglichkeit gegeben wird, beide Systeme gegeneinander zu
testen, werden in der Regel dem tuberumgreifenden Schaft den Vorzug geben.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
25
•
Patienten mit tuberunterstützenden Schäften, insbesondere Geriatriker und
Kriegsversehrte, können von einem tuberumgreifenden Schaft profitieren, wenn
sie das System akzeptieren.
•
Patienten mit kurzen und/oder problematischen Stümpfen können in besonderem
Maß von einem tuberumgreifenden Schaft profitieren.
•
Liner bieten klinische Vorteile und erleichtern die Handhabbarkeit einer Prothese.
Die Fragen, die sich für die Klinische Prüfstelle aus dem Prüfauftrag und aus diesen
Hypothesen ergeben und untersucht werden sollen, lassen sich wie folgt
zusammenfassen:
Klinisch:
•
Gibt es für einen speziellen Schafttyp bezüglich
o Alter und Aktivitätsklasse
o Stumpfqualität und Muskelkraft
o Belastbarkeit der Haut und der Weichteile
bevorzugte Indikationen?
•
Gibt es Indikationen und Gegenanzeigen für Liner?
Orthopädietechnisch:
•
Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Schafttypen beim
Stehen, Gehen und Sitzen?
•
Gibt
es
Differenzierungen
bezüglich
der
Stumpflänge
und
des
Stumpfvolumens?
Biomechanisch:
•
Lassen
sich
die
postulierten
Auswirkungen
der
verschiedenen
Schaftformen bezüglich
o Stumpfpseudarthrose
o Beckenstellung
o Druckverteilung im Stumpf
verifizieren?
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
26
2
Material und Methode
Im Rahmen des Prüfauftrages wurden klinische, orthopädietechnische und
biomechanische Untersuchungen zur Klassifizierung der Schaftsysteme unter
Berücksichtigung von Linersystemen durchgeführt. Methodisch ergibt sich folgende
Einteilung:
•
Inter-individuelle Untersuchungen
•
Intra-individuelle Vergleichsstudien
Inter-individuelle Untersuchungen erlauben naturgemäß, eine große Patientenvielfalt
zu erfassen. Die Fragen, die auf diese Weise beantwortet werden können, sind
jedoch mit einer größeren statistischen Unsicherheit behaftet, als das bei intraindividuellen Untersuchungen der Fall ist. Letztere Art der Untersuchung wird
allerdings durch die hohen Anforderungen an die Kooperationsbereitschaft der
Patienten begrenzt, die bei der vergleichenden Studie sich zu einer ausgedehnten
Serie von Anpassterminen, Eingewöhnungsphasen und Untersuchungen bereit
finden müssen. Gleichzeitig ist auch auf der Seite der Prüfstelle ein erheblicher
Arbeitsaufwand erforderlich, um die Vergleichsversorgungen für diese Patienten
bereit zu stellen und die entsprechenden Messungen durchzuführen.
2.1 Inter-individuelle Studie
Diese umfassen klinische wie biomechanische Untersuchungen.
2.1.1 Klinische Untersuchungen
Hier wurden 2 Untersuchungen durchgeführt:
•
Retrospektive Versorgungsstudie ("Versorgungsstatistik")
•
Befragung zur Versorgungssituation ("Fragebogenaktion")
2.1.1.1 Retrospektive Versorgungsstudie
Eine retrospektive klinische und orthopädietechnische Studie wurde durchgeführt, in
der alle Versorgungen von oberschenkelamputierten Patienten der Klinik für
Technische Orthopädie im Zeitraum zwischen Juli 2003 und Juli 2005 berücksichtigt
werden. Eine zusätzliche Statistik bezüglich der Liner-Versorgungen der Klinik im
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
27
Zeitraum zwischen Juli 2006 und Dezember 2007 wurde integriert. Ziel der beiden
Untersuchungen war es, die Versorgungspraxis der Klinik zu dokumentieren. Diese
Statistik wird erweitert durch die Patienten vorangegangener Prüfaufträge. Insgesamt
wurden 190 Patienten erfasst.
Dazu wurden - wenn möglich - aus den Krankenakten der Klinik die folgenden
Merkmale erhoben:
•
Person (Name, Geburtsdatum, Geschlecht)
•
Anthropometrisch (Größe, Gewicht)
•
Amputation (Seite, Datum, Niveau, Ursache)
•
Stumpf (Revision/Anzahl/Grund/ Weichteildeckung, Narben, Druckstellen,
Auffälligkeiten/Probleme)
•
Aktivitätsklasse
•
Begleiterkrankungen
•
Orthopädietechnische Versorgung (Verordnungsdatum der aktuellen
Prothese,
Schaftsystem,
Material,
Kniepassteil,
Prothesenfuß,
Besonderheiten, ggf. Begründung für tuberunterstützenden Schaft)
•
Liner (ggf. Verordnungsbegründung, Typenbezeichnung, Besonderheiten,
Verschlusssystem)
•
Wie kommt der Pat. mit dem Liner zurecht?
•
Vorversorgung (anderer Schaft? mit/ohne/anderer Liner? subjektiver
Vergleich mit anderem Schaft - falls ersichtlich)
•
Systemwechsel (Datum, Begründung, Effekt)
Die Auswertung der relevanten Daten erfolgte mit Methoden der descriptiven Statistik
(Voß et al. 2000), insbesondere mit der Methode der Vierfeldertafel-Analyse (χ² Analyse).
2.1.1.2 Befragung zur Versorgungssituation
Die Befragung von oberschenkelamputierten Patienten hatte das Ziel, die
Versorgungssituation insbesondere bei Kriegsversehrten auch außerhalb der Klinik
einschätzen zu können.
Ein von der Klinischen Prüfstelle entwickelter Fragebogen (s. Anhang 7.1) zur
Schaftversorgung wurde in einem Vorlauf in der Klinik für Technische Orthopädie
ausgegeben und anschließend an verschiedene Orthopädische Versorgungsstellen
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Klassifikation von Schaftsystemen
28
verschickt. Erfragt wurde neben den unter 2.1.1.1 gelisteten Merkmalen unter
Anderem:
•
Anziehtechnik
•
Zufriedenheit mit dem vorhandenen System (im Gehen, Stehe, Sitzen)
•
Zufriedenheit mit der Handhabbarkeit
•
Zufriedenheit mit der Versorgung allgemein
•
Schaft- und Prothesenprobleme (Schwitzen, Volumenschwankungen)
•
Rotationsinstabilität der Prothese
•
Druck und Scheuerstellen
Insgesamt konnten 60 Rückläufer ausgewertet werden
Die statistische Auswertung erfolgte mit Methoden der descriptiven Statistik
2.1.2 Biomechanische Untersuchungen
Damit innerhalb einer inter-individuellen Studie statistisch signifikante Aussagen
getroffen werden können, muss das zur Verfügung stehende Patientenkollektiv
ausreichend groß sein. Insbesondere müssen die Gruppen mit tuberumgreifenden
Schäften und tuberunterstützenden Schäften in den Parametern, die in den Vergleich
eingehen, also beispielsweise Alter oder Amputationsdauer, ähnlich sein, um
kinetische oder kinematische Daten vergleichen zu können. Eine Sonderstellung hat
hier die Untersuchung der Stumpfpseudarthrose. Für sie gilt, dass sie generell
möglichst klein sein sollte, unabhängig von den übrigen Parametern. Eine
Komponente
der
Stumpfpseudarthrose,
nämlich
der
Prothesenhub
ist
von
besonderer Bedeutung und hat hinsichtlich Tragekomfort, Gangbild und Beckenstand
große Bedeutung. Diese Komponente wurde daher auch inter-individuell untersucht
und verglichen.
Zur Auswahl standen insgesamt 23 Patienten mit tuberunterstützenden Schäften und
35 Patienten mit tuberumgreifenden Schäften.
Um zu diesem Teil der Studie
zugelassen zu werden, mussten folgende Bedingungen erfüllt sein.
ƒ
der Schaft muss passgerecht sein
ƒ
der Schaft muss eine deutliche Tuberumgreifung bzw. eine deutliche
Tuberunterstützung aufweisen
ƒ
der Schaft darf nicht zusätzlich gesichert sein (z.B. durch Bandagen)
ƒ
Messung mit den Vicon-System muss durchgeführt werden können
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Klassifikation von Schaftsystemen
29
Abb. 4 gemessene Hüftwinkel (rechts/links) eines Probanden. Eingekreist der
Zeitpunkt während des Gangzyklus, an der die Messung der Länge der prothetisch
Versorgten Seite durchgeführt wurde
Das Vicon-System besteht aus 6 Vicon V460 Kameras in Kombination mit 2 Kistler
Kraftmessplatten. Zunächst wurde mit Hilfe der Kameras die Länge des prothetisch
versorgten Beins in der mittleren Standphase (ca. 20-30% des Gangzyklus)
gemessen, wenn die Prothese unter Last steht. Diese Messung findet in Neutral-NullStellung statt. Als nächstes wird die Länge der prothetisch versorgten Seite
gemessen, wenn der Hüftwinkel in der Schwungphase bei ca. 70-80% des
Gangzyklus wieder denselben Flexionswinkel erreicht hat (Abb. 4). Die Differenz
zwischen diesen beiden Längen ergibt dann den Prothesenhub [Wühr 2007].
2.2 Intra-individuelle Studie
Bei den intra-individuellen Untersuchungen wurden insgesamt 6 Patienten
vermessen. Für diese Patienten wurden in der Regel zwei, in einem Fall vier
verschiedene Schäfte gebaut. Nach der Anpassung wurde den Patienten eine Zeit
von 1- 3 Wochen gegeben, um sich an den jeweiligen Schaft zu gewöhnen und
eventuell orthopädietechnische Modifikationen durchführen zu können. Erst dann
wurden die klinischen und biomechanischen Messungen durchgeführt. Alle Schäfte,
waren Klarsichtschäfte aus demselben Material.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
30
2.2.1 Patienten
Im Folgenden werden die einzelnen Patienten kurz bezüglich ihrer medizinischen
sowie orthopädietechnischen Befunde vorgestellt.
Patient J.V. (Geboren 1986, Amputation links 2005 ): Frau V. wurde im distalen
Drittel wegen Gasbrand amputiert. Der Stumpf weist ausgedehnte Meshgraftdeckung
auf und am Stumpfende sind Exostosen tastbar. Diese sind reizlos und führen wie
auch die Meshgraftdeckung zu keiner Einschränkung der Belastbarkeit. Der Stumpf
weist keine weiteren problematischen Narben auf. Die Patientin ist adipös, daher hat
der Stumpf eine übermäßige Weichteildeckung. Volumenschwankungen werden von
der
Patientin
nicht
angegeben.
Die
Vorversorgung
besteht
aus
einem
tuberumgreifenden Schaft mit Liner.
Patient A.E. ( Geboren 1934, Amputation links 1995 ): Herr E. wurde aufgrund von
Durchblutungsstörungen im mittleren Drittel des Oberschenkels amputiert.
Der
Patient hat eine leichte PAVK und eine Altershaut mit Neigung zum Ekzem. Darüber
hinaus ist der orthopädische Gelenk- und Muskelbefund altersentsprechend. Der
Stumpf weist keine problematischen Narben auf und ist voll belastbar. Die
Weichteildeckung ist ausreichend. Der Patient gibt an, dass es im Verlauf des Tages
zu kleineren Volumenschwankungen kommt. Seine Vorversorgung besteht in einem
tuberumgreifenden Haftschaft.
Bei den folgenden Patienten handelt es sich um Patienten mit so genannten
Problemstümpfen, bei denen besondere Anforderungen an die Schaftgestaltung
bestehen:
Patient D.M. (Geboren 1953, Amputation links 2001 ): Bei Herrn M. musste in der
Folge eines Osteosarkoms sowie wiederkehrender Fistelungen der Oberschenkel im
proximalen Drittel amputiert werden. In der Folge entwickelte sich eine Streckhemmung von etwa 20°, der kurze kegelige Stumpf (Abb. 5) neigt zudem zu starken
Volumenschwankungen. Der Stumpf weist reizlose Narben auf, die dorsal
eingezogen sind. Der Patient ist adipös, so dass der Stumpf zusätzlich einen großen
Weichteilüberhang aufweist. Ansonsten ist der Stumpf voll belastbar, es sind keine
Neurome vorhanden und er besitzt intakte Hautverhältnisse. Seine Vorversorgung ist
ein tuberumgreifender Schaft mit Liner.
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Klassifikation von Schaftsystemen
31
Abb. 5 Auszug aus dem Krankenblatt von Patient D.M.
Patient K.Z. (Geboren 1946, Amputation links 1970 ): Der wegen eines Traumas
amputierte Herr Z. besitzt eine mittlellangen Stumpf mit 25° Beugekontraktur. Seine
Vorversorgung bestand aus einem nicht passgerechten tuberunterstützenden
Holzschaft. Aufgrund häufiger Scheuerstellen in der Leiste, „Weißwerden“ des
Stumpfes im Schaft und dem Gefühl das der Stumpf „einschläft“ wurde
versorgungsärztlich eine Änderung der Schaftform auf eine tuberumgreifende Form
angeordnet. Jedoch zeigte sich keine wesentliche Besserung der „Einschlaf“Symptomatik. Die Ursache war eine bei der Primärdiagnostik übersehene
fortgeschrittene PAVK der A. iliaca externa u. A. femoralis ( Verschluß ).
Der Stumpf ist ansonsten voll belastbar, die Weichteildeckung ist ausreichend und
der Stumpf zeigt keine problematischen Narben.
Patient D.K.: (Geboren 1948, Amputation links 2006) Herrn K. wurde aufgrund einer
Entfernung eines septischen femoropoplitealen Bypass im mittleren Drittel amputiert.
Sein Stumpf wies 2006 ein Streckdefizit von etwa 30° auf, die Hüftmuskulatur hatte
Kraftgrad 4. Es bestehen unklare Schmerzzustände. Herr K. hatte mehrfache
lumbale Bandscheibenoperationen, 1998/99 einen Myokardinfarkt. ACB 2001 und
Colon Carcinom 2005 erschweren die Kompensation der Stumpfabnormitäten. Eine
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
32
ambulante orthopädische Rehabilitationsmaßnahme konnte im Januar 2007 eine
leichte Besserung herbeiführen. Der Stumpf ist voll belastbar und weist keine
problematischen Narben auf. Die Weichteildeckung ist ausreichend. Der Patient gibt
an, dass es im Laufe des Tages zu Volumenschwankungen kommt. Die
Vorversorgung ist ein tuberumgreifender Schaft mit Liner.
Patient P.S. (Geboren 1983, Amputation rechts 2002): Nach einem Polytrauma 2002
wurde Herr S. im distalen Drittel amputiert. Der Stumpf hat eine ausreichende
Weichteildeckung,
keine
problematischen
Narben
und
zeigt
auch
keine
Volumenschwankungen. Aktuell hat der Patient jedoch Stumpfbeschwerden
aufgrund neuerlich aufgetretener, starker Exostosenbildung, so dass der Stumpf
nicht
mehr
voll
belastbar
ist.
Die
Vorversorgung
besteht
aus
einem
tuberumgreifenden Haftschaft.
2.2.2 Versorgungskombinationen
Bezüglich der verschiedenen Kombinationen von Schaftsystemen und Liner-Systeme
ergab sich folgendes Bild:
•
1 Patient wurde unter 4 verschiedenen Versorgungsbedingungen untersucht:
mit und ohne Liner, jeweils mit einem tuberunterstützenden und einem
tuberumgreifenden Schaft.
•
5 Patienten
wurden unter jeweils zwei
verschiedenen
Versorgungs-
bedingungen untersucht: 2-mal wurde der Vergleich zwischen tuberunterstützend und. tuberumgreifend ohne Liner durchgeführt, 3 mal mit Liner.
Demnach stehen für den Vergleich tuberunterstützender versus tuberumgreifender
Schaft an Untersuchungen insgesamt zur Verfügung:
•
3 Patienten ohne Liner
•
4 Patienten mit Liner
2.2.3 Klinische Untersuchungen
2.2.3.1 Handhabbarkeit
Zur Ermittlung der Handhabbarkeit der verschiedenen Prothesenschäfte wurden
folgende Beobachtungen und Befragungsergebnisse zusammengetragen:
•
Zeiten für das An- und Ausziehen (mit Stopp-Uhr gestoppt)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
33
•
Registrierung der Haltung (Sitzen/Stehen) beim An- und Ausziehen
•
Befragung der Zufriedenheit
2.2.3.2 Variabilität der Fußlängsrichtung
Um die Reproduzierbarkeit des Prothesensitzes bei wiederholten An- und Ausziehen
zu erfassen, wurde als Bestimmtheitsmaß die Schwankung der Fußlängsachse des
Prothesenfußes
beim
normalen
Gang
gewählt.
Wenn
die
Richtung
nach
mehrmaligem An- und Ausziehen deutlich schwankt, kann von einem nur schlecht
reproduzierbaren Prothesensitz ausgegangen werden. Eine Änderung der Fußlängsrichtung hat unter anderem eine Änderung der Prothesenlänge in der Schwungphase zur Folge. Ein mehr nach innen gestellter Fuß führt zu einer Verlängerung, ein
nach außen gestellter Fuß bewirkt eine Verkürzung. In der Regel wird die
Prothesenlänge auf eine gewünschte Fußaußenstellung optimiert. Ändert sich die
Fußstellung beim erneuten Anziehen, so können Probleme in der Schwungphase
auftreten. Ein weiterer Nachteil einer geänderten Fußstellung ist, dass die FlexionsExtensionsbewegung des Kniegelenkes sich nicht mehr in Übereinstimmung mit der
zugehörigen Bewegung des Hüftgelenkes befindet. Patienten müssen um ein
harmonisches
Gangbilde
zu
erreichen
deutliche
Ausgleichsbewegungen
durchführen. Um die Variabilität der Fußlängsrichtung zu erfassen werden im
Allgemeinen 5 Messungen der Gangspur (Abb. 6) mit dem GaitRite System (Drerup
et al. 2006, Drerup und Benighaus 2002) mehrfach
hintereinander gemessen und daraus die Richtung
der
Fußlängsachse
Messungen
wird
bestimmt.
jedes
Mal
Zwischen
die
den
Prothese
ausgezogen und wieder angezogen. Aus allen 5
Messungen wird jeweils der Mittelwert und die
Streuung bestimmt. Eine große Streuung wird als
ein
schlecht
reproduzierbarer
Prothesensitz
interpretiert.
Abb. 6 Bestimmung der Fußlängsrichung und ihrer Schwankung
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
34
2.2.3.3 Patientenbefragung
Im Rahmen der intra-individuellen Studie erfolgt eine Befragung der Patienten nach
dem analogen Schema der inter-individuellen Studie (s. Kap. 2.1.1.2)
2.2.4 Biomechanische Untersuchungen
Hier wurden insgesamt 4 Untersuchungen durchgeführt:
•
Prothesenhub
•
Ganganalyse
•
Druckmessung im Schaft
•
Rasterstereografie
2.2.4.1 Prothesenhub
Die Messung des Prothesenhubs wurde wie in Kap. 2.1.2 beschrieben durchgeführt.
2.2.4.2 Variabilität des Gangbildes
Innerhalb einer intra-individuellen Studie ist es möglich, eine vergleichende
Ganganalyse der Patienten mit ihren beiden Schaftsystemen durchzuführen und
relevante Aussagen zu erhalten. Dazu werden hier zunächst erste Ergebnisse
vorgestellt. Eine ausführliche Auswertung aller aufgenommener kinematischer und
kinetischer Daten wird Thema einer wissenschaftlichen Ausarbeitung sein.
Die Ganganalyse besteht aus 2 Untersuchungen
•
Gangspuruntersuchung mit einer elektronischen Gangmatte (GaitRite),
zur Bestimmung von Geschwindigkeit, Schrittlänge, Schrittfrequenz,
Standphasendauer
und
eventueller
Links-Rechts-Unterschiede
(Asymmetrien).
•
Kinematische und kinetische Datenerfassung mit dem Vicon-System
zur Bewegungsanalyse (s. Kap. 2.1.2) werden im Gehen kinetische und
kinematische Daten (Bodenreaktionskräfte, Winkel, Geschwindigkeiten
und Beschleunigungen, sowie Hüft- und Kniemomente) gemessen.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
35
2.2.4.3 Druckverteilung im Schaft
Die Druckmessung erfolgt mit dem Pliance Messsystem von Novel. Das Prinzip des
Messaufbaus ist in Abb. 7 schematisch dargestellt:
Abb. 7 links: Schaft mit zwei an der Innenwand angebrachten Druck- Messaufnehmern
für die Messung des Schaftinnendrucks. rechts: Novel Pliance
Schema der
Synchronisation der Messung
Insgesamt werden 5 verschiedene Belastungssituationen gemessen:
1. Prothesenbein entlastet (Einbeinstand auf erhaltener Seite)
2. Zweibeinstand
3. normales Gehen (dabei zusätzlich Registrierung mit GaitRite- Matte bei
zuvor ermittelter Kadenz)
4. Messung im schnellen Gehen ( zusätzlich GaitRite)
5. Treppe auf und ab
Zur Synchronisation der Messung mit der GaitRite-Matte wird einer der
Messaufnehmer in den Fersenbereich des prothesenseitigen Schuhs eingelegt. Alle
3 Messaufnehmer sind an einen Messcomputer angeschlossen. Ein Druckanstieg
des Fersensensors zeigt den Beginn des Gangzyklus (Fersenauftritt) an und erlaubt
die
Zuordnung
der
Messwerte
in
den
beiden
Schaftsensoren
zu
einer
entsprechenden Gangphase.
Die Druckwerte werden in folgenden Schaftregionen gemessen:
•
Stumpfendbereich
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
36
•
Stumpfeintrittsebene:
-
ventral
-
medial
-
dorsal
-
lateral
Da mit nur zwei von drei Messaufnehmern der Druck im Schaft gemessen werden
kann, müssen die Messungen mehrmals wiederholt werden, bis sämtliche Bereiche
der zur untersuchenden Schaftregion vermessen wurden.
2.2.4.4 Beckenschiefstand und -neigung
Mit der optischen 3-D Oberflächenvermessung (Drerup et al. 2001) kann die Stellung
des Beckens, insbesondere der Beckenschiefstand gemessen werden.
Dazu wird von der Eigenschaft der Rasterstereographie Gebrauch gemacht, dass die
Lumbalgrübchen
als
anatomische
Bezugspunkte
für
die
oberen
hinteren
Beckenspinen von der Software automatisch erkannt werden und dass dadurch eine
objektive Rekonstruktion der Beckenstellung im Raum mit großer Genauigkeit
möglich ist (Abb.8). Um für eine Mittelwertbildung eine bessere statistische Basis zu
haben, wird die rasterstereographische Rückenaufnahme in jeder der untersuchten
Schaft- Liner Konstellationen 3mal nacheinander untersucht.
β
Abb. 8 Zur Bestimmung des Beckenschiefstandes β aus der rasterstereographischen
3-D Rückenvermessung
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
37
3
Ergebnisse
3.1 Inter-individuelle Studie
3.1.1 Klinische Untersuchungen
3.1.1.1 Retrospektive Untersuchung von Versorgungen nach Aktenlage
(Versorgungsstatistik)
Patienten
Von
den
untersuchten
190
Tab. 1: Geschlechtsverteilung der untersuchten
Versorgungen (N = 190)
Patienten sind 63 Frauen und 127
m
127
Männer (Tab. 1) mit einem Durchschnittsalter von 54,95 Jahren,
Gesamt
w
63
(Männer 57,24 Jahre, Frauen 50,35 Jahre). Der jüngste Patient ist 16 Jahre, der
älteste Patient 91 Jahre alt. Die stärkste Altersgruppe stellen die über 60-jährigen
dar. Die Altersverteilung mit der prozentualen Verteilung der Geschlechter findet sich
in Abb. 9. Man erkennt, dass die Verteilung bei den unter 60 jährigen bei einem
Verhältnis von 60% Männern zu 40% Frauen liegt, bei den über 60-jährigen sind es
über 75% männliche Patienten.
100%
Anzahl Patienten
7
80%
24
32
60%
w
m
40%
20%
12
48
67
< 30
30 – 60
> 60
0%
Alter
Abb. 9: Geschlechterverteilung und Altersgruppen (N=190)
Tab. 2 Anzahl erfasster Versorgungen in den jeweiligen Aktivitätsklassen
Jahre
Gesamt
AK0
3
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
AK 1
26
AK 2
56
AK 3
78
AK 4
26
38
Bis auf die Aktivitätsklasse 0, der 3 Patienten angehören, sind alle übrigen
Aktivitätsklassen ausreichend gut besetzt, um statistisch signifikante Aussagen
treffen zu können. Die meisten Patienten gehören den Aktivitätsklassen 2 und 3 an.
Die Verteilung zeigt eine klare Altersabhängigkeit (Abb. 10). Ältere Patienten sind
überwiegend den unteren Aktivitätsklassen zuzuordnen während die jungen
Patienten in den oberen Aktivitätsklassen überwiegen. Bei einem Patienten konnte
die Aktivitätsklasse nicht bestimmt werden.
100%
2
20
44
18
2
80%
60%
18
49
40%
20%
1
5
11
11
6
AK 3
AK 4
2
0%
AK0
AK 1
> 60
30 – 60
< 30
AK 2
Aktivitätsklasse
Abb. 10 Verteilung der Aktivitätsklassen 0 bis 4 prozentual auf die Altersgruppen
(N=189)
Die Amputationsdauer, d.h. der Zeitraum zwischen Amputations- und Untersuchungsdatum, beträgt für die meisten Patienten weniger als 50 Jahren.
>50 Jahre
15%
<50 Jahre
85%
Abb. 11: Amputationsdauer (N=190)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
39
Die Amputationsursachen sind hauptsächlich Traumata (85) - davon waren 21
Patienten Kriegsversehrte - , sodann Durchblutungsstörungen (43) - meist als
periphere arterielle Verschlusskrankheit oft in Begleitung eines Diabetes mellitus und in 31 Fällen Tumore. Alle weiteren Amputationsursachen wie z.B. Sepsis oder
Fehlbildungen wurden unter „Sonstige“ zusammengefasst, einmal fand sich keine
entsprechende
Eintragung.
Die
Aktivitätsklassen
zeigen
einen
deutlichen
Zusammenhang mit den Diagnosen. Dies ergibt sich aus Abb. 12, die die
anteilmäßige
Verteilung
der
Amputationsursachen
in
den
verschiedenen
Aktivitätsklassen zeigt:
Die Patienten mit Durchblutungsstörungen finden sich eher in den niedrigeren
Aktivitätsklassen, Trauma- und Tumorpatienten finden sich häufiger in den höheren
Aktivitätsklassen.
100%
80%
60%
40%
20%
0%
AK 0
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
Andere
0
5
11
9
4
Tumor
0
1
2
25
3
pAVK
2
17
18
6
0
Trauma
1
2
25
38
19
Aktivitätsklasse
Abb. 12 Amputationsursache und Aktivitätsklasse (N=188)
Zum Zeitpunkt der Auswertung lagen nur von einer kleinen Teilgruppe (N=65)
Angaben zur Stumpflänge und Beschaffenheit vor. Die Verteilung der Stumpflängen
zeigt Abb. 13. 26 Patienten besaßen völlig unproblematische Stümpfe. Abb. 14 zeigt
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
40
verschiedene Stumpfproblematiken mit der jeweiligen Verteilung. Die häufigsten
Probleme sind Bewegungseinschränkungen und Stumpfschmerzen.
kurz
25%
lang
28%
mittel
47%
Abb. 13 Verteilung der Stumpflängen (N = 65)
100%
40
60
42
52
23
13
80%
60%
nein
ja
40%
20%
25
5
0%
Bewegungseinschränkung
reduzierte
Muskelkraft
Stumpf-schmerz problematische
Narben
Abb. 14 Verteilung der Stumpfverhältnisse (N = 65)
Schaftsysteme
Insgesamt wurden 136 Patienten mit tuberumgreifenden Schäften, 29 Patienten mit
tuberunterstützenden Schäften und 25 Patienten mit sonstigen Schäften (Schäfte bei
Knieexartikulation, hybride Schäfte oder Zweckformen) untersucht. In Bezug auf das
Alter der Patienten fällt auf, dass kein Patient der jünger als 30 Jahre ist, mit einem
tuberunterstützenden Schaft versorgt ist. Prozentual sind die „sonstigen“ Schäfte
häufiger in der jüngsten Altersgruppe anzutreffen als in den beiden übrigen.
Tuberunterstützende Schäfte finden sich zu gleichen Teilen in den beiden
Altersgruppen oberhalb von 30 Jahren.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
41
100%
8
12
5
80%
15
14
60%
40%
17
55
64
30-60
>60
sonstige
tuberunterstützend
tuberumgreifend
20%
0%
< 30
Alter
Abb. 15: Schaftsystem und Altersgruppen (N=190)
Vergleicht man die Versorgung mit einem bestimmten Schafttyp in Abhängigkeit von
der Aktivitätsklasse des Patienten (Abb. 16) so fällt auf, dass in allen
Aktivitätsklassen insgesamt mehr tuberumgreifende Schäfte getragen werden. In der
Aktivitätsklasse 0 findet sich z.B. kein tuberunterstützender Schaft. Dieses
Schaftsystem findet sich besonders häufig in der Aktivitätsklasse 2 (25%), ist aber
auch noch in den Aktivitätsklassen 3 und 4 mit jeweils einem Anteil von über 10%
vertreten.
100%
1
1
80%
7
14
14
11
3
3
Sonstige
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
60%
40%
3
23
36
53
20
AK0
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
20%
0%
Aktivitätsklasse
Abb. 16 Schaftsysteme und Aktivitätsklassen (N=189)
Bei 3 Patienten der Studie lässt sich der Zeitpunkt der Amputation nicht mehr
rekonstruieren, so dass für sie die Amputationsdauer nicht bestimmt werden kann. In
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
42
Tab. 3 fällt auf, dass die Patienten mit einer Amputationsdauer unterhalb von 50
Jahren überwiegend mit tuberumgreifenden Schäften versorgt sind. In der Gruppe
der Patienten mit einer Amputationsdauer von über 50 Jahren sind doppelt so viele
Patienten tuberunterstützend wie tuberumgreifend versorgt. Die sonstigen Schäfte
befinden sich überwiegend in der Gruppe der Patienten mit einer Amputationsdauer
von unter 50 Jahren.
Tab. 3: Schaftsystem und Amputationsdauer
(N = 187)
Amputationsdauer
< 50
> 50
TuberTuberandere
umgreifend unterstützend
128
14
20
7
14
4
Die Zahlenverhältnisse für tuberumgreifende und tuberunterstützende Schäfte
werden in Abb. 17 verdeutlicht.
120
128
80
40
7
14
0
14
en
greif
T-um
0
>5
d
0
<5
Abb. 17 Schaftsysteme und Amputationsdauer (N = 163)
Es zeigt sich ein Zusammenhang zwischen der Amputationsursache und dem
Schafttyp, mit dem ein Patient versorgt wurde (Abb. 18). Obwohl im Allgemeinen der
tuberumgreifende Schaft die bevorzugte Wahl ist, fällt auf, dass Patienten mit
Durchblutungsstörungen nur äußerst selten (N=1) mit einem tuberunterstützenden
Schaft versorgt sind. Tuberunterstützende Schäfte finden sich hauptsächlich bei
traumatisch amputierten Patienten.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
43
1
12
80%
1
2
100%
10
4
21
3
60%
Sonstige
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
40%
20%
54
41
23
17
Trauma
pAVK
Tumor
Andere
0%
Amputationsursache
Abb. 18: Schaftsystem und Amputationsursache (N = 189)
Innerhalb der Teilgruppe in der die Stumpfverhältnisse bekannt sind, sieht man, dass
insbesondere
Patienten
mit
kurzen
Stümpfen
prozentual
häufiger
mit
tuberunterstützenden Schäften versorgt sind, während Patienten mit mittellangen
und langen Stümpfen größtenteils mit tuberumgreifenden Schäften versorgt sind.
100%
80%
2
3
9
10
3
4
Sonstige
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
60%
40%
20%
5
18
11
kurz
mittel
lang
0%
Stumpflänge
Abb. 19 Schaftsystem und Stumpflänge (N=65)
Die folgenden Abbildungen Abb. 20 und Abb. 21 zeigen die Versorgung mit
tuberumgreifenden
und
tuberunterstützenden
Schäften
bei
problematischen Stumpfverhältnissen. Man erkennt, dass eine
Patienten
mit
Bewegungsein-
schränkung keine Indikation für bzw. gegen die Versorgung mit einem bestimmten
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
44
Schaftsystem war. Allerdings fällt auf, dass kein Patient, dessen Stumpf eine
reduzierte Muskelkraft aufwies, mit einem tuberunterstützenden Schaft versorgt
worden war.
100%
11
80%
12
23
60%
Tuberunterstützend
40%
Tuberumgreifend
20%
11
23
5
29
ja
nein
ja
nein
0%
Bewegungseinschränkung
reduzierte
Muskelkraft
Abb. 20 Schaftsystem und Bewegungseinschränkung bzw. reduzierte Muskelkraft des
Stumpfes (N = 57)
Ebenso stellte das Vorhandensein von Stumpfschmerzen kein Kriterium für die
Auswahl des Schaftsystems dar. Auffällig ist, dass Patienten, deren Stümpfe
problematische Narben aufweisen, überwiegend mit tuberunterstützenden Schäften
versorgt sind. Alle diese Patienten sind jedoch seit über 50 Jahren amputiert, was der
primäre Grund für die Wahl ihres Schaftsystems ist.
100%
80%
7
60%
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
40%
20%
16
13
10
32
24
10
2
0%
ja
nein
Stumpfschmerz
vorhanden
ja
nein
problematische
Narben
Abb. 21 Schaftsystem und Stumpfschmerz bzw. problematische Narben des Stumpfes
(N=57)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
45
Kriegsversehrte
Speziell für die Gruppe der Kriegsversehrten lässt sich feststellen, dass diese
Patienten überwiegend mit tuberunterstützenden Schäften versorgt und auch (noch)
nicht auf die tuberumgreifende Schaftform umgestellt worden sind (Abb. 22).
T-umgreifend
19%
Sonstige
19%
Tunterstützend
62%
Abb. 22 Verteilung der Schaftsysteme bei Kriegsversehrten (N=21)
Liner-Systeme
In der überwiegenden Zahl der untersuchten Fälle (N=138) wurde die Versorgung mit
einem Haft-Schaft durchgeführt. In 50 Fällen wurde ein Liner-System verwendet und
in 2 Fällen konnte die Art der (tuberumgreifenden) Versorgung nicht rekonstruiert
werden.
Deutlich zu erkennen ist die Abhängigkeit der Verwendung eines Liners vom Alter
des Patienten (Abb. 23). Je älter ein Patient ist, umso häufiger wird ein Liner-System
verwendet.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
46
100%
18
59
61
80%
60%
ohne Liner
mit Liner
40%
20%
4
21
25
< 30
30-60
>60
0%
Alter
Abb. 23 Altersgruppen und Liner (N = 188)
Auch bei Berücksichtigung der Aktivitätsklasse lassen sich Abhängigkeiten erkennen
(Abb. 24). Insbesondere in der Aktivitätsklasse 1 werden Liner verwendet. In unserer
Studie ist mehr als die Hälfte dieser Patienten mit einem Liner-System versorgt. In
den Aktivitätsklassen 2 und 3 sind knapp über 20% der Patienten mit einem Liner
versorgt und in der Aktivitätsklasse 4 sind es nur noch etwa 12%.
100%
2
80%
11
43
58
22
60%
ohne Liner
mit Liner
40%
20%
1
13
13
20
3
AK 0
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
0%
Aktivitätsklasse
Abb. 24 Aktivitätsklassen und Liner (N = 188)
Vergleicht man den Einsatz eines Liners mit der Amputationsdauer des Patienten, so
stellt man ebenfalls einen Zusammenhang fest. Besonders auffällig ist, dass kein
Patient, der länger als 50 Jahre amputiert ist, mit einem Liner-System versorgt ist
(Abb. 25).
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
47
120
100
111
80
60
40
50
20
24
0
in
ohne L
0
er
er
mit Lin
< 50
> 50
Abb. 25 Liner und Amputationsdauer (N= 185)
Anhand von (Abb. 26) erkennt man, dass Liner-Systeme häufig bei Patienten mit
Durchblutungsstörungen eingesetzt werden.
100%
67
26
23
21
80%
60%
Ohne Liner
Mit Liner
40%
20%
17
17
7
9
Trauma
pAVK
Tumor
Andere
0%
Amputationsursache
Abb. 26 Liner und Amputationsursache (N = 187)
Traumatisch Amputierte waren in dieser Studie eher selten mit einem Liner versorgt.
Dies liegt zum Teil daran, dass knapp ein Viertel dieser Patienten Kriegsversehrte
sind und nur ein einziger Kriegsversehrter mit einem Liner-System versorgt ist
(Abb. 27).
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
48
mit Liner
5%
ohne Liner
95%
Abb. 27 Anteil der Linerversorgung bei Kriegsversehrten (N = 21)
3.1.1.2 Patientenbefragung
In diesem Teil der Studie werden die 60 zurückgeschickten Fragebögen der
Patientenbefragung ausgewertet.
Patienten
Die gezielte Ansprache von Kriegsversehrten hat die Folge, dass bei der
Geschlechterverteilung die männlichen Patienten überwiegen ( Tab. 4). Von den 47
befragten männlichen Patienten sind 30 kriegsversehrt.
Tab. 4 Geschlechterverteilung der befragten
Patienten (N=60)
Gesamt
männlich weiblich keine Angaben
47
9
4
In der Altersverteilung erkennt man, dass in der Gruppe der 30-60-jährigen der Anteil
von Frauen und Männern noch gleich verteilt ist, während die männlichen
Kriegversehrten die Gruppe der über 60jährigen dominieren (Abb. 28).
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
49
1
Anzahl Fragebögen
100%
3
80%
9
keine Angaben
w
m
60%
40%
20%
1
8
38
<30
30-60
>60
0%
Alter
Abb. 28 Geschlechterverteilung und Altersgruppen (N = 60)
Bei 3 Patienten ist die Aktivitätsklasse nicht angegeben worden, die überwiegende
Zahl der Patienten findet sich in den Aktivitätsklassen 2 und 3.
Tab. 5: Aktivitätsklassenverteilung der befragten Patienten
AK 0
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
0
5
28
21
3
Gesamt
100%
4
80%
21
14
1
>60
30-60
<30
60%
40%
20%
1
7
6
AK 1
AK 2
AK 3
1
0%
AK 0
2
AK 4
Aktivitätsklasse
Abb. 29 Aktivitätsklassen und Altersgruppen (N = 57)
In Abb. 29 erkennt man wiederum den schon bekannten Zusammenhang zwischen
der Aktivitätsklasse und dem Alter. Auffällig ist nur ein 83-jähriger Kriegsversehrter,
der sich der Aktivitätsklasse 4 zugeordnet hat. Auch der Zusammenhang zwischen
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
50
Aktivitätsklasse und Amputationsursache entspricht in weiten Teilen dem größeren
Kollektiv der ersten Untersuchung (Abb. 30).
100%
80%
60%
40%
20%
0%
AK 0
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
Andere
0
0
2
3
1
Tumor
0
0
1
4
0
pAVK
0
1
3
2
0
Trauma
0
4
22
12
2
Aktivitätsklasse
Abb. 30 Aktivitätsklassen und Amputationsursachen (N = 57)
lang
31%
kurz
33%
mittel
36%
Abb. 31 Verteilung der Stumpflängen (N =52)
Die Verteilung der Stumpflängen innerhalb der Patientenbefragung ist nahezu
gleichverteilt (Abb. 31). 8 Patienten machten jedoch keine Angabe zu ihrer
Stumpflänge.
Die Frage nach ihren Stumpfverhältnissen haben nur 44 Patienten beantwortet.
Abb. 32 zeigt die subjektive Einschätzung der Patienten auf die Frage nach Ihren
Stumpfverhältnissen.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
51
Haben Sie einen problematischen Stumpf?
nein
26
ja
18
0
5
10
15
20
25
30
Abb. 32 Subjektive Einschätzung der befragten Patienten zu ihren
Stumpfverhältnissen (N = 44)
Schaftsyteme
Von den befragten Patienten machten 5 keine Angaben zu ihrem Schaftsystem, so
dass in den folgenden Darstellungen die Ergebnisse von 55 ausgewerteten
Fragebögen zu sehen sind.
Der einzige Patient, der jünger als 30 Jahre ist, ist mit einer Zweckform versorgt.
Ansonsten überwiegen auch in diesem Teil der Studie die tuberumgreifenden
Schäfte, wenngleich der Anteil tuberunterstützender Schäfte nun deutlich höher ist
als in der vorangegangenen retrospektiven Studie. Insbesondere fällt in Abb. 33 auf,
dass der Anteil tuberunterstützender Schäfte besonders groß in der Altersgruppe der
über 60jährigen ist.
100%
1
80%
3
2
7
12
S on s tig e
60%
tub e ru n ters tü tze nd
40%
t u b e ru m g re ife n d
20%
11
19
3 0 - 60
> 60
0%
< 30
A lte r
Abb. 33 Schaftsysteme und Altersgruppen (N = 55)
In allen Aktivitätsklassen liegt der Anteil tuberumgreifender Schäfte über 50%. Die
meisten tuberunterstützenden Schäfte werden von Patienten der Aktivitätsklasse 2
getragen (Abb. 34).
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
52
100%
3
6
9
5
2
14
10
2
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
1
80%
60%
1
Sonstige
tuberunterstützend
tuberumgreifend
40%
20%
0%
AK 0
Aktivitätsklasse
Abb. 34 Schaftsysteme und Aktivitätsklassen (N = 53)
Tab. 6: Schaftsysteme und Amputationsdauer (N=55)
Amputationsdauer tuberumgreifendtuberunterstützend Sonstige
> 50
12
12
4
< 50
18
2
7
Auch in Bezug auf die Amputationsdauer sind die Ergebnisse konsistent.
Insbesondere Langzeitamputierte sind noch häufig mit tuberunterstützenden
Schäften versorgt (Tab. 6 und Abb. 35 ). Bei den Patienten, die weniger als 50 Jahre
amputiert sind, sind nur wenige tuberunterstützend versorgt.
18
16
18
14
12
10
8
6
4
2
0
nd
reife
g
m
u
t-
12
12
2
< 50
> 50
Abb. 35 Schaftsysteme und Amputationsdauer (N = 44)
Bei der Betrachtung der Amputationsursache (Abb. 36) zeigt sich die Häufung
tuberunterstützender Versorgungen bei Kriegsversehrten darin, dass ausnahmslos
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
53
alle tuberunterstützenden Schäfte von Patienten getragen werden, bei denen die
Amputation traumatisch bedingt war.
100%
4
80%
1
1
3
14
Sonstige
60%
Tuberunterstützend
40%
Tuberumgreifend
20%
19
6
2
2
Trauma
pAVK
Tumor
Andere
0%
Amputationsursache
Abb. 36 Amputationsursache und Schaftsysteme (N =52)
100%
5
5
4
6
4
80%
60%
3
Sonstige
Tuberunterstützend
40%
Tuberumgreifend
20%
8
8
9
kurz
mittel
lang
0%
Stumpflänge
Abb. 37 Schaftsysstem und Stumpflänge (N = 52)
Anhand
von
Abb.
37
kann
man
erkennen,
dass
im
Gegensatz
zur
Versorgungsstatistik, die Wahl der Schaftsystems unabhängig von der Stumpflänge
der Patienten ist.
Kriegsversehrte
In diesem Teil der Studie sind die Kriegsversehrten zu gleichen Teilen mit tuberunterstützenden und tuberumgreifenden Schäften versorgt. Der Anteil sonstiger Schäfte
liegt bei 14% (Abb. 38) – vergleiche dazu Abb. 22.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
54
Sonstige
14%
Tunterstützend
43%
T-umgreifend
43%
Abb. 38 Verteilung der Schaftsysteme bei Kriegsversehrten (N = 28)
Liner
Versorgungen mit Liner-Systemen finden sich überwiegend in der mittleren
Altersgruppe der 30-60-jährigen. Hier erreicht der Anteil fast 60%. Man erkennt in
Abb. 39, dass in der Gruppe der über 60-jährigen kaum Liner verwendet werden.
Dies scheint zunächst im Widerspruch zu Abb. 23 zu stehen, in der man im
Patientenkollektiv der Versorgungstatistik eine Zunahme der Linerversorgungen mit
dem Alter der Patienten erkennt.
Dieser Widerspruch ist jedoch durch den hohen Anteil von Kriegsversehrten in
diesem Teil der Studie zu erklären, wie auch in den folgenden Abbildungen zu
erkennen ist.
100%
1
7
37
80%
60%
ohne Liner
mit Liner
40%
20%
10
5
30 - 60
> 60
0%
< 30
Alter
Abb. 39 Altersgruppen und Liner (N = 60)
Statistisch signifikante Aussagen können bei der Auswertung der Fragebögen nur zu
den Aktivitätsklassen 2 und 3 gemacht werden. In Abb. 40 sieht man für diese
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
55
Aktivitätsklassen ein ähnliches Bild. Knapp über 20% der Versorgungen werden mit
Liner-Systemen durchgeführt. Der Großteil der Versorgungen findet ohne Liner statt.
100%
4
21
16
2
80%
60%
ohne Liner
mit Liner
40%
20%
1
7
5
1
AK 1
AK 2
AK 3
AK 4
0%
AK 0
Aktivitätsklasse
Abb. 40 Aktivitätsklassen und Liner (N = 57)
Ebenfalls analog zur Versorgungsstatistik sieht die Verteilung der Liner-Systeme in
Abhängigkeit von der Amputationsdauer aus. Nur ein Patient, der seit über 50 Jahren
amputiert ist, trägt einen Liner (Abb. 41).
35
30
31
25
20
15
10
14
14
5
1
0
< 50
> 50
ohne Liner
mit Liner
Abb. 41 Amputationsdauer und Liner (N = 60)
Die Ergebnisse bezüglich der Amputationsursache ergeben wiederum ein ähnliches
Bild (Abb. 42). Liner-Systeme werden überwiegend bei pAVK-Patienten eingesetzt.
Traumatisch Amputierte werden nur zu einem geringen Prozentsatz mit Linern
versorgt.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
56
100%
35
3
4
80%
60%
ohne Liner
mit Liner
40%
20%
6
4
2
3
Trauma
pAVK
Tumor
sonstige
0%
Abb. 42 Amputationsursache und Liner (N = 57)
Wie in der Versorgungstatistik ist auch in dieser Befragung nur ein einziger
Kriegsversehrter mit einem Liner versorgt (Abb. 43). Da es sich um insgesamt mehr
befragte Kriegsversehrte handelt, liegt somit der Anteil der Liner-Versorgung nur
noch bei 3 %. Dies ist auch der Grund, warum der Anteil der Liner in der Gruppe der
über 60-jährigen geringer ausfällt als in der Versorgungsstatistik aufgeführt wurde.
mit Liner
3%
ohne Liner
97%
Abb. 43 Anteil von Linerversorgungen bei Kriegsversehrten (N = 31)
3.1.1.3 Zusammenfassung der Ergebnisse der inter-individuellen Studie
Insgesamt kann man folgende Ergebnisse aus der Versorgungsstatistik und der
Fragebogenstatistik zusammenfassen:
Tuberumgreifende Schäfte:
Der tuberumgreifende Schaft ist das mittlerweile am häufigsten verwendete
Schaftsystem in der Klinik für Technische Orthopädie (s. Versorgungsstatistik).
Während junge Patienten unterhalb von 30 Jahren fast ausschließlich mit einer
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
57
Tuberumgreifung versorgt werden, sinkt der Anteil dieser Schaftform je älter die
Patienten sind.
Der tuberumgreifende Schaft überwiegt in jeder Aktivitätsklasse, wird jedoch laut der
Versorgungsstatistik in den niedrigen (AK 0 und AK 1) und hohen Aktivitätsklassen
(AK 4) vermehrt eingesetzt.
Die Abhängigkeit des verwendeten Schaftsystems von der Amputationsdauer des
Patienten ist sehr deutlich. Je kürzer der Amputationszeitpunkt zurückliegt, umso
größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient mit einem tuberumgreifenden
Schaft versorgt wird.
Bei der Amputationsursache fallen besonders 2 Aspekte auf. Patienten mit
Durchblutungsstörungen werden fast ausschließlich mit einer Tuberumgreifung
versorgt, während Kriegsversehrte eher selten mit diesem Schaftsystem versorgt
sind.
Tuberunterstützende Schäfte:
Diese Schaftform findet sich überwiegend bei älteren Patienten, besonders in der
Gruppe der über 60-jährigen.
Bezüglich der Aktivitätsklasse stellt man fest, dass gerade im mittleren Bereich und
dort besonders in der Aktivitätsklasse 2 der tuberunterstützende Schaft noch häufig
vertreten ist. Sehr deutlich ist der Zusammenhang mit der Amputationsdauer.
Tuberunterstützende Schäfte finden sich häufig bei Patienten, die seit mehr als 50
Jahren amputiert sind.
Bei der Amputationsursache fällt auf, dass insbesondere Kriegsversehrte mit diesem
Schaftsystem versorgt sind. Dies korreliert mit den vorhergehenden Ergebnissen,
da die meisten Kriegsversehrten aufgrund ihres Alters der Aktivitätsklasse 2
angehören und seit mittlerweile über 60 Jahren amputiert sind.
Liner-Systeme:
Liner-Systeme werden häufiger bei älteren Patienten und bei Patienten mit einer
niedrigen Aktivitätsklasse eingesetzt. Auch Patienten mit Durchblutungsstörungen
werden häufig mit einem Liner versorgt. Kriegsversehrte und Trauma-Patienten
tragen nur in Ausnahmefällen einen Liner.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
58
3.1.1.4 Tragekomfort und Zufriedenheit
Zusätzlich zu den erhobenen Statistiken möchte die Klinische Prüfstelle mit Hilfe
klinischer Untersuchungen herausfinden, warum die Versorgungen so erfolgen wie in
den beiden Studien dargestellt und ob insbesondere die Kriegsversehrten mit ihrer
Versorgung zufrieden sind.
Im Folgenden sind die Ergebnisse dieser Befragung zusammengestellt.
Tab. 7 zeigt die Zeiten, die die befragten Patienten zum An- und Ausziehen ihrer
Prothese benötigen. Die Zeiten, die zum Ausziehen angegeben wurden, variierten
sehr stark, so dass sie nur schwache Hinweise auf die Handhabbarkeit der
Prothesen
liefern.
Man
kann
jedoch
feststellen,
dass
Patienten
mit
tuberunterstützenden Schäften länger zum Anziehen ihrer Prothese benötigen, als
die Patienten mit tuberumgreifenden Schäften. Es könnte hierbei jedoch auch einen
Zusammenhang mit dem höheren Altersdurchschnitt der tuberunterstützend
versorgten Patienten geben. Interessant ist weiterhin, dass der Liner keinen Einfluss
auf die Zeiten hat. Dies bedeutet, dass Patienten also etwa den gleichen Zeitraum für
das Anziehen ihrer Prothese benötigen, egal ob sie ein Liner-System oder einen
Haft-Schaft besitzen.
Tab. 7 An- und Ausziehzeiten der Prothese (N = 54)
ohne Liner
mit Liner
tuberumgreifend
Anziehen
Ausziehen
141,9 s
48,4 s
153,6 s
104,5 s
tuberunterstützend
Anziehen
Ausziehen
190,0 s
107,0 s
180,0 s
36,0 s
Tab. 8 Zufriedenheit mit der Handhabbarkeit der Prothese beim An- und
Ausziehen (N = 56)
zufrieden
nicht zufrieden
tuberumgreifend
mit Liner
ohne Liner
10
15
1
1
tuberunterstützend
mit Liner
ohne Liner
2
8
0
4
Allerdings scheint die Handhabbarkeit einer Prothese mit einem Liner besonders für
ältere Patienten einfacher und damit komfortabler zu sein. Nur ein befragter Patient
ist in dieser Hinsicht unzufrieden mit seinem Linersystem. Auffällig ist, dass ein Drittel
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
59
der tuberunterstützend versorgten Patienten ohne Liner unzufrieden mit der
Handhabbarkeit der Prothese beim An- und Ausziehen ist.
Um den Tragekomfort einer Prothese genauer beurteilen zu können wurden die
Patienten befragt, wie zufrieden sie mit ihrer Prothesenversorgung im Allgemeinen
sowie im Gehen, Stehen und Sitzen sind. Im Folgenden sind zum einen die
Ergebnisse für die gesamte Patientenklientel angegeben sowie speziell für die
Untergruppe der Kriegsversehrten. Da nicht alle Befragten auf alle Fragen
geantwortet haben, kommt es zu unterschiedlichen Anzahlen auswertbarer
Antworten.
Abb. 44 zeigt die Zufriedenheit, die die befragten Personen insgesamt mit ihrem
Prothesensystem empfinden.
Gesamt
14
12
13
10
8
13
6
4
4
2
0
3
n
iede
zufr
den
ufrie
z
n
u
T-u
mg
re
ifen
d
Abb. 44 Schaftsysteme und Zufriedenheit (N = 33)
Man erkennt, dass etwa drei Viertel aller Befragten mit ihrer Versorgung zufrieden
sind. Sie verteilen sich gleichmäßig auf beide Schaftsysteme. Dies lässt sich auch für
Befragte feststellen, die mit ihrer Versorgung unzufrieden sind. Der Anteil der
unzufriedenen Patienten mit tuberunterstützenden Schäften ist leicht höher als der
der Patienten mit tuberumgreifenden Schäften.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
60
Kriegsversehrte
6
5
4
6
5
3
3
2
1
0
1
zufrieden
unzufrieden
T-u
mgr
ei
f end
Abb. 45 Schaftsysteme und Zufriedenheit bei Kriegsversehrten ( N = 15)
In der Gruppe der Kriegsversehrten bleibt die Frage zum Tragekomfort mehrfach
unbeantwortet, so dass hier nur eine kleine Anzahl von Antworten zur Verfügung
steht. Man sieht in Abb. 45, dass auch in dieser Untergruppe die Patienten
grundsätzlich mit ihrer Prothese zufrieden sind. Auffällig ist jedoch, dass ein Drittel
der tuberunterstützend versorgten Patienten unzufrieden mit ihrer Prothese sind,
während der tuberumgreifende Schaft eher akzeptiert wird.
Die folgenden Abbildungen zeigen die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der
Befragten aufgeschlüsselt nach verschiedenen Kriterien.
Abb. 46 zeigt wie zufrieden alle befragten Patienten mit ihrem jeweiligen
Schaftsystem im Sitzen sind. Insgesamt ist der Großteil aller Patienten mit dem
Schaftsystem zufrieden. Allerdings ist die Zufriedenheit beim tuberunterstützenden
Schaft prozentual größer als beim tuberumgreifenden Schaft. Deutlich mehr
Patienten sind mit ihrem tuberumgreifenden Schaft im Sitzen unzufrieden.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
61
Zufriedenheit im Sitzen (gesamt)
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
8
9
6
2
n
iede
en
zufr
ried
f
u
z
un
T-u
mgr
eife
nd
Abb. 46 Schaftsysteme und Zufriedenheit im Sitzen (N = 25)
Das wird noch deutlicher in der Gruppe der Kriegsversehrten (Abb. 47). Dort sind
über die Hälfte der tuberumgreifend versorgten Patienten unzufrieden mit ihrer
Prothese beim Sitzen, während der Großteil der tuberunterstützend versorgten
Patienten zufrieden ist.
Zufriedenheit im Sitzen (Kriegsversehrte)
10
8
8
6
4
3
2
4
2
0
n
iede
zufr
en
ried
f
u
z
un
T-um
greife
nd
Abb. 47 Schaftsysteme und Zufriedenheit im Sitzen bei Kriegsversehrten (N = 17)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
62
Zufriedenheit im Stehen (gesamt)
14
12
10
8
6
4
2
0
14
8
2
0
T-umg
reifend
n
iede
en
zufr
fried
u
z
un
Abb. 48 Schaftsysteme und Zufriedenheit im Stehen (N = 24)
Zufriedenheit im Stehen (Kriegsversehrte)
8
7
6
5
4
3
2
1
0
zufr
8
5
2
0
n
iede
n
iede
r
f
u
unz
T-um
greif
end
Abb. 49 Schaftsysteme und Zufriedenheit im Stehen bei Kriegsversehrten (N = 15)
Umgekehrt verhält es sich im Stehen: Die Zufriedenheit im Stehen spricht sowohl
innerhalb der Gruppe der Kriegsversehrten (Abb. 49) als auch in der aller Befragten
(Abb. 48) eindeutig für den tuberumgreifenden Schaft.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
63
Zufriedenheit beim Gehen (gesamt)
12
10
8
11
8
6
4
2
4
n
iede
r
f
u
z
en
fried
u
z
un
2
0
T-um
grei
fe n d
Abb. 50 Schaftsysteme und Zufriedenheit im Gehen (N = 25)
Die Zufriedenheit im Gehen zeigt insgesamt ein etwas differenzierteres Bild
(Abb. 50). Über ein Viertel aller mit einem tuberumgreifenden Schaft versorgten
Patienten geben an, dass sie mit ihrer Prothese beim Gehen unzufrieden sind. Bei
den Patienten mit tuberunterstützenden Schäften ist es nur ein Fünftel.
Zufriedenheit beim Gehen (Kriegsversehrte)
7
8
7
6
5
4
3
2
1
0
8
2
1
n
iede
n
zufr
iede
r
f
u
unz
T-um
grei
fend
Abb. 51 Schaftsysteme und Zufriedenheit im Gehen bei Kriegsversehrten (N = 18)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
64
Kriegsversehrte dagegen sind häufiger beim Gehen mit ihrer tuberunterstützenden
Prothese unzufrieden. Abb. 51 zeigt, dass 87,5% der Kriegsversehrten mit ihrer
tuberumgreifenden Versorgung zufrieden sind.
Um die vorgestellten Ergebnisse der Zufriedenheit noch genauer abzusichern
wurden die Patienten befragt, ob sie sich generell für gut versorgt halten (Tab. 9) und
ob sie das Gefühl haben, dass ihre Prothese passgerecht ist (Tab. 10).
Tab. 9: Halten sich für gut
versorgt? (N=27)
Ja
Nein
Tuberumgreifend
14
1
Tab. 10: Ist Ihre Prothese passgerecht?
(N=28)
Tuberunterstützend
8
4
Ja
Nein
Tuberumgreifend
15
1
Tuberunterstützend
8
4
Es wird deutlich, dass sich fast alle Patienten mit einem tuberumgreifenden Schaft für
gut versorgt halten und auch ihre Prothese als passgerecht empfinden. Dagegen hält
sich ein Drittel aller Patienten mit tuberunterstützenden Schäften für nicht gut
versorgt und empfindet auch die Prothese als nicht passgerecht.
Inwieweit diese Prothesen tatsächlich nicht passgerecht sind, oder die befragten
Personen nur einen solchen Eindruck haben, kann nicht geklärt werden.
In dem folgenden Abschnitt wird der Zusammenhang der Zufriedenheit bzw.
Unzufriedenheit eines Patienten mit seiner Versorgung in Zusammenhang mit seiner
Stumpflänge und –beschaffenheit untersucht.
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
100%
3
5
4
1
1
1
3
1
2
1
1
kurz
mittel
lang
kurz
mittel
lang
80%
60%
40%
20%
0%
zufrieden
unzufrieden
Abb. 52 Schaftsysteme und Zufriedenheit in Abhängigkeit der Stumpflänge (N = 21)
Abb. 52 zeigt noch mal erkennen, dass im Verhältnis mehr Patienten mit ihrem
tuberumgreifenden
Schaft
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
zufrieden
sind
als
Patienten
mit
ihrem
65
tuberunterstützenden Schaft. Hier ergibt sich ein interessanter Zusammenhang mit
der Stumpflänge. Patienten mit kurzen Stümpfen und tuberunterstützenden Schäften
sind häufiger unzufrieden mit ihrer Versorgung als Patienten mit tuberumgreifender
Versorgung.
Dies wird durch Abb. 53 ebenfalls bestätigt, bei der die Antworten auf die Frage
„Halten Sie sich für gut versorgt?“ in Abhängigkeit vom Schaftsystem und von der
Stumpflänge dargestellt sind. Insbesondere Patienten mit kurzen Stümpfen, die mit
einem tuberunterstützenden Schaft versorgt sind, sind in der Regel unzufrieden mit
ihrer Versorgung. Dagegen hält sich die überwiegende Mehrheit der Patienten mit
kurzem Stumpf und tuberumgreifendem Schaft für gut versorgt.
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
100%
7
80%
6
6
1
1
5
2
3
1
1
mittel
lang
kurz
mittel
lang
60%
40%
20%
1
0%
kurz
ja
nein
Halten Sie sich für gut versorgt?
Abb. 53 Schaftsystem und subjektive Einschätzung der Versorgungsqualität in
Abhängigkeit der Stumpflänge (N = 34)
Statistisch geben diese Resultate nur Hinweise, sie sind auf Grund der kleinen
Gruppe nicht signifikant. Wie man in Abb. 54 und Abb. 55 erkennt, haben nur
wenige unzufriedene Patienten Angaben zu ihren Stumpfverhältnissen gemacht. Es
bestätigt sich, dass Patienten generell mit tuberumgreifenden Schaft eher zufrieden
sind, egal ob sie Probleme mit ihrem Stumpf haben oder nicht.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
66
Patienten mit unproblematischen
Stümpfen
Patienten mit problematischen Stümpfen
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
Tuberunterstützend
Tuberumgreifend
100%
100%
4
2
80%
80%
60%
60%
40%
40%
9
1
4
2
ja
nein
20%
20%
2
2
0%
0%
zufrieden
unzufrieden
Abb. 54 Schaftsysteme und Zufriedenheit in Abhängigkeit der Stumpfqualität (N = 26)
Patienten mit problematischen Stümpfen
Patienten mit unproblematischen Stümpfen
Tuberumgreifend
Tuberunterstützend
100%
80%
8
2
3
2
ja
nein
60%
40%
20%
0%
Tuberunterstützend
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
Halten Sie sich für gut versorgt?
Tuberumgreifend
14
1
6
3
ja
nein
Halten Sie sich für gut versorgt
Abb. 55 Schaftsystem und subjektive Einschätzung der Versorgungsqualität in
Abhängigkeit der Stumpfqualität (N = 29)
3.1.2 Biomechanische Untersuchungen
Nach Anwendung der Kriterien aus Kap 2.1.2 blieben zwei etwa gleich große
Gruppen mit einer ausreichend großen Anzahl Patienten übrig (Tab. 11)
Tab. 11 Patienten zur Messung des Prothesenhubs (N=37)
Anzahl Patienten
Tuberumgreifend
20
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
Tuberunterstützend
17
67
Tab. 12 zeigt den gemessenen Prothesenhub bei Patienten mit tuberumgreifenden
und tuberunterstützenden Schäften. Es ergibt sich ein hochsignifikanter (p>0,001)
Unterschied, wobei der Prothesenhub der tuberunterstützenden Schäfte größer ist.
Somit kann die Aussage von Baumgartner [Baumgartner 2008] bestätigt werden.
Insgesamt zeigen die tuberunterstützenden Schäfte nicht nur einen größeren Hub,
auch die Varianz innerhalb der gemessenen Patientenklientel ist deutlich größer als
bei den tuberumgreifenden Schäften. Das Maximum des Prothesenhubes beim
tuberunterstützenden Schaft wurde mit 2,3 cm gemessen. Ein Prothesenhub dieser
Größe bewirkt, dass der Patient deutliche Ausweichbewegungen ausführen muss,
um nicht mit seiner Prothese hängen zu bleiben.
Tab. 12 gemesser Prothesenhub (N=40)
Prothesenhub
in mm
Mittelwert
Minimum
Maximum
Tuberumgreifend Tuberunterstützend
7,1 ± 2,7
1,9
13,3
13,0 ± 4,9
6,2
23,6
Da die Gruppe der Patienten mit tuberunterstützenden Schäften deutlich älter ist als
die Gruppe mit tuberumgreifenden Schäften, muss der Einfluss dieses Parameters
statistisch geprüft werden.
Prothesenhub / Alter
25
tuberumgreifend
tuberunterstützend
Hub [mm]
20
15
10
5
0
0
20
40
60
80
100
Alter
Abb. 56 Abhängigkeit der Prothesenhubs von Alter und Schaftform (N = 40)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
68
Abb. 56 zeigt die erhaltenen Ergebnisse. Die horizontalen Striche markieren den
jeweiligen Mittelwert. Deutlich erkennbar ist, dass die Patienten mit tuberunterstützenden Schäften in der Tat deutlich älter sind und auch einen größeren
Prothesenhub zeigen. Eine Abhängigkeit vom Alter ist allerdings statistisch nicht
erkennbar. Bei Patienten mit tuberumgreifenden Schäften zeigen die älteren
Patienten sogar tendenziell einen geringeren Hub als die jüngeren. Auch die
Patienten, deren tuberunterstützende Schäfte den größten Hub zeigen, sind der
mittleren Altersgruppe zuzuordnen.
Somit ist gezeigt, dass anders als die Schaftform das Alter keinen Einfluss auf den
Hub einer Prothese hat.
Ebenfalls einen Einfluss auf den Hub einer Prothese hat die Verwendung eines
Linersystems. Da nur 1 Patient mit tuberunterstützendem Schaft und Liner-System in
die Studie einging, wird nur der Vergleich innerhalb der tuberumgreifenden Schäfte
gezeigt. Zur einfacheren Darstellung wurden die Begriffe „wenig Hub“, „mittlerer Hub“
und „großer Hub“ eingeführt. Dabei wird als „mittlerer“ Hub eine Längenänderung
bezeichnet, die sich innerhalb der Spanne des Mittelwerts ± eine halbe
Standardabweichung befindet. Darunter wird der Hub als klein bezeichnet, oberhalb
als groß.
Anzahl der Patienten
Prothesenhub tuberumgreifend
mit / ohne Liner im Vergleich
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
ohne Liner
mit Liner
wenig Hub
mittlerer Hub
großer Hub
Abb. 57 Prothesenhub und Liner
Abb. 57 zeigt, dass die Verwendung eines Liners den Prothesenhub verringert, aber
nicht vollständig eliminiert.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
69
3.2 Intra-individuelle Studie
Die Patienten der intra-individuellen Studie gehörten bis auf einen Patienten (P.S. mit
AK4) alle der Aktivitätsklasse 3 an. Die Patienten waren zwischen 22 und 78 Jahre
alt mit einem Durchschnitt von 51,3. Die Amputationsdauer lag zwischen 2 und 38
Jahren mit einem Durchschnitt von 11,5 Jahren. Kriegsversehrte konnten für diesen
Teil der Studie aus organisatorischen Gründen leider nicht gewonnen werden.
3.2.1 Klinische Untersuchungen
3.2.1.1 Handhabbarkeit der Schäfte
Innerhalb der klinischen Untersuchung wurde zunächst die Handhabbarkeit der
verschiedenen Schäfte verglichen. Dazu wurden zunächst die Zeiten gemessen, die
die Patienten zum Anlegen und Ablegen ihrer Prothese benötigen.
Tab. 13 Anziehzeiten, Schaftsysteme und Liner (N=7)
tuberumgreifend
tuberunterstützend
Anziehen Ausziehen Anziehen Ausziehen
ohne Liner
107,2
17,5
80,2
5,8
mit Liner
32,1
7,6
33,9
8,7
Tab. 13 zeigt die gemessenen Zeiten, wobei die Zeiten, die zum Anlegen des Liners
benötigt wurden nicht aufgelistet sind. Für das Anlegen des Liners brauchten die
Patienten ca. 30-50 Sekunden. Diese Zeit muss bei Linerversorgungen zu den reinen
Anzieh und Ausziehzeiten addiert werden. Berücksichtigt man dies, so ergibt sich,
dass die Anziehzeiten zwischen einer Linerversorgung und dem Haft-Schaft sich
nicht stark unterscheiden, wenn der Liner sorgfältig angelegt wird. Auch der
Unterschied zwischen den beiden Schaftformen tuberumgreifend und tuberunterstützend ist nicht signifikant. Somit ist die Zeit, die die Patienten zum Anziehen ihrer
Prothese benötigen, kein Anhaltspunkt für die Handhabbarkeit.
Für den praktischen Gebrauch ist zu vermerken, dass die Patienten alle ihre
Prothese selbst ausziehen konnten und dass die dafür benötigten Zeiten auch kürzer
waren als die Anziehzeiten. Das kann im Notfall, wenn keine Hilfsperson zugegen ist,
von Wichtigkeit sein.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
70
3.2.1.2 Variabilität der Fußlängsrichtung
In Tab. 14 sieht man die erzielten Ergebnisse der GaitRite-Messung. Insgesamt
konnten 4 Patienten mit einem Liner-System und 3 Patienten ohne Liner vermessen
werden. Man erkennt deutlich den Einfluss des Schaftsystems. Alle Patienten - mit
und ohne Linersystem – zeigen eine signifikant (p < 0,01) geringere Variabilität der
Fußlängsrichtung mit den tuberumgreifenden Schäften. Ein signifikanter Einfluss des
Linersystems ist jedoch nicht vorhanden.
Tab. 14: Variabilität der Fußlängsrichtung in Abhängigkeit des
Schaftsystems
tuberunterstützend
3,91°
2,44°
Liner (N=4)
ohne Liner (N=3)
tuberumgreifend
1,74°
1,99°
3.2.1.3 Befragung
Nachdem die Patienten das jeweilige Schaftsystem probeweise getragen haben
wurden ihnen die gleichen Fragen gestellt wie den Patienten in der inter-individuellen
Studie. Sie sollten ihre Zufriedenheit mit dem jeweiligen Schaftsystem in Schulnoten
ausdrücken. Anschließend wurden die Antworten so ausgewertet, dass man
Aussagen darüber erhielt, ob sie einem bestimmten Schaftsystem den Vorzug geben
würden oder beide Schaftsysteme gleich beurteilt wurden. Die Ergebnisse sind im
Folgenden dargestellt (Abb. 58 - Abb. 62).
Zunächst wurde nach dem Tragekomfort des Schaftes im Sitzen gefragt (Abb. 58).
Keiner der 7 befragten Patienten gab dem tuberunterstützenden Schaft den Vorzug.
5 Patienten beurteilen die Schäfte im Sitzen gleich.
Zufriedenheit beim Sitzen
Anzahl Probanden
tuberumgreifend
6
gleich
5
tuberunterstützend
4
3
2
1
0
Zufriedenheit beim Sitzen
Abb. 58 Vorzug eines Schaftsystems im Sitzen (N = 7)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
71
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage nach der Zufriedenheit im Stehen (Abb.
59). Ein Patient bevorzugte den tuberunterstützenden Schaft, aber auch hier sah die
Mehrheit der Befragten keinen der beiden Schaftsysteme im Vorteil.
Zufriedenheit beim Stehen
Anzahl Probanden
6
tuberumgreifend
gleich
5
tuberunterstützend
4
3
2
1
0
Abb. 59 Vorzug eines Schaftsystems beim Stehen (N = 7)
In der Dynamik erhält man ein anderes, nicht weniger eindeutiges Ergebnis. Die
Mehrheit
der
befragten
Patienten
gibt
an,
dass
sie
beim
Gehen
den
tuberumgreifenden Schaft bevorzugen würden (Abb. 60). 2 Patienten beurteilen
beide Schaftsysteme gleich. Ein Patient gibt dem tuberunterstützenden Schaft den
Vorzug.
Zufriedenheit beim Gehen
tuberumgreifend
Anzahl Probanden
6
gleich
5
tuberunterstützend
4
3
2
1
0
Abb. 60 Vorzug eines Schaftsystems im Gehen (N = 7)
Dieser Patient (K.O.) war zuvor schon mit einem tuberumgreifenden Schaft versorgt.
Allerdings hatte er einen neuen für den Vergleich angefertigten Schaft nur eine
72
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
knappe Woche zur Probe getragen, so dass dieser Schaft noch nicht optimal
angepasst
war.
Dieser
Patienten
ist
der
gleiche
der
in
Abb.
61
dem
tuberunterstützenden Schaft den Vorzug gibt. Bis auf einen weiteren Patienten, der
beide Schaftsysteme gleich bewertet, halten sich alle übrigen 5 Patienten mit dem
tuberumgreifenden Schaft für besser versorgt.
Halten Sie sich für gut versorgt?
tuberumgreifend
Anzahl Probanden
6
gleich
5
tuberunterstützend
4
3
2
1
0
Abb. 61 Schaftsysteme, mit welchen sich die Patienten für besser versorgt halten
(N = 7)
Die Beantwortung der Frage, welche Prothese einfacher an- und auszuziehen sei,
ergab ein eher uneinheitliches Bild. Wie man an Abb. 62 sieht, finden 3 Patienten die
tuberumgreifende Prothese leichter an- und auszuziehbar, während jeweils 2
Patienten keinen Unterschied erkennen bzw. dem tuberunterstützenden Schaft den
Vorzug geben. Die Handhabbarkeit aus Sicht der Patienten schwankte zwischen der
Schulnote 1 und 4. Bemerkenswert ist, dass die Versorgung mit einem Liner dabei
nicht ins Gewicht fällt.
Prothese einfach an und auszuziehen
Anzahl Probanden
tuberumgreifend
6
gleich
5
tuberunterstützend
4
3
2
1
0
Abb. 62 Schaftsystem, welchen die Patienten subjektiv am einfachsten an- und
ausziehen konnten (N = 7)
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
73
3.2.2 Biomechanische Untersuchungen
Neben den klinischen Studien wurden auch biomechanische Untersuchungen
durchgeführt, um die klinisch erhaltenen Ergebnisse zu objektivieren und zu
ergänzen.
3.2.2.1 Prothesenhub
Zunächst wurde wie bereits in Kap. 3.1.2 beschrieben der Prothesenhub gemessen.
1 Patient mit Liner-System konnte nicht berücksichtigt werden, da bei einem seiner
Schäfte das Ventil undicht wurde und während der Messungen nicht ausgetauscht
werden konnte. Somit bleiben jeweils 3 Patienten mit und ohne Liner, die mit einem
tuberumgreifenden und tuberunterstützenden Schaftsystem versorgt wurden.
Tab. 15 gemessener Prothesenhub in Abhängigkeit von Schaftsystem und
Liner
Prothesenhub
in mm
Mittelwert
Tuberumgreifend
mit Liner
(N=3)
3,2
ohne Liner
(N=3)
3,3
Tuberunterstützend
mit Liner
(N=3)
5,5
ohne Liner
(N=3)
6,7
Tab. 15 zeigt den gemessenen Prothesenhub, der die vorangegangenen Ergebnisse
der inter-individuellen Studie beim Vergleich der Schaftsysteme bestätigt. Man
erkennt, dass unabhängig davon ob ein Liner benutzt wird oder nicht der
Prothesenhub bei den tuberumgreifenden Schäften deutlich geringer ist als bei den
tuberunterstützenden Schäften. Beide Ergebnisse sind signifikant. Der Unterschied
zwischen den beiden Schaftsystemen ohne Liner ist sogar hochsignifikant (p<0,01).
Dagegen scheint innerhalb dieser kleinen Gruppe ein Liner keinen Effekt auf den
Prothesenhub zu haben. Bei den tuberumgreifenden Schäften ist der Unterschied
deutlich geringer als ein möglicher Messfehler und auch bei den tuberunterstützenden Schäften ist die Verringerung des Hubs mit einem Liner nicht signifikant.
3.2.2.2 Variabilität des Gangbildes
Zunächst fällt auf, dass die Konstanz des Gangbildes vom Schaftsystem abhängt.
Die Mehrzahl der Patienten kann mit einem tuberunterstützenden Schaft ihr Gangbild
nicht so gut reproduzieren wie mit einem tuberumgreifenden Schaft. Dies zeigt sich in
einer erhöhten Standardabweichung sowohl in den kinematischen wie auch in den
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
74
kinetischen Daten. Eine mögliche Ursache hierfür könnte die Stumpfpseudarthrose
und die damit verbundene Rotationsinstabilität sein [Baumgartner 2007].
Abb. 63 zeigt ein Beispiel für die Kinematik eines Patienten, bei dem die
Standardabweichung (Differenz zwischen den gestrichelten Kurven) mit dem
tuberunterstützenden Schaft deutlich größer ist als mit dem tuberumgreifenden
Schaft. Dies kann man sowohl in den Hüft- wie auch in den Kniewinkeln erkennen.
tuberumgreifend
Kniewinkel
Hüftwinkel
tuberunterstützend
Abb. 63 Beispielhafte kinematische Daten eines Patienten bei der Benutzung von
tuberunterstützendem und tuberumgreifendem Schaft
Auch die Daten der Kinetik (Hüft- und Kniemomente) zeigen einen Unterschied
zwischen der Verwendung von tuberumgreifenden und tuberunterstützenden
Schäften. Abb. 64 zeigt wiederum typische Daten eines einzelnen Patienten. Man
erkennt, dass die Kurven der Belastung der Hüft- und Kniegelenke harmonischer und
glatter werden.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
75
Dieses objektive Phänomen konnte bei fast allen Patienten beobachtet werden, auch
bei denen, die subjektiv noch unschlüssig waren, ob sie dem tuberumgreifenden
Schaft den Vorzug geben würden.
tuberumgreifend
Kniemoment
Hüftmoment
tuberunterstützend
Abb. 64 Beispielhafte kinetische Daten eines Patienten bei der Verwendung von
tuberunterstützendem und tuberumgreifendem Schaft
Mit Hilfe des GaitRite-Systems und der Gangspuruntersuchung konnten diese
Ergebnisse bestätigt werden, d.h., dass eine objektive Verbesserung des Gangbildes
mit dem tuberumgreifenden Schaft zu beobachten war. Im Einzelnen wurden
folgende Parameter verglichen:
ƒ
die angenehme Gehgeschwindigkeit
ƒ
die für den Patienten subjektiv als maximal empfundene Gehgeschwindigkeit.
ƒ
Asymmetrie der Schrittlänge
ƒ
Asymmetrie der Standphase
Viele Patienten erreichen mit einem tuberumgreifenden Schaft eine höhere
Endgeschwindigkeit als mit dem tuberunterstützenden Schaft. Die Asymmetrie der
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
76
Schrittlänge geht zurück und auch die Asymmetrie in der Standphase verringert sich.
Tab. 16 zeigt die typischen Daten eines Patienten.
Tab. 16 Beispielhafte Daten eines Patienten bei der
Gangspuruntersuchung mit dem GaitRite-System
tuberumgreifend
tuberunterstützend
tuberumgreifend schnell
tuberunterstützend schnell
Geschwindigkeit Asymmetrie Asymmetrie
in km/h
Schrittlänge Standphase
3,10
-0,15
-0,05
3,20
-0,20
-0,08
4,01
3,85
-0,13
-0,17
-0,07
-0,07
3.2.2.3 Druckverteilung im Schaft
ohne Liner
mit Liner
A.E.
D.M.
3,5
3,5
2,5
tuberumgreifend
3
tuberunterstützend
Druck [N/cm²]
Druck [N/cm²]
3
2
1,5
1
K. Z.
1
tuberunterstützend
2
1,5
1
J.V.
8
tuberumgreifend
7
Druck [N/cm²]
Druck [N/cm²]
1,5
9
3,5
6
5
4
3
2
0,5
1
0
0
P.S.
4
3,5
2,5
tuberunterstützend
2
1,5
1
D.K.
3,5
tuberumgreifend
Druck [N/cm²]
3
Druck [N/cm²]
2
0
0
2,5
tuberunterstützend
2,5
0,5
0,5
3
tuberumgreifend
3
2,5
2
1,5
1
0,5
0,5
0
0
Abb. 65 Druckmessungen ventral im Stand für tuberumgreifende und
tuberunterstützende Schäfte
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
77
Eine wichtige biomechanische Aussage liefert die Druckverteilungsmessung im
Schaft. Der Schwerpunkt der Messung wurde auf die ventrale Druckverteilung,
insbesondere im Bereich des Scarpa-Dreieck gelegt.
Abb. 65 zeigt die Druckmessungen von 6 Patienten (jeweils 3 mit und 3 ohne Liner)
ventral im Stand. Man erkennt, dass in der überwiegenden Zahl der Fälle der Druck
in tuberunterstützenden Schäften größer ist als in den tuberumgreifenden Schäften.
Häufig – insbesondere bei den tuberunterstützenden Schäften – steigt der Druck
ventral über 2 N/cm2. Dieser Wert ist in Bezug zu setzen mit dem mittleren Druck im
Scarpa Dreieck von 90mm Hg(1,2 N/cm2 . Die Durchblutung wird also gestört.
ohne Liner
mit Liner
tuberumgreifend
8
tuberumgreifend
8
tuberunterstützend
Druck [N/cm²]
Druck [N/cm²]
tuberunterstützend
6
4
2
6
4
2
0
0
0
0
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Schrittzyklus [%]
Schrittzyklus [%]
tuberumgreifend
8
tuberumgreifend
tuberunterstützend
12
tuberunterstützend
10
Druck [N/cm²]
6
4
2
8
6
4
2
0
0
10 20 30
40 50 60
0
70 80 90 100
0
Schrittzyklus [%]
8
tuberumgreifend
Druck [N/cm²]
Druck [N/cm²]
tuberunterstützend
6
4
2
0
0
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Schrittzyklus [%]
20
40
60
Schrittzyklus [%]
80
100
tuberumgreifend
tuberunterstützend
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
0
10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Schrittzyklus [%]
Abb. 66 Druckmessungen ventral im Gehen für tuberumgreifende und
tuberunterstützende Schäfte
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
78
Bei der Druckmessung im Gehen zeigt sich ein ähnliches Bild (Abb. 66). Der Druck
bei Verwendung von tuberumgreifenden Schäften ist bei fast allen Patienten im
Scarpa-Dreieck deutlich niedriger als bei den tuberunterstützenden Schäften.
Allerdings kommt es hier im Verlauf einer Gangphase kurzzeitig zu einer völligen
Entlastung, so dass die Zirkulation nicht dauernd unterbrochen ist. Der SchmerzSchwellwert von 4 N/cm2 [Ploetz 1956] wird mit tuberumgreifenden Schäften seltener
überschritten als mit tuberunterstützenden Schäften. Bei dem Patienten, bei dem der
Schaft nicht passgerecht war zeigt sich insbesondere im Gehen ein erhöhter Druck
bei diesem Schaftsystem.
3.2.2.4 Beckenschiefstand und - neigung
Auswirkungen auf das Achsenskelett wurden mit der Rasterstereografie untersucht.
Tab. 17 zeigt die Differenz des Beckenschiefstandes sowie der Beckenneigung beim
Vergleich beider Schaftsysteme. Das prothetisch versorgte Bein ist im Allgemeinen
kürzer als das erhaltene Bein und verursacht dadurch einen Beckenschiefstand. Eine
verstärkte Lordosierung geht im Allgemeinen mit einer erhöhten Beckenneigung einher. Das Vorzeichen der Werte in Tab. 17 ist so gewählt, dass ein positiver Wert eine
Erhöhung des Beckenschiefstandes bzw. eine Erhöhung der Beckenneigung bei
Verwendung des tuberunterstützenden Schaftes gegenüber dem tuberumgreifenden
Schaft bedeutet. Ein negativer Wert bedeutet entsprechend eine Verringerung des
Winkels durch den tuberunterstützenden Schaft. Man erkennt deutlich, dass sich
sowohl mit als auch ohne Liner der Beckenschiefstand signifikant bei Verwendung
des tuberunterstützenden Schaftes erhöht. Die Erhöhung liegt in etwa in dem
Bereich, in dem der Prothesenhub der unterstützenden Schäfte größer ist als der der
tuberumgreifenden Schäfte.
Tab. 17 gemessene Differenz des Beckenschiefstandes und der
Beckenneigung beim Vergleich tuberumgreifender und
tuberunterstützender Schaft
Beckenschiefstand Beckenneigung in °
Patient
in mm
D.M.
0,8
- 1,7
Differenz mit
D.K.
1,9
3,7 *
Liner
J.V.
4,9
5,9
Mittelwert
Differenz ohne
Liner
A.E.
K.Z.
P.S.
Mittelwert
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
2,5
1,9
5,4
5,6
4,3
1,7
1,8
2,0
5,4
3,0
79
Beim Vergleich der Beckenneigung ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild. Alle
Patienten, die ohne Liner versorgt sind, zeigen eine größere Beckenneigung bei
Verwendung des tuberunterstützenden Schaftes. Mit Liner erkennt man bei 2
Patienten eine Erhöhung der Beckenneigung bei Verwendung des tuberunterstützenden Schaftes. Einer dieser Patienten (gekennzeichnet mit *) war noch
unzufrieden mit dem tuberumgreifenden Schaft, auch war hier der Beugekontraktur
nicht
so
stark
gefolgt
worden,
wie
beim
unterstützenden
Schaft.
Der
tuberumgreifende Schaft dieses Patienten ist – wie erwähnt – derzeit in der
Nachbearbeitung.
Insgesamt zeigt auch die Rasterstereografie die Vorteile des tuberumgreifenden
Schaftes gegenüber dem tuberunterstützenden Schaft.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
80
4
Diskussion
Die nachfolgende Diskussion der Ergebnisse ist entsprechend den Hypothesen in
Kap. 1.9 aufgebaut.
4.1 Hypothese 1
Der tuberunterstützende Schaft ist bei Kriegsversehrten und Langzeitamputierten die
Regelversorgung
Die Ergebnisse sowohl der Versorgungsstatistik wie auch der Fragebogenaktion
belegen diese Hypothese. Obwohl sowohl die Versorgungsstatistik wie auch die
Fragebogenaktion nicht bundesweit durchgeführt wurden und somit nicht repräsentativ sind, so kann man dennoch eine Tendenz erkennen, die diese Hypothese stützt.
13 der 21 Kriegsversehrten der Versorgungsstatistik (62%)
sind mit tuberunter-
stützenden Schäften versorgt. Bei den Langzeitamputierten insgesamt sind es immer
noch 56%. 28% aller Langzeitamputierten und nur 19% der Kriegsversehrten (4 von
21) sind mit tuberumgreifenden Schäften versorgt. Die übrigen tragen sonstige
Schaftformen.
Die
Fragebogen-Studie
mit
Schwerpunkt
auf
Kriegsversehrten
erfasst
31
Kriegsversehrte unter insgesamt 60 Rückläufern. Jeweils 12 auswertbare Rückläufer
geben tuberunterstützende bzw. tuberumgreifende Schäfte an.
Die Tendenz ist in beiden Studien gleich: ein großer Anteil der Kriegsversehrten wird
tuberunterstützend versorgt. Die Diskrepanz im Detail ist durch den unterschiedlichen
Modus der Erhebung zu erklären. Anders als bei der Versorgungstatistik, bei der die
Daten durch einen Orthopädietechniker bzw. Arzt in der Krankenakte festgehalten
wurden, beruhen bei der Befragung die Ergebnisse auf einer Selbsteinschätzung.
Das Schaftsystem
- falls nicht bekannt – wurde durch den Vergleich mit einer
Abbildung im Fragebogen ermittelt, was insgesamt erheblich fehleranfälliger ist.
Der
Grund
dafür,
dass
viele
Langzeitamputierte
und
Kriegsversehrte
mit
tuberunterstützenden Schäften versorgt sind, liegt in der historischen Entwicklung der
Schaftsysteme.
Wie
in
der
Einleitung
(Kap.
1.4)
erläutert,
war
in
den
Nachkriegsjahren der tuberunterstützende Schaft der „Standard“. Auch wenn
Probleme mit dieser Schaftform schon länger bekannt waren, wurde der
tuberumgreifende Schaft erst in den 80er Jahren von der Mehrheit der
Versorgungsbetriebe wahrgenommen. Zu diesem Zeitpunkt waren die KriegsKlinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
81
versehrten aber schon 40 Jahre oder länger versorgt - in der Regel mit tuberunterstützenden Schäften - und 2/3 von ihnen sind damit zufrieden - siehe Abb. 45. Für
sie gab und gibt es somit zunächst keinen Grund, das Schaftsystem zu wechseln.
4.2 Hypothese 2
Der tuberumgreifende Schaft ist die Versorgung der Wahl bei Neuversorgungen.
Diese Hypothese wird durch die Versorgungsstatistik bestätigt. Bei einem Großteil
der dort erfassten Patienten handelt es sich um Neuversorgungen: 85% der
Patienten sind seit weniger als 50 Jahren amputiert, 68% sogar seit weniger als 25
Jahren (Abb. 11).
Abb. 15 zeigt, dass von den 22 Amputierten unter 30 Jahren keiner tuberunterstützend
versorgt
ist.
Über
70%
aller
190
erfassten
Versorgungen
sind
tuberumgreifend, so dass dieses Schaftsystem in der Tat als die Regelversorgung
angesehen werden kann. Da nach dem Krieg die tuberunterstützende Versorgung
die Regelversorgung war, ist bei Patienten mit lange zurückliegender Amputation
diese Versorgung vermehrt anzutreffen. Dieser Schluss gilt aber nicht automatisch
für alle älteren Patienten. Von den 87 Patienten der Versorgungsstatistik, die über 60
Jahre alt sind, sind nur 15 tuberunterstützend versorgt, 13 davon sind tatsächlich
Kriegsversehrte. Bei den übrigen geriatrischen Patienten ist die Amputation erst
erheblich später erfolgt. 64 dieser Patienten sind mit tuberumgreifenden Schäften
versorgt.
Es muss betont werden, dass es sich bei diesen Zahlen größtenteils (ca. 75%) um
die Versorgungsstatistik der Klinik für Technische Orthopädie handelt, die neue
Entwicklungen in der Amputationsversorgung immer vorangetrieben hat, aber nicht
repräsentativ für die allgemeine Versorgungssituation ist. Eine - nicht veröffentlichte Umfrage der Bundesfachschule für Orthopädietechnik bei Sanitätshäusern besagt,
dass in der Allgemeinversorgung dieser hohe Anteil tuberumgreifender Versorgungen noch nicht erreicht wird.
Einen
Hinweis,
der
die
obige
Hypothese
weiterhin
bestätigt,
liefert
die
Patientenbefragung. Diese Patientenklientel setzte sich zusammen aus Patienten der
verschiedenen
orhopädischen
Versorgungsstellen,
sowie
Patienten
vorange-
gangener Prüfaufträge. Letztere waren nicht nur Patienten der Klinik für Technische
Orthopädie, sondern waren mit Hilfe der Zeitschrift „Handicap“ bundesweit für eine CLeg Testung in die Klinische Prüfstelle gekommen. Man erkennt an den Ergebnissen,
82
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
dass auch in diesem Fall jüngere Patienten selten mit tuberunterstützenden Schäften
versorgt sind. Fast 70% der unter 60-jährigen besitzen einen tuberumgreifenden
Schaft. Ebenfalls deutlich ist das Ergebnis bezüglich der Amputationsdauer. Zwei
Drittel aller Patienten mit einer Amputationsdauer von unter 50 Jahren sind
tuberumgreifend versorgt. Nur 2 dieser Patienten sind mit tuberunterstützenden
Schäften versorgt, die übrigen mit sonstigen Schaftsystemen. Es erstaunt, dass
diese beiden Patienten erst seit 3 bzw. 5 Jahren amputiert sind. Das könnte
allerdings auch ein Hinweis auf die abweichende bundesweite Allgemeinversorgung
sein.
Somit ist festzuhalten, dass Neuversorgungen zwar häufig tuberumgreifend versorgt
werden und dies auch in Zentren wie der Klinik für Technische Orthopädie die Regelversorgung darstellt, aber viele Sanitätshäuser auch noch für Neuversorgungen
tuberunterstützende Schäfte herstellen.
4.3 Hypothese 3
Klinisch und biomechanisch überwiegen die Vorteile des tuberumgreifenden
Schaftes.
Hierzu wurden neben der Literaturrecherche umfangreiche klinische und biomechanische Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse sind in Kap. 3 ausführlich
erläutert.
4.3.1 Klinisch
Die Ergebnisse der inter-individuellen Studie zeigen dass die Mehrzahl der
Patienten mit tuberumgreifenden Schäften versorgt ist und die Patienten mit diesem
Schaftsystem überwiegend zufrieden sind (z.B. Abb. 44). Auch Kriegsversehrte, die
einen tuberumgreifenden Schaft besitzen, sind überwiegend zufrieden mit ihrem
Schaftsystem. Dagegen wird deutlich, dass im Fall der tuberunterstützend versorgten
Patienten, die Anzahl unzufriedener Patienten größer ist. Insbesondere bei den
Kriegsversehrten sind ein Drittel der befragten Personen unzufrieden mit ihrem
Schaftsystem (Abb. 45). Dies ist ein erster klinischer Hinweis auf die Vorteile des
tuberumgreifenden Schaftes. Im Detail fällt auf, dass viele Kriegsversehrte Probleme
mit der Tuberumgreifung im Sitzen anführen. Dies liegt voraussichtlich in den
meisten Fällen jedoch nicht an der Umgreifung, sondern an der Ausführung des
Schaftes. Es ist anzunehmen, dass in solchen Fällen die hintere Ausschneidung
nicht tief genug ausgefallen ist, so dass die Patienten nicht auf ihrem Sitzbein,
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
83
sondern auf dem Prothesenrand sitzen. Im Stehen zeigen sich die Vorteile des
tuberumgreifenden Schaftes. Kein Patient, kriegsversehrt oder nicht, ist unzufrieden
mit seinem tuberumgreifenden Schaftsystem. Allerdings gibt es bei den Patienten mit
tuberunterstützendem Schaftsystem 2 Kriegsversehrte, die beim Stehen und Gehen
unzufrieden sind. Viele tuberumgreifend versorgte Patienten sind mit ihrem
Schaftsystem zufrieden, insbesondere die Kriegsversehrten.
Auf die Frage, ob sie sich für gut versorgt halten, antwortet nur ein einziger von 15
Patienten mit einem tuberumgreifenden Schaft mit „Nein“. Bei den Befragten mit
tuberunterstützenden Schäften ist es ein Drittel (Tab. 9).
Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass im Alltag der tuberumgreifende Schaft
Vorteile bietet. Einschränkend muss man an dieser Stelle hinzufügen, dass ebenfalls
ein Drittel der tuberunterstützend versorgten Befragten angab, dass ihre Prothese
nicht passgerecht ist (Tab. 10). Inwieweit dies ihre Antwort bezüglich des
Tragekomforts beeinflusst hat, kann aufgrund der Anonymität der Fragebögen nicht
nachvollzogen werden.
Klinisch wurde des Weiteren nach Handhabbarkeit der Prothesen gefragt. Der
Großteil aller tuberumgreifend versorgten Probanden war zufrieden mit der
Handhabbarkeit ihrer Prothese. Bei den tuberunterstützend versorgten Probanden
gab wiederum ein Drittel der Befragten an, dass sie mit der Handhabbarkeit
unzufrieden sind.
Somit konnte innerhalb der inter-individuellen Studie die Hypothese in Bezug auf die
klinischen Vorteile bestätigt werden.
Auch innerhalb der intra-individuellen Studie bestätigt sich die Hypothese. Auch
diese Probanden wurden nach ihrer Zufriedenheit befragt und welchem Schaftsystem
sie den Vorzug geben würden. Mit Bezug auf das Sitzen sprach sich kein Proband
allein für den tuberunterstützenden Schaft aus, aber auch beim Stehen wurden beide
Schäfte häufig gleich bewertet. Somit kann man festhalten, dass klinisch betrachtet in
der Statik die wenigsten Unterschiede zwischen den Schaftsystemen bestehen. In
der Dynamik sieht es dagegen anders aus. Die Mehrheit der Patienten entschied sich
bei der Frage nach der Zufriedenheit für den tuberumgreifenden Schaft und nur ein
Patient, dessen tuberumgreifender Schaft noch verbesserungsbedürftig war, gab an,
dass er zum getesteten Zeitpunkt den tuberunterstützenden Schaft bevorzugen
würde.
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
84
Auch auf die Frage nach der Handhabbarkeit gab fast die Hälfte der Probanden an,
dass sie in diesem Punkt den tuberumgreifenden Schaft bevorzugen. Um diese
Aussage zu quantifizieren, war die Zeit, die für das An- und Ausziehen benötigt wird,
als Maß vorgesehen. Es zeigte sich aber (Tab. 7), dass die Zeiten nicht
aussagekräftig sind. Offensichtlich sind den Patienten die Umstände, unter denen sie
die Prothese an- und ausziehen können wichtiger, beispielsweise, ob sie dabei sitzen
können oder nicht. Somit musste auf die subjektive Einschätzung der Probanden
zurückgegriffen werden, die häufig den tuberumgreifenden Schaft bevorzugten.
Ein weiterer klinischer Test, der sich direkt an die Handhabbarkeit anschließt, ist die
Messung der Variabilität der Fußlängsrichtung beim wiederholten An- und
Ausziehen. Eine gute Reproduzierbarkeit ist ein Hinweis auf eine gute Passform und
eine geringe Stumpfpseudarthrose. Es konnte gezeigt werden, dass die Variabilität
bei den tuberumgreifenden Schäften signifikant geringer war als bei den tuberunterstützenden Schäften. Somit ist auch die Reproduzierbarkeit der Fußstellung beim
Anziehen der Prothese bei tuberumgreifenden Schäften in höherem Maße gegeben.
Demnach ergibt sich nicht nur ein Kriterium für eine verbesserte Handhabbarkeit,
sondern auch für eine erhöhte Sicherheit und ein harmonischeres Gangbild..
Insgesamt kann somit die Hypothese bestätigt werden, dass klinisch die Vorteile
einer tuberumgreifenden Prothese überwiegen.
4.3.2 Biomechanisch
Biomechanisch wurde in der inter-individuellen Studie nur der Prothesenhub
untersucht. Es zeigte sich, dass tuberumgreifende Schäfte einen geringeren Hub und
damit eine geringere Stumpfpseudarthrose aufweisen als tuberunterstützende
Schäfte (Tab. 12). Dies wurde in der intra-individuellen Studie (Tab. 15) bestätigt.
Allerdings fallen in der intra-individuellen Studie die Werte insgesamt geringer aus,
der Unterschied bleibt aber signifikant. In der intrer-individuellen Studie wiesen im
Mittel die tuberunterstützenden Schäfte einen um etwa 7mm größeren Hub auf als
die tuberumgreifenden. In der intra-individuellen Studie ist dieser Unterschied auf
2,3mm (bei der Verwendung von Linern) bis 3,4mm (ohne Liner) geschrumpft. Der
Messfehler liegt aufgrund der Genauigkeit der Kameras bei etwa 0,8mm. Es ist zu
vermuten, dass dieser Unterschied in einem Qualitätsunterschied der Schäfte
begründet ist. Im Gegensatz zu den in der inter-individuellen Studie vermessenen
Schäften sind die Schäfte für die intra-individuelle Untersuchung in der Klinischen
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
85
Prüfstelle speziell angefertigt und angepasst. Es wird zu untersuchen sein, ob die
Messung des Prothesenhubs damit als ein objektives Maß zur Qualitätskontrolle von
Schäften eingesetzt werden kann.
Ein erfahrener Orthopädietechniker stellt die Länge einer Prothese immer so ein,
dass ein möglichst geringer Beckenschiefstand erreicht wird, gleichzeitig aber der
Patient die Prothese ohne hängen zu bleiben durchschwingen kann.
Es lässt sich argumentieren, dass der Prothesenhub, der ja die Prothese in der
Schwungphase effektiv verlängert, durch eine Verkürzung der Prothese kompensiert
werden muss. In diesem Fall ist zu erwarten, dass der Patient im Stand einen
Beckenschiefstand zeigt, wobei die prothetisch versorgten Seite verkürzt ist. Diese
Überlegung wird durch die Rasterstereographie bestätigt. (Tab. 17). Der Vergleich
des Beckenschiefstandes tuberunterstützender zu tuberumgreifender Versorgung
zeigt für den tuberumgreifenden Schaft eine Verbesserung von 2,5 mm mit Liner und
von 4,3mm ohne Liner in qualitativer Übereinstimmung mit den Werten der Tab. 15.
Auch die in der Literatur beschriebene Beckenvorkippung mit dem tuberunterstützenden Schaft konnte mit Hilfe der Rasterstereografie nachgewiesen werden.
Insbesondere bei der Versorgung ohne Liner ergab sich eine signifikant größere
Beckenneigung im Mittel von 3°.
Um die postulierten Vorteile des tuberumgreifenden Schaftes in der Dynamik
beweisen zu können, wurde eine vollständige Ganganalyse der Probanden
durchgeführt. Die Ergebnisse (Abb. 63 und Abb. 64) zeigen, dass die Patienten mit
dem tuberumgreifenden Schaft ein harmonischeres Gangbild haben. Aufgrund der
reduzierten Standardabweichung der kinetischen und kinematischen Daten kann
ebenfalls auf eine erhöhte Sicherheit beim Gehen mit einem tuberumgreifenden
Schaft geschlossen werden. Die in der GaiteRite-Messung gefundene Reduzierung
der Asymmetrie in der Standphase bei den Probanden mit tuberumgreifenden
Schäften ist ein Beweis für eine höhere Entlastung der kontralateralen Seite.
Ebenfalls nachgewiesen wurde die erhöhte Druckbelastung im Scarpa-Dreieck
sowohl im Stehen als auch im Gehen. Im Stehen liegt der Druck bei allen
tuberunterstützenden Schäften oberhalb des Blutdrucks von 1,2 N/cm2. Im Gehen
zeigen ebenfalls alle tuberunterstützenden Schäfte Druckspitzen in der Standphase,
die im Schmerzbereich oberhalb von 4 N/cm2 [Ploetz 1956] liegen. Allerdings könnte
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Klassifikation von Schaftsystemen
86
dieser Schwellwert zu tief angesetzt sein, Müller-Schwefe und Überall [2007] geben
einen Wert von ca. 28 N/cm² an.
Damit bestätigen neben den klinischen Untersuchungen auch die biomechanischen
Messungen die Vorteile des tuberumgreifenden Schaftes.
4.4 Hypothese 4
Patienten, denen die Möglichkeit gegeben wird, beide Systeme gegeneinander zu
testen, werden in der Regel dem tuberumgreifenden Schaft den Vorzug geben.
Bei der Fragebogenaktion wurde auch nach Vorversorgungen und Änderungen des
Schaftsystems gefragt. Allerdings gaben nur insgesamt 5 tuberumgreifend versorgte
Patienten
eindeutige
Auskunft
über
eine
Vorversorgung
mit
einem
tuberunterstützenden Schaft. Aus den meisten Antworten ging zwar hervor, dass im
Laufe der Zeit Änderungen am Schaftsystem durchgeführt worden sind, allerdings
betrafen die Angaben hauptsächlich das Material. Die 5 Patienten, die über einen
Wechsel berichteten, gaben alle an, dass sie mit dem Wechsel auf die
tuberumgreifende Form zufrieden waren.
Innerhalb der intra-individuellen Studie sprechen sich 5 der 6 Patienten eindeutig für
den tuberumgreifenden Schaft aus. Der Patient P.S., bei dem alle 4 möglichen
Versorgungen geprüft wurden - ein sportlicher junger Mann der AK 4 - bevorzugte
den tuberumgreifenden Schaft ohne Liner. Mit Liner-System bewertete er beide
Schaftsysteme gleich. Der Patient D.K. sprach sich für den tuberunterstützenden
Schaft aus. Allerdings war das möglicherweise kein endgültiges Urteil, da er den
tuberumgreifenden Schaft noch nicht als passgerecht empfand. Veränderungen am
Schaft sind derzeit in Arbeit und der Patient wird anschließend noch einmal mit
einem optimierten Schaft klinisch und biomechanisch vermessen.
Die Hypothese kann damit als bestätigt angesehen werden. Die objektiven
biomechanischen und klinischen Befunde gehen in die gleiche Richtung und auch
die wenigen Antworten der Fragebogenstatistik haben die gleiche Tendenz.
Selbstverständlich ist in jedem Fall ein passgerechter Schaft die Voraussetzung. Ein
gut angepasster tuberunterstützender Schaft wird wie bei Patient D.K. gesehen
einem schlecht angepassten tuberumgreifenden Schaft vorgezogen.
Dennoch, selbst ein nicht optimaler tuberumgreifender Schaft kann objektiv von
Vorteil sein: Während der Anpassungsphase zeigten in zwei Fällen die DruckKlinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
87
messungen eine unzureichende Anpassung des tuberumgreifenden Schaftes - was
von den Patienten auch so bestätigt wurde. Trotzdem zeigten die Ergebnisse der
Ganganalyse, des Prothesenhubs, der Variabilität der Längsrichtung und teilweise
auch der Rasterstereografie Verbesserungen mit diesem Schaft.
4.5 Hypothese 5
Patienten
mit
tuberunterstützenden
Schäften,
insbesondere
Geriatriker
und
Kriegsversehrte, können von einem tuberumgreifenden Schaft profitieren, wenn sie
das System akzeptieren.
Dies Hypothese ist eng mit den beiden vorangegangene Hypothesen verknüpft. Es
konnte gezeigt werden, dass die klinischen und biomechanischen Vorteile beim
tuberumgreifenden Schaft überwiegen. Des weiteren konnte gezeigt werden, dass
die Zufriedenheit von Kriegsversehrten, die mit tuberumgreifenden Schäften versorgt
sind, groß ist.
Innerhalb der intra-individuellen Studie gab es zum einen den Patienten A.Z., der
zunächst mit einem tuberunterstützenden Schaft versorgt war, am Ende der Studie
den tuberumgreifenden Schaft in allen Punkten vorgezogen hat. Zum anderen gab
es den Patienten D.K. der zwar vom tuberumgreifenden Schaft profitierte, ihn jedoch
nicht akzeptiert hat. Dies lag bei ihm voraussichtlich an einem nicht optimalen Schaft.
Es ist vorstellbar, dass – insbesondere bei Langzeitamputierten -
der
Gewöhnungseffekt so groß ist, dass ungewohnte Neuerungen per se abgelehnt
werden. Auch kann das langjährige Tragen von tuberunterstützenden Schäften – wie
in der Einleitung dargestellt – den Stumpf eines Patienten so verändern, dass eine
Umstellung auf einen tuberumgreifenden Schaft große Anforderungen an die
Fähigkeiten des Orthopädietechnikers und an die Geduld des Amputierten stellt.
Somit kann auch diese Hypothese bestätigt werden.
4.6 Hypothese 6
Patienten mit kurzen und/oder problematischen Stümpfen können in besonderem
Maß von einem tuberumgreifenden Schaft profitieren
Innerhalb der Versorgungsstatistik konnte gezeigt werden, dass zum einen Patienten
mit kurzen Stümpfen prozentual häufiger mit tuberunterstützenden Schäften versorgt
sind, als Patienten mit mittellangen und langen Stümpfen. Die Stumpfqualität hatte
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
88
innerhalb der Versorgungsstatistik keinen Einfluss darauf mit welchem Schaftsystem
ein Patient versorgt war. Ein Zusammenhang konnte nur in Bezug auf Alter und
Amputationsdauer nachgewiesen werden.
Innerhalb der Fragebogen-Statistik sind die Personen nicht nur nach ihren
Stumpfverhältnissen sondern auch zur Zufriedenheit mit ihrer Versorgung befragt
worden. Zwar sind die erhaltenen Antworten subjektiv, sie geben jedoch gute
Anhaltspunkte für die Bestätigung dieser Hypothese.
Es zeigte sich (Abb. 52), dass Patienten mit kurzen Stümpfen und tuberunterstützenden Schäften häufiger unzufrieden mit ihrer Versorgung sind als mit einer
tuberumgreifenden Versorgung. Auch der Patient D.M., der einen kurzen Stumpf
besitzt, sprach sich in allen Punkten für den tuberumgreifenden Schaft aus. Dies
wurde klinisch und biomechanisch bestätigt.
In Bezug auf die Stumpfqualität konnte innerhalb der Fragebogen-Statistik kein
Zusammenhang mit der Wahl des Schaftsystems gezeigt werden. Innerhalb der
intra-individuellen Studie hatten alle Patienten in gewissen Bereichen Stumpfprobleme (s. Kap. 2.2.1). Bis auf Patient D.K., der aus den erwähnten Gründen zum
derzeitigen Zeitpunkt den tuberunterstützenden Schaft, trotz teilweiser klinisch und
biomechanisch erwiesener Vorteile ablehnt, favorisieren alle übrigen den tuberumgreifenden Schaft. Bei diesen Patienten konnten sowohl klinisch als auch
biomechanisch deutliche Vorteile nachgewiesen werden.
Die Ergebnisse sowohl der inter-individuellen Studie wie auch der intra-individuellen
Studie sind somit ein Hinweis auf die Richtigkeit dieser Hypothese.
4.7 Hypothese 7
Liner bieten klinische Vorteile und erleichtern die Handhabbarkeit einer Prothese
Liner-Systeme sind aber nicht für alle Patienten geeignet. Aus den Erfahrungen der
Technischen Orthopädie und Studien in der Literatur (s. Kap 1.6) können u.a.
folgende Kontraindikationen festgehalten werden:
•
Mangelnde Hygiene (erhöhter Pflegeaufwand des Liners)
•
Unverträglichkeit
(Eigenschweiß-Reaktionen,
Hautirritationen
und
Exzembildung möglich
•
Unvermeidbare Lufteinschlüsse (z.B. durch tief eingezogene Narben)
•
Keine Vollkontaktfähigkeit
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Klassifikation von Schaftsystemen
89
•
ultrakurzer Stumpf
Biomechanisch können die Vorteile der Linersysteme bisher nur teilweise gezeigt
werden. Zwar kann die Verwendung eines Liners den Prothesenhub innerhalb der
inter-individuellen Studie reduzieren (Abb. 57), bei den maßangefertigten Schäften
der intra-individuellen Studie haben die Liner bei den tuberumgreifenden Schäften
keinen Einfluss mehr auf den Prothesenhub. Auch in Bezug auf die Variabilität der
Fußlängsrichtung zeigt sich mit einem Liner bei den tuberumgreifenden Schäften
keinerlei Einfluss mehr.
Somit sind die wichtigsten Aussagen zu Liner-Systemen klinischer Art.
Liner bieten folgende klinische Vorteile:
•
Verbesserung von Hautproblemen
•
Verbesserung von Narben-Keloiden
•
Verbesserung der Haftung
•
Stabilisierung des Stumpfvolumens
•
Verbesserung der Handhabbarkeit
Innerhalb der Versorgungsstatistik wird gezeigt, dass insbesondere ältere Patienten
mit Liner versorgt sind. Innerhalb der Aktivitätsklasse 2 werden besonders häufig
Liner eingesetzt. Besonders für diese Patienten ist es wichtig, dass sie ihre Prothese
im Sitzen anziehen können. Die ermittelten Zeiten für das Anziehen einer Prothese
liegen im Schnitt bei etwa 2 Minuten. Kein Patient der Aktivitätsklasse 1 ist in der
Lage für diese Zeitspanne das Stehgleichgewicht nur auf dem erhaltenen Bein zu
halten. Liner-Systeme sind nach der Versorgungsstatistik häufig bei pAVK Patienten
aber sehr selten bei Langzeitamputierten eingesetzt. Der Grund für den seltenen
Einsatz von Linern bei Kriegsversehrten, bzw. Langzeitamputierten insgesamt, liegt
vermutlich wieder daran, dass zum Zeitpunkt der Amputation eine Versorgung ohne
Liner die Regel war. Außerdem spielt auch die Gewöhnung eine entscheidende
Rolle. Ein Patient, der in der Regel mit seiner Versorgung zufrieden ist, wird sein
Schaftsystem wie gezeigt nicht ohne weiteres ändern.
Auch die Fragebogenstatistik bestätigt diese Ergebnisse. Nur in Ausnahmefällen sind
Kriegsversehrte mit Linern versorgt, auch wenn diese Ihnen bezüglich Tragekomfort
und Handhabbarkeit Vorteile bringen könnten.
Somit bestätigen die biomechanischen und insbesondere die klinischen Ergebnisse
die Hypothese.
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90
5 Zusammenfassung
Zusammenfassend lassen sich folgende Aussagen festhalten
•
Der tuberumgreifende Schaft ist dem tuberunterstützenden in jeglicher
Hinsicht klinisch und biomechanisch überlegen
•
Langjährig Amputierte können profitieren. Voraussetzung hierbei ist eine
große Erfahrung des Orthopädietechnikers und die Mitarbeit des Patienten.
•
Alle Patienten können profitieren, insbesondere Patienten mit kurzen und
problematischen Stümpfen
•
Liner-Systeme erhöhen die Handhabbarkeit der Prothesen insbesondere für
ältere Patienten und Patienten niedriger Aktivitätsklassen
Die Empfehlung der Klinischen Prüfstelle für die Schaftversorgung von Oberschenkelamputierten lautet daher
•
bei Neuversorgungen sollte in jedem Fall ein tuberumgreifender Schaft
angestrebt werden. Ausnahmen von dieser Regel können gemacht werden,
wenn:
o keine anatomische Tuberumgreifung möglich ist (z. B bei fehlendem
oder zu kleinem Tuber, oder bei einem zu großen Tuberwinkel, wie er
beim weiblichen Becken vorkommen kann).
•
Bei Folgeversorgungen von Patienten mit tuberunterstützenden Schäften
sollte ebenfalls ein tuberumgreifender Schaft angestrebt werden. Insbesondere wenn der Patient mit seinem tuberunterstützenden Schaft unzufrieden ist
oder er damit Schwierigkeiten hat ist ein Systemwechsel erfolgversprechend.
Ausnahmen ergeben sich, wenn
o keine anatomische Tuberumgreifung möglich ist (s.o.).
o der Patient das Gesamtsystem nicht akzeptiert.
Für Liner-Systeme (Erstversorgung und Umstellung) können folgende Empfehlungen
für eine Versorgung gegeben werden:
• bei geriatrischen Patienten (auch Langzeitamputierte)
• bei Patienten mit Hautproblemen
• bei Patienten mit Volumenschwankungen
• bei Patienten niedriger Aktivitätsklassen
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Klassifikation von Schaftsystemen
91
Ausblick
Für die Zukunft scheint es unerlässlich, die
Qualität der handwerklichen
Schaftherstellung in Zusammenarbeit zwischen den Leistungserbringern, den
Kostenträgern und der Klinischen Prüfstelle zu sichern und sie gleichzeitig verstärkt
im Gesamtkonzept der medizinischen Rehabilitation Amputierter oder Menschen mit
Dysmelie zu betrachten. Dazu gehört, dass die Belange des Patienten ausreichend
berücksichtigt werden müssen [Franzen, 1992], um so den Misserfolg der
Versorgung und Ressourcenverschwendung zu vermeiden. Unterstützt werden muss
diese Herangehensweise durch den Einsatz etablierter Qualitätssicherungsverfahren [Jäckel, 2004] verbunden mit einem intensivierten Datenaustausch
zwischen den beteiligten Gruppen.
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Klassifikation von Schaftsystemen
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7 Anhang
7. 1 Fragebogen zur Untersuchung der Versorgungssituation
Angaben zur Person
Geschlecht
männlich
Geburtsjahr
______
Größe
______ cm
Gewicht
______ kg
Aktivitätsklasse
AK 1 „Haushaltsgeher"
AK 2 eingeschränkter Außenbereichsgeher
AK 3 uneingeschränkter Außenbereichsgeher
AK 4 wie 3 mit besonders großen Ansprüchen
Was machen Sie beruflich?
__________________________________________
weiblich
Vollzeit
Teilzeit
Rente
Sonstiges
arbeitssuchend
Wohnsituation
allein
Familie
Benutzen Sie öffentliche
regelmäßig
ungern
Heim
gar nicht
Verkehrsmittel?
Fahren Sie selber Auto?
ja
nein
Fahren Sie selber Fahrrad
ja
nein
Treiben Sie Sport
ja
nein
- Falls ja
mit Prothese
ohne Prothese
Angaben zur Amputation
Amputationsjahr
___________
Amputationsseite
rechts
Amputationsursache
Kriegsversehrt
Tumor
Durchblutungsstörung
links
beidseitig
Unfall
Entzündung
Diabetes
Sonstiges __________________________________
Alter bei Erstversorgung:
_______ Jahre
Nachamputation/Stumpfrevison
Nein
- Falls ja
Ja
wann (Jahr) ______
warum: ____________________________________
Stumpflänge (Amputationshöhe im
lang (unteres Drittel)
Drittel)
Vergleich zur Gegenseite) kurz (oberes Drittel)
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mittel (mittleres
ultrakurz
98
Haben sie einen
problematischen Stumpf?
nein
Narben
Schmerzen
Weichteilüberhang
wenig Weichteildeckung
Neuromknoten
Knochenspitzen
Hauttransplantat
Volumenschwankungen im Tagesverlauf
Sonstiges_______________________________
Begleiterkrankungen
Haben Sie Probleme mit dem
ja
erhaltenen Bein? Wenn ja, welche?
__________________________________________
nein
(z.B. Arthrose, weitere Amputationen __________________________________________
am Fuß oder Unterschenkel)
__________________________________________
Gibt es weitere Probleme?
Arthrosen (Verschleiß)
Diabetes
Gleichgewichtsstörungen
Schwindel
Durchblutungsstörungen
Rückenschmerzen
Sehstörungen
Amputation obere Extremität
Sonstiges
______________________
Haben Sie Probleme mit dem
ja
erhaltenen Bein? Wenn ja, welche?
__________________________________________
nein
__________________________________________
__________________________________________
Benötigen Sie eine Gehilfe
a) einseitig
ja
nein
manchmal
b) beidseitig
ja
nein
manchmal
Angaben zur Prothese (falls bekannt)
Kniepassteil
Hersteller: __________________________________
Typ: _______________________________________
Fußpassteil
Hersteller: __________________________________
Typ: _______________________________________
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
99
Aus welchem Material besteht Ihr Schaft? Holz
Kunststoff
Kunststoff mit Innenschaft
Haben Sie einen Liner?
ja
Von welcher Firma ist der Liner?
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Kennen Sie den Namen des Liners?
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Wie wird der Liner im Schaft
befestigt?
Rastenzapfen
Band
weiß nicht
Wie kommen Sie in den Schaft?
Anziehtüte
Strumpf/ Trikotschlauch
Sonstiges:__________________________________
nein
glatter Zapfen
Seal-in
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Bitte kreuzen Sie an, welcher Form Ihr Schaft am ehesten entspricht (s. Zeichnung folgende
Seite: Blick von oben in den Schaft.
Querovaler oder auch sitzbeinunterstützender Schaft (linke Zeichnung)
Längsovaler oder auch sitzbeinumgreifender Schaft (rechte Zeichnung)
Mein Schaft entspricht keiner dieser Zeichnungen
RECHTES BEIN
LINKES BEIN
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
= Sitzbein
100
Bitte kreuzen Sie bei den folgenden Fragen die zutreffende Spalte an. Die Ziffern entsprechen
Schulnoten, also 1 = sehr gut, 2 = gut, etc.
1
2
3
4
5
6
weiß nicht
Wie komfortabel ist Ihre Prothese?
im Sitzen
im Liegen
im Stehen
Beim Laufen
Wie gut passt ihr Schaft?
Halten Sie sich für gut versorgt?
Ist Ihre Prothese einfach
an- und auszuziehen?
Brauchen Sie Hilfe dabei?
ja
Wie viel Zeit brauchen Sie, um
Ihre Prothese anzuziehen?
_______ sec.
Wie viel Zeit brauchen Sie, um
Ihre Prothese auszuziehen?
_______ sec.
Schwitzen Sie viel in der Prothese?
ja
nein
Verrutscht Ihre Prothese?
ja
nein
Zieht die Prothese Luft?
ja
nein
Neigt die Prothese dazu, sich um den
Stumpf zu drehen?
ja
nein
Klinische Prüfstelle für orthopädische Hilfsmittel
Klassifikation von Schaftsystemen
nein
101
Wird Ihr Stumpf kalt in der Prothese?
ja
nein
Verfärbt sich das Stumpfende?
ja
nein
Machen Sie besondere (sportliche)
Aktivitäten mit der Prothese?
ja
nein
Wenn ja, a) welche sind das?
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b) Haben sie spezielle
Hilfsmittel dafür?
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Wenn nein, warum nicht?
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Falls Sie eine Wechsel-/Badeprothese
besitzen: ist es die gleiche Schaftform?
ja
nein
Wann wurde Ihre derzeitige Prothese gebaut? _______________
Wie viele Stunden pro Tag tragen
Sie Ihre Prothese?
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Falls nicht den ganzen Tag, warum?
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Wie viele Stunden am Tag laufen
Sie mit der Prothese?
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Wie lange tragen Sie für gewöhnlich eine Prothese,
bevor Sie eine neue brauchen?
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Haben Sie schon mal andere Versorgungen gehabt?
ja
(z.B. andere Schaftform, anderes Material, andere Gelenke …)
nein
Wenn ja, welche? Was wurde verändert und warum? (Z.B. Umstellung auf Liner, andere
Schaftform, anderes Material, …
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Wie beurteilen Sie Ihre vorherige Versorgung im Vergleich zur jetzigen (z.B. Haftung des
Schaftes)?
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Klassifikation von Schaftsystemen
102
Kommentar
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