Charakterisierung der Figur des Hans Giebenraths aus

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Charakterisierung der Figur des Hans Giebenraths aus
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[email protected] (Dr.Thomas Treu)
Charakterisierung der Figur des Hans Giebenraths aus dem Roman
“Unterm Rad” von Hermann Hesse
Inhalt
1.
Absicht des Autors, Einordnen der ausgewählten literarischen Figur, Begründung
warum ich diese Figur ausgewählt habe
2.
Die Fabel. Charakter der literarischen Figur Hans Giebenrath
2.1.
Die Fabel der Erzählung
2.2.
Hans Giebenraths Charakter - dargestellt anhand typischer Episoden
2.2.1. Hans Charakterzüge vor der Freundschaft mit Hermann Heilner
2.2.2. Beeinflussung des Charakters von Hans durch die Freundschaft zu Hermann Heilner
2.2.3. Die Flucht Hermanns und ihre Wirkung auf Hans
2.2.4. Die Beziehung zwischen Hans und Emma
3.
Die Ursachen für das Scheitern Hans Giebenraths
4.
Resümee
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1. Absicht des Autors, Einordnen der ausgewählten literarischen Figur, Begründung warum
ich diese Figur ausgewählt habe
Hermann Hesse schrieb 1903/1904 die Erzählung "Unterm Rad". Mit dieser Schulgeschichte
erteilt er dem bürgerlichen Erziehungswesen der Jahrhundertwende eine Absage. Hermann
Hesse schildert das Versagen der bürgerlichen Erziehung an der Hauptfigur Hans Giebenrath.
Der sensible, introvertierte Junge kommt mit dem Schulleben nicht klar und findet weder bei
seinem Vater noch bei den Lehrern entsprechende Hilfe, so daß die Geschichte tragisch endet.
Zum Charakterisieren habe ich mir die literarische Figur des Hans Giebenraths ausgewählt, da
mich sein Schicksal bewegt und in mir Mitgefühl hervorgerufen hat. Ich glaube auch, daß ich
durch diese Erzählung einfühlsamer für das Schicksal sensibler Menschen geworden bin.
2. Die Fabel. Charakter der literarischen Figur Hans Giebenrath
2.1. Die Fabel der Erzählung
Hans Giebenrath ist ein junger Schüler, der am Kloster Maulbronn aufgenommen wird,
nachdem er das Landexamen in Stuttgart bestanden hat. Dieses Examen war die
Voraussetzung für ein kostenloses Theologiestudium in Maulbronn. Hans Giebenrath steht
unter einem hohen Leistungsdruck, der durch seine Lehrer und seinen Vater hervorgerufen
wird. Er wehrt sich dagegen nicht und lernt beinahe den ganzen Tag.
In Maulbronn freundet er sich mit Hermann Heilner an. Hermann ist das ganze Gegenteil von
Hans. Er ist leichtsinnig und "schien seine ganze Umgebung zu verachten". Hans entwickelt
durch diese Freundschaft eine ausschweifende Phantasie und kümmert sich kaum noch um die
Schule. Nachdem Hermann von der Schule flieht, bricht für Hans eine Welt zusammen. Er
erleidet einen Nervenzusammenbruch und wird nach Hause in den Schwarzwald geschickt.
Dort hat er nun viel Zeit zum Nachdenken und verfällt in eine melancholische und depressive
Stimmung. Nach einer sehr kurzen Liebesaffäre mit Emma, beginnt Hans eine
Mechanikerlehre. Die Ausbildung befriedigt ihn geistig allerdings nicht. Nach einem
Trinkgelage mit anderen Lehrlingen ertrinkt Hans Giebenrath im Fluß seines
Heimatstädtchens.
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2.2. Hans Giebenraths Charakter - dargestellt anhand typischer Episoden
2.2.1. Hans Charakterzüge vor der Freundschaft mit Hermann Heilner
Hans Giebenraths Vater Joseph gehört dem Kleinbürgertum an. Er ist ein Spießbürger
dem alles gleichgültig ist, auch sein eigener Sohn. Nur wenn es um das Lernen geht, setzt sich
Joseph Giebenrath für seinen Sohn ein. "Auch das Tiefste seiner Seele, das schlummerlose
Mißtrauen gegen jede überlegene Kraft und Persönlichkeit die instinktive aus Neid
erwachsenen Feindseligkeit gegen alles Unalltägliche, Freiere, Geistige teilte er mit
sämtlichen übrigen Hausvätern der Stadt" (Kap.1, S.7/8). Jedoch ist dieses "Unalltägliche,
Freiere, Geistige" sein Sohn und für solche Leute kann und will Herr Giebenrath kein
Verständnis aufbringen. Hans Giebenrath hat keine Mutter mehr, und so fehlt die für ihn
wichtige Bezugsperson, da sein Vater der ihm aufgezwungenen Rolle nicht gerecht wird.
Weiter wichtige Personen für Hans sind seine Lehrer in der Lateinschule und der Pfarrer
seines Heimatortes. Jeder von ihnen will, daß Hans das Stuttgarter Landexamen besteht. Um
daran teilzunehmen bekommt er vom Rektor, vom Mathematiklehrer und vom Stadtpfarrer
viele zusätzliche Unterrichtsstunden. Auch wird ihm alles andere, wie zum Beispiel seine
Kaninchenzucht und das Angeln verboten, da er "keine Zeit mehr für Zerstreuungen" haben
soll. Hans unternimmt dagegen nichts und beugt sich den Forderungen der Lehrer. Er ist in
seinem Charakter noch nicht so ausgeprägt, daß er seine eigenen Wünsche durchzusetzen
vermag. Trotzdem besitzt er auch ausreichenden Ehrgeiz; er möchte das Examen gerne
bestehen. Durch das Wissen, das Hans jetzt besitzt, wird er aber etwas hochmütig, da er
immer schon seine Mitschüler und auch seinen Vater übertrumpfen wollte. Der einzige
Mensch, der sich etwas um seine Seele zu kümmern versucht, ist der Schuhmachermeister
Flaig. Hans jedoch meidet Flaig, da er "in der Blüte des Knabentrotzes" steht und "feine
Fühler für jede unliebsame Berührung seines Selbstbewußtseins" hat.
2.2.2. Beeinflussung des Charakters von Hans durch die Freundschaft zu Hermann Heilner
Im Internat Maulbronn lernt Hans Giebenrath den aufsässigen Hermann Heilner
kennen, die beiden werden Freunde. Für Hans ist die Freundschaft zu Hermann "ein mit Stolz
gehüteter Schatz, bald auch eine große, schwer zu tragende Last". Er bewundert seinen
Freund, der im Gegensatz zu ihm das Leben leicht nimmt. Hermann "lebte wärmer und freier,
litt seltsame Leiden und schien seine ganze Umgebung zu verachten. Er verstand die
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Schönheit der alten Säulen und Mauern. Und er trieb die geheimnisvolle, sonderbare Kunst,
seine Seele in Versen zu spiegeln und sich ein eigenes, scheinlebendiges Leben aus der
Phantasie zu erbauen. Er war beweglich und unbändig und machte täglich mehr Witze als
Hans in einem Jahr. Er war schwermütig und schien seine eigene Traurigkeit wie eine fremde
ungewöhnliche und köstliche Sache zu genießen" (Kap.2, S69/70).
Hermann ist also das krasse Gegenstück zu Hans, der introvertiert und sensibel durch seine
Welt geht. Durch diesen Gegensatz ist ihre Freundschaft geprägt. Hans ist anpassungsfähig,
Hermann ist aufrührerisch. Auch ist Hermann Hans geistig deutlich überlegen, für ihn ist die
Freundschaft "ein Vergnügen und Luxus, eine Bequemlichkeit oder auch eine Laune".
Durch diese Freundschaft verändert sich Hans Persönlichkeit. Er tut alles, um diese
Beziehung aufrecht zu erhalten. Die Schule wird ihm fremder, er ist fast nur noch mit
Hermann zusammen. Seine Leistungen in der Schule werden schlechter und das Lernen fällt
ihm von Tag zu Tag schwerer. Hans legt seinen Hochmut gegenüber anderen Schülern aber
nicht ab, und wird deshalb von ihnen verachtet und verhöhnt.
"Ein Schulmeister hat lieber zehn notorische Esel als ein Genie in seiner Klasse, und genau
betrachtet hat er ja Recht, denn seine Aufgabe ist es nicht, extravagante Geister
herauszubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermänner" (Kap.4, S.90). Ich glaube,
Hans hat diese Aufgabe der Lehrer verstanden und ließ auch deswegen in seinen schulischen
Bemühungen nach.
2.2.3. Die Flucht Hermanns und ihre Wirkung auf Hans
Nachdem Hermann Heilner von Maulbronn flieht, ist Hans wieder allein. Diesmal
aber ist er ganz einsam. Die Lehrer hatten ihr Interesse an Hans verloren, da er nicht mehr der
Primus war und sie verdächtigten ihn, von der Flucht Heilners gewußt zu haben. Zu seinen
Mitschülern kann er nicht mehr gehen, da er von ihnen wegen seines Hochmuts und seiner
nicht mehr ausreichend guten Leistungen nicht mehr akzeptiert wird. Durch die immer mehr
sichtbare Eigenbrötelei Hans Giebenraths wird er behandelt, wie ein Aussätziger.
Ihm ist jetzt auch alles egal. Er verfällt in einen von Kopfschmerzen geplagten
Dämmerungszustand, in dem er "leichte, großäugige Träume" träumt oder an Hermann denkt.
Nach zwei Nervenzusammenbrüchen wird Hans nach Hause geschickt. "Keiner,... ,sah hinter
dem hilflosen Lächeln des schmalen Knabengesichts eine untergehende Seele leiden und im
Ertrinken angstvoll und verzweifelt um sich blicken" (Kap.5, S.109). Hans hat nach
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Hermanns Flucht seine Bezugsperson verloren und kommt mit seinem Leben, wie es in diesem
Moment ist, nicht mehr zurecht.
2.2.4. Die Beziehung zwischen Hans und Emma
Wieder zu Hause lernt er die Nichte des Schuhmachermeisters Flaig, Emma, kennen.
Sie ist vielleicht 18 oder 19 Jahre alt, lustig und kommt aus Heilbronn um für zwei Wochen
ihren Onkel zu besuchen. Hans schwärmt von ihr und himmelt sie an. Emma aber spielt nur
mit dem sensiblen Jungen, der jünger ist als sie. Am letzten Abend ihres Besuches sitzt sie mit
Hans zusammen, es kommt zum Austausch von Zärtlichkeiten, die Hans vollständig
verwirren. Am nächsten Tag kehrt Emma nach Hause zurück.
Durch seine Liebe zu Emma bemerkt Hans, "daß seine Seele das Land der Kindheit verlassen
hatte", er nimmt Abschied von seiner Kindheit. Der ihn unvorbereitet getroffene Verlust
macht Hans noch schwermütiger, da er erkennt, daß Emma nur mit ihm gespielt hatte. Die
durch die Begegnung mit Emma in ihm geweckten Gefühle sind eine völlig neue Welt für
Hans, durch die er vollkommen verwirrt ist. "So erfuhr er, vielleicht zu früh, seinen Teil vom
Geheimnis der Liebe, und es enthielt für ihn wenig Süßes und viel Bitteres. Tage voll
fruchtloser Klagen, sehnlicher Erinnerungen, trostloser Grübeleien; Nächte in denen
Herzklopfen und Beklemmung ihn nicht schlafen ließen oder in schreckliche Träume
stürzten" (Kap.7, S.147).
3. Die Ursachen für das Scheitern Hans Giebenraths
Hans Giebenrath ist ein sensibler, introvertierter, aber sehr begabter Junge. Er ist seelisch sehr
labil, gutgläubig und leicht beeinflußbar. Ich denke, sein ganzer Bekanntenkreis ist mit Schuld
daran, daß er sein Leben nicht meistern konnte. Sein Vater kümmerte sich nie um ihn, die
Lehrer konzentrierten sich nur auf seine geistigen Fähigkeiten, ohne auf den speziellen
Charakter von Hans einzugehen. Hermann Heilner bemerkte nicht, wie sein Freund sich
veränderte, es war ihm sogar gleichgültig. Meiner Meinung nach trägt vor allem Emma einen
wesentlichen Teil zum Zusammenbruch von Hans bei. Sie weckt in ihm Gefühle, die er bisher
noch nicht gekannt hatte, sie spielt mit ihm um ihn dann im Stich zu lassen.
Hans zerbricht an der Gleichgültigkeit seiner Umwelt, die für sensible Menschen nicht
geschaffen ist, in der nur Leistung und Vermögen, nicht jedoch Zärtlichkeit, Mitgefühl oder
Träumereien zählen.
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4. Resümee
Diese Schulgeschichte hat nach meinem Dafürhalten an Aktualität kaum etwas verloren. Der
Leistungsdruck auf Schüler unserer Zeit -ausgeübt durch Eltern, Lehrer und der Gesellschaftbesteht unverändert. Viele Eltern sind durch ihre Arbeit zeitlich sehr angespannt und haben
für die Probleme ihrer Kinder zu wenig Zeit. Aber auch bei Arbeitslosigkeit werden die Eltern
häufig nicht mit ihren eigenen und schon gar nicht mit den Problemen der Kinder fertig. Auch
an unserer Schule sind viele Lehrer nur Wissensvermittler, ohne auf die Probleme der Schüler
einzugehen oder ihnen Werte für das Leben zu vermitteln. Oft gerät die Persönlichkeit des
Schülers dadurch in den Hintergrund, in der Folge können bei sensiblen Kindern, die ähnlich
wie Hans Giebenrath sind, schwere psychische Schäden auftreten. Immer wieder hört man
von Selbstmordversuchen überforderter junger Menschen.
Deshalb sollte sich jeder bemühen, sich um seine Mitmenschen zu kümmern und ihnen bei
Problemen hilfreich zur Seite stehen.