Úlfar Bragason, Herausgeber: Snorrastefna, 25.–27. júlí
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Úlfar Bragason, Herausgeber: Snorrastefna, 25.–27. júlí
Rezensionen ´ U lfar Bragason, Herausgeber. Snorrastefna, 25.–27. júlí 1990. Rit Stofnunar Sigurðar Nordals 1. Reykjavík: Stofnun Sigurðar Nordals, 1992. 283 Seiten. Die Stofnun Sigurðar Nordals, das nach dem isländischen Literaturwissenschaftler und Diplomaten Sigurður Nordal benannte neue Institut für die Koordinierung von Forschungen zur isländischen Kultur, veranstaltete an der Universität Reykjavík (Háskóli Íslands) vom 25. bis 27. Juli 1990 ein Symposium, das Snorri Sturluson (1179– 1241) gewidmet war und füglich dessen Namen trug: Snorrastefna [Snorri-Symposium]. Fast zwei Dutzend Nordisten aus zehn Ländern legten einem hundertköpfigen Publikum ihre neuesten Forschungsergebnisse zur alten nordischen Mythologie und Dichtung, zu Snorris Mythologie- und Dichtungslehrbuch Edda (von circa 1230) und zu dessen Rezeption in späterer Zeit vor. Diese Vorträge sind — bis auf drei — jetzt im Druck erschienen als Band 1 der Schriftenreihe des neuen Instituts (Rit Stofnunar Sigurðar Nordals 1), herausgegeben von dessen Leiter Úlfar Bragason. François-Xavier Dillmann (Paris) eröffnet den Band — höflicherweise auf isländisch — mit Grundsätzlichem, nämlich dem Hinweis, daß, wer die Mythologie verstehen will, zunächst einmal eine bessere Textausgabe unserer wichtigsten Quelle, eben der Snorra Edda, haben muß (“Textafræði og goðafræði: Um þörfina á betri útgáfu á Snorra-Eddu”, 9–18). Das Fehlen einer wirklich zuverlässigen kritischen Ausgabe der Snorra Edda hat mitunter für die Mythenforschung fatale Auswirkungen, wie Dillmann an der Geschichte von Njorðr und Skaði in Gylfaginning Kap. 23 verdeutlicht. Alle neueren Ausgaben und Übersetzungen der Snorra Edda (mit Ausnahme der deutschen von Ernst Wilken von 1877) folgen bei der Angabe, daß die Fruchtbarkeitsgottheit(en?) Njorðr und Skaði, da keiner von beiden die ganze Zeit am Wohnort des anderen leben wollte, übereingekommen seien, abwechselnd bei Skaði im verschneiten Hochgebirge und dann wieder bei alvíssmál 3 (1994): 121–28 121 Njorðr unten am golfstromerwärmten Meer zu wohnen, der Kopenhagener Ausgabe Jón Sigurðssons von 1848 und Finnur Jónssons kritischer Ausgabe von 1931. Beide legen den (emendierten) Text des Codex Regius der Snorra Edda zugrunde: “at þau skyldu vera níu nætr í Þrymheimi, en þá aðrar níu at Nóatúnum” [daß sie neun Nächte in Þrymheimr und dann andere neun in Nóatún weilen sollten]. Die Lesart der drei anderen Haupthandschriften der Snorra Edda (Codex Trajectinus, Codex Wormianus, Codex Upsaliensis) aber ignorieren sie. Diese weicht jedoch in der Zeitangabe signifikant ab: “at þau skyldu vera níu nætr í Þrymheimi, en þá aðrar þrjár í Nóatúnum” [daß sie neun Nächte in Þrymheimr und dann andere drei in Nóatún weilen sollten]. Vergleichende Mythenforscher wie Georges Dumézil und Franz Rolf Schröder haben diese enge nordische Parallele zu indo-europäischen Mythen vom wechselnden Aufenthaltsort der Fruchtbarkeitsgottheiten nicht sehen können, weil die Snorra Edda–Ausgaben diese Lesart nicht mitteilen: Auch Persephone weilt neun Monate bei Demeter und drei Monate bei Hades. Die Umkehrung gegenüber der Mythe von Njorðr und Skaði, deren neun “Nächten” in Þrymheimr (die Dillmann gewiß zu Recht als Symbol für die neun Wintermonate des hyperboreischen Jahres deutet) nur drei Monate beim (Winter-/Totengott) Hades entsprechen sollen, erklärt sich mit der genau umgekehrten Länge von Winter und Sommer im Norden und in der Mediterranée: im Norden drei Sommer- und neun Wintermonate, im Süden neun Sommer- und nur drei Wintermonate. Die von Dillmann eingeforderte philologische Solidität erbringt schönen Ertrag für die strukturalistische Mythenforschung und ein neues Mosaiksteinchen im Bild jener autochthonen Landbesitzerinnen (das Land als weibliches Prinzip), die sich hinter den Riesentöchtern Skaði und Gerðr, aber auch Gefjon verbergen. Gerðr figurierte nicht nur bei Dillmann, sondern auch in Gro Steinslands Beitrag “Myte og ideologi — Bryllupsmyten i eddadiktningen og hos Snorri — Om det mytologiske grunnlaget for norrøn kongeideologi” (226–40), der hier thematisch anschließt. Er bietet in äußerst geraffter und zugleich prä- 122 ziser Form die Quintessenz von Steinslands Forschungen zum hieros gamos–Mythos, die sie als Buch veröffentlicht hat: Det hellige bryllup og norrøn kongeideologi: En undersøkelse av hierogami-myten i Skírnismál, Ynglingatal, Háleygjatal og Hyndluljóð (Oslo: Solum, 1991). Die “heilige Hochzeit” dient Steinsland zufolge als Basis einer nordischen “Königtumsideologie”, in der Königsherrschaft in “Inthronisationsmythen” und “Hochzeitsmythen” semiotisch (sie spricht von der Bildstruktur der Quellen: “billedstruktur”) abgebildet ist. Königsherrschaft leitet sich genealogisch ab von einem “ersten Einzigartigen” (wie z.B. Fjolnir im Ynglingatal oder Sæmingr im Háleygjatal), der Sproß einer “extrem exogamen” Verbindung aus Gott (Freyr respektive Óðinn) und Riesentochter (Gerðr respektive Skaði) ist und damit etwas Neues darstellt: nicht Gott, nicht Riese, sondern eben menschlicher Begründer der Königsdynastie. In diesem Sinne versteht Steinsland auch Skírnismál und deutet die Plazierung Freyrs im Hochsitz als Reflex des Inthronisationsmythos und die drei Gegenstände, mit denen die Riesentochter gefügig gemacht werden soll (Ring, Apfel, zauberkräftiger Stab), als Herrschaftsinsignien (die Regalien Ring, Reichsapfel, Zepter). Man darf sich etwas ketzerisch fragen, was aus Freyrs Schwert (einem mindestens ebenso wichtigen Reichsinsigne) geworden ist? — Die nur unter der Androhung von Gewalt und Verhexung zustande kommende Einwilligung der Riesentochter in die auch für sie exogame und außerhalb legitimer Eherituale sich vollziehende Verbindung (aus der im übrigen Fjolnir, wie Snorri in Ynglinga saga sagt, hervorgegangen sei) deutet auf die — im Mythos semiotisch sexuell konnotierte — gewaltsame Unterwerfung des Landes als “Territorium” unter die Macht des Königs. Für derlei Metaphorik hat bereits Folke Ström 1981 und 1983 Beispiele aus der Skaldendichtung um Jarl Hákon überzeugend beigebracht. Hiermit überwölbt Steinsland Magnus Olsens ausschließlich auf agrarische Fruchtbarkeit bezogene Deutung des hieros gamos jetzt mit politischer Herrschaftssymbolik. Indem sie auf die weibliche Linie dieser Dynastiebegründungen achtet, hat sie ein Muster alvíssmál 3 (1994): 121–28 Rezensionen “Herrschergott – Riesentochter als Landgöttin” gefunden, das zahlreiche neue Perspektiven und Antworten ermöglicht — auch auf die Frage des nordischen Sakralkönigtums, das sie nicht länger kultisch, sondern eben genealogisch definiert sieht. Mit dem Außergewöhnlichen des “extrem exogamen” Ursprungs dieser Herrscher aus der Verbindung der beiden absoluten Gegenpole der nordischen Vorstellungswelt (Götterwelt vs. Riesenwelt), was übrigens auch für Óðinn selbst gilt, der Sohn einer Urgottheit Borr und der Riesentochter Bestla ist, erkläre sich auch die eigentümlich “ehrlose” Todesart dieser Herrscher, exemplifiziert am Tod der Ynglingenkönige: Von niederer Herkunft mütterlicherseits, sterben sie einen niederen Tod. Dies gilt auch für Hákon góði, den ambáttarson Harald Schönhaars, der am Pfeilschuß eines unfreien Knechts stirbt. Auf all dies wird die Forschung zurückkommen müssen. Um weibliche Gottheiten geht es auch John Lindow (“Loki and Skaði”, 130–42), Lotte Motz (“The Goddess Freyja”, 163–79) und Britt-Marie Näsström (“The Goddesses in Gylfaginning”, 193–203). Lindow versucht, die semiotischen Schichten jener grotesken Szene in Snorra Edda zu entschlüsseln, in der der Gott Loki den Tod des Riesen Þiazi gegenüber dessen zorniger Tochter dergestalt sühnt, daß er sie — so ihre Forderung — zum Lachen bringt, indem er sich mittels einer um seine Hoden geschlungenen Schnur mit einer Ziege (an deren Bart) zusammenbindet und solange hin- und herzerrt, bis er sich schließlich Skaði in den Schoß fallen läßt und sie lachen muß und die Sühne erbracht ist. Lindow stellt dies u.a. zu einer aus französischen Stadtrechten des 12. Jahrhunderts und Erik Glippings stadsrett bekannten öffentlichen Schandstrafe für Ehebrecher, bei denen die Delinquenten aus der Stadt gejagt werden, nachdem die Frau den Mann zuvor an dessen Glied öffentlich hat herumführen müssen. Snorri selbst habe der Skaði-Mythe, die um Geschlechtertausch und die symbolische Selbstdemütigung der Asen gegenüber Skaði kreise, diese aktuelle Konnotation hinzugefügt. Zwingend ist dieser Schluß nicht. Obszöne Rituale sind aus “primitiven” Kulturen reichlich bezeugt und lassen diesen Rezensionen Mythos von der Kompensationleistung der Asen an Skaði durchaus als “alt” und “authentisch” erscheinen. Obszönes ist auch von Freyja überliefert. Ihre notorische Promiskuität, ihr Walkürenaspekt als Herrin über Kampf und Tod, ihr Reiten auf einem Eber und ihre Fähigkeit zu fliegen, ihr Schützen eines menschlichen Königs und anderes mehr lassen sie, wie Lotte Motz meint, weniger als Fruchtbarkeitsgöttin und Schutzgöttin von Ehe und Familie erscheinen, sondern stellen sie eher zu mediterranen Gottheiten wie Aphrodite hetaira, Astarte und Ischtar, in denen Motz einen gemeinsamen Typus erblickt, dem auch Freyja angehöre. Was alte Gemeinsamkeit, was später in den Norden Entlehntes sei, wisse man nicht. Noch abstrakter werden die Bezüge, wenn Britt-Marie Näsström diese eigentlich asozialen und sich nicht in das patriarchalische Familien- und Ehegefüge der “männlichen” Asenmythologie einordnenden Eigenschaften Freyjas und Friggs und ihrer zwölf Hypostasen in Gylfaginning Kap. 35–36 als “Aspekte” ein und derselben “Great Goddess of the North” erklärt, deren Heterogenität sich damit begründete, daß diese diskrepanten Eigenschaften den in Freyjas jeweiligen Partnern verkörperten drei unterschiedlichen Funktionen gemäß Dumézils “idéologie tripartie des indo-européens”, also der Priester-, Krieger- und Bauernfunktion, korrespondierten. Das ist gut möglich. Es bleibt aber — das Hauptproblem dieser Form des Strukturalismus — alles sehr abstrakt und ist überdies in einem völlig ungrammatischen, ja geradezu absurden “englischen” Kauderwelsch unkorrigiert abgedruckt, das für den Leser eine böse Zumutung darstellt. Warum schreibt die Verfasserin nicht schwedisch? Und warum hat der Herausgeber nicht eingegriffen? Einige Beiträge widmen sich dem Zeugniswert, den die verschiedenen Quellenarten für Mythos, Kult und Religion im vorchristlichen Island haben. So vertraut Jónas Kristjánsson (“Heiðin trú í fornkvæðum”, 99–112) eher den Gedichten und Kenningar der Skalden sowie den Eddaliedern, die er allesamt als im Kern “alt” und nur mit einzelnen christlichen Elementen versetzt einstuft, und er verdammt das Verfahren, alvíssmál 3 (1994): 121–28 123 Dichtung (kvæði) und Erzählungen (sögur) als gleichwertig anzusehen und “hræra öllu saman eins og Jan de Vries og TurvillePetre” (102). Zumindest letzterer war ein allzu guter Kenner der Materie, um sich diese Bemerkung posthum gefallen lassen zu müssen, schon gar nicht, wenn sein isländischer Kritiker die “eigenen” Mythen weniger genau zu kennen scheint als diese beiden Nicht-Isländer: “Húsdrápu orti Úlfur Uggason . . . Þar hafa verið að minnsta kosti þrjár goðsögur: um keppni Þórs og Loka um Brísingamenið . . . ” (103). Þórs? Es war wohl Heimdallr. Svavar Sigmundsson unterzieht — ein wichtiger Aufsatz! — die isländischen Ortsund Flurnamen, in denen Götternamen oder Bezeichnungen für Tempel, Heiligtum, Opferplatz, etc. enthalten sind, einer erneuten Durchsicht: “Átrúnaður og örnefni” (241– 54). Das Ergebnis des konzis geschriebenen und mit Ortsnamen-Karten Islands didaktisch gut illustrierten Beitrags lautet, daß die zahlreichen Þórr-Flurnamen (Þórsvík, Þórsdalur, Þórfell, etc.) durchaus bezeugen, daß Þórr der wichtigste Gott Íslands war, wobei das Fehlen von Þórsnamenbildungen mit -akr ‘Acker’ oder -bær ‘Gehöft’ anzeige, daß Þórr anders als in Skandinavien auf Island nicht Fruchtbarkeits- oder Agrargottheit war, sondern ganz allgemein landáss ‘Schutzgottheit des Landes’. Freyr- und Njorðr-Namen sind dagegen spärlich, deuten aber auf kultische Verehrung ebenso hin, wie die Namen des Typs Helgafell bzw. Hofsdalur oder Hörgsholt auf Beziehung zu Mythos (Ahnenverehrung) bzw. (Tempel-) Kult verweisen. Bei lundr ‘Hain, Opferhain’ in den Lundur-Namen zieht Svavar wie auch bei den übrigen Namentypen als Indiz für eine ehemalige Kultstätteneigenschaft der Örtlichkeit die Tatsache heran, daß hier eine christliche Kirche steht oder stand. Dies deshalb, weil — übrigens ganz nach der Anweisung Papst Gregors I. an seine Missionare — gerade an ehemals heidnischen Kultstätten Kirchen errichtet und jene somit “getauft” wurden, die Kirchen also auf alte Kultstätten verweisen können. Dieses Kriterium ist durchaus stichhaltig. Man wünscht sich bei Ortsnamenuntersuchungen, die stets auch einen statistischen Aspekt haben, jedoch die Gegenprobe: 124 Wieviel Kirchen gibt es überhaupt auf Island? Wo stehen die anderen? Welches sind dort die Kriterien? War es vielleicht eher nur das Gehöft des Großbauern, das den Ausschlag dafür gab, wo eine Kirche hin kam unabhängig davon, ob ein hof-goði es besaß oder nicht, so daß dem “Kirchen-Indiz” allein noch keine eigene Beweiskraft für Rückschlüsse aus einem “kultverdächtigen” Namen auf alte Kultstandorte zwingend zukommen kann und archäologische Befunde hinzugenommen werden sollten? Man muß mehr graben auf Island! Haraldur Bessason (“Myth and Literary Technique in Two Eddic Poems”, 70–80) geht es um unterschiedliche Zeitvorstellungen in Voluspá: eine zyklische (ewige) für Schöpfungsanfang, Natur, Götter und Riesenwelt, und eine lineare (endliche) für die Sterblichen, die sich als menschliche Zeitspur im Laufe des Textes mit zunehmender Dekadenz der Asenwelt und vor allem Odins über die mythisch-zyklische lege. Im Mittelpunkt der restlichen Beiträge — darunter sehr gewichtigen — steht Snorri Sturluson und sein Umgang mit seinen Quellen, seine Leistung als Historiker, seine Dichtung und Dichtungslehre sowie seine Rolle als Mythograph. Ein Glanzstück sowohl inhaltlich wie — dank der stilsicheren englischen Übersetzung von Joan Turville-Petre — auch formal ist Jón Hnefill Aðalsteinssons ruhige, wohlabgewogene Analyse der Berichte über König Hákon den Guten und seinen machtpolitisch motivierten “Rückfall” ins Heidentum, zu dem ihn die norwegischen Bauern und Aristokraten zwingen (“A Piece of Horse-Liver and the Ratification of Law”, 81–98). Historia Norwegiae, Ágrip af Nóregs konunga sogum und Fagrskinna bezeugen alle, daß Hákon “zwar” sein Christentum aufgegeben, “aber dafür” das alte Recht (en fornu log) besser als alle heidnischen Könige zuvor gewahrt habe: diligentius leges patrias et scita plebis observabat (Historia Norwegiae); hann setti Gulaþingslog . . . , er verit hafði forðum (Ágrip af Nóregs konunga sogum); fylla en fornu log . . . mikill ráðsmaðr til laga ok siða . . . svá at blótmenn kalli eigi at af honum verði niðrfall laganna (Fagrskinna). Jón insistiert zu Recht auf der Verbindung log ok siðir ‘Gesetz und Sitten/ alvíssmál 3 (1994): 121–28 Rezensionen Religion’ als zentral für den Staatsbegriff des heidnischen Königtums und sieht in dem Zwang zur Kultteilnahme des Königs den Reflex eines noch immer sakral fundierten Ynglingen-Königtums: Bricht Hákon mit der alten Religion und vollzieht er nicht im Zusammenhang mit dem Thing das Kultritual, das die Gemeinschaft aller sowie den Fortbestand der Rechtsgemeinschaft und ererbten Rechte symbolisch bekräftigt, bricht auch dieses “alte” Recht und wird für die Thinggenossen unsicher. Eine konstitutionelle Umwälzung! Hierzu verweist Jón auf den Ring, den der isländische goði den Úlfljótslog zufolge bei allen Rechtshandlungen zu tragen und zuvor im Opferblut eines Opfertieres zu röten hatte und auf den jeder, der eine Rechtssache vorbrachte, zuvor schwören mußte. Nicht ungewöhnlich, eigentlich, man denke nur an den christlichen Gerichtseid oder Amtseid auf die Bibel. Der gleiche unmittelbare Zusammenhang von Recht (log) und religiösen Gebräuchen (forn siðr) ist bei der Bekehrung Íslands im Jahr 1000 gegenwärtig, wenn der logsogumaðr Þorgeirr argumentiert, daß Island eine einheitliche religiöse Ordnung — entweder heidnisch oder christlich — haben müsse, weil das Land ein log ‘einheitliches Recht’ haben müsse, denn wer die Rechtsordnung zerreiße, zerreiße auch den Frieden (vgl. Jón Hnefill Aðalsteinsson, Under the Cloak: The Acceptance of Christianity in Iceland [Uppsala: Acta Universitatis Upsaliensis, 1978]). Daß dies alles nur erfundene Rückprojektion der hochmittelalterlichen Vorstellung vom christlichen Staat — denn mit log ist doch wohl “Staat” gemeint — auf die heidnische Zeit sei, wird durch die Quellen, wie Jóns Analyse zeigt, widerlegt: Hier ist Reflex alter Verhältnisse sichtbar. Nur Snorri habe, so Jón, diesen in seinen Quellen (Historia Norwegiae, Ágrip und Fagrskinna[?]) vorhandenen Zusammenhang zwischen log und siðr und also die von den Norwegern mit Hákons Christentum verbundene Gefahr der “abrogation of law which would follow if King Hákon had refused outright to make sacrifice” bei seiner Gestaltung der Apostasie Hákons auf dem Thing in Mœre weggelassen. Jón macht hierfür Snorris künstlerische Gestaltung des Themas verantwortlich, durch die “an Rezensionen important religious motif has got lost”. Nach Meinung des Rezensenten hat Snorri diese Verbindung jedoch ebenfalls ausdrücklich bewahrt. Allerdings nicht, wie dies seine jeweils nur wenige Zeilen umfassenden Quellen notwendig tun müssen, als kurzen Kommentarsatz in der Schilderung der Opferszene in Heimskringla, Hákonar saga góða Kap. 17–18, selbst, sondern gemäß seiner weitaus breiteren Darstellung schon zuvor in Kapitel 15, in dem er ausführlich die politischen Implikationen und Befürchtungen der Trondheimer andeutet. Kapitel 13–20 bilden eine strukturelle Einheit, deren Thema u.a. der “drohende Verlust der alten Ordnung als Verlust der Freiheit und konkret des Óðalrechts” ist. Mit dem englischen und deutschen Christentum wurde die neue, vom Lehnsrecht geprägte Staatsform verbunden, die als Versklavung (at þrælkask) verstanden wurde (vgl. Gerd Wolfgang Weber, “Intellegere historiam: Typological Perspectives of Nordic Prehistory”, in Tradition og historieskrivning: Kilderne til Nordens ældste historie, hg. Kirsten Hastrup und Preben Meulengracht Sørensen [Århus: Aarhus universitetsforlag, 1987], 95–141; hier 111, 125 und Fn. 73). Sehr aufschlußreich ist auch Else Mundals Aufsatz (“Snorri og Voluspá”, 180–92), der zeigt, wie Snorri seine Hauptquelle, das Eddalied Voluspá, und seine übrigen Liedquellen benutzt und in seine Darstellung der nordischen Mythologie integriert. Mundals Frage nach dem, was Snorri nicht aus seinen Quellen übernimmt, zeigt u.a. ebenso wie seine Umstellungen, daß er Widersprüche seiner Quellen dadurch vermeidet, daß er derartige Angaben nicht übernimmt, daß er “dunkle” Stellen in den Eddaliedern, die auch neuzeitlichen Gelehrten Kopfzerbrechen bereiten, einfach wegläßt, daß er schließlich einen misogynen Zug an den Tag legt, der wohl mit seiner Tendenz, den nordischen Mythos an die christliche Mythologie anzugleichen, einhergeht: Die drei dem Riesengeschlecht zuzurechnenden Weiber, die in Voluspá unmittelbar vor der Schöpfung der Menschen durch die drei männlichen Gottheiten Óðinn, Hœnir und Loðurr (bei Snorri: Óðinn, Vili und Vé) auftreten und in denen alvíssmál 3 (1994): 121–28 125 Mundal mit Gro Steinsland das weibliche Element eines ursprünglichen hieros gamos erkennt, läßt Snorri weg. Sie passen nicht ins Patriarchat des christlichen Schöpfergotts, an den er seinen Alfoðr angleicht. Guðrún Nordal würdigt Snorri als Dichter des Fürstenpreislieds und metrischen Mustergedichts Háttatal sowie einer Anzahl lausavísur (“Skáldið Snorri Sturluson”, 52–69). Und Anthony Faulkes (“The Use of Snorri’s Verse-Forms by Earlier Norse Poets”, 35–51) geht der Frage auf den Grund, inwieweit die in Snorris Háttatal vorgeführten Versformen schon in der Skaldendichtung vor Snorri als Versform etabliert waren (circa 30) oder von Snorri aus vereinzelten, sporadisch auftretenden metrischen oder reimtechnischen Varianten dieses oder jenes Skalden herausdestilliert und zu Versformen erhoben wurden (circa 40) oder ganz ohne Vorbild sind und von ihm kreiert sein dürften (circa 30). In diesem für Nicht-Metriker spröden, jedoch wichtigen und, wie immer bei Faulkes, philologisch zuverlässigen Aufsatz ist öfter zu lesen: “see Kuhn 1983”. Hommage an den, der das Terrain der Skaldenmetrik und -syntax wie kein zweiter beackert und für uns aufbereitet hat: Hans Kuhn, Das Dróttkvætt (Heidelberg: Carl Winter, 1983). Margaret Clunies Ross (“The Mythological Fictions of Snorra Edda”, 204– 16) und Preben Meulengracht Sørensen (“Snorris frœði”, 270–83) heben die innovative Bedeutung des Mythographen Snorri hervor. Clunies Ross sieht sie auch in seiner Schaffung der langen mythischen Prosakapitel, die sie “mythological fictions” nennt und die sowohl in Gylfaginning wie Skáldskaparmál die Mythen in einer Form erzählen, die sie den fabulae der antiken Literatur und also dem integumentum und involucrum der mittelalterlichen Exegese annähern: als “Erfindungen”, die einen verborgenen Wahrheitskern enthalten, was der positiven Mythenauslegung durch die Schule von Chartres (z.B. Bernardus Silvestris) entgegenkomme, deren Einfluß, zumindest als Haltung, Margaret Clunies Ross mit Ursula und Peter Dronke (1977) sicherlich zu Recht in Snorra Edda am Werk sieht. Kurz führt sie auch die Gattung des exemplum als “potential model for the kind 126 of illustratory mythic narrative that Snorri uses so skilfully throughout the Edda” an (213). Dem ist zuzustimmen (vgl. Gerd Wolfgang Weber, “Snorri Sturlusons Verhältnis zu seinen Quellen und sein MythosBegriff”, in Snorri Sturluson: Kolloquium anläßlich der Wiederkehr seines 750. Todestages, hg. Alois Wolf [Tübingen: Gunter Narr, 1993], 193–244, hier 215–16). Allerdings ist der literarisch fixierte englische Begriff fiction hier vielleicht doch weniger hilfreich, denn gerade das exemplum, dessen isländische Entsprechung dæmisaga Snorri für seine Mythenerzählungen selbst gebraucht (Snorra Edda, Skáldskaparmál Kap. 10 und 25), ist auf Geschichte (historia) und res gestae, also geschichtliche Faktizität, ausgerichtet, denn daraus zieht es seine Beweiskraft. Es gibt damit diesen Erzählungen einen nicht-fiktionalen Wert als “exemplarisches Ereignis der Geschichte”. Die Kategorie des Fiktionalen ist im dreizehnten Jahrhundert gerade erst im Entstehen und signalisiert, wie Walter Haug gezeigt hat (Literaturtheorie im deutschen Mittelalter [Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985]), den Umbruch des mittelalterlichen Weltbilds in die Moderne. Hier ist ein interessanter Punkt bei Snorri angesprochen, der über die Mythenforschung weit hinausweist und sich mit der “Modernität” des Historikers Snorri treffen würde, auf der jetzt Sverre Bagge insistiert (Society and Politics in Snorri Sturluson’s “Heimskringla” [Berkeley: University of California Press, 1991]). Auch Preben Meulengracht Sørensen betont das Neue an Snorris Edda, insonders den grundsätzlichen Unterschied zwischen der mündlichen Tradition des Mythos, in der dieser “får sin betydning ved at blive fortalt igen og igen og ikke nødvendigvis på samme måde hver gang . . . I den skriftlige tekst bliver de varianter, der opstår på den måde, kombineret til en sekvens af begivenheder” (281). Snorris frœði (der alte mythische Stoff) werde ihm zu gamanfrœði (zu unterhaltsamem Wissen über die alte Zeit für eine neue Zeit, eine isländische Renaissance). Das ist nahe an fiction, der erfundenen Wirklichkeit in Clunies Ross’ Auffassung, die das Hier und Jetzt deuten helfen soll und nicht ein mythisches Einst. alvíssmál 3 (1994): 121–28 Rezensionen Das Problem besteht darin, daß Snorri hier eine, wie wir es nur auffassen können, szenische Rahmen-Fiktion schafft, die der neuzeitliche Exeget nur als etwas Erfundenes und intellektuell als “fiktiv” Begriffenes begreifen kann, eben weil er einzig über den modernen, im Mittelalter sich aber gerade erst bildenden Autorenbegriff verfügt und mithin Snorri die moderne Lehrbuchsituation unterstellt, die ihm erlaube, wie ein moderner Verfasser seiner Fiktion distanziert, ironisch, etc. gegenüber zu stehen. Das, was uns “fiktiv” anmutet und daher den erfindenden Autoren Snorri für uns konkret werden läßt, ist jedoch in Wirklichkeit etwas anderes: Letztlich unterscheidet sich die Fiktion der Snorra Edda von dem, was Snorri in der Heimskringla und was die isländischen Sagaerzähler in ihren Sagas tun, nicht allzu sehr. In Heimskringla läßt Snorri das geschichtliche Geschehen in “miterlebten Szenen” wiedererstehen: Die geschichtlichen Protagonisten werden in Dialogen miteinander konfrontiert, die in ihrer konkreten, aufs Pergament gekommenen Gestalt plausibel sind und in dieser ihrer Plausibilität den gleichen “naiven” Authentizitätscharakter beanspruchen, den auch die Dialoge der Heldensage besitzen: “So und nicht anders haben die Heroen gesprochen.” Die Authentizitätsillusion des gesprochenen Wortes ist es, die dem Erzählten seinen Wahrheitscharakter als etwas “Geschichtlich-Wahres-und-so-Gewesenes” schafft und die den Gedanken daran, daß dieses Erzählen individuelle Fiktion, Erfindung, willkürliches Gebilde der Autorenphantasie sei, gar nicht erst aufkommen läßt. Damit aber sind Snorra Edda, Heimskringla und Íslendingasögur in ihrem Authentizitätsanspruch letztlich analog (trotz der Gattungsunterschiede, die die Snorra Edda natürlich an die mythologie moralisée heranrücken). Hierzu stellt sich die von Rory McTurk beobachtete erzähltechnische Nähe der Snorra Edda zu den Sagas: “Ytri og innri frásögn i Snorra-Eddu”, 155–62. Beide machen z.B. (insonders beim Erzählen übernatürlicher Vorgänge) Gebrauch von dem, was McTurk “ytri og innri sjónbeining” nennt, also etwa Außen- und Innensicht des erzählten Geschehens. So verschiebt sich in Rezensionen dem Satz aus Gylfaginning “er hann kom inn í borgina þá sá hann þar háva holl” nach borgina die Perspektive von ytri zur innri sjónbeining, denn “það er enginn vafi á því, að Gylfi sér höllina, en hvort hún hefur verið þar í raun og veru er látið ósagt, og óvíst er, hvort hún hefur verið það, þar sem í næstu setningu á undan er minnst á sjónhverfingar” (160). Genau solche vergleichenden Untersuchungen der Erzähltechnik von Snorra Edda, Heimskringla, Sagas und anderen Textarten sind vonnöten. Denn auch der isländische Elucidarius und sein lateinisches Original des Honorius Augustodunensis sind in ihrer Form noch “authentisches Gespräch” eines fragenden Sohnes und antwortenden Vaters insofern, als ein Sohn diesen Inhalt im Mittelalter schlechterdings nicht anders erfragen und ein Vater ihn nicht anders als in den dargebotenen Antworten darlegen kann: Die “Kanonizität” des Inhaltes und Stoffs — hier der christlichen doctrina, dort der paganen frœði — verleiht der Dialogform den Schein fragloser Authentizität, da ein Bewußtsein der Eigenständigkeit und der Eigengewichtigkeit des Erzählens selber noch nicht existiert. Es fehlt also noch die Möglichkeit, die Tatsache, daß erzählt wird, selbst zum Gegenstand der Reflexion und des Diskurses zwischen Autor und Zuhörer zu machen. Mythenvarianten sind (worauf Preben Meulengracht Sørensen zu Recht hinweist), für Snorri nicht länger “gleichberechtigt nebeneinander stehende Mythen”, sondern unterschiedliche Traditionen, die gemäß mittelalterlicher Historiographiepraxis von ihm linear harmonisiert oder relativiert werden. Erst im Spätmittelalter und Barock aber wird mit dem modernen Roman die Autonomie des fiktionalen Erzählens bewußt eingesetzt. In der Gylfaginning schafft Snorri mit Hilfe des vorgeschichtlichen Königs Gylfi einen Rahmen analog zu jenen anderen szenischen Rahmen für die geschichtlichen Ereignisse, die um die “historischen” Könige wie Hálfdan svarti, Haraldr hárfagri, Hákon góði entstehen: Die mythischen Erzählungen von den Æsir sind nichts anderes als die Verlängerung der Geschichte der nordischen Dynastien in die mythische Vorgeschichte hinein: Diese ist alvíssmál 3 (1994): 121–28 127 kein Reich der individuellen Erfindung, sondern geschichtliche Realität. Hierauf weist gerade die von Clunies Ross (“Skáldskaparmál”: Snorri Sturluson’s ars poetica and Medieval Theories of Language [Odense: Odense Univ. Press], 1987) herausgeholte Sprachtheorie Snorris, die in der Kenningsprache die Authentizitätsgarantie des Überlieferten erblickt: Snorris ganze Edda ist in seiner Auffassung lediglich Auslegung dieser Kenning-Mythologie. Er ist Arrangeur dieser Überlieferung, nicht, wie der author of fiction, nur “Erfinder” eines Spiegels seiner eigenen Wirklichkeit. Die Frage der Fiktionalität im 13. Jahrhundert ist offen. Sie wird weiter im Zentrum unserer Bemühungen stehen müssen. Das — entgegen der Forschungsmeinung — sinnvolle jeweilige Arrangement aller vier Teile der Snorra Edda in den vier Haupthandschriften und die gleichermaßen vom Rezeptionsinteresse der HandschriftAuftraggeber und Kompilatoren bestimmte sinnvolle Integration nicht-snorronischer Texte wie der Grammatischen Traktate durch die “Verfasser” weist Thomas Krömmelbein in einem hochwillkommenen Beitrag nach (“Creative Compilers: Observations on the Manuscript Tradition of Snorri’s Edda”, 113–29): “It is important that we appreciate each of the various Snorra Edda–compilations as a literary individual” (116). Am eindrucksvollsten gilt dies für Upsaliensis: Die Plazierung des Zweiten grammatischen Traktats zwischen Skáldskaparmál und Háttatal begründet sich mit der Absicht, den Vers- und Reimformen des letzteren eine theoretische linguistische Fundamentierung voranzustellen. Der “Einschub” der drei auf die Sturlungendynastie und Snorri selbst beziehbaren Texte Skáldatal, Ættartala Sturlunga, Logsogumannatal und der dekorativen Illustration auf folio 26v nach dem mythenerzählenden Teil der Skáldskaparmál und vor ihrem rein poetologischen Teil wirkt wie ein Abschluß des Mythenteils und wird von Krömmelbein zugleich als enkomiastische Heraushebung von Snorris “social position as skald at the Norwegian court, his position in the Sturlung family, and finally his position in Icelandic society” gewertet (123). Dem möchte der Rezensent hinzu- 128 fügen, daß der logischen Ordnung der “Großstruktur” der Snorra Edda–Teile in Codex Upsaliensis die zahlreichen kleinen und kleinsten, aber höchst signifikanten Texteingriffe und -änderungen entsprechen, die gleichfalls ein Konzept und eine durchgängige Sicht des Stoffes anzeigen. Wir sollten also jeden Codex für sich interpretieren. Wie es um Snorris Urtext bestellt ist, kann eigentlich erst dann, wenn diese Arbeit geleistet ist und die Eigentendenzen der vier Haupthandschriften jenseits solch ungenügender Kommentare in den Ausgaben wie “Upsaliensis neigt zu Kürzungen” erfaßt sind, eruiert werden. Ol’ga A. Smirnickaâ (“Mythological Nomination and Skaldic Synonymics”, 217– 25) nimmt Snorris uns unbefriedigt lassende “Kenningdefinition” zum Anlaß, durch Kontrastieren solch angeblich mythischer Kenningar wie sig-Týr oder hanga-Týr (für Óðinn als “Gott des Sieges” oder “Gott der Gehenkten”) lediglich Namencharakter anzunehmen wie bei Fenris-úlfr oder Yggdrasils askr, so daß Snorri “mythical names as skaldic kennings” ausgegeben habe. Ausgehend von dem appellativischen Charakter des Wortes týr ‘Gott’ (besonders im Plural tívar ‘Götter’) macht Smirnickaâ auf die Tendenz aufmerksam, daß in MannKenningar wie auð-Týr, beiði-Týr, sigNjorðr, her-Baldr der Göttername als Kenning-Grundwort zum bloßen Ableitungs-Suffix verkomme (in flótta felliNjorðr habe Njorðr die Qualität des deverbativen Suffixes -ir eines ia-Stammes fellir) und umgekehrt das substantivische Vorderglied in Zusammensetzungen wie sig-Týr oder eben sig-týr und analog zu Fimbul-týr in Geir-Niflungr (entsprechend altengl. Gār-Dene) zu einem Verstärkungspräfix reduziert werde, ins Extrem gebracht: ähnliche Aushöhlung erfahre wie þjóð ‘Volk’ in þjóð-á ‘großer Fluß’. Das ist sicherlich eine Tendenz, wurde aber schon von Ernst Albin Kock in seinen Notationes Norroenae (die Smirnickaâ nicht heranzieht) gesehen — und gewaltig übertrieben. Sie dürfte sich in der späteren Zeit mit dem Überhandnehmen banaler schematischer Kenningar vom Typ tungls setr und dergleichen verstärkt haben. Die echte Kenningkunst der forn skáld ist damit nicht charakterisiert. alvíssmál 3 (1994): 121–28 Rezensionen Nachzutragen sind noch die in andere Zusammenhänge — die Snorra Edda als kulturelles Erbe — führenden Beiträge: Einar G. Pétursson, “Edda á 17. öld” (19–34); Sveinn Yngvi Egilsson, “Eddur og íslensk rómantik: Nokkur orð um óðfræði Jónasar Hallgrímssonar” (255–69); schließlich Lars Lönnroth, “The Reception of Snorri’s Poetics: An International Research-Project”, (143–54). Snorrastefna ist ein gewichtiger Eröffnungsband für die Schriftenreihe der Stofnun Sigurðar Nordals und nahezu in allen seinen Teilen direkt oder indirekt würdige Hommage an den Namenspatron. Gerd Wolfgang Weber