Über die Bedeutung des Hammers im Klavier

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Über die Bedeutung des Hammers im Klavier
Über die Bedeutung des Hammers im Klavier- und Flügelbau
Annette E. Hauser-Felberbaum und Ulrich Hauser
Bei der Konstruktion eines Tasteninstrumentes, sei es ein Flügel oder ein Klavier, gibt es
verschiedene Aspekte, die eine wichtige Rolle spielen, um ein hervorragendes klangliches
Ergebnis zu erzielen. Dabei kommt es zum einen auf die optimale Mensur, sowie die
Verwendung eines qualitativ hochwertigen Resonanzbodens und Saitenbezuges an; zum
anderen ist die Bedeutung des Hammerkopfes für die klangliche Qualität nicht zu
unterschätzen.Der Hammer ist für die Schwingungsform der Pianosaite der bestimmende Faktor.
Seine Beschaffenheit, also seine Form, seine Masse und die Struktur des Filzes sind von
größtem Einfluß auf die Klangfarbe (H. Junghanns, 1979, S. 61).
Ein weicher Hammerkopf bestehend aus möglichst gleichmässigen Filzfasern lässt bei der
Berührung mit der Saite den Grundton stärker als die Obertöne hervortreten. Zugleich können wir
die maximale Amplitude des Grundtones durch die Größe des Hammerkopfes und die genau
berechnete Anschlagstelle an die Saite festlegen. Normalerweise beträgt die Hammermasse 5/3
der Saitenmasse. Der Anschlagspunkt ist auf ungefähr 1/7 der Saitenlänge festgelegt. Auch die
ausgesprochene Birnenform des Hammerkopfes bedingt beim Anschlag eine flache Ausbiegung
der Schwingungsbewegung der Saite (H. Junghanns, 1979, S 62). Da dadurch die Obertöne
weniger stark zu hören sind, bekommt der Zuhörer den Eindruck eines ausgewogenen, vollen
Klanges. Schon Hermann v. Helmholtz beschrieb dies 1863 in seiner Lehre von den
Tonempfindungen (1913, S. 130/131):... es ist vorteilhaft, die Pianofortehämmer mit dicken
Lagen stark gepreßten und dadurch elastisch gewordenen Filzes zu überziehen. Die äußersten
Lagen sind die weichsten und nachgiebigsten, die tieferen sind fester. Die Oberfläche des
Hammers legt sich ohne hörbaren Stoß der Saite an, die tieferen Lagen geben namentlich die
elastische Kraft, durch welche der Hammer wieder von der Saite zurückgeworfen wird... Je
schwerer der Hammer und je dicker die Filzlagen sind, desto länger muß es währen, ehe er von
der Saite abspringt. Die Hämmer der höheren Oktaven pflegen leichter zu sein und dünnere
Filzlagen zu haben. Offenbar haben die Erbauer der Instrumente durch die Praxis hier gewisse
Verhältnisse allmählich ausgefunden, wie die Elastizität des Hammers dem Ton der Saite sich
am besten anpaßt. Die Beschaffenheit des Hammers hat einen außerordentlich großen Einfluß
auf die Klangfarbe. Die Theorie ergibt, daß diejenigen Obertöne beim Anschlag besonders
begünstigt werden, deren halbe Schwingungsdauer nahe gleich ist der Zeit, während welcher der
Hammer anliegt, daß dagegen diejenigen verschwinden, deren halbe Schwingungsdauer 3, 5, 7
usw. mal so groß ist. Bei einem abgespielten Hammerkopf dagegen sind die ehemals weichen
elastischen Filzlagen zerstört und zusammengepresst. Der Klang ist nun hart und ohne jede
Volltönigkeit.
Bei der Bestimmung der Klangfarbe müssen darüberhinaus noch die Komponenten der
Anschlagsgeschwindigkeit wie der Berührungsdauer genannt werden. Die Berührungsdauer des
Hammers ist abhängig von der Anschlagsstärke. Sie erhöht sich, je mehr sich der Anschlagspunkt auf die Saitenmitte zubewegt, und je größer die Hammermasse im Verhältnis zur Saite ist.
Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen weichen elastischen Hammerkopf, oder um
einen gleichschweren harten Hammer handelt.
Das Material des Hammerkopfes zur Klangfarbenbestimmung beschäftigte die Klavierbauer
schon früh. Im heutigen Klavierbau werden Hammerköpfe verwendet, bei denen Filzschichten um
den Hammerkern gepresst werden. Bis etwa 1840 wurden Lederstreifen um den Holzkern der
Hammerköpfe geleimt (W. Pfeiffer, 1979, S. 115). Leder galt unter den Überzugsstoffen als eines
der dauerhaftesten und haltbarsten, aber der Klang im Instrument war nicht zufriedenstellend (S.
Hansing, 1950, S. 151). Außerdem war die Abnutzungserscheinung bei Leder relativ groß, der
Hammerkopf wurde schnell hart und der Klang dadurch sehr schnell spitz und blechern.
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Abbildung 1: Flügelhammerköpfe von 1726 bis zur Gegenwart
Abbildung 1 zeigt verschiedene Beispiele von Größe und Material der Hammerkopfverarbeitung in ihrer Entwicklung bis heute in Vorder und Seitenansicht. Wir können hier jeweils
einen Baßhammerkopf sowie einen Diskanthammerkopf verschiedener Herkunft erkennen.
Schon die Hammerköpfe Cristoforis sind in ihrer Konstruktion interessant. Mehrere Pergamentstreifen sind zu einem Röllchen von ca. 15 mm Durchmesser gerollt. Am Anschlagspunkt
zur Saite ist ein Stück Wildleder auf die Pergamentrolle geleimt (J. Blüthner-Haessler, 1991, S.
9).
Bei den Hammerköpfen von Stein und Mahr besteht der Hammerkern aus Holz. Darüber sind
mehrere Lederschichten bei Mahr nur eine geklebt. Bei dem Mahrschen Instrument handelt es
sich wahrscheinlich wegen der extrem kleinen Hammerköpfe um ein Tafelklavier. Bei den
Hammerköpfen von Erard und Kützing ist der Hammerkern schon mit Filz überzogen, wie wir es
auch heute aus dem Klavierbau kennen, und auf dem untersten rechten Beispiel in der Abbildung
erkennen können. Es zeigt sich, daß Kützing um 1860 von seiner vorherigen, aus dem Jahre
1844 stammenden Meinung abgewichen ist, die Hämmer im Diskant und im Baß sollten das
gleiche Gewicht haben (C. Kützing, 1844, S. 97). Wie wir in der Tabelle erkennen können, ist der
Baßhammer um 1860 bei Kützing ungefähr doppelt so schwer wie der Diskanthammer. Dies
entspricht auch den heute üblichen Regeln im Klavierbau (W. Pfeiffer, 1979, S. 115-117).
Über die Bedeutung des Hammers im Klavier- und Flügelbau
Herkunft
Baß
Erster Hammer
Cristofori 1726
1
Stein 1773
1
Mahr 1807
0,4
Erard um 1850
4
Kützing um 1860
4
Heutiger
Hammerkopf
8,4
Mittelwerte 1943
Neo-Bechstein 1931
1,4
Tabelle 1: Hammerkopfgewichte in Gramm
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Hochlage
Letzter
Hammer
0,5
0,45
0,2
2
2
4,1
1,25
Entgegen seiner Meinung von 1844 er war gegen die Verwendung von Filz statt Leder für die
Hammerkopfoberfläche benutzte Kützing um 1860 nur noch Filz (C. Kützing, 1844, S. 115).
Die Methode, Klavierhämmer mit Hirsch- oder anderem Leder zu belegen, wurde schon früh
im Klavierbau angewendet. In der Allgemeinen Musikalischen Zeitung (No. 42, 8. Jahrgang,
Leipzig 1806) lesen wir: „Die Hämmer des Pianofortes sind an dem Kopfe, mit denen sie die
Saiten anschlagen, gewöhnlich mit Leder überzogen. Bekanntlich wird das Leder, wenn es
gehämmert wird, hart; fortgesetztes Spiel bringt die selbe Wirkung hervor. So weich und lieblich
daher der Ton eines Pianofortes ist, wenn es noch zu neu aus des Meisters Hand kommt, so wird
er doch in eben dem Grade, als das Leder härter wird, nach und nach härter, und zuletzt so
scharf und schneidend, dass man die Hämmer endlich neu beledern muss“ (Zit, nach R.E.M.
Harding, 1989, S. 391). Der erfindungsreiche Klavierbauer Jean Henri Pape patentierte 1826
seine mit Filz überzogenen Pianofortehämmer (S. Hansing, 1950, S. 151/152; J. Fischhoff, 1853,
S. 41). Filz gab einen schönen Klang, wurde mit der Zeit nicht so hart wie Leder, nutzte sich
allerdings schneller ab (R.E.M. Harding, 1989, S. 179). Von Pape können wir in seiner
Patentschrift die Beschreibung der aus Filz hergestellten Klavierhämmer nachlesen: „Je prends
une partie de poil de lapin et un sixième de bourre de soie que je fais darder ensemble: ce
mélange sert à former une couche; je prends ensuite une partie de poil de lièvre que je mêle
avec un tiers d édredon, et je fais également carder ensemble ces deux matières dont je forme
une second coudre: ces matières ainsi disposées, je les fais fortement fentret par les procédés
connus, jusqu à ce que letoffe ait une consistance convenable et la souplesse nécesairre“ (Zit.
nach R.E.M. Harding, ebenda). Ab etwa 1830 verdrängten die Filzhämmer immer mehr die mit
Leder überzogenen Klavierhämmer und setzten sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts völlig
durch (A. Dolge, 1972, S.98).
Bei Hermann v. Helmholtz können wir im folgenden in seiner Lehre von den Tonempfindungen
(1913, S. 129/130) nachvollziehen, warum der weichere elastischere, im Ton viel schöner
klingende Filzhammer, der von seiner Berührungszeit aus gesehen viel länger an der Saite
haften bleibt, sich gegenüber den mit Leder überzogenen Hammerköpfen durchsetzen mußte:
„Wird die Saite geschlagen, und zwar mit einem scharfkantigen metallenen Hammer, der gleich
wieder abspringt, so wird nur der einzige Punkt, der vom Schlag getroffen ist, direkt in Bewegung
gesetzt... Wenn der Hammer weich elastisch ist, hat die Bewegung auf der Saite Zeit, sich
auszubreiten, ehe der Hammer wieder zurückspringt,... Man kann sich an jedem Fortepiano,
dessen Deckel man öffnet, von der Richtigkeit des Gesagten leicht überzeugen...“
„..., der Klang der Saite wird weniger hell, weicher und wohlklingender, wenn man... mit dem
weichen Hammer des Instrumentes anschlägt. Auch die verschiedene Stärke des Grundtons
erkennt man leicht.“
So setzte sich das Hammerkopfmaterial Filz mit der Zeit mehr und mehr durch und verdrängte
das Leder schließlich ganz. Selbstverständlich können wir den damals verarbeiteten Filz nicht mit
dem heutigen Hammerkopffilz vergleichen. Bei den Pianoforti des frühen 19. Jahrhunderts
bestanden die Hammerfilze zumeist aus zwei Lagen, einem etwas dünneren Unterfilz und einem
dickeren Oberfilz, oder aus nur einer Lage Oberfilz. Bei Instrumenten mit Wiener Mechanik war
auf den Oberfilz sogar noch ein dünnes Stück Hirschleder aufgeleimt (H. Junghanns, 1979,
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S.273). Durch den Wunsch nach differenzierteren Klangmöglichkeiten, nach mehr Tonfülle, die
sich im immer voluminöser werdenden Gußeisenrahmen und in der immer stärker werdenden
Besaitung ausdrückten, und durch den Wunsch nach größerer Tonfülle, nach mehr Geläufigkeit
und hoher Repetitionsfolge, wurden auch größere Ansprüche an die Mechanik, den Hammerkopf
und damit den Filz gestellt. Während der durch Henri Herz verbesserten Repetitionsmechanik
(Abb. 2) auf der Grundlage der ursprünglichen Englischen Mechanik der weltweite Durchbruch
gelang, spezialisierten sich Filzfabriken nun auf die Herstellung von geeignetem Hammerkopffilz.
Abbildung 2: Flügelmechanik mit Herz-Doppelfeder
Durch die immer grösser werdenden Erfahrungen und die fortlaufenden technischen
Fortschritte konnte schließlich der feste elastische und zugleich feine Hammerkopffilz hergestellt
werden, wie wir ihn im wesentlichen von unseren heutigen Flügeln oder Klavieren kennen. Die
Grundlage für den Klangcharakter ist hiermit gegeben. Durch geschickte und einfühlsame
Intonierung (Die Kunst des Anstechens des Filzes mit Nadeln um den Obertonanteil festzulegen)
kann nun noch manch klanglicher Mangel beseitigt werden, bzw. auf spezielle Klangvorstellungen und Klangfarbenmöglichkeiten eingegangen werden.
Die technische Entwicklung des Flügels bzw. des Klaviers war spätestens gegen 1850 mit der
Erfindung des Gußeisenrahmens und der Repetitionsmechanik abgeschlossen. Der dreichörige
Saitenbezug und die Klaviatur über sieben Oktaven waren selbstverständlich. Seitdem hat sich in
technischer Hinsicht im Klavier- bzw. Flügelbau nicht sehr viel geändert. Es ist seit den
Untersuchungen von Hermann v. Helmholtz vor ca. 100 Jahren nichts wesentlich Neues
hinzugekommen.
Mit dem Durchbruch der Filzbelegung des Hammers war historisch auch das Optimum der
Virtuosität erreicht. Das war zugleich auch das Ende der einfallsreichen Mechaniken für einen
oberschlägigen Anschlag, die insbesondere einer hohen Schnelligkeitsanforderung nicht
genügen konnten, und somit ihr endgültiges Ende nach 250 Jahren fanden.
Der ehemalige Flügel Franz Liszts, der heute im Museo Teatrale alla Scala in Milano steht
(Abb. 3), mag stellvertretend für diese abgeschlossene Entwicklung stehen. Er zeigt, wie wenig
Änderungen, zumeist äußerlicher Art, zu unserem heutigen Flügel, ganz gleich welches Fabrikat,
zu finden sind. Bei dem abgebildeten Flügel handelt es sich um einen Steinway-Flügel von 1882
aus New York.
Über die Bedeutung des Hammers im Klavier- und Flügelbau
Abbildung 3: Steinway & Sons – USA, New York 1882
Signatur: „Steinway & Sons / Patent Grand / New York & Hamburg.”
Maße: Breite: 139 cm, – Tiefe: 222 cm, Höhe: 100 cm.
Standort: Milano. Museo teatrale alla Scala.
Kat. Nr. 38.
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: PFEIFFER, W., 1979, S. 116, Zeichnung 66/71
Abbildung 2: JEDELE, H., 1979, S. 264, Abbildung 246
Abbildung 3: HIRT, F. J., 1981, S.57
Tabelle 1: PFEIFFER, W., 1979, S.117, Tafel 1
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Literaturverzeichnis
BLÜTHNER-HAESSLER, J.: Pianofortebau. Elementar und umfassend dargestellt von einem
Klavierbauer. Franfurt/Main 1991.
DOLGE, A.: Pianos and Their makers. Covina California 1911 (Nachdruck: Constable/London
1972).
FISCHHOFF, J.: Versuch einer Geschichte des Clavierbaus. Wien 1853.
HANSING, S.: Das Pianoforte in seinen akustischen Anlagen. Berlin 1950 (Erstdruck 1909).
HARDING, R.E.M.: The Piano-Forte. Ist History Traced To The Great Exhibition Of 1851.
Cambridge 1933 (revised edition 1978, reprinted 1989).
HELMHOLTZ, H. v.: Die Lehre von den Tonempfindungen als physikalische Grundlage für die
Theorie der Musik. Braunschweig 1863 (Nachdruck: Darmstadt 1968).
HIRT, F. J.: Meisterwerke des Klavierbaus. Geschichte der Saitenklaviere von 1440 -1880. Olten
1955, 2. Auflage Dietikon - Zürich 1981.
JEDELE, H.: Die Mechanik (Das Getriebe). In: Der Piano- und Flügelbau, hrsg. v. H. Junghanns,
Fachbuchreihe Das Musikinstrument, Bd. 5, Frankfurt/Main 1979, S. 248-272.
JUNGHANNS, H. (Hrsg.): Der Piano- und Flügelbau. Fachbuchreihe Das Musikinstrument, Bd. 5,
Frankfurt/Main 1979.
KÜTZING, C.: Das Wissenschaftliche der Fortepiano-Baukunst. Bern 1844.
PFEIFFER, W.: Vom Hammer. Fachbuchreihe Das Musikinstrument, Bd. 9, Frankfurt/Main 1979
(Faksimiledruck der Ausgaben von 1984 und 1962).