(Download
Transcrição
(Download
N A C H H A LT I G K E I T & U R B A N E S L E B E N Green IT Noch scheuen Unternehmen häufig die Investitionskosten Masdar In der Wüste entsteht eine nachhaltige Musterstadt Seite III Seiten IV/V SG S O N D E R AU ABE MITTWOCH, 31. MÄRZ 2010 Echte Nachhaltigkeit braucht Augenmaß Nachhaltiges Handeln ist nötiger denn je. Doch nur auf die Einsicht der Menschen zu setzen, wäre fatal. Erfolg versprechender ist es, verändertes Verhalten über steigende Preise für Rohstoffe zu erreichen INHALT Zwiespältig Trotz enormer Investitionen in Umwelttechnologien agiert China nicht nachhaltig. Seite III Spielerisch London will 2012 die bislang nachhaltigsten Olympischen Spiele veranstalten. Seite IV Angelegt Ökobanken und nachhaltige Geldanlagen liegen im Trend – und bringen Gewinne. Seite VI Sinnvoll Ab wann es sich lohnt, mehr in Haustechnik als in Wärmedämmung zu investieren. Seite VII Von Ulli Kulke D en einen mag es zu weit gehen mit der Nachhaltigkeit, den anderen folgen wir der Maxime nicht rasch genug. Beides wird nichts daran ändern, dass die Historiker in drei, vier Jahrhunderten unsere Ära rund um das Millennium als das Zeitalter der Nachhaltigkeit bezeichnen werden. So wie wir heute die Epoche von Herder, Kant und Humboldt als die der Aufklärung bezeichnen. Letztlich ist es auch die Aufklärung, die Vernunft, die uns gar keine Alternative lässt, als sorgsam mit den Elementen umzugehen, von denen ■ Das wir leben. Der Lehrsatz, der den Begriff der Nachhaltigkeit einst im 19. Jahrhundert prägte, dass nämlich dem Wald nicht mehr Holz entnommen werden darf als nachwächst, ist aus der Forstwirtschaft auf die gesamte Ökonomie, auf unseren Verbrauch an Rohstoffen und sauberer Luft zu übertragen. In früheren Zeiten gab es dazu keine Notwendigkeit, wir konnten aus dem Vollen schöpfen. Heute aber erleben wir die Wende hin zu diesem Prinzip. Die Vernunft gebietet uns aber auch, keine Hoffnung zu schüren, man könne dazu eine Art neuen Menschen erschaffen, den „Homo sustanibilis“. Nicht durch Appelle, nicht durch Erziehung, nicht durch staatliche Verordnung wird die Evolution in diese Richtung lenkbar sein. Das sollten wir aus den menschenverachtenden gesellschaftlichen Experimenten einzelner Staaten im vergangenen Jahrhundert gelernt haben. Heute, im Zeitalter der Globalisierung, wäre dies noch weniger aussichtsreich, als es je war. Eine Ethik der globalen Mäßigung werden wir uns nämlich kaum backen können. Gegen sie stünde „nicht nur die ganze Schubkraft ex- FOTO: ISTOCKPHOTO Zeitalter der Nachhaltigkeit begann vor 40 Jahren – mit der Gier der Ölscheichs Eine Welt im Gleichgewicht Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro haben 178 Staaten dem Schlussdokument Agenda 21 zugestimmt und sich verpflichtet, in ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu handeln. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen und gleichzeitig sicherzustellen, dass auch die Generationen, die nach uns kommen, adäquate Lebenschancen vorfinden. Dies ist an sich kein neues gesellschaftliches Phänomen, doch gerade im Zeitalter der Globalisierung haben nationales, regionales, pressionistischer Zivilisation gegen sich“, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk ausdrückt, „sie widerspräche auch den Einsichten in die Triebkräfte der höheren Kulturen“, nämlich einer Liaison zwischen dem „Streben nach Selbsterhaltung und Selbststeigerung“. Vielleicht kann uns ja die Erinnerung daran, wie das Zeitalter der Nachhaltigkeit vor etwa 40 Jahren begann, hoffnungsvoll stimmen. Anfang der 70er-Jahre war es nicht das so berühmte Buch über die „Grenzen des Wachstums“ vom lokales und persönliches Handeln noch viel stärker als früher Auswirkungen auf die Zukunft des Planeten. Mehr noch: Ohne einen nachhaltigen Einsatz aller materiellen wie intellektuellen Ressourcen gibt es für die Menschheit keine Zukunft. Deshalb wird für immer mehr Bereiche eine nachhaltige Entwicklung postuliert, sei es für den individuellen Lebensstil oder für komplette Sektoren wie Mobilität, Energieversorgung oder den Erhalt der Artenvielfalt. Nachhaltigkeit ist dabei mehr als ein Schlagwort. Viele einzelne Schritte und Ideen dienen dabei dem Ziel, eine Welt im Gleichgewicht zu schaffen. Club of Rome, das unsere Autos sparsamer machte, uns die Einsicht von der Endlichkeit des Öls brachte. Vielmehr war es die unstillbare „Gier“ der Ölscheichs, denen schlagartig klar wurde, wie wenig nachhaltig sie mit ihren eigenen Schätzen umgingen, die deshalb ihre Preise für das „schwarze Gold“ verdoppelten und verdreifachten und so dafür sorgten, dass sich der Spritverbrauch unserer Autos halbierte und drittelte – und damit die Weltölvorräte entsprechend schonte. Nachhal- tigkeit durch die Gesetze der Marktwirtschaft. Inzwischen sind wir viel weiter vorangeschritten auf dem Weg, die Rohstoffpreise sind weiter angezogen. Das wachsende Ausmaß an Recycling etwa trägt ganz reale Züge des einstigen Traums einer Kreislaufwirtschaft. In Gang gebracht unter anderem durch gezieltes Verbraucherverhalten und durch Kostendruck bei den Rohstoffen. Gewiss auch durch vorübergehenden Anschub seitens des Staates, etwa durch Regeln zur öffentlichen finanziellen Förderung. Ein Deutschland als das Land der Solardächer, Windkraftparks und Äcker für Bioenergiepflanzen von Horizont zu Horizont ist daraus entstanden. Doch so kann und wird es nicht weitergehen, die immensen Subventionen, die die erneuerbaren Energien aus dem nach ihnen benannten Gesetz beziehen, werden nicht zu halten sein. Die Energiepreise würden die Verbraucher ins Unermessliche belasten. Das Prinzip Nachhaltigkeit drohte so die Akzeptanz zu verlieren, durch Überambitioniertheit. Wenn die Investitionen mancher Kommunen für erneuerbare Kraftwerkskonzepte, deren Kosten in den Himmel wachsen, jetzt durch die Laufzeitverlängerung für billigen Atomstrom in Gefahr geraten, so liegt das Problem bei der noch ungenügenden Konkurrenzfähigkeit der Erneuerbaren, nicht bei den Kernkraftwerken. Überambitionierte Nachhaltigkeit kann auch dem ökologischen Fortschritt Schaden beibringen. So klagen Regenwald- und andere Umweltschützer, dass die riesigen Flächen für die nachwachsenden Rohstoffe heute die größte Gefahr für den Tropenwald darstellten – nur ein Beispiel von vielen. Nachhaltigkeit muss sich selbst rechnen, sie muss mit Augenmaß vorangetrieben werden und die Nachhaltigkeit darf – anders als Verzichtsprediger es schon wieder fordern – das Wachstum nicht durch eine endlose Preisspirale gefährden. Womit sollten sonst die notwendigen Investitionen für die Nachhaltigkeit bezahlt werden? Nur wenn der Gedanke an die Nachhaltigkeit diese Voraussetzungen erfüllt, hat er auch selbst die Chance, sich durchzusetzen – und zwar nachhaltig. Eine ungemein spannende Baustelle Ein neuer Staatssekretärausschuss soll die nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit ressortübergreifender und praxisnaher Arbeit befördern DIE WELT: Herr Pofalla, womit hat sich der Ausschuss in der konstituierenden Sitzung befasst? Ronald Pofalla: Im Wesentlichen haben wir uns mit zwei Fragestellungen beschäftigt. Wir haben Bilanz gezogen über die bisherige Arbeit zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, aber vor allem eine sehr detaillierte Arbeitsplanung vereinbart. Darin haben wir festgelegt, mit welchen Themen wir uns in den nächsten Sitzungen intensiv, auch unter Begleitung von Verbänden und Wissenschaftlern, befassen Bericht erwarten wir spätestens in werden. In der zweiten Sitzung der zweiten Hälfte 2010. Davon aussteht das Thema Landnutzung und gehend werden wir die nationale Klimawandel auf der Tagesord- Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln. Bei der Erarbeinung. Wie machen wir untung des nächsten Fortsere Landwirtschaft in schrittsberichts werden Deutschland nachhaltig? wir die Öffentlichkeit Wie verknüpfen wir eine breit einbinden, weil wir globale Produktionssteigeden gesellschaftlichen Dirung mit dem Schutz der alog ganz bewusst pflenatürlichen Ressourcen in gen wollen. den Bereichen Agrarwirtschaft, Forstwirtschaft und Wie kann man sich das Fischerei? Dafür bedarf es Ausschussleiter vorstellen? Maßnahmen, über die wir Ronald Pofalla Pofalla: Wir versuchen, diskutieren werden. auf verschiedenen Ebenen ins GeWie sehen die weiteren Planungen spräch zu kommen. Der Bundestag aus? hat einen parlamentarischen Beirat Pofalla: Das Statistische Bundesamt für Nachhaltige Entwicklung eingearbeitet derzeit an einem Bericht zu setzt, mit dem wir uns inhaltlich den Indikatoren der Nachhaltig- eng koordinieren wollen. Darüber keitsstrategie. Nachhaltigkeit muss hinaus arbeiten wir intensiv mit für uns messbar sein, damit wir wis- den Ländern, Städten und Gemeinsen, wo wir etwas erreicht haben den zusammen. Im Staatssekretärsund wo noch etwas zu tun ist. Den ausschuss geht es vor allem um die FOTO: DDP Der Staatssekretärausschuss für nachhaltige Entwicklung hat vor wenigen Tagen seine Arbeit aufgenommen. Darin vertreten sind alle Ressorts auf Ebene der verbeamteten Staatssekretäre. Über Arbeitsweise und Ziele gab der Ausschussvorsitzende und Chef des Bundeskanzleramtes, Ronald Pofalla (CDU), Auskunft. Frage: Wie kann etwas konkret realisiert werden? Nehmen Sie etwa die Landnutzung und den Flächenverbrauch: Heute sind es pro Tag 95 Hektar, wir wollen dies bis 2020 auf 30 Hektar verringern. Das ist nur zu erreichen, wenn wir die vorhandenen Alt- und Brachflächen stärker nutzen. Hier liegt eine Herausforderung für die Bauleitplanung. Auf der Website der Bundesregierung kann man sich nicht nur zum Thema Nachhaltigkeit informieren, sondern es kann sich auch jeder mit Ideen beteiligen. Pofalla: Nachhaltigkeit als Grundsatz kann nur verwirklicht werden, wenn sich alle daran beteiligen. Deshalb gibt es nicht nur eine Webseite der Bundesregierung, die über unsere Aktivitäten informiert; daneben hat das Bundesumweltministerium vor Kurzem eine spezielle Webseite eingerichtet, wo jeder Vorschläge machen kann. Es geht + häufig gar nicht um die großen Vorschläge, sondern um konkrete Anregungen, die wir prüfen und wenn möglich umsetzen. Zudem überlege ich, ein eigenes Referat Nachhaltigkeit im Kanzleramt einzurichten, damit Mitarbeiter sich auf diese Frage konzentrieren können und stärker mit denen, die Vorschläge unterbreiten, in einen Dialog eintreten können. Gab es denn schon Vorschläge? Pofalla: Ja, die Themen Energie und Klimaschutz wurden oft genannt, ebenso Landwirtschaft, Natur- und Artenschutz. Auch das Thema Flächenverbrauch beschäftigt viele; offensichtlich stören sich viele Menschen daran, wie viele Flächen nach ihrer Auffassung sinnlos verprasst werden. Das Thema Landwirtschaft und Klimawandel haben wir zum Arbeitsauftrag gemacht. Was kann ein Staatssekretäraus- schuss praktisch bewirken? Pofalla: Wir haben unter anderem eine Bundesinitiative gestartet – wir nennen sie „Beschaffungsallianz“. Damit soll die Einkaufsmacht der öffentlichen Hand genutzt werden, um den Anteil nachhaltiger Produkte zu steigern. Beispielhaft ist hier die Anschaffung Strom sparender Informationstechnik. Unser Ziel: bis 2013 den Energieverbrauch in diesem Bereich um 40 Prozent zu reduzieren. Auf kommunaler Ebene wichtig könnte der Einsatz von Bussen mit Hybridtechnologie sein; immerhin werden jährlich 3000 neue Fahrzeuge angeschafft. Wir besprechen daher mit Ländern und Gemeinden, wie anspruchsvolle Kriterien in der Praxis durch gezielte Auftragsvergabe stärker berücksichtigt werden können. Was erwarten und erhoffen Sie sich von diesem Ausschuss? Pofalla: Das ist eine ungemein span- nende Baustelle, weil hier fächer-, themen- und ressortübergreifend gearbeitet wird. Dieser Ansatz bietet viele Möglichkeiten und ist in jeder Hinsicht ein offener Prozess, für den es keine Erfahrungswerte gibt. Der Ausschuss kann in den nächsten Jahren nicht nur für Deutschland Standards setzen, sondern auch eine Vorbildfunktion für andere Länder übernehmen. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Ausschussvorsitzender? Pofalla: Meine Aufgabe ist es, auf die Umsetzung der Strategie hinzuwirken. Als Vorsitzender und Kanzleramtsminister habe ich die Möglichkeit, die Bundesministerinnen und -minister direkt anzusprechen, damit die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen umgesetzt werden. Interview: Matthias Billand und Jochen Clemens GRUSSWORT FOTO: PA/GLOBE-ZUMA Nachhaltigkeit & urbanes Leben DIE WELT Mittwoch, 31. März 2010 Die Produktion eines Laptops verbraucht 4000 Liter Wasser. 900 kg Rohstoffe müssen gefördert werden – Ein PC mit Monitor setzt 850 kg Treibhausgase frei. 23 kg Chemikalien sind für seine Produktion nötig .................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Prinz Albert II von Monaco setzt sich für Umweltschutz und die Idee des Elektroautos ein Wir müssen bereit sein, Gewohnheiten zu ändern A ls Gottlieb Daimler, Rene Panhard, Emile Levassor and Karl Benz die ersten Automobile bauten, hätte niemand ahnen können, welche Auswirkungen das auf die Menschheit hat. Deshalb sollten wir die heutige moderne Welt nicht als selbstverständlich ansehen und über die Konsequenzen des technologischen Fortschritts nachdenken. Wenn wir es tun, ist es spät, oft zu spät. Selbst, wenn die Grundfesten unserer Gesellschaft bedroht sind. Etwa durch den Klimawandel, der diese Bedrohungen immer deutlicher macht. Sie zwingen uns zum Handeln bevor die schon spürbaren Auswirkungen irreversibel sind. Die weltweite Finanzkrise hat uns die Fehler unserer Wirtschaft deutlich aufgezeigt. Die verheerenden Folgen haben aber dafür gesorgt, dass die Debatte zwischen Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit wieder in Gang kam. Endlich wagen wir es, die Logik eines stetig steigenden Konsums in Frage zu stellen, die auf dem Raubbau der natürlichen Ressourcen und dem Verschließen der Augen vor den Langzeitkonsequenzen unseres Handelns basiert. Mit alternativen, verantwortungsvolleren und nachhaltigeren Lösungen stellen wir nun fest, dass ein dauerhafter Wandel möglich ist. Mehr als jede andere Branche zeigt sich dies in der Automobilindustrie. Sie wandelt sich grundlegend und könnte eine neue Ära mit einem neuen Verständnis von Wachstum einläuten. Die Idee von sauberen Fahrzeugen beflügelt unsere Fantasie seit einiger Zeit. Bis vor kurzem jedoch schien sie noch weit entfernt. Unter anderem Finanzkrise und beginnender Klimawandel haben dafür gesorgt, dass eine auf geringem CO2-Ausstoß basierende Wirtschaft eine Notwendigkeit und der Traum Realität geworden ist. Das Fürstentum von Monaco, das den Umweltschutz zu seinem zentralen Anliegen erhoben hat, setzt sich seit mehr als 20 Jahren für Elektroautos ein. Seit 2005 habe ich diese Anstrengungen intensiviert – über Initiativen, Hersteller zu unterstützen, potenziellen Käufern die Vorteile darzulegen und generell die öffentliche Wahrnehmung für diese neuen, attraktiven Fahrzeuge zu erhöhen. Die ersten Elektroautos waren teuer und unzuverlässig, inzwischen sind sie leistungsstark, verlässlich und erschwinglich. Jedes Jahr treffen sich Experten bei der Expo EVER (Ecologic Vehicles & Renewable Energies) in Monaco, um Ausmaß und Tempo des Fortschritts zu diskutieren. Wir müssen das Auto retten, indem wir es neu erfinden. Wir wissen, dass der Verbrennungsmotor über viele Dekaden Umweltschäden verursacht hat, aber wir sollten nicht vergessen, dass das Auto ein Eckstein unserer Zivilisation ist und es uns eine ansonsten unvorstellbare Freiheit ermöglicht. Die „Neuerfindung“ des Autos bringt unschätzbare Vorteile mit sich. Eine fruchtvolle Zusammenarbeit zwischen Aktionären und Herstellern etwa hat eine Erfolgsformel aus Anspruch und Kompetenz kreiert. Eine Formel, die es möglich macht, die ganze Welt mittels einer bislang beispielslosen Kooperation neu zu „erdenken“ . In diesem Geist hat meine Stiftung mit The Climate Group kooperiert und die Vereinigung EV20 gegründet, die die Idee des Elektroautos befördert. Die schnellen Erfolge beweisen und zeigen uns, dass es möglich ist. Dinge auch im großen Rahmen ändern zu können. Sie ermutigen uns, in unserer gemeinsamen Anstrengung nicht nachzulassen. Natürlich benötigt das Zeit und Entschlossenheit. Die Herausforderung ist enorm, und es wird wahrscheinlich mehr als einer Generation bedürfen, um einschneidende Veränderungen bezüglich unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen durchzusetzen. Doch schon erweisen sich mehrere Lösungsmöglichkeiten als Erfolg versprechend. Wir müssen aber bereit sein, unsere Gewohnheiten zu ändern. S.A.S. Prinz Albert II von Monaco Zwischen Geld und Gewissen IT wird immer umweltfreundlicher. Oft gehen deutsche Unternehmen das Thema „Green IT“ dennoch halbherzig an. Sie scheuen die Anschaffungskosten Viele Firmen sind ohne Konzept beim Einsatz energieeffizienter Hardware Kosten und Nutzen Von Hartmut Schumacher M oderne Computertechnik ist inzwischen für fast jede Branche unverzichtbar. Und auch die meisten privaten Anwender möchten ihre PCs nicht mehr missen. Aber die Leistungsfähigkeit der Rechner und der Komfort, den sie bieten, haben ihren Preis: Nach einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts ist die Informationstechnologie für etwa zehn Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland verant- Nach Angaben des Bundesumweltministeriums amortisieren sich die Kosten für die Einrichtung eines umweltschonend orientierten Rechenzentrums „bei richtigem Ansatz“ innerhalb von zwei Jahren allein durch die Energieeinsparungen. Die Kosten für die Anschaffung von umweltfreundlichen Geräten sind zudem niedriger, als mancher annimmt: Verschiedene staatliche Stellen, darunter das Umweltund das Wirtschaftsministerium, gewähren Zuschüsse und zinsgünstige Investitionskredite beispielsweise für Energieeffizienzberatungen und für Energieeinsparmaßnahmen. Informationen zu diesen Förderungsmöglichkeiten hält das Green IT Beratungsbüro bereit. Laut Florian König von eben diesem Beratungsbüro beantragen bisher nur wenige Unternehmen diese Fördermittel. Er geht allerdings davon aus, dass „ein großer Teil der vielfältigen Green-IT-Projekte bereits ohne staatliche Förderung durchgeführt wird“. migs ■ Bei Green IT geht es um das Verringern der gesamten Umweltbelastung, die durch Informationstechnologie entsteht wortlich. Und bis 2020 wird der ITStromverbrauch voraussichtlich noch um 20 Prozent steigen. Damit verursachen Computer nicht nur hohe Energiekosten, sondern haben auch einen gehörigen Anteil an den klimaschädlichen CO2-Emissionen. Laut Schätzungen des Marktanalyseunternehmens Gartner erzeugt die Informationstechnologie bereits jetzt ungefähr zwei Prozent der weltweiten Kohlenstoffdioxid-Emissionen – genauso viel wie die Luftfahrtindustrie. Das Umweltbewusstsein und das Wissen um drohende Ressourcenknappheit sind jedoch inzwischen zu ausgeprägt, um dies unwidersprochen hinzunehmen. So ist das Konzept der „Green IT“, der umweltschonenden Nutzung von Informationstechnologie, entstanden. „Umweltschonend“ bedeutet nicht etwa einfach nur „Strom sparend“. Vielmehr geht es bei der Green IT um das Verringern der gesamten Umweltbelastung, die durch Informationstechnologie entsteht. Das fängt an beim Entwurf und der Herstellung der Computersysteme, reicht über die Nutzung der Geräte und endet mit ihrer Entsorgung. Konkret heißt das: Die Hersteller bemühen sich darum, bei der Produktion der Geräte wenig Energie zu verbrauchen und möglichst auf knappe oder gar schädliche Rohstoffe (wie Cadmium und Blei) zu verzichten. Zudem ist es wün- FOTOS: GETTY; PA/OBS Seite II IT wird immer nachhaltiger. Bei vielen Firmen findet sie aber eher durch die Hintertür Einlass: Gekauft wird sie, weil neue Geräte leistungsfähiger sind schenswert, dass sich die Bestandteile der Geräte weitgehend wiederverwerten lassen. Während der Nutzung der Computersysteme sollten sie natürlich möglichst wenig Energie benötigen. Für die energieeffiziente Konstruktion der Systeme ist der Hersteller verantwortlich. Aber auch die privaten und geschäftlichen Anwender können dafür sorgen, dass ihre Computer oder Rechenzentren relativ wenig Strom verbrauchen: Bei Rechenzentren ist es erstens sinnvoll, das Kühlsystem zu optimieren. Und zweitens, die Server-Computer besser auszulasten, sodass weniger Geräte nötig sind. Erreichen lässt sich dies etwa durch die Methode der Virtualisierung, bei der ein Server-Computer die Aufgaben erledigt, die zuvor mehrere Rechner verrichtet haben. Nach Schätzungen der britischen Umweltschutzorganisation The Climate Group sollte es durch diese und ähnliche Maßnahmen möglich sein, bis zum Jahr 2020 die weltweiten KohlenstoffdioxidEmissionen um 15 Prozent zu reduzieren und 500 Milliarden Euro Energiekosten einzusparen. Die Begeisterung für Green IT ist bei deutschen Unternehmen theoretisch groß. Strom und damit Geld zu sparen – und gleichzeitig etwas für die Umwelt zu tun: Das ist prinzipiell eine tolle Sache. Nach Beobachtungen von Branchenkennern jedoch ist dieser Enthusiasmus oft nur von kurzer Dauer. Thomas Singbartl beispielsweise, der IT-Chef der Bavarian International School, weiß dies zu berichten: „Green-IT-Techniken sind in vieler Hinsicht Solaranlagen auf dem Dach ähnlich. Von Green IT sind natürlich immer erst einmal alle begeistert – allerdings nur so lange, bis sie dann sehen, was das alles kostet und wie lange die Amortisierung dauert.“ Das Analystenhaus Experton Group kann diese Beobachtung durch Zahlen untermauern: Eine Studie aus dem Jahr 2009 zum Thema Green IT kommt zu dem Ergebnis, dass „die Unternehmen in Deutschland Green IT immer noch eher halbherzig adressieren“. So gebe es in über 70 Prozent der Firmen keine Richtlinien zum Einsatz energieeffizienter Hardware-Komponenten. Und 85 Prozent der für Green IT zuständigen Personen würden den Energiebedarf ihres Rechenzentrums nicht kennen. Florian König, Projektmanager Kommunikation des Green IT Beratungsbüros der Bitkom, bestätigt diese Erkenntnis: „Viele Organisationen wissen gar nicht, wie viel Energie ihre IT-Infrastrukturen verbrauchen, und vernachlässigen deshalb die Betrachtung dieses Kostenfaktors. Dies bedingt natürlich auch die Zahl der realisierten Green-IT-Projekte.“ Auch wenn deutsche Unternehmen die Verwirklichung des Green-IT-Konzepts nicht mit unbegrenzter Leidenschaft vorantreiben: Informationstechnologie wird quasi von ganz allein umweltschonender. Das liegt einerseits an den immer strengeren EU-Richtlinien für den Energieverbrauch von Geräten. Und andererseits daran, dass Unternehmen schon aus reinem Eigennutz neue umweltfreundliche Geräte anschaffen – weil diese Strom sparen und nebenbei auch leistungsfähiger sind als ihre Vorgänger. Thomas Singbartl fasst es so zusammen: „Für viele Unternehmen erfolgte der Einstieg in die Green IT eher aus Versehen. Flachbildschirme sind ein gutes Beispiel. Deren Energieersparnis ist wirklich signifikant – aber eingesetzt werden sie deshalb, weil sie weniger Platz wegnehmen und eine bessere Bildqualität liefern.“ Neue Stand-by-Verordnung Ökologische Rucksäcke Der Leerlaufmodus kostet vier Milliarden Euro pro Jahr IT verbraucht große Mengen wertvoller und seltener Metalle Wenn elektronische Geräte ausgeschaltet werden, heißt das nicht, dass sie keinen Strom mehr verbrauchen. Das ist erst der Fall, wenn die Geräte vom Netz genommen sind – etwa durch das Ziehen des Steckers oder die Verwendung einer Steckdosenleiste mit einem Ein-Aus-Schalter. Doch das praktizieren die wenigsten Haushalte oder Betriebe konsequent. Pro Jahr zahlen die Deutschen geschätzt vier Milliarden Euro für den Stromverbrauch ihrer Geräte im Stand-by-Modus. Die EU-„Standby-Verordnung“ will die sogenannten Leerlaufverluste nun erheblich reduzieren, seit dem 7. Januar 2010 begrenzt sie den Verbrauch für Haushalts- und Bürogeräte. Neue Produkte dürfen danach nicht mehr als zwei Watt Strom verbrauchen, wenn sie nicht genutzt werden. Das gilt für Geräte mit einer Informationsanzeige. Geräte ohne eine solche Anzeige dürfen sogar Stromfresser trotz Leerlauf Geräte im Stand-by-Betrieb Verbrauch in in Wh Stunden pro Tag* PC mit Monitor und Drucker 20 20 Stereoanlage 10 20 Video- oder DVD-Rekorder 6 23 Fernseher (alt) 6 20 Schnurloses Telefon (Ladeschale) 2 23 Fernseher (neu) 1 20 Kosten pro Jahr in Euro 26,80 13,40 9,25 8,04 3,08 1,34 *Durchschnitt QUELLE: dena nur ein Watt im Bereitschaftszustand verbrauchen. Bis 2020 will Brüssel die Leerlaufverluste so um fast 75 Prozent reduzieren, was dem gesamten Jahresstromverbrauch Dänemarks entspricht – etwa 35 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Das spart nicht nur bares Geld, sondern entlastet auch die Umwelt. Der CO2-Ausstoß in der EU soll durch die Stand-by-Verordnung um 14 Millionen Tonnen reduziert werden. Deutschlands Anteil läge bei vier Millionen Tonnen. Das entspricht sechs Milliarden gesparten Kilowattstunden und einer finanziellen Entlastung von 1,2 Milliarden Euro. Noch höhere Einsparungen wären möglich, wenn alle Geräte vollständig abschaltbar wären, so wie es Deutschland und Umweltschutz- und Verbraucherverbände fordern. Das Umweltbundesamt schätzt, dass damit EUweit weitere sieben Milliarden Kilowattstunden (in Deutschland eine Milliarde kWh) zusätzlich gemigs spart werden könnten. + Das Umweltbundesamt will das Bewusstsein für knapper werdende Ressourcen wecken. Mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Maike Janssen sprach Michael Gneuss. DIE WELT: Das Umweltbundesamt hat sich auf der Cebit für das Thema Green-IT engagiert. Warum? Maike Janßen: Weil wir uns dafür einsetzen wollen, dass noch sehr viel stärker erkannt wird, in welchem Umfang in der Informationsund Kommunikationstechnologie, also der sogenannten IKT, Ressourcen gebunden werden. In erster Linie wird immer an den Energieverbrauch gedacht. Aber der Ressourceneinsatz erstreckt sich über sehr viele knappe Güter. Woran denken Sie speziell? Janßen: Etwa an wertvolle Metalle, die eines Tages knapp werden könnten, wenn nicht rechtzeitig nachhaltige Konzepte im Umgang mit ihnen umgesetzt werden. Können Sie Beispiele nennen? Janßen: Indium, das in Monitoren und Leuchtdioden verwendet wird. Indiumzinnoxid ist durchsichtig und stromleitend und deshalb in der IKT von hohem Wert. Bei heutigem Verbrauch würden die bekannten Reserven nur noch rund 20 Jahre reichen. Werden Leuchtdioden in sehr viel größeren Mengen produziert, geht es noch schneller. Auch Gold, Silber, Platin oder Kupfer werden in der IKT in großen Mengen verwendet. Das Problem ist nicht nur, dass die Vorräte endlich sind – mit der Gewinnung sind auch erhebliche Umweltbelastungen verbunden. Darauf wollen wir als Umweltbundesamt hinweisen. Haben Sie auch Vorschläge? Janßen: Ja. Es gibt viele Möglichkeiten, Rohstoffe in erheblichem Ausmaß zu sparen. Schon heute gibt es Recycling-Anlagen, die alte Laptops auseinandernehmen und viele Stoffe für die Wiederverwertung aufbereiten. Beim Design fängt es an. Das bestimmt darüber, welche Materialien eingesetzt werden, ob ein Laptop überhaupt recyclingfähig ist. Ein Laptop ist eine wahre Schatzkammer. Wir haben auf der Cebit den ökologischen Rucksack eines Laptops gezeigt: Ein Laptop wiegt in Wahrheit 900 Kilogramm. Was ist das? Janßen: Der ökologische Rucksack beschreibt die Umweltbelastung im Leben eines Produktes, Rohstoffaufwand, Treibhauseffekt und so weiter. Die 900 Kilo sind das Gewicht der Rohstoffe, die gefördert werden müssen, um einen Laptop herzustellen. Für die Herstellung eines Laptops ist auch ein Wasserverbrauch von 4000 Litern errechnet worden, weil Metallgewinnung sehr wasserintensiv ist. Zudem geht der Ausstoß von etwa 600 Kilogramm CO2-Äquivalenten mit der Produktion eines einzigen Laptops einher. Diese Zahlen sollten zum Nachdenken anregen. Nachhaltigkeit & urbanes Leben Mittwoch, 31. März 2010 DIE WELT Seite III „Deutschland zeigt der Welt die Stadt von morgen“ FOTOS: PA/DPA Der Drache gibt sich zunehmend grün, doch das Bewusstsein für echte Nachhaltigkeit ist noch nicht ausgeprägt Es ist nicht alles grün, was glänzt Von Johnny Erling P ekings Regierungsberater in Sachen Klimawandel, Hu Angang, erinnert gern an ein Bonmot von Chinas Reformarchitekten Deng Xiaoping. „Mir ist es egal, welche Farbe die Katze hat, ob Schwarz oder Weiß: Hauptsache sie fängt Mäuse!“ Mit solchem Pragmatismus habe Deng 1980 seinen Landsleuten den Weg zum Wohlstand gewiesen: Die Volksrepublik sollte sich in drei Stufen bis 2050 modernisieren, zuerst den Wert ihrer Wirtschaftsleistung vervielfachen, dann bis 2020 den „kleinen Wohlstand“ verwirklichen und ab 2050 Wirtschaftsgroßmacht werden. Die Nation lernte rasch, dass die Partei alles erlaubte, was dem nützt, solange ihre Kontrolle gewährleistet war. „Wir werden wohl schon 2020 Dengs Visionen für 2050 erfüllen können“, sagt Hu Angang. Nun ist die Farbe der Katzen nicht mehr egal. „Heute müssen sie grün sein.“ Den phänomenalen Aufstieg bezahlte die Volksrepublik mit ungerechter Einkommensverteilung bis hin zu horrenden Umweltschäden. China wurde Weltmeister bei der Verbrennung fossiler Rohstoffe und überholte in absoluten Zahlen 2008 die USA bei der Erzeugung von Kohlendioxid (CO2). Von dem Treibhausgas pustete China 2009 rund sieben Mrd. Tonnen in die Atmosphäre, fünfmal so viel wie 1980. Rekordsummen für Chinas grüne Wirtschaft stehen Überproduktion, steigende CO2Emissionen und der Bau von 23 Atomkraftwerken gegenüber Die Wende kam erst nach 2002 unter der neuen Regierung Hu Jintao. Sie erkannte, dass Wachstum nicht nachhaltig und effizient war, wenn man mit einem Anteil von kaum sechs Prozent an der Weltwirtschaft 2007 mehr als 30 Prozent des Stahls (2009 sogar 55 Prozent), mehr als die Hälfte allen Zements und Aluminiums der Welt produzierte und verbaute. Chinas Energieverbrauch wuchs pro Jahr über zehn Prozent, seine CO2-Emissionen um über zwölf Prozent. Da 75 Prozent des Primärenergie-Verbrauchs aus Kohle kommen und weitere zwölf Prozent aus Öl und Gas, war das kein Wunder. Nachdem Kraftwerke verbessert wurden Chinas Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft steckt nach eigenem Eingeständnis noch in den Kinderschuhen und man begann, in neue Energien zu investieren, sank der Kohleanteil 2009 auf „nur“ noch 68,7 Prozent. In seinem „Kopenhagen-Bericht 2009 zum Klimawandel“ gestand die Regierung, dass ihr ökologischer Umbau noch in den Kinderschuhen steckt. „Unsere CO2-Emissionen pro Einheit Energie liegen viel höher als der Weltdurchschnitt. Das stellt uns vor enorme Schwierigkeiten, sie zu reduzieren.“ Von außen gesehen wirkt es derzeit so, als springe China mit Riesensätzen in ein Zeitalter sauberer Energien. Windkraftanlagen sprießen wie Pilze aus dem Boden, 2009 wurden allein 10 129 Wind-Turbinen installiert. Die Zahl aller Windanlagen und die installierte Kapazität verdoppelte sich in nur einem Jahr auf 25,8 Gigawatt (GW) Stromleistung. China zog an Deutschland vorbei auf Platz zwei nach den USA und plant für 2020 über 100 GW WindkraftLeistung zu installieren. Gigantische Staudämme sind im Bau, die die heutige Kapazität von 172 auf rund 300 GW 2020 katapultieren sollen. Gleichzeitig aber ist die Kernkraft Pekings neues Lieblingskind. Sie soll von derzeit 9,1 GW und elf Reaktoren auf 70 GW bis 2020 wachsen. 23 Reaktoren sind im Bau. Stephen Kidd von der „World Nuclear Association“ sagt, dass mehr als die Hälfte aller weltweit gebauten Atomkraftwerke in China stehen. Aber auch die Solarindustrie, die ihren Anteil am Weltmarkt für Solarmodule auf 32 Prozent erhöht hat, boomt. Der Yingli-Konzern ist einer der Topstars unter Chinas Solarunternehmen, er unterhält ein Dutzend weltweiter Niederlassungen und hat den Exportschwerpunkt Deutschland. Bis 2013 will Yingli für 1,8 Mrd. Dollar seine Kapazitäten auf die Produktion von 18 000 Tonnen Silizium ausweiten. Was für den Konzern sinnvoll ist, führt in der Branche zu Chaos. Industrieminister Li Yizhong warnte vor ruinösen Überkapazitäten, nachdem andere Solarhersteller neue Produktionen für 60 000 Tonnen Silizium aufbauten. Überkapazitäten gibt es auch bei Windturbinen. Chinesische Medien schreiben, dass ein Teil der Windräder in der Landschaft stünden, ohne mit dem Netz verbunden zu sein. Trotz des steigenden Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch, der von 7,1 Prozent 2005 auf 9,9 Prozent 2009 kletterte und 15 Prozent 2020 erreichen soll, wächst der Energiehunger Chinas weiter – und die CO2-Emissionen nehmen zu. Nie verbrauchte China mehr fossile Energie als 2009. Obwohl man 2009 die meiste Kohle weltweit erzeugte, wurden 126 Mio. Tonnen Kohle importiert – 212 Prozent mehr als 2008. Selbst Strom wird eingeführt. Und mit einem Rekord von 204 Mio. Tonnen Öl erhöhte China auch seine Öl-Im- portabhängigkeit, die 2009 erstmals über 50 Prozent lag. Als Entwicklungsland braucht sich China keinen international verbindlichen CO2-Reduktionszielen zu unterwerfen. Es hat sich aber nach innen zu zwei freiwilligen Schritten verpflichtet: Mit der Verbesserung der Energieeffizienz will Peking bis 2010 durch 20 Prozent weniger Energieaufwand eine vergleichbare Wirtschaftsleistung wie 2005 erzielen. Bis Ende 2009 konnte das Land seinen Energieverbrauch immerhin um 14,38 Prozent gegenüber 2005 verbessern. Wo 2010 die noch fehlenden 5,6 Prozent herkommen sollen, wird verschwiegen. Noch schwerer tut sich Peking mit der zweiten Verpflichtung: Ende 2009 beschloss der Staatsrat, zur CO2-Verminderung bis 2020 die Erzeugung von Treibhausgasen um 40 bis 45 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren. 20 der 31 Provinzen wetteifern seither um Staatshilfen oder Kredite, um in Wind- und Sonnenkraftwerke zu investieren. Chinas Wirtschaftsstrategen sehen aber in der grünen Wirtschaft die Zukunft und investieren so viel wie kein anderes Land. Für den 12. Fünfjahresplan (2011–2015) rechnen Experten mit verdoppelten Umweltinvestitionen von 300 Mrd. Euro. Jedoch achtet die grüne Katze nicht darauf, woher etwa Strom kommt, ob bzw. wie sozialverträglich er produziert wird. Expo 2010 Shanghai: Bessere Stadt, besseres Leben Am 1. Mai öffnet die bislang größte Weltausstellung. Fünf zentrale Pavillons und rund 250 Teilnehmer behandeln das Thema Von Jochen Clemens Innenstadt Shanghai: Die neue kreisförmige Fußgängerbrücke soll helfen, der erwarteten Besucherströme Herr zu werden FOTOS: PA/DPA; PA /LANDOV „Better City, Better Life“ lautet das Motto der Expo 2010 in Shanghai. Mit 250 angemeldeten Ländern, Städten und Organisa- tionen ist dies die bislang größte Weltausstellung, zu der rund 70 Mio. Besucher erwartet werden, darunter rund 3,5 Mio. internationale Gäste. Das sechs Kilometer vom Stadtkern entfernte Gelände misst 5,28 Quadratkilometer und erstreckt sich beiderseits des Flusses Huangpu. Nach der sechsmonatigen Expo (1. Mai bis 31. Oktober) soll das ehemalige Industriegelände vor allem der in Shanghai schnell wachsenden Dienstleistungsindustrie ein Zuhause bieten. Als architektonische Hauptattraktion der Expo gilt der knapp 1000 Meter lange zentrale Boulevard mit der weltweit größten Membrankonstruktion. Das Thema „Bessere Stadt, besseres Leben“ wird in seiner ganzen Komplexität dargestellt und mit zahlreichen Projekten, Ideen und Vorschlägen aufbereitet – nicht zuletzt in den fünf zentralen Themenpavillons „Urban Footprints“, „Urban Planet“, „Urban Dwellers“, „Urban Beings“ und „Urban Dreams“, die sich mit den verschiedenen Aspekten städtischer Entwicklung be- fassen. Der erstgenannte Pavillon entstand in Anlehnung an das Konzept des Shanghai-Museums, das Städte als zentralen Faktor des Fortschritts darstellt. Gesetzt wird auf den Gegensatz zwischen HightechInstallationen und kulturellen Artefakten. In „Urban Footprints“ präsentieren sich u. a. auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit zwei technischen Innovationen. Eines davon ist das Grüne Gewölbe. Mittels hochauflösender Hyperreproduktionen können die Besucher in Shanghai Details der Sammlung sehen, die Betrachtern in Dresden vielleicht aufgrund der Ausstellungssituation und ihrer minimalen Größe verborgen bleiben. Den Pavillon „Urban Planet“ gestaltet die Triad Berlin Projektgesellschaft. In verschiedenen Kapiteln wird aufzeigt, wie sich der un- Sonnenschirme und Tiersilhouetten vor bzw. am afrikanischen Pavillon kontrollierte Umgang mit begrenzten Ressourcen auf die Erde auswirkt. Innovative Lösungsansätze sollen verdeutlichen, welchen Leitlinien die Stadtplanung künftig folgen muss. Man verstehe sich da durchaus als „Dringlichkeitslautsprecher“, so Triad. „Urban Dwellers“, von der Agentur des niederländischen Designers Herman Kossmann konzipiert, erzählt über Videoclips die Geschichte von sechs Familien in aller Welt. „Urban Beings“ behandelt das Wachstum der Infrastruktur moderner Städte, „Urban Dreams“ die Zukunft. In dem umgebauten Kraftwerk werden nachhaltige Ansätze für Lösungen urbaner Probleme wie Wohnraum, Verkehr, Energieversorgung und Stadtplanung vorgestellt, außerdem bereits verwirklichte Innovationen verschiedener Städte der Welt, darunter Peking, Kobe, Freiburg im Breisgau, Canberra und San Diego. Nicht auf der Expo zu sehen sein wird der chinesische Gegenentwurf zu Masdar City. Auf der Insel Chongming soll(te) die erste CO2neutrale Ökostadt Asiens entstehen, doch wurde das ambitionierte Projekt vor einigen Wochen kommentarlos von der offiziellen Expo-Webseite entfernt. Nicht kleckern, sondern klotzen. Entsprechend präsentiert sich Deutschland auf der am 1. Mai in Shanghai beginnenden Expo. Der 6000-Quadratmeter-Pavillon wird der größte sein, mit dem sich die Bundesrepublik jemals an einer Weltausstellung beteiligt hat. Rund 50 Mio. Euro lässt man sich laut BMWi (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie) diese Präsenz kosten. Damit verbunden ist die Hoffnung auf einen vielfachen wirtschaftlichen Gewinn, schließlich ist China nach den USA der zweitgrößte Absatzmarkt für deutsche Produkte außerhalb Europas. Diesen Aspekt unterstrich Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) kürzlich bei der Vorstellung des Pavillons. Der deutsche Pavillon trägt den Namen „Balancity“ – ein Kunstwort aus „Balance“ und „City“. Transportiert werden soll die Botschaft: Es ist erstrebenswert, in einer Stadt zu leben, die sich in einem Gleichgewicht zwischen Erneuern und Bewahren, Innovation und Tradition, Stadt und Natur sowie Arbeit und Freizeit befindet. Die bis zum Ende der Expo am 31. Oktober erwarteten rund acht Millionen Besucher begeben sich auf eine Reise, bewegen sie sich zu Fuß, auf Rollbändern oder Rolltreppen durch inszenierte, thematisch ausgerichtete Stadträume. Es beginnt am Hafen, führt durch Gärten und Parks zu einem Stadtplanungsbüro und einer Fabrik. Der Raum „Hinter den Kulissen“ zeigt Projekte der deutschen Kunst- und Kulturszene. Den Abschluss bildet das Kraftwerk, die Energiezentrale von „Balancity“. Der kegelförmige Raum gilt als Hauptattraktion des Pavillons, den die Architekten als „dreidimensionale begehbare Skulptur“ beschreiben. Unter anderem können Besucher in der Energiezentrale durch Klatschen und Rufen mittels eines speziellen Klang-Umwandlungssystems Energie erzeugen und eine hängende 1,2 Tonnen schwere Kugel in Bewegung setzen. Je stärker die Bewegung, desto farbenprächtiger erscheinen die von 1500 Leuchtdioden erzeugten Bilder und Impressionen aus deutschen Städten. Brüderle fasst das Gesamtkonzept so zusammen: „Deutschland zeigt der Welt die Stadt von morgen.“ Die Architektur in der Nähe des Pavillons mutet futuristisch an. Das aus 1200 Tonnen Stahl bestehende Gerippe ist mit einer silbrig glänzenden Membran bespannt, die später – ganz im Sinne nachhaltigen Denkens – zu Taschen oder Sonnendächern verarbeitet werden kann. Und weil bei einem deutschen Auftritt Kulinarisches nicht fehlen darf, köchelt das Deutsche Restaurant (450 Plätze) für chinesische Gaumen Exotisches wie Schweinshaxe oder Sauerbraten. Deutschland ist aber nicht nur über den Pavillon vertreten. Freiburg, Bremen, Hamburg und Düsseldorf präsentieren sich mit permanenten, Bonn, Stuttgart und Hannover mit temporären Ausstellungen. Freiburg etwa erläutert die langjährige nachhaltige Stadtpolitik, die von der Verkehrsführung bis zur Ansiedlung zahlreicher Firmen aus dem Umweltbereich reicht. Düsseldorf nimmt als einzige deutsche Stadt in der Kategorie „Lebenswerte Stadt“ an der Expo teil, präsentiert sein Modell der Verknüpfung von Wirtschaft, nachhaltiger Stadtentwicklung und Lebensqualität im eigenen cle 400-Quadratmeter-Pavillon. Termine 2010 ■ Die Nachfolgeversammlungen der Weltklima-Konferenz in Kopenhagen: 9. bis 11. April in Bonn 31. Mai bis 11. Juni in Bonn 29. November bis 10. Dezember UN-Klimakonferenz in Cancún (Mexiko) ■ C.L.I.M.A.T.E.-Symposium am 6. Mai in München zu Energieeffizienz-Projekten und Nachhaltigkeitsstandards. ■ Der von der Bundesregierung berufene Rat für Nachhaltige Entwicklung trifft sich am 27. September in Berlin zu seiner Jahreskonferenz. Die wichtigste deutsche Konferenz dieser Art versammelt mehr als 1000 Fachleute. ■ Die Siegerunternehmen des Deutschen Nachhaltigkeitspreises werden im Herbst im Rahmen des 3. Deutschen Nachhaltigkeitstages in Düsseldorf bekannt gegeben. Das Programm wird im Sommer veröffentlicht. Alle Angaben ohne Gewähr IMPRESSUM Eine Veröffentlichung der Tageszeitung DIE WELT Chefredakteur: Jan-Eric Peters Redaktion Sonderthemen Leitung: Astrid Gmeinski-Walter, Klaus Ries (Stellvertr.) Redaktion: Jochen Clemens, Matthias Billand Produktion und Gestaltung: Elke Kaufmann Anzeigen: Philipp Zwez (verantw.), Stefanie Scheuer [email protected] + Seite IV/V Nachhaltigkeit DIE WELT Die nachhaltigsten Spiele der Geschichte London möchte mit Olympia 2012 neue Maßstäbe setzen Beim „European Green City Index“, einer kürzlich erschienenen und von Siemens beauftragten Studie, landete London auf Platz elf. 30 europäische Städte wurden dafür in acht Kategorien nach Ambitionen und bisher erfolgten Leistungen analysiert – von CO2-Emissionen über Luftqualität bis hin zum Umweltmanagement. Ist die britische Metropole im Spätsommer 2012 in der Rangfolge geklettert, wäre das auch ein Verdienst der Olympischen Spiele. 2005 hatte sich London gegen Paris, Madrid, New York und Moskau durchgesetzt. Überzeugt hatte das – im wahrsten Sinn – nachhaltige Gesamtpaket. Dazu gehörte auch die Ankündigung von Chef-Organisator Sebastian Coe, einst ein Weltklasse-Läufer, das derangierte Londoner East End in „ein Sportparadies für die Jugend vieler kommender Generationen“ zu verwandeln. Aber auch das vollmundige Versprechen, das so gar nicht dem berühmten britischen Understatement entspricht, nichts weniger als die ersten nachhaltigen Olympischen Spiele der Geschichte zu veranstalten. Dafür sollen insgesamt sollen bis 2012 rund 17 Milliarden Pfund Sterling (aktuell knapp 19 Milliarden Euro) investiert werden. Zentrales Projekt ist der Olympische Park, eine 2,5 Quadratkilometer große, ehemalige kontaminierte Industriefläche. Zahlreiche Stadien und Austragungsorte sind dort gelegen, darunter das Aquatic Centre, die Rad-Arena, die Handball- und Basketballhallen sowie das Olympic Stadium selbst. Schon während des vierwöchigen Events soll der Olympic Park als grünes Rückgrat der Spiele fungieren, erst recht aber danach: Für London, das im Vergleich zu anderen Metropolen traditionell über zahlreiche und auch weitläufige Grünflächen verfügt, soll hier eine neue dauerhafte Attraktion geschaffen werden. Der südliche Teil des am Lee situierten Geländes soll mit Gärten, Märkten, Cafés, Bars und Veranstaltungen die (erhoffte) Festival-Atmosphäre der Spiele konservieren. Der nur 28 FOTOS: PA/DPA Von Jochen Clemens ■ Nicht die Ressourcen von drei Planeten verbrauchen, so wie es derzeit in Großbritannien geschieht Kilometer lange Lee mündet bei Stratford in die Themse. Im nördlichen Teil, auf rund 800 Metern zwischen Olympiastadium und Aquatic Centre, wird es dagegen ruhiger zugehen. Hier wollen die Planer seltenen und bedrohten Tierarten, darunter Eisvogel und Otter, Refugien schaffen, aber auch der über viele Jahrhunderte gewachsenen britischen Passion für herrliche Gartenanlagen frönen. Zu diesem Zweck wurde und wird das ehemalige Industriegelände mit rund 2000 handverlesenen Bäumen, vor allem heimischen Eschen, Weiden, Birken, Haselnussund Kirschbäumen, Platanen, Linden, Erlen und Pappeln, bestückt. Ein Auswahlkriterium: Die jungen Bäume wurden als geeignet erachtet, möglichen Auswirkungen zukünftiger klimatischer Veränderungen zu trotzen. Dazu kommen mehr als 300 000 Pflanzen, die sich in Feuchtgebieten wohlfühlen. Mit diesen Flächen- und Stückzahlen sowie der Vielfalt von rund 250 verschiedenen Pflanzen- und Baumarten soll der Olympic Park zur größten innerstädtischen Kultur-Flusslandschaft der Insel werden. Die Sportanlagen, Arenen und Stadien sollen nach den Spielen sowohl von der Öffentlichkeit und lo- Die Tower Bridge, eines der Wahrzeichen Londons, steht schon ganz im Zeichen der Olympischen Spiele (o.). Im Aquatic Center finden die Schwimmwettbewerbe statt kalen Vereinen als auch von Spitzensportlern genutzt werden. Das olympische Dorf soll umgestaltet werden und (noch zusätzlich zu errichtenden) Wohnraum für die Bevölkerung bieten. Explizit genannt werden Berufsgruppen wie Lehrer und Krankenschwestern – für die ist es aufgrund der im Verhältnis bescheidenen Einkommen und hohen Lebenshaltungskosten schon seit geraumer Zeit nahezu unmöglich, in den innerstädtischen Bereichen Londons angemessenen Wohnraum zu finden. Die offizielle Homepage der Olympischen Spiele (www.london2012.com) räumt dem Thema Nachhaltigkeit breiten Raum ein und erklärt, dass der Ansatz weit über „nur grün sein“ hinausgehe und auf dem World Wide Fund for Nature (WWF)/BioRegional-Konzept „One Planet Living“ basiere. Man sieht die Spiele als „Katalysator für Veränderungen“ und hofft darüber, unter anderem zu vermitteln, dass man mit den limitierten Ressourcen der Erde haushalten muss, anstatt die „Ressourcen von drei Planeten zu verbrauchen, so wie es derzeit in Großbritannien geschehe“. Der Nachhaltigkeitsplan beruht insgesamt auf fünf Schlüsselaussagen: Minimierung der Treibhausgas-Emissionen, Abfall-Minimierung während jeder Phase der Spiele und Anstöße geben für eine neue Abfallverwertungsstruktur im East End, der Minimierung der Beeinträchtigung von Flora und Fauna und dem Schaffen nachhaltiger Strukturen (z. B. Olympic Park), der Werbung für den Standort London und dem Schaffen neuer Jobs und schließlich Menschen zu inspirieren, gesünder zu leben. Beim Bau der Sportanlagen wird genau darauf geachtet, dass möglichst umweltfreundliche Baustoffe verwendet werden; eine gute Gelegenheit, ebenso unkonventionelle wie geniale Ideen umzusetzen. Eine davon trägt das Olympiastadion mit, das zum Teil aus recycelten Gewehren und Messern errichtet wird. Allein 2009 hat die Londoner Metropolitan Police 52 Tonnen Schusswaffen und Messer konfisziert, die eingeschmolzen und verkauft wurden, in diesem Fall an die Bauherren des Stadiums in Stratford. Die Polizei hat noch eine weitere nachhaltige Idee: Zusätzlich zu den unzähligen Überwachungskameras im Land soll gefühlte Sicherheit demnächst auch über Drohnen, also fernsteuerbare, mit Kameras ausgestattete Flugapparate, gewährleistet werden. Laut der Tageszeitung „Guardian“ laufe ein dementsprechendes Projekt. In den Unterlagen für die Lizenzvergabe wurden als Anwendungsgebiete die Sicherung aller Arten von Großveranstaltungen genannt, aber auch explizit die Überwachung von Verkehrsrowdys oder Umweltsündern, die etwa ihren Müll nicht wie vorgeschrieben entsorgen. Masdar Die Traumstadt der Von Jochen Clemens B Der Chef des Staatskonzerns Masdar: Sultan al-Jaber In der Wüste der Vereinigten Arabischen Emirate entsteht ein Utopia der Nachhaltigkeit: Masdar City soll zu 100 Prozent klimaneutral funktionieren. Doch das Projekt verzögert sich islang lief alles wunschgemäß, doch zwei Jahre nach der Grundsteinlegung müssen die Planer erste Abstriche bei ihrem ebenso ehrgeizigen wie einzigartigen Projekt Masdar City machen. Die Fertigstellung der klimaneutralen Ökostadt in der Wüste rund 30 Kilometer östlich von Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) verzögert sich signifikant. Eigentlich sollte die nachhaltige Mustersiedlung für 50 000 Menschen 2016 fertiggestellt werden, um dann quasi unter Freiluftlaborbedingungen eine emissionsfreie, sich ausschließlich über regenerative Energien versorgende Stadt auf ihre Funktionalität zu überprüfen – und herauszufinden, ob Menschen langfristig bereit und überhaupt in der Lage sind, ihre Lebensweise auf ökologisch-nachhaltige Erfordernisse abzustellen. Dieses Zeitziel war bereits einmal verschoben worden – auf 2020. Doch kürzlich musste der Bauherr, die Abu Dhabi Future Energy Corporation, einräumen, dass sich die Fertigstellung von Masdar City bis weit in die 2020erJahre ziehen werde. Nachdem das Staatsunternehmen jetzt auch zwei seiner führenden Köpfe verloren hat – sowohl der Leiter Immobilienentwicklung als auch der Chef von Masdar Energy sind ausgestiegen –, geht der mächtige Masdar-Boss Sultan al-Jaber nun mit seinem Ökostadtprojekt in Klausur. „Sechs bis acht Wochen“ Denkpause hieß es Anfang März – und auch, dass die Abgänge über einen Zeitraum von fünf Monaten vorbereitet gewesen seien. Was wirklich stutzig macht, ist der Satz, dass Masdar in dieser Zeit auch auf seine finanzielle Machbarkeit überprüft werden soll. Im Mittelpunkt steht dabei wohl die Beantwortung der Frage, wann und ob sich Investitionen bezahlt machen. Zuletzt waren die Baukosten für Masdar City mit rund 22 Milliarden US-Dollar beziffert worden, und es bleibt abzuwarten, ob sich diese Summe bei der Revision der ursprünglichen Pläne nicht explosionsartig erhöht, denn ein vergleichbares Bauvorhaben existiert nicht. Das Projekt selbst stünde nicht zur Debatte. Masdar werde in jedem Fall fortgesetzt, bekräftigte das Unterneh- men. „Alle Proje sionäre wie Ma ständige Überpr klärung für die D le man sicherste wirksamsten En Zukunft liefert“. Bauabschnitt mi dem Swiss Villag Institute for Scie der ersten Hoch schließlich mit d tigkeit auf der Energien besch recht bis 2013 Auch an der Zah beitsplätzen wird Anzeige unlocking the clean revolution + & urbanes Leben Mittwoch, 31. März 2010 Hamburg schmückt sich mit dem Titel „Grüne Hauptstadt Europas“ ekte, und erst recht viasdar, erfordern eine rüfung“, lautet die ErDenkpause. Damit wolllen, dass „Masdar die ergielösungen für die Immerhin: Der erste it dem Hauptquartier, ge Masdar sowie dem ence and Technology, hschule, die sich ausdem Thema NachhalBasis regenerativer äftigt, soll termingefertiggestellt werden. hl von rund 90 000 Ard festgehalten. Ebenso steht fest: Die Ökostadt wird Sitz der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (Irena). Hier hatte sich Masdar gegenüber Bonn durchgesetzt, das nicht annähernd mit den großzügigen Offerten der Ölscheichs mithalten konnte. Die Startkosten von 136 Mio. Dollar wollen die Emirate tragen, dazu die Irena-Projekte mit 50 Mio. Dollar pro Jahr fördern. Trostpreis für Bonn: Die Ex-Bundeshauptstadt wird Heimat eines Irena-Innovations- und Technologiezentrums. Welche Ergebnisse die Revision auch immer bringen mag, eines ist klar: Es geht um den Rahmen, nicht um den Inhalt. Masdar wird als reine Ökostadt Animierte Einblicke in die Masdar-Zukunft. Das Gefährt (kleines Foto rechts) ist eine der fahrbaren Kabinen des geplanten personalisierten öffentlichen Schienennahverkehrs realisiert, soll kein Kohlendioxid produzieren und ausschließlich über regenerative Energien versorgt werden – zu 90 Prozent über Fotovoltaik. Für Autos ist kein Platz. Mobilität gewährleistet ein personalisiertes öffentliches Schienentransportsystem, das die Ökostädter in fahrbaren Kabinen an jeden Ort der Stadt bringen soll. Kein Punkt der auf sechs Quadratkilometer ausgelegten Stadtfläche werde mehr als 200 Meter von einer Haltestelle entfernt liegen, so sehen es zumindest die derzeitigen Pläne vor. Ein weiterer wesentlicher Baustein ist konsequentes Recycling, mit dem Masdar nahezu abfallfrei gehalten werden soll. Dem Anspruch der Klimaneutralität kommt die arabische Bauweise entgegen: Eng gestellte, niedrige Häuser halten die Planer, zu denen allen voran das Büro des britischen Star-Architekten Norman Foster zählt, für die beste Lösung, um das heiße Wüstenklima erträglich gestalten zu können. Ganz nach dem Motto: je weniger Sonne einfällt, desto geringer die Temperaturen – und der Bedarf, Gebäude mit hohem Energieaufwand herunterkühlen zu müssen. Für die „Restkühlung“ sollen unter anderem die im arabischen Raum bewährten Windtürme sorgen (siehe dazu auch Seite 7), natürlich im zeitgemäßen Design. Allein durch regenerative Energien gespeiste „Modern Wind Towers“ übernehmen diese Aufgabe. Als weitere Wohlfühl-Elemente sind Frischluftkorridore und Parkanlagen vorgesehen. Foster hat als Ziel ausgegeben, den Energieverbrauch von Masdar gegenüber Städten vergleichbarer Größe um 75 Prozent geringer zu halten. Beteiligt am ÖkoUtopia in der Wüste ist ein Who’s who internationaler Firmen und Institutionen, darunter auch eine Reihe deutscher Unternehmen wie Siemens, BASF und RWTH Aachen. Für die Verwirklichung des Gesamttraums ebenso wie einzelner Ziele – unter anderem soll Masdar dazu beitragen, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Abu Dhabi bis 2020 auf sieben Prozent zu erhöhen, versprach Sultan al-Jaber – setzt der Staatskonzern nicht zuletzt auf deutsche Technik und Ingenieurskunst. Ganz speziell möchte man sich diese bei der erhofften Eroberung des Weltmarktes für Sonnen- und Windenergie zunutze machen. Ein Mosaiksteinchen ist Masdar PV, ein junges, 2008 gegründetes Unternehmen, das sich mit Fotovoltaik-Lösungen befasst. Masdar PV in Ichtershausen bei Erfurt, mitten im „Solarvalley Mitteldeutschland“, ist eine 100-prozentige Tochter des Staatskonzerns. Die Belieferung der Wüstenstadt, auf deren Dächern unglaubliche 300 Millionen Quadratmeter für Solarpaneele reserviert sind, füllt aber nur einen relativ geringen Teil des Produktionsvolumens aus. Rund 30 Prozent, sagt Geschäftsführer Rainer Gegenwart. Und es sei kein Geschenk ohne Gegenleistung: „Wir müssen für Masdar City genauso konkurrenzfähig arbeiten wie für andere Projekte und Auftraggeber auch.“ Die Erfurter Firma ist in kürzester Zeit auf Hochtouren gekommen und hat derzeit 170 Beschäftigte. Im Vier-Schicht-System wolle man sich auf 210 Mitarbeiter steigern, sagt Gegenwart. „Weiteres Wachstum kann marktangepasst erfolgen, unsere Grundstücksfläche können wir bei Bedarf verdoppeln.“ Unterdessen atmet die gesamte Branche hierzulande auf, denn die drastische Kürzung der Solarfördermittel ist erst einmal vom Tisch. Es wird neu verhandelt. „Wir sind froh, dass die Stimme der Solarindustrie doch noch gehört wurde“, so Gegenwart. „Jetzt besteht die Möglichkeit, dass die Regierung auch die Unternehmen mit an den Verhandlungstisch holt. Wir brauchen Planungssicherheit, um den Technologievorsprung und damit den Solarstandort Deutschland zu erhalten.“ Die geplante Reduktion um 16 Prozent hätte laut Experten bis zu 60 000 Arbeitsplätze gefährdet. für eine bessere Umweltpolitik. „Wir haben den Schwerpunkt unserer Bewerbung nicht darauf gelegt, was wir schon geschafft haben, sondern wo wir hinwollen. Der Preis ist eine Verpflichtung für eine bessere Umweltpolitik.“ Hamburg habe „in den vergangenen Jahren und in der Gegenwart große Leistungen erbracht und hat auf der ganzen Bandbreite exzellente Umweltstandards erreicht. Die Stadt hat sehr ehrgeizige Pläne für die Zukunft, die zusätzliche Verbesserungen versprechen“, lobte denn auch die Wettbewerbsjury. Indes, nicht jeder mag dieses Urteil teilen. Neben der politischen Opposition in der Bürgerschaft sind es Umweltverbände, die Einspruch erheben. Der Naturschutzbund bezeichnete den Preis gar als „Witz“. Es müsse noch viel passieren, bis die Stadt diesen Titel wirklich verdiene, meinte Hamburg-Geschäftsführer Stephan Zirpel. Offenbar habe es keine Rolle gespielt, dass Hamburgs Klimaschutzkonzept durch den Bau des Kohlekraftwerks Moorburg konterkariert werde. Mit der geplanten Vertiefung der Elbe steht neuer Matthias Billand Streit ins Haus. Senatorin Anja Hajduk und EU-Kommissar Janez Potocnik bei der Preisverleihung Lernen gegen den Klimawandel: Am 4. Juni online gehen Klima und Nachhaltigkeit ist ein Schwerpunktbereich der Forschung und Lehre an der Hochschule für Angewandtes Wissen in Hamburg (HAW). Die Veranstalter der inzwischen etablierten OnlineKlimakonferenz – die dritte ist für den 1. bis 7. November 2010 angesetzt – klinken sich am 4. Juni mit dem zweiten „Europäischen KlimaTeach-In-Tag“ an den „World Climate Teach-in-Day“ an, der einen Tag später Aufmerksamkeit generieren soll. Ideengeber und Initiator der Europa-Variante ist Walter Leal, Koordinator der Online-Konferenz und Leiter der HAW-Fakultät „Applications of Life Sciences“. Anliegen der Online-Bildungsinitiative in Sachen Nachhaltigkeit ist es, „das Bewusstsein für ein globales Problem, den Klimawandel, zu stärken“. Dabei, so Leal, sei es notwendig, verstärkt junge Menschen anzusprechen – „die Fachleute und Problemlöser von morgen“. Deshalb ist der „Europäische Klima-Teach-In-Tag“ ganz speziell auf Schüler in höheren Klassenstufen sowie Studenten zugeschnitten. Am 4. Juni werden auf der Internetseite des Teach-in-Tages in PDFForm rund 40 Beiträge von namhaften Wissenschaftlern, Experten und Organisationen abrufbar sein. Schulen und Hochschulen können die Dateien herunterladen und im Unterricht einsetzen. Die „virtuelle, zielgruppengerechte Bereitstellung wissenschaftlicher Information“ will einen wichtigen Beitrag leisten, „die Diskussion über den Klimawandel an Schulen und Hochschulen in ganz Europa zu fördern“, sagt Leal. Unter den Beiträgen finden sich „Producing Food for the World Under a Changing Climate“ der Welternährungsorganisation (FAO), „Psychologie und Klimawandel“, eine norwegische Studie, eine Präsentation aus Nigeria über Mechanismen für verbesserte Holzproduktion sowie zwei Fallstudien aus Oregon (USA), die Leitfäden nachhaltigen Handelns für Kommunen geben. Weitere Informationen unter www.world.climateday.net und cle www.climateday.eu Anzeige www.theclimategroup.org r Ökoscheichs Traumhafte Lage: So stellen sich die Planer, zu denen auch das Büro von Norman Foster zählt, den Anblick von Masdar City vor Vor gut einem Jahr hat die EU-Kommission Hamburg als „Grüne Hauptstadt Europas 2011“ ausgezeichnet. Der Titel, mit dem sich im laufenden Jahr das schwedische Stockholm schmückt, wurde in Anlehnung an das erfolgreiche Programm „Kulturhauptstadt Europas“ ins Leben gerufen. Weil 80 Prozent der Europäer in einem städtischen Umfeld wohnen, ist die Verbesserung der urbanen Lebensqualität zentrales Anliegen der noch jungen EU-Initiative. Die Auszeichnung solle Städten (bewerben können sich Kommunen mit mehr als 200 000 Einwohnern) Anreize bieten, Ideen und Erfahrungen in einem freundschaftlichen Wettstreit zu vernetzen, heißt es dazu in Brüssel. Bewertet werden in einem Scoring-System Faktoren wie die lokalen Anstrengungen gegen negative Begleiterscheinungen des Klimawandels, der öffentliche Nahverkehr, das Angebot an Grünflächen, Naturschutz, Ressourcenverwendung und viele weitere. Unter den 35 Bewerbern für 2011 lag Hamburg in einigen Feldern, etwa Klimawandel oder Abfallmanagement, vorn, in anderen leicht hinter den „Hauptkonkurrenten“ Oslo, Kopenhagen und Amsterdam. Bei der Gesamtpunktzahl setzte sich die Hansestadt (aus Deutschland hatten darüber hinaus noch Freiburg und Münster teilgenommen) gegen sieben weitere Kommunen im Finale durch. Geld gibt es für die Sieger-Stadt zwar keines. Aber ein Imagegewinn ist mit dem Preis auf jeden Fall verbunden. Anja Hajduk, Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt der schwarz-grünen Landesregierung, sah in einer ersten Reaktion in der Auszeichnung eine Verpflichtung FOTO: PA/DPA r ANIMATIONEN/FOTOS: HILL AND KNOWLTON/MASDAR (5); PA/DPA Umweltkonzept überzeugt EU, doch es gibt Kritik + Seite VI Nachhaltigkeit & urbanes Leben DIE WELT Mittwoch, 31. März 2010 Neue Werte bei der Geldanlage Der Finanzkrise sei Dank: Ökologische und ethische Aspekte werden wichtiger FOTO: REUTERS Brasiliens Umweltminister Carlos Minc (r.) und Präsident Lula da Silva kämpfen u. a. für eine nachhaltige Nutzung des Regenwaldes. Vielleicht ein Projekt, das Ökobanken fördern können D ie Zahlen sprechen eine klare Sprache: 33 Prozent Wachstum verzeichnete die GLS Bank im vergangenen Jahr bei der Bilanzsumme, insgesamt waren es 1,35 Milliarden Euro. Für 2008 rechnet die Ökobank mit einem erneuten Plus von knapp 40 Prozent. Die Zahl der Kunden erhöhte sich dabei um 11 000 auf nunmehr 73 000. Ähnliche Daten lieferte jüngst auch die auf Ökoprojekte spezialisierte Nürnberger Umweltbank: Die Bilanzsumme kletterte um 29 Prozent auf 1,50 Milliarden Euro. Die Kundenzahl stieg um 10 000 auf 80 000. Ein Ende dieses Booms sei nicht in Sicht, teilte die Bank mit. Der Trend ist eindeutig: Immer mehr Menschen legen bei der Geldanlage Wert auf das Thema Nachhaltigkeit. Ob Umweltsparbuch, Tagesgeld oder Girokonto – auch bei normalen Bankgeschäften achten die Bundesbürger stärker auf ökologisch orientierte und ethisch korrekte Angebote. Der Grund liegt auf der Hand: Die Finanzkrise hat gezeigt, dass viele Banken mit den Geldern ihrer Kunden nicht verantwortungsbewusst umgehen und zum Teil in hochriskante Produkte investieren. Viele Kunden interessieren sich daher jetzt vermehrt dafür, wo die Gelder angelegt werden. „Das nachhaltige Denken ist ein langfristiger Trend. Die Finanzkrise hat in vielen Teilen der Bevölkerung auch hinsichtlich der Geldanlage einen Bewusstseinswandel ausgelöst“, sagt Georg Schürmann, einer der beiden Geschäftsleiter der Triodos Bank Deutschland. Die Bank, die 1980 als unabhängiges Geldinstitut in den Niederlanden gegründet wurde, ist neu auf dem deutschen Markt und hat erst Ende vergangenen Jahres eine Niederlassung in Frankfurt eröffnet. Triodos will sich als weitere Ökobank neben GLS, Umweltbank, der Ethikbank in Thüringen – einer Zweigniederlassung der Volksbank Eisenberg – ■ Kunden für Ökobanken: Eine Studie nennt ein Potenzial von rund zwölf Mio. Verbrauchern bis 2020 und der ebenfalls noch recht neuen Noa Bank hierzulande etablieren. „Der Titel Ökobank greift für die Triodos Bank zu kurz“, betont Schürmann. „Wir decken vielmehr alle Kriterien der Nachhaltigkeit ab, nicht nur den Umweltaspekt.“ Triodos ist im Bereich Privatkunden Ende 2009 als Direktbank mit zwei Produkten an den Start gegangen – einem Tagesgeldkonto und einem Sparplan. „Immer mehr Menschen wollen nicht nur eine finanzielle Rendite, sondern darüber hinaus auch einen Mehrwert, eine ökologisch-soziale Rendite“, sagt Schürmann. Davon habe auch Triodos mit einem kräftigen Kundenwachstum profitiert. Konkrete Kundenzahlen für Deutschland veröffentlicht Triodos aber noch nicht, nur so viel: „Wir sind sehr zufrieden“, so Schürmann. „Die Leute legen bei uns ihr Geld in Höhe von wenigen Hundert Euro bis hin zu sechsstelligen Beträgen an.“ Wahrscheinlich im Herbst soll das Angebot zunächst um nachhaltige Investmentfonds aus dem Hau- se Triodos ergänzt werden. Anfang 2011 soll ein Girokonto hinzukommen. „Wir wollen langfristig für unsere Kunden die Rolle einer Hausbank spielen können“, sagt Schürmann. Im Vergleich zu den traditionellen Bankhäusern bieten die Ökobanken zwar keine attraktiveren Zinssätze oder weitreichendere Produktangebote, das Kreditgeschäft hingegen ist deutlich transparenter. So können die Kunden auf den Internetseiten der Banken beispielsweise nachsehen, wem die Bank Kredit gibt. „Andere Banken versuchen teilweise nun auf den Zug aufzuspringen und bieten ebenfalls grüne Produkte an“, sagt Arno Gottschalk, Finanzberater bei der Verbraucherzentrale Bremen. „Diese Angebote ■ Die Finanzkrise zeigte: Viele Banken gehen mit Kundengeldern nicht verantwortungsbewusst um sind aber marketinggetrieben.“ Gottschalk führt das große Interesse an Ökobanken auf das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Anleger zurück. „Viele, die nachhaltig anlegen, wollen als Erstes ihr Geld sicher verwahrt wissen. Erst im zweiten Schritt geht es ihnen um ethisch, ökologisch und soziale Faktoren“, so Gottschalk. Trotz des großen Runs haben die in Deutschland tätigen Ökobanken mit einem Kundenstamm von nur wenigen Hunderttausend bislang aber nur einen Bruchteil des Marktes erschlossen. Das kann sich aber schnell ändern. Nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft zeb wird das Segment weiter kräftig wachsen: Einer aktuellen Studie zufolge geht zeb von einer Ausweitung des Kundenpotenzials für Ökobanken auf zehn bis zwölf Millionen Verbraucher bis zum Jahr 2020 aus. Zumal es auch weitere Player gibt. Denn auch einige kirchliche Banken haben ihr Geschäftsmodell konsequent nachhaltig ausgerichtet, etwa die Evangelische Kreditgenossenschaft EKK in Kassel und die KD-Bank, die Bank für Kirche und Diakonie. „Wir wollen dem Beratungsnotstand entgegentreten und bieten Transparenz und faire Betreuung“, wirbt Ekkehard Thiesler, Vorstandsvorsitzender der KDBank, für sein Haus. Auf das Thema Mikrofinanz setzt Oikocredit, eine genossenschaftliche Finanzierungseinrichtung, die zur Entwicklungsförderung Kredite und Kapitalbeteiligungen für Mikrofinanzinstitutionen, Genossenschaften und kleine und mittlere Unternehmen in Entwicklungsländern bereitstellt. Mikrokredite – das sind Darlehen zwischen zehn und einigen Hundert Euro – gelten als äußerst effiziente Strategie zur Armutsbekämpfung. Denn sie geben vielen benachteiligten Menschen die Chance, sich aus eigener Kraft eine Verdienstmöglichkeit schaffen zu können. Ab 200 Euro können Anleger Genossenschaftsanteile kaufen, sich also an Oikocredit beteiligen. Jährlich wird eine Dividende in der Höhe von maximal zwei Prozent ausgezahlt. Das ist zwar nicht gerade viel. Aber wie war das doch gleich? Immer mehr Anleger wollen wissen, was mit ihrem Geld passiert. Die Rendite spielt da oft nur eine zweitrangige Rolle. FOTO: PA/EMPICS/KIRBY Von Heino Reents Wer ethisch und umweltpolitisch korrekt anlegen will, hat viele Möglichkeiten. Die Zahl der „grünen“ Fonds steigt. Noch ist die Nachfrage im Privatkundensegment marginal, doch deutliche Steigerungen werden erwartet Nachhaltige Investments liegen im Trend Experten erwarten, dass Zahl und Volumen von Öko-Dachfonds weiter steigen wird Von Heino Reents Mehr, immer mehr. Das Streben nach kurzfristiger Gewinnmaximierung und die unstillbare Gier vieler Investoren war ein wesentlicher Auslöser für die Finanzkrise. Was bei vielen Anlegern geblieben ist, ist das Bewusstsein, dass es bei der Geldanlage noch etwas anderes gibt als Rendite: Nachhaltigkeit. Dass ökologisches, soziales und ethisches Investieren immer beliebter wird, verdeutlicht der Blick auf die Statistik: Ende vergangenen Jahres erreichten nachhaltige Publikumsfonds im deutschsprachigen Raum laut Angaben des Sustainable Business Institute ein Gesamtvolumen von 30 Milliarden Euro und damit neun Milliarden Euro mehr als noch 2008. „Nachhaltige Kapitalanlagen und Investments in artverwandte Themen entsprechen zunehmend mehr dem Zeitgeist und liegen im Trend“, erklärt Björn Drescher, Geschäftsführer des unabhängigen Fonds-Informationsdienstes Drescher & Cie mit Sitz in Sankt Augustin. Einer der Klassiker im Bereich der breit streuenden nachhaltigen Aktienfonds ist der Pioneer Global Ecology. Fondsmanager Christian Zimmermann investiert weltweit, schließt dabei aber Firmen aus, die gegen Menschen- und Arbeitsrechte verstoßen, Waffen oder Drogen produzieren. Unterstützung erhält er bei der Suche von der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Münchner Ratingagentur Oekom. Über drei Jahre, fünf Jahre und seit seiner Auflage im Jahr 1990 schlug der Fonds seinen Vergleichsindex MSCI World. Selbst im globalen Katastrophenjahr 2008 schnitt der Fonds besser ab als der Gesamtmarkt. Zu den etablierten Produkten zählt auch der Swisscanto Equity Green Invest. Der Fonds wurde gemeinsam mit dem WWF Schweiz aufgelegt und investiert unter Einhaltung strenger Ausschlusskriterien, die ein Umweltbeirat überwacht. Auch der Ökovision Classic ist hierzulande ein bekannter und erfolgreicher Nachhaltigkeitsfonds. Er investiert vorwiegend in kleinere und mittlere Unternehmen, die in ihrer jeweiligen Branche und Region unter ökologischen und ethischen Aspekten führend sind und die größten Ertragsaussichten besitzen. Neben den klassischen Nachhaltigkeitsfonds wächst auch die Palette der Themen- und Branchenfonds beständig. Dazu zählen Klimawandelfonds ebenso wie Neue Energien- und Umwelttechnologiefonds, wobei die Grenzen des Anlageuniversums auch hier stark verwischen. „Es ist übrigens ein weitverbreiteter Irrglaube, dass Klimawandel- und Umwelttechno- ■ Nachhaltige Kapitalanlagen entsprechen zunehmend mehr dem Zeitgeist und liegen im Trend Björn Drescher logiefonds auch nachhaltig gemanagt sein müssen. Sie werden aber in die Kategorie mit eingeordnet“, erläutert Fondsexperte Drescher. Eine der größten Themenfonds ist der DWS Klimawandel, der vor- wiegend in Small- und Mid-Caps investiert. Nach dem Stock-Picking-Prinzip sucht Nicolas Huber die besten Hersteller umweltfreundlicher Technologien, Erzeuger erneuerbarer Energien sowie Unternehmen aus dem Bereich Katastrophenschutz. Dabei sind die Auswahlkriterien weit gefasst: Nur ein Fünftel des Umsatzes müssen Unternehmen mit dem Thema Klimaschutz erzielen, um sich für das Portfolio zu qualifizieren. Weil das Angebot an nachhaltigen Investmentfonds steigt, wächst auch die Zahl der entsprechenden Dachfonds. Sie haben durch das größer werdende Universum deutlich mehr Anlagemöglichkeiten. Der BHF Sustain Select setzt auf Aktien- und Rentenfonds, die nach Nachhaltigkeitskriterien gemanagt werden. Die So investieren Anleger in grüne Investmentfonds (Auswahl) N am e A u fl age Ausgabeaufschlag laufendes Jahr in % ManagementGebühr in % Performance 1 Jahr in % Performance 3 Jahre in % ISIN Breit streuende Nachhaltigkeits-Aktienfonds Invesco Umwelt- und Nachh. Öko-Aktienfonds Swisscanto Green Invest Ökovision Classic Sarasin OekoSar Equity Global Pioneer Global Ecology iShares DJ Sustain. ETF Allianz-dit Global Ecotrends A 18.10.1990 01.10.1999 10.11.1998 02.05.1996 30.09.2005 30.04.1990 11.12.2006 03.05.2006 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 5,00 0,00 5,00 1,50 1,50 2,00 1,76 1,75 1,50 0,42 2,00 53,44 47,50 50,20 41,62 46,83 44,86 48,76 29,56 –15,27 –16,50 –26,80 –32,60 –15,34 –21,10 –24,33 –24,76 DE0008470 LU0037079 CH0009074 LU0061928 LU0229773 LU0271656 DE000A0F5 LU0250028 23.09.2003 30.03.2007 14.05.2007 29.06.2007 27.12.2006 15.01.2007 28.02.2007 13.12.2001 06.04.2001 5,00 5,00 5,00 5,26 3,75 5,00 5,00 5,00 5,00 1,50 0,80 2,40 1,50 1,75 1,50 1,45 1,65 1,75 99,89 61,26 54,18 57,23 55,39 38,37 38,29 33,00 21,73 11,80 – – – –34,97 –8,97 –29,34 –24,93 –29,05 LU0175571 LU0280770 LU0280430 LU0306804 DE000DK0E DE000A0KE DE000DWS0 LU0138258 LU0124384 Themenfonds SAM Smart Energy SAM Sustainable Climate Pictet Clean Energy Schroders Global Climate Change Deka Umweltinvest LBBW Global Warming Strategie DWS Klimawandel Vontobel Gl. Trend New Power BGF New Energy Fund QUELLE: COMDIREKT, STAND: 18.3 + Auswahl steuert das Fondsmanagement flexibel, wobei der Aktienfondsanteil maximal 70 Prozent betragen darf. Für Anleger interessant ist, dass die BHF anders als Wettbewerber nur dann eine Verwaltungsvergütung kassiert, wenn ihr Dachfonds im Jahr mindestens fünf Prozent an Wert zulegt. Zudem ist der Ausgabeaufschlag niedriger. Auch die DekaBank hat zum Thema Nachhaltigkeit seit Anfang 2009 zwei Dachfonds im Programm. Zum einen den DekaSelect Nachhaltigkeit Chance (Aktienfondsanteil bis zu 100 Prozent) sowie die Variante Wachstum (bis zu 60 Prozent Aktienfondsanteil), die Anfang 2009 aufgelegt wurden. Den Schwerpunkt des Portfolios bilden Nachhaltigkeitsoder Ethikfonds. Ergänzend werden Themenfonds aufgenommen, die in Anlagethemen wie Umwelttechnologie, erneuerbare Energien, Wasser oder Mikrofinanz investieren. Einen recht breiten Ansatz fährt auch der Warburg ZukunftStrategie Nachhaltigkeit, ein Klassiker unter den Öko-Dachfonds. Das Fondsmanagement investiert neben den konventionellen Anlageklassen wie Anleihen und Aktien auch in Mikrofinanzfonds. Experten erwarten, dass Zahl und Volumen der Öko-Dachfonds weiter steigen wird, denn die Produkte versprechen Anlegern weniger Arbeit bei der Suche nach grünen und ethisch einwandfreien Investments. „Die Nachfrage von Kunden im Segment nachhaltiger Finanzprodukte ist im Privatkundensegment derzeit noch eher gering; wir sind allerdings davon überzeugt, dass die Produkte in der Zukunft eine deutlich höhere Bedeutung erhalten werden“, sagt Dirk Degenhardt, Leiter Produktmanagement der DekaBank. Nachhaltigkeit & urbanes Leben Mittwoch, 31. März 2010 DIE WELT Seite VII Das Geheimnis der grauen Energie FOTO: PA/DPA FOTO: REINIG Dachbegrünung kühlt Innenräume. Vertrocknet sie, wird es aber noch heißer Die blaue Färbung in der Thermografie-Aufnahme eines Passivhauses zeigt, dass das Gebäude keine Wärme nach außen abgibt. Mehr Haustechnik als Dämmung kann aber die Ökobilanz verbessern der Wärmeenergie durch die Hülle und den Rest beim Lüften. Bei einem nach der gültigen Energiesparverordnung gebauten Haus verschwinden dagegen noch 60 bis 70 Prozent der Energie durch die Hülle, bei Passivhäusern ist es sogar nur noch die Hälfte. Das klingt zunächst sehr gut, hat aber bei genauerem Hinschauen gleich zwei Haken: Bei jedem Schritt steigt die benötigte graue Energie viel stärker, als der Energieverbrauch im Gegenzug sinkt. Und während sich der Anteil der durch die Gebäudehülle verlorenen Energie verringert, steigt im gleichen Maß der beim Lüften verlorene Anteil. Da drängt sich eine Frage auf: Erreicht man nicht irgendwann den Holz hat bessere Klimabilanz als Stein Passivhaus halb-halb: Ein reiner Holzbau verbessert die Klimabilanz erheblich ■ Wenn der Architekt Taco Holthuizen vor allem auf Holz als Baumaterial setzt, denkt er dabei ebenfalls an die graue Energie, die in jedem Gebäude steckt. Eine Tonne Holz enthält nämlich rund 1,85 Tonnen Kohlendioxid, die der Wald aus der Luft geholt hat und die so dem Klima entzogen werden, solange der Holzbau steht. Ein Massivhaus mit einer Wohnfläche von 210 Quadratmetern verursacht so 86 Tonnen Kohlendioxid mehr als ein ähnlich großes Holzhaus. Bei einem Passivhaus wird dieser Effekt bisher nicht mitgerechnet, für die Klimabilanz aber wirkt er sich sehr positiv aus. RHK Punkt, an dem eine Investition in die Haustechnik, die zum Beispiel Energieverluste beim Lüften verringert, viel mehr bringt als zusätzliche Dämmschichten? Taco Holthuizen hat nachgerechnet und zeigt, dass dieser Punkt oft genug bereits beim Passivhaus längst überschritten ist. Daraus wiederum folgt: Eine gute Dämmung ist zwar Voraussetzung für ein Haus mit niedrigem Energieverbrauch. Statt die Dämmung aber immer dicker zu machen, bringt es für Geldbeutel und Klima mehr, wenn man ab einer bestimmten Dämmwirkung in die Haustechnik investiert. Längst hat der Architekt etliche Gebäude nach diesem Konzept neu gebaut oder saniert. Typische Beispiele sind eine Polizeistation und ein Fitnessstudio. In beiden sitzen oder bewegen sich viele Menschen, jede Person strahlt rund 100 Watt Wärme ab. Im Fitnessstudio strampeln sich die Menschen auf Laufbändern ab, deren Betrieb seinerseits Wärme abgibt. Auch ein PC rechnet nicht nur, sondern strahlt als Abfall mit einer Leistung von ein paar Hundert Watt Wärme ab. Da auch Kühlschränke und Bildschirme die Umgebung aufhei- Pumpe ein Kilowatt Strom, liefert zen, gibt es in solchen Gebäuden sie gleichzeitig sechs Kilowatt reichlich Wärmequellen. Öffnet Wärme. Der Wirkungsgrad ist daman zum Lüften einfach das Fens- bei zwar nicht unbedingt besser als ter, verliert sich diese bei der GegenstromanWärme ungenutzt im lage, die gewonnene Freien. Deshalb haben Wärme ist aber „wertPassivhäuser und bevoller“: So liefert eine sonders PlusenergieErdwärmeheizung solhäuser ein ausgeklüche fürs angenehme geltes Lüftungssystem. Händewaschen oder Dabei strömt die verDuschen nötige Tempebrauchte Luft mit einer raturen mit viel schlechTemperatur von vielterem Wirkungsgrad. leicht 20 Grad Celsius Der Architekt Taco Auch wenn im Winter auf großer Fläche di- Holthuizen die schwache Sonnenrekt an der von draustrahlung über eine Soßen in den Raum geleiteten kalten laranlage Wasser etwa nur auf 25 Frischluft vorbei und heizt diese Grad Celsius aufheizt, liefert die zum Beispiel auf 18 Grad Celsius Abluftwärmepumpe für Klima und auf. Eine kleine Zusatzheizung Geldbeutel preiswert duschtauglibringt weitere Grade, sodass ange- chere Temperaturen. Die Energie nehm warme, frische Luft in den des 25 Grad warmen SolarenergieRaum strömt. wassers aber leitet Holthuizen geDieses Gegenstromprinzip ist nau wie überschüssige Wärme im heute Standard. Taco Holthuizen Spätsommer in den Boden um die aber verbessert ein zweites Prinzip Erdwärmeanlage. Je wärmer der erheblich weiter, das mit einer Boden, desto besser der WirkungsWärmepumpe im Abluftstrom ar- grad: „Wir nutzen so einfach den beitet. Dort heizt die verbrauchte Boden als riesigen Speicher, der Luft eine Flüssigkeit auf 40 oder 45 überschüssige Spätsommerwärme Grad Celsius. Verbraucht diese bis in den Winter aufhebt.“ FOTO: PRIVAT G raue Energie“ ist für Taco Holthuizen ein Schlüsselbegriff. Der Schweizer Architekt leitet in Berlin mit seiner Frau Corinne ein kleines Architekturbüro, das sich auf „grüne“ Gebäude spezialisiert hat, die sehr wenig Energie verbrauchen. Dabei konzentriert er sich aber nicht nur auf einen möglichst geringen Verbrauch von Gas oder Holzpellets beim Heizen, sondern berücksichtigt auch die Energie, die etwa in die Herstellung der Substanzen fließt, mit denen ein Haus gebaut und isoliert wird. Das ist die „graue Energie“, die das Klima ebenso beeinflusst wie das direkte Verfeuern von Gas, Öl oder auch Kohle im Heizkessel. Diese graue Energie aber sollte vor allem bei Passiv-, Null- oder Plusenergiehäusern mit berücksichtigt werden. Bisher beziehen sich deren Standards nämlich nur auf die Energie, die im Laufe eines Jahres für Heizung, Warmwasser, Kühlen und Lüften verbraucht wird. Ein Passivenergiehaus soll zum Beispiel für einen Quadratmeter Wohnfläche im Jahr nicht mehr als 1,5 Liter Heizöl oder 15 Kilowattstunden Energie zum Heizen benötigen. Das Nullenergiehaus deckt im Jahresdurchschnitt seinen Bedarf mithilfe von Sonnenenergieanlagen selbst, und ein Plusenergiehaus hat im Laufe eines Jahres sogar noch Energie übrig, die es nach außen liefert. Wenn die Tendenz für die Energiepreise langfristig nach oben zeigt, sind solche Eigenschaften für Bauherren und Mieter natürlich ähnlich interessant, weil sie nicht nur die Energiekosten senken, sondern auch die Klimabilanz verbessern. Beides aber bezieht sich eben nur auf den Jahresverbrauch und unterschlägt die Kosten und die Klimabilanz für die graue Energie, die unter anderem in den Dämmstoffen steckt. Wird aus einem Niedrigenergiehaus ein Passiv-, Null- und am Ende gar ein Plusenergiehaus, werden bei jedem Schritt vor allem Wände, Decken und Böden, Fenster und Türen besser gedämmt. Je mehr Dämmstoffe aber für die Gebäudehülle eingesetzt werden, umso mehr Energie ist in deren Herstellung geflossen, umso schlechter wird die Klimabilanz der Dämmung und umso höher steigt der Preis. Den aber bezahlt der Bauherr und gibt diese Kosten an den Mieter weiter, wenn er das Haus nicht selbst nutzt. Nutzer und Klima zahlen also für die zusätzlichen Dämmstoffe und die darin steckende graue Energie einen Preis, den der Energiestandard gar nicht berücksichtigt. Holthuizen aber tut das durchaus und erzielt dabei zum Teil recht verblüffende Ergebnisse, die er mithilfe einiger Zahlen erläutert: Demnach verliert ein schlecht gedämmtes Haus 80 bis 90 Prozent Sowohl aus Kostenals auch aus Umweltgründen lohnt es sich bereits bei Passivhäusern, mehr in Haustechnik als in Wärmedämmung zu investieren FOTO: PA/GMS Von Roland Knauer Stadtplanung und Klima: Grüne Inseln gegen Tropennächte Wie man kühlen Kopf in heißen Regionen bewahrt Abkupfern bei der Natur lohnt: Moderne Bürogebäude lassen sich umweltfreundlich und energiesparend klimatisieren In der Gluthitze der arabischen Wüsten möglichst einfach Kühle zu finden, dieses Problem haben die Menschen dort bereits vor Jahrtausenden gelöst. Schon im Altertum bauten etwa die Perser sogenannte Windtürme. Strömt der Wind über diesen Turm, wird die Luft zusammengestaucht. Das aber beschleunigt den Wind. Aus dem gleichen Grund weht auf einem Berggipfel die Brise meist stärker als im Tal. Dieser Wind aber zieht die Luft durch ein Loch im Dach aus dem Turm heraus. Ersetzt wird diese abfließende Luft durch eine Strömung, die durch unterirdische Gänge in das Haus weht. Der relativ kühle Boden senkt die Temperatur der Luft, die Bodenfeuchte liefert Wasser in diesen extrem trockenen Hauch und die Perser haben in ihren Wohnhäusern ein erstaunlich angenehmes Klima. Mit dem gleichen Prinzip kühlen die Menschen in den Wüsten auch gern ihr Wasser. An der höchsten Stelle haben die Dächer über den Zisternen ein Loch, an dem ebenfalls ein Unterdruck entsteht. Die Luft strömt dann durch den Boden direkt über die Oberfläche in der Zisterne, ver- dunstet ein wenig Wasser und kühlt dabei die Flüssigkeit kräftig ab. Mit diesem geringen Wasserverlust kaufen die Perser sich sozusagen ihr immer kühles Wasser ein. Mit dem gleichen Prinzip der kühlenden Verdunstung bringt auch der Münchner Architekt Michael Laar ohne Klimaanlage angenehme Luft in das Veranstaltungszentrum Circo Voador im tropischen Klima von Rio de Janeiro. Riesige Ventilatoren blasen dort Luft in die Halle, die beim Eintritt in das Gebäude mit Wassertröpfchen versetzt wird. Die Verdunstung kühlt die Luft und sorgt für eine angenehme Feuchtigkeit. 90 Prozent der Energie einer herkömmlichen Klimaanlage spart der Betreiber mit dieser aus der Natur abgeschauten Kühlung. Selbst eine geringe Dachbegrünung sorgt für zehn Grad niedrigere Temperaturen im obersten Geschoss, wuchert das Grün oben so richtig üppig, sind unterm Dach bis zu 20 Grad niedrigere Temperaturen drin. Richtig gebaut spart ein Bürogebäude 63 Prozent der bisher benötigten Energie ein, hat Michael Laar mit Demonstrationsgebäuden bereits bewiesen. Das Ganze funktioniert auch in Mitteleuropa. Auf das Kuppeldach des Design-Centers im österreichischen Linz hat der Architekt Thomas Herzog einen Reiter gesetzt, der eine ähnliche Wölbung wie die Oberseite einer FlugzeugTragfläche hat. Hier wie dort beschleunigt die Luft enorm, sorgt so für Unterdruck und damit für frische Luft im Design-Center. In der Natur lüften Termiten ihren Bau nach einem ähnlichen Prinzip, das aber mit Sonnenstrahlen funktioniert. Zunächst einmal zerkauen die Insekten eifrig Holz, auf dem so entstehenden Gemisch legen sie ihre Pilzgärten an. Zusammen mit Speichel und Lehm aber gibt das zerkaute Holz auch einen hervorragenden Mörtel, den die Termiten anstelle von offenen Fenstern in ihren Hügel einbauen. Durch die harte, aber poröse Masse kommt kein Feind, aber sehr wohl Luft in den Bau. Für Termiten-Wohlfühltemperaturen um die 30 Grad Celsius sorgt ein genialer Trick: Ein Teil des Baus liegt unter der Erdoberfläche, ein Teil ragt als skurriler Lehmturm in den tropischen Himmel. Diesen Teil heizt die heiße Sonne Afrikas tagsüber kräftig auf. Die warme Luft steigt nun durch Kanäle nach oben und drückt schnell durch die Poren des Mörtels nach draußen. Ersetzt wird diese ohnehin verbrauchte Abluft durch eine frische Brise, die aus dem kühlen Boden nachströmt. In der Hauptstadt Simbabwes zeigt das Eastgate-Hochhaus, wie man die Klimaanlagen der Termiten auf moderne Architektur übertragen kann: Tagsüber brennt meist die heiße Sonne Afrikas auf die Betonflächen, konventionelle Bauten werden für teures Geld und mit hohem Treibhausgasausstoß heruntergekühlt. Im EastgateHochhaus in Harare dagegen heizt die Sonne die Luft in extra dafür eingebauten Lüftungskaminen kräftig auf, sodass sie den Gesetzen der Physik entsprechend nach oben steigt. Ersetzt wird dieser Verlust durch Frischluft, die aus dem relativ kühlen Innenhof durch Fußleisten in die Büroräume gesaugt wird. In der Nacht dagegen heizen die von der täglichen Sonne aufgewärmten Betonwände die Büros. Mit 23 bis 25 Grad Celsius bleibt die Temperatur in den Räume so rund um die Uhr angenehm, ohne dass fossile Energie verfeuert oder elektrischer Strom verbraucht worden ist. Abkupfern von der Natur lohnt sich also. FOTOS: AKUMUDZI; PA/ZB Von Roland Knauer + Das Luxushotel Burj al-Arab (r.) in Dubai nutzt zur Kühlung die jahrtausendealte Technik der Windtürme. Das Bürohaus Eastgate (l.) in Harare dagegen nutzt das Termiten-Prinzip Stadtplaner sollten heute an das Klima von morgen denken. Denn in Metropolen wie Berlin, New York, Tokio, Kairo, Singapur oder Rio de Janeiro werden auch in 50 oder 100 Jahren noch Menschen in den Strukturen leben, die heute geplant werden. Dann aber werden vielerorts deutlich höhere Temperaturen als heute herrschen. Und die könnten viele Städter um den Schlaf bringen, befürchtet der Klimatologe Dieter Scherer von der Technischen Universität Berlin (TUB). Eines der großen Probleme in gemäßigten Breiten werden dann tropische Nächte sein, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius sinkt. Vor allem in großen Städten werden sie zunehmen. Dort heizt die Sommersonne an heißen Tagen den Beton kräftig auf, haben Dieter Scherer und seine Mitarbeiter gemessen. Während Freiflächen nur fünf Prozent der Sonnenenergie speichern, halten dicht bebaute Städte am Morgen die Hälfte der Wärme fest. Später sinkt dieser Wert auf 25 bis 30 Prozent. Nachts aber strahlen die Wände die am Tag gespeicherte Energie wieder ab und verhindern so die kräftige Abkühlung nach Sonnenuntergang. „In extremen Situationen sind die Nächte im Stadtzentrum acht Grad wärmer als im Umland“, so Dieter Scherer. Großstädte bilden daher Wärmeinseln in der sonst kühleren Nacht. Der Unterschied zwischen einer Nacht mit 17 Grad und 25-GradNächten ist oft enorm. An Schlaf ist dann in aufgeheizten Räumen kaum zu denken. Parks und Grünflächen aber speichern erheblich weniger Wärme, verdunsten zudem viel Wasser und kühlen relativ stark ab. Diesen Effekt messen Scherer und seine Gruppe auch auf begrünten Dächern, die daher darunter liegende Räume gut kühlen. Vertrocknet diese Begrünung aber, heizt sie sogar stärker auf als Beton. Das Gleiche gilt für Parks und Grünflächen. Solange sie genug Wasser haben, kühlen sie nachts mitten in der Wärmeinsel Stadt kräftig aus, geben diese Kühle aber nur rund 100 Meter weit als frische Brise an die Häuser der direkten Umgebung ab. Bei Stadtplanungen sollten daher viele Grünflächen gleichmäßig im Häusermeer verteilt werden. Mit wenigstens einem Hektar sollten solche Parks die Dimensionen eines Fußballplatzes ein wenig übertreffen. „Blockieren Gebäude den Wind, spürt man von der kühlen Nachtluft in den Grünanlagen wenig“, sagt Scherer. Die bei Stadtplanern beliebten breiten Frischluftschneisen sind aus seiner Sicht zwar sinnvoll, bringen aber in solchen Nächten zumindest im flachen Binnenland nur wenig Kühle in die Stadt, weil der Weg vom Umland zu weit ist. Viel besser seien eine unterschiedlich hohe Bebauung sowie viele Parks mit Gruppen von Bäumen und Büschen und vielen Wiesen. Dann stößt der Wind immer wieder auf Hindernisse, Luftwirbel bilden sich und ziehen kühle Höhenluft in Richtung Boden. So bleibt die Luft in Bewegung und sammelt nicht – wie oft bei unbewegten Kaltluftinseln – Schadstoffe an. Auch an genügend Wasservorräte sollte bei Planungen gedacht werden, denn die Sommer werden in Zukunft eher trockener, befürchten die Klimaforscher. Und dann könnte das Wasser knapp werden, mit dem in Zeiten der Dürre das Stadtgrün feucht gehalten werden muss. Verdorren aber die Parks, heizen sie stärker auf als Beton und die Wärmeinsel Großstadt könnte nachts zur Hitzeinsel werden. In wärmeren Regionen werden auch die Tage zunehmend zum Hitzeproblem. Neben kühlenden Parks mildern auch enge Gassen mit viel Schatten die Hitze, erklärt der TUBKlimatologe Fred Meier. Allerdings werden dann Schadstoffe aus dem Straßenverkehr schneller zum Problem. Auch Bäume und Parks bringen einiges, weil sie nicht nur Schatten spenden, sondern auch noch die Umgebung abkühlendes Wasser verdunsten. Welche Bäume den stärksten Effekt haben, untersuchen Forscher zurzeit, darunter auch Roland Knauer Fred Meier.