Kinder zwischen Heimerziehung und Kinder– und Jugendpsychiatrie
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Kinder zwischen Heimerziehung und Kinder– und Jugendpsychiatrie
Inga Abels Umschlagbild: Paula Pipa „Die Seelensucher“ Zur Kunstrichtung „Outsider ART“: „Die Urheber dieser Werke sind hauptsächlich Menschen, die ungewöhnliche Erfahrungen gemacht haben oder tiefgreifenden seelischen Belastungen ausgesetzt sind: Psychisch Kranke, geistig Behinderte, Strafgefangene, Menschen am Rand der Gesellschaft, im sozialen Abseits, in freiwilliger oder ungewollter Isolation. Sie sind nicht oder nur teilweise in die Gesellschaft integriert (Outsider). So ist es auch mit ihrer Kunst. Sie ist den kulturellen Einflüssen weitgehend entzogen. Ihr bildnerisches Schaffen findet außerhalb der Sphäre der offiziellen Kunstszene und unabhängig von den Stilvorgaben statt, ohne jegliche Vorbilder, nur aus der inneren Notwendigkeit, jedoch nicht in professioneller Absicht. Sie haben weder eine künstlerische Ausbildung noch technische Kenntnisse vorzuweisen. […] Gleichwohl hat die Kunst der Außenseiter nunmehr zunehmend das Interesse der Kunstwelt erweckt. Eine Vielzahl von Werken fand Akzeptanz im freien Handel und ist seither in bedeutendsten Sammlungen und Museen vertreten. Die wachsende Anerkennung fördert in erster Linie das Selbstvertrauen, Lebensqualität und die soziale Integration der Außenseiter, hat jedoch auch zur Folge, dass durch Kommerzialisierung die Grenzen verwischt werden. Letztlich bleibt das spontane, ursprüngliche Ausdrucksbedürfnis in seiner Authentizität ausschlaggebend für die Outsider Art“ (Quelle: http://www.outsider-bildwelten.de). Kinder zwischen Heimerziehung und Kinder– und Jugendpsychiatrie Übergänge im Erleben der Betroffenen Weitere Zeichnungen von Paula Pipa und anderen Künstlern sind unter der oben genannten Internetadresse zu sehen. Umschlagbild: Paula Pipa „Die Seelensucher“ Zur Kunstrichtung „Outsider ART“: „Die Urheber dieser Werke sind hauptsächlich Menschen, die ungewöhnliche Erfahrungen gemacht haben oder tiefgreifenden seelischen Belastungen ausgesetzt sind: Psychisch Kranke, geistig Behinderte, Strafgefangene, Menschen am Rand der Gesellschaft, im sozialen Abseits, in freiwilliger oder ungewollter Isolation. Sie sind nicht oder nur teilweise in die Gesellschaft integriert (Outsider). So ist es auch mit ihrer Kunst. Sie ist den kulturellen Einflüssen weitgehend entzogen. Ihr bildnerisches Schaffen findet außerhalb der Sphäre der offiziellen Kunstszene und unabhängig von den Stilvorgaben statt, ohne jegliche Vorbilder, nur aus der inneren Notwendigkeit, jedoch nicht in professioneller Absicht. Sie haben weder eine künstlerische Ausbildung noch technische Kenntnisse vorzuweisen. […] Gleichwohl hat die Kunst der Außenseiter nunmehr zunehmend das Interesse der Kunstwelt erweckt. Eine Vielzahl von Werken fand Akzeptanz im freien Handel und ist seither in bedeutendsten Sammlungen und Museen vertreten. Die wachsende Anerkennung fördert in erster Linie das Selbstvertrauen, Lebensqualität und die soziale Integration der Außenseiter, hat jedoch auch zur Folge, dass durch Kommerzialisierung die Grenzen verwischt werden. Letztlich bleibt das spontane, ursprüngliche Ausdrucksbedürfnis in seiner Authentizität ausschlaggebend für die Outsider Art“ (Quelle: http://www.outsider-bildwelten.de). Weitere Zeichnungen von Paula Pipa und anderen Künstlern sind unter der oben genannten Internetadresse zu sehen. Universität Siegen Integrierter Studiengang Sozialpädagogik und Sozialarbeit Fachbereich II Diplomarbeit Kinder zwischen Heimerziehung und Kinder- und Jugendpsychiatrie Übergänge im Erleben der Betroffenen vorgelegt von: INGA ABELS Im Neuenhof 32 57072 Siegen Matrikelnummer: 601755 Referent: Prof. Dr. KLAUS WOLF Koreferentin: PD Dr. IMBKE BEHNKEN Siegen im Februar 2006 Danksagung Danksagung Zunächst möchte ich mich bei den Mitarbeitern der verschiedenen Einrichtungen bedanken, die mir den Zugang und Kontakt zu meinen Interviewpartnern ermöglichten. Bei ihnen bin ich auf großes Interesse am Thema meiner Arbeit und engagierte Hilfe gestoßen, womit ich im Vorfeld nicht gerechnet hatte. Besonders zu erwähnen sind die Jugendlichen, die sich bereit erklärt haben, an den Interviews teilzunehmen. Bei ihnen bedanke ich mich für ihre Hilfe und Bereitschaft, womit sie einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung der Arbeit in dieser Form geleistet haben. Sie gewährten mir besondere Einblicke in ihr Leben und haben mir die Interviewsituationen, in die ich immer mit großer Anspannung ging, durch ihre offene Art erleichtert. Ich wünsche ihnen alles Gute für die Zukunft. Professor Doktor Klaus Wolf danke ich für seine Begleitung und Unterstützung während der Diplomarbeit und dafür, dass er unermüdlich vermittelt, was das Besondere am ‚sozialpädagogischen Blick’ ausmacht. Ein großes Dankeschön geht an Dirk Schäfer, Frank Moschner, Sven Hinck und Thomas Baumann dafür, dass sie neben ihrem Studium und/oder Beruf viele Stunden in das Lesen und Korrigieren meiner Diplomarbeit investiert haben und mir halfen, wenn ich mal wieder auf der Stelle trat. Meiner ‚Mitstreiterin’ Kathrin Klein danke ich dafür, dass sie alle Höhen und Tiefen der letzten vier Monate so gut nachvollziehen konnte, wie wahrscheinlich niemand sonst. Nicht zu vergessen sind all die, die es nicht leid wurden, sich Geschichten aus der Welt der Diplomarbeit anzuhören und die mich auf verschiedene Art und Weise unterstützt haben. Danke sagen möchte ich auch meiner Familie Angelika, Christoph und Lisa Abels, weil sie mich nicht nur während meines Studiums, sondern immer unterstützen und unterstützt haben und so oft viel mehr an mich glauben als ich selbst. 2 Vorwort Vorwort Ansgar, ein 19-jähriger Patient einer Kinder- und Jugendpsychiatrie schreibt: NORMAL, das sind nur die anderen. Viele wollen normal sein, und keiner schafft es. Normal ist, wenn die Sonne scheint, der Regen weint, der Wind an den Blättern rüttelt und der Mensch …das ist normal. Normal ist der, der tut, was „man“ tut. VERRÜCKT ist, wenn die Sonne weint, der Regen scheint, und der Wind an dem Menschen rüttelt. Verrückt ist, wenn man das Leben an sich rütteln läßt. Aber das ist nicht verrückt. Das heißt: zu leben. Die Idee, meine Diplomarbeit zum Thema „Kinder 1 zwischen Heimerziehung und Kinderund Jugendpsychiatrie“ zu schreiben, entstand durch meine Teilnahme an einem Praxisforschungsprojekt in Kooperation zwischen der Universität Siegen und einem Jugendamt. Ziel dieses Projektes war anhand von Aktenanalysen zu untersuchen, wie Entscheidungen im Rahmen von Hilfen zur Erziehung getroffen werden. Im Laufe des Projektes kristallisierte sich heraus, dass eine Reihe von Kindern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht wurden, wobei die Begründungen für die Unterbringungen oft nicht nachvollziehbar erschienen. Sensibilisiert durch die Diskussionen an der Universität und innerhalb des untersuchten Jugendamtes begann ich, auch in der Heimeinrichtung, in der ich tätig war, die dortige ‚Zusammenarbeit’ mit der Kinder- und Jungendpsychiatrie – die mir vorher ganz selbstverständlich erschienen war – zu hinterfragen. Ich stieß auf die Meinungen, dass den Kindern in der Psychiatrie ‚besser geholfen’ werden könne und die Heimeinrichtung, in der ich arbeitete, für diese Kinder nicht ‚die richtige’ sei. Außerdem sei die Kinder- und Jugendpsychiatrie personell viel besser ausgestattet und könne unter Umständen auch mal mit Zwangsmaßnahmen reagieren, was in der Heimerziehung schon allein rechtlich nicht möglich sei. Auf meine Einwände, ob es sich denn nicht eher um pädagogische als psychiatrisch zu behandelnde Probleme handle, bekam ich selten eine konkrete Antwort. 1 Im Folgenden werde ich der Einfachheit halber nicht immer explizit von ‚Kindern und Jugendlichen’ sprechen. Ich werde den Begriff ‚Kind’ für Minderjährige bis zum 18. Lebensjahr verwenden, Jugendliche sind in dieser Formulierung gleichberechtigt mit eingeschlossen. 3 Vorwort In Heimeinrichtungen leben Kinder, die manchmal Verhaltensweisen zeigen, die man auf den ersten Blick nicht nachvollziehen kann, die überfordern können und vielleicht sogar eine Bedrohung für Pädagogen 2 , andere untergebrachte Kinder und die betroffenen Kinder selbst darstellen. Dies kann bei den Pädagogen das Gefühl der Hilflosigkeit auslösen. Aus dieser Perspektive ist der Wunsch, solche Kinder in der Psychiatrie unterzubringen und die mit der Unterbringung verbundene Erleichterung vielleicht in einem gewissen Maße nachvollziehbar. Die Ruhe im nächsten Nachtdienst ist gesichert und man wird nicht allein dastehen, wenn ein einzelnes Kind es schafft, den Rest der Gruppe aufzumischen. Gefahr gebannt! Aber ist die Unterbringung auch fachlich begründet und legitimiert? Gerade bei den ‚besonders Schwierigen’ sollten Pädagogen doch hinterfragen, warum sie sind, wie sie sind und was ihnen geboten werden kann, um ihnen konstruktive Lernerfahrungen zu ermöglichen. Hier reicht es dann nicht aus, sich auf psychiatrische Diagnosen zu verlassen und das Kind als ‚krank’ zu bezeichnen. Stattdessen muss man den Kindern zuhören und zumindest versuchen, ihr Verhalten im Kontext ihrer Lebenserfahrungen zu dechiffrieren. Dann erscheint ‚verrücktes’ Verhalten möglicherweise fast normal, weil es die Reaktion auf die ‚ver-rückte’ Welt ist, in der sie leb(t)en. Eine Welt, in der das Leben – vielleicht mehr als an anderen – an ihnen gerüttelt hat. 2 Die vorliegende Arbeit ist in der maskulinen Form geschrieben, um die umständliche Benennung jeweils beider Geschlechter zu vermeiden, bezieht dabei aber gleichberechtigt Männer und Frauen mit ein. 4 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Danksagung.........................................................................................................................2 Vorwort .........................................................................................................................3 Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................5 Einleitung .........................................................................................................................7 Kapitel I: Theoretische Grundlagen .................................................................... 8 1. Heimerziehung.................................................................................................................8 1.1 Die Verortung der Heimerziehung im Kinder- und Jugendhilfegesetz...........................8 1.2 Was ist Heimerziehung?................................................................................................9 1.3 Anlässe und Ziele von Heimerziehung ........................................................................13 2. Kinder- und Jugendpsychiatrie ......................................................................................18 2.1 Das medizinische Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie/ -psychotherapie .................................................................................................................18 2.2 Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie ...............................................................19 2.3 Anlässe und Ziele der kinder- und jugendpsychiatrischen Unterbringung...................20 3. Einführung in die aktuelle Diskussion um das Verhältnis zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie......................................................................................25 3.1 Konfliktlinien der Hilfesysteme.....................................................................................25 3.2 Kritik an der kinder- und jugendpsychiatrischen Unterbringung ..................................27 3.3 Die gegenseitige Inanspruchnahme ............................................................................28 4. Übergänge als kritische Lebensereignisse ....................................................................31 4.1 Begriffsbestimmung ‚kritisches Lebensereignis’ ..........................................................31 4.2 Übergänge in die Heimerziehung bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie als kritisches Lebensereignis ..................................................................................................32 Kapitel II: Anlage der Untersuchung ................................................................ 36 1. Das zentrale Erkenntnisinteresse ..................................................................................36 2. Das Erhebungsdesign ...................................................................................................39 2.1 Welche Menschen sollen befragt werden?..................................................................39 2.2 Auswahl geeigneter Untersuchungsmethoden ............................................................40 3. Durchführung der Untersuchung ...................................................................................44 3.1 Kontaktaufnahme.........................................................................................................44 3.2 Durchführung der Interviews........................................................................................45 3.3 Nachbereitung der Interviews und Aufbereitung der Daten.........................................46 4. Das Auswertungsverfahren ...........................................................................................47 5 Inhaltsverzeichnis Kapitel III: Betrachtung der Hilfeverläufe ......................................................... 50 1. Aylin ............................................................................................................................51 1.1 Das Leben bei der Mutter ............................................................................................52 1.2 Die erste Wohngruppe.................................................................................................53 1.3 Das Leben beim Vater .................................................................................................55 1.4 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie..............................................................................60 1.5 Die zweite Wohngruppe...............................................................................................64 2. Tim ............................................................................................................................70 2.1 Die ersten drei Lebensjahre.........................................................................................70 2.2 Die Pflegefamilie..........................................................................................................71 2.3 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie..............................................................................73 2.4 Die Wohngruppe..........................................................................................................78 3. Elfriede...........................................................................................................................83 3.1 Das Leben bei den Eltern ............................................................................................84 3.2 Das erste Heim ............................................................................................................84 3.3 Das zweite Heim..........................................................................................................87 3.4 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie..............................................................................89 Kapitel IV: Auswertung der Ergebnisse und Folgerungen ............................. 93 1. Zusammenfassung der Ergebnisse ...............................................................................93 1.1 Die Wahrnehmung der Unterbringungsprozesse ........................................................93 1.2 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie..............................................................................95 1.3 Die Heimeinrichtungen ................................................................................................96 1.4 Die Relevanz von Regeln und Strukturen....................................................................97 1.5 Die Relevanz von Personen innerhalb der Einrichtungen ...........................................98 1.6 Die Bedeutung der Eltern ............................................................................................99 2. Schlussfolgerungen .....................................................................................................101 Persönliche Schlussbemerkungen ..................................................................................106 Literaturverzeichnis..........................................................................................................108 Verzeichnis verwendeter Onlinedokumente ....................................................................115 Abkürzungsverzeichnis....................................................................................................116 Anhang ................................................................................................................... I 6 Einleitung Einleitung Seit Jahren gibt es eine Fachdiskussion zwischen Vertretern der Jugendhilfe und denen der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Hier geht es um den Versuch, sich voneinander abzugrenzen, aber auch um die Frage, wie die Kooperation der beiden Fachgebiete verbessert werden kann. Hervorgerufen wurde diese Diskussion dadurch, dass es Kinder gibt, bei denen sich beide Fachgebiete auf den Plan gerufen fühlen – oder die Vertreter des einen die Verantwortung beim jeweils anderen Gebiet sehen. Im Mittelpunkt meiner Arbeit sollen Kinder stehen, die sowohl Erfahrungen mit einem Leben im Heim, als auch mit der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie haben. Sowohl der theoretische als auch der empirische Teil beschäftigt sich mit der Frage, was die Anlässe und Ziele von Übergängen in die Heimerziehung und/oder in die Kinder- und Jugendpsychiatrie sein können und wie diese Übergänge gestaltet sind. Was können die einzelnen Systeme den Kindern bieten, um ihr Leben zu bewältigen? Was stellt Belastungen dar? Das Ziel der Arbeit ist, die individuellen Sichtweisen der Kinder auf ihr Leben, darin eingebettete Übergänge und deren Rahmenbedingungen zu beleuchten, um so einen Transfer zwischen Theorie und Praxis zu ermöglichen. In Kapitel I soll in die theoretischen Grundlagen der Arbeit eingeführt werden. Es wird ein Überblick über die Systeme der Heimerziehung und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie gegeben, um anschließend eine Arbeitsdefinition der Begriffe zu entwickeln. Unter Punkt 3 des ersten Kapitels werden die wichtigsten Gesichtspunkte der oben genannten Fachdiskussion zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe aufgezeigt. In einem letzten Punkt werden Überlegungen angestellt, inwieweit Übergänge in die Heimerziehung oder in die Kinder- und Jugendpsychiatrie für die Kinder kritische Lebensereignisse darstellen können. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Anlage der Untersuchung. Neben der Festlegung des zentralen Erkenntnisinteresses und Erhebungsdesigns sollen die einzelnen Phasen der Untersuchung skizziert und abschließend das Auswertungsverfahren vorgestellt werden. In Kapitel III werden die Ergebnisse der durchgeführten Einzelinterviews anhand der geschilderten Hilfeverläufe vorgestellt. Die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse unter ausgewählten Einzelaspekten und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen werden in Kapitel IV vorgestellt. Im Anhang befinden sich die verwendeten Interviewleitfäden, die Erläuterung der Transkriptionsregeln sowie die Interviews in vollständig transkribierter Form. 7 Kapitel I: Heimerziehung Kapitel I: Theoretische Grundlagen 1. Heimerziehung Dieser Punkt dient dazu, einen theoriebezogenen Überblick über das Gebiet der Heimerziehung zu geben. Zunächst werde ich kurz in die gesetzlichen Grundlagen von Heimerziehung einführen. Anschließend werde ich auf die Vielfalt des Lebens- und Lernfeldes ‚Heim’ eingehen und eine Arbeitsdefinition des Begriffes ‚Heimerziehung’ vornehmen. In einem letzten Punkt werde ich mich damit auseinandersetzen, aus welchen Gründen Kinder in Heimen untergebracht werden und welchen fachlichen Anforderungen Heimerziehung im Einzelfall genügen muss. 1.1 Die Verortung der Heimerziehung im Kinder- und Jugendhilfegesetz Das achte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) – auch bezeichnet als Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) – regelt die Kinder- und Jugendhilfe. Ihr Ziel ist es, junge Menschen zu fördern, Eltern zu unterstützen, Minderjährige zu schützen und eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu schaffen (vgl. KUNKEL 2001, S.462 in Bezug auf § 1 Abs. 3 KJHG 3 ). Die Umsetzung dieser formulierten Zielsetzungen der Kinder- und Jugendhilfe wird durch die Festlegung unterschiedlicher Aufgabengebiete im KJHG konkretisiert (vgl. SCHONE 2004, S.29). Für die vorliegende Arbeit ist der Bereich ‚Hilfen zur Erziehung’ (§§ 27 ff. KJHG) von Bedeutung. Nach § 34 KJHG wird die Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung geregelt (einschließlich der Unterbringung in einer sonstigen betreuten Wohnform), in der Kinder in einer Einrichtung außerhalb ihres Elternhauses über Tag und Nacht untergebracht, betreut und erzogen werden (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.319). Heimerziehung stellt heute eine unter vielen Möglichkeiten des breit gefächerten Angebotsspektrums der Hilfen zur Erziehung dar (vgl. HAMBERGER 1998a, S.34). Bei allen Formen der Hilfen zur Erziehung liegt entsprechend der Regelung nach § 27 KJHG der 3 Korrekt müssten die Paragraphen mit dem Zusatz SGB VIII zitiert werden. Ich werde im Folgenden die Abkürzung KJHG verwenden, da diese sich in weiten Teilen der Literatur und Praxis eingebürgert hat. 8 Kapitel I: Heimerziehung Rechtsanspruch auf die jeweilige Hilfe beim Personensorgeberechtigten und nicht bei den Kindern selbst (vgl. BÜRGER 2001, S.643). 4 1.2 Was ist Heimerziehung? Heimerziehung gilt als die älteste Form gesellschaftlich organisierter Kinder- und Jugendfürsorge, deren Wurzeln zurück bis zu den Findel- und Waisenhäusern des Mittelalters reichen (vgl. BÜRGER 2001, S.632). Der Begriff ‚Heimerziehung’ ist hinsichtlich seiner Aussagekraft in der aktuellen Diskussion um Erziehungshilfen und seiner inhaltlichen Ausdifferenzierung nur noch beschränkt tauglich, die Heimerziehung gibt es nicht (vgl. HAMBERGER 1998a, S.37). HAMBERGER bezieht sich auf MÜNSTERMANN (1990), der vorschlägt, Heimerziehung als einen „konzeptionellen Begriff“ zu betrachten und sie somit losgelöst von allen institutionellen Aspekten wie Größe, Lage, Arbeitszeitregelung, Mitarbeiterstruktur etc. unter pädagogisch-konzeptionellen Gesichtspunkten zu definieren: „Heimerziehung meint a) ’daß Kinder und Jugendliche mit einer als defizitär definierten Sozialisation – also mit einer bestimmten Biographie – an einem anderen Ort als in der Ursprungsfamilie zeitweilig oder langfristig erzogen werden sollen und diese Erziehung aus organisatorischen oder pädagogischen Gründen im Kontext der Betreuung mehrerer Kinder und Jugendlicher geschehen soll; b) daß mehr als eine professionelle Betreuungsperson (.....) mit einem sozialpädagogischen Auftrag zur Erziehung von Kindern zur Verfügung steht’“ (MÜNSTERMANN 1990, S.24, zit. n. HAMBERGER 1998a, S.37). Der Begriff ‚Heimerziehung’ umschreibt also ein sozialpädagogisches Arrangement, in dem es um die Ausgestaltung eines Rahmens geht, der als ‚gesellschaftliche Erziehung’ charakterisiert werden kann (vgl. MÜNSTERMANN 1989, S.70). In diesem konzeptionellen Rahmen finden sich die unterschiedlichsten Betreuungskonzepte wieder (vgl. HAMBERGER 1998a, S.37). In der Folge der Heimerziehungsreform in den 70er und 80er Jahren entstanden vielfältige Angebotsformen neben der traditionellen Heimerziehungspraxis mit dem Ziel, weniger in die Lebensverhältnisse der Kinder einzugreifen und eine angemessene, individuelle Hilfe zu arrangieren (vgl. a.a.O, S.34). Heimerziehung umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensorte, die – um einige zu nennen – von größeren Einrichtungen mit mehreren Gruppen, heilpädagogischen und therapeutischen Heimen, Kleinsteinrichtungen, Einrichtungen mit Schichtbetrieb über Einrichtungen mit kontinuierli4 „Ausnahmen davon sind Hilfen nach § 34, die in Verbindung mit § 41 KJHG für junge Volljährige oder in Verbindung mit § 35a KJHG als Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche gewährt werden und bei denen jeweils der junge Mensch selber Träger des Rechtsanspruches ist“ (BÜRGER 2001, S. 643f.). 9 Kapitel I: Heimerziehung cher Betreuung in familienähnlichen Lebensformen reichen (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.320). In § 34 KJHG werden gleichrangig neben der institutionalisierten Betreuungsvariante (‚Einrichtung’) sonstige betreute Wohnformen aufgeführt, wozu beispielsweise familienähnliche Betreuungsangebote, Wohngemeinschaften, Jugendwohnen, aber auch Formen des betreuten Einzelwohnens zählen (vgl. a.a.O, S.320). Die verschiedenartigen Betreuungsangebote können jeweils als spezifisches sozialpädagogisches Feld mit unterschiedlichen pädagogischen Konzeptionen betrachtet werden (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.9). Vor allem der organisatorische Rahmen der unterschiedlichen Settings setzt Bedingungen, die die Gestalt des Lebens- und Lernfeldes stark beeinflussen. In unterschiedlichen Heimerziehungsarrangements leben und entwickeln sich Kinder, arbeiten Pädagogen auf jeweils spezifische Art. Weitere Einflussfaktoren sind beispielsweise das Wirken der Erzieherpersönlichkeiten, das gesellschaftliche Umfeld, die anderen Kinder (vgl. a.a.O., S.9f.). Wenn ich im Folgenden von Heimerziehung spreche, sind damit in Anlehnung an HAMBERGER (1998b) alle möglichen und in der Praxis vorfindbaren Betreuungskonzepte, die das Prinzip der institutionellen Betreuung an einem anderen Ort als der Herkunftsfamilie über Tag und Nacht verbindet (vgl. a.a.O., S.200) und die über Tagespflegesätze finanziert werden, gemeint. Im Rahmen dieser Arbeit soll nicht das gesamte Spektrum von Heimerziehungsformen aufgezeigt und mit sämtlichen Vor- und Nachteilen diskutiert werden. 5 Ich werde mich auf eine kurze Darstellung der für den empirischen Teil relevanten pädagogischen Settings beschränken, die eher den Anspruch eines groben Überblickes zum Verständnis der Arbeit, als den auf Vollständigkeit hat. Merkmale des Lebensfeldes ‚Großheim’ Hier leben zwischen 30 und 100 Kinder auf einem Gelände. Vielfach bestehen Großheime aus mehreren Wohnhäusern, in denen einzelne Gruppen untergebracht sind. Die Gruppen haben meist zwischen acht und zehn Mitglieder, die von drei bis fünf Mitarbeitern im Schichtdienst betreut werden (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.60). Großheime haben häufig weitgehende (zentrale) Versorgungssysteme – z.B. zentrale Hauswirtschaft –, worunter das Selbständigwerden der jungen Menschen leidet, da notwendige lebensrealistische Erfahrungen gemindert werden (vgl. GÜNDER 1985, S.39). Durch die Verortung einer zentralen Verwaltung auf dem Heimgelände bleibt das Geschehen in den einzelnen Gruppen für die Heimleitung und den Träger weitgehend transparent. Auch personelle Ressourcen 5 Eine Auswahl von Heimerziehungsarrangements wird in dem Buch „Heimerziehungsprofile“ von FREIGANG und WOLF (2001) ausführlich dargestellt und diskutiert. 10 Kapitel I: Heimerziehung sind eher steuerbar, als in Heimen mit nur einer Gruppe (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.85). Als Begründung für die Unterbringung von Kindern in Großheimen wird vielfach angeführt, dass der Rahmen einer Großeinrichtung mit seiner gewissen Unverbindlichkeit besonders für Kinder, die keine familienähnlich gestalteten Bindungen mehr eingehen wollen oder können, eine Entlastung und einen Schonraum bieten könnte. Damit wird jedoch unter Umständen in Kauf genommen, dass diese Einrichtungen auf einen bestimmten Typ von Kindern spezialisiert werden, was sich nachteilig auswirken kann (vgl. a.a.O., S.87f.). GÜNDER (1985) weist beispielsweise darauf hin, dass die Gefahr der Potenzierung von Problemen dadurch wachsen kann, dass vermehrt Kinder mit ähnlichen ‚schwierigen’ Verhaltensweisen auf einem Heimgelände untergebracht sind. Dies wirkt sich dann nicht nur innerhalb des Heimes aus, Kinder aus größeren Einrichtungen sind somit auch eher Stigmatisierungsprozessen von außerhalb ausgesetzt (vgl. a.a.O., S.39). Je ähnlicher die einzelnen Gruppen konstruiert sind, „desto größer ist der Druck auf die Institution und ihre Vertreter, […] 6 die Gleichheit der Bedingungen für alle Kinder und Jugendlichen und alle Mitarbeiterinnen sicherzustellen“ (FREIGANG/WOLF 2001, S.85). Die Folge können enge Reglementierungen und Heimordnungen sein. Die heimabhängigen Reglementierungsmechanismen sind nicht aus den Bedürfnissen, den Eigenarten, der Rücksichtsnahme und den Vorlieben einer kleinen Gruppe – wie dies z.B. bei einer Familie der Fall wäre – entstanden. Ordnungen sind nicht entstanden, weil primär pädagogische Aspekte für den einzelnen eine Rolle spielen, sondern weil ohne sie die gesamte Organisation und der reibungslose Ablauf gefährdet würden. Die Folge kann schlichte Unterwerfung und bloße Anpassung der Kinder an die Regeln sein (vgl. GÜNDER 1985, S.39f.). Diese Nivellierung und prinzipielle Austauschbarkeit von Kindern und Mitarbeitern wirken sich zwar auf der Ebene des Trägers und der Leitung des Heimes entlastend aus, widersprechen aber gleichzeitig dem Bedürfnis der Kinder, als einzigartig wahrgenommen und anerkannt zu werden (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.85). Das Problem der Nivellierung lässt sich abmildern, indem Unterschiede zwischen den Gruppen gefördert und Verschiedenheit kultiviert wird (vgl. a.a.O., S.86). Die Kinder nehmen die zentralen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung häufig positiv wahr. So ist es weniger langweilig, man lernt andere Kinder kennen, die in den Nachbargruppen leben. Dieser aus der Sicht der Kinder positive Aspekt bringt allerdings auch mit sich, dass die Integration in die Welt außerhalb des Heimes für die Heimbewohner damit weniger notwendig wird (vgl. a.a.O., S.73). 6 Auslassungen in Zitaten werde ich durch eckige Klammern kennzeichnen: eckige Klammern mit einem Punkt [.] geben die Auslassung eines Wortes an, bei mehreren Worten werde ich eckige Klammern mit drei Punkten […] verwenden. 11 Kapitel I: Heimerziehung Merkmale des Lebensfeldes ‚Außenwohngruppe’ Außenwohngruppen entstanden im Zuge der Dezentralisierung 7 von Großheimen, die vor allem durch die Kritik an der Anstaltserziehung ausgelöst wurde. Gruppen wurden aus den zentralen Heimgeländen in Einfamilienhäuser oder Wohnungen ausgelagert. So können Außenwohngruppen relativ unauffällig in ein normales Wohnumfeld integriert werden (vgl. GÜNDER 2000, S.68f.). Bei Außenwohngruppen handelt es sich nicht um völlig unabhängige Einrichtungen. Sie bleiben organisatorisch und rechtlich Teil übergeordneter Einrichtungen, die mehrere Gruppen umfassen (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.89). 8 Die Betreuung findet im Schichtdienst – abhängig von der Gruppengröße – durch ca. drei bis fünf pädagogische Mitarbeiter statt (vgl. a.a.O., S.90). Ein wichtiges Prinzip der Außenwohngruppe stellt die Selbstversorgung dar. Das bedeutet, dass hauswirtschaftliche Tätigkeiten, wie Wäsche waschen und Kochen, nicht durch zentrale Versorgungseinrichtungen übernommen werden, sondern innerhalb der Gruppe stattfinden (vgl. GÜNDER 2000, S.69). Inwieweit die Kinder hier einbezogen werden und sich somit Lernmöglichkeiten eröffnen, ist abhängig von der Praxis der einzelnen Wohngruppen (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.90f.). Kinder, die nicht bei ihren Eltern leben, entsprechen nicht den gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen und unterliegen somit auch immer einem gewissen Maß an Stigmatisierung. Dadurch, dass in Außenwohngruppen eine übersichtliche Zahl von Kindern in einem gewöhnlichen Haus lebt, die Lebensbedingungen also denen anderer Kinder ähnlicher sind, kann die Gefahr der Stigmatisierung gemindert werden. Es wird möglich, dass beispielsweise die Nachbarn nicht mehr die ‚Gruppe der Heimkinder’, sondern einzelne Kinder wahrnehmen und unterscheiden. Damit geht im günstigen Fall einher, dass z.B. Probleme und Ärgernisse nicht allen, sondern nur einzelnen Kindern zugeschrieben werden (vgl. a.a.O., S.91). Der Druck zur Nivellierung der Kinder kann in Außenwohngruppen aufgehoben oder zumindest verringert sein. Hier ist es möglich, dass jede Gruppe spezifische Regeln hat, die flexibler an die individuellen Bedürfnisse der Kinder angepasst werden können. Dieser Aspekt ist allerdings abhängig von der jeweiligen Gruppengröße – je größer die Gruppe, desto größer ist die Gefahr der Nivellierung – sowie den Überzeugungen einzelner Mitarbeiter (vgl. a.a.O., S.92). 7 „Unter Dezentralisierung wird in der Heimerziehung sowohl die Verlagerung von Gruppen in Häuser außerhalb eines zentralen Heimgeländes – gelegentlich auch nur die Auflösung zentraler Versorgungseinrichtungen und die Bildung von abgeschlossenen Wohneinheiten auf einem zentralen Gelände – als auch ein umfassender Prozess der räumlichen Zersiedelung und Verlagerung von Kompetenzen auf die Mitarbeiter der kleineren Einheiten verstanden.“ (WOLF 1995, S. 14 zit. n. FREIGANG/WOLF 2001, S. 89) 8 Die Aspekte und Auswirkungen der Anbindung an zentrale Einrichtungen werden im Folgenden aufgrund ihrer Irrelevanz für das Verständnis des empirischen Teils nicht ausgeführt. 12 Kapitel I: Heimerziehung Auch in Außenwohngruppen bleiben Merkmale klassischer Heimerziehung bestehen: „das Zusammenleben in einer großen Gruppe mit anderen und zunächst fremden Kindern, die Betreuung im Schichtdienst und die Wirkung vieler Organisationsmerkmale, die z.B. das Gefühl der Einzigartigkeit beeinträchtigen können“ (a.a.O., S.102). 1.3 Anlässe und Ziele von Heimerziehung Wann werden Kinder außerhalb ihrer Ursprungsfamilie in einem Heim untergebracht? Ich werde nie eine Szene vergessen, die ich vor einigen Jahren in einer Fußgängerzone beobachtet habe: Da standen eine Mutter und ein Kind, das weinte und am Arm der Mutter zog. Die Mutter schimpfte: „Du weißt, was Herr X gesagt hat. Wenn du dich nicht benimmst, kommst du in ein Heim.“ Heimunterbringung als Strafe für aufsässige Kinder? Anlässe für Heimerziehung In § 27 KJHG wird der Anspruch der Personensorgeberechtigten auf Hilfe zur Erziehung – was die Heimerziehung einschließt – daran geknüpft, dass „eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist“ (§ 27 KJHG Abs. 1). Dadurch wird der Blick weg von eventuellen Verhaltensauffälligkeiten und Störungen des Kindes hin zu den Bedingungen, unter denen es aufwächst, das soziale Umfeld und die hier problemverursachenden Faktoren gelenkt (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.269f.). Ausschlaggebend für die Entscheidung der Heimunterbringung sollten also nicht spezifische Merkmale des Kindes sein, sondern der Wille der betroffenen Familie oder aber Merkmale, die die Lebenssituation des Kindes kennzeichnen und nicht seine Persönlichkeit oder sein Verhalten (vgl. FREIGANG 1999, S.689). Zusätzlich ist die Gewährung der Hilfe damit verbunden, dass ein „Angebot der erzieherischen Hilfe für die Entwicklung des Kindes/Jugendlichen ’geeignet und notwendig’ ist (§ 27 Abs. 1)“ (MÜNDER et al. 2003, S.270). Somit schließt § 27 KJHG die Anordnung von Heimerziehung als Strafe aus. Die Begriffe ‚Kindeswohl’ sowie ‚notwendige und geeignete Hilfe’ lassen allerdings einen breiten Interpretationsspielraum für die an der Entscheidung beteiligten Institutionen und Personen (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.14). Es existieren keine einheitlichen Festlegungen, Richtlinien oder Gesetze, die bestimmen, wer in einem Heim untergebracht werden soll, wer bei seinen Eltern bleiben darf bzw. muss oder wer aus welchen Gründen in welche Art von Einrichtung kommt. Es ist von subjektiven Einschätzungen abhängig, was für Eltern nicht mehr zu ertragen ist, was man Kindern nicht mehr zumuten kann, was die Gesellschaft und ihre mit der Jugendhilfe beauftragten Institutionen (z.B. Jugendämter) in 13 Kapitel I: Heimerziehung Familien oder bei Kindern tolerieren (vgl. a.a.O., S.14f.). Es gibt unterschiedliche Gründe, aus denen Kinder vorübergehend oder auf längere Sicht in Heimen statt bei ihrer Herkunftsfamilie leben (vgl. GÜNDER 2000, S.28). BLANDOW (2001) weist darauf hin, dass Entscheidungen durch bestimmte Traditionen und Normalitätsvorstellungen, bestimmte Annahmen über Bedürfnisse von Kindern, über die Verpflichtungen von Eltern und über die sozialisatorische Wirkung einzelner Hilfeformen beeinflusst werden. Zu einer bestimmten Zeit werden also bestimmte Entscheidungen eher getroffen, als andere (vgl. a.a.O., S.104). Wer in einem Heim lebt und welche Gründe zur Heimunterbringung führen, ist demnach auch immer abhängig von gesellschaftlichen Definitionsprozessen, die einem zeitlichen Wandel unterliegen sowie von den subjektiven Vorstellungen der an den Entscheidung beteiligten Personen. Die Erziehung in einem Heim ist – wie andere Formen der Hilfen zur Erziehung auch – als Leistungsangebot für Familien und Kinder in schwierigen Lebenssituationen zu verstehen (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.270) und reagiert auf sehr unterschiedliche Problemlagen von Kindern (vgl. a.a.O., S.324), die gesellschaftlich, individuell und/oder familiär begründet sein können (vgl. GÜNDER 2000, S.31). „Dies kann Schutz und Versorgung, Familienersatz oder Gestaltung jugendspezifischer Lebenswelten (Verselbstständigung) beinhalten, kann auf kurze oder lange Zeit bezogen sein, intensive sozial- und heilpädagogische Betreuung zur Kompensation von Sozialisationsdefiziten einschließen (pädagogischtherapeutischer Umgang mit sozial nicht akzeptierten Verhaltensweisen Minderjähriger bzw. auch von diesen selbst so erlebten Problemen in der Alltagsbewältigung). Die Symptome können im Schulversagen, in nicht gelingender Integration in Ausbildungs- und Arbeitsstrukturen, im partiellen bis massiven Rückzug aus sozialen Kontakten und in psychosozialen Störungen liegen“ (MÜNDER et al. 2003, S.324). Eine Hilfe durch Heimerziehung kommt insgesamt dann in Frage, wenn sich im Zuge der Hilfeplanung herausstellt, dass die familiäre Situation und die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen um dem Kind einen zuverlässigen Lebensort und Orientierungsrahmen zu bieten (vgl. BÜRGER 2001, S.652). Die Entscheidung, was im Einzelfall die ‚richtige’ Hilfe ist, muss also an den jeweils gegebenen Lebensverhältnissen und vorhandenen Ressourcen ausgerichtet werden. Dies erfordert sowohl auf Seiten der Fachkräfte des Jugendamtes, als auch auf der der Heimeinrichtungen ein hohes Maß an Professionalität und Verantwortung (vgl. HAMBERGER 1998a, S.41). 14 Kapitel I: Heimerziehung Aufgaben und Ziele der Heimerziehung Da die Unterbringung in Heimen aufgrund sehr unterschiedlicher Problemlagen von Kindern und deren Familien erfolgt, lassen sich nur schwer konkrete Aufgaben und Ziele von Heimerziehung festlegen. Den Ausgangspunkt bieten die individuellen Probleme, Bedürfnisse und die Belastbarkeit der Kinder (vgl. z.B. GÜNDER 1989, S.18; THIERSCH, zit. n. PIES/SCHRAPPER 2002, S.449). Wie bereits erwähnt, können Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen Kindern eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Hierbei sollen ihre wachsenden Fähigkeiten und Bedürfnisse zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln und ihre Beziehung zur Herkunftsfamilie berücksichtigt werden (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.323). In § 34 KJHG werden folgende Zielsetzungen benannt: • die Förderung der Rückkehr in die Familie, • die Vorbereitung der Erziehung in einer anderen Familie, • das Angebot einer auf längere Zeit angelegten Lebensform, • die Vorbereitung auf ein selbstständiges Leben (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.323). Weitere Funktionen können die Krisenintervention und Aufnahme in Notsituationen (vgl. § 42 KJHG) sein – „sei es auf Wunsch des Kindes oder Jugendlichen selbst, sei es, weil hierdurch eine sozialpädagogische Schutzfunktion ausgeübt wird“ (a.a.O., S.323). Zum einen soll Heimerziehung Kindern einen alternativen Lebensort zur Verfügung stellen (vgl. HAMBERGER 1998b, S.200), an dem ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden. ‚Lebensort’ meint jedoch mehr als ein Dach über dem Kopf und 3 Mahlzeiten am Tag. Heimerziehung ist immer auch verbunden mit einem zu gestaltenden Sozialisationsprozess (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.15). Sie muss den Ansprüchen, die sich aus der Vorgeschichte der Betroffenen stellen, gerecht werden (vgl. Freigang 1986, S.29). Auch problematische Verhaltensweisen müssen im biographischen Kontext dechiffriert und verstanden werden. Es müssen Lernprozesse und –felder arrangiert werden, durch die den Kindern gelingende Bewältigungsstrategien und Perspektiven vermittelt werden können (vgl. BÜRGER 2001, S.657). Dies gelingt unter Umständen erst dadurch, dass eine Distanz und Entlastung von Beziehungen und Aufgaben hergestellt wird, in und an denen Heranwachsende gescheitert sind (vgl. THIERSCH, zit. n. PIES/SCHRAPPER 2002, S.449). Eine weitere Aufgabe besteht darin, Kinder bei der Entwicklung von Zukunftsperspektiven sowie der Selbstbewusstseins- und Identitätsausbildung zu unterstützen (vgl. MÜNSTERMANN 1990, S.129). Bewegt man sich von den pädagogischen Aufgabenstellungen und Zielsetzungen weg zu den gesellschaftlichen Erwartungen an Heimerziehung, sieht sich die Heimerziehung 15 Kapitel I: Heimerziehung auch heute noch im Spannungsfeld zwischen Hilfe und sozialer Kontrolle. Trotz des Sozialleistungsgedankens des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist der historisch offenkundige Kontrollcharakter von Heimerziehung sowohl in der Wahrnehmung der Betroffenen wie in ihrer gesellschaftlichen Funktion noch nicht abschließend überwunden (vgl. BÜRGER 2001, S.656). So ist es möglich, dass Heimerziehung von den Kindern primär als Sanktionsmaßnahme erlebt wird, dass Heimerziehung als feindselige Institution zur Abschreckung, Bestrafung, Umerziehung und Besserung von Kindern und/oder ihren Familien dient (vgl. WOLF 2002a, S.637). „Der Verweis auf diese Ambivalenz ruft im Übrigen auch in Erinnerung, dass Sozialpädagogik häufig mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, die an den – im Wortsinne – herrschenden Normen um den Preis ihrer dauerhaften sozialen Ausgrenzung zu scheitern drohen, und für die diese Hilfe deshalb nicht nur die Auseinandersetzung mit und die Gestaltungsmöglichkeit von Normen, sondern gleichermaßen auch deren Vermittlung zum Gegenstand haben muss. Das Verstehen auch problematischer Verhaltensweisen im biographischen Kontext und die Gestaltung von Lernprozessen in der gemeinsamen Suche nach gelingenderen Bewältigungsstrategien sind ohne das Wissen um die oftmals zumindest latent ambivalente Einstellung der Adressaten gegenüber der Hilfe im Heim nicht möglich“ (BÜRGER 2001, S.657). Zusammenfassend lässt sich sagen: „Bei der Unterbringung im Heim […] ist das Grundprinzip der Intervention offensichtlich: Kinder oder Jugendliche erhalten einen anderen und neuen Lebensort. Dieser kann und muss sich dadurch sozialpädagogische Legitimation verschaffen, dass die Kinder hier neue und konstruktive Lebenserfahrungen machen können, von unangemessenen Belastungen befreit werden und sie so neue Entwicklungsmöglichkeiten gewinnen“ (WOLF 2002a, S.639). „Letztlich muß sich die Heimerziehung daran messen lassen, inwieweit es ihr gelingt, objektiv und subjektiv die Lebensbedingungen der betreuten Kinder zu verbessern, die Lebenserfahrungen aufzugreifen und nicht zu negieren und die Kinder auf ihr Leben als Erwachsene durch die Lebensbedingungen im Heim und die Inhalte und Ziele der Erziehung angemessen vorzubereiten“ (WOLF 1993, S.13 zit. n. HAMBERGER 1998a, S.48). Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die individuellen Ziele von Heimerziehung nicht statisch sind, sondern die Ausgestaltung der Hilfe und deren Zielsetzungen ständig überprüft und gegebenenfalls neu an die Entwicklung und Bedürfnisse der Kinder angepasst werden müssen. § 36 KJHG (Mitwirkung, Hilfeplan) legt fest, dass dies in regelmäßigen Abständen durch das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte sowie durch die Beteiligung der Kinder und deren Personensorgeberechtigten erfolgen soll. Die Ausgestal- 16 Kapitel I: Heimerziehung tung des individuellen Hilfeprozesses soll durch die Aufstellung eines Hilfeplans konkretisiert und festgehalten werden (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.344ff.). 17 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie 2. Kinder- und Jugendpsychiatrie Im Folgenden werde ich mich mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie beschäftigen. Als stationäre Einrichtung ist sie Teil des medizinischen Fachgebietes ‚Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie’, dessen Aufgaben und Strukturen ich zunächst kurz beschreiben möchte. In einem nächsten Punkt werde ich die organisatorischen Strukturen kinder- und jugendpsychiatrischer Kliniken vorstellen und eine Arbeitsdefinition vornehmen. Abschließend werde ich auf die Indikationen für eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Unterbringung und deren mögliche Zielsetzungen eingehen. 2.1 Das medizinische Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie/psychotherapie Das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ist historisch gesehen ein junges medizinisches Gebiet, das in Deutschland erst seit 1968 als selbstständige Facharztdisziplin gilt (vgl. z.B. FLOSDORF/SCHMIDT 1989, S.203; KLOSINSKI 2003, S.11). Die Bundesärztekammer definiert das Aufgabengebiet wie folgt: „Die Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie umfasst die Erkennung, nichtoperative Behandlung, Prävention und Rehabilitation bei psychischen, psychosomatischen, entwicklungsbedingten und neurologischen Erkrankungen und Störungen sowie bei psychischen und sozialen Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter“ (BUNDESÄRZTEKAMMER 1992 zit. n. LEHMKUHL/WARNKE 2003, S.1). Dies beinhaltet, dass sich der Kinder- und Jugendpsychiater mit einem breiten Spektrum von Erkrankungen bei Kindern befasst (vgl. REMSCHMIDT 2002, S.549). 9 Als medizinisches Fachgebiet ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie mit ihren Aufgaben Teil des Gesundheitswesens und eng verknüpft mit den Disziplinen Psychiatrie, Kinderheilkunde, Neurologie, Sonderpädagogik, der klinischen Psychologie und dem System der Jugendhilfe. Die organisatorischen Strukturen umfassen sowohl ambulante, als auch teilstationäre und stationäre Einrichtungen (vgl. LEHMKUHL/WARNKE 2003, S.1), wobei der Schwerpunkt heute bei der ambulanten Behandlung liegt (vgl. REMSCHMIDT 2002, S.549). 9 Auf einzelne Krankheitsbilder einzugehen, würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit gehen und ist für das Verständnis nicht relevant. Eine Übersicht über die Störungsbilder im Kindes- und Jugendalter findet sich beispielsweise in dem Buch „Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Bundesrepublik Deutschland“ von LEHMKUHL und WARNKE (1990, S. 13ff.). 18 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie Der multimodale Ansatz in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Dadurch, dass davon ausgegangen werden kann, dass psychische Störungen und Erkrankungen bei Kindern multifaktoriell bedingt sind, ist in der Therapie und Rehabilitation ein mehrdimensionales Vorgehen begründet (vgl. REMSCHMIDT 2002, S.550). Die verschiedenartigen Behandlungsmaßnahmen beziehen sich im Allgemeinen auf die körperliche, psychische und sozio-ökologische Ebene. Hierzu zählen die Psychotherapie, die Psychopharmakotherapie, heilpädagogische Behandlungen, andere Übungsbehandlungen wie Ergotherapie, Musiktherapie und Physiotherapie sowie schulische, sozialtherapeutische und sozialpädagogische Hilfestellungen und andere Maßnahmen der Sozialund Jugendhilfe (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.227). Kinder- und jugendpsychiatrische Arbeit muss sich am Entwicklungsstand des Kindes sowie an den Ressourcen der Familie orientieren. Ziel kann nicht immer primär die Heilung oder Symptomfreiheit sein, sondern liegt auch darin, Kindern und ihren Familien bei der Entwicklung von Lösungen und Akzeptanz von Problemen zu unterstützen, um so heilende Prozesse zu initiieren (vgl. a.a.O., S.228). In die Therapie-, Rehabilitations- und Präventionsmaßnahmen werden zunehmend Aspekte des sozialen Umfelds integriert (vgl. REMSCHMIDT 2002, S.550). 2.2 Die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Die stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung erfolgt schwerpunktmäßig entweder in eigenständigen Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, in Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Allgemeinkrankenhäusern und Kinderkliniken oder in Universitätskliniken (vgl. LEHMKUHL/WARNKE 2003, S.48f.). Kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken werden durch einen Chefarzt – der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie sein muss – geleitet. Dieser steht einem interdisziplinären Team vor und trägt die fachliche und inhaltliche Verantwortung für das diagnostische und therapeutische Konzept der Klinik und die am Patienten geleistete Arbeit. Neben Ärzten sind Psychologen, Ergotherapeuten, Bewegungstherapeuten, Sozialarbeiter, Logopäden, Krankenpflegepersonal und Pädagogen Teil des Klinikteams. Der Klinik ist eine Schule angeschlossen oder anderweitig assoziiert (vgl. BRÜNGER 2004a, S.357f.). Neben der Sicherung der kontinuierlichen Unterrichtung von Patienten kommt ihr eine Bedeutung im Rahmen der Diagnostik und Wiedereingliederung der Kinder zu (vgl. LEHMKUHL/WARNKE 2003, S.54). 19 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie Es wird empfohlen, dass für eine vollstationäre Klinik mindestens 30 Betten verfügbar sein sollten, um eine hinreichend differenzierte Personalstruktur und diagnostisch- therapeutische Ausstattung, die finanziell tragfähig ist, sicherzustellen (vgl. a.a.O., S.54). Eine angemessene und individuelle Betreuung soll durch die in der Psychiatriepersonalverordnung 10 festgelegte Stationsgröße von zehn Patienten mit Behandlungsgruppen von fünf Patienten gesichert werden (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.236). Diese Stationen können in ihrer Konzeption alters- und störungsbezogen sein, seltener sind sie familienähnlich und altersgemischt strukturiert (vgl. BRÜNGER 2004a, S.357). „Die Stationskonzepte sind geprägt von der therapeutischen Ausrichtung der Klinik, verhaltenstherapeutische, familientherapeutische und tiefenpsychologische Konzepte sind vorwiegend anzutreffen. Ansprechpartner der Kinder und Jugendlichen im Tagesablauf und bei der Alltagsgestaltung sind das Krankenpflegepersonal und die pädagogischen Mitarbeiter. Therapeuten [...] widmen sich in der Regel im Rahmen gezielter und vereinbarter Einzel- oder Gruppentermine den Patienten und ihren Eltern oder Angehörigen. Sie haben darüber hinaus oft koordinierende Funktionen im Team“ (BRÜNGER 2004a, S.357f.). Die stationäre Unterbringung kann als Krankenhausbehandlung im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB V 11 durch die Krankenkassen finanziert werden. Stationäre Behandlungen können aber auch als Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG 12 (jetzt § 53 SGB XII 13 ) oder § 35a KJHG eingestuft und somit finanziell durch die Sozial- bzw. Jugendhilfe erstattet werden (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.236f.). Wenn ich im Folgenden den Begriff ‚Kinder- und Jugendpsychiatrie’ verwende, ist damit die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie gemeint, nicht das medizinische Fachgebiet, da Übergänge zwischen Heimerziehung und der stationären Ebene der Kinder- und Jugendpsychiatrie untersucht werden. 2.3 Anlässe und Ziele der kinder- und jugendpsychiatrischen Unterbringung Ähnlich wie bei der Unterbringung im Heim kann man sich auch hier fragen, warum Kinder in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen werden. Und ähnlich wie dort habe ich 10 „Zwischen den Trägern der psychiatrischen Krankenhäusern und den Kostenträgern der Krankenhausbehandlung entstand unter Vermittlung einer Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1989 die Psychiatriepersonalverordnung (PsychPV), die sowohl für die Psychiatrie des Erwachsenenalters als auch für die Kinder- und Jugendpsychiatrie erstmalig Anhaltszahlen für die Personalbemessung in den Kliniken mit Versorgungsverpflichtung entwickelte“ (BRÜNGER 2004b, S. 391). 11 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung 12 Bundessozialhilfegesetz 13 Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch – Sozialhilfe 20 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie auch hier einige Szenen vor Augen, die ich erlebt habe: Da steht z.B. ein Pädagoge vor einem Kind in einer Heimeinrichtung und sagt: „Das ist jetzt deine letzte Chance. Wenn du dein Verhalten nicht änderst, müssen wir dich in die Psychiatrie bringen.“ Kinder- und Jugendpsychiatrie als Strafe für aufsässige Kinder? Anlässe für eine stationäre Behandlung Kinder werden bei einer stationären Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vollzeitig – d.h. über Tag und Nacht – aufgenommen (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.234). „Die Aufnahme […] erfolgt durch die ärztliche ’Verordnung von stationärer Krankenhauspflege’, häufig Einweisung genannt. Grundlage der Verordnung ist die Feststellung eines Arztes, dass im konkreten Einzelfall Diagnostik und Therapie nicht ambulant oder teilstationär erbracht werden können. […] Die aufnehmende Klinik ist verpflichtet, die Notwendigkeit der Aufnahme eigenständig zu überprüfen und dies gegenüber den Kostenträgern – in aller Regel die (gesetzlichen) Krankenkassen – zu begründen. Eine Zuweisung zur kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik erfolgt allerdings häufig durch nicht-ärztliche Stellen: Schulen, Erziehungsberatungsstellen und die Jugendhilfe sind neben den Ärzten wesentliche zuweisende Stellen. Rechtlich verbindlich wird ein Auftrag zur Diagnostik und Therapie durch einen Vertrag zwischen Eltern/Sorgeberechtigten und der Klinik“ (BRÜNGER 2004a, S.356). Da die stationäre Behandlung mit einer psychischen Belastung, gro- ßem organisatorischen und finanziellen Aufwand sowie der Herauslösung des Kindes aus seinem gewohnten Umfeld (Familie, Freunde, Schule) verbunden ist, ist die Aufenthaltsdauer möglichst kurz zu halten (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.234). FEGERT und LIBAL (2004) beziehen sich auf HERSOV (1994), der dann eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische und psychotherapeutische Behandlung für angebracht hält, • „wenn Denkstörungen, affektive Störungen oder Verhaltensstörungen so weitgehend ausgeprägt sind, dass eine ambulante Behandlung unmöglich ist oder eine Selbstoder Fremdgefährdung besteht. • Darüber hinaus hält er es im Gegensatz zu einer bloßen Verwahrung für erforderlich, dass eine realistische Hoffnung besteht, dem Kind oder Jugendlichen in seiner Problemlage durch die stationäre Behandlung zu helfen. • Wenn ein Kind ein so weitgehendes, sozial nicht akzeptables Verhalten zeigt, dass es nicht in seiner bisherigen Umgebung, auch nicht mit Unterstützung, belassen werden kann. 21 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie • Wenn eine schwierige psychiatrische Problematik fachkundige Beobachtung und integrative spezialisierte Diagnostik etc. notwendig macht. • Wenn die Familieninteraktion so verzerrt ist, dass ein Verbleiben im elterlichen Haushalt zu fortdauernden, zunehmenden Beeinträchtigungen der kindlichen Entwicklung führt. • Wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung, wie die Magersucht, komplizierte Asthmaverläufe oder Depressionen mit Suizidimpulsen, eine stationäre Behandlung erforderlich machen. • Wenn es notwendig ist, im Rahmen diagnostischer Probleme eine ausführliche und kontinuierliche Verhaltensbeobachtung mit medizinischer Diagnostik zu kombinieren, z.B. bei der Differentialdiagnose von epileptischen und pseudoepileptischen Anfällen. • Wenn die Aufgabe darin besteht, herauszufinden, ob eine intellektuelle Beeinträchtigung (Lernbehinderung bzw. geistige Behinderung) bzw. scheinbare intellektuelle Beeinträchtigung im Sinne von ’Pseudo-Debilität’ als Misshandlungsfolge oder Vernachlässigungsfolge besteht“ (FEGERT/LIBAL 2004, S.234f. in Bezug auf HERSOV 1994). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eher bei schweren oder mittelgradigen Störungen indiziert ist und wenn ambulante oder teilstationäre Therapien nicht realisierbar, aussichtslos oder bereits ausgeschöpft sind (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.234). Aufgaben und Ziele Aufgaben aller kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen – also auch ambulanter und teilstationärer – ist die Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen und Erkrankungen bei Kindern (vgl. REMSCHMIDT 1987, S.403). Unter ‚Diagnose’ versteht man in diesem Zusammenhang „die möglichst präzise Beschreibung einer psychischen Störung nach einheitlichen Kriterien. Sie […] begründet ein störungsspezifisches therapeutisches Vorgehen. Ausgangspunkt für jede angemessene Interventionsplanung ist eine sorgfältige Diagnose. Ziel der Diagnostik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie [.] ist die Klassifikation von Auffälligkeiten, Symptomen oder Syndromen (Muster gemeinsam auftretender Symptome) im Rahmen eines der international standardisierten Klassifikationsschemata für psychische Störungen bzw. 22 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie Erkrankungen 14 “ (FEGERT et al. 2004, S.259). Die Diagnostik erfolgt auf verschiedenen Ebenen (z.B. neurologische Untersuchung, Familiendiagnostik) und durch verschiedene diagnostische Verfahren (vgl. LEHMKUHL/WARNKE 2003, S.33ff.). LEHMKUHL und WARNKE (2003) verweisen darauf, dass es ein weiteres Ziel der Diagnostik ist, „Probleme, Bedürfnisse und Begabungen sowie Ressourcen, die zur Entlastung, Gesundung und besseren Tragfähigkeit sowie zur Entwicklungsförderung von Kind und Familie verfügbar gemacht und genutzt werden können“, in Erfahrung zu bringen (vgl. a.a.O., S.34). Die Diagnostik dient insgesamt dem Zweck, Störungen und Erkrankungen zu benennen und zu klassifizieren, sodass möglichst spezifische Behandlungsschritte eingeleitet werden können (vgl. a.a.O., S.37). Das Spektrum kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung umfasst verschiedene Verfahren (z.B. Milieutherapie, Psychotherapie) (vgl. a.a.O., S.38ff.). Die stationäre Behandlung soll zum einen anstreben, bestehende Kompetenzen der Kinder zu stärken und zum anderen – wo immer möglich – neue Bewältigungsstrategien zu vermitteln. Es gilt, Angst, Schuldgefühle und psychische Konflikte zu reduzieren (vgl. FEGERT/LIBAL 2004, S.236 in Bezug auf BERLIN 1984). Zielgrößen „können einzelne Symptome des Befindens oder Verhaltens, die Funktionen in den Systemen Familie, Schule oder Peer-group einschließlich Potential und Niveau der Persönlichkeitsentwicklung“ sein (SCHMIDT 1990, S.102). „Welche Zielgröße im einzelnen [sic] zu wählen ist, bestimmt das Kind oder der Jugendliche selbst bzw. dessen Eltern oder irgendeine Ersatzinstanz und erst zuletzt der Kinderund Jugendpsychiater“ (a.a.O., S.102). ROTTHAUS (1990) ist der Ansicht, dass sich jede kinder- und jugendpsychiatrische Therapie durch die Besonderheiten der Kinder definieren muss. Der jeweils sehr unterschiedliche Entwicklungsstand und ihre individuellen Entwicklungsaufgaben, sowie das Verhältnis und die Abhängigkeit von den Eltern und Familien sind zu beachten. Kinder sind in ihren sozialen Bezügen zu therapieren (vgl. a.a.O., S.20). FEGERT und LIBAL (2004) weisen darauf hin, dass es nicht immer das alleinige Ziel sein kann, alle Probleme zu erkennen und zu beseitigen (z.B. wenn kinder- und jugendpsychiatrische Erkrankungen eine chronische Verlaufsprognose haben). Vielmehr geht es darum, die bestmögliche Lebensqualität für alle Beteiligten (Familie, Patienten) zu erreichen (vgl. a.a.O., S.227). „Lebensqualität hat allerdings sehr viel mit Alltag und Alltagsbewältigung und eher wenig mit kurzfristigen intensiven medizinischen Interventionen zu tun. Das erreichte Ziel der verbesserten Lebensqualität zeigt sich im Verlauf, d.h. in der Regel 14 „Klassifikationssysteme psychischer Störungen dienen der Vereinheitlichung diagnostischer Kriterien. […] Die zz. wichtigsten K. sind die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstützte 10. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) und die Revision der 4. Fassung des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychische Störungen (DSM-IV). Aufgrund weitreichender Untersuchungen wurden mit diesen Systemen grundlegende diagnostische Kriterien erarbeitet, die dem Praktiker Leitlinien zur Hand geben, die eine Symptomzuordnung zu einem bestimmten Störungsbild erleichtern und Fehldiagnosen vermeiden helfen“ (DÄBRITZ 2002, S. 557). 23 Kapitel I: Kinder- und Jugendpsychiatrie außerhalb der Klinik. Hierauf muss eine moderne ärztliche Mitwirkung bei der Hilfeplanung abzielen“ (a.a.O., S.227). 24 Kapitel I: Einführung in die Fachdiskussion 3. Einführung in die aktuelle Diskussion um das Verhältnis zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie Das Verhältnis von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie ist der Gegenstand von Diskussionen und Auseinandersetzungen, die sowohl innerhalb der einzelnen Disziplinen als auch zwischen ihnen geführt werden (vgl. GINTZEL/SCHONE 1990a, S.5). Im Rahmen meiner Diplomarbeit können nicht alle Facetten der Fachdiskussion aufgezeigt werden. 15 Eines der zentralen Themen bezieht sich beispielsweise auf den § 35a KJHG, der die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche regelt und somit Grundlage für die Zusammenarbeit – und für Debatten – zwischen dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe ist. Da der § 35a KJHG aber vor allem die Grundlage für die Kooperation zwischen Jugendhilfe und dem ambulanten Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist, werde ich auf den Aspekt des § 35a KJHG nicht eingehen. Ich werde mich auf die für diese Arbeit relevanten Gesichtspunkte der Fachdiskussion beschränken. Zunächst werde ich die unterschiedlichen Sichtweisen der Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie und daraus hervorgehende Konfliktlinien herausstellen. Anschließend werde ich zwei, mir für diese Arbeit besonders interessant und wesentlich erscheinende Themen aufzeigen: zum einen die bestehende Kritik an der stationären Behandlung von Kindern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ein weiterer Themenschwerpunkt der Fachdiskussion liegt in der kritischen Betrachtung der Überweisungsprozesse in das jeweils andere Hilfesystem. 3.1 Konfliktlinien der Hilfesysteme Die Vertreter der Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie versuchen immer wieder, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Heimerziehung herauszustellen. Der Überschneidungsbereich wird darin gesehen, dass sowohl Kinder in der Heimerziehung als auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter ähnlich komplexen Problemlagen leiden: Sowohl die Kinder in öffentlicher Erziehung als auch die in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung „sind [.] nahezu ausnahmslos auf vielfältige Weise er- und beziehungsproblematisch. Es gibt bei beiden in der Vorge- 15 In verschiedenen Herausgeberwerken sind Aufsätze zu den unterschiedlichen Themen der Fachdiskussion veröffentlicht. Exemplarisch seien hier genannt: INSTITUT FÜR SOZIALE ARBEIT (1989), GINTZEL/SCHONE (1990), KÖTTGEN et al. (1990) und KÖTTGEN (1998). 25 Kapitel I: Einführung in die Fachdiskussion schichte ihrer Sozialisation unterschiedlich geartete Verletzungen, oft hervorgerufen oder verstärkt durch Beziehungsverluste und/oder Abbrüche“ (KÖTTGEN/KRETZER 1990, S.85). Dadurch, dass Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie auf unterschiedliche historische Wurzeln zurückgehen, haben sie sich weitgehend unabhängig voneinander entwickelt. Aus diesem Grund bestehen vielfältige und prägende Unterschiede in • der Geschichte und der Theoriebildung, • der Terminologie und den Sichtweisen, • den Methoden und den Organisationsformen sowie • in den Finanzierungsmodalitäten (vgl. BLUMENBERG 1999, S. 868). Umstritten ist die Frage nach der Zuständigkeit und Leistungsfähigkeit der beiden Fachdisziplinen für die Bearbeitung der Problemlagen von Kindern (vgl. GINTZEL/SCHONE 1990a, S.5). Hier kommen durch die perspektivischen Problemverständnisse Konfliktlinien auf unterschiedlichen Ebenen zustande. Die wesentlichen Unterschiede liegen im medizinischen Paradigma der Kinder- und Jugendpsychiatrie einerseits und in der Lebensweltorientierung der Jugendhilfe bei der Erklärung abweichenden Verhaltens andererseits (vgl. z.B. COBUS-SCHWERTNER 2001, S.187; BLUMENBERG 1999, S.868). Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit ergeben sich weiterhin durch die gesellschaftliche Hierarchie und den Status der Systeme. Auch heute noch wird die gesellschaftliche Position eines Berufsstandes bestimmt durch Dauer, Art und Umfang der Ausbildung, die Höhe der Bezahlung, die Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Anerkennung der Kompetenz (vgl. GINTZEL 1989, S.15). „Gemessen an diesen Kriterien gibt es eine klare Hierarchie der Hilfesysteme, an deren Spitze die Jugendpsychiatrie (Medizin) steht. Es folgen Psychologie und Sozialarbeit in Jugendämtern. Am unteren Ende steht die Erziehung in Heimen“ (a.a.O., S.15f.). Während die Finanzierung der Kinder- und Jugendpsychiatrie durch die Kostenübernahme der Krankenkassen weitgehend gesichert ist, hängt die Finanzierung der Heime von aktuellen politischen Entwicklungen und der Lage der öffentlichen Kassen ab. Hier kann die Kinder- und Jugendpsychiatrie ihren Mitarbeitern Sicherheit bieten, während Unsicherheiten bei den Mitarbeitern der Heimerziehung vorliegen (vgl. a.a.O., S.16). „Nicht zuletzt gibt es einen grundlegenden hierarchischen Unterschied in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie. Während Medizin gesellschaftlich eine hohe Akzeptanz erfährt, hat Jugendhilfe insbesondere in der Form der Heimerziehung eher mit Inakzeptanz zu kämpfen“ (vgl. a.a.O., S.16). In der Praxis ist weiterhin eine Rangfolge in der Macht, Verhalten und Persönlichkeiten zu definieren, zu finden. „Gutachterliche Stellungnahmen des Arztes […] werden in der Regel höher bewertet als Feststellungen beteiligter Pädagogen […]“ (a.a.O., S.16). Beispielsweise FRANKEN (1998) verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass das unterschiedliche professionelle Selbst- 26 Kapitel I: Einführung in die Fachdiskussion bild zu einer Ungleichberechtigung im Kontakt zwischen den Fachleuten der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe führen kann. Hier sind teilweise erhebliche Zweifel auf der Seite der Psychiatrievertreter an den Möglichkeiten sozialpädagogischer Betreuungsbedingungen zu spüren. Sie ist der Meinung, dass eine gelingende Kooperation nur dann gewährleistet werden kann, wenn beide Hilfesysteme als gleichberechtigte Partner zusammenwirken. Das fachspezifische Wissen des jeweils anderen Gebietes muss anerkannt und respektiert werden (vgl. a.a.O., S.112; vgl. hierzu auch WEHNER 2002, S.827). 3.2 Kritik an der kinder- und jugendpsychiatrischen Unterbringung Vor allem Vertreter der Jugendhilfe, aber auch Vertreter der Kinder- und Jugendpsychiatrie machen auf die Nachteile aufmerksam, die eine Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie für die betroffenen Kinder mit sich bringen kann: Es wird festgestellt, dass durch die medizinische Definition als krank oder gesund Verhaltensweisen aus ihrem biographischen Kontext isoliert werden und den Bezug zu dem Sinnzusammenhang, in dem sie entstanden sind, verlieren (vgl. KÖTTGEN 1998C, S.237). WEHNER (2002) merkt an, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu individuumsbezogenen Erklärungen und Behandlungen tendiert, da sie als medizinische Disziplin von der Krankheit des Einzelnen ausgeht (vgl. a.a.O., S.816). Es wird kritisiert, dass die Diagnose psychischer Störungen und die Unterbringung von Kindern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Grundlage für Stigmatisierungen und damit einhergehende Vorurteile, verbunden mit Benachteiligungen, sein kann (vgl. KÖTTGEN/KRETZER 1990, S.89). Der Mediziner RAMB (1999) hält dem entgegen, eine rein lebensweltorientierte Sicht- und Arbeitsweise greife zu kurz, indem der Blick vor dem Vorhandensein psychiatrisch feststellbaren Dispositionen verschlossen würde. Es werde negiert, dass Menschen „primär anders ausgestattet“ sind oder „neurophysiologische Funktionen sekundär beschädigt“ sein können (vgl. a.a.O., S. 852). Er bemängelt, diese Sichtweise sehe die wertneutrale Feststellung nervlicher Abweichung durch die Medizin ausschließlich im Zusammenhang mit diskriminierender Etikettierung (vgl. a.a.O., S. 852). FRANKEN (1990) weist darauf hin, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrie keine Lebensorte auf Dauer bieten kann und dass es für Kinder, die sich für einen langen Zeitraum dort aufgehalten haben, problematisch ist, zu einer weniger reglementierten Alltagsgestaltung zurückzukehren (vgl. a.a.O., S.120). KÖTTGEN zeigt in verschiedenen Fallberichten auf, dass die Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Hospitalisierungen zur Folge haben kann. Es besteht die Gefahr, dass 27 Kapitel I: Einführung in die Fachdiskussion sich Kinder emotional an das Klinikpersonal binden. Durch die Entlassung werden Beziehungsabbrüche erzeugt, die mit Enttäuschungen und Verletzungen für die Kinder einhergehen können. Gerade dann, wenn Kinder außerhalb der Institution keine stabilen Bezugspersonen haben, kann es dazu kommen, dass sie Versuche unternehmen, die Klinik zum Lebensort zu machen, um neu gewonnene Bezugspersonen nicht zu verlieren (vgl. KÖTTGEN 1998a, S.21; 1998b, S.62; KÖTTGEN/KRETZER 1990, S.93). Aufgrund dieser ungünstigen ‚Nebenwirkungen’ eines Psychiatrieaufenthaltes besteht die Forderung, die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf die akute Krankenbehandlung zu beschränken (vgl. KÖTTGEN/KRETZER 1990, S.97; FRANKEN 1998). „Leistungsfähige Angebote im Jugendhilfebereich [sollen, d. Verf.] durch Zusammenarbeit und Beratung mit den multiprofessionellen Fachkräften (Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter) und Unterstützung durch den ambulanten Sektor längerfristige klinische Aufenthalte weitgehend vermeiden helfen“ (KÖTTGEN 1998c, S.241, vgl. hierzu auch KÖTTGEN 1998a, S.21). 3.3 Die gegenseitige Inanspruchnahme Ein weiterer – meiner Meinung nach besonders interessanter – Aspekt der Fachdiskussion besteht in der gegenseitigen Inanspruchnahme der Systeme der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe. Überschneidungsbereiche der beiden Fachdisziplinen, bei denen ein direkter Übergang der betroffenen Kinder von einem Hilfesystem ins andere erfolgt, bestehen dann, wenn entweder Patienten aus jugendpsychiatrischen Kliniken in Einrichtungen der Jugendhilfe vermittelt werden oder wenn Kinder aus der Jugendhilfe in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen werden (vgl. GINTZEL 1989, S.12). Diese gegenseitigen Überweisungsprozesse geben oftmals Anlass zur Kritik: Es wird angeführt, dass Kinder dann zu so genannten ‚Grenzfällen’ erklärt werden, wenn die Institutionen an ihre eigenen Grenzen stoßen. Vor allem in Heimeinrichtungen wird versucht, unlösbar erscheinende Probleme an höher bezahlte Fachleute wie Ärzte und Psychologen zu delegieren (vgl. KÖTTGEN/KRETZER 1990, S.98). 16 „Man erwartet, daß in Spezialinstitutionen auch bessere Behandlungsangebote bereitgehalten werden. Solche überhöhten Kompetenzerwartungen an psychologisch-psychiatrische Fachleute werden genutzt, um sich von Drucksituationen zu entlasten. Die tatsächlichen Behandlungsangebote solcher Spezialinstitutionen sind jedoch oft enttäuschend“ (a.a.O., S.98). 16 GINTZEL & SCHONE (1990b) untersuchten, in welchen Fällen es zu Überweisungen von Heimen in die stationäre Kinder- und Jugendpsychiatrie kommt und arbeiteten drei Überweisungsmuster heraus: (1.) permanente Ratlosigkeit, (2.) plötzlich auftretende Hilflosigkeit, (3.) langfristige Eskalation (vgl. a.a.O., S. 37ff.). 28 Kapitel I: Einführung in die Fachdiskussion Beispielsweise RÖßLER (1990) merkt an, dass dieses Verfahren umso überzeugter angewandt wird, je weniger bei den jeweiligen Fachkräften über die tatsächlichen Hilfemöglichkeiten der Kinder- und Jugendpsychiatrie bekannt ist. Er kritisiert, dass es gerade dann nicht nur um die bestmögliche Hilfe im Einzelfall geht, sondern auch um die Stabilisierung des Systems, das den ‚Grenzfall’ abgibt. „Die weitverbreitete Strategie der Ausgrenzung von Problemen führt ja dazu, das vorhandene System eingespielter Handlungsmuster zu stabilisieren und die Grenzen von Institutionen deutlicher zu markieren“ (a.a.O., S.135f.). Um eine Überweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie legitimieren zu können, werden in solchen Fällen die Verhaltensweisen des Kindes als krank definiert und die eigene Nicht-Zuständigkeit erklärt (vgl. a.a.O., S.138; RAMB 1999, S.855). Durch diese Strategie der Ursachensuche können selbstwertbelastende Fragen innerhalb der Einrichtung vermieden werden: es müssen dann nicht die Lebensbedingungen im Heim oder der eigene Umgang mit den Kindern hinterfragt werden, weil man es schließlich mit einem verhaltensgestörten Kind zu tun hat (vgl. WOLF 1998, S.48). WOLF kritisiert, dass diese Verschiebung der Wahrnehmung weg von den Lebensumständen des Kindes, institutionellen Grenzen und eigenen Handlungsunsicherheiten, hin zu dispositionalen Ursachen, die im Kind liegen, mit dem Verlust der eigenen Handlungsfähigkeit einhergeht (vgl. a.a.O., S.48). „Die Überzeugung, Wirkungen durch eigene Handlungen erzeugen zu können, ist gebrochen“ (a.a.O., S.49). Es besteht in vielen Fällen die Erwartung an die Kinder- und Jugendpsychiatrie, herauszufinden, was mit dem Kind ‚nicht stimmt’ und damit verbundene Empfehlungen für das weitere Vorgehen zu erhalten (vgl. ABELS/SCHÄFER/WOLF 2006, S.12). Die anschließende Verwertbarkeit psychiatrischer Diagnosen in der sozialpädagogischen Praxis wird in der Debatte allerdings kritisch gesehen. Auf der einen Seite stehen die ausführlichen Darstellungen der Ergebnisse diverser Untersuchungen, auf der anderen Seite wenig ausdifferenzierte Empfehlungen für pädagogische Settings, „die die Mediziner als pädagogische Laien outen“ (WOLF 1998, S.56) und die sich für die pädagogische Praxis als ungeeignet erweisen (vgl. a.a.O., S.56). KÖTTGEN (1998b) weist darauf hin, dass auch Vertreter der Kinder- und Jugendpsychiatrie bei Schwierigkeiten, die Hilflosigkeit erzeugen, ähnliche Zuschreibungen zur Feststellung der eigenen Nicht-Zuständigkeit vornehmen. Hier werden die Probleme der Kinder als ‚erzieherische Probleme’ definiert und in der Konsequenz dem System der Jugendhilfe überantwortet (vgl. a.a.O., S.69). 17 17 Auch hier stellten GINTZEL & SCHONE (1990b) Überweisungsmuster heraus: (1.) das Muster der Überweisung nach Clearing, (2.) das Muster der ins Diagnose- und Behandlungskonzept eingebundenen Maßnahme, (3.) das Muster der Überweisung nach Nichtfruchten von Therapieversuchen, (4.) das Muster der Überweisung nach Erklärung der eigenen Nichtzuständigkeit (vgl. a.a.O., S. 40ff). 29 Kapitel I: Einführung in die Fachdiskussion „In der Folge erschließt sich die Zusammenarbeit zwischen der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie als ein Verständnis der gegenseitigen Inanspruchnahme bei der Suche nach Problemlösungen im Einzelfall mit erheblichen Problemen“ (COBUSSCHWERTNER 2001, S.188f.). BLANDOW (1990) sieht darin nichts anderes, als dass man der je eigenen Arbeitsform nur Begrenztes zutraut (vgl. a.a.O., S.11). In der Konsequenz fordert RÖßLER (1990), dass es zum Selbstverständnis der Jugendhilfe gehören sollte, ständig die Frage zu prüfen, ob im Rahmen der eigenen Institution die Probleme produziert werden, die dann als behandlungsbedürftig erscheinen. Er verlangt, eigene Problemlösestrategien zu entwickeln, bevor Kinder als Psychiatriefälle definiert werden (vgl. a.a.O., S.139; ähnlich auch WOLF 1998, S.49). Die Mitarbeiter der Jugendhilfe dürfen nicht darauf verzichten, (zunächst) unverständliches Verhalten der Kinder zu dechiffrieren und sich zu den Lebenserfahrungen der Kinder einen Zugang zu erarbeiten, um diese zu interpretieren (vgl. ABELS/SCHÄFER/WOLF 2006, S.12f.). Es wird angeführt, dass eine spezifische pädagogische Deutung unerlässlich ist, da sich psychiatrischmedizinische und sozialpädagogische Diagnosen sowie die damit verbundenen Interventionen strukturell unterscheiden (vgl. a.a.O., S.14). 18 Das Ziel sozialpädagogischer Diagnosen besteht darin, einen verstehenden Zugang zu den Kindern und deren Verhaltensweisen zu ermöglichen, um sozialpädagogische Interventionsstrategien zu eröffnen, „ein Lernfeld zu arrangieren, in denen die Menschen neue Erfahrungen machen und ihre Grundstrategien verändern können“ (vgl. a.a.O., S.15). „Es kann agiert statt nur reagiert werden, womit Abschiebungstendenzen aus Hilflosigkeit entgegengewirkt werden kann“ (WEHNER 2002, S.823 in Bezug auf FREIGANG 1986 & WOLF 1998). 18 Eine anschauliche Unterscheidung der beiden Diagnoseformen beschreiben MOLLENHAUER & UHLENDORFF (1992): Psychiatrische Diagnosen zielen darauf ab, zu möglichst eindeutigen und generalisierten Zuordnungen von beobachtetem Verhalten und dessen Ursachen zu kommen, um den Fall allgemeingültigen Störungstypen zuzuordnen. Hieraus ergibt sich ein eingeschränktes Spektrum von Interventionsstrategien (beispielsweise behandelt man eine festgestellte frühkindliche Hirnschädigung mit einer bestimmten Therapie). Mithilfe sozialpädagogischer Diagnosen wird weniger nach somatischen Ursachen gesucht, sondern eher nach lebensthematischen Bedeutungen, die durch die Äußerungen des Menschen vermittelt werden. Hier geht es nicht darum, den Fall möglichst schnell einem allgemeinen Typus zuzuordnen, weil dadurch Erkenntnismöglichkeiten verbaut würden (vgl. a.a.O., S. 26ff.). MOLLENHAUER & UHLENDORFF haben Verfahrensvorschläge für sozialpädagogische Diagnosen entwickelt und erprobt (vgl. a.a.O., 1992 & 2000). 30 Kapitel I: Übergänge als kritische Lebensereignisse 4. Übergänge als kritische Lebensereignisse Will man die Bedeutung von Übergängen in die Hilfesysteme der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Heimerziehung untersuchen, genügt es nicht, die beiden Hilfesysteme vorzustellen und miteinander zu vergleichen. Da es sich bei solchen Übergängen für die Kinder um entscheidende Veränderungen ihres biographischen Verlaufs handelt (vgl. HOER1987, S.231), werde ich im Folgenden Übergänge unter dem Aspekt des ‚kritischen NIG Lebensereignisses’ betrachten. 4.1 Begriffsbestimmung ‚kritisches Lebensereignis’ Kritische Lebensereignisse können nach FILIPP (1990a) „als solche im Leben einer Person auftretende Ereignisse verstanden werden, die durch Veränderungen der (sozialen) Lebenssituation der Person gekennzeichnet sind und die mit entsprechenden Anpassungsleistungen durch die Person beantwortet werden müssen“ (a.a.O., S.24). Kritische Lebensereignisse werden – unabhängig davon, ob es sich um ein positives oder negatives Ereignis handelt – prinzipiell als stressreich angesehen, da sie eine Unterbrechung gewohnter Handlungsabläufe darstellen und eine Veränderung bisheriger Verhaltensmuster erfordern (vgl. a.a.O., S.24). Bei kritischen Lebensereignissen handelt es sich also um reale Lebenserfahrungen einer besonderen Tönung, die sich für die Person als Einschnitte im Geschehensablauf darstellen und die auch rückblickend häufig als Einschnitte und Übergänge im Lebenslauf wahrgenommen werden (vgl. FILIPP 1990b, S.293). FILIPP (1990a) schlägt folgende Aspekte zur Kennzeichnung kritischer Lebensereignisse vor: 1. „Sie stellen die raumzeitliche, punktuelle Verdichtung eines Geschehensablaufs innerhalb und außerhalb der Person dar und sind somit im Strom der Erfahrungen einer Person raumzeitlich zu lokalisieren“ (a.a.O., S.24). 2. „Kritische Lebensereignisse stellen Stadien des Ungleichgewichts in dem bis dato aufgebauten Passungsgefüge zwischen Person und Umwelt dar […]. Diese Konzeptualisierung schließt ein, daß jedes Person-Umwelt-System durch ein bestimmtes Maß an interner Kongruenz gekennzeichnet ist, welches der Person ’adaptives Funktionieren’ in ihrem jeweiligen Umweltkontext ermöglicht“ (a.a.O., S.24). Unterschreitet diese Kongruenz zwischen Person und Umwelt ein Mindestmaß und wird die Neuorganisa- 31 Kapitel I: Übergänge als kritische Lebensereignisse tion des Person-Umwelt-Gefüges erforderlich, ist ein kritisches Lebensereignis gegeben (vgl. a.a.O., S.24). 3. Das Ungleichgewicht in der Person-Umwelt-Beziehung wird für die Person unmittelbar erlebbar. Das Erleben ist von affektiven Reaktionen – die nicht zwangsläufig negativer Qualität sein müssen – begleitet. Die „Tatsache der emotionalen Nicht-Gleichgültigkeit“ lässt kritische Lebensereignisse in der Biographie als prägnant und herausragend erscheinen (vgl. a.a.O., S.24f.). Erst individuelle Prozesse der Wahrnehmung und Einschätzung von Lebensereignissen qualifizieren diese als kritisch, belastend, erfreulich und vieles mehr (vgl. a.a.O., S.31). Die subjektive Ereigniswahrnehmung wird zum einen durch die subjektive Erwünschtheit des Ereignisses beeinflusst. Lebensereignisse sind in dem Maße erwünscht, in dem sie die Erreichung von Handlungszielen fördern (vgl. a.a.O., S.33f.). Zum anderen hängt die ihnen zugeschriebene Bedeutung davon ab, inwieweit ihnen ein Sinn im Hinblick auf das eigene Leben verliehen werden kann, der die Auseinandersetzung mit und Bewältigung von kritischen Lebensereignissen erleichtert (vgl. a.a.O., S.34). Es wird außerdem davon ausgegangen, dass ein hohes Maß an Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit die Belastungswirkung von Lebensereignissen mindert (vgl. a.a.O., S.34f.). Ein weiterer Faktor ist die wahrgenommene Herausforderung, „die Tendenz einer Person, kritische Lebensereignisse als Chancen für die Erprobung von Problemlöse- und Bewältigungsverhalten aufzufassen“ (a.a.O., S.35). 4.2 Übergänge in die Heimerziehung bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie als kritisches Lebensereignis Nach FINKEL (2004) kann die Unterbringung im Heim als kritisches Lebensereignis verstanden werden, da die oben genannten Aspekte zur Kennzeichnung kritischer Lebensereignisse zutreffen: „Der Lebensortwechsel ist sowohl räumlich als auch zeitlich zu lokalisieren, die Person muss sich in einem veränderten sozialen Milieu zurechtfinden, es muss ein neues Passungsgefüge entstehen zwischen Person und Umwelt und schließlich geht der ganze Prozess mit einer hohen emotionalen Betroffenheit einher“ (a.a.O., S.193). Inwieweit Unterbringungen in Heimen oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie als kritische Lebensereignisse gekennzeichnet werden können, soll im Folgenden näher betrachtet werden: Die Unterbringung im Heim ist mit einem Wechsel der Lebenswelt und der Trennung von Bezugspersonen verbunden. Da sich die soziale Identität auch immer über die Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen definiert, wird diese nun grundlegend infrage gestellt (vgl. 32 Kapitel I: Übergänge als kritische Lebensereignisse FREIGANG 1986, S.26). Während in einem ‚normalen’ Lebenslauf Statusübergänge geplant und vorbereitet sind – meist verlaufen sie in institutionellen Bahnen (beispielsweise der Schuleintritt) –, sind diese Übergänge nicht geregelt (vgl. FREIGANG 1986, S.26). Der Statusübergang vom ‚Kind im Familiensystem’ zum ‚Heimkind’ stellt einen Wendepunkt in der kindlichen Entwicklung dar, in denen die ‚normalen’ Bahnen des Lebenslaufs verlassen werden. Das Kind kann an solchen Wendepunkten die bisherige Interpretation seiner selbst nicht mehr aufrechterhalten. Seine Erfahrungen und seine Selbstsicht müssen neu strukturiert werden (vgl. a.a.O., S.26). Zum einen muss das Kind die sozialräumliche und damit oft auch lebensweltliche Trennung bewältigen (vgl. LAMBERS 1996,S.50f.). Diese ist verbunden mit dem Verlust bzw. der Infragestellung von vertrauten Sinnsystemen. Der besondere Charakter dieser Bewältigungsproblematik besteht darin, dass es sich in der Regel um eine völlig neue Erfahrung für die Kinder handelt, in der sie nicht auf erprobte Verhaltensmuster ähnlicher Bewältigungsprobleme zurückgreifen können. Dies erfordert die Entwicklung einer gänzlich neuen Anpassungsleistung, was der Bewältigungsproblematik eine völlig neue psychische Qualität verleiht, sie stellt sich als Krise dar (vgl. a.a.O., S.50f.). Finkel (2004) weist darauf hin, dass über den Akt der Heimunterbringung und den damit verbundenen Übergang in ein neues Lebensmilieu hinaus, oft auch das vorangegangene konflikthafte Erleben der Familienbeziehungen für die Kinder zu bewältigen ist (vgl. a.a.O., S.192). Der Wechsel des Kindes in die Heimerziehung stellt aber nicht nur für das Kind, sondern für die gesamte Familie ein kritisches Lebensereignis dar, da er auch mit gravierenden Änderung im Familiensystem einhergeht, welches durch einen Anpassungsvorgang wieder stabilisiert werden muss (vgl. LAMBERS 1996, S.10). „Die Lebenslage von Familien wird durch die Heimunterbringung bewußt verändert. Der krisenhafte Prozeß im Familiensystem wird durch ein weiteres, das System radikal veränderndes Ereignis zu lösen versucht. Es wird eine Trennung herbeigeführt, die wiederum als Krise wahrnehmbar ist und bewältigt werden muß“ (a.a.O., S.48). LAMBERS (1996) stellte in einer Untersuchung fest, dass Eltern und Kinder die Heimunterbringung, die Gründe, die hierzu geführt haben, die Zeit des Überganges vom alten in das neue Lebensfeld sowie auch die Zeiten im Heim als Ereignisse erleben, die ihr Leben einschneidend verändern. „Diese Veränderungen stellten für die Kinder und Jugendlichen und ihre Eltern stets einen […] Abbruch [.] ihrer gewohnten Lebensweise dar und wurden in der Regel als unerwünschtes oder auch erwünschtes, in jedem Fall aber als verunsicherndes und daher auch ’emotional nicht gleichgültiges’ Ereignis erlebt, auf das in neuer, zunächst noch nicht bekannter Form reagiert werden mußte. Hierbei war man stets darum bemüht, ein altes Gleichgewicht, eine Verhaltenssicherheit, zurückzugewinnen. Diese Abläufe kennzeichnen im wesentlichen 33 Kapitel I: Übergänge als kritische Lebensereignisse [sic] den von FILIPP begrifflich als ’kritisches Lebensereignis’ bezeichneten Konfliktfall im Alltagsleben“ (a.a.O., S.112). Dadurch, dass Heimerziehung immer mit der Konstituierung eines anderen Lebensmittelpunktes des Kindes verbunden ist und damit unvermeidbar tief in die bisherigen Lebenszusammenhänge eingreift, ist sie also immer auch ein kritisches Lebensereignis (vgl. WOLF 2002a, S.642 in Bezug auf LAMBERS 1996). Es ist allerdings nicht möglich, allgemeine Aussagen über die damit verbundenen Belastungen und Chancen zu machen. Es macht beispielsweise einen erheblichen Unterschied, ob das Kind in einem Heim in unmittelbarer Nähe zum Elternhaus und damit im gewohnten Umfeld oder hunderte Kilometer entfernt untergebracht wird. Auch der Umstand, ob Kinder bei der Unterbringung im Heim Zwang erleben oder freiwillig untergebracht werden, verändert die Qualität des Ereignisses (vgl. WOLF 2002a, S.642f.). Ich gehe davon aus, dass auch die Unterbringung eines Kindes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter dem Aspekt des ‚kritischen Lebensereignisses’ betrachtet werden kann: Die Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist sowohl räumlich als auch zeitlich zu lokalisieren. Das Kind erfährt – zeitlich in der Regel wesentlich begrenzter als in der Heimerziehung – eine Trennung von seiner Familie und anderen Bezugspersonen und muss sich in einer ihm bisher unbekannten Umgebung zurecht finden. Dadurch wird auch hier eine Neuorientierung des Person-Umwelt-Gefüges notwendig, die soziale Identität wird infrage gestellt (vgl. FREIGANG 1986, S.26 & 1989, S.25f.). In dieser neuen Umgebung gibt es Regeln sowie Sinnstrukturen, die sich teilweise von denen ihm bisher bekannten unterscheiden (vgl. KÜHNLEIN/MUTZ 1996, S.32). Es handelt sich also um keinen vertrauten und bekannten Lebenszusammenhang, in dem die lebensgeschichtlich erworbenen „Typisierungen und Habitualisierungen“ gültig sind, Vertrautheit und Bekanntheit mit der gegebenen Sinnstruktur müssen erst hergestellt werden (vgl. a.a.O., S.32). Die bisherige Meinung, die das Kind von sich, den anderen Menschen und dem von ihm erwarteten Verhalten hatte, kann nicht mehr ohne weiteres aufrecht erhalten werden (vgl. FREIGANG 1989, S.26). Auch wenn es sich um eine zeitlich auf einige Wochen bis zu einigen Monaten begrenzte Maßnahme handelt, nach deren Abschluss das Kind in der Regel in seine gewohnte Lebenswelt zurückkehrt, ist es doch das Ziel, dem Kind neue Erfahrungs-, Deutungs- und Handlungsmuster zu vermitteln, die es auch nach Abschluss der stationären Unterbringung beibehalten soll. Nach der Entlassung erfordert dies weitere Anpassungsleistungen und Neuorientierungen in dem ihm vertrauten Lebenskontext (vgl. KÜHNLEIN/MUTZ 1996, S.7). 34 Kapitel I: Übergänge als kritische Lebensereignisse Ähnlich wie bei der Unterbringung im Heim ist es auch hier meines Erachtens nicht möglich, eine allgemeine Bewertung der Belastungen und Chancen vorzunehmen. Ob eine Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie ein kritisches Lebensereignis für das Kind darstellt und wie einschneidend dies erlebt wird, wird sowohl von der Gestaltung des Unterbringungsprozesses, als auch von der Dauer der Unterbringung abhängen: Ich gehe davon aus, dass es einen deutlichen Unterschied ausmacht, ob das Kind dem Psychiatrieaufenthalt zustimmt oder ob es von seinen Eltern (oder anderen Personen) ohne sein Einverständnis untergebracht wird. Ebenso wird ein Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der nur wenige Tage dauert, einen geringeren Einschnitt in den Lebenslauf darstellen, als ein mehrmonatiger Aufenthalt. FREIGANG (1989) weist darauf hin, dass die Unterbringung sowohl im Heim, als auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht nur eine Antwort auf, sondern auch Auslöser von Identitätskrisen sein kann. „Solche Krisen können dann verkraftet und produktiv genutzt werden, wenn der neue Status dem Betroffenen dazu verhilft, das Problem, das in ihm die Krise [im Verhältnis Person-Umwelt, d. Verf.] ausgelöst hat, zu lösen. […] Gelingt dies nicht, so besteht die Gefahr, daß der Heranwachsende seine Identität auf eine Weise wiederherstellt, die von den Institutionen nicht beabsichtigt war. Diese Gefahr besteht umso mehr, wenn der Übergang zum Status ’Heimkind’ oder ’Patient’ schon an sich als Abstieg und Stigma gilt und die Diagnose dazu dient, den Betroffenen auf eine Identität des Abweichers [sic] festzulegen“ (FREIGANG 1989, S.25f.). Den Begriff ‚Übergang’ werde ich im Folgenden verwenden, wenn es sich um einen Wechsel des Lebensortes in Verbindung mit stationären professionellen Settings – Heimerziehung oder Kinder- und Jugendpsychiatrie – handelt. In diesen Fällen wechseln Kinder ihren Lebensort, ohne dass die Eltern den gleichen Lebensortwechsel vollziehen, wie dies bei einem Umzug der Familie der Fall wäre. Es finden also raum-zeitlich lokalisierbare Veränderungen in der sozialen Lebenssituation der Kinder statt, bei denen davon auszugehen ist, dass die Kinder sich an die neue Situation anpassen müssen und dass diese Veränderungen daher eine emotionale Bedeutung besitzen. 35 Kapitel II: Das zentrale Erkenntnisinteresse Kapitel II: Anlage der Untersuchung Dieses Kapitel dient dazu, den Untersuchungsprozess zu beschreiben. In Punkt 1 wird das für die Untersuchung leitende Erkenntnisinteresse dargestellt. Punkt 2 enthält die Beschreibung des Erhebungsdesigns mit den Überlegungen, welche Menschen befragt werden sollen sowie die Darstellung und Diskussion der gewählten Untersuchungsmethode. In Punkt 3 wird die Durchführung der Untersuchung mit den verschiedenen Phasen der Kontaktaufnahme, Durchführung der Interviews, Nachbereitung und Aufbereitung des gewonnenen Datenmaterials beschrieben. Abschließend werde ich in Punkt 4 das Auswertungsverfahren vorstellen. An einigen Stellen möchte ich dem Leser Einblicke in den Forschungsprozess geben. Es sollen Überlegungen und Erfahrungen, die ich während der ‚Feldphase’ und deren Vorbereitung gemacht habe und die sich teilweise auf den Verlauf des Prozesses auswirkten, skizziert werden. Diese zusätzlichen Informationen sind durch eingerückte Absätze in kursiver Schrift gekennzeichnet. Bei der Planung des Untersuchungs- und Auswertungsdesigns habe ich mich an dem Text „Arbeitsschritte im qualitativen Forschungsprozeß“ von BENTLER und KÖNIG (1997, S.88ff.) und den von WOLF (2003 & 2005) dargestellten Schritten zur Erstellung eines Untersuchungsdesigns orientiert. 1. Das zentrale Erkenntnisinteresse Betrachtet man den Titel meiner Arbeit „Kinder zwischen Heimerziehung und Kinder- und Jugendpsychiatrie“, stößt man auf ein weites Feld, welches Möglichkeiten für zahlreiche unterschiedliche Untersuchungen bietet. Man könnte zum Beispiel die Sichtweise der Eltern der betroffenen Kinder untersuchen, die Perspektive der in der Heimerziehung oder im Jugendamt tätigen Pädagogen sowie die der Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Je nachdem, welchen Fokus man hat, sind weiterhin unterschiedliche Methoden zur Datenerhebung denkbar. 36 Kapitel II: Das zentrale Erkenntnisinteresse Im Mittelpunkt dieser Arbeit sollen die Kinder stehen, da sie unmittelbar von den Entscheidungen betroffen sind und die durchgeführten Maßnahmen sich auf die Kinder beziehen. Gegenstand der Untersuchung wird ihr Erleben von Übergängen in Heimeinrichtungen und die Kinder- und Jugendpsychiatrie sein. Ich gehe davon aus, dass Kinder eine differenzierte Meinung zu ihrem Leben und darin eingebettete Entscheidungen (beispielsweise bezüglich pädagogischer Interventionen und ihres Lebensortes) haben, und in der Lage sind, diese zu äußern. Aus diesem Grund sollte das Erleben der Hilfeadressaten, die Wahrnehmung und Deutung ihrer Situation unentbehrlicher Gegenstand für die Theorie und Praxis der Sozialpädagogik sein (vgl. PIES 2004, S.429). Zahlreiche Fallberichte in der Literatur belegen, dass dies aber dort, wo es um die oft so genannten ‚Grenzfälle’ zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie geht, häufig nur am Rande berücksichtigt wird (vgl. z.B. ABELS/SCHÄFER/WOLF 2006). Gerade in Entscheidungssituationen, die tief greifende Veränderungen im Leben der Kinder zur Folge haben, wäre es aber wichtig, die Sichtweise des Kindes auf seine Lage möglichst differenziert zu kennen. „Auch dann könnte man seinen Wünschen nicht immer folgen, aber man wüsste zumindest um die Diskrepanz [zwischen den kindlichen Wünschen und der getroffenen Entscheidung, d. Verf.]“ (a.a.O., S.11). Für die Untersuchung gibt es einige Themen, die ich für besonders relevant halte: • Wie erleben die Kinder Übergänge und den Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der Heimerziehung? • Wie erleben sie Entscheidungsprozesse in solchen Situationen? Aus den beiden genannten Fragen resultieren spezifischere Fragen, die für mich von Interesse sind: • Haben die Kinder das Gefühl, in die Entscheidung einbezogen worden zu sein und konnten sie diese beeinflussen? • Wie erklären sie sich die Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. die Unterbringung im Heim? Wurden Entscheidungen für sie transparent und nachvollziehbar? • Wie bewerten sie pädagogisches Handeln in Übergangssituationen? • Wurde der Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. der Aufenthalt im Heim als Hilfe wahrgenommen oder vielmehr als Belastung? • Was stellte in diesem Zusammenhang besondere Belastungen dar und wie wurden sie bei der Bewältigung unterstützt? • Haben solche Unterbringungen Auswirkungen auf ihr Selbstbild? Gehen sie davon aus, dass sie ‚das Problem’ darstellen und etwas an ihrem Verhalten ändern müssen? • Wie betten sie diese kritischen Lebensereignisse in ihre Biographie ein? 37 Kapitel II: Das zentrale Erkenntnisinteresse Während ich diese Aspekte im Laufe der Interviews zur Sprache bringen möchte, soll es auch möglich sein, dass die Kinder eigene Themen einbringen. Es ist durchaus denkbar, dass die oben angeführten Fragen in diesem Zusammenhang für sie weniger Relevanz haben und andere Aspekte wesentlicher sind. Das praktische Interesse der Untersuchung liegt darin, aus den Äußerungen der Befragten Konsequenzen für die Soziale Arbeit abzuleiten. Denn „Einschätzungen und Ansichten von Kindern und Jugendlichen sind für eine qualifizierte Hilfepraxis von unschätzbarem Wert, da sie die Perspektive von Professionellen erweitern und Anstoß zur kritischen Reflexion sowie vielfältige Anregungen für die Weiterentwicklung dieser bieten“ (PIES 2004, S.429). 38 Kapitel II: Das Erhebungsdesign 2. Das Erhebungsdesign 2.1 Welche Menschen sollen befragt werden? Wie ich im Punkt ‚Das zentrale Erkenntnisinteresse’ bereits festgelegt habe, wird sich die Untersuchung ausschließlich auf die Perspektiven von Kindern beziehen. Dies bedarf sicherlich einer Begründung. Mir erschien es von Beginn an nicht abwegig, die Untersuchung derart einzuschränken. Einzelne Pädagogen der Einrichtungen, zu denen ich während der Suche nach Interviewpartnern Kontakt aufnahm, schienen aber fast enttäuscht zu sein, dass ich nicht auch Interviews mit ihnen durchführen wollte und wiesen mich darauf hin, dass ich berücksichtigen müsse, dass es sich nur um eine von vielen Perspektiven auf den jeweiligen Hilfeverlauf handle. Ich sehe die Kinder als Experten für ihre eigene Lebensgeschichte und die darin eingebetteten Hilfeverläufe. „Die Aussagekraft der subjektiven Einschätzungen sind dabei zunächst in ihrer Eigenständigkeit als Ausdruck individueller Erfahrens- und Erlebensweisen zu werten. Die jungen Menschen geben aus ihrer Sicht der Dinge Auskunft über ihre Erfahrungen mit Jugendhilfe [und der Kinder- und Jugendpsychiatrie, d. Verf.]“ (BMFSFJ 1998, S.107). Grundlage der Untersuchung werden von den Kindern erzählte (Lebens-) Geschichten, Ereignisse und Meinungen sein. Es handelt sich also – wie bereits festgestellt – lediglich um eine von mehreren Sichtweisen auf den Hilfeprozess, meines Erachtens aber um eine besonders bedeutsame und ernst zu nehmende. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass der subjektiven Wahrnehmung Verzerrungen und Selektionen unterliegen, die beispielsweise dem Versuch einer möglichst günstigen Selbstdarstellung der Kinder zuzuschreiben sind (vgl. FINKEL/HAMBERGER 1998, S.76). Da es nicht Ziel dieser Arbeit ist, festzustellen und zu bewerten, ob es im einzelnen Fall objektiv gesehen ‚richtig’ oder ‚falsch’ war, Kinder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und in stationären Jugendhilfeeinrichtungen unterzubringen und wie diese Übergänge gestaltet wurden, halte ich diese Einschränkung für vertretbar. Bei den Überlegungen, welche Personen für die Untersuchung infrage kommen, gibt es für mich mehrere Auswahlkriterien: • Die Kinder sollen Übergänge zwischen der Heimerziehung und der Kinder- und Jugendpsychiatrie erfahren haben. Es handelt sich also um unmittelbare Übergänge zwischen pädagogischen Betreuungssettings und eher medizinisch orientierten Settings. 39 Kapitel II: Das Erhebungsdesign Nach den Aussagen der Mitarbeiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der verschiedener Heimeinrichtungen gibt es weit mehr Kinder, die nach einer kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung in der Heimerziehung untergebracht werden, als Kinder die aus Heimen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie überwiesen werden. 19 • Der Kontakt der Kinder zur Kinder- und Jugendpsychiatrie soll sich nicht auf einen rein ambulanten beschränken, sondern mit einem stationären Aufenthalt verbunden gewesen sein, da es mir explizit um den (zeitlich begrenzten oder dauerhaften) Wechsel des Lebensfeldes geht. • Unabdingbare Voraussetzung ist, dass die Kinder die Bereitschaft zeigen, mit mir als einer fremden Person über ihre Erlebnisse – die sie unter Umständen als sehr belastend empfunden haben – zu sprechen. • Ein weiteres Auswahlkriterium resultiert aus der von mir gewählten Untersuchungsmethode, deren Beschreibung und Begründung ich an diesem Punkt vorgreifen möchte. Um Interviews in dieser Form durchführen zu können, sollten die Befragten ein bestimmtes Alter erreicht haben. HEINZEL (1997) beschreibt zwar, dass es durchaus möglich ist, auch mit Kindern, die jünger als 14 Jahre sind, Interviews zu führen, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass von ihr befragte Experten (z.B. BEHNKEN) angaben, dass eine Schulung der Interviewer im Vorfeld unbedingt notwendig sei und die Interviewfragen im Vorfeld mit Kindern in Bezug auf deren Verständlichkeit erprobt werden sollten. Dies ist mir durch die begrenzte Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht möglich. Ich gehe zwar davon aus, dass gelingende Interviews mit Jugendlichen auch eine gewisse Übung erfordern, traue es mir hier aber eher zu, einen Zugang und eine angemessene sprachliche Ebene zu finden als zu jüngeren Kindern. Ich werde drei Interviews führen und analysieren, da diese geringe Anzahl es ermöglicht, genauer auf die Besonderheiten des einzelnen Falles einzugehen (vgl. MAYRING 2002, S.42). 2.2 Auswahl geeigneter Untersuchungsmethoden Um die individuelle Sichtweise der Kinder hinsichtlich ihrer Hilfeverläufe, insbesondere bezüglich der Übergänge zwischen Heimerziehung und Kinder- und Jugendpsychiatrie und ihre damit gemachten Erfahrungen zu erheben, werde ich teilstandardisierte, leitfa19 Dies deckt sich mit den Ergebnissen eines vom Institut für soziale Arbeit (ISA) durchgeführten Praxisforschungsprojektes. Dies wird hier darauf zurückgeführt, dass einer relativ großen Anzahl von Heimeinrichtungen weniger kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken gegenüberstehen. Dadurch stellen Direktüberweisungen für Heime eher Ausnahmesituationen dar, während sie für jugendpsychiatrische Kliniken eher zum Alltag gehören. In Kliniken treten außerdem aufgrund der wesentlich kürzeren Unterbringungsdauer Aufnahme- bzw. Abgabesituationen häufiger auf als in Heimen (vgl. GINTZEL/SCHONE 1990b, S. 35). 40 Kapitel II: Das Erhebungsdesign dengestützte Interviews durchführen. Ich habe mich für die Methode des Interviews entschieden, weil sich durch einen sprachlichen Zugang das subjektive Erleben der Kinder am ehesten ableiten lässt (vgl. MAYRING 2002, S.66). Mögliche Nachteile und Risiken bei dieser Form der Datenerhebung können „der Einfluß des Interviewenden durch nonverbale und verbale Reaktionen auf die Äußerungen des Befragten, Mißverständnisse, die unter anderem auch durch die Fragenformulierung auftreten können, der Einfluß der sozialen Erwünschtheit auf die Antworten, bis hin zur möglichen Differenz zwischen den verbalen Äußerungen und dem tatsächlichen Verhalten der Befragten [sein, d. Verf.]“ (FRIEBERTSHÄUSER 1997, S.371). Für die Methode eines teilstandardisierten, leitfadengestützten Interviews spricht zum einen der stärkere Strukturiertheitsgrad während des Interviews, durch den bestimmte Themen zur Sprache gebracht werden können, die ich im zentralen Erkenntnisinteresse festgelegt habe. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Verfahrens besteht darin, dass sich mein Erkenntnisinteresse unter Umständen auf relativ kurze Passagen (Übergänge) in der Biographie der Kinder bezieht, die ohne eine gewisse Lenkung des Interviewverlaufes eventuell nicht Bestandteil der Erzählungen sein würden. Bei rein narrativen Interviews würde stattdessen möglicherweise ein relativ hoher Anteil von Datenmaterial erhoben, der für die Untersuchung nicht relevant ist. Rein narrative Interviews erfordern außerdem eine hohe Gesprächsbereitschaft und -fähigkeit der Interviewpartner, die nicht bei allen Kindern anzunehmen ist (vgl. LENZ 1986, S.139 in Bezug auf LEY 1984, S.241f.). Ein Vorteil der Methode des Leitfadeninterviews ist, dass sie diese hohe Gesprächsbereitschaft den Kindern nicht in dem Maße abverlangt und der Leitfaden sie in ihren Erzählungen unterstützen kann. Vor dem Interview wird ein Leitfaden 20 entwickelt, der die für mich relevanten Themen und teilweise bereits vorformulierte Fragen enthält, wodurch die Interviewthematik eingegrenzt und einzelne Themenkomplexe vorgegeben werden. Ein Vorteil des Leitfadens liegt darin, dass von einer gewissen Vergleichbarkeit der Ergebnisse einzelner Interviews auszugehen ist (vgl. FRIEBERTSHÄUSER 1997, S.375). Ziel des Leitfadens ist es nicht, alle in ihm enthaltenen Fragen zu stellen und eine bestimmte Fragenfolge einzuhalten. Ich werde versuchen, den Verlauf der Interviews so zu gestalten, dass die Leitfragen lediglich als Gerüst dienen und „die einzelnen Themenkomplexe […] offene Erzählaufforderungen enthalten, mit denen die Befragten dazu aufgefordert werden, ihre subjektiven Einschätzungen und Erfahrungen anhand von konkreten Schilderungen von Erlebnissen und anhand von Beispielen darzustellen“ (FRIEBERTSHÄUSER 1997, S.376). Durch dieses Vorgehen möchte ich den Befragten die Möglichkeit geben, offen, das heißt ohne Antwortvor20 Der Leitfaden ist im Anhang beigefügt. 41 Kapitel II: Das Erhebungsdesign gaben auf meine Fragen zu reagieren. Eine offene Gestaltung und flexible Handhabung des Leitfadens soll es zum anderen den Kindern ermöglichen, eigene Themen anzusprechen. Der Leitfaden dient also nicht zur Vorstrukturierung eines Frage-Antwort-Schemas, „sondern fungiert im Gegenteil lediglich als Orientierungsrahmen und Gedächtnisstütze für den Interviewenden, indem er Hintergrundwissen thematisch organisiert. […] Allerdings soll dieser ’leitende Faden’ den Befragten nicht aufoktroyiert werden, sondern er dient vor allem der Unterstützung und Ausdifferenzierung von Erzählsequenzen des Befragten“ (FRIEBERTSHÄUSER 1997, S.380). Wenn die Kinder eigene Themen zur Sprache bringen, die im Leitfaden nicht enthalten sind, für die Untersuchung oder die Erhaltung des Gesprächsfadens aber bedeutsam sind, werde ich an diesen Stellen spontan „Ad-hocFragen“ formulieren (vgl. MAYRING 2002, S.70). In der Literatur wird empfohlen, den Leitfaden durch die Durchführung von Probeinterviews zu testen und gegebenenfalls zu modifizieren (vgl. z.B. MAYRING 2002; FRIEBERTSHÄUSER 1997). Die Durchführung von Probeinterviews war mir aufgrund des hohen Zeitaufwandes bei der Suche nach Interviewpartnern und ohnehin einer geringen Anzahl von Kindern, die für mein Erkenntnisinteresse in Frage kamen und sich zu Interviews bereit erklärten, nicht möglich. Ich versuchte aber, nach dem ersten Interview (mit Elfriede) jene Fragen, die meiner Interviewpartnerin lediglich knappe Antworten entlockt hatten, zu modifizieren. Ein mögliches Risiko von Leitfaden-Interviews ist, dass das Interview zu einem FrageAntwort-Dialog verkürzt wird, bei dem lediglich Fragen ‚abgehakt’ werden, ohne dem Interviewten Raum für eigene Erzählungen und Themen zu geben. In diesem Fall würde der Leitfaden eher die Gewinnung von Informationen blockieren, als diese zu fördern. Mitteilungen und Informationen können auch durch Interviewerfehler, wie Aufforderungen zu kurzen Darstellungen, das Ablesen von Fragen, Nicht-Beachten von Äußerungen des Befragten etc., blockiert werden (vgl. FRIEBERTSHÄUSER 1997, S.377 in Bezug auf HOPF 1978). Obwohl ich mir im Vorfeld der Interviews über diese möglichen Probleme und Fehler bewusst war, fiel es mir vor allem im Interview mit Elfriede schwer, es angemessen durchzuführen. Ich stellte fest, dass mich der Leitfaden an einigen Stellen eher hinderte, spontan auf Themen einzugehen, die von ihr aufgeworfen wurden und ich sehr am Leitfaden festhielt. Ich hatte im Nachhinein das Gefühl, dass es bei einem weniger strukturierten Interview teilweise zu ausführlicheren Darstellungen gekommen wäre. Um diese aufgetretenen Probleme bei den folgenden Interviews zu vermeiden, verkürzte ich den Leitfaden, so dass er nur noch wenige vorformulierte Fragen enthielt und stattdessen relevante Themen nur noch stichpunktartig aufgeführt wurden. 21 Weiterhin führte ich während der Interviews mit Aylin und Tim einen Zwischenschritt durch. Nachdem Aylin und Tim mit der Erzählung ihrer Geschichte geendet hatten, zeichnete ich die von ihnen geschilderten Stationen ihrer Biographie auf und platzierte die Zeichnung so, dass sowohl die Befragten als auch ich sie se21 Im Anhang ist der Leitfaden für das Interview mit Elfriede als Leitfaden I, der modifizierte Leitfaden für die beiden folgenden Interviews als Leitfaden II gekennzeichnet. 42 Kapitel II: Das Erhebungsdesign hen konnten. Den weiteren Verlauf der Interviews strukturierte ich anhand der aufgezeichneten Stationen. So war es möglich, zu verdeutlichen, bei welcher Station wir uns gerade in der Erzählung befanden, was zuerst und was später geschah. Bei der Datenerhebung ist von möglichen subjektiven Verzerrungen auszugehen 22 (vgl. MAYRING 2002, S.44). „Jeder bastelt sich seine Wirklichkeit so zusammen, wie er/sie sich selbst sehen will oder welchen Eindruck er/sie machen will. D.h. Dinge werden verdrängt oder auch aus bestimmten Beweggründen nicht erzählt oder anders erzählt als sie sich abgespielt haben. […] Jenseits dieser Einschränkungen zur Aussagekraft biographischer Erzählungen […] darf aber nicht übersehen werden, daß sie als subjektive Deutungen von Wirklichkeit Bestand haben.“ (BMFSFJ 1998, S.108f.). 22 Subjektive Verzerrungen können nicht nur auf der Seite des Befragten entstehen. Auch der Einfluss des Interviewers kann zu Verzerrungen führen. Schon während der Datenerhebung fließen auch dessen Deutungen vor seinem Erfahrungshintergrund ein und können den Verlauf des Interviews beeinflussen. Ich gehe davon aus, dass sich dies gerade in Leitfadeninterviews nicht völlig vermeiden lässt, möchte aber auf diese mögliche Einschränkung hinweisen. 43 Kapitel II: Durchführung der Untersuchung 3. Durchführung der Untersuchung Unter diesem Punkt möchte ich dem Leser einige Einblicke in den Ablauf der ‚Feldphase’ meiner Untersuchung gewähren. 3.1 Kontaktaufnahme Einen wesentlichen Teil der Vorbereitung der Untersuchung stellte die Suche nach Interviewpartnern dar. Hier mussten Einrichtungen gefunden werden, in denen Kinder lebten, die den für meine Untersuchung relevanten Übergang zwischen Heimerziehung und Kinder- und Jugendpsychiatrie erlebt hatten. Bis kurz vor Beginn meiner Diplomarbeit hatte ich als Aushilfskraft in einer Heimeinrichtung gearbeitet, in der einige Kinder lebten, auf die meine Auswahlkriterien zutrafen und von denen ich annahm, dass sie sich zur Teilnahme an den Interviews bereit erklären würden. Eine erste Überlegung war, diese Kinder zu befragen. Dafür sprach, dass eine gewisse Vertrauensgrundlage zwischen den Kindern und mir hätte vorausgesetzt werden können, die den Befragten und auch mir als Interviewer die Interviewsituation möglicherweise erleichtert hätte. Ich verwarf diesen Gedanken allerdings recht schnell, da ich davon ausging, dass die Kinder während ihren Erzählungen ein gewisses Vorwissen meinerseits zu ihrer Biographie vorausgesetzt hätten und es so zu verkürzten Darstellungen gekommen wäre. Ein weiterer Punkt, der gegen Interviews mit Kindern dieser Einrichtung sprach, lag darin, dass ich die Entscheidungen, warum sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht worden waren, kannte und mir bereits eine Meinung dazu gebildet hatte. Ich befürchtete, dass dies eine unvoreingenommene Auswertung der Daten unmöglich machen würde. Nachdem ich auf unterschiedlichen Wegen (z.B. über Jugendämter, Kommilitonen die Praktika in Heimen gemacht hatten etc.) Einrichtungen ausfindig gemacht hatte, die in Frage kamen, rief ich dort an und stellte kurz mein Vorhaben vor. Für die Folgezeit wurde dann ein Termin vereinbart, um vor Ort das Thema meiner Diplomarbeit, mein geplantes Untersuchungsdesign und die Ziele der Arbeit genauer darzustellen und zu besprechen. Weiterhin legte ich die Themen, die Gegenstand der Interviews sein sollten, offen. Hier ging es mir darum, dass die dortigen Pädagogen einschätzten, ob die Interviews die Kinder nicht zu stark belasten würden. Wenn es möglich war, sprach ich auch vor dem eigentlichen Interviewtermin persönlich mit den Kindern, um organisatorische Dinge wie die Anonymisierung und die Verwendung des Aufnahmegerätes mit ihnen zu klären und einen ersten Eindruck von ihnen zu gewinnen. Ich ging davon aus, dass es für die Durchführung der Interviews ausreichen würde, ihnen zu erläutern, wie ich mir den Verlauf vorstellte – nämlich dass sie mir erst etwas über sich und ihr Leben erzählten und ich ihnen im Anschluss noch einige Fragen stellen 44 Kapitel II: Durchführung der Untersuchung würde – und dass ich über Kinder schrieb, die im Heim lebten und darüber hinaus Psychiatrie-Erfahrungen hatten. Hier verlangten aber die Mitarbeiter sämtlicher Einrichtungen, dass ich den Kindern im Vorfeld einige Fragen vorstellte. ‚Damit sie wissen, worauf sie sich einlassen’, so der Tenor. Ich versuchte dann die Interviewthemen möglichst vage zu umschreiben, da ich befürchtete, dass sich die Kinder andernfalls zu genau überlegen würden, was sie mir auf bestimmte Fragen antworten sollten. Erklärten die Kinder sich zur Teilnahme bereit, wurde ein Interviewtermin vereinbart, an dem sie ausreichend Zeit hatten. 3.2 Durchführung der Interviews Die Interviews erfolgten im alltäglichen Milieu der Befragten, also an ihrem aktuellen Lebensort, entweder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder in den jeweiligen Heimeinrichtungen. Zu Beginn der Termine wies ich sie ausdrücklich darauf hin, dass sie jederzeit entscheiden könnten, welche Fragen sie beantworten möchten und welche nicht. Ich schaltete das Aufnahmegerät erst dann ein, wenn sie ihre Bereitschaft signalisierten. Hier ist festzuhalten, dass das Aufnahmegerät mich anscheinend mehr störte als die Kinder, die dem Mikrofon nach kurzer Zeit keine Beachtung mehr schenkten. Ich ertappte mich hingegen nicht nur einmal bei dem Gedanken, dass das gerade von mir Ausgesprochene wörtlich in der Transkription erscheinen würde. Vor und während der Interviews versuchte ich, den Interviewten zu vermitteln, dass ich sie als Experten für die Thematik und als gleichberechtigte Gesprächspartner ansah. Ich bemühte mich, eine Gesprächsebene zu finden, die der der Befragten gerecht wurde und ihnen erzählgenerierende Fragen zu stellen, sie während ihrer Erzählung nicht zu unterbrechen und Pausen nicht sofort zu überbrücken, sondern ihnen Zeit zu lassen, falls sie zu weiteren Erzählungen ansetzen würden. Dies gelang mir in einigen Fällen gut, in manchen gar nicht. Vor allem bei dem Interview mit Elfriede hatte ich ständig das Gefühl, das Gespräch in Gang halten und Pausen überbrücken zu müssen. Wie bereits in Punkt 2.2 dieses Kapitels skizziert wurde, empfand ich den Leitfaden während des ersten Interviews eher störend als hilfreich, da ich sehr daran festhielt und so wenig spontan auf die Themen der Befragten einging. Nach der Modifikation und Überlegungen zu einer besseren Handhabung des Leitfadens fiel es mir leichter, die folgenden Interviews zu führen. 45 Kapitel II: Durchführung der Untersuchung Im Vorfeld der Interviews hatte ich die Befürchtung, dass ich meinen Interviewpartnern Fragen stellen könnte, die zu einer starken emotionalen Belastung während der Interviewsituation führen könnten. Meine Fragen schienen den Kindern aber in keinem Fall unangenehm zu sein, und ich entschied von Fall zu Fall, bei welchen Themen ich genauer nachfragen konnte und bei welchen ich den Eindruck hatte, dass man sie besser ruhen ließe. Ich nehme an, dass die Erfahrungen mit therapeutischen Gesprächssituationen, die die Befragten hatten, sich auch auf die Interviewverläufe auswirkten. Für sie war es vermutlich weniger befremdlich, mit einer fremden erwachsenen Person über ihre Erfahrungen zu sprechen, als ich erwartet hatte. 3.3 Nachbereitung der Interviews und Aufbereitung der Daten Möglichst zeitnah zu den Vorgesprächen und Interviews machte ich mir Notizen zu der Gesprächssituation und zu Besonderheiten, die mir an meinen Gesprächspartnern und mir aufgefallen waren sowie zu Fehlern, die ich während der Interviewführung an mir wahrgenommen hatte etc. Nach den Interviewterminen hörte ich mir zu Hause die Aufnahmen an, um mir nochmals Notizen zur Interviewsituation zu machen (z.B. zu nonverbalen Äußerungen) und um spontane Ideen (z.B. zu angesprochenen Themen) zu notieren. Ein notwendiger Zwischenschritt nach der Datenerhebung und vor der Auswertung der Interviews besteht in der Aufbereitung der Daten. Ich habe alle Interviews am jeweils folgenden Tag vollständig transkribiert. Bei den Transkriptionsregeln habe ich mich an einem von GLINKA (1998, S.21ff. & S.62) vorgestellten Modell für Transkriptionszeichen orientiert. 23 Während der Transkription wurde die Anonymisierung der Daten vorgenommen. Gleichzeitig notierte ich mir aufkommende Ideen, Auffälligkeiten, angesprochene Themen und erste Deutungen. 23 Die Transkriptionsregeln und Transkripte sind im Anhang beigefügt. 46 Kapitel II: Das Auswertungsverfahren 4. Das Auswertungsverfahren Bei der Auswertung der Interviews orientiere ich mich am „Themenzentrierten komparativen Auswertungsverfahren“ nach LENZ (1986, S.144ff.) und einer leichten Modifikation dieser Verfahrensweise nach WOLF (1999, S.45ff.). 24 LENZ (1986, S.144ff.) unterteilt sein Auswertungsverfahren in fünf Arbeitsschritte: 1. Kontrolle der Transkription anhand der Tonbandaufnahmen Nach der Fertigstellung der Transkription wird überprüft, ob die sprachlichen Äußerungen richtig und vollständig verschriftlicht wurden (vgl. LENZ 1986, S.145). „Dieses aufwendige Verfahren des Korrekturhörens ist notwendig, um später bei der Analyse Fehlinterpretationen zu vermeiden, die auf Übertragungsfehler zurückgehen“ (SCHMIDT 1997, S.546). Durch das mehrmalige Anhören der Tonbandaufnahmen wird zusätzlich sichergestellt, dass der Forscher im Auswertungsprozess das Gesagte noch ‚im Ohr’ hat. So bleiben Eindrücke erhalten, die im Interviewtranskript nicht mehr nachzuvollziehen sind (vgl. LENZ 1986, S.145). 2. Identifizieren von Themenkomplexen Das transkribierte Material wird hier darauf durchgesehen und untersucht, welche Themen und Aspekte in ihm enthalten sind. Die im Text vorhandenen Informationen werden einzelnen Themenkomplexen zugeordnet. „Dabei ist zu beachten, daß Aussagen zu bestimmten Themenkomplexen nicht nur dann auftreten, wenn explizit danach gefragt wird“ (a.a.O., S.145). Es ist möglich, dass einzelne Textstellen mehreren Themenkomplexen zugeordnet werden können (vgl. a.a.O., S.145). An dieser Stelle des Verfahrens nimmt WOLF (1999, S.47f.) eine Modifikation vor, an der ich mich orientieren werde. Während im Verfahren nach LENZ untersuchungsrelevante Themen schon vor der Interpretation der Interviewtexte festgelegt sind, geht WOLF davon aus, dass während der Auswertung der Interviews zusätzliche Themenkomplexe, die durch die Befragten angesprochen werden, entwickelt werden können. Umfangreiche 24 Ich habe die von Lenz vorgestellten Verfahrensschritte nicht genau übernommen, sondern habe an einigen Stellen Modifikationen vorgenommen um meinem Thema gerecht werden zu können. Diese Änderungen werde ich im Anschluss an die jeweiligen Verfahrensschritte aufzeigen. 47 Kapitel II: Das Auswertungsverfahren Themenkomplexe werden weiter untergliedert. Es ist möglich, dass es Themen gibt, die in allen Interviews angesprochen werden sowie Themen, die nur Gegenstand einzelner Interviews sind. Wie im zentralen Erkenntnisinteresse beschrieben, hatte auch ich Themen, die ich für besonders untersuchungsrelevant hielt, wollte aber außerdem Themen, die durch die Kinder eingeführt wurden, in die Auswertung einbeziehen. Ein von allen Kindern eingebrachtes Thema sind z.B. Regeln und Strukturen und deren Vergleich in Bezug auf verschiedene Einrichtungen. Dieses Thema wurde in allen Interviews angesprochen, obwohl ich nicht danach gefragt hatte. Ein mögliches Problem, dass durch die Verwendung von Leitfadeninterviews entstehen kann besteht darin, dass durch den Leitfaden und die Nachfragestrategien eventuell Themen, die den Befragten nicht so wichtig sind, eine stärkere Relevanz erhalten als in einer freieren Form der Erzählung. Dies kann zu Fehlinterpretationen und falschen Gewichtungen in der Auswertung führen (vgl. SCHMIDT 1997, S.566). 3. Themenanalyse „Aufgabe dieser Stufe ist es, schrittweise nachzuvollziehen und zu rekonstruieren, was der/die Gesprächspartner/in mit den Äußerungen zu einem bestimmten Themenkomplex ’eigentlich gemeint’ hat und diese textimmanenten Bedeutungsinhalte in Form eines ’Substrats’ festzuhalten“ (LENZ 1986, S.145). Hier werden die einzelnen Interviews unabhängig voneinander betrachtet. Dabei ist zu beachten, dass Aussagen immer in dem Kontext, in dem sie stehen, erfasst werden müssen (vgl. WOLF 1999, S.48). Zunächst werden Aussagen als Beispielfälle für bestimmte Muster gelesen und als Hypothesen an den Text herangetragen. Im weiteren Verlauf wird nach Aussagen gesucht, die diese Muster belegen oder ihnen widersprechen. Die anfänglichen Muster können nun präzisiert, modifiziert und erweitert werden. Das modifizierte Muster wird erneut an den Text herangetragen und weiterentwickelt usw. Die so kontrollierten und verdichteten Muster werden zu einem Substrat zum jeweiligen Thema zusammengefasst (vgl. LENZ 1986, S.146f.). „Ein besonderer Vorteil dieser Methode liegt darin, daß die ’Eigenarten’ des einzelnen Interviews bzw. Gesprächspartners herausgearbeitet werden, bevor der Vergleich mit anderen erfolgt. Auf diese Weise werden die Daten in einer gegen unangemessene Generalisierungen und Nivellierungen widerstandsfähigeren Form aufgearbeitet“ (WOLF 1999, S.48). Dieser Schritt musste sehr gründlich bearbeitet werden. Manchmal stellte ich fest, dass ich vor der Datenerhebung unbewusst Thesen aufgestellt hatte, die hier durch die Aussagen der Befragten widerlegt wurden. So wurde dieser Teil der Auswertung für mich zu einem 48 Kapitel II: Das Auswertungsverfahren ständigen und bedeutenden Lernprozess, durch den ich angeregt wurde, eigene Einstellungen noch einmal zu überdenken. An einigen Stellen mussten anfängliche Deutungen modifiziert werden. Ich fand es spannend festzustellen, wie sehr kleine Nuancen die Einstellungen der Befragten z.B. zu Entscheidungsprozessen verändern können. Bei einer oberflächlichen Betrachtung der Interviewtranskripte wären solche Nuancen nicht deutlich geworden, die sich bei der weiteren Interpretation als sehr gewichtig herausstellten. Manchmal musste ich – dann etwas verärgert über meine Interviewführung – feststellen, dass ich für eine gründlichere Interpretation während der Interviews genauer hätte nachfragen müssen. Die aus den Interviews gewonnenen ‚Substrate’/‚Muster’ sind in Kapitel III durch grau hinterlegte Kästchen im Anschluss an die jeweilige Darstellung der biographischen Station gekennzeichnet. Dies soll dazu dienen, meine Deutung der Hilfeverläufe und die daraus resultierenden Themen besser nachvollziehen und überprüfen zu können. 4. Bestimmung von Grundmustern auf der Basis thematisch geordneter Substrate Während die bisherigen Auswertungsschritte am Einzelfall orientiert waren, werden in diesem Schritt die Substrate aller Interviewprotokolle miteinander verglichen mit dem Ziel, Grundmuster herauszubilden (vgl. LENZ 1986, S.147 in Bezug auf GLASER/STRAUSS 1967, S.21ff.). „Diese Grundmuster werden durch Kontrastierung mit weiteren Fällen überprüft und ggf. modifiziert“ (WOLF 1999, S.49). Ich wertete die Interviews mit Elfriede, Tim und Aylin ausführlich aus um sie anschließend miteinander zu vergleichen. Die Ergebnisse dieses Schrittes werden in Kapitel IV vorgestellt. Der Vergleich der Interviews erfolgte unter der Einbeziehung und Darstellung der relevanten Themen. In einem letzten Schritt habe ich versucht, aus den gewonnenen Ergebnissen Konsequenzen für die pädagogische Praxis abzuleiten, die sich günstig auf die Gestaltung von Übergängen, und stationären Hilfesettings auswirken könnten. 5. Konstruktion deskriptiver Modelle „Auf dieser Stufe ist es notwendig, typische, häufig vorfindbare Kombinationen von Grundmustern aufzuspüren, zu überprüfen und diese in Form von Modellen zu formulieren.“ (LENZ 1986, S.148). Hier ging es LENZ um die Überprüfung einer Hypothese und die Entwicklung einer Typologie. Auf die Durchführung dieses Schrittes habe ich verzichtet, da dies den Rahmen meiner Diplomarbeit überschreiten würde. 49 Kapitel III: Betrachtung der Hilfeverläufe Kapitel III: Betrachtung der Hilfeverläufe In diesem Kapitel wird die Analyse der einzelnen Interviews anhand der darin geschilderten biographischen Stationen und Hilfeverläufe dargestellt. Zu Beginn soll dem Leser jeweils ein kurzer Überblick über die biographischen Daten in Form einer Tabelle gegeben werden. Im Anschluss werden die Hilfeverläufe und darin enthaltene Übergänge ausführlich beschrieben und kommentiert. Die Darstellung der Biographie umfasst auch Stationen, die für mein Erkenntnisinteresse nicht unmittelbar von Bedeutung sind. Sie sollen dennoch aufgezeigt werden, um Zusammenhänge und Hintergründe zu verdeutlichen. Ziel dieses Schrittes ist es, dem Leser einen umfangreichen Einblick in die Biographie der Kinder zu geben. 25 Aus der Darstellung und Deutung der biographischen Stationen werden Aussagen abgeleitet, die sich auf die Gestaltung von Übergängen und das Erleben der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie des Heimaufenthaltes beziehen. Diese werden durch grau hinterlegte Kästchen markiert. Da die Hilfeverläufe auch ambulante Maßnahmen beinhalten, werde ich die jeweilige Hilfeform in kurzen Exkursen vorstellen. Hier ist festzuhalten, dass es sich lediglich um grobe Einführungen zum besseren Verständnis handelt, die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit haben. 25 Hier möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich mich bei der Rekonstruktion der Biographien ausschließlich auf die Erzählungen der Jugendlichen beziehe und mir keine weiteren Informationen z.B. aus den Akten des Jugendamtes oder durch Gespräche mit anderen am Fall beteiligten Personen zur Verfügung stehen. Es handelt sich also bereits um eine Interpretation der eigenen Biographie aus der Sicht der Jugendlichen. 50 Kapitel III: Aylin 1. Aylin Zum Zeitpunkt des Interviews ist Aylin 26 14 Jahre alt. Sie lebt seit ca. acht Monaten in einer Außenwohngruppe eines überregionalen Jugendhilfeträgers. Die Wohngruppe bietet neun Plätze für Kinder im Alter zwischen 13 und 17 Jahren. Überblick über die biographischen Daten geboren im Dezember 1990 Leben im mütterlichen „[.] ich hab meine ersten paar Jahre bei meiner Mama […] Haushalt gelebt“ (10/IX) 27 Hilfearrangements während dieser Zeit • Betreuung in einer Tagesgruppe • Betreuung durch das „ich hatte n bisschen Betreuung vom Jugendamt“ (31/X) Jugendamt „ich war in Therapie wegen meiner Mutter und weil ich • ambulante Therapie damit alles nicht klar kam“ (32/X) Auszug bei der Mutter im „dann war’s mir zu viel und dann bin ich zum Jugendamt Alter von zwölf Jahren gegangen“ (13-14/X) ca. vier Monate ‚Über- „dann hatt ich den Herrn Müller der hat mir geholfen nach gangszeit’ in einer Wohn- meinem Papa zu gehen, und [.] der musste aber in der gruppe in Werdohl Bundeswehr, in der Türkei für n paar Monaten, da bin ich erst nach Werdohl gekommen“ (1-3/X) Knapp drei Jahre im väterli- „dann bin ich zu meinem Vater vor 3 Jahren gezogen, und chen Haushalt dann klappte das da auch nicht mehr und dann hab ich Schläge bekommen, dann hab ich angefangen mit Drogen zu nehmen und in diesem Drogenzustand hab ich Suizidversuch dann versucht, mich umzubringen“ (12-15/IX) Hilfearrangements: • Betreuung durch das Jugendamt (Sozialpädagogische Familienhilfe) ca. zwei Monate kinder- und jugendpsychiatrische Station (S5) im Alter von 14 Jahren Aufnahme in einer Wohngruppe Hilfearrangements: • ambulante Therapie „wir hatten da auch Betreuung vom Jugendamt mit meinem Papa“ (29-30/XIII) „dann lag ich 2 Monate in Krankenhaus, in der Kinderklinik auf S5, das is wie in der Psychiatrie“ (15-16/IX) „dann bin ich hier hin gekommen“ (17/IX) „beim Herrn Endlein der ist auch in der Kinderklinik, der ist da Therapeut“ (9-10/XX) 26 Aus Datenschutzgründen wurden sämtliche Namen, Orte, Daten etc., die auf Personen zurück schließen lassen könnten, verfremdet. 27 Die in Klammern angegebenen Zahlen geben die Textstelle des Zitates im Interviewtranskript an: (10/IX) entspricht Zeile 10 auf Seite IX. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich darauf, Pausen, Wortabbrüche etc. in den Interviewzitaten anzugeben. Solche Auslassungen werden durch eckige Klammern gekennzeichnet. 51 Kapitel III: Aylin • reiten „jetzt bin ich halt draußen [aus der Therapie, d. Verf.]. Aber dafür geh ich jetzt reiten.“ (19/XX) 1.1 Das Leben bei der Mutter Aylins Eltern leben getrennt, ob sie geschieden sind (bzw. ob sie überhaupt verheiratet waren), geht aus ihrer Erzählung nicht hervor. Bis zum Alter von 12 Jahren lebte sie in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter. Pädagogische und therapeutische Hilfen Während dieser Zeit wurden verschiedene pädagogische und therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Aylin besuchte eine Tagesgruppe, außerdem wurde eine ambulante Therapie durchgeführt. Die Therapie begründet sie damit, dass sie mit der Situation bei der Mutter nicht zurecht kam (vgl. 32/X). Weiterhin erwähnt sie eine Betreuung vom Jugendamt, wobei hier nicht deutlich wird, um welche Form der Betreuung es sich handelte und in welchem Umfang diese stattfand (vgl. 30-31/X). Im weiteren Verlauf des Interviews spielen diese Maßnahmen keine Rolle mehr. Lediglich die Tagesgruppe erwähnt Aylin im Zusammenhang mit dem Auszug bei ihrer Mutter. Exkurs: Tagesgruppen Bei der Erziehung in einer Tagesgruppe handelt es sich um eine teilstationäre Maßnahme der Hilfen zur Erziehung nach § 27 i.V.m. § 32 KJHG. „Die Tagesgruppe […] soll für Familien, die sich in besonders belasteten Lebenssituationen befinden, den Verbleib des Kindes oder Jugendlichen in der Familie und im sozialen Milieu ermöglichen, indem die Familie von der Betreuung und Versorgung des Kindes oder Jugendlichen tagsüber entlastet wird und gleichzeitig durch eine intensive Beratung, Betreuung und Unterstützung der Familie mittelfristig eine Bewältigung der Problemursachen und eine Neuorientierung ermöglicht wird“ (MÜNDER et al. 2003, S.310). Es handelt sich meist um alters- und geschlechtsgemischte Gruppen, in denen Kinder ab ca. sieben Jahren betreut werden (vgl. KRÄUTER 2004, S.151). „Ziele sind die emotionale Stabilisierung und Entwicklungsförderung des Kindes, die Förderung und Begleitung der schulischen Integration und die Verbesserung der Beziehung zwischen Eltern und Kindern“ (a.a.O., S.151). Durch die Gewährleistung von Angeboten wie heilpädagogischtherapeutische Einzelförderung und sozialpädagogisch-therapeutische Familienarbeit unterscheiden Tagesgruppen sich von anderen Betreuungsangeboten wie z.B. der Ganztagsschule und dem Hort (vgl. a.a.O., S.151). 52 Kapitel III: Aylin Die Situation bei der Mutter „dann ist alles schief gelaufen, dann hab ich auch n paar Schläge gekriegt und mit meiner Mama nicht mehr so vertragen“ (10-12/IX) Das Leben bei der Mutter scheint über einen längeren Zeitraum für Aylin kaum noch erträglich gewesen zu sein. Sie verwendet während des Interviews die Formulierungen „das war mir zu viel“ (13 & 41/X), „Ich bin damit nicht mehr klar gekommen“ (2/XI). Die Mitarbeiter der Tagesgruppe kannten die Situation und rieten ihr, sich an das Jugendamt zu wenden, wenn sie sich bei ihrer Mutter nicht mehr wohl fühlte (vgl. 38-40/X). Aylins Schilderung lässt darauf schließen, dass sie sich in der Tagesgruppe verstanden fühlte und während dieser belastenden Zeit die beratende Funktion der Tagesgruppe als hilfreich erlebte. Nach einem Streit mit ihrer Mutter befolgte Aylin den Rat der Tagesgruppe und kontaktierte das Jugendamt (vgl. 11-14/X). Zu diesem Zeitpunkt war sie ca. zwölf Jahre alt. 1.2 Die erste Wohngruppe „dann hatt ich den Herrn Müller der hat mir geholfen nach meinem Papa zu gehen“ (1-2/X). Herr Müller ist ein Mitarbeiter des Jugendamtes, in dem Aylin einen Ansprechpartner fand (vgl. 19-20/X). Auffallend ist an dieser Passage, dass Aylin namentlich von Herrn Müller spricht. Im weiteren Verlauf des Interviews benennt sie Mitarbeiter des Jugendamtes nur selten beim Namen, in großen Teilen wählt sie stattdessen die Bezeichnung ‚das Jugendamt’. Auszug bei der Mutter und ‚Zwischenstation’ in einer Wohngruppe in Werdohl „dann hatten die keine andre Lösung mehr, und dann sollt ich in der Wohngruppe nach Werdohl gehen“ (8-9/XI) Ursprünglich war geplant, dass Aylin in den väterlichen Haushalt zieht. Dies war ihr Wunsch, den sie mit der Unterstützung von Herrn Müller auch gegen den Willen ihrer Mutter durchsetzen konnte (vgl. 19-23/X). Da der Vater für vier Monate in die türkische Armee einberufen wurde, musste eine Übergangslösung für Aylins zwischenzeitlichen Verbleib gefunden werden. Eine Alternative war der weitere Verbleib bei ihrer Mutter („das wollt ich überhaupt nicht“ (8/XI)). Weiterhin boten Aylins Tante sowie eine Freundin von Aylin an, sie in der Zwischenzeit aufzunehmen. Diese Lösung wurde weder durch das Jugendamt 53 Kapitel III: Aylin noch durch Aylins Mutter akzeptiert. Auf die Frage, warum das Jugendamt und die Mutter sich dagegen ausgesprochen hätten, antwortet Aylin: „dat weiß ich überhaupt nicht, […] die meinten, […] da würde gar kein Grund für geben, [.] es wär einfach so, wie die’s sagen“ (25-26/XI) An einer Stelle erwähnt Aylin außerdem, dass sie nirgendwo anders hinwollte (vgl. 19/XI). Ob sie hier lediglich den Verbleib bei der Mutter meint, oder ob weitere Möglichkeiten zur Diskussion standen, wird nicht deutlich. Da es keine Alternative gab, wurde Aylin gegen ihren Willen – allerdings mit dem Versprechen, dass es nur für eine begrenzte Zeit sei – in einer Wohngruppe in Werdohl untergebracht (vgl. 8-9/XI & 17-19/XI). 28 Auffallend ist, dass Aylin die Kontaktaufnahme zum Jugendamt und die Entscheidung, zu ihrem Vater zu ziehen, aus ihrer Sicht aktiv beschreibt. Sie sei zum Jugendamt gegangen, „dann haben wir entschieden dass ich zu meinem Vater ziehe“ (21-22/X). Ihrem Wunsch, nicht länger bei der Mutter bleiben zu wollen, wurde entsprochen. Herr Müller wird positiv und als helfende Figur dargestellt (vgl. 1-2/X). Auch als die Mutter kein Einverständnis signalisierte, unterstützte er Aylin. Im Gegensatz dazu beschreibt sie den Übergang in die Wohngruppe aus einer passiven Rolle. Sie scheint jeglichen Einfluss auf diese Entscheidung verloren zu haben: „Ich hab zwar dagegen gestreikt, aber die ham mich einfach da rein getan“ (17-19/XI) Herr Müller wird nun nicht mehr namentlich erwähnt, stattdessen spricht Aylin nur noch vom ‚Jugendamt’, bzw. sagt lediglich ‚die’, was neben dem Mitarbeiter des Jugendamtes die Mutter mit einschließt (vgl. 28/XI). Hier ist nicht klar, ob Herr Müller zu diesem Zeitpunkt noch am Fall beteiligt war, oder ob zwischenzeitlich die Zuständigkeit innerhalb des Jugendamtes gewechselt hat. 29 • Den Auszug bei der Mutter begründet Aylin mit der belastenden familiären Situation. • Aylin benötigt in Krisensituationen Ansprechpartner, durch die sie Unterstützung erfährt. • Sie nimmt es als Entlastung und Hilfe wahr, wenn sie mit ihren Interessen, Bedürfnissen und Befürchtungen ernst genommen wird und diese – auch gegen den Willen der Mutter – vertreten werden. 28 Wie diese Heimgruppe bzgl. Mitarbeiterstruktur, Platzkapazität etc. ausgestaltet war, erzählt Aylin nicht. Mittlerweile ist eine Mitarbeiterin des Jugendamtes (Frau Schneider) mit dem Fall betraut. Zu irgendeinem Zeitpunkt muss also ein Wechsel stattgefunden haben. 29 54 Kapitel III: Aylin • Keine Beteiligung bei Entscheidungen bzw. das Handeln gegen ihre Interessen löst Unverständnis, Passivität und/oder Verweigerung aus (vgl. hierzu auch den Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie). Über die viermonatige Unterbringung in der Wohngruppe spricht Aylin während des Interviews kaum. Auf die Frage wie es in Werdohl gewesen sei, antwortet sie: „[.] das hat mir [.] gar nicht gefallen. Weil die waren so streng, man durfte nur bis 6 Uhr abends raus, und dann gab’s noch [.] Hausaufgabenzeit, und das war dann zu wenig Ausgang, was wir hatten“ (12-14/XI) Es ist auffallend, dass sie keine Äußerungen über einzelne Personen (beispielsweise andere Kinder, die in der Wohngruppe lebten oder einzelne Betreuer) macht, sondern auch hier die unbestimmte Bezeichnung ‚die’ wählt und ansonsten lediglich die als zu gering wahrgenommene Freizeit beschreibt (vgl. 12-14/XI). Es ist möglich, dass die Wohngruppe rückblickend für Aylin nur eine kurze Episode darstellt, die in ihren Augen keinen starken Einfluss auf ihr weiteres Leben hatte. In ihrer ersten Darstellung ihres Lebens wird die Wohngruppe noch nicht einmal erwähnt (vgl. 10-17/IX). Für Aylin scheint es wichtiger zu sein, den Übergang in die Wohngruppe und den in diesem Zusammenhang wahrgenommenen Zwang und die eigene Ohnmacht zu beschreiben als die Wohngruppe selbst. 30 1.3 Das Leben beim Vater Übergang in den väterlichen Haushalt „Ja, das war schon seltsam, weil ich hatte mich da eingelebt, schon, und ja, dann bin ich zu meinem Vater gegangen“ (31-32/XI) Aylin zog zu ihrem Vater, als dieser nach Deutschland zurückkehrte. Hier stellt sie sich wieder in einer aktiven Rolle dar: Es sei allein ihre Entscheidung gewesen, ob sie in der Wohngruppe bleibe oder zu ihrem Vater gehe (vgl. 13-17/XII). Obwohl sie sich zunächst gegen die Heimunterbringung gewehrt hatte und diese auch im Nachhinein negativ bewertet, fiel ihr die Wahl nicht leicht, da sie sich mittlerweile in der Wohngruppe eingelebt hatte. Die Entscheidung über ihren weiteren Lebensort und die Befürchtung, dass ein Leben bei ihrem Vater mit den gleichen Problemen wie bei ihrer Mutter verbunden sein würde, löste Unsicherheit aus (vgl. 11 & 28-31/XII). Mit dieser unsicheren Situation scheint sie alleine gelassen worden zu sein. Ihre Mutter versagte ihr die Unterstützung: 30 Dieser Feststellung ist allerdings hinzuzufügen, dass die Fragen während des Interviews sie vielleicht auch eher dazu ermutigten, den Übergang als die Wohngruppe selbst darzustellen. 55 Kapitel III: Aylin „meine Mama hat gesagt, ich soll das machen was ich will, sie will damit nichts zu tun haben, und ich sollte auch dann nicht ankommen, wenn ich Probleme hätte oder so was“ (19-21/XII). Sowohl bei der Entscheidung, den gemeinsamen Haushalt mit der Mutter zu verlassen, als auch bei der, die Wohngruppe zu verlassen, hat es den Anschein, dass dies für Aylin mit der Entscheidung für oder gegen ihre Mutter verbunden war. Es geht also zum einen um die Alternative, den Alltag mit dem einen oder anderen Elternteil in einer gemeinsamen Wohnung zu teilen, bzw. mit keinem von beiden und in einem Heim zu leben. Zum anderen ist diese Entscheidung mit dem drohenden Bruch in der ohnehin belasteten Beziehung zur Mutter verknüpft. Dies muss für Aylin eine zusätzliche Belastung dargestellt und zu ihrer Unsicherheit beigetragen haben. Auffallend ist, dass Aylin bisher nur davon spricht, wie ihre Mutter sich äußerte. Die Meinung ihres Vaters erwähnt sie nicht. Auch im weiteren Verlauf des Interviews wird deutlich, dass die Ansichten der Mutter für Aylin von größerer Bedeutung sind als die des Vaters. Das Jugendamt hielt es für unproblematisch, dass Aylin in den väterlichen Haushalt zieht (vgl. 25-26/XII). An dieser Stelle relativiert Aylin ihre aktive Rolle indem sie sagt „dann ham se mich dahin gebracht“ (26/XII). 31 Heute bereut Aylin ihre Entscheidung: „dann hab ich dat Falsche ausgesucht, und bin zu meinem Vater gegangen“ (12/XII). • Aylins Eindruck, autonom Entscheidungen bezüglich ihres weiteren Lebensortes treffen und diese verantworten zu müssen, löste Überforderung aus. Erschwerend wirkte sich aus, dass ihr zukünftige Hilfe bei Schwierigkeiten durch ihre Mutter versagt wurde. • Ihr fehlte die Gewissheit, dass ihre Entscheidung zum Vater zu ziehen nicht gleichbedeutend ist mit der Entscheidung für oder gegen ihre Mutter. Der Eindruck, dass Entscheidungen mit dem Verlust der Loyalität eines Elternteils verbunden sind, stellte für Aylin eine Belastung dar. • Entscheidungen, die sich auf grundlegende Dinge wie den Lebensort auswirken, sowie unklare Zukunftsperspektiven erzeugen bei Aylin Unsicherheit und Ängste. 31 Es ist denkbar, dass diese Widersprüchlichkeit zwischen der Aussage, dass es einerseits ihre eigene Entscheidung war und sie andererseits sagt, dass sie zum Vater ‚gebracht’ wurde, durch ihre rückblickende Interpretation und ihr heutiges Wissen um die weitere Entwicklung bei ihrem Vater entsteht. So wäre es ihr zumindest möglich, ihre eigene Verantwortlichkeit für den ‚Fehler’ zu ihrem Vater gegangen zu sein, im Nachhinein zu relativieren. 56 Kapitel III: Aylin Situation beim Vater „dann klappte das da auch nicht mehr, und dann hab ich auch Schläge von ihm bekommen, dann hab ich angefangen mit Drogen zu nehmen“ (12-14/IX) Aylin lebte fast drei Jahre bei ihrem Vater. Die Lebensgefährtin des Vaters ist Aylins Tante mütterlicherseits, die ebenfalls mit ihren beiden Töchtern in diesem Haushalt lebt. Aylin erzählt, dass sie gut miteinander zurecht gekommen seien (vgl.33/XI). Dem widerspricht allerdings die Aussage, dass es mit ihrer Tante täglich Auseinandersetzungen (vgl. 3335/XI) und auch mit dem Vater ‚Stress’ – Aylin berichtet sogar von ‚Schlägen’ – gegeben habe (vgl. 12-14/IX & 35-36/XII). Diese Ambivalenz lässt sich auf zweierlei Weisen deuten: eine mögliche Deutung ist, dass es neben Krisen und Streit auch positive Erlebnisse mit dem Vater gab. Eine zweite Lesart ist, dass Aylin sich in dieser Interviewpassage lediglich auf ihre beiden Cousinen bezieht, mit denen sie zurecht kam. 32 Die ältere der Cousinen spielte während dieser Zeit eine wichtige Rolle für Aylin. Zwischen den Mädchen schien eine Art Bündnis entstanden zu sein. Wenn es zu Hause wieder Ärger gab, trafen sie sich mit anderen Jugendlichen. Während dieser Treffen kamen sie in Kontakt mit Drogen (vgl. 32-36/XI & 40/XII-1/XIII). Zwischen der Situation im Haushalt des Vaters und dem Drogenkonsum scheint für Aylin ein Zusammenhang zu bestehen (vgl. 40/XII-1/XIII). Die Treffen mit den anderen Jugendlichen und der damit verbundene Drogenkonsum könnte für die Mädchen eine Flucht aus der Krisensituation dargestellt haben. Die Situation, als die Eltern den Drogenkonsum entdeckten, beschreibt Aylin folgendermaßen: „[…] dann hatte mein Vater das rausgekriegt, und hatte mich gefragt, ob ich Drogen nehme und ich hab gesagt nein, [.] ja, und dann hat er mir gedroht mit nem Drogentest, und da hab ich gesagt, soll er doch machen, aber hat er noch nicht gemacht gehabt [.] ja, bei meiner Cousine kam’s auch raus, dass die Drogen nimmt und dann wurde sie [.] von ihrer Mutter geschlagen, und dann hatte meine Cousine zurück geschlagen, und dann wurde sie in der Drogenklinik eingewiesen nach Dortmund, [.] ja und ich sollte [.] das dann auch sagen, dass ich Drogen nehme und ich hab’s aber nicht zugegeben“ (1-8/XIII). Diese Beschreibung legt nahe, dass Aylin die Situation bedrohlich wahrgenommen hat. Sie muss angenommen haben, dass sie ihren eigenen Drogenkonsum verdecken muss, um dem gleichen ‚Schicksal’ wie dem ihrer Cousine zu entgehen. 32 Ich halte die zweite Lesart für wahrscheinlicher. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Aylin sich mit ihrer Cousine gut verstand, während sie nicht von positiven Erlebnissen mit dem Vater spricht. 57 Kapitel III: Aylin Die Betreuung vom Jugendamt „die ham immer alles über meinen Kopf hinweg entschieden, was zu Hause gilt“ (40/XIII) Aylin und ihr Vater erhielten Betreuung durch das Jugendamt (Herr Jung) in Form von Sozialpädagogischer Familienhilfe (SPFH) (vgl. 36-38/XIII). Exkurs: Sozialpädagogische Familienhilfe SPFH ist eine ambulante Form der Hilfen zur Erziehung, die nach § 27 i.V.m. § 31 KJHG gewährt wird. Ziel ist es, die Selbsthilfekompetenzen zur Problemlösung und Alltagsbewältigung der Familie durch eine gezielte Verbindung von pädagogischen und alltagspraktischen Unterstützungsleistungen zu stärken (vgl. MÜNDER et al. 2003, S.306f.). Kennzeichnend für diese Hilfeform ist, dass sie in der Umwelt der Familie geleistet wird, was eine besondere Bereitschaft der Familie zur Mitarbeit, sowie eine besondere Beziehung zwischen dem Familienhelfer und der Familie erfordert (vgl. a.a.O., S.306f.). Der Familienhelfer sucht die Familien in ihren Wohnungen auf, der zeitliche Umfang der Kontakte ist – je nach Bedarf – unterschiedlich (vgl. HELMING 2004, S.136). „Der Ansatz der SPFH ist mehrdimensional, d.h. die Hilfe orientiert sich am gesamten Familiensystem und an dessen sozialem Netzwerk mit seinen Erziehungs-, Beziehungs-, sozialen und materiellen Problemen und Ressourcen; die konkrete Ausgestaltung der Hilfe entwickelt sich in der Zusammenarbeit von Familie und Fachkraft“ (a.a.O., S.136). Dieses Hilfearrangement beschreibt sie äußerst negativ: „Ja, die ham immer alles über meinen Kopf hinweg entschieden, was zu Hause gilt, und die hatten so n Plan aufgestellt, wie ich mich anziehe morgens früh, wie ich mich schminke, wie ich meine Haare mache und [.] welche Schuhe ich anhab und wenn das nicht zusammengepasst hat, oder wenn’s nicht gebügelt war oder so was, [...] das wurde dann in der Woche immer [.] zusammengezählt, und dann [.] gab immer 10 Cent [.] für gut anziehen, und [.] also so wie Erpressung, wie ich mich anziehe und wie ich mich nicht anziehe. Ja und wenn ich das dann nicht so gemacht hab, wie die es wollten, dann gab’s Strafe zum Beispiel Badezimmer aufräumen, oder Küche aufräumen, ja, und ich wollt mich einfach nicht länger verarschen lassen von denen. Weil ich seh das nicht ein, dass die sagen, was ich anziehe, was ich nicht anziehe und wie ich meine Haare mache […]“ (40/XIII-8/XIV). Hier wird deutlich, dass nicht versucht wurde, Aylin in Entscheidungen und Planungen einzubeziehen und Regeln mit ihr auszuhandeln um so ihre Einsicht und Zustimmung zu gewinnen. Stattdessen wurde von ihr verlangt, dass sie die aufgestellten Regeln einhält, was mit Belohnungen und Strafen durchgesetzt werden sollte. Dies empfand sie als ‚Erpressung’, was zumindest innere Verweigerung bei ihr auslöste. Ob sie ihren Unmut auch aussprach und ihr die Möglichkeit dazu gegeben wurde, erzählt sie nicht. Es gelang nicht, eine vertrauensvolle Basis zwischen ihr und Herrn Jung herzustellen, durch die Probleme, die Aylin beschäftigten, thematisiert und aufgearbeitet werden konnten. 58 Kapitel III: Aylin Der Suizidversuch „in diesem Drogenzustand hab ich dann versucht, mich umzubringen“ (14-15/IX) Im Laufe der Zeit wurde Aylin ‚alles zu viel’ und sie vermisste ihre Cousine. Als sie abends auf die Kinder ihrer Cousine aufpassen musste, nahm sie Drogen und versuchte anschließend sich das Leben zu nehmen, indem sie eine große Menge Tabletten schluckte. Nachdem sie nachts bewusstlos aufgefunden wurde, wurde sie mit dem Krankenwagen in eine Kinderklinik gebracht (vgl. 8-15/XIII). Aylin war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. Ich stellte während des Interviews an dieser Stelle fest, dass Aylin, als sie noch bei ihrer Mutter lebte, wusste, dass sie sich an das Jugendamt wenden kann, wenn sie Probleme hat und dass ihr dort geholfen wird. Auf meine Frage, ob sie auch beim Jugendamt gewesen sei, als es ‚Stress’ mit dem Vater gegeben habe (vgl. 23-28/XIII), antwortet Aylin, dass sie aufgrund der Betreuung durch Herrn Jung das Vertrauen in das Jugendamt verloren hatte. Sie bezieht sich aber auch auf die Unsicherheit, als sie aus dem mütterlichen Haushalt auszog. Ihre Ausweglosigkeit in der Situation wird deutlich (vgl. 29/XIII-8/XIV). Ihren versuchten Suizid begründet Aylin also mit verschiedenen Dingen: Zum einen stellten die ständigen Konflikte in der Familie, verbunden mit Gewalt, eine starke Belastung für sie dar, hinzu kam ihr Drogenkonsum und die Einweisung der Cousine in die ‚Drogenklinik’. Erschwerend wirkte sich aus, dass sie keinen Ansprechpartner bei Problemen hatte. Während sie drei Jahre zuvor wusste, dass sie im Jugendamt Unterstützung bei Problemen findet, hatte sie mittlerweile ihr Vertrauen in das Jugendamt verloren und erfuhr von dieser Seite eher Bevormundung als Hilfe. Wie sich der Kontakt zwischen Aylin und ihrer Mutter zu diesem Zeitpunkt gestaltete, erzählt sie nicht. Es ist aber möglich, dass auch die Aussage der Mutter, dass Aylin mit ihren Problemen nicht mehr ‚ankommen’ solle, wenn sie zu ihrem Vater ziehe, sich noch immer auf das Verhältnis auswirkte. Der Suizidversuch ist meines Erachtens als ein deutliches Anzeichen von Überforderung und Hilflosigkeit zu werten. 59 Kapitel III: Aylin 1.4 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie „dann ham se mich gezwungen, auf S5 zu gehen. Und ich wollte das nie wirklich machen“ (22-23/XIV) Nachdem Aylin nach ihrem Suizidversuch drei Wochen auf einer normalen Station der Kinderklinik in Lüdenscheid verbracht hat, wurde sie auf die Station S5 verlegt. Hier handelt es sich um eine kinder- und jugendpsychiatrische Station der Kinderklinik (vgl. 1621/XIII). Der Oberarzt der Kinderklinik, das Jugendamt und die Eltern von Aylin erklärten ihr, dass sie nach ihrem Suizidversuch Hilfe in Form einer stationären Therapie benötige (vgl. 2525/XIV). Ursprünglich sollte sie in die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg eingewiesen werden, wogegen sie sich sträubte (vgl. 21-22/XIV). Dies begründet sie damit, dass sie im Vorfeld schon einiges von Marsberg gehört und sich die Klinik bereits angeschaut hatte, da schon vor ihrem Suizidversuch eine stationäre Therapie angedacht war. Auch ihre Schwester hatte dort bereits eine stationäre Therapie gemacht, während der diese Beruhigungsmittel verabreicht bekam. Die Klinik gefiel Aylin nicht und auch die Einnahme von Medikamenten wollte Aylin vermeiden (vgl. 38/XIV-2/XV). Die Erwachsenen entschieden daraufhin, dass Aylin auf Station S5 der Kinderklinik in Lüdenscheid stationär behandelt werden sollte. Sie beschreibt, dass sie keinen Einfluss auf diese Entscheidung hatte: „Also die ham gesagt, ja wir ham entschieden, dass du auf S5 gehst, dass es besser für dich ist, und ich hatte gar nichts mehr zu sagen darüber. Also das war für die schon klar, dass ich da hochgehe.“ (19-21/XV) Aylin fühlte sich von den Erwachsenen abgeschoben: „man denkt, man wird abgeschoben von den Leuten. Dass die einen gar nicht wollen, und dass die einen weg haben wollen“ (26-27/XV) Aylin erlebte an dieser Stelle erneut, dass Erwachsene über ihr Leben entscheiden. Es wird aber auch deutlich, dass ihre Interessen nicht völlig einflusslos blieben: Ihr Wunsch, nicht in Marsberg untergebracht zu werden, wurde respektiert. 60 Kapitel III: Aylin Die Verantwortung für eine Veränderung schien in Aylins Hände gelegt zu werden: sie musste eine Therapie machen, sie benötigte Hilfe. Ob und inwieweit ihre Familie in die Therapie einbezogen wurde, erzählt Aylin nicht. 33 • Übergänge und Entscheidungen werden dann besonders ungünstig erlebt, wenn Aylin einer Koalition von Erwachsenen gegenübersteht und so eine ungleiche Machtverteilung wahrnehmbar wird. • Der erlebte Zwang überdeckte Aylins Wahrnehmung, einen Teil von Entscheidungen beeinflusst zu haben. • Die mangelnde Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahme und ihre fehlende Zustimmung zur psychiatrischen Unterbringung machten es Aylin unmöglich, die Therapie als Hilfe anzunehmen. Diese ungünstigen Voraussetzungen wurden verstärkt durch das Gefühl abgeschoben und nicht gewollt zu sein. 34 • Aylin wurde vermittelt, dass sie (allein) Hilfe benötigt. • Ihre Vorstellung von der Psychiatrie löste Ablehnung aus. Das Leben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie „man hat sich schon richtig gefühlt wie im Knast“ (33-34/XVII) Aylin verblieb ca. zwei Monate auf Station S5. Die Folge des erzwungenen Psychiatrieaufenthaltes war, dass sie sich an der Therapie nicht so beteiligte, wie es von ihr verlangt wurde (vgl. 31-32/XIV). Die Frage, was durch die Therapie erreicht werden sollte, kann sie nicht beantworten. Stattdessen erzählt sie, dass sie ‚Ausraster’ hatte und dann Beruhigungsmittel bekam (vgl. 28-31/XV). Sie beschreibt die Auswirkungen der Medikamente: „da konnte man echt den Tag danach gar nichts mehr machen. Man war fertig wie sonst was, und war so zu gedröhnt, ich hab gedacht, ich hätt mir ganze Nacht die Drogen reingepfiffen oder so, und oa das war so schrecklich“ (31-33/XV) Es trat ein, wovor sie Angst hatte und was sie bewogen hatte, nicht nach Marsberg zu gehen: sie musste Beruhigungsmedikamente einnehmen und erlebte diese als körperliche – und wahrscheinlich auch psychische – Einschränkung und Belastung. 33 Geht man – wie oben bereits beschrieben – davon aus, dass verschiedene Faktoren in Aylins Lebenssituation zu ihrem Suizidversuch führten, wäre es aber wichtig gewesen, ihr Umfeld in diese Therapie zu integrieren und Aylin das Gefühl zu geben, dass nicht nur sie behandlungsbedürftig ist. Stattdessen fühlte sie sich abgeschoben, chancenlos. 34 Vielleicht entstand das Gefühl nicht gewollt zu sein auch umgekehrt erst durch die mangelnde Zustimmung und den erlebten Zwang. 61 Kapitel III: Aylin Den Aufenthalt in der Psychiatrie bewertet Aylin äußerst negativ: sie ist der Meinung, dass die Therapie keine Hilfe für sie war, sie fand es auf der Station S5 ‚schrecklich’ und bedauerte während des Psychiatrieaufenthaltes, dass der Suizidversuch nicht erfolgreich war (vgl. 33-40/XV). Sie vermisste ihre Freunde, zu denen sie keinen Kontakt haben durfte, da die Gefahr bestand, dass diese ihr Drogen in die Klinik bringen. Auch ihre Familie sah sie kaum (vgl. 1-10/XVI). Als Aylin aufgefordert wird, die Zeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu beschreiben, schildert sie den Tagesablauf (vgl. 6-12/XV) und merkt an, dass sie „nie [.] wirklich [.] was getan [hat, d. Verf.]“ (14/XV). Nachmittags hatte Aylin eine halbe Stunde Ausgang, die sie sich so einteilte, dass sie genug rauchen konnte, was ihr – wahrscheinlich aufgrund ihres Alters – eigentlich verboten war. An dieser Stelle des Interviews stellt Aylin ihre Mutter zum ersten Mal positiv dar: Gegen die geltenden Regeln versorgte ihre Mutter sie mit Zigaretten (vgl. 32-36/XIV & 8-11/XV). Möglicherweise hat während des Psychiatrieaufenthaltes eine Wende in der Beziehung zwischen Aylin und ihrer Mutter stattgefunden. Die Frage nach den Aufgaben und Tätigkeiten der Ärzte und des Betreuungspersonals der Station beantwortet Aylin folgendermaßen: „Die machen gar nicht so viel. Die gucken nur, dass wir ruhig bleiben, und dass wir was miteinander machen, [.] und sonst sitzen se eigentlich immer im Büro und schreiben irgendwas oder unterhalten sich mit den andren Erzieher, und also so viel hat man gar nicht von denen. […] Ich wollte nie was wirklich mit den Betreuern was zu tun haben oder so. [.] Und die ham auch manchmal […] die Außentür zugeschlossen, und man hat sich schon richtig gefühlt wie im Knast“ (27-34/XVII). Es scheint in Aylins Wahrnehmung auf der einen Seite ein ‚Wir’, die Patienten der Station und auf der anderen Seite die Betreuer gegeben zu haben. Die Betreuer empfand sie eher als ‚Aufpasser’ denn als Ansprechpartner, zu denen Aylin möglichst keinen Kontakt haben wollte. In ihrer Wahrnehmung beschäftigten sich die Betreuer auch lieber mit sich selbst und untereinander als mit den untergebrachten Kindern. Dies deckt sich auch mit ihrer Darstellung der Station, in der sie beschreibt, man habe ‚nie wirklich was getan’, bis auf einmal, da habe die Gruppe einen Ausflug in die Stadt gemacht (vgl. 13-15/XV). Auffallend ist der Vergleich der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit einem ‚Knast’. Dies lässt darauf schließen, dass Aylin ihren Psychiatrieaufenthalt auch als Bestrafung für ihr Verhalten wahrnahm. Die Assoziation zwischen der Psychiatrie und einem Gefängnis wird durch die teilweise abgeschlossene Außentür sowie das Verhalten der Betreuer verstärkt, die aufpassten statt sich mit den Kindern zu beschäftigen. Interessant ist, dass Aylin im Zusammenhang mit der Psychiatrie, dem geschilderten Tagesablauf und der Frage nach den Ärzten keine speziellen Therapien beschreibt, die sie ja vermutlich gemacht hat. Dies steht eventuell im Zusammenhang mit ihrer Feststellung, dass sie sich an der Therapie nicht ausreichend beteiligte und dass der Aufenthalt auf der 62 Kapitel III: Aylin Station keine Hilfe für sie war. Einzelne Therapien erscheinen ihr nicht erwähnenswert, wichtiger ist ihr, zu beschreiben, dass die Psychiatrie mit Zwang, eingesperrt sein und negativem Erleben verbunden war. Nur das Wissen, dass es ihren Psychiatrieaufenthalt verlängern würde, hielt sie davon ab, von der Station wegzulaufen (vgl. 34-38/XVII). 35 • Dadurch, dass auch nachträglich keine Zustimmung zu ihrem Psychiatrieaufenthalt gewonnen wurde, überwog bei Aylin die Wahrnehmung von Zwang und Ohnmacht. • Aylin nahm die Therapie nicht als sinnstiftend wahr und ihr fehlte die Einsicht in die Zielsetzungen. Demzufolge entstand eine Verweigerungshaltung. • Die mit dem Psychiatrieaufenthalt einhergehenden Kontaktabbrüche empfand sie als zusätzliche Belastung. • Es gingen mögliche Anknüpfungspunkte verloren, da es den Mitarbeitern der Psychiatrie nicht gelang, ein wohlwollendes Klima zu Aylin herzustellen und gemeinsam die Freizeit zu gestalten. • Die Einnahme von Medikamenten unter Zwang löste bei ihr negative Körperwahrnehmungen aus. • Durch Zwang und Geschlossenheit nahm Aylin eine bestrafende Funktion der Kinderund Jugendpsychiatrie wahr. Sie beschreibt die anderen Kinder auf der Station: „Ja, die waren eigentlich so wie ich, also [.] n paar warn wegen Ausraster da, n paar wegen Magersucht, ein paar wegen Ritzen und da warn schon schwierige Kinder. Find ich schon n bisschen (*hart*) mit dem Ritzen am ganzen Körper hatten se Wunden, und na paar Stück sind immer abgehauen von S5 und kamen wieder und überall Wunden und wurde genäht und schrecklich. Und 2 Mädchen die haben jeden Morgen, jeden Abend dieses Beruhigungszeug gekriegt“ (16-21/XVII). Sie verstanden sich gut miteinander, passten sich aneinander an und erzählten sich, warum sie auf der Station waren (vgl. 23-24/XVII). Es fällt auf, dass Aylin die Passage mit ‚die waren eigentlich so wie ich’ beginnt, und im Folgenden auf die Probleme der anderen Kinder eingeht und sie als ‚schwierig’ bezeichnet. Es lässt darauf schließen, dass auch Aylins Selbstsicht sich auf die eigenen Defizite konzentrierte und die Unterbringung mit Normalitätszweifeln einherging (nach dem Motto: ‚In der Psychiatrie sind eben schwierige Kinder’). Allerdings grenzt sie sich im Folgenden auch von den anderen ab, indem sie sagt, dass sie es ‚hart’ fand, was diese machten und Verhaltensweisen beschreibt, die sie an sich nicht beobachtete (ritzen, entweichen etc.). An einer anderen Stelle erklärt sie, dass sie für eine stationäre Therapie „nie wirklich bestimmt“ war (31/XIV). 35 Eine andere Lesart könnte sein, dass die Therapien so gestaltet waren, dass Aylin sie nicht als solche wahrgenommen hat. 63 Kapitel III: Aylin • Aylins Wahrnehmung der Probleme und Defizite der anderen Psychiatriepatienten überwiegt der Wahrnehmung ihrer individuellen Persönlichkeiten. • Die Psychiatrieunterbringung war mit Normalitätszweifeln, aber auch mit dem Versuch der Abgrenzung verbunden. 1.5 Die zweite Wohngruppe Übergang in die Wohngruppe Aylin beschreibt den Übergang von der Kinder- und Jugendpsychiatrie in die Wohngruppe in einem positiven Grundton. Ihre Mutter, das Jugendamt und der Oberarzt waren der Meinung, dass sie nicht mehr in den väterlichen Haushalt zurückkehren soll (vgl. 1215/XVI). Ihre eigene Einstellung zu dieser Entscheidung beschreibt sie folgendermaßen: „Also ich war sofort beschlossen, dass ich weg will. Also dass ich sofort hier hin möchte, dass es am besten für mich ist, also ich hab jetzt vor 3 Jahren so n großen Fehler gemacht und bin nicht weg gegangen von der Familie, diesmal hab ich gründlich überlegt und hab auch sehr viel geweint darüber, weil das einem richtig weh tut, von der Familie weg zu kommen, und keine richtige Familie zu haben, ja aber ich bin froh, dass ich die Entscheidung getroffen hab“ (30-34/XVI). Sie hatte die Möglichkeit zwischen verschiedenen Wohngruppen zu wählen und entschied sich für die Wohngruppe, in der sie zum Zeitpunkt des Interviews lebt (vgl. 15-21/XVI). Aylin scheint mit diesem Übergang einverstanden und akzeptiert die Entscheidung (vgl. 17-18/XVI & 19-10/XVI). Eine Woche später verließ sie Station S5 und zog in der Wohngruppe ein (vgl. 20-21/XVI). Ähnlich wie bei dem Übergang von der Mutter in die erste Wohngruppe in Werdohl, bzw. zum Vater musste Aylin ein gemeinsames Leben mit ihrer Familie verlassen. Dennoch gelingt es ihr hier, diese – wenngleich belastende – Entscheidung anzunehmen. Ich gehe davon aus, dass es verschiedene Faktoren gibt, die dieses Erleben positiv beeinflusst haben: Sie musste nicht mehr in die als belastend erlebte Situation im Haushalt des Vaters zurückkehren, und die Wohngruppe schien außerdem eine Art ‚Erlösung’ von dem Leben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu sein. Ein weiterer Unterschied ist, dass dieser Übergang nicht erzwungen wurde oder gegen den Willen der Mutter geschah, sondern dass es eine Übereinkunft zwischen Aylin und den Erwachsenen gab. Sie fühlt sich – wie im Folgenden deutlich werden wird – in der Wohngruppe relativ wohl, auch dies könnte sich positiv auf die rückblickende Sicht des Wechsels in die Wohngruppe ausgewirkt haben. 64 Kapitel III: Aylin Belastend wirkte sich aber die Einsicht, keine ‚richtige’ Familie zu haben, aus. Hier wird der Wunsch nach stabilen Familienverhältnissen, in denen Aylin Unterstützung und Harmonie erfährt, deutlich. Übergänge erlebt Aylin dann positiv, wenn • sie Entlastungen von Lebensumständen schaffen, die als belastend empfunden wurden, • Entscheidungen, die zu Übergängen führen, in Übereinkunft zwischen Aylin und Erwachsenen – vor allem zwischen Aylin und ihrer Mutter – getroffen werden, • sie die Auswahl ihres künftigen Lebensortes zumindest beeinflussen oder sogar mit Unterstützung selbst entscheiden kann. Der Übergang zum Status ‚Heimkind’ ist mit Normalitätszweifeln und dem Wunsch nach ‚normalen’, intakten familialen Verhältnissen verbunden. Es ist belastend, wenn die Herkunftsfamilie nicht Aylins – und den gesellschaftlichen – Vorstellungen einer ‚richtigen’ Familie entspricht. Das Leben in der Wohngruppe „Ja für mich ist das jetzt hier n zu Hause und ja Mama zweite zu Hause, Papa dritte zu Hause“ (34/XX) Aylin berichtet sehr ausführlich von der Wohngruppe, in der sie zum Zeitpunkt des Interviews seit knapp acht Monaten lebt. Sie beschreibt, dass sie jetzt weiß, dass ihr Leben einen Sinn hat, weil es ihr hier besser als in ihrer Familie geht, zu der sie aber Kontakt hat (vgl. 17/IX & 35-37/XV). Auch der bestehende Kontakt zur Familie könnte dazu beigetragen haben, dass Aylin den Übergang in die Wohngruppe positiv bewertet. Die räumliche Trennung scheint sich positiv auf das Verhältnis zu den Eltern auszuwirken und eine Entspannung in der Eltern-Kind-Beziehung zu schaffen. So wird eine gegenseitige Annäherung möglich. Dass sich das Verhältnis zu ihren Eltern verbessert hat, wird auch an anderen Stellen des Interviews deutlich. Mittlerweile sind die Eltern wieder Ansprechpartner bei Problemen (vgl. 35-37/XX). Wenn sie wüsste, dass sich ein Zusammenleben mit der Mutter harmonischer gestalten würde als vor ihrem Auszug vor drei Jahren, würde sie gerne wieder dorthin zurückkehren. Dies lehnt allerdings das Jugendamt ab (vgl. 40/XX-4/XXI). Aylins Verhältnis zum Jugendamt ist im Moment nicht gut. Am liebsten hätte sie keinen Kontakt mehr zum Jugendamt, aber sie weiß, dass dies nicht möglich ist, weil Mitarbeiter des Jugendamtes an Hilfeplangesprächen teilnehmen müssen. Sie wünscht sich, dass sie einen 65 Kapitel III: Aylin Wechsel der Jugendamtsmitarbeiter erreichen kann und Herr Müller ihren Fall wieder übernimmt (vgl. 6-16/XXI). Aylin war zu Beginn des Heimaufenthaltes oft den ganzen Tag unterwegs. Mittlerweile verbringt sie ihre Freizeit meistens in der Wohngruppe („weil Lüdenscheid ist so asozial geworden und hab ich keine Verträge mehr mit“ (37/XIX)). Dies könnte als Zeichen für eine Veränderung gedeutet werden: Während sie bei ihrem Vater und auch in der Anfangszeit in der Wohngruppe das Bedürfnis hatte, in die Stadt zu gehen um sich mit anderen Jugendlichen zu treffen, lehnt sie dies mittlerweile ab und zieht es vor, in der Wohngruppe zu bleiben. Die Betreuer bemühten sich in der Anfangszeit sie zu bewegen, mehr Freizeit in der Wohngruppe zu verbringen. Nun signalisieren sie Aylin, dass sie auch hin und wieder ‚rausgehen’ soll (vgl. 21-23/XX). Hier scheint aber kein Druck auf sie ausgeübt zu werden, stattdessen wird ihr eine wohlwollende Einstellung der Betreuer signalisiert und Aylin kann eigenständig entscheiden, wie sie ihre Freizeit gestaltet. Während sie an einer Stelle des Interviews feststellt, man könne sich in der Wohngruppe nicht richtig zu Hause fühlen (vgl. 13-14/XIX), sagt sie später, dass die Wohngruppe jetzt ein Zuhause für sie sei, das zweite Zuhause sei bei ihrer Mutter, das dritte bei ihrem Vater. Das findet sie anstrengend (vgl. 34-37/XX). Hier wird eine Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach einem Zuhause und der Vorstellung, wie ein ‚richtiges’ Zuhause aussieht deutlich. Das Hin- und Hergerissensein zwischen einem Lebensort in der Familie und der Wohngruppe ist ein wichtiges Thema in Aylins Leben, bei dem sie Unterstützung bedarf. Mit den Betreuern der Wohngruppe versteht sie sich gut. Sie beschäftigen sich mit den Kindern, wenn diesen langweilig ist und bieten Freizeitaktivitäten an. Wenn Aylin Hilfe (beispielsweise bei der Neugestaltung ihres Zimmers) benötigt, signalisieren die Betreuer die Bereitschaft, sie zu unterstützen (vgl. 40/XVII-6/XVIII). Allerdings berichtet Aylin auch von einer Betreuerin (Anke), die die Zimmer der Kinder durchsucht, wenn diese nicht anwesend sind (vgl. 8-23/XVIII). Das empfindet sie als Eingriff in ihre Intimsphäre und als Grenzüberschreitung: „weil das gehört sich nicht, entweder wenn wir dabei sind, dann ist mir das scheißegal, aber wir können auch Sachen haben, die die nicht sehen sollen. [.] Und Privatsphäre kann man auch haben, aber bei der kann man das nicht haben. Also wenn die Dienst hat, muss man schon alles verstecken, da wo sie nicht drangeht“ (14-17/XVIII). 36 36 Hier ist anzumerken, dass sich dieser Vorfall am Morgen des Interviews ereignet hat. Aylin hatte sich zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht mit Anke ausgesprochen. Es ist also möglich, dass Aylin Anke aufgrund der aktuellen Situation negativer beschreibt als sie es zu einem anderen Zeitpunkt getan hätte. 66 Kapitel III: Aylin Aylin ist es wichtig, dass zwischen ihr und den Betreuern Harmonie herrscht, sie gemeinsam Spaß haben und die Stimmung gut ist (vgl. 33-35/XVIII). Neben dem derzeitigen Streit mit Anke berichtet Aylin auch von positiven Erlebnissen mit ihr. Aylin ist hier in der Lage zu differenzieren und festzustellen, dass ihr Verhältnis zu Anke vom beiderseitigen Befinden abhängt (vgl. 29-34/XVIII). Als sie die jetzige Wohngruppe mit der in Werdohl vergleicht, stellt sie fest, dass die Regeln hier nicht so streng sind. Wichtig ist ihr, dass die Betreuer Ausnahmen von den Regeln machen, was sie „richtig klasse“ findet (vgl. 38/XVI-6/XVII). Aylin berichtet, dass innerhalb der Gruppe der Kinder eine große Fluktuation stattgefunden hat. Dies bewertet sie folgendermaßen: „Doof. Weil man kann sich nicht richtig einleben. Man kann sich nicht wie zu Hause fühlen. Weil einer geht, einer kommt, einer geht, einer kommt, das is wie in ner Disco“ (13-14/XIX). Aylin verwendet hier das eindrückliche Bild von einer ‚Disco’, um die Heimgruppe zu beschreiben. Stellt man sich vor, wie Jugendliche von einer Disco reden, würde man wahrscheinlich davon ausgehen, dass sie diese ausschließlich mit Spaß verbinden. Aylin benutzt dieses Bild aber, um auf die negativen Seiten aufmerksam zu machen: die Heimgruppe ist geprägt von einem ständige Kommen und Gehen, Neuaufnahmen und Entlassungen, was es erschwert, sich besser kennen zu lernen und dauerhafte Bindungen aufzubauen. Hier wird ihr Wunsch nach Stabilität und Sicherheit deutlich, was sie benötigt, um sich richtig zu Hause fühlen zu können. 37 Ihr missfällt, dass viele der Kinder keine Rücksicht nehmen, vor allem wenn sie krank ist. Die laute Musik der anderen empfindet sie als störend und sie wünscht sich dann mehr Ruhe. Wenn sie krank ist, wäre sie gerne bei ihrer Mutter „die mit einem mit leidet“ (vgl. 15-28/XIX). Hier wird erneut der Wunsch nach einer intakten Familie deutlich. Interessant ist, dass sie von einzelnen Kindern nur im Zusammenhang mit deren Auszug aus der Wohngruppe berichtet. Ansonsten thematisiert sie lediglich die gesamte Gruppe. Ein weiteres Thema, das in Bezug auf die Heimgruppe während des Interviews besprochen wird, sind Hilfeplangespräche. Aylin teilt mit, dass sie vor den Hilfeplangesprächen entscheiden darf, was besprochen wird, und was nicht. Während der Hilfeplangespräche hat sie allerdings das Gefühl, dass sie zwar nach ihrer Meinung gefragt wird, die Erwachsenen aber meist durchsetzen, was sie für richtig halten. „Man [.] denkt, man hat überhaupt kein Mitspracherecht, warum muss man dann dabei sein?“ (vgl. 19-41/XXI) Wäh37 Das Fehlen des zentralen Merkmals ‚personale Stabilität’ kann als ein Definitionskriterium der Institution Heim angesehen werden. Durch Aufnahmen und Entlassungen der untergebrachten Kinder sowie Neueinstellungen und Kündigungen der dort arbeitenden Mitarbeiter ist dieses künstlich arrangierte Lebens- und Lernfeld in seiner Zusammensetzung deutlich instabiler als die ‚natürliche’ Primärgruppe Familie (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S. 62). 67 Kapitel III: Aylin rend der Hilfeplangespräche werden nicht nur Aylins Fehler, sondern auch die der Gruppe und der Mutter besprochen. Neben dem Fehlverhalten wird auch auf positive Entwicklungen eingegangen (vgl. 31-33/XXI). In Bezug auf die Heimgruppe wird deutlich, dass Aylin in der Lage ist, diese – zumindest teilweise – differenziert zu betrachten. Während die vorangegangenen biographischen Stationen ausschließlich positiv oder negativ bewertet wurden, wägt sie hier ab. Das Heim und die Personen dort haben sowohl gute als auch schlechte Seiten. Ambulante therapeutische Maßnahmen Als Aylin in der Wohngruppe aufgenommen wurde, machte sie eine ambulante Therapie. Sie berichtet, dass sie von den Betreuern der Wohngruppe gezwungen wurde, diese fortzuführen. Ihr wurde gedroht, aus der Gruppe entlassen zu werden, wenn sie die Therapie abbricht. Trotz dieser Drohung weigerte Aylin sich, die Therapie zu besuchen und argumentierte, dass ihr die Therapie nicht helfen würde, wenn sie es nicht selbst wolle. Mittlerweile hat Aylin sich mit ihrer Argumentation durchgesetzt und hat die Therapie abgebrochen. Stattdessen geht sie reiten, was ihr Spaß macht. Ob es sich hier um einfache Reitstunden handelt oder sie eine Reittherapie macht, wird im Interview nicht deutlich (vgl. 4-29/XX). • Aylins Einfluss auf Entscheidungen bezüglich des Lebensortes wirkt sich günstig auf das weitere Erleben dieses Hilfesettings aus. • Die Einsicht, kein Leben an einem gemeinsamen Ort mit der Familie führen zu können, belastet Aylin. • Aylin hat den Wunsch nach einem harmonischen und stabilen Verhältnis zu ihren Eltern. Diese sollten Ansprechpartner bei Problemen bleiben. Werden der Erhalt von Beziehungen und die Verbesserung der Beziehungen zu den Eltern unterstützt, empfindet Aylin dies positiv. • Eine Atmosphäre zu den Betreuern, die durch Wohlwollen, Unterstützung und Harmonie gekennzeichnet ist, schafft eine Basis, auf der Aylin Hilfe als solche wahrnimmt. • Es wirkt sich günstig auf Aylins Erleben aus, wenn Regeln nicht starr sind, sondern individuell an ihre Bedürfnisse angepasst werden können. • Aylin wünscht sich eine Privatsphäre, die als solche respektiert wird. • Die Gestaltung von gemeinsamen Freizeitaktivitäten ist für Aylin ein wichtiger Bestandteil des Heimlebens. 68 Kapitel III: Aylin • Innerhalb der Heimgruppe wünscht sich Aylin mehr gegenseitige Rücksichtnahme. • Die große Fluktuation innerhalb der Heimgruppe und damit verbundene Beziehungsabbrüche, wirken einem Gefühl von Heimat entgegen. • Aylin wünscht sich in Hilfeplangesprächen nicht nur angehört, sondern auch ernst genommen und an Entscheidungen beteiligt zu werden. 69 Kapitel III: Tim 2. Tim Zum Zeitpunkt des Interviews ist Tim 14 Jahre alt. Er lebt in einer Außenwohngruppe eines überregionalen Jugendhilfeträgers. In der Wohngruppe sind gegenwärtig acht Jungen untergebracht, wobei es sich konzeptionell um eine koedukative 38 Gruppe handelt. Überblick über die biographischen Daten bis zum Alter von ca. sechs „ich war früher halt in so ner Familie, wo ich aufgewachMonaten in der leiblichen sen bin, das war in Hamburg, mein Vater war halt AlkoFamilie holiker, meine Mutter war halt psychisch [.] krank“ (910/XXIII) ca. drei Jahre Unterbringung „dann bin ich halt in Kinderheim gekommen, hab ich da in einem Heim bis 3 gelebt“ (12/XXIII) im Alter von dreieinhalb Jah- „dann hat mich halt so ne Familie adoptiert […] und da ren Unterbringung in einer hatte n paar Jahre geklappt, und dann irgendwann hat’s Pflegefamilie aber überhaupt nicht mehr geklappt so, 2, 3 Jahre, und dann hatten die sich an so n Psychologen gewandt […] ambulante Hilfen: und da hatt ich dann n halbes Jahr Therapie“ (13ein halbes Jahr ambulante 18/XXIII) Therapie im Alter von ca. zwölf Jahren Aufnahme in der Kinder- und „dann hatten se halt vom Jugendamt, erfahren dass es Jugendpsychiatrie Marsberg halt so ne Psychiatrie gibt, wo ma halt reingehn können. im Alter von 13 Jahren […] Und hatten ma das halt ma ausprobiert“ (1922/XXIII) Aufnahme in einer Heim- „dann haben die mich halt hier in die Wohngruppe gegruppe im April 2005 steckt“ (28/XXIII) Therapie „jede vierte Woche, also auch in größeren Abständen, geh ich halt wieder nach Marsberg, Tagesklinik halt, für 8 Tage, und dann mach ich halt Intensivtherapie“ (3637/XXXII) 2.1 Die ersten drei Lebensjahre Tim verbrachte ca. die ersten sechs Monate seines Lebens bei seiner leiblichen Familie. Seine Mutter war psychisch krank und ging aus diesem Grund keiner Berufstätigkeit nach. Sein Vater war Alkoholiker und misshandelte den Säugling körperlich. Aufgrund der familiären Situation nahm das Jugendamt Tim aus der Familie und brachte ihn nach der 38 Während in der Vergangenheit die Mehrheit der Heimeinrichtungen nur Kinder eines Geschlechts aufnahmen, bzw. zwischen Mädchen- und Jungengruppen trennten, lebt heute ein Großteil der in der Heimerziehung untergebrachten Kinder in koedukativen – d.h. geschlechtsgemischten – Gruppen (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S. 57f.). 70 Kapitel III: Tim Scheidung seiner Eltern in einem Heim unter. Hier lebte er ca. drei Jahre (vgl. 9-12/XXIII & 9-24/XXIV). 39 2.2 Die Pflegefamilie Exkurs: Vollzeitpflege In den Hilfen zur Erziehung (§ 27 ff. KJHG) wird neben der Heimerziehung (§ 34 KJHG) eine zweite Form der Fremdunterbringung, die Vollzeitpflege (§ 33 KJHG) geregelt, in der Kinder über Tag und Nacht außerhalb des Elternhauses in einer anderen Familie untergebracht werden (vgl. MÜNDER 2003, S.314). Entsprechend dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes, den persönlichen Bedingungen sowie den Möglichkeiten zu Verbesserungen der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie kann die Vollzeitpflege eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten (vgl. BALTZ 2002, S.1030). BLANDOW (1999) weist darauf hin, dass der Begriff ‚Pflegefamilie’ zur Kennzeichnung des Sozialisationsortes, an dem das Pflegekind lebt, verwendet wird. Der Familienbegriff wird hier nicht zwingend zur Kennzeichnung einer herkömmlichen Kleinfamilie verwendet, es kann sich auch um eine andere privat organisierte Lebensform zwischen Erwachsenen und Kindern handeln (vgl. a.a.O., S.757). Der Großteil der Pflegepersonen verfügt über keine spezifische Berufsausbildung für die Ausübung von Erziehungsaufgaben (vgl. BLANDOW 2004, S.159). „Da unterschiedliche Aufgabenstellungen und Zielsetzungen regelmäßig dann zu Problemen führen, wenn für Betroffene und Beteiligte (Pflegeeltern, Kind, Herkunftsfamilie) die Ziele und Perspektiven der Inpflegegabe nicht eindeutig erkennbar sind, bzw. konfligierende Einschätzungen (vor allem bei der Pflegefamilie auf Zeit bzw. auf Dauer) nicht bearbeitet werden, ist eine qualifizierte Erziehungs- und Entwicklungsplanung (Hilfeplan […]) von zentraler Bedeutung“ (MÜNDER et al. 2003, S.318). Es ist davon auszugehen, dass der Abbruch eines Pflegeverhältnisses für das betroffene Kind schwerer zu bewältigen ist als eine Entlassung aus einem Heim (vgl. FREIGANG/WOLF 2001, S.25). Die Situation in der Pflegefamilie Im Alter von dreieinhalb Jahren wurde Tim in einer Familie aufgenommen (vgl. 20/XXIV), ein Jahr später auch sein jüngerer Bruder (vgl. 29-31/XXIV). Zunächst spricht Tim von einer Adoption. Es weisen aber mehrere Dinge darauf hin, dass es sich um eine Pflegefamilie handelt. Zum einen hat er einen Amtsvormund, weiterhin trägt er nicht denselben Namen wie die Familie, in der er aufgewachsen ist und redet vor allem später nur noch von der Pflegefamilie bzw. seinen Pflegeeltern. Aus diesen Gründen werde ich im Folgenden von seiner ‚Pflegefamilie’ sprechen. 39 Da Tim diese Zeit nur aus Erzählungen kennt und im Interview nur wenig darüber spricht, werde ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehen. Ob Tim noch Kontakt zu seinen leiblichen Eltern hat, geht aus dem Interviewmaterial nicht hervor. 71 Kapitel III: Tim Die ersten Jahre in der Pflegefamilie verliefen gut (vgl. 16/XIII & 29/XXIV). Auf die ‚gute’ Zeit geht Tim im Folgenden nicht weiter ein. Nach Tims Einschulung verschlechterte sich die Situation innerhalb der Familie. Er berichtet, es habe dann fast täglich Streit gegeben. Auslöser für die Auseinandersetzungen seien Hausaufgaben, Aufräumen und andere Dinge gewesen (vgl. 32-40/XXIV). In einer Interviewpassage sagt er, es habe sich um Kleinigkeiten gehandelt (vgl. 8/XXVI), später erzählt er, dass er gezündelt und gestohlen habe (vgl. 6/XXXI). Er ist der Meinung, dass für die Auseinandersetzungen niemandem eindeutig die Schuld gegeben werden kann. Manchmal habe er Streit gesucht, manchmal seine Eltern (vgl. 11-12-/XXVI). Tim spricht während des Interviews von seinen Eltern oder Pflegeeltern. Während er an einigen Stellen seine ‚Mutter’ konkret benennt, erwähnt er den Pflegevater nie als einzelne Person. Auf diesen kommt das Gespräch nur einmal, als Tim nach ihm gefragt wird. Die ambulante Therapie „Das Jugendamt meinte ich soll zum Psychologen auffinden, der für meine Eltern zuständig ist und für mich, dass wir halt da besser klarkommen, hat nur nicht ganz geholfen.“ (12-13/XXV) Das Jugendamt stand in regelmäßigem Kontakt zur Familie. 40 Tim erklärt, das Jugendamt besuche Pflegefamilien normalerweise zweimal im Jahr. Zu ihnen sei es öfter gekommen, weil es immer so viel ‚Stress’ gegeben habe (vgl. 33-36/XXV). Der Familie wurde von dieser Seite geraten, sich an einen Psychologen zu wenden. Daraufhin machte Tim über den Zeitraum eines halben Jahres eine ambulante Therapie. Ihn habe niemand gefragt, ob er die Therapie machen wolle, die Sitzungen scheinen Tim aber nicht unangenehm gewesen zu sein (vgl. 26-27/XXV). Ob seine Pflegeeltern auch in die Therapie einbezogen wurden, wird nicht deutlich. An einer Stelle schildert Tim, der Psychologe hätte für ihn und seine Eltern zuständig sein sollen (s.o.), später berichtet er, er sei alleine zu den Therapiesitzungen gegangen (vgl. 21-22/XXV). Ziel der Therapie war es, miteinander ‚besser klarzukommen’ (vgl. 13/XXV), es sollte „keinen Streit mehr geben“, was Tim als „vernünftiges Leben“ (19/XXV) bezeichnet. Tim nahm die Therapie nicht als Hilfe wahr (vgl. 19/XXIII, 13 & 17/XXV). Er habe sich unter der Woche immer benommen, freitags sei Therapie gewesen, und an den Wochenenden habe es dann immer Streit gegeben (vgl. 13-15/XXV). 40 Es wird nicht klar, ob es sich hier um seinen Vormund oder einen anderen Mitarbeiter des Jugendamtes handelt. Tim benennt im Interview immer nur ‚das Jugendamt’ und spricht in diesem Zusammenhang nie namentlich von Personen. 72 Kapitel III: Tim 2.3 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie „Das gab halt zu viel Stress und das Jugendamt hat eingegriffen und meinte ich sollt in die Psychiatrie gehen [.] sonst würd ich aus der Familie rausfliegen“ (15-16/XXVI) Nachdem die ambulante Therapie keine positive Wirkung zeigte und sich die Situation in der Familie immer mehr zuspitzte, regte das Jugendamt eine stationäre kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung für Tim an (vgl. 18-23/XXIII, 17/XXV & 4-8/XXVI). Tim scheint erst von diesen Plänen unterrichtet worden zu sein, nachdem der Entschluss feststand. Er habe nicht mitbekommen, was seine Pflegeeltern zu dieser Entscheidung gesagt hätten, geht aber davon aus, dass diese es für eine gute Lösung hielten (vgl. 2022/XXVI). Einige Wochen vor seiner Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie teilte der Mitarbeiter des Jugendamtes ihm die Entscheidung und dass er dort angemeldet werden sollte, mit (vgl. 24-26/XXVI). Tim erinnert sich an die Erklärung, was die Kinderund Jugendpsychiatrie ist: „Halt ne Psychiatrie, wo ma halt [.] lernen kann […] mit Menschen besser auszukommen also mit/zum Beispiel mit Eltern“ (35-36/XXVIII) Ihm wurde mitgeteilt, dass er nicht in der Familie bleiben kann, wenn er sich nicht zu einer stationären Therapie bereit erklärt und dass der Psychiatrieaufenthalt sechs bis acht Wochen dauern würde. Wo er hingekommen wäre, wenn er aus der Familie genommen worden wäre, weiß Tim nicht (vgl. 39/XXVI-1/XXVII). Tim stimmte der Unterbringung zu (vgl. 18-23/XXIII). Ich habe den Eindruck, dass Tim seine Zustimmung nur gab, um seinen weiteren Verbleib in der Familie sicherzustellen (vgl. 15-17/XXVI). Nachdem Tim zweimal zu Gesprächen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg gewesen war, kam er dort auf eine Warteliste. Eine Woche später wurde er stationär aufgenommen (vgl. 28-29/XXVI & 31-33/XXVII). Zu diesem Zeitpunkt war Tim 13 Jahre alt. Ich fragte Tim während des Interviews, welche Vorstellungen er von der Kinder- und Jugendpsychiatrie hatte, bevor er zum ersten Mal dort war. Er beschreibt, dass er die Vorstellung, wie es dort aussehen würde, beängstigend fand: „Ja man macht einem ja halt immer Angst im Fernsehen mit Gummizellen, so Sachen und hat sich halt irgendwie vorgestellt, da n Zimmer, da n Zimmer, überall Gummiwände, und war dann doch ganz anderes.“ (35-37/XXVI) Es ist auffallend, dass Tim im Zusammenhang mit der Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur davon spricht, was das Jugendamt sagte. Die Meinung seiner Pfle- 73 Kapitel III: Tim geeltern kennt er anscheinend nicht und berichtet auch nicht von Gesprächen mit ihnen über dieses Thema. Es ist möglich, dass hier das Jugendamt die Entscheidung ohne Beteiligung der Familie traf, was aber eher unwahrscheinlich erscheint. Ich gehe davon aus, dass zumindest Gespräche zwischen den Pflegeeltern und dem Jugendamt stattfanden, aber keine offene Kommunikation zwischen Tim und seinen Pflegeeltern möglich war. Vielleicht handelte es sich hier um Strategien der Familie, drohenden Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, indem über heikle Themen nicht miteinander gesprochen wurde. 41 Tim hat den Eindruck, dass er die Verantwortung für eine Veränderung der Lebenssituation in der Familie übertragen bekam. Nur durch seine Zustimmung zu einer stationären Behandlung bestand die Möglichkeit, auf Dauer bei seiner Familie zu verbleiben. Er sollte lernen, besser mit anderen Menschen ‚auszukommen’. Tim wurde so vermittelt, dass er bzw. sein Verhalten das Problem war und er für Veränderungen verantwortlich war. • Tim erlebte, dass das Jugendamt einen massiven Einfluss auf sein Leben ausübte. • Entscheidungsprozesse wurden für Tim nicht transparent (vgl. auch Übergang in die Wohngruppe). Durch die drohende Herausnahme aus der Familie bestand für ihn nicht die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden. • Zwischen Tim und seinen Pflegeeltern war keine offene Kommunikation über die geplante Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (wie auch später über die Unterbringung in einer Heimgruppe) möglich. • Der Psychiatrieaufenthalt wurde von Tim nicht als potenzielle Hilfe, sondern als einzige Möglichkeit, in seiner Familie verbleiben zu können, wahrgenommen. • Tim wurde vermittelt, dass er sich helfen lassen muss, er somit das Problem darstellt. Gleichzeitig begründet er den Übergang mit der konfliktreichen familiären Situation. • Die logische Konsequenz einer gescheiterten ambulanten Therapie schien hier in einer stationären Therapie gesehen zu werden. • Das durch die Medien vermittelte Bild von der Psychiatrie löste Angst bei Tim aus. Das Leben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Tim beschreibt die Kinder- und Jugendpsychiatrie: „Ja da warn halt Zimmer, für zwei bis drei Personen, ich hab dann halt mit nem andern Jungen da geteilt, [.] gab’s halt nen Gruppenraum, so n Riesen, der in Wohnzimmer und 41 Es ist möglich, dass Tim durch mein Interviewverhalten auch eher dazu angeregt wurde, zu berichten, wie sich das Jugendamt äußerte. Auffallend ist aber dennoch, dass er die Meinung seiner Pflegeeltern nicht kennt. 74 Kapitel III: Tim Esszimmer verteilt wurde, dann gab’s so ne Küche, und Badezimmer für die ganzen Jugendlichen, eine Toilette und ein Badezimmer halt mit Dusche und Waschbecken, alles Mögliche, [.] dann hat ma halt jede [.] Woche nen andern Dienst, Putzdienst, oder Küchendienst, Flurdienst, alles Mögliche, [.] und dann gibt’s da auch so n Ausraum, also wenn man dann nicht mehr klarkommt, und halt ausrastet, wird man da reingeschickt, und dann halt/wenn man im Ausraum dann halt Randale macht, kommt man auf so n Fixierbett.“ (4-12/XXVII) Bei dieser Passage handelt es sich um Tims Antwort auf die Aufforderung, mir zu beschreiben, wie es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gewesen ist. Es ist bemerkenswert, dass Tim an erster Stelle die Räumlichkeiten beschreibt, dann kurz auf die Strukturen eingeht, Personen hier hingegen keine Rolle spielen. Persönliche Kontakte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie scheinen für Tim nachrangig zu sein. Vor allem die Erwähnung des ‚Ausraumes’ und Fixierbettes verwunderte mich während des Interviews, da dies durch die Befragten in den vorangegangenen Interviews nicht thematisiert wurde. Auf meine Nachfrage erzählte Tim, er sei zweimal im ‚Ausraum’ gewesen und einmal auf dem Fixierbett. Als Grund gab er an, er sei Raucher und dass er ein Feuerzeug gehabt habe, was die Betreuer ihm fortnehmen wollten. Er habe es nicht hergeben wollen, daraufhin sei er festgehalten worden und sei ausgerastet (vgl. 1329/XXVII). Inwieweit Tim hier Einzelheiten ausspart, um sich evtl. in ein besseres Licht zu stellen, kann und soll an dieser Stelle nicht nachvollzogen werden. Aus einem Gespräch mit der Sozialpädagogin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist mir aber bekannt, dass die dortigen Regeln es Kindern unter 16 Jahren untersagen, zu rauchen. Wurde hier tatsächlich versucht, unter allen Umständen diese Regel durchzusetzen, begünstigte dieses starre Regelsystem möglicherweise die Eskalation der Situation. Morgens besuchte Tim drei Stunden die Schule der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort gefiel es ihm gut, weil der Unterricht kürzer als in einer Regelschule war und nachmittags weniger Hausaufgaben zu erledigen waren (vgl. 33/XXVII-2/XXVIII). Ich gehe davon aus, dass diese Schule für Tim eine Entlastung von der Regelschule darstellte, die schließlich zuvor Anlass zu Auseinandersetzungen mit seinen Eltern gewesen war. Nach der Schule fanden Therapien statt (vgl. 31-32/XXVII). Er hatte z.B. Reittherapie, in einer anderen Therapie sollte er lernen, mit Gefühlen umzugehen (vgl. 7-8/XXVIII). Er ist der Meinung, dass es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie langweilig war, da er in seiner Freizeit nur wenig Beschäftigung hatte (vgl. 40/XXVIII-4/XXIX). Auf die Frage nach den Aufgaben der Betreuer und Ärzte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erklärt Tim, dass sie die Kinder beobachten. 42 Mit den Psychologen fanden wäh- 42 Ich gehe davon aus, dass er an dieser Stelle die Erzieher der Kinder- und Jugendpsychiatrie meint, da er auf die Aufgaben der Psychologen und Ärzte gesondert eingeht. 75 Kapitel III: Tim rend den Therapien Gespräche statt, die Ärzte führten Untersuchungen, Aufnahmegespräche und Notaufnahmen durch (vgl. 11-16/XXVIII). Ich habe den Eindruck, dass es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht gelang, eine positive Atmosphäre zu Tim zu schaffen, da er erst nach meiner Nachfrage vom Klinikpersonal spricht und nur diese kurze Antwort, die keinerlei persönliche Färbung hat, gibt. Lediglich eine Ärztin erwähnt er später als einzelne Person (s.u.). Die anderen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebrachten Kinder mochte Tim. Er erzählt, dass jeder seine eigenen Probleme hatte, die zur Unterbringung in der Psychiatrie geführt hatten. Die Gruppe hielt zusammen und niemand verriet den anderen, wenn man etwas angestellt hatte (vgl. 18-20/XXVIII). Tims Wahrnehmung konzentriert sich auf die Patientengruppe, einzelne Kinder erwähnt er nicht. Die anderen Kinder scheinen das einzig Positive während des Aufenthaltes gewesen zu sein (vgl. 40/XXVIII). Trotzdem vermisste Tim seine Freunde, als der Psychiatrieaufenthalt länger als acht Wochen dauerte, was ihm den Aufenthalt erschwerte (vgl. 14-16/XXIX). Insgesamt ist Tim der Meinung, dass es ihm in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht gefallen hat (mit Ausnahme der anderen Kinder) und der Aufenthalt keine Hilfe für ihn war (vgl. 17/XXVI, 30-32/XXVI & 40/XXVIII). • Tims Wahrnehmung von Räumlichkeiten und Strukturen überwiegt der Wahrnehmung einzelner Personen (vgl. Heimgruppe). • Tim nahm die Probleme der anderen untergebrachten Kinder wahr, der gute Zusammenhalt der Patientengruppe überwog aber dieser Wahrnehmung. • Das Betreuungspersonal wurde von Tim in einer Kontrollfunktion erlebt. • Möglicherweise trug ein starres Regelsystem zu Eskalationen zwischen Tim und den Betreuern bei. • Fehlende Freizeitangebote und dadurch entstehende Langeweile werden durch Tim negativ bewertet. • Die eingeschränkte Unterrichtsdauer in der Klinikschule schaffte für Tim Entlastung. • Durch den Psychiatrieaufenthalt ausgelöste Kontaktabbrüche zu seinen Freunden belasteten Tim. 76 Kapitel III: Tim Die Entwicklung der familiären Situation während des Psychiatrieaufenthaltes „Also die dachten halt, ich wär halt noch net so gut genug entwickelt wieder in die Familie zurückzugehen.“ (7-8/XXIX) Wie oben bereits beschrieben, wurde Tim in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht, nachdem die ambulante Therapie sich nicht positiv auf die familiäre Situation ausgewirkt hatte. Tim sagt, dass dann die Kinder- und Jugendpsychiatrie ‚mal ausprobiert’ wurde (vgl. 18-22/XXIII). Während der Anfangszeit fuhr Tim jedes Wochenende nach Hause. Die Besuche hätten ‚so einigermaßen’ geklappt, man hätte gut miteinander auskommen können, es sei aber ‚nicht so besonders’ gewesen (vgl. 30/XXIX). Mit der Zeit gab es aber auch an den Wochenenden zu Hause Auseinandersetzungen und es ‚klappte überhaupt nicht mehr’. Von nun an verbrachte Tim auch die Wochenenden in der Kinderund Jugendpsychiatrie (vgl. 25-27/XXIX). Die Entscheidung, nicht mehr nach Hause zu fahren, traf Tim gemeinsam mit der behandelnden Ärztin und den Betreuern (vgl. 3334/XXIX). Tim ging davon aus, dass es sich hier nur um einen vorläufigen Zustand handelte. Er hoffte, dass sich die Situation zwischen ihm und seinen Pflegeeltern während den 14-tägig stattfindenden Familiengesprächen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie klären würde (vgl. 36/XXIX-1/XXX). Ursprünglich sollte die Unterbringung zwischen sechs und acht Wochen dauern. Nach der achten Woche wurde Tim die Verlängerung des Aufenthaltes mitgeteilt, er stimmte zu. Als Tims Psychiatrieaufenthalt nach der zehnten Woche ein weiteres Mal verlängert werden sollte, wollte er nicht mehr dort bleiben und lief aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie fort. Er erzählt, dass er einen Tag später zurück gebracht wurde und seine Pflegeeltern ihn dann ‚nicht mehr haben’ wollten. Er blieb insgesamt 16 Wochen in Marsberg (vgl. 2228/XXIII). Die mehrmalige Verlängerung des Psychiatrieaufenthaltes wurde gegenüber Tim durch eine Ärztin und die Psychologen damit begründet, dass er mit der Therapie noch nicht ‚so weit’ sei, noch nicht ‚gut genug entwickelt’ wäre um wieder in seine Familie zurückzugehen (vgl. 7-12/XXIX). Die Dauer des Aufenthaltes konnte Tim nicht beeinflussen (vgl. 17-18/XXIX). Zu seinen Pflegeeltern wird ein ambivalentes Verhältnis deutlich. Auf der einen Seite berichtet er von den zahlreichen Auseinandersetzungen, die ihn veranlassten, den Kontakt abzubrechen. Auf der anderen Seite blieb seine Hoffnung bestehen, dass sich das Verhältnis verbessern und eine Klärung erzielt würde. Hier wird Tims Wunsch nach Entlastung und Harmonie deutlich, der innerhalb der Familie nicht realisiert werden kann. Tim bekam vermittelt, dass er sich ändern und besser entwickeln muss, um die Möglichkeit zu bekommen, wieder zu seinen Eltern zurückzukehren. Dass diese sich letztendlich gegen Tims Rückkehr entschieden, scheint er im Zusammenhang mit seiner Entweichung aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu sehen. 77 Kapitel III: Tim • Es wirkte sich ungünstig auf Tims weitere Wahrnehmung aus, dass bei ihm keine Einsicht und Verständnis für die Verlängerung des Psychiatrieaufenthaltes erzielt wurde. Dies wurde dadurch verstärkt, dass vorgesehene Pläne ohne seinen Einfluss revidiert wurden. • Dadurch, dass keine Stabilisierung der familiären Bindung erreicht wurde, kam es zu einem Kontaktabbruch. Dennoch blieb Tims Hoffnung auf eine Klärung der Konflikte und eine erneute Kontaktaufnahme bestehen. • Werden Ziele, die durch Therapien (ambulant und stationär) gesetzt wurden, nicht erreicht, steht dies Tims Wahrnehmung der Hilfe entgegen. • Tims Selbstwahrnehmung konzentriert sich darauf, dass er sich ändern muss und Fehler macht, die sich auf sein Verhältnis zu den Eltern negativ auswirken. 2.4 Die Wohngruppe Übergang in die Wohngruppe „dann bin ich halt noch bis zur sechzehnten Woche in Marsberg geblieben, und dann haben die mich halt hier in die Wohngruppe gesteckt.“ (27-28/XXIII) Nachdem Tim ca. zwölf Wochen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verbracht hatte, teilte ihm die behandelnde Ärztin mit, dass er in einem Heim untergebracht werden soll. Mit der Ärztin fanden fast täglich Gespräche statt, und sie hatte regelmäßig telefonischen Kontakt zu den Pflegeeltern (vgl. 20-21/XXX). Er geht davon aus, dass die Heimunterbringung die gemeinsame Entscheidung des Jugendamtes und seiner Pflegeeltern war (vgl. 28-29/XXIII & 18/XXX). An der Entscheidung war Tim nicht beteiligt und bekam auch den Entscheidungsprozess nicht mit. Er kann nicht sagen, warum er nicht wie geplant zurück in die Pflegefamilie entlassen wurde: „Das hab ich gar nicht genau mitgekriegt, also weiß ich jetzt überhaupt net, wieso jetzt auf einmal so“ (7-8/XXX) 43 Das Jugendamt suchte in der Folgezeit nach einem geeigneten Heimplatz für Tim und wurde in der Wohngruppe, in der er heute lebt, fündig (vgl. 10-11/XXX). Der Leiter der Wohngruppe stellte sich in der Folgezeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vor, es wurden Gespräche geführt, in denen Tim die Wohngruppe beschrieben wurde und in denen er die Gelegenheit erhielt, Fragen zu stellen (vgl. 11-13/XXX). Nachdem Tim ein Wochenende zum Probewohnen dort gewesen war, verließ er die Kinder- und Jugendpsychi43 Hört man diesen Satz auf der Tonbandaufnahme, wird Tims Unverständnis für diese Entscheidung deutlicher als beim Lesen der Aussage. Es ist die wohl emotionalste Aussage des Interviews. 78 Kapitel III: Tim atrie und zog in der Wohngruppe ein (vgl. 13-15/XXX). Mit dem Mitarbeiter des Jugendamtes und seinen Pflegeeltern scheint er erst über die Entscheidung gesprochen zu haben, als der Leiter der Heimgruppe sich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vorstellte (vgl. 22-26/XXX). Was man bei der Unterbringung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie bereits beobachten konnte, setzte sich hier fort: für Tim bleiben Entscheidungsprozesse weiterhin undurchsichtig und er wird nicht einbezogen. Auch die Kommunikation zwischen ihm und seinen Pflegeeltern über die geplante Heimunterbringung fand nicht persönlich, sondern über Dritte statt. War es beim Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Mitarbeiter des Jugendamtes, der Tim die Entscheidung mitteilte, übernahm dies nun die Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er sagt, dass er es „eigentlich fürs Erste ganz gut“ fand, die Kinder- und Jugendpsychiatrie verlassen zu können. Er wollte nun ein ‚neues Leben’ anfangen und versuchen, besser als bei seiner Pflegefamilie zurecht zu kommen (vgl. 28-29/XXX). Ob Tim damals wusste, dass es sich hier nicht um eine vorläufige Entscheidung handelte, ist nicht klar. Ich denke, dass Tim der Entscheidung, in einer Heimgruppe untergebracht worden zu sein, ambivalent gegenübersteht. Auf der einen Seite erlebte er die Entlassung aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie als Entlastung. Auf der anderen Seite wurde Tim in seinen Erwartungen enttäuscht und scheint dies auf sein Verhalten zu beziehen. Er war es, der in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht werden sollte, um in der Familie bleiben zu können, sich dann aber nicht ‚gut genug entwickelte’ und von dort fortlief. Die Pflegeeltern wollten ihn ‚nicht mehr haben’ und ‚steckten’ ihn gemeinsam mit dem Jugendamt in ein Heim. Auffallend ist auch, dass er in diesem Zusammenhang während einer Interviewpassage nicht von seinen Pflegeeltern spricht: Er wählt die meiner Meinung nach sehr unpersönliche Bezeichnung „die Familie Strunk“ (29/XXIII), was einen Bruch in der Beziehung und den Versuch einer Distanzierung zu seiner Pflegefamilie kennzeichnen könnte. Im Nachhinein ist Tim der Meinung, dass die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie keine Hilfe für ihn war (was ja nicht überrascht, hält man sich vor Augen, dass das einzige Ziel, was er damit verfolgte – bei seinen Eltern bleiben zu können – nicht erreicht wurde). Er sei zwar nach dem Aufenthalt verändert gewesen, führt dies aber eher auf den neuen Lebensort in der Wohngruppe zurück (vgl. 30-40/XXX). • Für Tim werden Entscheidungen und Entscheidungsprozesse, die den Wechsel seines Lebensortes betreffen, nicht transparent und er wird nicht einbezogen. 79 Kapitel III: Tim • Das Ziel, die Beziehung zwischen Tim und seinen Pflegeeltern zu verbessern, wurde nicht erreicht. • Tims Erwartungen und Hoffnungen, die mit dem Psychiatrieaufenthalt verbunden waren, wurden enttäuscht, wodurch die Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht als Hilfe wahrgenommen wurde. • Tim hat den Eindruck, ungewollt und verantwortlich für das Scheitern der Therapie zu sein. • Die Unterbringung in einem Heim wurde als Entlastung von der Kinder- und Jugendpsychiatrie erlebt. Das Leben in der Wohngruppe „auf jeden Fall find ich jetzt gut dass ich jetzt hier bin, und nicht mehr zu Hause“ (8/XXX) Tim sagt, dass er es gut findet, in der Wohngruppe zu sein, in der er seit April 2005 lebt. Auffallend ist, dass er – bewusst oder unbewusst – zwischen der Wohngruppe und ‚zu Hause’ unterscheidet. In Bezug auf die Wohngruppe verwendet er diese Bezeichnung nie, ‚zu Hause’ sagt er dann, wenn er den Lebensort bei seinen Pflegeeltern meint. 44 Ähnlich wie die Kinder- und Jugendpsychiatrie beschreibt Tim auch das Heim durch die Räumlichkeiten und bestehenden Strukturen. Er erzählt, dass jedes Kind sein eigenes Zimmer hat, es ein Wohnzimmer, Küche, Esszimmer, Betreuerzimmer, in dem wöchentlich das Taschengeld ausgezahlt wird, und es zwei Badezimmer für die Kinder gibt (vgl. 913/XXXI). An Schultagen steht er um sechs Uhr morgens auf, nachmittags hat die Gruppe zwei Stunden Hausaufgabenzeit, danach hat er Freizeit bis abends (vgl. 13-16/XXXI). Er ist der Meinung, dass die Hausaufgabenzeit zu lang ist (vgl. 29-35/XXXIII). Donnerstags findet ein gemeinsames Gruppenabendessen statt, während dessen Planungen gemacht werden und man Anträge stellen kann. Dies wird dann 14-tägig sonntags morgens bei einem Gruppengespräch besprochen (vgl. 18-26/XXXI). Personen beschreibt er erst, nachdem er danach gefragt wird und geht auch dann nicht auf einzelne Personen ein: Die Betreuer findet Tim ‚ganz in Ordnung’, mit ihnen kann er reden. Allerdings vertraut Tim nicht allen Betreuern. Probleme bespricht er lieber mit den Jugendlichen der Wohngruppe, mit denen er ‚ganz gut’ zurecht kommt (vgl. 28-32/XXXI & 8-9/XXXII). Er berichtet, dass er sich verändert hat, was er nicht auf den Psychiatrieaufenthalt zurückführt, sondern auf das Leben in der Wohngruppe. Hier kommt es kaum zu Auseinander44 Hier denke ich, dass es nicht außergewöhnlich ist, dass er die Pflegefamilie immer noch als sein Zuhause bezeichnet, war dies schließlich über Jahre sein Lebensmittelpunkt. Für bemerkenswert halte ich, dass er die Wohngruppe nicht ebenfalls als sein Zuhause kennzeichnet (ähnlich wie Aylin, die ein ‚erstes’ und ‚zweites’ Zuhause hat). 80 Kapitel III: Tim setzungen, er macht mittlerweile regelmäßig seine Hausaufgaben, möchte sich „anständige“ Freunde suchen und versuchen, sein Leben in den Griff zu bekommen (vgl. 36/XXX2/XXXI). Das Leben in der Wohngruppe gestaltete sich allerdings nicht von Anfang an unproblematisch: auch hier waren seine Hausaufgaben Anlass für Konflikte. Mittlerweile muss er ein Hausaufgabenheft führen, welches er in der Schule unterschreiben lassen muss. Seitdem gibt es keine Probleme mehr mit den Hausaufgaben (vgl. 35-39/XXXI). Er berichtet, dass die Bewohner des Heimes vor den Herbstferien versuchten, die Betreuer zu provozieren, indem sie im Haus Rauchbomben und Knaller anzündeten. Wenn am nächsten Tag wieder alles in Ordnung gebracht wurde, hatte dies aber keine Konsequenzen (vgl. 39/XXXI7/XXXII). Der Kontakt zu seinen Pflegeeltern ist mittlerweile abgebrochen. Seit er in der Heimgruppe untergebracht ist, war er bis auf einmal, als er seine restlichen Sachen abgeholt hat, nicht mehr dort. Zunächst hatte Tim noch alle drei Wochen mit seiner Pflegemutter telefoniert. Aber auch während der Telefonate kam es zu Auseinandersetzungen, aus diesem Grund möchte er jetzt nicht mehr mit ihr sprechen. Mit seinem Pflegevater hat er ca. ein halbes Jahr nicht mehr gesprochen. Den Grund kann er nicht benennen, er habe eben immer mit der Mutter telefoniert. Er sei froh, dass die Pflegeeltern ihn nicht in der Heimgruppe besuchten, er wolle keinen Kontakt mehr zu ihnen haben. Lediglich zu seinem Bruder hat Tim noch einmal im Monat telefonischen Kontakt (vgl. 18-34/XXXII). Auch am letzten Hilfeplangespräch nahmen seine Pflegeeltern nicht teil, weil er dies ablehnte. Tim geht allerdings davon aus, dass sie am nächsten Hilfeplangespräch in einem halben Jahr wieder anwesend sein werden. Ob er dies wünscht, kann er heute noch nicht sagen (vgl. 2-8/XXXIV). Tim macht hier deutlich, dass er zu seinen Pflegeeltern keinen Kontakt mehr möchte, der in den alten Strukturen verläuft. Lieber nimmt er einen Kontaktabbruch in Kauf, um weitere Belastungen und Enttäuschungen zu vermeiden. Die Beziehung zu den Pflegeeltern bedarf aber noch einer Klärung. Auch wenn kein Kontakt mehr besteht, geht Tim davon aus, dass dieser wieder aufgenommen wird. Tim plant, in der Heimgruppe zu bleiben, bis er 18 Jahre alt ist (vgl. 16/XXXIV). 81 Kapitel III: Tim Die Therapie „Die hat jetzt auch wirklich wat geholfen“ (18/XXXIII) Tim macht eine Therapie in der Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie Marsberg. Es handelt sich um eine ‚Intensivtherapie’, die er alle vier Wochen für acht Tage besucht. Tim erzählt, er werde morgens in die Klinik gefahren und abends wieder abgeholt. Er mache dann ungefähr jede halbe Stunde eine andere Therapie. Die Schule falle in der Zeit aus, ein paar Schulaufgaben erledige er in der Klinik während der dortigen Hausaufgabenzeit (vgl. 35/XXXII-12/XXXIII). Inwieweit er hier in die Entscheidung, eine weitere Therapie zu machen, einbezogen wurde, wird durch das Interview nicht deutlich. Tim gefällt die Therapie, er ist der Meinung, sie habe ihm geholfen. Er weiß jetzt, wie er mit seinen Gefühlen umgehen muss, lernte, wie er sich ausdrücken kann, damit andere ihn verstehen und sich in andere hineinzuversetzen (vgl. 18-28/XXXIII). • Tim ist der Ansicht, dass er sich ändern muss. • Die Heimunterbringung war mit einem Kontaktabbruch zu den Pflegeeltern verbunden, um die ständigen Konfliktsituationen zu vermeiden. • Die Beziehung zu den Pflegeeltern bleibt weiterhin unklar. • Einigen Betreuern ist es gelungen, eine Basis zu schaffen, auf der Gespräche mit Tim stattfinden können. Bevorzugte Ansprechpartner bei Problemen sind aber die anderen Heimbewohner. 82 Kapitel III: Elfriede 3. Elfriede „Eine Frage, kann ich in dem Text Elfriede genannt werden?“ (3/XX) Elfriede ist zum Zeitpunkt des Interviews 17 Jahre alt. Seit drei Wochen lebt sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg. Dort gibt es mehrere Stationen, sowohl solche mit Altersbegrenzung, als auch altersgemischte Stationen. Die Stationen bestehen jeweils aus zwei Gruppen, jede Gruppe kann sieben bis acht Kinder aufnehmen, die in Mehrbettzimmern untergebracht werden. Elfriede lebt auf einer Jugendlichenstation mit einem Altersdurchschnitt von 15 bis 18 Jahren, welche sich in der Ausrichtung des Alltags und Angebotes von den altersgemischten und Kinderstationen unterscheidet. 45 Weiterhin hat sie einen Heimplatz in einem Großheim. Überblick über die biographischen Daten Auszug des Vaters Umzug mit der Mutter zu deren neuen Lebensgefährten Unterbringung in einem Mädchenheim im Alter von 15 Jahren ein halbes Jahr später Unterbringung im zweiten Heim ambulante psychiatrische Maßnahmen Kinder- und Jugendpsychiatrie im Alter von 17 Jahren „[…], dann ist mein Vater ausgezogen, hatte ne neue Freundin gehabt […]“ (7-8/XXXVI) „Dann sind wir wieder umgezogen zu ihrem neuen Freund und da lief’s halt net so gut.“ (10-11/XXXVI) „[Meine Mutter, d. Verf.] hat zum Jugendamt gemeint die will mich net mehr haben. Und dann kam ich von da aus grad ins Heim.“ (14-15/XXXVII) „Und da [im ersten Heim, d. Verf.] lief’s halt auch net so gut, da bin ich öfters abgehauen, und dann bin ich ins andere Heim gekommen.“ (12-13/XXXVI) 1. „Ich war einmal in Siegen, da haben se mit mir so nen Idiotentest gemacht und da kam aber en hoher IQ raus, und dann ham die gemeint […] ich bräuchte net in die Klapse […]“ (25-27/XLIII) 2. „[…] und dann haben se mich nach Attendorn zu der Psychologin geschickt und dann hat se mir den Vorschlag gemacht hierher zu kommen, […]“ (2729/XLIII) „Deswegen bin ich auch hier [.] Dass ich mit meinen Problemen lerne klar zu kommen.“ (14-15/XXXVI) 45 Diese Informationen habe ich einem persönlichen Gespräch mit der Sozialpädagogin der Station entnommen. 83 Kapitel III: Elfriede 3.1 Das Leben bei den Eltern Über die Zeit bei ihren Eltern spricht Elfriede während des Interviews kaum. Sie erzählt, dass sie früher gemeinsam mit ihnen lebte. Ihr Vater trennte sich wegen einer anderen Frau von der Familie (vgl. 7-8/XXXVI). Dies scheint für Elfriede sehr belastend und enttäuschend gewesen zu sein. Sie wählt die Worte: „hat der uns alleine gelassen, hat mich tierisch aufgeregt so“ (8-9/XXXVI) In der Folgezeit zogen sie und ihre Mutter, die wechselnde Beziehungen hatte, um (vgl. 910/XXXVI). Schließlich zogen Elfriede und ihre Mutter zu deren neuen Lebensgefährten. Die Folgezeit bewertet Elfriede folgendermaßen: „da lief’s halt net so gut. Hatt ich halt ziemlich Stress gehabt und wurde eingesperrt und so“ (11/XXXVI) Außerdem habe sie nichts zu essen bekommen und sei ungerecht behandelt worden (vgl. 6-7/XXXVII). 3.2 Das erste Heim Übergang in das erste Heim „Die hat zum Jugendamt gemeint die will mich net mehr haben. Und dann kam ich von da aus grad ins Heim.“ (14-15/XXXVII) Die Entscheidung, dass Elfriede in einem Heim untergebracht werden sollte, traf ihre Mutter allein (20-22/XXXVII), die sich an das Jugendamt wendete (vgl. 17/XXXVII). Elfriede habe niemand gefragt, ob sie in ein Heim möchte (vgl. 18-19/XXXVII). Ihr Vater erfuhr erst ein halbes Jahr später von der Entscheidung. Elfriede geht aber davon aus, dass sie auch dann im Heim untergebracht worden wäre, wenn ihr Vater es früher erfahren hätte (vgl. 24-27/XXXVII). Bemerkenswert ist, dass Elfriede der Ansicht ist, dass ihre Mutter sie nicht mehr ‚haben’ wollte (s.o.). Nachdem ihr Vater sie bereits ‚allein gelassen’ hatte, verliert sie nun auch die Mutter, zu der sie heute keinen Kontakt mehr hat. Die Einzige, die Elfriede nach ihrer Meinung gefragt habe, sei ihre Tante gewesen, die nicht mit der Unterbringung einverstanden war. Sie habe Elfriede zu sich nehmen wollen. Da die Tante zu dieser Zeit Elfriedes Großmutter pflegte, war dies nicht möglich (vgl. 31/XXXVII-1/XXXVIII). Auf der einen Seite fand Elfriede es ‚ganz gut’, dass sie in einem Heim untergebracht werden sollte, weil es ihr dort besser ging, als bei ihrer Mutter und deren Lebensgefährten 84 Kapitel III: Elfriede (vgl. 30/XXXVII). Andererseits macht Elfriede den Eindruck, dass sie nicht mit einer Heimunterbringung einverstanden war. 46 Einen Einfluss auf die Entscheidung, ob sie in einem Heim untergebracht wird, hatte sie nicht. Sie sei ins Heim gekommen, und dann habe es sich so ergeben, dass sie dort bleiben musste (vgl. 2-5/XXXVIII). An der Auswahl des Heimes war Elfriede nicht beteiligt (6-7/XXXVIII). Sie sagt, dass sie eine ‚schreckliche’ Vorstellung von einem Leben im Heim hatte (9-12/XXXVIII) und sich einsam fühlte, als sie ins Heim kam (vgl. 8-12/XXXVII). Zum Zeitpunkt ihrer ersten Heimunterbringung war Elfriede 15 Jahre alt (vgl. 19-20/XXXVI). • Elfriedes Vorstellung vom Heimleben machte ihr Angst. • Sie wurde weder an der Entscheidung, in einem Heim untergebracht zu werden, noch bei der Auswahl des Heimes beteiligt. • Durch die Heimunterbringung entstand bei Elfriede der Eindruck, von ihrer Mutter nicht mehr gewollt zu sein. • Die Unterbringung im Heim schaffte Entlastung von der zuvor als belastend erlebten familiären Situation. • Die Heimunterbringung rief Gefühle der Einsamkeit hervor. Das Leben im ersten Heim Elfriede wurde in einem Mädchenheim mit ca. 10 Plätzen untergebracht (vgl. 17 & 23/XXXVIII). Sie verstand sich mit den Mädchen dort nicht (vgl. 17-20/XXXVIII), die Betreuer seien ‚gerade noch so gegangen’ (vgl. 24/XXXVIII). Es widerstrebte ihr, dass die Mädchen anfallende Hausarbeiten wie Kochen, Waschen und Putzen erledigen mussten. Einerseits weiß sie, dass sie dadurch hauswirtschaftliche Dinge lernen konnte, auf der anderen Seite empfand sie die dadurch eingeschränkte Freizeit als zu gering. Sie habe viele andere Dinge im Kopf gehabt – worum es sich dabei handelte, erwähnt sie nicht –, für die sie dann nicht ausreichend Zeit hatte (vgl. 23/XXXVIII & 30-38/XLI). Ich fragte Elfriede, ob sich ihre Vorstellungen, die sie vom Heimleben hatte, bewahrheiteten. Sie antwortet, dass es ‚mit der Zeit ging, man gewöhne sich daran’ (vgl. 1315/XXXVIII). Diese Aussage weist darauf hin, dass sie die Maßnahme zwar hingenommen hat, aber nicht positiv erlebte. 46 Hier unterlief allerdings ein Interviewfehler: Ich fragte Elfriede, ob es Einfluss auf die Entscheidung hatte, dass sie nicht in ein Heim wollte, obwohl sie vorher nie erwähnte, dass sie nicht ins Heim wollte. Elfriede negiert allerdings diese Annahme nicht und führt das Gespräch so fort, dass der Eindruck entstand, dass sie diese Annahme bestätigt. 85 Kapitel III: Elfriede Während ihres Aufenthaltes in diesem Heim wurde Kontakt zu ihrem Vater hergestellt (vgl. 39-40/XXXIX). • Es wurde nicht erreicht, dass Elfriede das Leben im Heim positiv wahrnahm. • Durch die Verpflichtungen im Haushalt wurde die Freizeit als eingeschränkt wahrgenommen. • Im Heim wurde der Erhalt der Beziehung zum Vater unterstützt. Übergang ins zweite Heim „Und da lief’s auch net so gut, da bin ich öfters abgehauen, und dann bin ich ins andere Heim gekommen“ (12-13/XXXVI) Insgesamt lebte Elfriede sechs Monate in dem Mädchenheim. Auffallend ist, dass sie sich noch genau an die Daten der Aufnahme und Entlassung im ersten Heim erinnert (10.01. bis 30.06.) (vgl. 41/XLI). Dies weist darauf hin, dass es sich um besonders einschneidende Erfahrungen in ihrem Leben – im Sinne eines kritischen Lebensereignisses – handelt. Sie berichtet, dass sie oft aus dem Heim fortlief (auch über Nacht) und Alkohol konsumierte (vgl. 31-32/XXXVIII). Die Zeit, während der sie aus dem Heim entwich, verbrachte sie bei ihrem damaligen Freund (vgl. 34-35/XXXVIII). Aufgrund dieser Probleme fanden oft Gespräche im Jugendamt statt, wo ihr mitgeteilt wurde, dass sie sich entscheiden könne, ob sie in dem damaligen Heim bleiben oder in einem anderen Heim untergebracht werden wolle. Sie entschied sich für das zweite Heim (vgl. 35-39/XXXVIII), obwohl es ihr bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt war (vgl. 3-4/XXXIX). Während des Interviews interpretierte ich Elfriedes Aussagen so, als habe sie nicht mehr in dem ersten Heim bleiben wollen, was sie bejahte. Das neue Heim sei größer und gemischter gewesen, sie komme dort auch besser zurecht (vgl. 40/XXXVIII-2/XXXIX). Ich denke, dass es für Elfriedes Aussage zwei Lesarten geben kann. Es ist möglich, dass sie sich tatsächlich frei entscheiden konnte und nicht mehr im ersten Heim leben wollte. Eine andere Lesart wäre aber, dass die Aussage des Mitarbeiters des Jugendamtes eher eine Art Drohung war. Im Sinne von ‚Wenn du dich nicht an die Regeln hältst, musst du in ein anderes Heim. Du hast die Wahl.’ Hier wäre dann Elfriedes Entscheidung nicht so frei gewesen, wie ich es während des Interviews annahm. Mit den Betreuern des ersten Heimes sprach sie nicht über die Entscheidung (vgl. 713/XXXIX). An den stattfindenden Hilfeplangesprächen nahm ihr Vater teil, zu ihrer Mutter hatte sie keinen Kontakt mehr (vgl. 15/XXXIX). Bei dem Hilfeplangespräch, während dem die Unterbringung im zweiten Heim besprochen wurde, habe sie sich zurückgehalten, sie könne sich auch nicht mehr erinnern, was dort besprochen wurde (vgl. 4-11/XL). 86 Kapitel III: Elfriede Es wird nicht deutlich, wie sie die Entwicklung zum damaligen Zeitpunkt empfand. In ihrem heutigen Wissen darum, dass sie sich im zweiten Heim wohler fühlt, interpretiert sie die Entscheidung positiv. • Die Unterbringung im ersten Heim war mit einem Kontaktabbruch zur Mutter verbunden. • Zum Zeitpunkt des Heimwechsels stand Elfriedes Fehlverhalten im Vordergrund. • Zwischen Elfriede und den Betreuern des ersten Heimes fand keine Kommunikation über die geplante Unterbringung im zweiten Heim statt. • Elfriede stimmt dem Heimwechsel (rückblickend) zu. 3.3 Das zweite Heim Elfriede ist heute in einem Großheim untergebracht: es besteht aus fünf Gruppen, in denen jeweils zehn Kinder leben. Hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Kochen, Waschen und Putzen müssen die Kinder nicht selbst erledigen (vgl. 27-29/XLI). „Im zweiten Heim gibt es viel mehr Chancen und da kriegt man auch mehr geholfen als im andren Heim.“ (4-5/XLI) Hier handelt es sich um die Antwort auf meine Frage, was das zweite vom ersten Heim unterscheidet. Elfriede führt diese Aussage weiter aus: sie sagt, dass die Regeln im zweiten Heim strenger sind und es begrenzte Ausgangszeiten gibt (vgl. 7-10/XLI). 47 Einen ‚geregelten Tagesablauf’ empfindet sie als Hilfe: „ein Mensch braucht ja en festen Sitz und wenn er keinen geregelten Tagesablauf hat dann funktioniert ja gar nix mehr.“ (10-12/XLI) Sie ist der Meinung, dass sie dies im Heim lernt, was sie positiv empfindet (vgl. 15/XLI). Wenn man sich an die Regeln halte, könne man sich Vertrauen aufbauen und bekomme mehr Freiheiten. Beispielsweise habe sie bis um halb eins zu Freunden gehen dürfen um DVDs zu schauen (vgl. 18-24/XLI). Die Betreuer im Heim findet Elfriede ‚spitze’. Mit ihnen kann sie ‚ganz normal’ reden und sie hören ihr zu. Sie findet die Betreuer nett und vertraut ihnen. Auf der anderen Seite können die Betreuer auch streng sein und sich durchsetzen, was durch Elfriede ebenso 47 Hier werden die in Kapitel I Punkt 1.2 in Bezug auf Regeln und hauswirtschaftliche Tätigkeiten beschriebenen Unterschiede zwischen dem Lebensfeld ‚Großheim’ und ‚Außenwohngruppe’ deutlich. 87 Kapitel III: Elfriede positiv bewertet wird. Bei ihr müsse man sich durchsetzen, wenn sie ‚ausraste’ (vgl. 2533/XLII). An diesen Ausführungen wird deutlich, dass Elfriede sich nicht in der Lage sieht, sich selbst Regeln zu setzen. Sie ist der Meinung, dass sie auf die Kontrolle anderer und eine starke Reglementierung angewiesen ist. Den anderen im Heim untergebrachten Kindern scheint Elfriede ambivalent gegenüberzustehen. An einer Stelle des Interviews sagt sie, dass sie mit ihnen ‚ganz gut’ zurecht kommt (vgl. 22-24/XLII), während sie an einer anderen Passage erzählt, dass sie die anderen Kinder, die ausnahmslos jünger als sie sind, nerven. Hier sagt sie, dass es ihr nicht im Heim gefällt (vgl. 33-41/XLVI). Zu ihrem Vater hat Elfriede wieder regelmäßigen Kontakt. Er nimmt an den Hilfeplangesprächen teil. Vor den Hilfeplangesprächen wird mit Elfriede nicht abgestimmt, was Inhalt der Gespräche sein wird. Sie sagt, dass sie das auch alleine weiß, das müsse ihr niemand sagen (vgl. 3-16/XLIII). Während solcher Gespräche, an denen ihr Vater, eine Erzieherin und das Jugendamt teilnehmen, sagt sie nicht viel. Sie könne zwar ihre Meinung sagen, habe aber Respekt vor ihrem Vater und außerdem auch keine Lust etwas zu sagen. Sie lasse die anderen einfach reden. Wenn sie etwas nicht in Ordnung findet, was besprochen wird, sagt sie dies schon. Allerdings kann sie damit Entscheidungen nicht beeinflussen. Sie fühlt sich aus den Gesprächen ausgeschlossen und hat das Gefühl, dass es den Erwachsenen gleichgültig ist, wenn sie etwas sagt. Damit ist Elfriede nicht einverstanden. Sie ist der Meinung, dass sie ein Recht hat, mitzureden, es ginge schließlich um sie. Sie erzählt, dass sie sich vorgenommen hat, dies anzusprechen (vgl. 1140/XL). 48 Elfriede beschreibt, dass sie auch in diesem Heim fortgelaufen ist, viele Beziehungen zu Jungen hatte und Drogen konsumierte. Dies sei aber jetzt vorbei, sie habe einen Neuanfang begonnen (vgl. 1-12/XLII). Im Interview wird nicht deutlich, ob der Entschluss zu einem ‚Neuanfang’ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder bereits im Heim entstand. • Elfriede wird vermittelt, dass das Einhalten von Regeln Vertrauen schafft. Es wird ihr also nicht grundsätzlich Vertrauen entgegengebracht, dieses muss sie sich erst erarbeiten. • Eine geordnete Tagesstruktur und klare Regeln empfindet Elfriede als Hilfe. • Die Betreuer des Heimes schaffen ein vertrauensvolles Verhältnis, in dem Elfriede Probleme besprechen kann und sich ernst genommen fühlt. 48 Das Thema Hilfeplangespräche hätte Elfriede wahrscheinlich von sich aus nicht angesprochen und vor allem nicht so ausführlich besprochen. Hier wird eine starke Lenkung des Gespräches durch mich deutlich. 88 Kapitel III: Elfriede • Elfriede macht die Erfahrung, an Hilfeplangesprächen nicht beteiligt und mit ihren Wünschen nicht ernst genommen zu werden. Ihr wird vermittelt, dass ihr Wort weniger Gewicht hat, als das der Erwachsenen. 3.4 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie „Ich hab zu oft an die Probleme von früher gedacht, ich kam halt net mehr damit klar und so und da hab ich halt und da ham se mir halt das Angebot gemacht und da hab ich halt gemeint ja, ok.“ (1921/XLIII) Elfriede ist der Meinung, dass es in der Heimeinrichtung ‚ganz gut läuft’. Sie denke aber oft an ihre Vergangenheit, deshalb sei sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Hier möchte sie lernen, mit ihren Problemen zurecht zu kommen (vgl. 13-15/XXXVI). Elfriede scheint den Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie ohne Zwang erlebt zu haben. Sie beschreibt, dass die Erzieher des Heimes ihr das „Angebot“ gemacht haben, bzw. ihr „vorgeschlagen“ haben, in die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu gehen. Sie stimmte zu (vgl. 19-23/XLIII). Vor ihrer Aufnahme in der Kinder- und Jugendpsychiatrie war sie einmal in Siegen, um einen „Idiotentest“ zu machen, es sei aber ein hoher IQ festgestellt worden. Dort ging man davon aus, dass kein Grund für eine stationäre Behandlung besteht. Danach war sie bei einer Psychologin in Attendorn, die ihr vorschlug, in die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu gehen. Elfriede willigte ein (vgl. 25-29/XLIII). Elfriedes Vorstellung von der Psychiatrie beängstigte sie aber auch. Andere Kinder des Heimes waren aber schon dort und erzählten ihr davon, was sie beruhigte. Vor allem aber durch den ersten Besuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marsberg wurden ihre Ängste ausgeräumt (vgl. 21-23/XLV). Für eine stationäre Aufnahme entschied sich Elfriede erst nach diesem Besuch (vgl. 30-31/XLIII). Einige Tage nach ihrem Erstkontakt zur Kinder- und Jugendpsychiatrie rief Elfriede dort an und teilte mit, dass sie sich zu einer stationären Therapie entschlossen hatte (vgl. 30-32/XLIII). Nach ihrem Anruf kam sie auf eine Warteliste, drei Monate später wurde sie stationär aufgenommen (vgl. 16-19/XLVI). Später wird deutlich, dass Elfriede verzweifelt gewesen zu sein scheint. Sie sagt, dass es ihr egal war, wie es in der Psychiatrie sein würde, sie wollte nur, dass ihr geholfen wird. Weiterhin ist sie der Meinung, dass sie heute ‚auf der Straße sitzen’ würde, wenn sie sich nicht für eine Therapie entschieden hätte (vgl. 40/XLV–10/XLVI). 89 Kapitel III: Elfriede • Es wurde Elfriedes Einverständnis und Freiwilligkeit für die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erzielt. • Sie entschied sich aktiv für die Unterbringung. • Ihre Vorstellungen von der Psychiatrie waren angstbesetzt, es gelang aber, diese Zweifel auszuräumen. • Die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist mit der Hoffnung verbunden, dass sie ihre Probleme bewältigen kann. Das Leben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie „Ich find das einfach nur cool hier.“ (3/XLIV) Elfriede lebt gerne in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der sie seit drei Wochen untergebracht ist (vgl. 20-21/XLVI). Sie unterscheidet zwischen einer „richtigen Klapse“ (25/XLV) und der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Eine ‚richtige’ Psychiatrie entspricht ihren Vorstellungen, die sie vor der Unterbringung in Marsberg hatte: „[…] alles zu, verriegelt, gar nichts auf, Schnüren an den Wänden und so. […] Wenn jemand ausrastet wird der doch aufs Bett geschnürt.“ (25-30/XLV) Solche Erfahrungen macht sie in Marsberg nicht (vgl. 33-35/XLV). Elfriede sagt, dass es hier wie im Heim ist, „nur dass es ein bisschen anders ist“ (vgl. 28-29/XLIV). „Is ja wie Urlaub hier.“ (30/XLVI) Die Kinder- und Jugendpsychiatrie schafft sogar Entlastung vom Heimleben. Elfriede ist der Meinung, dass sie sich hier von „dem Stress im Heim“ erholen kann und dass ihr dies gut tut (32-34/XLVI). Ein Unterschied, den Elfriede zwischen dem Heim und der Kinder- und Jugendpsychiatrie sieht, besteht darin, dass die Regeln in der Kinder- und Jugendpsychiatrie strenger als im Heim sind, was sie positiv empfindet. Wenn man etwas falsch mache, lerne man, daraus die Konsequenz zu ziehen (vgl. 1-3/XLIV). Als Beispiel gibt sie an, dass man den ganzen Abend nicht mehr fernsehen darf, wenn man nicht zur Nachrichtensendung erscheint. Deshalb gehe sie immer „brav zur Nachrichtensendung“ (vgl. 34-36/XLIV). Sie habe aber noch nichts falsch gemacht, sie habe nur von den anderen gehört, dass es Konsequenzen gebe. Eine mögliche Konsequenz für einen Regelverstoß ist, dass eine Ausgangssperre verhängt wird, was zur Folge hat, dass man nur noch nach dem Essen rauchen gehen darf. Dies wird durch die Betreuer kontrolliert, indem die Außentür abgeschlossen 90 Kapitel III: Elfriede wird und man sich immer auf einen Zettel eintragen muss, wenn man die Gruppe verlässt (vgl. 38/XLIV-4/XLV). Durch das Einhalten von Regeln erlebt Elfriede, dass ihr Vertrauen entgegengebracht wird und sie mehr Freiheiten bezüglich des Ausgangs erreichen kann (vgl. 11-15/XLVIII). Weiterhin schaffen die Regeln für Elfriede Handlungssicherheit und Orientierung. Sie weiß genau, was erlaubt ist und was nicht. Elfriede ist mit dem Freizeitangebot in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zufrieden. Sie berichtet von den Therapien, die sie macht und von Freizeitaktivitäten, an deren Gestaltung sie beteiligt wird. Während sie im Heim ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) ableistet, besucht sie hier die Schule (vgl. 24-28/XLIV & 36/XLIX-8/L). Die klare Aufgabenverteilung unter den Kindern durch Dienste empfindet sie positiv (12-14/XLIV). Die Aufgaben der Betreuer sieht sie vor allem in organisatorischen Dingen. Sie sind verantwortlich für Terminplanungen, besprechen mit der Gruppe die Regelung der Ausgangsstufen und den Ämterplan. Weiterhin können sie Verbote aussprechen und thematisieren das Fehlverhalten der Kinder. Sie erkundigen sich aber auch nach den Wochenenden, die die Kinder zu Hause verbringen (vgl. 4-6/XLVIII & 31/XLIX). Mit den anderen Kindern der Station versteht Elfriede sich gut. Mit ihnen kann sie Spaß haben, sich aber auch ernst unterhalten (2-3/XLVII). Wenn man am Anderen etwas nicht in Ordnung findet, kann man dies äußern. Dies geschieht allerdings nicht immer direkt, sondern wird während der Gruppentherapien besprochen (vgl. 5/XLVII-3/XLVIII). Elfriede erlebt die Kinder- und Jugendpsychiatrie als Hilfe. Sie ist der Meinung, dass die Therapien sie bei ihrer Vergangenheitsbewältigung unterstützen, sie hier ihre Ruhe finden kann und zu sich selbst findet. Wie genau dies funktioniert, kann sie nicht erklären. Es käme einfach so (vgl. 16-20/XLIV). Elfriede ist der Meinung, dass sie ruhiger und erwachsener geworden ist. Sie möchte in der Zukunft so bleiben, wie sie jetzt ist (vgl. 2032/XLVIII). „Das muss man sich so vorstellen, als ob ich en Roboter wär, und ich komm hier hin, dass die mich nur einstellen, und dann geh ich hier wieder raus und dann bin ich so in der Form wie ich wie die mich hier eingestellt haben. [.] In einer positiven Form.“ (32-35/XLVIIII) Was gut für sie ist, hat sie ihrer Meinung nach in der Kinder- und Jugendpsychiatrie herausgefunden (vgl. 36-41/XLVIII). Ihr Ziel, das sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie erreichen möchte, ist ruhiger zu werden und sich zu verändern. Sie möchte lernen, mit ihren Problemen zurecht zu kommen und auch mal an sich zu denken, was ihr vorher schwer fiel (vgl. 15-18/XLV). In der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird ihr Unterstützung 91 Kapitel III: Elfriede bei Problemen geboten. Es soll Kontakt zu ihrer Mutter aufgebaut werden, was ihr wichtig ist (vgl. 15-30/XXXIX). Für die Zukunft hat Elfriede sich vorgenommen, einige Dinge zu ändern: sie möchte nun ansprechen, dass sie an Hilfeplangesprächen mehr beteiligt werden möchte (vgl. 3740/XL). Auch dass sie ihr Verhalten in Bezug auf Drogenkonsum, Fortlaufen, Beziehungen, etc. geändert hat, bzw. ändern möchte, scheint sie in Verbindung mit ihrem Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu sehen (vgl. 1-12/XLII). Sie denkt nicht, dass sich ihr Leben nun grundlegend ändern wird oder Menschen sie in der Zukunft anders behandeln werden als vor ihrem Psychiatrieaufenthalt. Allerdings geht sie davon aus, dass beispielsweise ihre Betreuer im Heim wissen, dass sie sich geändert hat (vgl. 21-29/L). Sie fährt jedes Wochenende in das Heim, in dem sie lebt, die Besuche dort verlaufen gut. Nach ihrer Entlassung aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird sie dorthin zurückkehren (vgl. 1-9/XLIX). Sie hat sich vorgenommen, nach ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr ihren Hauptschulabschluss nachzuholen, um dann Altenpflegerin zu werden (vgl. 3-15/L). Der Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird durch Elfriede positiv erlebt, weil • eine Entlastung wahrgenommen wird, • das Leben dort dem Alltagsleben im Heim relativ ähnlich ist, • ihr die Freizeitgestaltung und die Therapien gefallen, • er eine Atmosphäre bietet, in der es gelingt, Probleme zu bearbeiten. • Elfriede ist der Meinung, dass sie ihr Verhalten ändern muss. • Die Aufgabe der Betreuer sieht sie vor allem in organisatorischen Aspekten. • Sie sieht die anderen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebrachten Kinder nicht defizitorientiert, sondern versteht sich mit ihnen besser als mit den Kindern des Heimes. Konflikte in der Gruppe müssen nicht eigenständig gelöst werden. • Während des Psychiatrieaufenthaltes werden Zukunftsperspektiven erarbeitet. • Strenge Regeln empfindet Elfriede positiv. Sie bieten ihr Handlungssicherheit. • Es wird kein Verständnis in die Regeln erwirkt. Elfriede hält sie ein, weil sie die drohenden Konsequenzen vermeiden möchte. • Durch das Einhalten von Regeln erlebt Elfriede, dass ihr Vertrauen entgegengebracht wird und sie mehr Freiheiten bezüglich des Ausganges erreichen kann. 92 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse Kapitel IV: Auswertung der Ergebnisse und Folgerungen In diesem Kapitel werden in Punkt 1 die relevanten Gesichtspunkte der Einzelinterviews zusammengefasst und miteinander verglichen. Ich werde Abweichungen und Gemeinsamkeiten im Erleben von Übergängen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Heimerziehung herausstellen und meine Interpretation darlegen. In Punkt 1.1 werde ich darauf eingehen, wie die Unterbringungsprozesse wahrgenommen wurden. In den Interviews war aber nicht nur der unmittelbare Prozess der Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. der Prozess der Unterbringung in Heimeinrichtungen von Bedeutung. Das Erleben der Einrichtungen sowie die Qualität der sozialen Beziehungen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen wirkten sich auf die Deutung von Übergängen in der Biographie der Kinder fundamental aus. Diesen Aspekten möchte ich in den Punkten 1.2 bis 1.6 gerecht werden. In Punkt 2 werde ich versuchen, die Ergebnisse in den Rahmen der sozialpädagogischen Praxis zu stellen und Konsequenzen für die Gestaltung von Übergängen herauszuarbeiten. 1. Zusammenfassung der Ergebnisse 1.1 Die Wahrnehmung der Unterbringungsprozesse Die Befragten nahmen die Unterbringungsprozesse in die Heimeinrichtungen und die Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr unterschiedlich wahr. Dies kann mit verschiedenen Gesichtspunkten in Zusammenhang gebracht werden: Oft erlebten sie, dass Erwachsene (z.B. die Eltern, die Mitarbeiter von Jugendämtern, Ärzte) einen massiven Einfluss auf Entscheidungen ausübten, die das Leben der Kinder stark veränderten. Die Kinder wurden vielfach nicht beteiligt und nahmen hier eine ungleiche Machtverteilung zwischen sich und den Erwachsenen wahr. Dies wurde dann ersichtlich, wenn sie Entscheidungen sowie die Auswahl der Einrichtungen nicht beeinflussen konnten bzw. sie zwar ihre Meinung äußern konnten, diese aber im weiteren Verlauf nicht berücksichtigt wurde. 93 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse Teilweise mangelte es an einer Kommunikation zwischen den Kindern und den Erwachsenen. Hier fehlte es an Transparenz und Einblicken in die Gründe für Entscheidungen. Die Kinder suchten dann Erklärungen in ihrem eigenen Fehlverhalten, schwierigen familiären Lebensumständen, oft kombiniert mit dem Eindruck, von ihren Eltern nicht (mehr) gewollt zu sein. 49 Aylin berichtet an einigen Stellen, dass ihre Wünsche zum Teil respektiert wurden, letztendlich jedoch Maßnahmen durchgeführt wurden, mit denen sie nicht einverstanden war. Hier tritt die Tatsache der eigenen Einflussnahme in den Hintergrund und der erlebte Zwang ist für sie vorrangig. Es war aber auch zu beobachten, dass die Möglichkeit, eine autonome Entscheidung bezüglich des neuen Lebensortes treffen zu können, die Kinder überfordern kann. Dies galt dann, wenn eine bestimmte Entscheidung mit dem Verlust der Loyalität wichtiger Bezugspersonen oder mit unklaren Zukunftsperspektiven verbunden war und die Kinder das Gefühl hatten, die Entscheidung und damit verbundene Konsequenzen allein verantworten zu müssen. Positiv bewerten die Kinder, wenn sie Ansprechpartner in Krisensituationen fanden, die sie unterstützten, ihre Probleme ernst nahmen und ihre Interessen vertraten. Am günstigsten werden Situationen wahrgenommen, in denen es eine Übereinkunft hinsichtlich der Unterbringung im Heim oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zwischen den Kindern und den Erwachsenen gab. Hier mussten sie ihre Interessen nicht gegen den Willen anderer durchsetzen bzw. die Unterbringung war für sie nicht mit Zwang, sondern mit Freiwilligkeit verbunden. Ein weiterer Aspekt in Bezug auf die Unterbringungsprozesse war die negative Vorstellung der Kinder von einem Leben im Heim oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Diese Vorstellungen waren angstbesetzt, wahrscheinlich sehr geprägt durch das in den Medien vermittelte Bild. Hier war es wichtig, dass ihre Ängste ausgeräumt wurden, indem sie an der Auswahl der Einrichtungen beteiligt wurden oder vor der Unterbringung erste Kontakte stattfanden. Unabhängig von der Beteiligung und Möglichkeit der Einflussnahme auf Entscheidungen spielt es eine wesentliche Rolle, ob es den Kindern gelingt, der Unterbringung im Heim oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie einen Sinn zu verleihen. Selbst dann, wenn sie nicht in Entscheidungen einbezogen und diese für sie nicht transparent wurden, treten rückblickend solche negativen Aspekte in den Hintergrund, wenn die Unterbringung eine Entlastung von ihrer vorherigen Lebenssituation bot, wenn sie feststellten, dass es ihnen 49 Von ähnlichen Ergebnissen berichtet PIES (2004, S. 430f.). 94 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse an ihrem neuen Lebensort besser ging als zuvor und sie dort bei der Bewältigung bestehender Probleme unterstützt wurden. 50 1.2 Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Der Anlass für die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie war in keinem der untersuchten Fälle eine akute Krisensituation (selbst Aylin verbrachte die ersten drei Wochen nach ihrem Suizidversuch auf einer normalen Krankenhausstation), sondern wurde im Vorfeld geplant. Bei den Befragten waren beträchtliche Unterschiede in der Wahrnehmung des Psychiatrieaufenthaltes festzustellen. Dies kann in Zusammenhang mit der Beteiligung am Unterbringungsprozess und damit, ob es den Kindern gelang, in dem Aufenthalt eine Hilfe zu sehen, in Verbindung gebracht werden. Aylin erlebte den Übergang in die Kinder- und Jugendpsychiatrie geprägt durch Zwang. Sie fühlte sich abgeschoben und nicht gewollt. Tim gab seine Zustimmung zur Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter dem Druck, ansonsten aus der Pflegefamilie genommen zu werden. Elfriede hingegen entschied sich aktiv für die Unterbringung, die für sie mit der Hoffnung auf Hilfe und Problembewältigung verbunden war. Sie ist die Einzige, die den Aufenthalt ausschließlich positiv bewertet und aus eigener Motivation in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung ist. Sie nimmt hier eine Entlastung wahr, kann sich von den anderen Kindern im Heim erholen und ihre Probleme bearbeiten. Sie stellt fest, dass sie sich bereits verändert hat und empfindet dies positiv. Wichtig ist auch, dass sie klare Zukunftsperspektiven hat: Sie weiß, dass sie in das Heim, in dem sie vor dem Psychiatrieaufenthalt lebte, zurückkehren wird und hat auch für ihre schulische und berufliche Zukunft Pläne entwickelt. Aylin und Tim bewerten den Psychiatrieaufenthalt negativ. Aylins Sicht ist geprägt durch den wahrgenommenen Zwang. Auch rückblickend kann sie nicht sagen, was durch die Unterbringung erreicht werden sollte. Dies wirkte sich nachteilig auf ihre Teilnahme an den Therapien aus, denen sie sich verweigerte. Tim hatte zu Beginn des Aufenthaltes noch die Hoffnung, dass es durch den Aufenthalt zu einer Stabilisierung der familiären Verhältnisse und Reduzierung der ständigen Konflikte kommt. Dadurch, dass sein Aufenthalt mehrmals verlängert wurde und seine Hoffnung auf eine Besserung der familiären Beziehungen enttäuscht wurde, gelingt es ihm auch rückblickend nicht, in dem Aufenthalt eine Hilfe zu sehen. Er erlebte, dass sein Fehlverhalten in den Mittelpunkt rückte, ihm wurde vermittelt, dass er sich nicht ausreichend entwickelte und seine Pflegeeltern ihn aufgrund dessen ablehnten. 50 vgl. hierzu PIES (2004, S. 430); GEHRES (1997, S.201) 95 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse Sowohl Tim als auch Aylin berichten von Kontaktabbrüchen während der Zeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Beide vermissten ihre Freunde und auch die Kontakte zu ihren Familien fanden selten statt, bzw. brachen ganz ab. Die Bewertung der Beschäftigungsmöglichkeiten unterscheidet sich ebenfalls stark. Während Aylin und Tim sich über Langeweile und wenig Freizeitbeschäftigungen beklagen, gestaltet Elfriede ihre Freizeit aktiv. Während der Psychiatrieaufenthalt für Elfriede Entlastung schafft und eine Art Schonraum darstellt, brachte er für Tim und Aylin zusätzliche Belastungen mit sich. Es gelang nicht, ihr Einverständnis zu gewinnen, auch rückblickend bewerten sie den Aufenthalt äußerst negativ und wenig hilfreich. 1.3 Die Heimeinrichtungen Im Gegensatz zur Kinder- und Jugendpsychiatrie stellen die Heimeinrichtungen, in denen die Befragten zum Zeitpunkt der Interviews untergebracht sind, dauerhafte Lebensorte dar. 51 Sie alle planen, bis zum Umzug in eine eigene Wohnung in ihrer jetzigen Heimgruppe zu verbleiben und nicht mehr in den elterlichen Haushalt zurückzukehren. 52 Für die Kinder bot die Unterbringung in der Heimgruppe eine Entlastung von der familiären Situation. Aylin und Tim empfanden außerdem eine Entlastung vom vorangegangenen Psychiatrieaufenthalt. Die Unterbringung im Heim war für die Kinder mit der Erkenntnis verbunden, dass ihre Familie nicht der idealen, intakten Familie, die sich die Kinder wünschen, entspricht. Besonders deutlich wird dies im Interview mit Aylin. Die Kinder sind zufrieden mit den Heimeinrichtungen, in denen sie zum Zeitpunkt der Interviews leben, machen jedoch auch Einschränkungen. Es wird offensichtlich, dass der Lebensort ‚Heim’ sich von einem Leben in der Familie unterscheidet, was sowohl positive als auch negative Aspekte für die Kinder beinhaltet: Auch wenn Regeln teilweise ausgehandelt werden können, gibt es dennoch Strukturen, die nicht auf Aushandlungen beruhen, sondern für alle Heimbewohner gleichermaßen gelten. Entsprechen diese nicht den individuellen Bedürfnissen und Wünschen der Kinder, wird dies negativ bewertet. Ein weiterer Unterschied ist die Zwangsgemeinschaft, in der die Kinder leben (vgl. hierzu Punkt 1.5 dieses Kapitels), sowie die geringe personale Stabilität, die durch die Fluktuation der 51 Sie alle lebten aber auch schon in einer anderen Heimeinrichtung, die bei Aylin und Tim von vornherein zeitlich begrenzte Lebensorte darstellten. Das erste Heim, in dem Elfriede lebte, war eventuell ursprünglich als dauerhafter Lebensort geplant, nach einem halben Jahr fand jedoch ein Heimwechsel statt. 52 Wobei hier anzumerken ist, dass Aylin sich auch vorstellen könnte, wieder bei ihrer Mutter zu leben, was ihr jedoch verwehrt wird. 96 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse anderen Heimbewohner entsteht. Weiterhin unterscheidet sich das Heimleben beispielsweise dann von der Familie, wenn die Kinder krank sind. In diesem Fall gibt es keine die Kinder umsorgende Mutter, sondern andere Mitbewohner, die keine Rücksicht nehmen (vgl. Interview Aylin). Das Heim kann aber auch Entlastungen von konflikthaften und belastenden Situationen bieten und den Kindern so neue Chancen eröffnen. Gelingt es, vertrauensvolle Beziehungen zu den Pädagogen aufzubauen, können zurückliegende und aktuelle Probleme bearbeitet werden. Je mehr positive Aspekte die Kinder dem Heimleben zuschreiben, desto besser gelingt es ihnen, das Heim als neuen Lebensort zu akzeptieren. 1.4 Die Relevanz von Regeln und Strukturen Durch die Beschreibung von Regeln und Strukturen verdeutlichen die Kinder in den Interviews Unterschiede zwischen den verschiedenen Einrichtungen, in denen die Tagesabläufe und Verpflichtungen mehr oder weniger stark reglementiert und festgelegt sind. Vor allem Elfriede und Aylin dient die Regelbeschreibung dazu, die Einrichtungen zu bewerten. Die Reaktionen auf die Regelsysteme und deren Akzeptanz bei den Kindern sind unterschiedlich. Während Aylin Wert darauf legt, dass Regeln ausgehandelt werden können und sie diese beeinflussen kann, scheint bei Elfriede das Gegenteil der Fall zu sein. Je strenger die Regeln und Strukturen der Einrichtungen sind, desto positiver fällt ihre Beurteilung aus. Klare Regeln und Strukturen bieten ihr Sicherheit und Entlastung. Sie erleichtern es ihr, sich in den Einrichtungen zu orientieren, indem sie weiß, was dort als ‚richtig’ und ‚falsch’ angesehen wird. Außerdem macht sie die Erfahrung, dass ihr mehr Vertrauen entgegengebracht wird, wenn sie bestehende Regeln einhält. Alle Befragten nehmen eine starke Reglementierung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wahr. Dadurch, dass die mögliche Geschlossenheit zum Alltag der Kinder- und Jugendpsychiatrie gehört (Elfriede und Aylin berichten von abgeschlossenen Türen, Tim von einem ‚Ausraum’ und Fixierbett), wird das starke Regelsystem besonders deutlich. Während Tim und Aylin dies mit Zwang und Ohnmacht verbinden, empfindet Elfriede dies positiv. An diesem Punkt wird Elfriedes Selbstsicht deutlich: Sie ist der Meinung, dass sie auf die Kontrolle anderer angewiesen ist. Die Reaktionen der Mitarbeiter der Einrichtungen auf Regelbrüche waren unterschiedlich. Sie reichten von Sanktionen und drohendem Ausschluss über Nachsicht und der Möglichkeit für neue Aushandlungsprozesse. 97 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse 1.5 Die Relevanz von Personen innerhalb der Einrichtungen In Bezug auf die Heimeinrichtungen und die Kinder- und Jugendpsychiatrie sprechen die Kinder nur selten von einzelnen Personen und nehmen stattdessen eher Personengruppen wahr. Alle Befragten berichten von einem guten Verhältnis innerhalb der Patientengruppe der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Während bei Aylin die Wahrnehmung der Probleme der anderen Patienten überwiegt und sie bemüht ist, sich in ihrer Schilderung davon abzugrenzen, steht bei Tim und Elfriede im Vordergrund, dass sie sich gut mit ihren Mitpatienten verstehen bzw. verstanden. Elfriede geht gar nicht auf die Probleme der anderen Patienten ein, betont sogar, dass sie mit diesen überwiegend besser zurecht kommt als mit den Kindern im Heim. Elfriede und Aylin nehmen die Bewohner der Heimeinrichtungen ambivalent wahr. Auf der einen Seite berichten sie, dass sie sich relativ gut mit ihnen verstehen. Es wird aber auch deutlich, dass es sich hier um eine Zwangsgemeinschaft handelt, in der die Kinder sich nicht aussuchen können, mit wem sie den Alltag teilen. 53 Die anderen Bewohner können lästig sein, nehmen wenig Rücksicht und es kommt zu Auseinandersetzungen. Aylin betont außerdem, dass sie unter der geringen personalen Stabilität der Heimgruppe leidet, da ständig Kinder die Einrichtung verlassen und neue hinzukommen. Tim beurteilt die anderen Heimbewohner positiv. Sie stellen für ihn Ansprechpartner bei Problemen und Bündnispartner bei der Rebellion gegen die Betreuer der Einrichtungen dar. Die Kinder berichten nicht von persönlichen, emotional geprägten Beziehungen zum Klinikpersonal. Vor allem Tim und Elfriede unterscheiden hier die Aufgabenbereiche der verschiedenen Berufsgruppen. Psychologen und Ärzte sind zuständig für Untersuchungen und Therapien. Beide erwähnen eine Ärztin bzw. Psychologin, als einzelne Person. Diese fungiert für Tim als eine Art Vermittler zwischen ihm und den Eltern, Elfriede erwähnt sie im Zusammenhang mit der geplanten Kontaktanbahnung zu ihrer Mutter. Alle Kinder erleben das Betreuungspersonal der Kinder- und Jugendpsychiatrie in einer Kontroll- und Beobachtungsfunktion. Elfriede sieht die Aufgaben der Betreuer außerdem in organisatorischen Dingen. Auch die Mitarbeiter der Heimeinrichtungen haben organisatorische Aufgaben und werden mit der Durchsetzung von Regeln in Verbindung gebracht. Es ist zu beobachten, dass die Kinder in den Heimen, die sie positiv bewerten, auch persönlichere Beziehungen zu den dortigen Mitarbeitern haben. Es ist ihnen wichtig, dass zu den Mitarbeitern eine Ver53 vgl. FREIGANG/WOLF (2001, S. 63 & S. 95) 98 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse trauensbasis besteht, auf der die Kinder Probleme besprechen können. Es wirkt sich günstig aus, wenn die Betreuer den Kindern das Gefühl vermitteln, ein aufrichtiges Interesse an ihnen zu haben, Unterstützung bei lebenspraktischen Dingen bieten und um Harmonie bemüht sind. Dem spricht entgegen, dass die Kinder in Hilfeplangesprächen häufig das Gefühl haben, nicht ausreichend beteiligt zu werden und weniger Einfluss auf Entscheidungen zu haben, als die Erwachsenen. Auch Eingriffe in die Intimsphäre der Kinder durch die Mitarbeiter werden negativ bewertet. Tim sieht es positiv, dass die Betreuer nicht nachtragend sind, wenn er gegen Verhaltensregeln verstößt. An dieser Stelle möchte ich auch kurz auf die Bedeutung der Mitarbeiter des Jugendamtes für die Kinder eingehen. Es war – bis auf eine Ausnahme – keine persönliche Beziehung zwischen den Kindern und den Mitarbeitern des Jugendamtes feststellbar. Die Kinder sprachen kaum von konkreten Personen, sondern es wurde ‚das Jugendamt’ benannt. 54 Die Mitarbeiter des Jugendamtes spielten vor allem während Unterbringungsprozessen und – war die Hilfe eingeleitet – bei Hilfeplangesprächen und in Krisensituationen eine Rolle. Es wurde deutlich, dass die Kinder erlebten, dass das Jugendamt eine Koalition mit den Mitarbeitern der Heime und den Eltern einging, die Meinung der Kinder hingegen selten ernsthaft gefragt war. Eine Ausnahme bildete Herr Müller bei Aylin. Er stellte eine konkrete Unterstützung in einer Krisensituation dar und hatte dadurch auch Jahre später noch eine besondere Bedeutung für Aylin. 55 1.6 Die Bedeutung der Eltern Die Situationen in den Familien 56 der Kinder waren geprägt durch anhaltende Konflikte, teilweise verbunden mit Gewalt. Für alle stellte es eine Entlastung dar, dass sie durch die Unterbringung im Heim diesen Situationen nicht mehr dauerhaft ausgesetzt waren. Dies gilt unabhängig davon, ob sie in die Heimunterbringung eingewilligt hatten oder nicht. 54 Hier vermute ich allerdings auch, dass es sich bei dieser Wortwahl um einen in der Jugendhilfe alltäglichen Sprachgebrauch handelt, den die Kinder übernehmen (‚Wie soll ich diesen Vorfall dem Jugendamt erklären?’ oder ‚Morgen ist Hilfeplangespräch, da kommt das Jugendamt’ etc.). Dies könnte daran liegen, dass die Einrichtungen Kontakt zu verschiedenen Jugendämtern und dort wiederum zu unterschiedlichen Mitarbeitern haben, und diese Formulierung einfacher ist, als den Namen zu nennen und dann zu erklären, dass Frau XY die Mitarbeiterin des Jugendamtes Z ist. 55 Die Bedeutung des Jugendamtes in der Adressatenperspektive wurde auch im Rahmen des Forschungsprojektes JULE untersucht. Ergebnisse hierzu stellt KÜHN (1998, S. 438ff.) dar. 56 Ich werde an diesem Punkt aus Gründen der Lesbarkeit nicht zwischen leiblichen und Pflegeeltern bzw. Herkunfts- und Pflegefamilien unterscheiden. Da Tim schon als Kleinkind in der Pflegefamilie aufgenommen wurde, gehe ich davon aus, dass seine Bindung an die Pflegeeltern vergleichbar ist, mit der Bindung anderer Kinder zu ihren leiblichen Eltern. 99 Kapitel IV: Zusammenfassung der Ergebnisse Trotz der Trennung von den Eltern und den negativen Erfahrungen in den Familien behalten diese aber eine herausragende Bedeutung für die Kinder. 57 Die Erfahrung, keinen gemeinsamen Lebensort mit den Eltern zu teilen, war gleichzeitig mit einer emotionalen Belastung für die Kinder verbunden, deren Bewältigung den Kindern unterschiedlich gut gelang. Die Unterbringungsprozesse im Heim oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gingen oftmals mit Kränkungen durch die Eltern einher. Besonders einschneidend erlebten die Kinder das Gefühl, von ihren Eltern (aus unterschiedlichen Gründen) nicht mehr gewollt zu sein. Für die Kinder ist der Wunsch nach einer Familie, in der sie Verlässlichkeit, Loyalität, Unterstützung bei Problemen und Harmonie erfahren, besonders bedeutend. Trotz allen Schwierigkeiten waren sie bemüht, die Beziehungen zu den Eltern aufrecht zu erhalten und zu verbessern. Wurde eine Stabilisierung des Verhältnisses zwischen den Eltern und den Kindern erreicht und unterstützt, gelang es den Kindern besser, die räumliche Trennung anzunehmen. Es belastete die Kinder stark, wenn es zu Kontaktabbrüchen kam oder es Unsicherheiten bezüglich der Kontinuität und der Verlässlichkeit in den Beziehungen zu den Eltern gab. Bei Tim war zu beobachten, dass auch durch die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. im Heim die Beziehung zu den Eltern nicht verbessert werden konnte und die Auseinandersetzungen anhielten. Für ihn scheint ein vollständiger Kontaktabbruch die einzige Möglichkeit darzustellen, weitere Enttäuschungen und Konfliktsituationen zu vermeiden. Auf der anderen Seite vermute ich, dass die familiären Beziehungen für Tim nicht endgültig geklärt sind. So geht er beispielsweise weiterhin davon aus, dass die Eltern beim nächsten Hilfeplangespräch anwesend sein werden. 57 vgl. FREIGANG/WOLF (2001, S. 80) 100 Kapitel IV: Schlussfolgerungen 2. Schlussfolgerungen Die Übergänge in die Heimerziehung oder die Kinder- und Jugendpsychiatrie stellten für die Kinder kritische Lebensereignisse dar, die ihr Leben grundlegend veränderten. Sie waren verbunden mit der Notwendigkeit, ihre Identität und sozialen Beziehungen neu zu definieren. Die Kinder machten die Erfahrung, dass die Familienstrukturen, in denen sie lebten, brüchig sind, was sich in dem Gefühl äußerte, von ihren Eltern ungewollt zu sein und keine ‚richtige’ Familie zu haben. Sie mussten sich an unbekannte Lebensorte, die mit neuen Regeln und Strukturen verbunden waren und in denen (zunächst) fremde Personen lebten und arbeiteten, anpassen und sich dort zurecht finden. Wie sie diese Lebensereignisse bewältigten, hing maßgeblich davon ab, ob es den Kindern gelang, ihnen einen Sinn zu verleihen und sie somit in ihr eigenes Leben zu integrieren. Überwog die wahrgenommene Hilfe und Entlastung den mit den Übergängen verbundenen Belastungen, gelang der Bewältigungsprozess besser. Was kann man nun aus den Erzählungen der Kinder für die Gestaltung von Übergängen in der sozialpädagogischen Praxis lernen? Unterbringungsprozesse sollten für Kinder transparent werden und sie sollten einbezogen werden. Ihre Einsicht und Mitsprache sollte erstrebenswertes Ziel bei Entscheidungsprozessen und Hilfemaßnahmen sein, um deren Erfolg nicht von vornherein zu be- bzw. zu verhindern. Partizipation sollte nicht nur formal erfolgen, sondern die Beteiligung der Kinder und durch sie vorgetragene Interessen sollten als Erfolgsfaktoren wichtiger Bestandteil der Hilfeplanung sein. Hier ist es unerlässlich, ein angstfreies, von gegenseitiger Akzeptanz geprägtes Klima zu schaffen, in dem die Kinder ihre Bedürfnisse äußern können und ihnen zu vermitteln, dass diese wahr- und ernst genommen werden. Besteht die Möglichkeit, dass die Kinder autonome Entscheidungen treffen können, benötigen sie – je nach ihrem Entwicklungsstand mehr oder weniger – Beratung und Unterstützung, um Überforderungen zu vermeiden. 58 Sicherlich ist es nicht immer möglich, den Wünschen der Kinder zu folgen und diese bedingungslos durchzusetzen. Wenn Maßnahmen nicht dem Willen der Kinder entsprechen, sollte ihnen eine Erklärung für das Vorgehen geliefert werden, um ein Mindestmaß an Verständnis für die Notwendigkeit zu erlangen. Hierzu schreibt GEHRES (1997): „Die 58 vgl. zu diesem Abschnitt auch FINKEL (2004, S. 322); WOLF (1999, S.371) 101 Kapitel IV: Schlussfolgerungen Gründe für die Unterbringung und der oft schwierige Prozeß der Entscheidungsfindung müssen […] auch dem Kind als dem Hauptbetroffenen offen und ehrlich dargelegt werden, damit die Nachvollziehbarkeit für das Kind möglich wird und das Gefühl entstehen kann, daß die verantwortlichen Erwachsenen den Betroffenen und die Betroffene akzeptieren und sich um seine bzw. ihre Entwicklung ernsthaft bemühen“ (a.a.O., S 95f.). Die mit den Übergängen verbundenen Ängste und Befürchtungen der Kinder müssen wahrgenommen und dürfen nicht übergangen werden. Sie benötigen beispielsweise Erklärungen, was die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist und wie sich das Leben im Heim gestaltet, um zusätzliche Belastungen, die durch die angstbesetzten Vorstellungen der Kinder im Vorfeld der Unterbringung entstehen, zu verringern. Es müssen die Probleme, die Kinder haben im Vordergrund stehen, nicht die Schwierigkeiten, die sie machen (vgl. NOHL). Die Kinder berichteten in den Interviews stellenweise sehr eindrücklich von ihren belastenden Lebenserfahrungen. Deutlich wird aber auch, dass in Hilfeplangesprächen und während Unterbringungsprozessen teilweise weniger die Probleme im Vordergrund standen, die die Kinder hatten, sondern dass der Fokus auf ihrem Fehlverhalten lag. Diese Sicht scheinen die Kinder (besonders Elfriede und Tim) für sich übernommen zu haben. Sie sind der Meinung, dass sie ihr Verhalten ändern, ihre Hausaufgaben erledigen, sich bessere Freunde suchen müssen, nicht mehr fortlaufen dürfen etc. Es muss ihnen vermittelt werden, dass Schwierigkeiten und Brüche in Beziehungen nicht allein in ihrer Verantwortung liegen, damit sie diese nicht auf ihre eigene Unzulänglichkeit zurückführen. Dies kann beispielsweise dadurch gelingen, dass die Eltern in Therapien und Jugendhilfemaßnahmen einbezogen werden und die Kinder das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie es nicht allein sind, die sich helfen lassen müssen und somit die gesamte Verantwortung für die Veränderung der Lebensverhältnisse tragen. 59 In pädagogischen Settings müssen auch problematische Verhaltensweisen der Kinder ‚ausgehalten’ werden und im Kontext bisheriger Lebenserfahrungen dechiffriert werden. Ein Ziel pädagogischer Arbeit sollte darin gesehen werden, gemeinsam mit den Kindern konstruktivere Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. 59 vgl. hierzu auch HAMBERGER (1998c, S.570). Andere Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass es hier nicht darum gehen darf, die Eltern abzuwerten, sondern dass Versöhnungen der Kinder mit ihren Eltern angestrebt werden sollten, ohne Kränkungen und Enttäuschungen zu tabuisieren (vgl. WOLF 1999, S.371). Will man die Eltern erfolgreich an der Hilfe beteiligen, müssen die Fachkräfte diese als individuelle Personen mit ihren positiven und negativen Seiten akzeptieren (vgl. BAUR 2000, S. 82). 102 Kapitel IV: Schlussfolgerungen Die Bedeutung der Eltern für die Kinder als besonders wichtige Personen in ihrem Leben darf nicht negiert werden. Erlebte Verletzungen und Enttäuschungen bedürfen der Bearbeitung und hier benötigen Kinder Unterstützung. Wann immer es möglich und von den Kindern gewünscht ist, sollte auf den Erhalt und die Verbesserung der Beziehungen zwischen Kindern und Eltern hingearbeitet werden, damit der Verlust des gemeinsamen Lebensortes für die Kinder nicht gleichbedeutend ist mit dem Verlust der Eltern. Bestehen unklare Verhältnisse, sollten diese geklärt und Unsicherheiten beseitigt werden, damit es den Kindern gelingt, sich mit den gegebenen Verhältnissen zu arrangieren. Kommt es zu Kontaktabbrüchen, muss wahrgenommen werden, dass diese nicht nur rein ‚äußerlich’ stattfinden. Nur weil die Eltern im Alltag nicht mehr präsent sind, ist dies nicht gleichbedeutend damit, dass auch ein emotionaler Ablösungsprozess der Kinder von ihren Eltern stattgefunden hat. Hier benötigen die Kinder Unterstützung bei der Bewältigung. Die Kinder benötigen verlässliche Bezugspersonen. Vor allem in der Heimerziehung und besonders dann, wenn diese auf Dauer angelegt ist, benötigen die Kinder verlässliche Bezugspersonen, denen sie vertrauen können und bei denen sie ein ehrliches Interesse an ihrer Person spüren. Bietet man ihnen hier stabile und belastbare Beziehungen, gelingt es den Kindern eher, sich mit ihren gemachten Erfahrungen auszusöhnen und sich für neue (zwischenmenschliche) Erfahrungen zu öffnen. Sie können dann beispielsweise lernen, dass sie als Person angenommen werden und Konflikte ohne Gewalt oder tief greifende emotionale Verletzungen gelöst werden können. Kinder benötigen ein Klima, das ihnen neue Lernchancen eröffnet und dadurch zur Bewältigung gemachter Erfahrungen und bestehender Probleme beiträgt. Besonders deutlich wurde, dass für die Kinder nicht nur der Entscheidungsprozess an sich für die Bewertung der Übergänge im Vordergrund stand. Auch wenn Übergänge mit Belastungen und negativen Erfahrungen verbunden sind, gelingt den Kindern eine Bewältigung und Akzeptanz dann, wenn sie an ihren neuen Lebensorten positive Erfahrungen machen und neue Perspektiven entwickeln können. Geht man davon aus, dass die Möglichkeit zur Entwicklung neuer Perspektiven unmittelbar mit der Bewältigung negativer Lebenserfahrungen verbunden ist, setzt dies voraus, „daß das Helfersystem jeden Lebensfeldwechsel als kritisches Lebensereignis wahrnimmt und seine Beratung bei der Überwindung kritischer Lebensereignisse anbietet“ (LAMBERS 1996, S.187). 60 60 vgl. hierzu auch HAMBERGER (1998c, S.570f.) 103 Kapitel IV: Schlussfolgerungen Regeln sollten an den individuellen Entwicklungsstand der Kinder angepasst sein und auf Aushandlungsprozessen beruhen. Starre Regelsysteme können zu Eskalationen oder zur Untergrabung von Regeln führen, wenn bei den Kindern keine Einsicht in die vorliegenden Regeln besteht oder wenn versucht wird, diese auch gegen das Widerstreben der Kinder durchzusetzen. Strenge und starre Regeln können demgegenüber dann positiv empfunden werden, wenn sie Handlungssicherheit bieten und die Kinder lernen, dass sie durch das Einhalten von Regeln Vertrauen gewinnen. Hier bleibt allerdings die Frage, inwieweit starre Regelsysteme nicht auch wichtige Lernerfahrungen verhindern. Die Kinder lernen nicht, sich selbst Regeln zu setzen und so schrittweise eigene Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Will man den Kindern Lernchancen ermöglichen, sollte die Bereitschaft bestehen, Regeln individuell auszuhandeln (warum muss z.B. ein Kind am Nachmittag zwei Stunden Hausaufgabenzeit einhalten, wenn es vielleicht nach einer Stunde seine Hausaufgaben erledigt hat?). Es kann nur gelingen, die Kinder auf ein eigenständiges Leben vorzubereiten, wenn sie nicht auf die Kontrolle anderer angewiesen bleiben, sondern in die Lage versetzt werden, eigene Verantwortung für sich und ihr Leben zu übernehmen. Ihnen sollte die Möglichkeit gegeben werden, Regeln zu hinterfragen. Dies kann für die Mitarbeiter der Einrichtungen zu anstrengenden Situationen führen und den organisatorischen Ablauf gefährden. Aber nur so können Kinder den Sinn von Regeln verstehen – und innerhalb der Einrichtung vielleicht auch auf den Unsinn so mancher Regel aufmerksam machen. Hier ist davon auszugehen, dass das Erlernen von Selbstständigkeit, deren Teil die Fähigkeit ist, sich eigene Regeln zu setzen, als Prozess zu sehen ist. Die Rücknahme der Fremdkontrolle muss dosiert erfolgen. „Die richtige Dosierung muss sich dabei selbstverständlich auch an den Lebenserfahrungen der Jugendlichen orientieren, d.h. an dem Maß an Selbstkontrolle, das sie bereits gelernt haben. Je besser es gelingt, individuelle Unterschiede zu machen und nicht alle gleich zu behandeln, desto günstiger ist das Lernfeld“ (WOLF 2002b, S.49). Bei der Inanspruchnahme der Kinder- und Jugendpsychiatrie muss die Hilfe den möglichen Belastungen überwiegen. Ich werde mich hüten, hier Vorschläge zu machen, wie eine bessere Arbeit in der Kinderund Jugendpsychiatrie, einem Gebiet, mit dessen Handlungsmethoden ich mich nicht auskenne, gelingen kann. Wie aber können Pädagogen mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie umgehen? Zum einen war festzustellen, dass die Kinder die Kinder- und Jugendpsychiatrie dann ablehnten, wenn die dadurch ausgelösten Belastungen größer waren als die wahrge- 104 Kapitel IV: Schlussfolgerungen nommene Hilfe, die Kinder den Sinn des Aufenthaltes nicht verstanden und eventuelle Hoffnungen, die sie in ihn gesetzt hatten, enttäuscht wurden. Dies gilt es zu berücksichtigen und unnötige Belastungen zu vermeiden. Zum anderen wurde die Kinder- und Jugendpsychiatrie dann positiv bewertet, wenn Freiwilligkeit und eine eigene Motivation zum Aufenthalt vorhanden war, die Kinder- und Jugendpsychiatrie als Entlastung wahrgenommen wurde und bestehende Probleme bearbeitet werden konnten. Hier bleibt – für mich – der bittere Beigeschmack, inwieweit Kinder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der vom Ausgang, über die Bewältigung von Konflikten, die die Kinder untereinander haben, bis hin zum Fernsehprogramm alles reglementiert zu sein scheint, auf ihr Leben nach dem Psychiatrieaufenthalt vorbereitet werden können. Auch bei Elfriede wird sich erst herausstellen müssen, ob sie das in der Kinderund Jugendpsychiatrie Gelernte problemlos auf den weniger reglementierten Heimalltag übertragen kann. Während der Auswertung der Interviews stellte sich mir die Frage, ob Kinder nicht auch außerhalb der Psychiatrie lernen können, mit ihrer Vergangenheit ‚klar zu kommen’ (vgl. Interview Elfriede) und ‚andere Menschen, wie zum Beispiel die eigenen Eltern besser zu verstehen’ (vgl. Interview Tim). Ich denke, dass genau abzuwägen ist, ob bestimmte Probleme tatsächlich nur in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bewältigt werden können oder ob gleichermaßen pädagogische Lernfelder arrangiert werden können, in denen dies gelingen kann. Um solche Lernfelder gestalten zu können, muss man versuchen, die Lebensprobleme der Kinder zu verstehen und wahrzunehmen. Es müssen Strategien entwickelt werden, durch die sie bei ihren individuellen Entwicklungsaufgaben unterstützt werden können. Dies hat den Vorteil, dass Kindern, deren Biographien durch Brüche gekennzeichnet sind, Kontinuität und Stabilität geboten werden kann, indem sie Erfahrungen innerhalb ihres Lebensumfeldes machen können. 105 Persönliche Schlussbemerkungen Persönliche Schlussbemerkungen Kritiker mögen dieser Arbeit vielleicht vorwerfen, die Heimerziehung sei aber ganz schön gut weggekommen. Wenn man das so höre, könnte man meinen, dass man am Besten kein Kind mehr in seiner Familie lassen, sondern gleich alle Kinder im Heim erziehen sollte. Ich glaube nicht, dass das beste Heim eine intakte, gut funktionierende, das, was Aylin vielleicht mit einer ‚normalen’ Familie meinte, ersetzen kann. Ich glaube aber auch nicht, dass die ‚schlechteste’ Familie immer noch besser ist, als das ‚beste’ Heim. Heimerziehung kann Kindern einen Lebensort bieten, der vielleicht ein Stück Heimat werden kann, an dem es gelingen kann, dass Kinder negative Erfahrungen bewältigen und positive Erfahrungen machen. Hier spreche ich nicht von ‚der’ Heimerziehung. Die Qualität von Heimerziehung hängt auch immer davon ab, inwiefern die dort arbeitenden Fachleute sich auf die Lebensprobleme der Kinder einstellen können, hinter den Problemen, die Kinder machen, auch sehen – und hier möchte ich mich noch einmal auf das im Vorwort zitierte Gedicht beziehen –, wo das Leben an den Kindern ‚gerüttelt’ hat. Will man den Kindern neue Lernerfahrungen ermöglichen, ist es unverzichtbar, ihnen zuzuhören. Während der Interviews war ich teilweise berührt, in welcher beeindruckenden Klarheit die Kinder in der Lage sind, auf ihre Probleme hinzuweisen und ihre Interessen und Wünsche zu äußern. Gelingt es, Kinder ernst zu nehmen, kann dies zu einer Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit im Heimalltag beitragen. Ich denke, dass es wichtig ist, pädagogische Arbeit am Einzelfall auszurichten und Wege zu finden, die dem individuellen Fall gerecht werden. Dazu gehört auch, sich des eigenen Handelns, den eigenen Einstellungen zu den Kindern, den eigenen Werten und nicht zuletzt auch den institutionellen Rahmenbedingungen bewusst zu sein. Wenn es der Einzelfall erfordert, gilt es, neue Handlungsstrategien zu entwickeln um den Kindern mit ihren Problemen gerecht zu werden. Das ist sicherlich nicht immer der einfachste Weg und erfordert Energie, Kraftanstrengung und Kreativität. Kann man den Kindern dadurch aber unnötige Beziehungsabbrüche und Belastungen ersparen, ist es dennoch lohnenswert. Nicht nur während des Schreibens meiner Diplomarbeit, sondern auch während meines Studiums beschäftigte mich immer wieder die Frage nach der Professionalität und Anerkennung von sozialpädagogischer Arbeit. Will man die gesellschaftliche Anerkennung dieses Berufsfeldes erreichen, gehört es dazu, ein professionelles Selbstverständnis zu den Handlungsmöglichkeiten und der Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Dies beinhaltet auch, Kinder nicht an andere Institutionen zu delegieren, weil sie zu scheinbar unlösbaren Problemen oder unbequem geworden sind. Hier meine ich nicht, dass man mit falschem Stolz glauben sollte, Sozialpädagogik könnte alle Probleme lösen. Zum einen ist es si- 106 Persönliche Schlussbemerkungen cherlich nicht immer das Ziel, sämtliche Probleme zu lösen, es kann auch das Ziel sein, Probleme erträglich zu machen und den Klienten einen Umgang mit ihren Lebensproblemen zu erleichtern. Zum anderen sind sicherlich auch andere Professionen (wie z.B. die Kinder- und Jugendpsychiatrie) bei gewissen Problemen eher – oder auch – gefragt. Geht es aber um die Inanspruchnahme der Kinder- und Jugendpsychiatrie, muss man sich darüber bewusst sein, welche nicht intendierten Nebenwirkungen, wie Beziehungsabbrüche und Stigmatisierungen, mit einem Psychiatrieaufenthalt verbunden sein können. Hier gilt es, zu hinterfragen, ob die Chancen, die die Kinder- und Jugendpsychiatrie bieten kann, größer als die damit verbundenen Nachteile und Belastungen sind. Ich halte es nicht für legitim, Kinder aus purer Hilflosigkeit an die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu delegieren, die dann unter Umständen ebenfalls ihre Nicht-Zuständigkeit erklärt. So können Hilfekarrieren entstehen, durch die sich Probleme manifestieren, statt gelöst zu werden. Die Leidtragenden sind in solchen Fällen die betroffenen Kinder. 107 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis ABELS, I./SCHÄFER, D./WOLF, K. (2006). Neue Entwicklungschancen oder zusätzliche Belastungen? Kinder zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie (im Erscheinen). ANSGAR (2000). In: KNOPP, M.-L./NAPP, K. (Hrsg.) (2000). Wenn die Seele überläuft. Kinder und Jugendliche erleben die Psychiatrie (S.20). 4. Auflage. Bonn: PsychiatrieVerlag. BALTZ, J. (2002). Vollzeitpflege. In: DEUTSCHER VEREIN FÜR ÖFFENTLICHE UND PRIVATE FÜRSORGE (2002). Fachlexikon der sozialen Arbeit (5. Auflage) (S.1030-1031). Stuttgart: Kohlhammer. BAUR, D. (2000). Beteiligung der Eltern(teile) im Hilfeprozeß. In: EVANGELISCHER ERZIEHUNGSVERBAND E.V. (EREV) (Hrsg.) (2000). Leistungen und Grenzen von Heimerziehung. Forschungsergebnisse im Spiegel der Praxis. Dokumentation zu Fachgesprächen. 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Verf. die Verfasserin et al. et alii (= und andere) JULE Forschungsprojekt Jugendhilfeleistungen KJHG Kinder- und Jugendhilfegesetz SGB Sozialgesetzbuch SPFH Sozialpädagogische Familienhilfe zit. n. zitiert nach 116 Anhang Anhang I Erklärung zur Diplomarbeit II