Verschiedene Einwände gegen den Hedonismus besagen, dieser

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Verschiedene Einwände gegen den Hedonismus besagen, dieser
Paradox Vorlesung Wolf Hedonismus Frühling 2008
DAS PARADOX DES HEDONISMUS
Verschiedene Einwände gegen den Hedonismus besagen, dieser sei in sich selber
widersprüchlich.
Erster Widerspruch: „The ‚pursuit of pleasure‘ is a phrase which calls for a smile or a sigh,
since the world has learnt that, if pleasure is the end, it is an end which must not be made one,
and is found there most where it is not sought.“ (Bradley 1876/ 1988, 87) Lust gehört zu den
Dingen, die nicht direkt angestrebt werden können. Wird x direkt gesucht, gewünscht und
bewußt herbeigeführt, so wird x verfehlt. Zu diesen Dingen gehört der Schlaf – Menschen, die
schlafen wollen (weil sie am anderen Morgen früh aufstehen sollten und genug lange schlafen
wollen), bleiben extra lange wach. Nur wenn sie aufhören, x zu wollen oder an x zu denken,
werden sie x erreichen. „pleasure-seeking is bound to be impractical and even self-defeating:
constant attempts to maximize pleasure tend to frustrate agents rather than delight them. “
(Timmermann 2005, 144)
Der erste Einwand trifft folgende Formulierung des Hedonismus: „Suche Lust!“ „Denke
immer an (deine) Lust!“ „Versuche, deine Lust oder die Lust in der Welt zu maximieren!“ Es
sind dies die „obsessiven“ Formen des Hedonismus, die den Hedonismus als Vorschrift zur
„Jagd nach der Lust“ verstehen. Nicht nur der Hedonismus, sondern auch andere Theorien
stehen unter dem Verdacht, praktisch widersprüchlich oder selbstaufhebend [self-defeating]
zu sein. Vgl. Parfit 1984, ch. 1 and 2; Dancy 1997.
Erwiderung auf den ersten Widerspruch: Kluge Hedonisten werden die Lust nicht direkt
anstreben, sondern Lust immer dann schätzen, wenn sie diese finden. („Carpe diem“) Lust
stellt sich dann ein, wenn wir an andere Dinge denken und andere Dinge tun. Der Hedonismus
deklariert Lust als das einzig intrinsisch Gute, nicht als das, was permanent direkt angestrebt
werden soll.
Zweiter Widerspruch: Der Hedonismus behauptet, es gebe nichts Wichtigeres als Lust.
Gleichwohl betrachtet er Lust bloß als Nebenprodukt unserer Aktivitäten, nicht als direktes
Ziel. Kann die wichtigste Sache der Welt ein bloßes Nebenprodukt sein? Aristoteles versteht
Lust als ein typisches Nebenprodukt und steht deshalb dem Hedonismus ablehnend
gegenüber. (Vgl. Ricken 1995; Frede 2006)
Erwiderung auf den zweiten Widerspruch: Der Ausdruck „Nebenprodukt“ ist zweideutig.
Er kann besagen: Ein Produkt von geringen Wert. Der Ausdruck kann aber auch besagen:
Etwas, was nicht (oder nicht immer) direkt gesucht und angestrebt werden sollte. Nur diese
zweite Bedeutung ist für den Hedonismus relevant. Sie bedeutet keine Abwertung der Lust.
Lust wird gleichsam zum wichtigsten „Hintergrundwert“, der allen anderen Werten Farbe und
Glanz verleiht. Vordergrundwerte werden direkt angestrebt; Hintergrundwerte bilden die
„Resonanz“ für alle Werte, das was alle Werte zu Bestandteilen eines guten oder sinnvollen
Lebens macht. („meaningfull life“) Dies entspricht der Tatsache, die auch manche NichtHedonisten wie z.B. Aristoteles zugeben, nämlich daß ein Leben ohne Lust unmenschlich und
nicht glücklich wäre.
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Dritter Widerspruch: Der Hedonismus setzt die Lust gleich mit dem Guten. Damit wird die
Frage „Ist diese Lust auch wirklich gut?“ zu einer überflüssigen oder sinnlosen Frage. Doch
wir sind fähig, verschiedene Lüste/ Freuden zu beurteilen und die einen als wichtiger, banaler
oder gar schädlich zu beurteilen. Die Frage: „Ist diese Lust/ Freude auch wirklich gut?“ sollte
daher eine offene Frage bleiben. Der Hedonismus macht diese Frage unmöglich. („Openquestion-argument“, G.E. Moore 1903, ch. 3)
Erwiderung auf den dritten Widerspruch: Der Hedonismus setzt die Lust nicht
(definitorisch oder ontologisch) gleich mit dem Guten, sondern er formuliert ein Urteil: Alle
Lust ist in sich gut. Dieses Urteil schließt nicht aus, daß Lust in manchen Fällen extrinsisch
schlecht ist, weil sie z.B. zu mehr Unlust führt (wie z.B. unmäßiges Trinken). Der
Hedonismus behauptet als nicht, Lust sei das Gute und es könne keine extrinsisch schlechte
Lust geben.
Vierter Widerspruch oder das „neue Paradox des Hedonismus“: Es gibt so etwas wie zu
viel Lust – das heißt, Lust, die uns zu langweilen beginnt oder die – obwohl sie tatsächlich
Extralust darstellt – als überflüssig, störend oder unpassend abgelehnt werden kann. „The
argument runs as follow: there can be cases in which we reject pleasure because there is too
much of it [...] Sometimes we decide that pleasure is bad, or not worth having, not because of
any extrinsic factor like moral, aesthetic etc. constraints but rather because one is
experiencing enough pleasure to the point that more would be in itself undesirable. Strong
sensual stimulation can be like that: intense food, being tickled, sexual pleasure. In these
cases, the pleasure on offer, beyond a certain point, simply exceeds the limit of what we can
beat. “ (Timmermann 2005, 144) Dieser Einwand „Genug ist genug, mehr davon wäre
schlecht“ erzeugt ein „neues Paradox“, das betont, daß es die Lust selber ist, die schlecht ist,
nicht ein extrinsischer Faktor. Dieses Paradox kann daher nicht gleich behandelt werden wie
der dritte Widerspruch, der sich auf das Unmass von Lust bzw. die extrinsischen Faktoren
(wie Ermüdung, Ekel und andere Leiden) betont.
Erwiderung auf den vierten Widerspruch (): Es ist bezeichnend, daß Timmermann
Beispiele wählt, die alle aus dem Bereich der Sinnesempfindung stammen und alle
empfänglich sind für gewisse Exzesse, die mit Stimmungsschwankungen und einem
Umschlagen in negative Gefühle verbunden sind. Auch diese Formulierung kommt nicht ganz
ohne die Erwähnung extrinsischer Faktoren aus, insbesondere die Erwähnung von Langeweile
oder Abstumpfung durch Wiederholung oder Verlängerung von Lust. Das „neue Paradox“
trifft insbesondere die Auffassung, der Hedonismus verpflichte sich zur Maximierung von
Lust. Die Frage, ob wir ein Gut maximieren (oder nur bewahren oder nur suboptimal fördern
sollten) ist aber keine Frage des Hedonismus, sondern eine Frage der Wahl von Standards der
Rationalität. Der Hedonismus besagt zwar, Lust sei in sich gut, aber er besagt nicht
automatisch, daß wir einen Grund haben, das was in sich gut sei zu maximieren. Eine
Auffassung von Rationalität unter anderen besagt, wir hätten immer einen Grund, das Gute zu
maximieren. Doch dies ist nicht die einzige und vielleicht auch nicht die perfekte Form von
Rationalität. „ [...] we should give up the claim that we always have reason to maximize the
good. “ (Hills 2008, 56) Wie Allison Hills zeigt, trifft das „neue Paradox“ nicht den
Hedonismus, sondern das Modell von Rationalität, das oft als das einzige vorausgesetzt wird.
Die Annahme, wir hätten immer einen Grund, das Gute, also die Lust zu maximieren, ist
angreifbar. Maximierung ist nicht die einzige oder die höchste Form von Rationalität. Es gibt
andere und bescheidenere Formen der Rationalität als das Modell der Maximierung. Diese
sind nicht nur im Alltag, sondern z.B. auch in ökonomischen Theorien anerkannt. Es gibt
diverse Strategien der Förderung und Bewahrung. Neben dem „maximizing“ gibt es z.B. das
„satisficing“. Vgl. Slote 1989. Ein Hedonist, der sich mit einer Tasse Kaffe begnügt (weil er
findet „Genug der Freude“) ist kein irrationaler oder selbstwidersprüchlicher Hedonist. Ein
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Spekulant an der Börse, der einen Gewinn gemacht hat und danach entschließt, früher nach
Hause zu gehen, ist kein unvernünftiger Spekulant. Es gibt keinen zwingenden Grund, jedem
Gewinn noch einen Extragewinn und jedem Bonus noch einen Extrabonus hinzuzufügen. Ein
einziger fetter Gewinn ist genug! Auch der Spekulant kann sich sagen: „Let it be a day“ und
nach Hause gehen. Damit erweist sich das „neue Paradox des Hedonismus“ eher als eine
„Paradox der Maximierung“, genauer gesagt der Auffassung, Maximierung sei die einzige
oder höchste Form der rationalen Wahl.
Die Kritik am Ideal der Maximierung könnte auch einen Beitrag leisten zum „Paradox der
bloßen Hinzufügung“, nämlich in der Ableitung einer Pflicht, möglichst viel glückliche
Wesen hervorzubringen. Sind der Hedonisten verpflichtet, unter sich nicht verschlechternden
Bedingungen möglichst viele Kinder zu haben? (Vgl. Fricke 2002)
Diese Überlegungen werfen auch ein kritisches Licht auf bestimmte Definitionen von Lust,
etwa auf folgende Definition: Lust ist jeder Bewusstseinszustand, den wir (ceteris paribus,
d.h. unter gleich bleibenden Umständen, ohne verschlechternde extrinsische Faktoren)
verlängern oder steigern wollen. Eine Theorie der Lust als Motivation besagt: „ [...] for an
experience to be pleasant is for it to make the person want its continuation. “ (Vgl. Brandt
1979, 38; Wolf 1981) Wie bereits gesagt wurde, haben wir keinen zwingenden Grund, Lust
(ceteris paribus) immer zu maximieren. So gesehen ist diese Definition nicht angemessen,
unterstellt sie doch (ohne Grund) das Modell der Maximierung als das einzige gültige.
Literatur
Bradley, F.H. (1878/1988): Ethical Studies, Oxford: Clarendon Press.
Brandt, Richard B. (1979): A Theory of the Good and Right, Oxford: UP.
Dancy, Jonathan (1997) (ed.): Reading Parfit, Oxford, Malden: Massachusetts: Blackwell.
Frede, Dorothea (2006): Pleasure and Pain in Aristotle’s Ethics, in: The Blackwell Guide to
Aristotle’s Nicomachean Ethics, ed. by Richard Kraut, Malden, MA, Oxford, Carlton:
Blackwell, 255-275.
Fricke, Fabian (2002): Parfits „Paradox der bloßen Hinzufügung“: Anstoß für eine untypische
Version des Utilitarismus, in: Grazer Philosophische Studien 64, 175-207.
Hills, Alison (2008): Value, Reason and Hedonism, in: Utilitas 20, 1 (March 2008) 50-58.
Moore, George Edward (1903): Principia Ethica, new edition Cambridge: UP 1993.
Parfit, Derek (1984): Reasons and Persons, Oxford: Clarendon Press.
Ricken, Friedo (1995): Wert und Wesen der Lust (Nic. Ethi. VII, 12-15 und X, 1-5), in: Die
Aristotelische Ethik, hg. von Otfried Höffe, Berlin: Akademie Verlag, 207-228.
Slote, Michael (1989): Beyond Optimizing. A Study of Rational Choice, Cambridge,
Massachusetts, London: Harvard UP.
Timmermann, Jens (2005): Too much of a good thing? Another paradox of hedonism, in:
Analysis 65, 2 (April 2005) 144-146.
Wolf, Jean-Claude (1981): Richard B. Brandt: A Theory of the Good and the Right, in:
Zeitschrift für philosophische Forschung 35, 107-310.
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