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N A C H H A LT I G K E I T & U R B A N E S L E B E N
Green IT
Noch scheuen
Unternehmen
häufig die
Investitionskosten
Masdar
In der Wüste
entsteht eine
nachhaltige
Musterstadt
Seite III
Seiten IV/V
SG
S O N D E R AU
ABE
MITTWOCH, 31. MÄRZ 2010
Echte Nachhaltigkeit braucht Augenmaß
Nachhaltiges Handeln
ist nötiger denn je.
Doch nur auf die
Einsicht der Menschen
zu setzen, wäre fatal.
Erfolg versprechender
ist es, verändertes
Verhalten über
steigende Preise für
Rohstoffe zu erreichen
INHALT
Zwiespältig
Trotz enormer Investitionen in
Umwelttechnologien agiert
China nicht nachhaltig. Seite III
Spielerisch
London will 2012 die bislang
nachhaltigsten Olympischen
Spiele veranstalten.
Seite IV
Angelegt
Ökobanken und nachhaltige
Geldanlagen liegen im Trend –
und bringen Gewinne.
Seite VI
Sinnvoll
Ab wann es sich lohnt, mehr in
Haustechnik als in Wärmedämmung zu investieren.
Seite VII
Von Ulli Kulke
D
en einen mag es zu
weit gehen mit der
Nachhaltigkeit, den
anderen folgen wir
der Maxime nicht
rasch genug. Beides wird nichts daran ändern, dass die Historiker in
drei, vier Jahrhunderten unsere Ära
rund um das Millennium als das Zeitalter der Nachhaltigkeit bezeichnen
werden. So wie wir heute die Epoche
von Herder, Kant und Humboldt als
die der Aufklärung bezeichnen.
Letztlich ist es auch die Aufklärung, die Vernunft, die uns gar keine
Alternative lässt, als sorgsam mit den
Elementen umzugehen, von denen
■ Das
wir leben. Der Lehrsatz, der den Begriff der Nachhaltigkeit einst im 19.
Jahrhundert prägte, dass nämlich
dem Wald nicht mehr Holz entnommen werden darf als nachwächst, ist
aus der Forstwirtschaft auf die gesamte Ökonomie, auf unseren Verbrauch an Rohstoffen und sauberer
Luft zu übertragen. In früheren Zeiten gab es dazu keine Notwendigkeit,
wir konnten aus dem Vollen schöpfen. Heute aber erleben wir die Wende hin zu diesem Prinzip.
Die Vernunft gebietet uns aber
auch, keine Hoffnung zu schüren,
man könne dazu eine Art neuen
Menschen erschaffen, den „Homo
sustanibilis“. Nicht durch Appelle,
nicht durch Erziehung, nicht durch
staatliche Verordnung wird die Evolution in diese Richtung lenkbar sein.
Das sollten wir aus den menschenverachtenden gesellschaftlichen Experimenten einzelner Staaten im vergangenen Jahrhundert gelernt haben.
Heute, im Zeitalter der Globalisierung, wäre dies noch weniger aussichtsreich, als es je war.
Eine Ethik der globalen Mäßigung
werden wir uns nämlich kaum backen können. Gegen sie stünde
„nicht nur die ganze Schubkraft ex-
FOTO: ISTOCKPHOTO
Zeitalter der
Nachhaltigkeit begann
vor 40 Jahren – mit der
Gier der Ölscheichs
Eine Welt im Gleichgewicht
Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro haben 178 Staaten
dem Schlussdokument Agenda 21 zugestimmt und sich verpflichtet, in ökologischer,
wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu handeln.
Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen
und gleichzeitig sicherzustellen, dass auch die Generationen, die nach uns kommen,
adäquate Lebenschancen vorfinden. Dies ist an sich kein neues gesellschaftliches
Phänomen, doch gerade im Zeitalter der Globalisierung haben nationales, regionales,
pressionistischer Zivilisation gegen
sich“, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk ausdrückt, „sie widerspräche
auch den Einsichten in die Triebkräfte der höheren Kulturen“, nämlich einer Liaison zwischen dem
„Streben nach Selbsterhaltung und
Selbststeigerung“. Vielleicht kann
uns ja die Erinnerung daran, wie das
Zeitalter der Nachhaltigkeit vor etwa 40 Jahren begann, hoffnungsvoll
stimmen. Anfang der 70er-Jahre war
es nicht das so berühmte Buch über
die „Grenzen des Wachstums“ vom
lokales und persönliches Handeln noch viel stärker als früher Auswirkungen auf die
Zukunft des Planeten. Mehr noch: Ohne einen nachhaltigen Einsatz aller materiellen wie
intellektuellen Ressourcen gibt es für die Menschheit keine Zukunft. Deshalb wird für
immer mehr Bereiche eine nachhaltige Entwicklung postuliert, sei es für den individuellen Lebensstil oder für komplette Sektoren wie Mobilität, Energieversorgung oder den
Erhalt der Artenvielfalt. Nachhaltigkeit ist dabei mehr als ein Schlagwort. Viele einzelne
Schritte und Ideen dienen dabei dem Ziel, eine Welt im Gleichgewicht zu schaffen.
Club of Rome, das unsere Autos
sparsamer machte, uns die Einsicht
von der Endlichkeit des Öls brachte.
Vielmehr war es die unstillbare
„Gier“ der Ölscheichs, denen schlagartig klar wurde, wie wenig nachhaltig sie mit ihren eigenen Schätzen
umgingen, die deshalb ihre Preise
für das „schwarze Gold“ verdoppelten und verdreifachten und so dafür
sorgten, dass sich der Spritverbrauch unserer Autos halbierte und
drittelte – und damit die Weltölvorräte entsprechend schonte. Nachhal-
tigkeit durch die Gesetze der Marktwirtschaft.
Inzwischen sind wir viel weiter
vorangeschritten auf dem Weg, die
Rohstoffpreise sind weiter angezogen. Das wachsende Ausmaß an Recycling etwa trägt ganz reale Züge
des einstigen Traums einer Kreislaufwirtschaft. In Gang gebracht unter anderem durch gezieltes Verbraucherverhalten und durch Kostendruck bei den Rohstoffen. Gewiss
auch durch vorübergehenden Anschub seitens des Staates, etwa
durch Regeln zur öffentlichen finanziellen Förderung.
Ein Deutschland als das Land der
Solardächer, Windkraftparks und
Äcker für Bioenergiepflanzen von
Horizont zu Horizont ist daraus entstanden. Doch so kann und wird es
nicht weitergehen, die immensen
Subventionen, die die erneuerbaren
Energien aus dem nach ihnen benannten Gesetz beziehen, werden
nicht zu halten sein. Die Energiepreise würden die Verbraucher ins
Unermessliche belasten. Das Prinzip
Nachhaltigkeit drohte so die Akzeptanz zu verlieren, durch Überambitioniertheit. Wenn die Investitionen
mancher Kommunen für erneuerbare Kraftwerkskonzepte, deren Kosten in den Himmel wachsen, jetzt
durch die Laufzeitverlängerung für
billigen Atomstrom in Gefahr geraten, so liegt das Problem bei der
noch ungenügenden Konkurrenzfähigkeit der Erneuerbaren, nicht bei
den Kernkraftwerken.
Überambitionierte Nachhaltigkeit
kann auch dem ökologischen Fortschritt Schaden beibringen. So klagen Regenwald- und andere Umweltschützer, dass die riesigen Flächen für die nachwachsenden Rohstoffe heute die größte Gefahr für
den Tropenwald darstellten – nur
ein Beispiel von vielen.
Nachhaltigkeit muss sich selbst
rechnen, sie muss mit Augenmaß
vorangetrieben werden und die
Nachhaltigkeit darf – anders als Verzichtsprediger es schon wieder fordern – das Wachstum nicht durch eine endlose Preisspirale gefährden.
Womit sollten sonst die notwendigen Investitionen für die Nachhaltigkeit bezahlt werden?
Nur wenn der Gedanke an die
Nachhaltigkeit diese Voraussetzungen erfüllt, hat er auch selbst die
Chance, sich durchzusetzen – und
zwar nachhaltig.
Eine ungemein spannende Baustelle
Ein neuer Staatssekretärausschuss soll die nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit ressortübergreifender und praxisnaher Arbeit befördern
DIE WELT: Herr Pofalla, womit hat
sich der Ausschuss in der konstituierenden Sitzung befasst?
Ronald Pofalla: Im Wesentlichen haben wir uns mit zwei Fragestellungen beschäftigt. Wir haben Bilanz
gezogen über die bisherige Arbeit
zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, aber vor allem eine sehr detaillierte Arbeitsplanung vereinbart. Darin haben wir festgelegt,
mit welchen Themen wir uns in den
nächsten Sitzungen intensiv, auch
unter Begleitung von Verbänden
und Wissenschaftlern, befassen Bericht erwarten wir spätestens in
werden. In der zweiten Sitzung der zweiten Hälfte 2010. Davon aussteht das Thema Landnutzung und gehend werden wir die nationale
Klimawandel auf der Tagesord- Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln. Bei der Erarbeinung. Wie machen wir untung des nächsten Fortsere Landwirtschaft in
schrittsberichts werden
Deutschland nachhaltig?
wir die Öffentlichkeit
Wie verknüpfen wir eine
breit einbinden, weil wir
globale Produktionssteigeden gesellschaftlichen Dirung mit dem Schutz der
alog ganz bewusst pflenatürlichen Ressourcen in
gen wollen.
den Bereichen Agrarwirtschaft, Forstwirtschaft und
Wie kann man sich das
Fischerei? Dafür bedarf es Ausschussleiter
vorstellen?
Maßnahmen, über die wir Ronald Pofalla
Pofalla: Wir versuchen,
diskutieren werden.
auf verschiedenen Ebenen ins GeWie sehen die weiteren Planungen spräch zu kommen. Der Bundestag
aus?
hat einen parlamentarischen Beirat
Pofalla: Das Statistische Bundesamt für Nachhaltige Entwicklung eingearbeitet derzeit an einem Bericht zu setzt, mit dem wir uns inhaltlich
den Indikatoren der Nachhaltig- eng koordinieren wollen. Darüber
keitsstrategie. Nachhaltigkeit muss hinaus arbeiten wir intensiv mit
für uns messbar sein, damit wir wis- den Ländern, Städten und Gemeinsen, wo wir etwas erreicht haben den zusammen. Im Staatssekretärsund wo noch etwas zu tun ist. Den ausschuss geht es vor allem um die
FOTO: DDP
Der Staatssekretärausschuss für
nachhaltige Entwicklung hat vor
wenigen Tagen seine Arbeit aufgenommen. Darin vertreten sind alle
Ressorts auf Ebene der verbeamteten Staatssekretäre. Über Arbeitsweise und Ziele gab der Ausschussvorsitzende und Chef des Bundeskanzleramtes,
Ronald
Pofalla
(CDU), Auskunft.
Frage: Wie kann etwas konkret realisiert werden? Nehmen Sie etwa
die Landnutzung und den Flächenverbrauch: Heute sind es pro Tag 95
Hektar, wir wollen dies bis 2020 auf
30 Hektar verringern. Das ist nur zu
erreichen, wenn wir die vorhandenen Alt- und Brachflächen stärker
nutzen. Hier liegt eine Herausforderung für die Bauleitplanung.
Auf der Website der Bundesregierung kann man sich nicht nur zum
Thema Nachhaltigkeit informieren, sondern es kann sich auch jeder mit Ideen beteiligen.
Pofalla: Nachhaltigkeit als Grundsatz kann nur verwirklicht werden,
wenn sich alle daran beteiligen.
Deshalb gibt es nicht nur eine Webseite der Bundesregierung, die über
unsere Aktivitäten informiert; daneben hat das Bundesumweltministerium vor Kurzem eine spezielle
Webseite eingerichtet, wo jeder
Vorschläge machen kann. Es geht
+
häufig gar nicht um die großen Vorschläge, sondern um konkrete Anregungen, die wir prüfen und wenn
möglich umsetzen. Zudem überlege
ich, ein eigenes Referat Nachhaltigkeit im Kanzleramt einzurichten,
damit Mitarbeiter sich auf diese
Frage konzentrieren können und
stärker mit denen, die Vorschläge
unterbreiten, in einen Dialog eintreten können.
Gab es denn schon Vorschläge?
Pofalla: Ja, die Themen Energie und
Klimaschutz wurden oft genannt,
ebenso Landwirtschaft, Natur- und
Artenschutz. Auch das Thema Flächenverbrauch beschäftigt viele;
offensichtlich stören sich viele
Menschen daran, wie viele Flächen
nach ihrer Auffassung sinnlos verprasst werden. Das Thema Landwirtschaft und Klimawandel haben
wir zum Arbeitsauftrag gemacht.
Was kann ein Staatssekretäraus-
schuss praktisch bewirken?
Pofalla: Wir haben unter anderem
eine Bundesinitiative gestartet –
wir nennen sie „Beschaffungsallianz“. Damit soll die Einkaufsmacht
der öffentlichen Hand genutzt werden, um den Anteil nachhaltiger
Produkte zu steigern. Beispielhaft
ist hier die Anschaffung Strom sparender Informationstechnik. Unser
Ziel: bis 2013 den Energieverbrauch
in diesem Bereich um 40 Prozent zu
reduzieren. Auf kommunaler Ebene
wichtig könnte der Einsatz von
Bussen mit Hybridtechnologie
sein; immerhin werden jährlich
3000 neue Fahrzeuge angeschafft.
Wir besprechen daher mit Ländern
und Gemeinden, wie anspruchsvolle Kriterien in der Praxis durch gezielte Auftragsvergabe stärker berücksichtigt werden können.
Was erwarten und erhoffen Sie sich
von diesem Ausschuss?
Pofalla: Das ist eine ungemein span-
nende Baustelle, weil hier fächer-,
themen- und ressortübergreifend
gearbeitet wird. Dieser Ansatz bietet viele Möglichkeiten und ist in jeder Hinsicht ein offener Prozess,
für den es keine Erfahrungswerte
gibt. Der Ausschuss kann in den
nächsten Jahren nicht nur für
Deutschland Standards setzen, sondern auch eine Vorbildfunktion für
andere Länder übernehmen.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Ausschussvorsitzender?
Pofalla: Meine Aufgabe ist es, auf
die Umsetzung der Strategie hinzuwirken. Als Vorsitzender und Kanzleramtsminister habe ich die Möglichkeit, die Bundesministerinnen
und -minister direkt anzusprechen,
damit die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen umgesetzt werden.
Interview: Matthias Billand und
Jochen Clemens
GRUSSWORT
FOTO: PA/GLOBE-ZUMA
Nachhaltigkeit & urbanes Leben
DIE WELT
Mittwoch, 31. März 2010
Die Produktion eines Laptops verbraucht 4000 Liter Wasser. 900 kg Rohstoffe müssen gefördert werden –
Ein PC mit Monitor setzt 850 kg Treibhausgase frei. 23 kg Chemikalien sind für seine Produktion nötig
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Prinz Albert II von
Monaco setzt sich
für Umweltschutz
und die Idee des
Elektroautos ein
Wir müssen bereit
sein, Gewohnheiten
zu ändern
A
ls Gottlieb Daimler, Rene
Panhard, Emile Levassor and
Karl Benz die ersten Automobile
bauten, hätte niemand ahnen können, welche Auswirkungen das auf
die Menschheit hat. Deshalb sollten
wir die heutige moderne Welt nicht
als selbstverständlich ansehen und
über die Konsequenzen des technologischen Fortschritts nachdenken. Wenn wir es tun, ist es
spät, oft zu spät. Selbst, wenn die
Grundfesten unserer Gesellschaft
bedroht sind. Etwa durch den Klimawandel, der diese Bedrohungen
immer deutlicher macht. Sie zwingen uns zum Handeln bevor die
schon spürbaren Auswirkungen
irreversibel sind.
Die weltweite Finanzkrise hat
uns die Fehler unserer Wirtschaft
deutlich aufgezeigt. Die verheerenden Folgen haben aber dafür
gesorgt, dass die Debatte zwischen
Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit wieder in Gang kam. Endlich
wagen wir es, die Logik eines stetig
steigenden Konsums in Frage zu
stellen, die auf dem Raubbau der
natürlichen Ressourcen und dem
Verschließen der Augen vor den
Langzeitkonsequenzen unseres
Handelns basiert. Mit alternativen,
verantwortungsvolleren und nachhaltigeren Lösungen stellen wir
nun fest, dass ein dauerhafter Wandel möglich ist.
Mehr als jede andere Branche
zeigt sich dies in der Automobilindustrie. Sie wandelt sich grundlegend und könnte eine neue Ära
mit einem neuen Verständnis von
Wachstum einläuten. Die Idee von
sauberen Fahrzeugen beflügelt
unsere Fantasie seit einiger Zeit.
Bis vor kurzem jedoch schien sie
noch weit entfernt. Unter anderem
Finanzkrise und beginnender Klimawandel haben dafür gesorgt,
dass eine auf geringem CO2-Ausstoß basierende Wirtschaft eine
Notwendigkeit und der Traum
Realität geworden ist.
Das Fürstentum von Monaco, das
den Umweltschutz zu seinem zentralen Anliegen erhoben hat, setzt
sich seit mehr als 20 Jahren für
Elektroautos ein. Seit 2005 habe ich
diese Anstrengungen intensiviert –
über Initiativen, Hersteller zu
unterstützen, potenziellen Käufern
die Vorteile darzulegen und generell die öffentliche Wahrnehmung
für diese neuen, attraktiven Fahrzeuge zu erhöhen.
Die ersten Elektroautos waren
teuer und unzuverlässig, inzwischen sind sie leistungsstark, verlässlich und erschwinglich. Jedes
Jahr treffen sich Experten bei der
Expo EVER (Ecologic Vehicles &
Renewable Energies) in Monaco,
um Ausmaß und Tempo des Fortschritts zu diskutieren. Wir müssen
das Auto retten, indem wir es neu
erfinden. Wir wissen, dass der
Verbrennungsmotor über viele
Dekaden Umweltschäden verursacht hat, aber wir sollten nicht
vergessen, dass das Auto ein Eckstein unserer Zivilisation ist und es
uns eine ansonsten unvorstellbare
Freiheit ermöglicht.
Die „Neuerfindung“ des Autos
bringt unschätzbare Vorteile mit
sich. Eine fruchtvolle Zusammenarbeit zwischen Aktionären und
Herstellern etwa hat eine Erfolgsformel aus Anspruch und Kompetenz kreiert. Eine Formel, die es
möglich macht, die ganze Welt
mittels einer bislang beispielslosen
Kooperation neu zu „erdenken“ .
In diesem Geist hat meine Stiftung mit The Climate Group kooperiert und die Vereinigung EV20
gegründet, die die Idee des Elektroautos befördert. Die schnellen
Erfolge beweisen und zeigen uns,
dass es möglich ist. Dinge auch im
großen Rahmen ändern zu können.
Sie ermutigen uns, in unserer gemeinsamen Anstrengung nicht
nachzulassen.
Natürlich benötigt das Zeit und
Entschlossenheit. Die Herausforderung ist enorm, und es wird
wahrscheinlich mehr als einer
Generation bedürfen, um einschneidende Veränderungen bezüglich unsere Abhängigkeit von
fossilen Brennstoffen durchzusetzen. Doch schon erweisen sich
mehrere Lösungsmöglichkeiten als
Erfolg versprechend. Wir müssen
aber bereit sein, unsere Gewohnheiten zu ändern.
S.A.S. Prinz Albert II von Monaco
Zwischen Geld und Gewissen
IT wird immer
umweltfreundlicher.
Oft gehen deutsche
Unternehmen das
Thema „Green IT“
dennoch halbherzig
an. Sie scheuen die
Anschaffungskosten
Viele Firmen sind ohne Konzept beim
Einsatz energieeffizienter Hardware
Kosten und Nutzen
Von Hartmut Schumacher
M
oderne Computertechnik ist inzwischen für fast
jede Branche unverzichtbar. Und
auch die meisten privaten Anwender möchten ihre PCs nicht mehr
missen. Aber die Leistungsfähigkeit der Rechner und der Komfort,
den sie bieten, haben ihren Preis:
Nach einer Untersuchung des
Fraunhofer-Instituts ist die Informationstechnologie für etwa zehn
Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland verant-
Nach Angaben des Bundesumweltministeriums amortisieren sich die
Kosten für die Einrichtung eines
umweltschonend orientierten Rechenzentrums „bei richtigem Ansatz“ innerhalb von zwei Jahren
allein durch die Energieeinsparungen. Die Kosten für die Anschaffung von umweltfreundlichen Geräten sind zudem niedriger, als mancher annimmt: Verschiedene staatliche Stellen, darunter das Umweltund das Wirtschaftsministerium,
gewähren Zuschüsse und zinsgünstige Investitionskredite beispielsweise für Energieeffizienzberatungen und für Energieeinsparmaßnahmen. Informationen zu diesen
Förderungsmöglichkeiten hält das
Green IT Beratungsbüro bereit.
Laut Florian König von eben diesem
Beratungsbüro beantragen bisher
nur wenige Unternehmen diese
Fördermittel. Er geht allerdings
davon aus, dass „ein großer Teil
der vielfältigen Green-IT-Projekte
bereits ohne staatliche Förderung
durchgeführt wird“.
migs
■ Bei
Green IT geht es um
das Verringern der gesamten
Umweltbelastung, die durch
Informationstechnologie
entsteht
wortlich. Und bis 2020 wird der ITStromverbrauch voraussichtlich
noch um 20 Prozent steigen. Damit
verursachen Computer nicht nur
hohe Energiekosten, sondern haben auch einen gehörigen Anteil an
den klimaschädlichen CO2-Emissionen. Laut Schätzungen des
Marktanalyseunternehmens Gartner erzeugt die Informationstechnologie bereits jetzt ungefähr zwei
Prozent der weltweiten Kohlenstoffdioxid-Emissionen – genauso
viel wie die Luftfahrtindustrie.
Das Umweltbewusstsein und
das Wissen um drohende Ressourcenknappheit sind jedoch inzwischen zu ausgeprägt, um dies unwidersprochen hinzunehmen. So ist
das Konzept der „Green IT“, der
umweltschonenden Nutzung von
Informationstechnologie, entstanden. „Umweltschonend“ bedeutet
nicht etwa einfach nur „Strom sparend“. Vielmehr geht es bei der
Green IT um das Verringern der
gesamten Umweltbelastung, die
durch
Informationstechnologie
entsteht. Das fängt an beim Entwurf und der Herstellung der Computersysteme, reicht über die Nutzung der Geräte und endet mit ihrer Entsorgung.
Konkret heißt das: Die Hersteller bemühen sich darum, bei der
Produktion der Geräte wenig Energie zu verbrauchen und möglichst
auf knappe oder gar schädliche
Rohstoffe (wie Cadmium und Blei)
zu verzichten. Zudem ist es wün-
FOTOS: GETTY; PA/OBS
Seite II
IT wird immer nachhaltiger. Bei vielen Firmen findet sie aber eher durch die Hintertür Einlass: Gekauft wird sie, weil neue Geräte leistungsfähiger sind
schenswert, dass sich die Bestandteile der Geräte weitgehend wiederverwerten lassen.
Während der Nutzung der Computersysteme sollten sie natürlich
möglichst wenig Energie benötigen. Für die energieeffiziente Konstruktion der Systeme ist der Hersteller verantwortlich. Aber auch
die privaten und geschäftlichen
Anwender können dafür sorgen,
dass ihre Computer oder Rechenzentren relativ wenig Strom verbrauchen: Bei Rechenzentren ist es
erstens sinnvoll, das Kühlsystem
zu optimieren. Und zweitens, die
Server-Computer besser auszulasten, sodass weniger Geräte nötig
sind. Erreichen lässt sich dies etwa
durch die Methode der Virtualisierung, bei der ein Server-Computer
die Aufgaben erledigt, die zuvor
mehrere Rechner verrichtet haben.
Nach Schätzungen der britischen Umweltschutzorganisation
The Climate Group sollte es durch
diese und ähnliche Maßnahmen
möglich sein, bis zum Jahr 2020 die
weltweiten
KohlenstoffdioxidEmissionen um 15 Prozent zu reduzieren und 500 Milliarden Euro
Energiekosten einzusparen.
Die Begeisterung für Green IT
ist bei deutschen Unternehmen
theoretisch groß. Strom und damit
Geld zu sparen – und gleichzeitig
etwas für die Umwelt zu tun: Das
ist prinzipiell eine tolle Sache.
Nach Beobachtungen von Branchenkennern jedoch ist dieser Enthusiasmus oft nur von kurzer
Dauer. Thomas Singbartl beispielsweise, der IT-Chef der Bavarian International School, weiß dies zu
berichten: „Green-IT-Techniken
sind in vieler Hinsicht Solaranlagen auf dem Dach ähnlich. Von
Green IT sind natürlich immer erst
einmal alle begeistert – allerdings
nur so lange, bis sie dann sehen,
was das alles kostet und wie lange
die Amortisierung dauert.“
Das Analystenhaus Experton
Group kann diese Beobachtung
durch Zahlen untermauern: Eine
Studie aus dem Jahr 2009 zum Thema Green IT kommt zu dem Ergebnis, dass „die Unternehmen in
Deutschland Green IT immer noch
eher halbherzig adressieren“. So
gebe es in über 70 Prozent der Firmen keine Richtlinien zum Einsatz
energieeffizienter Hardware-Komponenten. Und 85 Prozent der für
Green IT zuständigen Personen
würden den Energiebedarf ihres
Rechenzentrums nicht kennen.
Florian König, Projektmanager
Kommunikation des Green IT Beratungsbüros der Bitkom, bestätigt
diese Erkenntnis: „Viele Organisationen wissen gar nicht, wie viel
Energie ihre IT-Infrastrukturen
verbrauchen, und vernachlässigen
deshalb die Betrachtung dieses
Kostenfaktors. Dies bedingt natürlich auch die Zahl der realisierten
Green-IT-Projekte.“
Auch wenn deutsche Unternehmen die Verwirklichung des
Green-IT-Konzepts nicht mit unbegrenzter Leidenschaft vorantreiben: Informationstechnologie wird
quasi von ganz allein umweltschonender. Das liegt einerseits an den
immer strengeren EU-Richtlinien
für den Energieverbrauch von Geräten. Und andererseits daran, dass
Unternehmen schon aus reinem
Eigennutz neue umweltfreundliche Geräte anschaffen – weil diese
Strom sparen und nebenbei auch
leistungsfähiger sind als ihre Vorgänger. Thomas Singbartl fasst es
so zusammen: „Für viele Unternehmen erfolgte der Einstieg in die
Green IT eher aus Versehen. Flachbildschirme sind ein gutes Beispiel. Deren Energieersparnis ist
wirklich signifikant – aber eingesetzt werden sie deshalb, weil sie
weniger Platz wegnehmen und eine bessere Bildqualität liefern.“
Neue Stand-by-Verordnung
Ökologische Rucksäcke
Der Leerlaufmodus kostet vier Milliarden Euro pro Jahr
IT verbraucht große Mengen wertvoller und seltener Metalle
Wenn elektronische Geräte ausgeschaltet werden, heißt das nicht,
dass sie keinen Strom mehr verbrauchen. Das ist erst der Fall,
wenn die Geräte vom Netz genommen sind – etwa durch das Ziehen
des Steckers oder die Verwendung
einer Steckdosenleiste mit einem
Ein-Aus-Schalter. Doch das praktizieren die wenigsten Haushalte
oder Betriebe konsequent. Pro Jahr
zahlen die Deutschen geschätzt
vier Milliarden Euro für den
Stromverbrauch ihrer Geräte im
Stand-by-Modus. Die EU-„Standby-Verordnung“ will die sogenannten Leerlaufverluste nun erheblich
reduzieren, seit dem 7. Januar 2010
begrenzt sie den Verbrauch für
Haushalts- und Bürogeräte. Neue
Produkte dürfen danach nicht
mehr als zwei Watt Strom verbrauchen, wenn sie nicht genutzt werden. Das gilt für Geräte mit einer
Informationsanzeige. Geräte ohne
eine solche Anzeige dürfen sogar
Stromfresser trotz Leerlauf
Geräte im Stand-by-Betrieb
Verbrauch in
in Wh
Stunden
pro Tag*
PC mit Monitor und Drucker
20
20
Stereoanlage
10
20
Video- oder DVD-Rekorder
6
23
Fernseher (alt)
6
20
Schnurloses Telefon (Ladeschale)
2
23
Fernseher (neu)
1
20
Kosten pro Jahr in Euro
26,80
13,40
9,25
8,04
3,08
1,34
*Durchschnitt
QUELLE: dena
nur ein Watt im Bereitschaftszustand verbrauchen. Bis 2020 will
Brüssel die Leerlaufverluste so um
fast 75 Prozent reduzieren, was
dem gesamten Jahresstromverbrauch Dänemarks entspricht – etwa 35 Milliarden Kilowattstunden
(kWh). Das spart nicht nur bares
Geld, sondern entlastet auch die
Umwelt. Der CO2-Ausstoß in der
EU soll durch die Stand-by-Verordnung um 14 Millionen Tonnen reduziert werden. Deutschlands Anteil läge bei vier Millionen Tonnen.
Das entspricht sechs Milliarden
gesparten Kilowattstunden und einer finanziellen Entlastung von 1,2
Milliarden Euro. Noch höhere Einsparungen wären möglich, wenn
alle Geräte vollständig abschaltbar
wären, so wie es Deutschland und
Umweltschutz- und Verbraucherverbände fordern. Das Umweltbundesamt schätzt, dass damit EUweit weitere sieben Milliarden Kilowattstunden (in Deutschland eine Milliarde kWh) zusätzlich gemigs
spart werden könnten.
+
Das Umweltbundesamt will das
Bewusstsein für knapper werdende Ressourcen wecken. Mit der
wissenschaftlichen Mitarbeiterin
Maike Janssen sprach Michael
Gneuss.
DIE WELT: Das Umweltbundesamt
hat sich auf der Cebit für das Thema Green-IT engagiert. Warum?
Maike Janßen: Weil wir uns dafür
einsetzen wollen, dass noch sehr
viel stärker erkannt wird, in welchem Umfang in der Informationsund Kommunikationstechnologie,
also der sogenannten IKT, Ressourcen gebunden werden. In erster Linie wird immer an den Energieverbrauch gedacht. Aber der
Ressourceneinsatz erstreckt sich
über sehr viele knappe Güter.
Woran denken Sie speziell?
Janßen: Etwa an wertvolle Metalle,
die eines Tages knapp werden
könnten, wenn nicht rechtzeitig
nachhaltige Konzepte im Umgang
mit ihnen umgesetzt werden.
Können Sie Beispiele nennen?
Janßen: Indium, das in Monitoren
und Leuchtdioden verwendet
wird. Indiumzinnoxid ist durchsichtig und stromleitend und deshalb in der IKT von hohem Wert.
Bei heutigem Verbrauch würden
die bekannten Reserven nur noch
rund 20 Jahre reichen. Werden
Leuchtdioden in sehr viel größeren Mengen produziert, geht es
noch schneller. Auch Gold, Silber,
Platin oder Kupfer werden in der
IKT in großen Mengen verwendet.
Das Problem ist nicht nur, dass die
Vorräte endlich sind – mit der Gewinnung sind auch erhebliche Umweltbelastungen verbunden. Darauf wollen wir als Umweltbundesamt hinweisen.
Haben Sie auch Vorschläge?
Janßen: Ja. Es gibt viele Möglichkeiten, Rohstoffe in erheblichem Ausmaß zu sparen. Schon heute gibt es
Recycling-Anlagen, die alte Laptops auseinandernehmen und viele
Stoffe für die Wiederverwertung
aufbereiten. Beim Design fängt es
an. Das bestimmt darüber, welche
Materialien eingesetzt werden, ob
ein Laptop überhaupt recyclingfähig ist. Ein Laptop ist eine wahre
Schatzkammer. Wir haben auf der
Cebit den ökologischen Rucksack
eines Laptops gezeigt: Ein Laptop
wiegt in Wahrheit 900 Kilogramm.
Was ist das?
Janßen: Der ökologische Rucksack
beschreibt die Umweltbelastung
im Leben eines Produktes, Rohstoffaufwand, Treibhauseffekt und
so weiter. Die 900 Kilo sind das Gewicht der Rohstoffe, die gefördert
werden müssen, um einen Laptop
herzustellen. Für die Herstellung
eines Laptops ist auch ein Wasserverbrauch von 4000 Litern errechnet worden, weil Metallgewinnung
sehr wasserintensiv ist. Zudem
geht der Ausstoß von etwa 600 Kilogramm CO2-Äquivalenten mit
der Produktion eines einzigen Laptops einher. Diese Zahlen sollten
zum Nachdenken anregen.
Nachhaltigkeit & urbanes Leben
Mittwoch, 31. März 2010
DIE WELT Seite III
„Deutschland zeigt
der Welt die Stadt
von morgen“
FOTOS: PA/DPA
Der Drache gibt sich zunehmend grün,
doch das Bewusstsein für echte
Nachhaltigkeit ist noch nicht ausgeprägt
Es ist nicht alles grün, was glänzt
Von Johnny Erling
P
ekings Regierungsberater in Sachen Klimawandel, Hu Angang, erinnert
gern an ein Bonmot von
Chinas Reformarchitekten Deng Xiaoping. „Mir ist es egal,
welche Farbe die Katze hat, ob
Schwarz oder Weiß: Hauptsache sie
fängt Mäuse!“ Mit solchem Pragmatismus habe Deng 1980 seinen
Landsleuten den Weg zum Wohlstand gewiesen: Die Volksrepublik
sollte sich in drei Stufen bis 2050
modernisieren, zuerst den Wert ihrer Wirtschaftsleistung vervielfachen, dann bis 2020 den „kleinen
Wohlstand“ verwirklichen und ab
2050 Wirtschaftsgroßmacht werden. Die Nation lernte rasch, dass
die Partei alles erlaubte, was dem
nützt, solange ihre Kontrolle gewährleistet war. „Wir werden wohl
schon 2020 Dengs Visionen für 2050
erfüllen können“, sagt Hu Angang.
Nun ist die Farbe der Katzen nicht
mehr egal. „Heute müssen sie grün
sein.“ Den phänomenalen Aufstieg
bezahlte die Volksrepublik mit ungerechter Einkommensverteilung
bis hin zu horrenden Umweltschäden. China wurde Weltmeister bei
der Verbrennung fossiler Rohstoffe
und überholte in absoluten Zahlen
2008 die USA bei der Erzeugung
von Kohlendioxid (CO2). Von dem
Treibhausgas pustete China 2009
rund sieben Mrd. Tonnen in die Atmosphäre, fünfmal so viel wie 1980.
Rekordsummen für
Chinas grüne
Wirtschaft stehen
Überproduktion,
steigende CO2Emissionen und
der Bau von 23
Atomkraftwerken
gegenüber
Die Wende kam erst nach 2002
unter der neuen Regierung Hu Jintao. Sie erkannte, dass Wachstum
nicht nachhaltig und effizient war,
wenn man mit einem Anteil von
kaum sechs Prozent an der Weltwirtschaft 2007 mehr als 30 Prozent
des Stahls (2009 sogar 55 Prozent),
mehr als die Hälfte allen Zements
und Aluminiums der Welt produzierte und verbaute. Chinas Energieverbrauch wuchs pro Jahr über
zehn Prozent, seine CO2-Emissionen um über zwölf Prozent. Da 75
Prozent des Primärenergie-Verbrauchs aus Kohle kommen und
weitere zwölf Prozent aus Öl und
Gas, war das kein Wunder. Nachdem Kraftwerke verbessert wurden
Chinas Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft steckt nach eigenem
Eingeständnis noch in den Kinderschuhen
und man begann, in neue Energien
zu investieren, sank der Kohleanteil
2009 auf „nur“ noch 68,7 Prozent. In
seinem „Kopenhagen-Bericht 2009
zum Klimawandel“ gestand die Regierung, dass ihr ökologischer Umbau noch in den Kinderschuhen
steckt. „Unsere CO2-Emissionen
pro Einheit Energie liegen viel höher als der Weltdurchschnitt. Das
stellt uns vor enorme Schwierigkeiten, sie zu reduzieren.“
Von außen gesehen wirkt es derzeit so, als springe China mit Riesensätzen in ein Zeitalter sauberer Energien. Windkraftanlagen sprießen
wie Pilze aus dem Boden, 2009 wurden allein 10 129 Wind-Turbinen installiert. Die Zahl aller Windanlagen
und die installierte Kapazität verdoppelte sich in nur einem Jahr auf
25,8 Gigawatt (GW) Stromleistung.
China zog an Deutschland vorbei auf
Platz zwei nach den USA und plant
für 2020 über 100 GW WindkraftLeistung zu installieren. Gigantische
Staudämme sind im Bau, die die heutige Kapazität von 172 auf rund 300
GW 2020 katapultieren sollen.
Gleichzeitig aber ist die Kernkraft
Pekings neues Lieblingskind. Sie soll
von derzeit 9,1 GW und elf Reaktoren
auf 70 GW bis 2020 wachsen. 23 Reaktoren sind im Bau. Stephen Kidd
von der „World Nuclear Association“ sagt, dass mehr als die Hälfte aller weltweit gebauten Atomkraftwerke in China stehen.
Aber auch die Solarindustrie, die
ihren Anteil am Weltmarkt für Solarmodule auf 32 Prozent erhöht
hat, boomt. Der Yingli-Konzern ist
einer der Topstars unter Chinas Solarunternehmen, er unterhält ein
Dutzend weltweiter Niederlassungen und hat den Exportschwerpunkt Deutschland. Bis 2013 will
Yingli für 1,8 Mrd. Dollar seine Kapazitäten auf die Produktion von
18 000 Tonnen Silizium ausweiten.
Was für den Konzern sinnvoll ist,
führt in der Branche zu Chaos. Industrieminister Li Yizhong warnte
vor ruinösen Überkapazitäten,
nachdem andere Solarhersteller
neue Produktionen für 60 000 Tonnen Silizium aufbauten.
Überkapazitäten gibt es auch bei
Windturbinen. Chinesische Medien
schreiben, dass ein Teil der Windräder in der Landschaft stünden, ohne
mit dem Netz verbunden zu sein.
Trotz des steigenden Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch, der von 7,1 Prozent 2005 auf
9,9 Prozent 2009 kletterte und 15
Prozent 2020 erreichen soll, wächst
der Energiehunger Chinas weiter –
und die CO2-Emissionen nehmen
zu. Nie verbrauchte China mehr fossile Energie als 2009.
Obwohl man 2009 die meiste
Kohle weltweit erzeugte, wurden
126 Mio. Tonnen Kohle importiert –
212 Prozent mehr als 2008. Selbst
Strom wird eingeführt. Und mit einem Rekord von 204 Mio. Tonnen
Öl erhöhte China auch seine Öl-Im-
portabhängigkeit, die 2009 erstmals
über 50 Prozent lag.
Als Entwicklungsland braucht
sich China keinen international
verbindlichen CO2-Reduktionszielen zu unterwerfen. Es hat sich aber
nach innen zu zwei freiwilligen
Schritten verpflichtet: Mit der Verbesserung der Energieeffizienz will
Peking bis 2010 durch 20 Prozent
weniger Energieaufwand eine vergleichbare Wirtschaftsleistung wie
2005 erzielen. Bis Ende 2009 konnte das Land seinen Energieverbrauch immerhin um 14,38 Prozent
gegenüber 2005 verbessern. Wo
2010 die noch fehlenden 5,6 Prozent
herkommen sollen, wird verschwiegen. Noch schwerer tut sich
Peking mit der zweiten Verpflichtung: Ende 2009 beschloss der
Staatsrat, zur CO2-Verminderung
bis 2020 die Erzeugung von Treibhausgasen um 40 bis 45 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren. 20 der
31 Provinzen wetteifern seither um
Staatshilfen oder Kredite, um in
Wind- und Sonnenkraftwerke zu
investieren.
Chinas Wirtschaftsstrategen sehen aber in der grünen Wirtschaft
die Zukunft und investieren so viel
wie kein anderes Land. Für den 12.
Fünfjahresplan (2011–2015) rechnen Experten mit verdoppelten
Umweltinvestitionen von 300 Mrd.
Euro. Jedoch achtet die grüne Katze nicht darauf, woher etwa Strom
kommt, ob bzw. wie sozialverträglich er produziert wird.
Expo 2010 Shanghai: Bessere Stadt, besseres Leben
Am 1. Mai öffnet die bislang größte Weltausstellung. Fünf zentrale Pavillons und rund 250 Teilnehmer behandeln das Thema
Von Jochen Clemens
Innenstadt
Shanghai:
Die neue
kreisförmige
Fußgängerbrücke soll
helfen, der
erwarteten
Besucherströme Herr
zu werden
FOTOS: PA/DPA; PA /LANDOV
„Better City, Better Life“ lautet
das Motto der Expo 2010 in
Shanghai. Mit 250 angemeldeten
Ländern, Städten und Organisa-
tionen ist dies die bislang größte
Weltausstellung, zu der rund 70
Mio. Besucher erwartet werden,
darunter rund 3,5 Mio. internationale Gäste. Das sechs Kilometer
vom Stadtkern entfernte Gelände
misst 5,28 Quadratkilometer und erstreckt sich beiderseits des Flusses
Huangpu. Nach der sechsmonatigen
Expo (1. Mai bis 31. Oktober) soll das
ehemalige Industriegelände vor allem der in Shanghai schnell wachsenden Dienstleistungsindustrie ein
Zuhause bieten. Als architektonische Hauptattraktion der Expo gilt
der knapp 1000 Meter lange zentrale
Boulevard mit der weltweit größten
Membrankonstruktion.
Das Thema „Bessere Stadt, besseres Leben“ wird in seiner ganzen
Komplexität dargestellt und mit
zahlreichen Projekten, Ideen und
Vorschlägen aufbereitet – nicht zuletzt in den fünf zentralen Themenpavillons „Urban Footprints“, „Urban Planet“, „Urban Dwellers“, „Urban Beings“ und „Urban Dreams“,
die sich mit den verschiedenen Aspekten städtischer Entwicklung be-
fassen. Der erstgenannte Pavillon
entstand in Anlehnung an das Konzept des Shanghai-Museums, das
Städte als zentralen Faktor des Fortschritts darstellt. Gesetzt wird auf
den Gegensatz zwischen HightechInstallationen und kulturellen Artefakten. In „Urban Footprints“ präsentieren sich u. a. auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
mit zwei technischen Innovationen.
Eines davon ist das Grüne Gewölbe.
Mittels hochauflösender Hyperreproduktionen können die Besucher
in Shanghai Details der Sammlung
sehen, die Betrachtern in Dresden
vielleicht aufgrund der Ausstellungssituation und ihrer minimalen
Größe verborgen bleiben.
Den Pavillon „Urban Planet“ gestaltet die Triad Berlin Projektgesellschaft. In verschiedenen Kapiteln wird aufzeigt, wie sich der un-
Sonnenschirme und Tiersilhouetten vor
bzw. am afrikanischen Pavillon
kontrollierte Umgang mit begrenzten Ressourcen auf die Erde
auswirkt. Innovative Lösungsansätze sollen verdeutlichen, welchen
Leitlinien die Stadtplanung künftig
folgen muss. Man verstehe sich da
durchaus als „Dringlichkeitslautsprecher“, so Triad. „Urban Dwellers“, von der Agentur des niederländischen Designers Herman
Kossmann konzipiert, erzählt über
Videoclips die Geschichte von
sechs Familien in aller Welt. „Urban
Beings“ behandelt das Wachstum
der Infrastruktur moderner Städte,
„Urban Dreams“ die Zukunft. In
dem umgebauten Kraftwerk werden
nachhaltige Ansätze für Lösungen
urbaner Probleme wie Wohnraum,
Verkehr, Energieversorgung und
Stadtplanung vorgestellt, außerdem
bereits verwirklichte Innovationen
verschiedener Städte der Welt, darunter Peking, Kobe, Freiburg im
Breisgau, Canberra und San Diego.
Nicht auf der Expo zu sehen sein
wird der chinesische Gegenentwurf
zu Masdar City. Auf der Insel
Chongming soll(te) die erste CO2neutrale Ökostadt Asiens entstehen,
doch wurde das ambitionierte Projekt vor einigen Wochen kommentarlos von der offiziellen Expo-Webseite entfernt.
Nicht kleckern, sondern klotzen.
Entsprechend
präsentiert
sich
Deutschland auf der am 1. Mai in
Shanghai beginnenden Expo. Der
6000-Quadratmeter-Pavillon wird
der größte sein, mit dem sich die
Bundesrepublik jemals an einer
Weltausstellung beteiligt hat. Rund
50 Mio. Euro lässt man sich laut
BMWi (Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie) diese
Präsenz kosten. Damit verbunden ist
die Hoffnung auf einen vielfachen
wirtschaftlichen Gewinn, schließlich
ist China nach den USA der zweitgrößte Absatzmarkt für deutsche
Produkte außerhalb Europas. Diesen
Aspekt unterstrich Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle
(FDP) kürzlich bei der Vorstellung
des Pavillons.
Der deutsche Pavillon trägt den
Namen „Balancity“ – ein Kunstwort
aus „Balance“ und „City“. Transportiert werden soll die Botschaft: Es ist
erstrebenswert, in einer Stadt zu leben, die sich in einem Gleichgewicht
zwischen Erneuern und Bewahren,
Innovation und Tradition, Stadt und
Natur sowie Arbeit und Freizeit befindet. Die bis zum Ende der Expo
am 31. Oktober erwarteten rund acht
Millionen Besucher begeben sich auf
eine Reise, bewegen sie sich zu Fuß,
auf Rollbändern oder Rolltreppen
durch inszenierte, thematisch ausgerichtete Stadträume. Es beginnt am
Hafen, führt durch Gärten und Parks
zu einem Stadtplanungsbüro und einer Fabrik. Der Raum „Hinter den
Kulissen“ zeigt Projekte der deutschen Kunst- und Kulturszene. Den
Abschluss bildet das Kraftwerk, die
Energiezentrale von „Balancity“. Der
kegelförmige Raum gilt als Hauptattraktion des Pavillons, den die Architekten als „dreidimensionale begehbare Skulptur“ beschreiben. Unter
anderem können Besucher in der
Energiezentrale durch Klatschen
und Rufen mittels eines speziellen
Klang-Umwandlungssystems Energie erzeugen und eine hängende 1,2
Tonnen schwere Kugel in Bewegung
setzen. Je stärker die Bewegung, desto farbenprächtiger erscheinen die
von 1500 Leuchtdioden erzeugten
Bilder und Impressionen aus deutschen Städten. Brüderle fasst das Gesamtkonzept
so
zusammen:
„Deutschland zeigt der Welt die
Stadt von morgen.“ Die Architektur
in der Nähe des Pavillons mutet futuristisch an. Das aus 1200 Tonnen
Stahl bestehende Gerippe ist mit einer silbrig glänzenden Membran bespannt, die später – ganz im Sinne
nachhaltigen Denkens – zu Taschen
oder Sonnendächern verarbeitet
werden kann. Und weil bei einem
deutschen Auftritt Kulinarisches
nicht fehlen darf, köchelt das Deutsche Restaurant (450 Plätze) für chinesische Gaumen Exotisches wie
Schweinshaxe oder Sauerbraten.
Deutschland ist aber nicht nur
über den Pavillon vertreten. Freiburg, Bremen, Hamburg und Düsseldorf präsentieren sich mit permanenten, Bonn, Stuttgart und Hannover mit temporären Ausstellungen.
Freiburg etwa erläutert die langjährige nachhaltige Stadtpolitik, die von
der Verkehrsführung bis zur Ansiedlung zahlreicher Firmen aus dem
Umweltbereich reicht. Düsseldorf
nimmt als einzige deutsche Stadt in
der Kategorie „Lebenswerte Stadt“
an der Expo teil, präsentiert sein Modell der Verknüpfung von Wirtschaft, nachhaltiger Stadtentwicklung und Lebensqualität im eigenen
cle
400-Quadratmeter-Pavillon.
Termine 2010
■ Die Nachfolgeversammlungen der
Weltklima-Konferenz in Kopenhagen:
9. bis 11. April in Bonn
31. Mai bis 11. Juni in Bonn
29. November bis 10. Dezember
UN-Klimakonferenz in Cancún (Mexiko)
■ C.L.I.M.A.T.E.-Symposium am 6. Mai
in München zu Energieeffizienz-Projekten und Nachhaltigkeitsstandards.
■ Der von der Bundesregierung berufene Rat für Nachhaltige Entwicklung
trifft sich am 27. September in Berlin
zu seiner Jahreskonferenz. Die wichtigste deutsche Konferenz dieser Art
versammelt mehr als 1000 Fachleute.
■ Die Siegerunternehmen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises werden
im Herbst im Rahmen des 3. Deutschen Nachhaltigkeitstages in Düsseldorf bekannt gegeben. Das Programm
wird im Sommer veröffentlicht.
Alle Angaben ohne Gewähr
IMPRESSUM Eine Veröffentlichung der Tageszeitung DIE WELT Chefredakteur: Jan-Eric Peters Redaktion Sonderthemen Leitung: Astrid Gmeinski-Walter, Klaus Ries (Stellvertr.) Redaktion: Jochen Clemens, Matthias Billand
Produktion und Gestaltung: Elke Kaufmann Anzeigen: Philipp Zwez (verantw.), Stefanie Scheuer [email protected]
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Seite IV/V
Nachhaltigkeit
DIE WELT
Die nachhaltigsten
Spiele der Geschichte
London möchte mit Olympia 2012 neue Maßstäbe setzen
Beim „European Green City Index“,
einer kürzlich erschienenen und
von Siemens beauftragten Studie,
landete London auf Platz elf. 30 europäische Städte wurden dafür in
acht Kategorien nach Ambitionen
und bisher erfolgten Leistungen
analysiert – von CO2-Emissionen
über Luftqualität bis hin zum Umweltmanagement. Ist die britische
Metropole im Spätsommer 2012 in
der Rangfolge geklettert, wäre das
auch ein Verdienst der Olympischen Spiele.
2005 hatte sich London gegen Paris, Madrid, New York und Moskau
durchgesetzt. Überzeugt hatte das –
im wahrsten Sinn – nachhaltige Gesamtpaket. Dazu gehörte auch die
Ankündigung von Chef-Organisator Sebastian Coe, einst ein Weltklasse-Läufer, das derangierte Londoner East End in „ein Sportparadies für die Jugend vieler kommender Generationen“ zu verwandeln.
Aber auch das vollmundige Versprechen, das so gar nicht dem berühmten britischen Understatement entspricht, nichts weniger als
die ersten nachhaltigen Olympischen Spiele der Geschichte zu veranstalten. Dafür sollen insgesamt
sollen bis 2012 rund 17 Milliarden
Pfund Sterling (aktuell knapp 19
Milliarden Euro) investiert werden.
Zentrales Projekt ist der Olympische Park, eine 2,5 Quadratkilometer große, ehemalige kontaminierte
Industriefläche. Zahlreiche Stadien
und Austragungsorte sind dort gelegen, darunter das Aquatic Centre,
die Rad-Arena, die Handball- und
Basketballhallen sowie das Olympic Stadium selbst. Schon während
des vierwöchigen Events soll der
Olympic Park als grünes Rückgrat
der Spiele fungieren, erst recht aber
danach: Für London, das im Vergleich zu anderen Metropolen traditionell über zahlreiche und auch
weitläufige Grünflächen verfügt,
soll hier eine neue dauerhafte Attraktion geschaffen werden. Der
südliche Teil des am Lee situierten
Geländes soll mit Gärten, Märkten,
Cafés, Bars und Veranstaltungen
die (erhoffte) Festival-Atmosphäre
der Spiele konservieren. Der nur 28
FOTOS: PA/DPA
Von Jochen Clemens
■ Nicht
die Ressourcen von
drei Planeten verbrauchen,
so wie es derzeit in
Großbritannien geschieht
Kilometer lange Lee mündet bei
Stratford in die Themse.
Im nördlichen Teil, auf rund 800
Metern zwischen Olympiastadium
und Aquatic Centre, wird es dagegen ruhiger zugehen. Hier wollen
die Planer seltenen und bedrohten
Tierarten, darunter Eisvogel und
Otter, Refugien schaffen, aber auch
der über viele Jahrhunderte gewachsenen britischen Passion für
herrliche Gartenanlagen frönen.
Zu diesem Zweck wurde und
wird das ehemalige Industriegelände mit rund 2000 handverlesenen
Bäumen, vor allem heimischen
Eschen, Weiden, Birken, Haselnussund Kirschbäumen, Platanen, Linden, Erlen und Pappeln, bestückt.
Ein Auswahlkriterium: Die jungen
Bäume wurden als geeignet erachtet, möglichen Auswirkungen zukünftiger klimatischer Veränderungen zu trotzen. Dazu kommen mehr
als 300 000 Pflanzen, die sich in
Feuchtgebieten wohlfühlen. Mit
diesen Flächen- und Stückzahlen
sowie der Vielfalt von rund 250 verschiedenen Pflanzen- und Baumarten soll der Olympic Park zur größten innerstädtischen Kultur-Flusslandschaft der Insel werden.
Die Sportanlagen, Arenen und
Stadien sollen nach den Spielen sowohl von der Öffentlichkeit und lo-
Die Tower Bridge, eines der Wahrzeichen Londons, steht schon ganz im Zeichen der
Olympischen Spiele (o.). Im Aquatic Center finden die Schwimmwettbewerbe statt
kalen Vereinen als auch von Spitzensportlern genutzt werden. Das
olympische Dorf soll umgestaltet
werden und (noch zusätzlich zu errichtenden) Wohnraum für die Bevölkerung bieten. Explizit genannt
werden Berufsgruppen wie Lehrer
und Krankenschwestern – für die
ist es aufgrund der im Verhältnis
bescheidenen Einkommen und hohen Lebenshaltungskosten schon
seit geraumer Zeit nahezu unmöglich, in den innerstädtischen Bereichen
Londons
angemessenen
Wohnraum zu finden.
Die offizielle Homepage der
Olympischen Spiele (www.london2012.com) räumt dem Thema
Nachhaltigkeit breiten Raum ein
und erklärt, dass der Ansatz weit
über „nur grün sein“ hinausgehe
und auf dem World Wide Fund for
Nature (WWF)/BioRegional-Konzept „One Planet Living“ basiere.
Man sieht die Spiele als „Katalysator für Veränderungen“ und hofft
darüber, unter anderem zu vermitteln, dass man mit den limitierten
Ressourcen der Erde haushalten
muss, anstatt die „Ressourcen von
drei Planeten zu verbrauchen, so
wie es derzeit in Großbritannien
geschehe“.
Der Nachhaltigkeitsplan beruht
insgesamt auf fünf Schlüsselaussagen: Minimierung der Treibhausgas-Emissionen, Abfall-Minimierung während jeder Phase der Spiele und Anstöße geben für eine neue
Abfallverwertungsstruktur im East
End, der Minimierung der Beeinträchtigung von Flora und Fauna
und dem Schaffen nachhaltiger
Strukturen (z. B. Olympic Park), der
Werbung für den Standort London
und dem Schaffen neuer Jobs und
schließlich Menschen zu inspirieren, gesünder zu leben.
Beim Bau der Sportanlagen wird
genau darauf geachtet, dass möglichst umweltfreundliche Baustoffe
verwendet werden; eine gute Gelegenheit, ebenso unkonventionelle
wie geniale Ideen umzusetzen. Eine
davon trägt das Olympiastadion
mit, das zum Teil aus recycelten Gewehren und Messern errichtet
wird. Allein 2009 hat die Londoner
Metropolitan Police 52 Tonnen
Schusswaffen und Messer konfisziert, die eingeschmolzen und verkauft wurden, in diesem Fall an die
Bauherren des Stadiums in Stratford. Die Polizei hat noch eine weitere nachhaltige Idee: Zusätzlich zu
den unzähligen Überwachungskameras im Land soll gefühlte Sicherheit demnächst auch über Drohnen,
also fernsteuerbare, mit Kameras
ausgestattete Flugapparate, gewährleistet werden. Laut der Tageszeitung „Guardian“ laufe ein dementsprechendes Projekt. In den Unterlagen für die Lizenzvergabe wurden als Anwendungsgebiete die
Sicherung aller Arten von Großveranstaltungen genannt, aber auch
explizit die Überwachung von Verkehrsrowdys oder Umweltsündern,
die etwa ihren Müll nicht wie vorgeschrieben entsorgen.
Masdar
Die Traumstadt der
Von Jochen Clemens
B
Der Chef des Staatskonzerns
Masdar: Sultan al-Jaber
In der Wüste der
Vereinigten
Arabischen
Emirate entsteht
ein Utopia der
Nachhaltigkeit:
Masdar City soll
zu 100 Prozent
klimaneutral
funktionieren.
Doch das Projekt
verzögert sich
islang lief alles wunschgemäß, doch zwei Jahre nach
der
Grundsteinlegung
müssen die Planer erste
Abstriche bei ihrem ebenso ehrgeizigen wie einzigartigen Projekt Masdar City machen. Die Fertigstellung der klimaneutralen Ökostadt
in der Wüste rund 30 Kilometer östlich
von Abu Dhabi (Vereinigte Arabische
Emirate) verzögert sich signifikant. Eigentlich sollte die nachhaltige Mustersiedlung für 50 000 Menschen 2016 fertiggestellt werden, um dann quasi unter Freiluftlaborbedingungen eine
emissionsfreie, sich ausschließlich
über regenerative Energien versorgende Stadt auf ihre Funktionalität zu
überprüfen – und herauszufinden, ob
Menschen langfristig bereit und überhaupt in der Lage sind, ihre Lebensweise auf ökologisch-nachhaltige Erfordernisse abzustellen.
Dieses Zeitziel war bereits einmal
verschoben worden – auf 2020. Doch
kürzlich musste der Bauherr, die Abu
Dhabi Future Energy Corporation, einräumen, dass sich die Fertigstellung
von Masdar City bis weit in die 2020erJahre ziehen werde. Nachdem das
Staatsunternehmen jetzt auch zwei
seiner führenden Köpfe verloren hat –
sowohl der Leiter Immobilienentwicklung als auch der Chef von Masdar
Energy sind ausgestiegen –, geht der
mächtige Masdar-Boss Sultan al-Jaber
nun mit seinem Ökostadtprojekt in
Klausur. „Sechs bis acht Wochen“
Denkpause hieß es Anfang März – und
auch, dass die Abgänge über einen
Zeitraum von fünf Monaten vorbereitet gewesen seien. Was wirklich stutzig
macht, ist der Satz, dass Masdar in dieser Zeit auch auf seine finanzielle
Machbarkeit überprüft werden soll. Im
Mittelpunkt steht dabei wohl die Beantwortung der Frage, wann und ob
sich Investitionen bezahlt machen.
Zuletzt waren die Baukosten für
Masdar City mit rund 22 Milliarden
US-Dollar beziffert worden, und es
bleibt abzuwarten, ob sich diese Summe bei der Revision der ursprünglichen Pläne nicht explosionsartig erhöht, denn ein vergleichbares Bauvorhaben existiert nicht.
Das Projekt selbst stünde nicht zur
Debatte. Masdar werde in jedem Fall
fortgesetzt, bekräftigte das Unterneh-
men. „Alle Proje
sionäre wie Ma
ständige Überpr
klärung für die D
le man sicherste
wirksamsten En
Zukunft liefert“.
Bauabschnitt mi
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Auch an der Zah
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Anzeige
unlocking
the clean revolution
+
& urbanes Leben
Mittwoch, 31. März 2010
Hamburg schmückt sich mit dem
Titel „Grüne Hauptstadt Europas“
ekte, und erst recht viasdar, erfordern eine
rüfung“, lautet die ErDenkpause. Damit wolllen, dass „Masdar die
ergielösungen für die
Immerhin: Der erste
it dem Hauptquartier,
ge Masdar sowie dem
ence and Technology,
hschule, die sich ausdem Thema NachhalBasis regenerativer
äftigt, soll termingefertiggestellt werden.
hl von rund 90 000 Ard festgehalten.
Ebenso steht fest: Die Ökostadt wird
Sitz der Internationalen Agentur für
Erneuerbare Energien (Irena). Hier
hatte sich Masdar gegenüber Bonn
durchgesetzt, das nicht annähernd mit
den großzügigen Offerten der Ölscheichs mithalten konnte. Die Startkosten von 136 Mio. Dollar wollen die
Emirate tragen, dazu die Irena-Projekte
mit 50 Mio. Dollar pro Jahr fördern.
Trostpreis für Bonn: Die Ex-Bundeshauptstadt wird Heimat eines Irena-Innovations- und Technologiezentrums.
Welche Ergebnisse die Revision auch
immer bringen mag, eines ist klar: Es
geht um den Rahmen, nicht um den Inhalt. Masdar wird als reine Ökostadt
Animierte Einblicke in
die Masdar-Zukunft.
Das Gefährt (kleines
Foto rechts) ist eine
der fahrbaren Kabinen
des geplanten personalisierten öffentlichen Schienennahverkehrs
realisiert, soll kein Kohlendioxid produzieren und ausschließlich über regenerative Energien versorgt werden – zu
90 Prozent über Fotovoltaik. Für Autos
ist kein Platz. Mobilität gewährleistet
ein personalisiertes öffentliches Schienentransportsystem, das die Ökostädter in fahrbaren Kabinen an jeden Ort
der Stadt bringen soll. Kein Punkt der
auf sechs Quadratkilometer ausgelegten Stadtfläche werde mehr als 200 Meter von einer Haltestelle entfernt liegen, so sehen es zumindest die derzeitigen Pläne vor. Ein weiterer wesentlicher Baustein ist konsequentes
Recycling, mit dem Masdar nahezu abfallfrei gehalten werden soll.
Dem Anspruch der Klimaneutralität
kommt die arabische Bauweise entgegen: Eng gestellte, niedrige Häuser halten die Planer, zu denen allen voran das
Büro des britischen Star-Architekten
Norman Foster zählt, für die beste Lösung, um das heiße Wüstenklima erträglich gestalten zu können. Ganz
nach dem Motto: je weniger Sonne einfällt, desto geringer die Temperaturen
– und der Bedarf, Gebäude mit hohem
Energieaufwand herunterkühlen zu
müssen. Für die „Restkühlung“ sollen
unter anderem die im arabischen
Raum bewährten Windtürme sorgen
(siehe dazu auch Seite 7), natürlich im
zeitgemäßen Design. Allein durch regenerative Energien gespeiste „Modern Wind Towers“ übernehmen diese
Aufgabe. Als weitere Wohlfühl-Elemente sind Frischluftkorridore und
Parkanlagen vorgesehen. Foster hat als
Ziel ausgegeben, den Energieverbrauch von Masdar gegenüber Städten
vergleichbarer Größe um 75 Prozent
geringer zu halten. Beteiligt am ÖkoUtopia in der Wüste ist ein Who’s who
internationaler Firmen und Institutionen, darunter auch eine Reihe deutscher Unternehmen wie Siemens,
BASF und RWTH Aachen.
Für die Verwirklichung des Gesamttraums ebenso wie einzelner Ziele –
unter anderem soll Masdar dazu beitragen, den Anteil der erneuerbaren
Energien an der Stromproduktion in
Abu Dhabi bis 2020 auf sieben Prozent
zu erhöhen, versprach Sultan al-Jaber –
setzt der Staatskonzern nicht zuletzt
auf deutsche Technik und Ingenieurskunst. Ganz speziell möchte man sich
diese bei der erhofften Eroberung des
Weltmarktes für Sonnen- und Windenergie zunutze machen.
Ein Mosaiksteinchen ist
Masdar PV, ein junges, 2008 gegründetes Unternehmen, das sich mit
Fotovoltaik-Lösungen befasst. Masdar
PV in Ichtershausen bei Erfurt, mitten
im „Solarvalley Mitteldeutschland“, ist
eine 100-prozentige Tochter des Staatskonzerns. Die Belieferung der Wüstenstadt, auf deren Dächern unglaubliche
300 Millionen Quadratmeter für Solarpaneele reserviert sind, füllt aber nur
einen relativ geringen Teil des Produktionsvolumens aus. Rund 30 Prozent,
sagt Geschäftsführer Rainer Gegenwart. Und es sei kein Geschenk ohne
Gegenleistung: „Wir müssen für Masdar City genauso konkurrenzfähig arbeiten wie für andere Projekte und Auftraggeber auch.“ Die Erfurter Firma ist
in kürzester Zeit auf Hochtouren gekommen und hat derzeit 170 Beschäftigte. Im Vier-Schicht-System wolle man
sich auf 210 Mitarbeiter steigern, sagt
Gegenwart. „Weiteres Wachstum kann
marktangepasst
erfolgen,
unsere
Grundstücksfläche können wir bei Bedarf verdoppeln.“
Unterdessen atmet die gesamte
Branche hierzulande auf, denn die
drastische Kürzung der Solarfördermittel ist erst einmal vom Tisch. Es
wird neu verhandelt. „Wir sind froh,
dass die Stimme der Solarindustrie
doch noch gehört wurde“, so Gegenwart. „Jetzt besteht die Möglichkeit,
dass die Regierung auch die Unternehmen mit an den Verhandlungstisch
holt. Wir brauchen Planungssicherheit, um den Technologievorsprung
und damit den Solarstandort Deutschland zu erhalten.“ Die geplante Reduktion um 16 Prozent hätte laut Experten
bis zu 60 000 Arbeitsplätze gefährdet.
für eine bessere Umweltpolitik.
„Wir haben den Schwerpunkt unserer Bewerbung nicht darauf gelegt,
was wir schon geschafft haben, sondern wo wir hinwollen. Der Preis ist
eine Verpflichtung für eine bessere
Umweltpolitik.“ Hamburg habe „in
den vergangenen Jahren und in der
Gegenwart große Leistungen erbracht und hat auf der ganzen
Bandbreite exzellente Umweltstandards erreicht. Die Stadt hat sehr
ehrgeizige Pläne für die Zukunft,
die zusätzliche Verbesserungen
versprechen“, lobte denn auch die
Wettbewerbsjury. Indes, nicht jeder
mag dieses Urteil teilen. Neben der
politischen Opposition in der Bürgerschaft sind es Umweltverbände,
die Einspruch erheben. Der Naturschutzbund bezeichnete den Preis
gar als „Witz“. Es müsse noch viel
passieren, bis die Stadt diesen Titel
wirklich verdiene, meinte Hamburg-Geschäftsführer Stephan Zirpel. Offenbar habe es keine Rolle
gespielt, dass Hamburgs Klimaschutzkonzept durch den Bau des
Kohlekraftwerks Moorburg konterkariert werde. Mit der geplanten
Vertiefung der Elbe steht neuer
Matthias Billand
Streit ins Haus.
Senatorin Anja Hajduk und EU-Kommissar
Janez Potocnik bei der Preisverleihung
Lernen gegen den Klimawandel:
Am 4. Juni online gehen
Klima und Nachhaltigkeit ist ein
Schwerpunktbereich
der
Forschung und Lehre an der Hochschule für Angewandtes Wissen in
Hamburg (HAW). Die Veranstalter
der inzwischen etablierten OnlineKlimakonferenz – die dritte ist für
den 1. bis 7. November 2010 angesetzt – klinken sich am 4. Juni mit
dem zweiten „Europäischen KlimaTeach-In-Tag“ an den „World Climate Teach-in-Day“ an, der einen
Tag später Aufmerksamkeit generieren soll. Ideengeber und Initiator
der Europa-Variante ist Walter Leal,
Koordinator der Online-Konferenz
und Leiter der HAW-Fakultät „Applications of Life Sciences“. Anliegen der Online-Bildungsinitiative
in Sachen Nachhaltigkeit ist es, „das
Bewusstsein für ein globales Problem, den Klimawandel, zu stärken“. Dabei, so Leal, sei es notwendig, verstärkt junge Menschen anzusprechen – „die Fachleute und
Problemlöser von morgen“. Deshalb ist der „Europäische Klima-Teach-In-Tag“ ganz speziell auf Schüler in höheren Klassenstufen sowie
Studenten zugeschnitten.
Am 4. Juni werden auf der Internetseite des Teach-in-Tages in PDFForm rund 40 Beiträge von namhaften Wissenschaftlern, Experten
und Organisationen abrufbar sein.
Schulen und Hochschulen können
die Dateien herunterladen und im
Unterricht einsetzen. Die „virtuelle, zielgruppengerechte Bereitstellung wissenschaftlicher Information“ will einen wichtigen Beitrag
leisten, „die Diskussion über den
Klimawandel an Schulen und
Hochschulen in ganz Europa zu fördern“, sagt Leal. Unter den Beiträgen finden sich „Producing Food
for the World Under a Changing
Climate“ der Welternährungsorganisation (FAO), „Psychologie und
Klimawandel“, eine norwegische
Studie, eine Präsentation aus Nigeria über Mechanismen für verbesserte Holzproduktion sowie zwei
Fallstudien aus Oregon (USA), die
Leitfäden nachhaltigen Handelns
für Kommunen geben.
Weitere Informationen unter
www.world.climateday.net und
cle
www.climateday.eu
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www.theclimategroup.org
r Ökoscheichs
Traumhafte Lage:
So stellen sich die
Planer, zu denen auch
das Büro von Norman
Foster zählt,
den Anblick von
Masdar City vor
Vor gut einem Jahr hat die EU-Kommission Hamburg als „Grüne
Hauptstadt Europas 2011“ ausgezeichnet. Der Titel, mit dem sich im
laufenden Jahr das schwedische
Stockholm schmückt, wurde in Anlehnung an das erfolgreiche Programm „Kulturhauptstadt Europas“
ins Leben gerufen. Weil 80 Prozent
der Europäer in einem städtischen
Umfeld wohnen, ist die Verbesserung der urbanen Lebensqualität
zentrales Anliegen der noch jungen
EU-Initiative. Die Auszeichnung
solle Städten (bewerben können
sich Kommunen mit mehr als
200 000 Einwohnern) Anreize bieten, Ideen und Erfahrungen in einem freundschaftlichen Wettstreit
zu vernetzen, heißt es dazu in Brüssel. Bewertet werden in einem Scoring-System Faktoren wie die lokalen Anstrengungen gegen negative
Begleiterscheinungen des Klimawandels, der öffentliche Nahverkehr, das Angebot an Grünflächen,
Naturschutz, Ressourcenverwendung und viele weitere.
Unter den 35 Bewerbern für 2011
lag Hamburg in einigen Feldern, etwa Klimawandel oder Abfallmanagement, vorn, in anderen leicht hinter den „Hauptkonkurrenten“ Oslo,
Kopenhagen und Amsterdam. Bei
der Gesamtpunktzahl setzte sich
die Hansestadt (aus Deutschland
hatten darüber hinaus noch Freiburg und Münster teilgenommen)
gegen sieben weitere Kommunen
im Finale durch.
Geld gibt es für die Sieger-Stadt
zwar keines. Aber ein Imagegewinn
ist mit dem Preis auf jeden Fall verbunden. Anja Hajduk, Senatorin für
Stadtentwicklung und Umwelt der
schwarz-grünen Landesregierung,
sah in einer ersten Reaktion in der
Auszeichnung eine Verpflichtung
FOTO: PA/DPA
r
ANIMATIONEN/FOTOS: HILL AND KNOWLTON/MASDAR (5); PA/DPA
Umweltkonzept überzeugt EU, doch es gibt Kritik
+
Seite VI
Nachhaltigkeit & urbanes Leben
DIE WELT
Mittwoch, 31. März 2010
Neue Werte
bei der
Geldanlage
Der Finanzkrise sei Dank: Ökologische
und ethische Aspekte werden wichtiger
FOTO: REUTERS
Brasiliens
Umweltminister
Carlos Minc
(r.) und Präsident Lula da
Silva kämpfen
u. a. für eine
nachhaltige
Nutzung des
Regenwaldes.
Vielleicht ein
Projekt, das
Ökobanken
fördern können
D
ie Zahlen sprechen
eine klare Sprache: 33
Prozent Wachstum
verzeichnete die GLS
Bank im vergangenen
Jahr bei der Bilanzsumme, insgesamt waren es 1,35 Milliarden Euro.
Für 2008 rechnet die Ökobank mit
einem erneuten Plus von knapp 40
Prozent. Die Zahl der Kunden erhöhte sich dabei um 11 000 auf nunmehr 73 000.
Ähnliche Daten lieferte jüngst
auch die auf Ökoprojekte spezialisierte Nürnberger Umweltbank:
Die Bilanzsumme kletterte um 29
Prozent auf 1,50 Milliarden Euro.
Die Kundenzahl stieg um 10 000 auf
80 000. Ein Ende dieses Booms sei
nicht in Sicht, teilte die Bank mit.
Der Trend ist eindeutig: Immer
mehr Menschen legen bei der Geldanlage Wert auf das Thema Nachhaltigkeit. Ob Umweltsparbuch, Tagesgeld oder Girokonto – auch bei
normalen Bankgeschäften achten
die Bundesbürger stärker auf ökologisch orientierte und ethisch korrekte Angebote. Der Grund liegt auf
der Hand: Die Finanzkrise hat gezeigt, dass viele Banken mit den
Geldern ihrer Kunden nicht verantwortungsbewusst umgehen und
zum Teil in hochriskante Produkte
investieren. Viele Kunden interessieren sich daher jetzt vermehrt dafür, wo die Gelder angelegt werden.
„Das nachhaltige Denken ist ein
langfristiger Trend. Die Finanzkrise
hat in vielen Teilen der Bevölkerung auch hinsichtlich der Geldanlage einen Bewusstseinswandel
ausgelöst“, sagt Georg Schürmann,
einer der beiden Geschäftsleiter
der Triodos Bank Deutschland. Die
Bank, die 1980 als unabhängiges
Geldinstitut in den Niederlanden
gegründet wurde, ist neu auf dem
deutschen Markt und hat erst Ende
vergangenen Jahres eine Niederlassung in Frankfurt eröffnet. Triodos
will sich als weitere Ökobank neben
GLS, Umweltbank, der Ethikbank in
Thüringen – einer Zweigniederlassung der Volksbank Eisenberg –
■ Kunden
für Ökobanken:
Eine Studie nennt ein
Potenzial von rund zwölf
Mio. Verbrauchern bis 2020
und der ebenfalls noch recht neuen
Noa Bank hierzulande etablieren.
„Der Titel Ökobank greift für die
Triodos Bank zu kurz“, betont
Schürmann. „Wir decken vielmehr
alle Kriterien der Nachhaltigkeit ab,
nicht nur den Umweltaspekt.“ Triodos ist im Bereich Privatkunden Ende 2009 als Direktbank mit zwei
Produkten an den Start gegangen –
einem Tagesgeldkonto und einem
Sparplan. „Immer mehr Menschen
wollen nicht nur eine finanzielle
Rendite, sondern darüber hinaus
auch einen Mehrwert, eine ökologisch-soziale Rendite“, sagt Schürmann. Davon habe auch Triodos
mit einem kräftigen Kundenwachstum profitiert. Konkrete Kundenzahlen für Deutschland veröffentlicht Triodos aber noch nicht, nur
so viel: „Wir sind sehr zufrieden“,
so Schürmann.
„Die Leute legen bei uns ihr Geld
in Höhe von wenigen Hundert Euro
bis hin zu sechsstelligen Beträgen
an.“ Wahrscheinlich im Herbst soll
das Angebot zunächst um nachhaltige Investmentfonds aus dem Hau-
se Triodos ergänzt werden. Anfang
2011 soll ein Girokonto hinzukommen. „Wir wollen langfristig für unsere Kunden die Rolle einer Hausbank spielen können“, sagt Schürmann. Im Vergleich zu den traditionellen Bankhäusern bieten die
Ökobanken zwar keine attraktiveren Zinssätze oder weitreichendere
Produktangebote, das Kreditgeschäft hingegen ist deutlich transparenter. So können die Kunden auf
den Internetseiten der Banken beispielsweise nachsehen, wem die
Bank Kredit gibt.
„Andere Banken versuchen teilweise nun auf den Zug aufzuspringen und bieten ebenfalls grüne Produkte an“, sagt Arno Gottschalk, Finanzberater bei der Verbraucherzentrale Bremen. „Diese Angebote
■ Die
Finanzkrise zeigte:
Viele Banken gehen mit
Kundengeldern nicht
verantwortungsbewusst um
sind aber marketinggetrieben.“
Gottschalk führt das große Interesse an Ökobanken auf das gestiegene
Sicherheitsbedürfnis der Anleger
zurück. „Viele, die nachhaltig anlegen, wollen als Erstes ihr Geld sicher verwahrt wissen. Erst im zweiten Schritt geht es ihnen um
ethisch, ökologisch und soziale
Faktoren“, so Gottschalk.
Trotz des großen Runs haben die
in Deutschland tätigen Ökobanken
mit einem Kundenstamm von nur
wenigen Hunderttausend bislang
aber nur einen Bruchteil des Marktes erschlossen. Das kann sich aber
schnell ändern. Nach Einschätzung
der Beratungsgesellschaft zeb wird
das Segment weiter kräftig wachsen: Einer aktuellen Studie zufolge
geht zeb von einer Ausweitung des
Kundenpotenzials für Ökobanken
auf zehn bis zwölf Millionen Verbraucher bis zum Jahr 2020 aus.
Zumal es auch weitere Player
gibt. Denn auch einige kirchliche
Banken haben ihr Geschäftsmodell
konsequent nachhaltig ausgerichtet, etwa die Evangelische Kreditgenossenschaft EKK in Kassel und die
KD-Bank, die Bank für Kirche und
Diakonie. „Wir wollen dem Beratungsnotstand entgegentreten und
bieten Transparenz und faire Betreuung“, wirbt Ekkehard Thiesler,
Vorstandsvorsitzender der KDBank, für sein Haus.
Auf das Thema Mikrofinanz setzt
Oikocredit, eine genossenschaftliche Finanzierungseinrichtung, die
zur Entwicklungsförderung Kredite und Kapitalbeteiligungen für Mikrofinanzinstitutionen, Genossenschaften und kleine und mittlere
Unternehmen in Entwicklungsländern bereitstellt. Mikrokredite –
das sind Darlehen zwischen zehn
und einigen Hundert Euro – gelten
als äußerst effiziente Strategie zur
Armutsbekämpfung. Denn sie geben vielen benachteiligten Menschen die Chance, sich aus eigener
Kraft eine Verdienstmöglichkeit
schaffen zu können.
Ab 200 Euro können Anleger Genossenschaftsanteile kaufen, sich
also an Oikocredit beteiligen. Jährlich wird eine Dividende in der Höhe von maximal zwei Prozent ausgezahlt. Das ist zwar nicht gerade
viel. Aber wie war das doch gleich?
Immer mehr Anleger wollen wissen, was mit ihrem Geld passiert.
Die Rendite spielt da oft nur eine
zweitrangige Rolle.
FOTO: PA/EMPICS/KIRBY
Von Heino Reents
Wer ethisch und umweltpolitisch korrekt anlegen will, hat viele Möglichkeiten. Die Zahl der „grünen“ Fonds steigt. Noch ist die Nachfrage im Privatkundensegment marginal, doch deutliche Steigerungen werden erwartet
Nachhaltige Investments liegen im Trend
Experten erwarten, dass Zahl und Volumen von Öko-Dachfonds weiter steigen wird
Von Heino Reents
Mehr, immer mehr. Das Streben
nach kurzfristiger Gewinnmaximierung und die unstillbare Gier
vieler Investoren war ein wesentlicher Auslöser für die Finanzkrise.
Was bei vielen Anlegern geblieben
ist, ist das Bewusstsein, dass es bei
der Geldanlage noch etwas anderes gibt als Rendite: Nachhaltigkeit. Dass ökologisches, soziales
und ethisches Investieren immer
beliebter wird, verdeutlicht der
Blick auf die Statistik: Ende vergangenen Jahres erreichten nachhaltige
Publikumsfonds
im
deutschsprachigen Raum laut Angaben des Sustainable Business Institute ein Gesamtvolumen von 30
Milliarden Euro und damit neun
Milliarden Euro mehr als noch
2008. „Nachhaltige Kapitalanlagen
und Investments in artverwandte
Themen entsprechen zunehmend
mehr dem Zeitgeist und liegen im
Trend“, erklärt Björn Drescher, Geschäftsführer des unabhängigen
Fonds-Informationsdienstes Drescher & Cie mit Sitz in Sankt Augustin.
Einer der Klassiker im Bereich
der breit streuenden nachhaltigen
Aktienfonds ist der Pioneer Global
Ecology. Fondsmanager Christian
Zimmermann investiert weltweit,
schließt dabei aber Firmen aus, die
gegen Menschen- und Arbeitsrechte verstoßen, Waffen oder
Drogen produzieren. Unterstützung erhält er bei der Suche von
der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Münchner Ratingagentur Oekom. Über drei Jahre, fünf Jahre
und seit seiner Auflage im Jahr
1990 schlug der Fonds seinen Vergleichsindex MSCI World. Selbst
im globalen Katastrophenjahr
2008 schnitt der Fonds besser ab
als der Gesamtmarkt.
Zu den etablierten Produkten
zählt auch der Swisscanto Equity
Green Invest. Der Fonds wurde gemeinsam mit dem WWF Schweiz
aufgelegt und investiert unter Einhaltung strenger Ausschlusskriterien, die ein Umweltbeirat überwacht. Auch der Ökovision Classic
ist hierzulande ein bekannter und
erfolgreicher
Nachhaltigkeitsfonds. Er investiert vorwiegend in
kleinere und mittlere Unternehmen, die in ihrer jeweiligen Branche und Region unter ökologischen und ethischen Aspekten führend sind und die größten Ertragsaussichten besitzen.
Neben den klassischen Nachhaltigkeitsfonds wächst auch die Palette der Themen- und Branchenfonds beständig. Dazu zählen Klimawandelfonds ebenso wie Neue
Energien- und Umwelttechnologiefonds, wobei die Grenzen des
Anlageuniversums auch hier stark
verwischen. „Es ist übrigens ein
weitverbreiteter Irrglaube, dass
Klimawandel- und Umwelttechno-
■ Nachhaltige
Kapitalanlagen
entsprechen zunehmend
mehr dem Zeitgeist
und liegen im Trend
Björn Drescher
logiefonds auch nachhaltig gemanagt sein müssen. Sie werden aber
in die Kategorie mit eingeordnet“,
erläutert Fondsexperte Drescher.
Eine der größten Themenfonds
ist der DWS Klimawandel, der vor-
wiegend in Small- und Mid-Caps
investiert. Nach dem Stock-Picking-Prinzip sucht Nicolas Huber
die besten Hersteller umweltfreundlicher Technologien, Erzeuger erneuerbarer Energien sowie
Unternehmen aus dem Bereich Katastrophenschutz. Dabei sind die
Auswahlkriterien weit gefasst: Nur
ein Fünftel des Umsatzes müssen
Unternehmen mit dem Thema Klimaschutz erzielen, um sich für das
Portfolio zu qualifizieren.
Weil das Angebot an nachhaltigen
Investmentfonds steigt, wächst auch
die Zahl der entsprechenden Dachfonds. Sie haben durch das größer
werdende Universum deutlich mehr
Anlagemöglichkeiten. Der BHF Sustain Select setzt auf Aktien- und
Rentenfonds, die nach Nachhaltigkeitskriterien gemanagt werden. Die
So investieren Anleger in grüne Investmentfonds (Auswahl)
N am e
A u fl age
Ausgabeaufschlag
laufendes
Jahr in %
ManagementGebühr
in %
Performance
1 Jahr
in %
Performance
3 Jahre
in %
ISIN
Breit streuende Nachhaltigkeits-Aktienfonds
Invesco Umwelt- und Nachh.
Öko-Aktienfonds
Swisscanto Green Invest
Ökovision Classic
Sarasin OekoSar Equity Global
Pioneer Global Ecology
iShares DJ Sustain. ETF
Allianz-dit Global Ecotrends A
18.10.1990
01.10.1999
10.11.1998
02.05.1996
30.09.2005
30.04.1990
11.12.2006
03.05.2006
5,00
5,00
5,00
5,00
5,00
5,00
0,00
5,00
1,50
1,50
2,00
1,76
1,75
1,50
0,42
2,00
53,44
47,50
50,20
41,62
46,83
44,86
48,76
29,56
–15,27
–16,50
–26,80
–32,60
–15,34
–21,10
–24,33
–24,76
DE0008470
LU0037079
CH0009074
LU0061928
LU0229773
LU0271656
DE000A0F5
LU0250028
23.09.2003
30.03.2007
14.05.2007
29.06.2007
27.12.2006
15.01.2007
28.02.2007
13.12.2001
06.04.2001
5,00
5,00
5,00
5,26
3,75
5,00
5,00
5,00
5,00
1,50
0,80
2,40
1,50
1,75
1,50
1,45
1,65
1,75
99,89
61,26
54,18
57,23
55,39
38,37
38,29
33,00
21,73
11,80
–
–
–
–34,97
–8,97
–29,34
–24,93
–29,05
LU0175571
LU0280770
LU0280430
LU0306804
DE000DK0E
DE000A0KE
DE000DWS0
LU0138258
LU0124384
Themenfonds
SAM Smart Energy
SAM Sustainable Climate
Pictet Clean Energy
Schroders Global Climate Change
Deka Umweltinvest
LBBW Global Warming Strategie
DWS Klimawandel
Vontobel Gl. Trend New Power
BGF New Energy Fund
QUELLE: COMDIREKT, STAND: 18.3
+
Auswahl steuert das Fondsmanagement flexibel, wobei der Aktienfondsanteil maximal 70 Prozent betragen darf. Für Anleger interessant
ist, dass die BHF anders als Wettbewerber nur dann eine Verwaltungsvergütung kassiert, wenn ihr Dachfonds im Jahr mindestens fünf Prozent an Wert zulegt. Zudem ist der
Ausgabeaufschlag niedriger.
Auch die DekaBank hat zum
Thema Nachhaltigkeit seit Anfang
2009 zwei Dachfonds im Programm. Zum einen den DekaSelect
Nachhaltigkeit Chance (Aktienfondsanteil bis zu 100 Prozent) sowie die Variante Wachstum (bis zu
60 Prozent Aktienfondsanteil), die
Anfang 2009 aufgelegt wurden.
Den Schwerpunkt des Portfolios
bilden
Nachhaltigkeitsoder
Ethikfonds. Ergänzend werden
Themenfonds aufgenommen, die
in Anlagethemen wie Umwelttechnologie, erneuerbare Energien,
Wasser oder Mikrofinanz investieren. Einen recht breiten Ansatz
fährt auch der Warburg ZukunftStrategie Nachhaltigkeit, ein Klassiker unter den Öko-Dachfonds.
Das Fondsmanagement investiert
neben den konventionellen Anlageklassen wie Anleihen und Aktien
auch in Mikrofinanzfonds.
Experten erwarten, dass Zahl
und Volumen der Öko-Dachfonds
weiter steigen wird, denn die Produkte versprechen Anlegern weniger Arbeit bei der Suche nach grünen und ethisch einwandfreien Investments. „Die Nachfrage von
Kunden im Segment nachhaltiger
Finanzprodukte ist im Privatkundensegment derzeit noch eher gering; wir sind allerdings davon
überzeugt, dass die Produkte in der
Zukunft eine deutlich höhere Bedeutung erhalten werden“, sagt
Dirk Degenhardt, Leiter Produktmanagement der DekaBank.
Nachhaltigkeit & urbanes Leben
Mittwoch, 31. März 2010
DIE WELT Seite VII
Das Geheimnis der grauen Energie
FOTO: PA/DPA
FOTO: REINIG
Dachbegrünung kühlt Innenräume. Vertrocknet sie, wird es aber noch heißer
Die blaue Färbung in der Thermografie-Aufnahme eines Passivhauses zeigt, dass das Gebäude keine Wärme nach außen abgibt. Mehr Haustechnik als Dämmung kann aber die Ökobilanz verbessern
der Wärmeenergie durch die Hülle
und den Rest beim Lüften. Bei einem nach der gültigen Energiesparverordnung gebauten Haus
verschwinden dagegen noch 60 bis
70 Prozent der Energie durch die
Hülle, bei Passivhäusern ist es sogar nur noch die Hälfte. Das klingt
zunächst sehr gut, hat aber bei genauerem Hinschauen gleich zwei
Haken: Bei jedem Schritt steigt die
benötigte graue Energie viel stärker, als der Energieverbrauch im
Gegenzug sinkt. Und während sich
der Anteil der durch die Gebäudehülle verlorenen Energie verringert, steigt im gleichen Maß der
beim Lüften verlorene Anteil.
Da drängt sich eine Frage auf: Erreicht man nicht irgendwann den
Holz hat bessere Klimabilanz als Stein
Passivhaus halb-halb: Ein reiner Holzbau
verbessert die Klimabilanz erheblich
■ Wenn der Architekt Taco Holthuizen vor allem auf Holz als Baumaterial setzt, denkt er dabei ebenfalls an
die graue Energie, die in jedem Gebäude steckt. Eine Tonne Holz enthält
nämlich rund 1,85 Tonnen Kohlendioxid, die der Wald aus der Luft
geholt hat und die so dem Klima
entzogen werden, solange der Holzbau steht. Ein Massivhaus mit einer
Wohnfläche von 210 Quadratmetern
verursacht so 86 Tonnen Kohlendioxid mehr als ein ähnlich großes
Holzhaus. Bei einem Passivhaus wird
dieser Effekt bisher nicht mitgerechnet, für die Klimabilanz aber wirkt er
sich sehr positiv aus.
RHK
Punkt, an dem eine Investition in
die Haustechnik, die zum Beispiel
Energieverluste beim Lüften verringert, viel mehr bringt als zusätzliche Dämmschichten? Taco Holthuizen hat nachgerechnet und
zeigt, dass dieser Punkt oft genug
bereits beim Passivhaus längst
überschritten ist. Daraus wiederum folgt: Eine gute Dämmung ist
zwar Voraussetzung für ein Haus
mit niedrigem Energieverbrauch.
Statt die Dämmung aber immer dicker zu machen, bringt es für Geldbeutel und Klima mehr, wenn man
ab einer bestimmten Dämmwirkung in die Haustechnik investiert.
Längst hat der Architekt etliche
Gebäude nach diesem Konzept neu
gebaut oder saniert. Typische Beispiele sind eine Polizeistation und
ein Fitnessstudio. In beiden sitzen
oder bewegen sich viele Menschen, jede Person strahlt rund 100
Watt Wärme ab. Im Fitnessstudio
strampeln sich die Menschen auf
Laufbändern ab, deren Betrieb seinerseits Wärme abgibt. Auch ein
PC rechnet nicht nur, sondern
strahlt als Abfall mit einer Leistung
von ein paar Hundert Watt Wärme
ab. Da auch Kühlschränke und
Bildschirme die Umgebung aufhei- Pumpe ein Kilowatt Strom, liefert
zen, gibt es in solchen Gebäuden sie gleichzeitig sechs Kilowatt
reichlich Wärmequellen. Öffnet Wärme. Der Wirkungsgrad ist daman zum Lüften einfach das Fens- bei zwar nicht unbedingt besser als
ter, verliert sich diese
bei der GegenstromanWärme ungenutzt im
lage, die gewonnene
Freien. Deshalb haben
Wärme ist aber „wertPassivhäuser und bevoller“: So liefert eine
sonders PlusenergieErdwärmeheizung solhäuser ein ausgeklüche fürs angenehme
geltes Lüftungssystem.
Händewaschen
oder
Dabei strömt die verDuschen nötige Tempebrauchte Luft mit einer
raturen mit viel schlechTemperatur von vielterem Wirkungsgrad.
leicht 20 Grad Celsius Der Architekt Taco
Auch wenn im Winter
auf großer Fläche di- Holthuizen
die schwache Sonnenrekt an der von draustrahlung über eine Soßen in den Raum geleiteten kalten laranlage Wasser etwa nur auf 25
Frischluft vorbei und heizt diese Grad Celsius aufheizt, liefert die
zum Beispiel auf 18 Grad Celsius Abluftwärmepumpe für Klima und
auf. Eine kleine Zusatzheizung Geldbeutel preiswert duschtauglibringt weitere Grade, sodass ange- chere Temperaturen. Die Energie
nehm warme, frische Luft in den des 25 Grad warmen SolarenergieRaum strömt.
wassers aber leitet Holthuizen geDieses Gegenstromprinzip ist nau wie überschüssige Wärme im
heute Standard. Taco Holthuizen Spätsommer in den Boden um die
aber verbessert ein zweites Prinzip Erdwärmeanlage. Je wärmer der
erheblich weiter, das mit einer Boden, desto besser der WirkungsWärmepumpe im Abluftstrom ar- grad: „Wir nutzen so einfach den
beitet. Dort heizt die verbrauchte Boden als riesigen Speicher, der
Luft eine Flüssigkeit auf 40 oder 45 überschüssige Spätsommerwärme
Grad Celsius. Verbraucht diese bis in den Winter aufhebt.“
FOTO: PRIVAT
G
raue Energie“ ist für
Taco Holthuizen ein
Schlüsselbegriff.
Der Schweizer Architekt leitet in Berlin mit seiner Frau Corinne ein
kleines Architekturbüro, das sich
auf „grüne“ Gebäude spezialisiert
hat, die sehr wenig Energie verbrauchen. Dabei konzentriert er
sich aber nicht nur auf einen möglichst geringen Verbrauch von Gas
oder Holzpellets beim Heizen, sondern berücksichtigt auch die Energie, die etwa in die Herstellung der
Substanzen fließt, mit denen ein
Haus gebaut und isoliert wird. Das
ist die „graue Energie“, die das Klima ebenso beeinflusst wie das direkte Verfeuern von Gas, Öl oder
auch Kohle im Heizkessel.
Diese graue Energie aber sollte
vor allem bei Passiv-, Null- oder
Plusenergiehäusern mit berücksichtigt werden. Bisher beziehen
sich deren Standards nämlich nur
auf die Energie, die im Laufe eines
Jahres für Heizung, Warmwasser,
Kühlen und Lüften verbraucht
wird. Ein Passivenergiehaus soll
zum Beispiel für einen Quadratmeter Wohnfläche im Jahr nicht mehr
als 1,5 Liter Heizöl oder 15 Kilowattstunden Energie zum Heizen benötigen. Das Nullenergiehaus deckt
im Jahresdurchschnitt seinen Bedarf mithilfe von Sonnenenergieanlagen selbst, und ein Plusenergiehaus hat im Laufe eines Jahres
sogar noch Energie übrig, die es
nach außen liefert. Wenn die Tendenz für die Energiepreise langfristig nach oben zeigt, sind solche Eigenschaften für Bauherren und
Mieter natürlich ähnlich interessant, weil sie nicht nur die Energiekosten senken, sondern auch die
Klimabilanz verbessern.
Beides aber bezieht sich eben
nur auf den Jahresverbrauch und
unterschlägt die Kosten und die
Klimabilanz für die graue Energie,
die unter anderem in den Dämmstoffen steckt. Wird aus einem
Niedrigenergiehaus ein Passiv-,
Null- und am Ende gar ein Plusenergiehaus, werden bei jedem
Schritt vor allem Wände, Decken
und Böden, Fenster und Türen besser gedämmt. Je mehr Dämmstoffe
aber für die Gebäudehülle eingesetzt werden, umso mehr Energie
ist in deren Herstellung geflossen,
umso schlechter wird die Klimabilanz der Dämmung und umso höher steigt der Preis. Den aber bezahlt der Bauherr und gibt diese
Kosten an den Mieter weiter, wenn
er das Haus nicht selbst nutzt. Nutzer und Klima zahlen also für die
zusätzlichen Dämmstoffe und die
darin steckende graue Energie einen Preis, den der Energiestandard
gar nicht berücksichtigt.
Holthuizen aber tut das durchaus und erzielt dabei zum Teil
recht verblüffende Ergebnisse, die
er mithilfe einiger Zahlen erläutert:
Demnach verliert ein schlecht gedämmtes Haus 80 bis 90 Prozent
Sowohl aus Kostenals auch aus
Umweltgründen
lohnt es sich bereits
bei Passivhäusern,
mehr in Haustechnik
als in Wärmedämmung
zu investieren
FOTO: PA/GMS
Von Roland Knauer
Stadtplanung und
Klima: Grüne Inseln
gegen Tropennächte
Wie man kühlen Kopf in heißen Regionen bewahrt
Abkupfern bei der Natur lohnt: Moderne Bürogebäude lassen sich umweltfreundlich und energiesparend klimatisieren
In der Gluthitze der arabischen
Wüsten möglichst einfach Kühle
zu finden, dieses Problem haben
die Menschen dort bereits vor
Jahrtausenden gelöst. Schon im Altertum bauten etwa die Perser sogenannte Windtürme. Strömt der
Wind über diesen Turm, wird die
Luft zusammengestaucht. Das aber
beschleunigt den Wind. Aus dem
gleichen Grund weht auf einem
Berggipfel die Brise meist stärker
als im Tal. Dieser Wind aber zieht
die Luft durch ein Loch im Dach
aus dem Turm heraus.
Ersetzt wird diese abfließende
Luft durch eine Strömung, die
durch unterirdische Gänge in das
Haus weht. Der relativ kühle Boden senkt die Temperatur der Luft,
die Bodenfeuchte liefert Wasser in
diesen extrem trockenen Hauch
und die Perser haben in ihren
Wohnhäusern ein erstaunlich angenehmes Klima. Mit dem gleichen
Prinzip kühlen die Menschen in
den Wüsten auch gern ihr Wasser.
An der höchsten Stelle haben die
Dächer über den Zisternen ein
Loch, an dem ebenfalls ein Unterdruck entsteht. Die Luft strömt
dann durch den Boden direkt über
die Oberfläche in der Zisterne, ver-
dunstet ein wenig Wasser und
kühlt dabei die Flüssigkeit kräftig
ab. Mit diesem geringen Wasserverlust kaufen die Perser sich sozusagen ihr immer kühles Wasser ein.
Mit dem gleichen Prinzip der
kühlenden Verdunstung bringt
auch der Münchner Architekt Michael Laar ohne Klimaanlage angenehme Luft in das Veranstaltungszentrum Circo Voador im tropischen Klima von Rio de Janeiro.
Riesige Ventilatoren blasen dort
Luft in die Halle, die beim Eintritt
in das Gebäude mit Wassertröpfchen versetzt wird. Die Verdunstung kühlt die Luft und sorgt für eine angenehme Feuchtigkeit. 90
Prozent der Energie einer herkömmlichen Klimaanlage spart der
Betreiber mit dieser aus der Natur
abgeschauten Kühlung. Selbst eine
geringe Dachbegrünung sorgt für
zehn Grad niedrigere Temperaturen im obersten Geschoss, wuchert
das Grün oben so richtig üppig,
sind unterm Dach bis zu 20 Grad
niedrigere Temperaturen drin.
Richtig gebaut spart ein Bürogebäude 63 Prozent der bisher benötigten Energie ein, hat Michael
Laar mit Demonstrationsgebäuden
bereits bewiesen.
Das Ganze funktioniert auch in
Mitteleuropa. Auf das Kuppeldach
des Design-Centers im österreichischen Linz hat der Architekt
Thomas Herzog einen Reiter gesetzt, der eine ähnliche Wölbung
wie die Oberseite einer FlugzeugTragfläche hat. Hier wie dort beschleunigt die Luft enorm, sorgt so
für Unterdruck und damit für frische Luft im Design-Center.
In der Natur lüften Termiten ihren Bau nach einem ähnlichen
Prinzip, das aber mit Sonnenstrahlen funktioniert. Zunächst einmal
zerkauen die Insekten eifrig Holz,
auf dem so entstehenden Gemisch
legen sie ihre Pilzgärten an. Zusammen mit Speichel und Lehm aber
gibt das zerkaute Holz auch einen
hervorragenden Mörtel, den die
Termiten anstelle von offenen
Fenstern in ihren Hügel einbauen.
Durch die harte, aber poröse Masse
kommt kein Feind, aber sehr wohl
Luft in den Bau.
Für Termiten-Wohlfühltemperaturen um die 30 Grad Celsius sorgt
ein genialer Trick: Ein Teil des
Baus liegt unter der Erdoberfläche,
ein Teil ragt als skurriler Lehmturm in den tropischen Himmel.
Diesen Teil heizt die heiße Sonne
Afrikas tagsüber kräftig auf. Die
warme Luft steigt nun durch Kanäle nach oben und drückt schnell
durch die Poren des Mörtels nach
draußen. Ersetzt wird diese ohnehin verbrauchte Abluft durch eine
frische Brise, die aus dem kühlen
Boden nachströmt.
In der Hauptstadt Simbabwes
zeigt das Eastgate-Hochhaus, wie
man die Klimaanlagen der Termiten auf moderne Architektur übertragen kann: Tagsüber brennt
meist die heiße Sonne Afrikas auf
die Betonflächen, konventionelle
Bauten werden für teures Geld und
mit hohem Treibhausgasausstoß
heruntergekühlt. Im EastgateHochhaus in Harare dagegen heizt
die Sonne die Luft in extra dafür
eingebauten
Lüftungskaminen
kräftig auf, sodass sie den Gesetzen
der Physik entsprechend nach
oben steigt. Ersetzt wird dieser
Verlust durch Frischluft, die aus
dem relativ kühlen Innenhof durch
Fußleisten in die Büroräume gesaugt wird. In der Nacht dagegen
heizen die von der täglichen Sonne
aufgewärmten Betonwände die Büros. Mit 23 bis 25 Grad Celsius
bleibt die Temperatur in den Räume so rund um die Uhr angenehm,
ohne dass fossile Energie verfeuert
oder elektrischer Strom verbraucht worden ist. Abkupfern von
der Natur lohnt sich also.
FOTOS: AKUMUDZI; PA/ZB
Von Roland Knauer
+
Das Luxushotel
Burj al-Arab (r.)
in Dubai nutzt
zur Kühlung die
jahrtausendealte
Technik der
Windtürme. Das
Bürohaus Eastgate (l.) in
Harare dagegen
nutzt das Termiten-Prinzip
Stadtplaner sollten heute an das Klima von morgen denken. Denn in
Metropolen wie Berlin, New York,
Tokio, Kairo, Singapur oder Rio de
Janeiro werden auch in 50 oder 100
Jahren noch Menschen in den Strukturen leben, die heute geplant werden. Dann aber werden vielerorts
deutlich höhere Temperaturen als
heute herrschen. Und die könnten
viele Städter um den Schlaf bringen,
befürchtet der Klimatologe Dieter
Scherer von der Technischen Universität Berlin (TUB).
Eines der großen Probleme in gemäßigten Breiten werden dann tropische Nächte sein, in denen die
Temperatur nicht unter 20 Grad
Celsius sinkt. Vor allem in großen
Städten werden sie zunehmen. Dort
heizt die Sommersonne an heißen
Tagen den Beton kräftig auf, haben
Dieter Scherer und seine Mitarbeiter gemessen. Während Freiflächen
nur fünf Prozent der Sonnenenergie
speichern, halten dicht bebaute
Städte am Morgen die Hälfte der
Wärme fest. Später sinkt dieser Wert
auf 25 bis 30 Prozent. Nachts aber
strahlen die Wände die am Tag gespeicherte Energie wieder ab und
verhindern so die kräftige Abkühlung nach Sonnenuntergang. „In extremen Situationen sind die Nächte
im Stadtzentrum acht Grad wärmer
als im Umland“, so Dieter Scherer.
Großstädte bilden daher Wärmeinseln in der sonst kühleren Nacht.
Der Unterschied zwischen einer
Nacht mit 17 Grad und 25-GradNächten ist oft enorm. An Schlaf ist
dann in aufgeheizten Räumen kaum
zu denken. Parks und Grünflächen
aber speichern erheblich weniger
Wärme, verdunsten zudem viel
Wasser und kühlen relativ stark ab.
Diesen Effekt messen Scherer und
seine Gruppe auch auf begrünten
Dächern, die daher darunter liegende Räume gut kühlen. Vertrocknet
diese Begrünung aber, heizt sie sogar stärker auf als Beton.
Das Gleiche gilt für Parks und
Grünflächen. Solange sie genug
Wasser haben, kühlen sie nachts
mitten in der Wärmeinsel Stadt kräftig aus, geben diese Kühle aber nur
rund 100 Meter weit als frische Brise
an die Häuser der direkten Umgebung ab. Bei Stadtplanungen sollten
daher viele Grünflächen gleichmäßig im Häusermeer verteilt werden.
Mit wenigstens einem Hektar sollten solche Parks die Dimensionen
eines Fußballplatzes ein wenig
übertreffen. „Blockieren Gebäude
den Wind, spürt man von der kühlen
Nachtluft in den Grünanlagen wenig“, sagt Scherer. Die bei Stadtplanern beliebten breiten Frischluftschneisen sind aus seiner Sicht zwar
sinnvoll, bringen aber in solchen
Nächten zumindest im flachen Binnenland nur wenig Kühle in die
Stadt, weil der Weg vom Umland zu
weit ist. Viel besser seien eine unterschiedlich hohe Bebauung sowie
viele Parks mit Gruppen von Bäumen und Büschen und vielen Wiesen. Dann stößt der Wind immer
wieder auf Hindernisse, Luftwirbel
bilden sich und ziehen kühle Höhenluft in Richtung Boden. So bleibt
die Luft in Bewegung und sammelt
nicht – wie oft bei unbewegten Kaltluftinseln – Schadstoffe an.
Auch an genügend Wasservorräte
sollte bei Planungen gedacht werden, denn die Sommer werden in
Zukunft eher trockener, befürchten
die Klimaforscher. Und dann könnte
das Wasser knapp werden, mit dem
in Zeiten der Dürre das Stadtgrün
feucht gehalten werden muss. Verdorren aber die Parks, heizen sie
stärker auf als Beton und die Wärmeinsel Großstadt könnte nachts
zur Hitzeinsel werden.
In wärmeren Regionen werden
auch die Tage zunehmend zum Hitzeproblem. Neben kühlenden Parks
mildern auch enge Gassen mit viel
Schatten die Hitze, erklärt der TUBKlimatologe Fred Meier. Allerdings
werden dann Schadstoffe aus dem
Straßenverkehr schneller zum Problem. Auch Bäume und Parks bringen einiges, weil sie nicht nur Schatten spenden, sondern auch noch die
Umgebung abkühlendes Wasser
verdunsten. Welche Bäume den
stärksten Effekt haben, untersuchen
Forscher zurzeit, darunter auch
Roland Knauer
Fred Meier.