CLASS: aktuell

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CLASS: aktuell
2 0 16 / N r. 2
CLASS : aktuell
Association of Classical Independents in Germany
Ein Leben für die Neue Musik
Steffen Schleiermacher
George Enescu
– Die rumänische Seele
Stefan Tarara
und Lora Vakova-Tarara
Masaaki Suzuki
– Bach Collegium Japan
Bachs Kantaten auf SACD
Constantin Trinks
Hans Rott – Begründer der
„Neuen Symphonie“
W.A. Mozart
Klavierkonzert in C-Dur KV 467
Felix Mendelssohn
Klavierkonzert d-Moll op. 40
Danae Dörken
Royal Northern Sinfonia, Lars Vogt
YoJo, 19, Piano
Ludwig van Beethoven
Klaviersonate op. 57
„Appassionata“
Frederic Chopin
Klaviersonate Nr. 2
Yojo Christen
Irini & Ralley
Yojo Christen
ARS Produktion ARS 38 210
(Hybrid-SACD)
TYXart TXA16074
Carl Friedrich Abel –
Ledenburg
Viola da Gamba Sonatas & Trios
Thomas Fritzsch, Viola da Gambe
Michael Schönheit, Pianoforte
Eva Salonen, Violine
Katharina Holzhey, Violoncello
Time in Motion
Arrangements
für Saxophonquartett
A. Dvorák, F. Lévy, G. Lago,
R. Hoffmann, M. de Falla,
G. Aperghis
Fukio Ensemble
Coviello CLASSICS COV91608
ARS Produktion ARS 38 211
(Hybrid-SACD)
CLASS: brand aktuell
Franz Schubert
Streichquartett D112 & D353
Daniel Schnyder
Streichquartett Nr. 4
Belenus Quartett
Acousence Classics
ACO-CD 12 716
Richard Strauss
Eine Alpensinfonie, op. 64
Göteborgs Symfoniker,
Kent Nagano
FARAO classics
CD – B 108091 (ab 1.6. im Handel)
L P – V 107302 (ab 1.7. im Handel)
Robert Schumann
Jörg Widmann
Zirkustänze
Luisa Imorde, Klavier
George Enescu
Impressions d’enfance op. 28
Antonín Dvorák
Romantische Stücke
op. 75, Nr. 1-4
Robert Schumann
Sonate für Violine und
Klavier Nr. 2
Caroline Goulding, Violine
Danae Dörken, Klavier
Igor Loboda
Konzert für Violine und
Kammerorchester op. 126
Jimsher Askaneli
Erinnerung, Sentiments,
Concertino für Klavier und
Kammerorchester, Mkhedruli
Franz Hummel
24 Tanzetüden über einem
Stolperbass
Ensemble del Arte
The Bavarian Georgians
ARS Produktion ARS 38 536
TYXart TXA16080
Carl Nielsen
Konzert für Violine und
Orchester op. 33
Kolja Blacher
Duisbuger Philharmoniker
Giordano Bellincampi
Acousence Classics
ACO-CD 22115
ARS Produktion ARS 38 213
(Hybrid-SACD)
Radu Paladi
Streichquartett Nr. 1 in c-Moll
Zdeněk Fibich
Streichquartett Nr. 2, op. 8
Martfeld Quartett
Coviello CLASSICS COV91607
(Hybrid-SACD)
Liszt und seine Zeit
Geistliche Werke der Romantik
G. Rossini, G. Verdi,
P. Cornelius, H. Berlioz
Renner Ensemble Regensburg
Hans Pritschet
ARS Produktion ARS 38 202
(Hybrid-SACD)
CLASS : aktuell
Class: aktuell 2 / 2016
Eines meiner Lieblingsinstrumente ist – Sie werden lachen – die Maultrommel.
Das ist dieses kleine Teil aus Metall oder Bambus, das man sich zwischen die Zähne
steckt und das dann so seltsam schwirrende Töne macht, zum Beispiel das „Boing,
boing!“ in Zeichentrickfilmen. Im Grunde kann man auf so einem „Brummeisen“
aber immer nur ein und denselben Ton hervorbringen – deshalb haben manche
Menschen gelernt, verschieden gestimmte Maultrommeln in schnellem Wechsel zu
spielen. Dieses Dreiklangs-Maultrommeln zählt in Österreich seit 2012 zum
„immateriellen Kulturerbe“.
Inhalt
4 Ein Blick in George Enescus
rumänische Seele
Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara
6 Russische Oboenkonzerte von
Maria Sournatcheva und dem
Göttinger Symphonie Orchesters
7 Daheim in Mozarts Clavierland Wien
Pianist Haiou Zhang
8 Freischützromantischer Zauber
von Paul Meyer und dem OCL
Zauberklänge
9 Starke Frauen – Cornelia Lanz mit Lied werken von Schubert, Rossini und Verdi
Wussten Sie, dass schon Beethovens Lehrer Johann Georg Albrechtsberger richtige
Konzerte für die Maultrommel komponiert hat? Ums Jahr 1800 fertigte man allein in
dem Ort Riva am Gardasee 2500 dieser Instrumente an – täglich! 1816 entwickelte
ein Krefelder Fabrikant sogar eine Halterung, um mit 20 Maultrommeln gleichzeitig
chromatisch spielen zu können. Ein paar Jahre später machte der MaultrommelVirtuose Karl Eulenstein von sich reden, der vor der schwedischen Königin und dem
britischen König auftrat und auch von Rossini bewundert wurde. Allerdings währte
seine Karriere nicht lange: Schon mit 30 Jahren hatte sich Eulenstein durch stetiges
Maulgetrommel die Zähne ruiniert. Er stieg auf Gitarre um.
Das Beste an der Maultrommel ist natürlich ihr Ton – die Romantiker, etwa Schubart
und Jean Paul, liebten ihn innig. Sogar das „Morgenblatt für gebildete Stände“
schwärmte 1809 von „Ausströmungen eines reinen Gefühls in Tönen besserer Welten“,
denen man am besten „bey Nacht, bey ausgelöschten Lichtern“ lauschen sollte.
Weil dieser Ton so traumhaft tönt und ins Transzendentale schwingt, schadet es auch
gar nicht, dass er nur im Obertonbereich ein wenig variiert werden kann.
Gerade seine ständige Wiederholung erzeugt nämlich den eigentlichen Effekt des
Maultrommelspiels – eine Art Bordun-Magie, eine Trance-Wirkung. In Zentralasien,
wo die Maultrommel herstammt, gilt sie seit Jahrtausenden als SchamanenInstrument. Ihr Zauber ruft die Geister herbei und vermag Kranke zu heilen.
Auch der schwäbische Arzt und Dichter Justinus Kerner (1786 -1862) setzte die
spirituelle Wirkung der Maultrommel therapeutisch ein, nachdem er sie erst an
einer Reihe von Haustieren erprobt hatte. Kerner gelang es, Insassen eines Irrenhauses
in Ludwigsburg mit dem Maultrommelspiel zu fesseln und zu beruhigen. Seine
bekannteste Privatpatientin, Friederike Hauffe, konnte der „Geisterdoktor“ damit
sogar in Trance versetzen. Mark Twains Romanfigur Huckleberry Finn kannte
ebenfalls den übernatürlichen Effekt der Maultrommel: „Wenn du zwei Minuten
lang gespielt hast, siehst du, wie all die Ratten und Schlangen und Spinnen und so
anfangen, sich um dich Sorgen zu machen, und herauskommen. Und sie krabbeln
ziemlich auf dir herum und haben eine prächtig schöne Zeit.“
Sehen Sie mal nach bei YouTube: Die Schamanen-Magie der Maultrommel war
nie aktueller als heute! Sie finden da Tausende von Maultrommel-Filmchen – mit
Obertongesang, mit Didgeridoo, mit Trance-Flow, mit menschlicher Beatbox,
mit Alphorn, mit Techno-Beat oder im psychedelischen Maultrommel-Chor.
Das kleine Teil mit dem elastischen Bügel zapft ganz ohne Umwege die spirituelle
Kraft der Klänge an. Es ist die wahre Essenz der Musik.
10 Die Klassik-Hochburg Schottland
präsentiert von Linn
11 Goldbergvariationen nach Rheinberger
vom Aulos Quartett
12 Musik von der Insel
Dogma Chamber Orchestra
13 Unbekannte Opern von Debussy
vorgestellt vom Göttinger Symphonie
Orchester
14 Debut mit Strawinsky
Joshua Weilerstein und das Orchestre de
Chambre de Lausanne
16 Bach, Händel und Vivaldi
Dorothea Seel und die Barocksolisten
München
17 Mendelssohn Bartholdys Walpurgisnacht
Musikkollegium Winterthur
18 Haydn, Mozart, C.P.E. Bach
von Stephan Frucht und Valentin Radutiu
19 Hindemiths Bratschensonaten
Christian Euler und Paul Rivinius
20 An ihm kommt man nicht vorbei!
Steffen Schleiermacher
26 Fréderic Kummer und François Schubert
Friedemann Eichhorn und Alexander Hülshoff
27 Hans Rott
Constantin Trinks stellt vor
28 Bach Kantaten in höchster Klangqualität
Masaaki Suzuki & Bach Collegium Japan
29 Im Blickpunkt
Neuheiten vorgestellt von CLASS
31 Zum 80. Geburtstag
Dieter Klöcker Volume 2
Impressum
Herausgeber/Verlag:
CLASS e.V.
Association of Classical Independents in Germany
Bachstraße 35, 32756 Detmold
Tel. 05231- 938922
[email protected]
Redakteur (v.i.S.d.P): Dr. Rainer Kahleyss
Anzeigen: Gabriele Niederreiter
Grafische Gestaltung: Ottilie Gaigl
Druck: Westermann Druck, Braunschweig
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben
die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wieder.
Boing, boing!
Ihr
Hans-Jürgen Schaal
Druckauflage: 130.500
1. Quartal 2016
ISSN: 2195-0172
Titel-Foto: Nikolaj Lund
geprüfte Auflage
Alle Tonträger dieser Ausgabe finden Sie auch unter
www.bielekat.de
Ausgabe 2016/2
3
CLASS : aktuell
Der Gewinner des „George Enescu Wettbewerbs 2014“ Stefan Tarara und seine Klavierpartnerin
Lora Vakova-Tarara begeistern mit Virtuosität und außergewöhnlichen Klangbildern. Mit ihrer
zweiten CD hat das junge, vielversprechende Duo sämtliche bedeutende Werke George Enescus
für die Kammerbesetzung Violine und Klavier beim Label Ars Produktion eingespielt.
Kindheitserinnerungen
S
tefan Tarara gehört zweifelsfrei zu einer der
vielversprechendsten jungen Geigerhoffnungen der Gegenwart. Mit dem Gewinn
des Ersten Preises beim renommierten
„George Enescu“-Wettbewerb 2014 in Bukarest
gewann der aus Heidelberg gebürtige Violinist
die Aufmerksamkeit der internationalen Musik­
öffentlichkeit. Nur wenige Monate später errang er
in Bern auch den Ersten Preis des Internationalen
„Boris Goldstein“ Violinwettbewerbs 2015.
Tararas virtuoses Geigenspiel zieht einen
schnell in seinen Bann. Es ist nur zu verständlich,
warum sich seit seiner früheren Kindheit erste
Preise aneinanderreihen, von unzähligen Gewinnen bei „Jugend musiziert“ bis zum Gewinn des
Internationalen „Rodolpho Lipizer“ Violinwettbewerbs 2011 in Italien. Die Neue Musikzeitung kürte den talentierten Violinisten gleich zweimal zum
„Musiker des Jahres“, der frenetisch auf Konzerten
bejubelt und mit Presselob überschüttet wird: Die
Kritik feiert besonders seine Artikulationsvielfalt
und rasende Fingerfertigkeit, seine spieltechnische
Brillanz, die blitzsaubere Technik, gepaart mit interpretatorischer Reife und sicherem Stilgefühl.
4
Ausgabe 2016/2
Mit dem Oeuvre des rumänischen Universalmusikers George Enescu, der sich als Europäer
und Weltbürger verstand, beschäftigt sich Stefan
Tarara seit seiner Kindheit. Enescu prägte Geigerpersönlichkeiten wie Ida Haendel und Yehudi
Menuhin, war inspirierender Dirigent (er hätte
Arturo Toscaninis Nachfolger werden können)
und hochgeschätzter Pianist. Als Komponist hat
George Enescu jedoch außerhalb Rumäniens
kaum Aufsehen erregt. Unter den rund dreißig
Werken ragt die Oper Oedipe, die ihn fast ein
Vierteljahrhundert beschäftigte, in einsamer Größe
hervor. Das Duo Tarara möchte an der geringen
Bekanntheit von Enescus Kammermusik etwas
ändern und hat nun mit ihrer zweiten, herausragend eingespielten CD die Gesamtaufnahme
aller kammermusikalischen Werke für Violine
und Klavier beendet.
Enescu wurde 1881 in einem kleinen Dorf der
damals noch habsburgischen Bukowina geboren
und begann wie Tarara und viele Geiger vor
ihm schon früh mit dem Violinspiel. Mit sieben
Jahren studierte er bereits in Wien Violine, mit
zwölf Jahren am Pariser Conservatoire Komposition bei Jules Massenet und Gabriel Fauré.
Childhood Impressions
The Sound of the 20s
ARS Produktion ARS 38 179 (Hybrid-SACD)
ARS Produktion ARS 38 212 (Hybrid-SACD)
George Enescus Beschäftigung mit der kammermusikalischen Besetzung von Geige und Klavier
erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Die
frühen Werke des Komponisten vereinen eine
große stilistische Spannbreite und enthalten
impressionistische, neoklassizistische, sowie vor
allem nationalfolkloristische Nuancen. Mit seiner
zweiten Sonate D-Dur op. 6 gelang George Enescu
dann im Alter von 18 Jahren sein erster Geniestreich. Der Violinist Carl Flesch bezeichnete sie
als „eines der bedeutendsten Werke der gesamten
zeitgenössischen Sonatenliteratur, das ganz zu
Unrecht gänzlich vernachlässigt wurde.“
Bereits auf der im letzten Jahr erschienenen
Debüt-CD haben Stefan Tarara und Lora VakovaTarara die dritte Violinsonate eingespielt. Sie gilt
wegen folkloristischer Anleihen als besonders charakteristisches Meisterwerk: „Enescus dritte Sonate trägt den Untertitel dans le caractè re roumain,
was man allerdings mit Vorsicht genießen muss:
Vielleicht denkt man hierbei an ‚Zigeunermusik’,
an das Geigenspiel in der Kultur der Roma und
Sinti. Was Enescu hier aber sehr deutlich schrieb,
ist eine Sonate im ‚rumänischen’, nicht im ‚zi­geu­
ne­­ri­schen’ Charakter (à la zingara!). Selbst­ver­
ständ­lich bezieht die rumänische Volksmusik ihre
Wurzeln aus der ‚Zigeunermusik’. Eleganz und
Grazie waren in Rumänien ebenso hervorzuheben
wie am Wienerischen oder am Preußischen Hofe.
Und eben diese Feinheiten zu verstehen, ist von
größter Bedeutung, bevor man anfängt, Enescus
Musik zu spielen und zu hören. Man kann in
ihr sehr vieles falsch interpretieren und es mit
schlechtem Geschmack geradezu überschütten,
obwohl nichts davon in den Noten zu lesen ist“,
führt Stefan Tarara aus. „Das Ergebnis ist eine
faszinierende Reise durch alle Arten von GeAusgabe 2016/2
5
fühlserlebnissen, die von permanenter Wehmut
bis hin zu den ekstatischsten Tänzen reichen. Man
kann wahrlich sagen, dass zum Schluss eine
‚Symphonie in Sonatenform’ erreicht wurde.“
Und eben dies gelingt den Gewinnern des
„Swedish International Duo Competition“ 2014
und den Preisträgern des besten Duos der
„Académie de Musique de Lausanne“ meisterhaft. Mit warmem, erfülltem Ton und gleichzeitig hochvirtuos stellen Stefan Tarara und seine
kongeniale Partnerin Lora Vakova-Tarara die
melodischen Schönheiten der drei Sonaten für
Klavier und Violine sehr feinsinnig heraus.
Im Kontrast zu den im Jugendalter komponierten zwei ersten Sonaten steht George Enescus
im Alter von 59 Jahren komponierte Suite Impression d’enfance. Dabei handelt es sich um
eine Suite von zehn Bildern. Sie erinnert an
dessen früheste Kindheitserinnerungen im heute
rumänischen Dörfchen Liveni Virnav, das dem
Komponisten zu Ehren in George Enescu umbenannt wurde. Diese Rhythmen und Melodien
begleiteten den Komponisten ein Leben lang:
„Wenn ich heute ein überempfindlicher Mensch
bin, ist die Erklärung, glaube ich, in meiner
Kindheit zu suchen (...) ich bin der Erde verwurzelt, auf einem Boden voller Legenden und
Sagen aufgewachsen.“ Zutiefst berührend gelingt
es dem Duo Tarara, die magische, verschwundene
Welt mit längst vergangenen Klängen der Bukowina, die Volksweisen der Zigeunergeiger, die
nahezu unberührten Naturlandschaften mit
murmelnden Bächen und zirpenden Grillen
tonmalerisch vor dem geistigen Auge entstehen
zu lassen. Eine höchst originelle, inspirierte
und brillante Aufnahme – ein liebevoller Blick
in George Enescus rumänische Seele.
Luise Ilgenstein
www.stefan-tarara.eu
Foto: Tim Klöcker
CLASS : aktuell
Christoph-Mathias Mueller
Foto Göttinger SO: Frank Stefan Kimmel; weitere © MDG
CLASS : aktuell
Göttinger Symphonie Orchester | www.gso-online.de
Brillante Transparenz und urgewaltige Kraft
Russische Oboenkonzerte im jubelnden Glanz des Göttinger Symphonie Orchesters
www.sournatcheva.com
D
er Anfang erinnert nicht von ungefähr
an den Beginn von Strawinskys „Sacre“:
Wie improvisiert verliert sich die SoloOboe in der verträumten Melodie einer
Hirtenweise… Und passender könnte der Auftakt zur Debüt-SACD von Maria Sournatcheva
nicht ausfallen: Folkloristische Elemente durchziehen das Programm, das Werke Moskauer
Komponisten aus drei Generationen umfasst.
Die Oboe als Soloinstrument muss es Valery
Kikta angetan haben: Vier Konzerte entstammen
seiner produktiven Feder. Der gebürtige Ukrainer
hatte das einsätzige „Belgoroder Konzert“ ursprünglich für ein in Russland und der Sowjetunion äußerst populäres Orchester mit volkstümlichen Instrumenten geschrieben. Dass Glocken,
Schellen und andere Schlaginstrumente, darunter Ratschen und sogar Löffel dabei eine gewichtige Rolle spielen, ist auch in der Version
für Orchester, die Kikta wegen der schmerzlich
vermissten Blechbläser später einrichtete, unüberhörbar. Wie schmelzende Eiszapfen glitzert
und glänzt es, und immer wieder tritt die Oboe
in einen Dialog mit solistischen Perkussionisten.
Eher kammermusikalisch gibt sich Kiktas
drittes Konzert, das sich in der Begleitung auf
ein Streichorchester beschränkt – ebenso wie
das Werk des 1982 geborenen Andrey Rubtsov,
der als weltweit gefragter Oboist die Möglichkeiten seines Instruments virtuos einzusetzen
versteht. Rubtsov besinnt sich auf die beachtliche klassizistische Tradition seiner Heimat; ein
stimmungsvolles Larghetto trennt die beiden
rhythmisch attraktiven Außensätze, die in einer
frech-ausgelassenen, auch für das Orchester
überaus anspruchsvollen Burleske kulminieren.
Krönender Abschluss der in brillanter Transparenz im MDG typischen 2+2+2 Recording
produzierten SACD ist das ambitionierte Konzert
Andrey Eshpais. Der Altmeister der Nachkriegsavantgarde ist 2015 im Alter von 90 Jahren verstorben. Auch im Oboenkonzert bezieht Eshpai
sich auf seine ethnischen Wurzeln im finnischugrischen Volk der Mari – bereits sein Vater hat
Mari-Melodien gesammelt und aufgeschrieben.
In zeitgemäßer Kompositionsweise zaubert er eine
ganz eigene Tonsprache, die die urgewaltige Kraft
der Volkskunst im russischen Vielvölkerreich
auf faszinierende Weise neu zum Klingen bringt.
Mit dem Göttinger Symphonie Orchester unter der Leitung von Christoph-Mathias
Mueller steht der sympathischen jungen Preisträgerin des ARD-Wettbewerbs
ein überaus kompetentes Ensemble zur
Seite, dessen opulente wie geschmeidige Hingabe zur slawischen Musik
unlängst mit einem ECHO Klassik ausgezeichnet wurde.
Klaus Friedrich
Andrey Eshpai (1925-2015)
Valery Kikta (*1941)
Andrey Rubtsov (*1982)
Russische Oboenkonzerte
Maria Sournatcheva, Oboe
Göttinger Symphonie Orchester
Christoph-Mathias Mueller, Ltg.
MDG 901 1947-6 (Hybrid-SACD)
6
Ausgabe 2016/2
WERGO
Jetzt neu bei WERGO
WER 73202 (CD)
Koproduktion:
Deutschlandradio
Der chinesische Pianist
Haiou Zhang legt bei
hänssler Classic seine
zweite CD vor. Zusammen
mit den Heidelberger
Sinfonikern unter der
Leitung von Thomas Fey
präsentiert der Chinese,
der sich nicht als
Wunderkind versteht,
die Klavierkonzerte
20 und 21 vom
Wunderkind Mozart. Sein
Credo: „Intellektuelle
Strenge und musikalische
Ausdrucksstärke“.
Foto: Hänssler Classic
CLASS : aktuell
John Cage
Cage after Cage
Composed Improvisation | Variations I |
Child of Tree | Inlets | 27’10.554’’
Matthias Kaul: Percussion
forscher Alfred Einstein fest, „Mozarts Klavierkonzerte seien die Krönung und der Gipfel seines
instrumentalen Schaffens, zum mindesten auf
dem Gebiet des Orchestralen.“
Haiou Zhangs außergewöhnliche Begabung
wurde äußerst spät erkannt, sein erstes Klavier
erhielt er mit neun Jahren, doch wurde er
schon im Alter von elf Jahren Klavierstudent
am Central Conservatory of Music in Peking, wo
er 2002 als 18-jähriger sein Studium mit besonderer Auszeichnung abschloss. Als chine­
sisches Wunderkind möchte er aber nicht bezeichnet werden. Sein Debüt auf CD gab der
Pianist 2011 mit Werken von Franz Liszt.
Kerstin Hänßler
Morton Feldman
Beckett Material
Orchestra | Elemental Procedures |
Routine Investigations
Claudia Barainsky: Sopran / WDR Rundfunkchor
Köln / WDR Sinfonieorchester Köln / Peter
Rundel: Leitung
WER 73432 (CD)
‚‚H
ier ist doch gewiss das Clavierland!“,
schrieb der junge Mozart 1791 begeistert an seinen Vater und meinte Wien.
Zuvor wurde er von seinem Arbeitgeber, dem
Erzbischof Colloredo, entlassen – fortan verdiente
er mit Klavierkonzerten, Klavierunterricht und
Kompositionen seinen Lebensunterhalt. Mit Erfolg. Zumindest eine Zeit lang, denn ab 1786
sank Mozarts Stern, nämlich als die Konzertakademien aufhörten und Mozarts Beschäftigung
mit Klavierkonzerten, die er ja für diese Akademien geschrieben und dort gespielt hatte, eingestellt wurden. Damit brachen für die Familie
Mozart die Jahre finanzieller Not an, die bis zum
Ende seines Lebens andauern sollten. Hinterlassen hat der Komponist aus dieser Zeit einzigartige Werke.
Mozarts Konzerte für Klavier und Orchester
sind musikgeschichtlich gesehen der eigent­
liche Beginn dieser Gattung und zugleich ihr
Höhepunkt. Mit seinen großen Konzerten hat
Mozart Werke geschaffen, die gewissermaßen
die Quintessenz dessen darstellen, was in dieser
Gattung möglich ist. Zu Recht stellt der Musik-
WER 73252 (CD)
Produktion: WDR Köln
„Hier ist doch
gewiss das Clavierland!“
Anthony Cheung
Dystemporal
SynchroniCities | Windswept Cypresses |
Running the (Full) Gamut | Centripedalocity |
Enjamb, Infuse, Implode | Dystemporal
Talea Ensemble / Ensemble Intercontemporain /
Anthony Cheung: Klavier / James Baker, Susanna
Mälkki: Leitung
Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert 20 und 21 / KV 466 und 467
Haiou Zhang, Klavier
Heidelberger Sinfoniker, Thomas Fey
Ersteinspielungen
hänssler CLASSIC HC16037
Ausgabe 2016/2
7
Fordern Sie bitte unseren Katalog an!
WERGO, Weihergarten 5, 55116 Mainz, Deutschland,
[email protected] | www.wergo.de
CLASS : aktuell
Carl Maria von Weber, Stich von C. A. Schwerdgeburth, 1823
Die Klarinette als Zauberstab
C.M. v. Weber mit Paul Meyer und dem Orchestre de Chambre de Lausanne
www.paulmeyer.fr
bayerische König höchstselbst in Auftrag ge­
geben – ein weiterer Beleg für die ganz außerordentliche Wertschätzung, die Weber in München
zuteil wurde. Und schon der Beginn des f-MollKonzerts lässt die Begeisterung verstehen: in
geheimnisvollem Pianissimo präsentieren Celli
und Bässe ein Thema voll freischützromantischen
Zaubers, das jäh von einem Fortissimoschlag
des gesamten Orchesters unterbrochen wird.
Das anschließende Tutti bereitet dem Solisten
ein großartiges Entrée für die ganze Palette an
feinsten Klangfarben, Artikulationen und individuellen Ausdrucksmöglichkeiten.
Paul Meyer weiß diese Möglichkeiten zu
nutzen. Wie er über das Virtuose hinaus in
engster künstlerischer Gemeinsamkeit mit den
Lausannern eine märchenhafte Erzählung zu gestalten weiß, lässt aufhorchen. In hochauflösender SACD-Technik eingefangen, überzeugt diese
Neuaufnahme im allen Belangen, und besonders
in der dreidimensionalen 2+2+2-Wiedergabe
entfaltet sich ein bezaubernder emotionaler
Sog, der niemanden unberührt lässt.
Lisa Eranos
Carl Maria von Weber
Klarinettenkonzerte Nr. 1 & 2
Concertino op. 26
Paul Meyer, Klarinette & Leitung
Orchestre de Chambre de Lausanne
MDG 940 1922-6 (Hybrid-SACD)
8
Ausgabe 2016/2
Foto: © Edith Held
D
ie äußerst fruchtbare Künstlerfreundschaft zwischen Carl Maria von Weber
und Heinrich Baermann ist legendär.
Das Concertino, das Weber dem Ersten
Klarinettisten der Münchner Hofkapelle auf den
Leib schrieb, war ein sensationeller Erfolg. Mit
den beiden Klarinettenkonzerten gingen Weber
und Baermann gemeinsam auf ausgedehnte
Konzertreise. Dass der finger- und zungenfertige
Baermann das virtuose Es-Dur-Konzert der geheimnisvolleren Schwester in f-Moll oft vorzog,
mag der „romantische“ Weber verschmerzt
haben – es tat der innigen Beziehung jedenfalls
keinen Abbruch. Der französische Virtuose Paul
Meyer spürt dieser Freundschaft nach – als
Solist und Dirigent des Orchestre de Chambre
de Lausanne, das einmal mehr unter Beweis stellt,
dass die deutsche Romantik auch international
in besten Händen sein kann.
Nur wenige Tage benötigte Weber für die
Komposition des Concertinos. Die Möglichkeiten
der Münchner Hofkapelle, die auch nach ihrem
Umzug aus Mannheim wohl zum
besten gehörte, was an Orchestern
in Europa zu finden war, nutzte
der Komponist voll aus. Das einsätzige Werk hat die Form einer
bravourösen Opernszene, die dem
Klarinettisten allerhand Raum zum
brillieren lässt. Schwer zu sagen,
ob die Begeisterung beim Solisten,
dem Publikum oder den Orchestermusikern größer war – etliche
Aufträge für Konzerte waren jedenfalls die Folge, die den finanziell
bedrängten Weber in eine deutlich komfortablere Lage brachten.
In enger Abstimmung mit
Baermann machte sich Weber an
die Komposition zweier Klari­
nettenkonzerte. Diese hatte der
Foto: © Ingo Degenhard
Foto: © Attila Erüstün
CLASS : aktuell
Die profilierte Mezzosopranistin Cornelia Lanz legt mit dieser
Einspielung ihre erste Solo-CD vor:
Frauenrollen und Frauengestalten
im (Lied-)Werk von
Schubert, Rossini und Verdi
L
ieder über Frauenrollen, die im realen Leben
existieren, wie die Mutter, das Kind, das
Mädchen, die junge Frau, die Schwester,
die Freundin, die Geliebte, die (Ehe-) Frau, die
Großmutter, die Königin und die Heilige.
Und Lieder über fiktionale Frauengestalten wie
„Mignon“ aus dessen Roman „Wilhelm Meisters
Lehrjahre“, „Suleika“ aus Marianne von Willemers
Gedichten oder „Ellen“ aus Walter Scotts Versepos
„Das Fräulein vom See“, um nur einige zu nennen.
Im Mittelpunkt des CD-Programmes steht die
hochvirtuose 18-minütige „Eine-Frau-Liedkantate“ von Rossini über die kämpferische Jungfrau
von Orléans, die laut Mythos den 100-jährigen
Kriege beendet habe. Diese Gestalt fas­zi­nierte
Cornelia Lanz, setzt sie sich doch in dem von
ihr initiierten und geleiteten Verein Zuflucht
Kultur e. V. und dessen vielbeachteten und wegweisenden Mozartopernproduktionen mit vielen Visionen und Idealismus für Friedensarbeit,
Völkerverständigung und Antirassismus durch
Musik ein u.a. beim Bundespräsident Gauck
und bei der UNO in Genf.
Dass Cornelia Lanz ein derart gut durchdachtes Programm auswählt, überrascht bei ihrer
Biografie nicht. Ihre Gesangsausbildung absolvierte sie an der Musikhochschule Stuttgart und
der Manhattan School of Music New York, schloss
beide Staatsexamina mit den Schwerpunkten
Violine und Dirigieren ab, studierte Amerikanistik und Anglistik an der Universität Stuttgart
und der Columbia Universität in NY. Sie inszenierte Händels Alcina in New York und Imeneo
in Dubai und Janaceks Makropulos in München.
Schubert, Rossini & Verdi
Cornelia Lanz, Mezzosopran
Stefan Laux, Klavier
hänssler CLASSIC HC16019
www.cornelia-lanz.com
Sie ist eine international gefragte Gesangssolistin, die sich aber ebenso sicher im Repertoire
der Oper bewegt und alle großen Oratorien singt.
Alles exzellente Voraussetzungen um den hohen Anforderungen dieses anspruchsvollen Soloprogramms unangestrengt und spielend gerecht
zu werden. Großartige Unterstützung erfährt
Cornelia Lanz durch die sensible und erfahrene
Klavierbegleitung von Stefan Laux, Partner vieler
international-renommierter Liedsänger(innen).
Und so bereitet diese Aufnahme schon jetzt
Vorfreude auf das zweite Album der beiden
mit Liedern „Von ewiger Liebe“ der „Seelen­
verwandten“ Robert und Clara Schumann und
Johannes Brahms.
Ausgabe 2016/2
9
CLASS : aktuell
Schottland, die heimliche
Klassik-Hochburg
Wer an Klassik denkt, der denkt an Wien, an Berlin, an Italien,
vielleicht auch gern an Böhmen. Dabei sollte man aber eine Region
Europas nicht übersehen: Schottland!
W
er an Schottland denkt, hat ein klares
Bild im Kopf: Männer mit Röcken,
Dudelsack, der Atem riecht nach Single
Malt, alle leben entweder in Burgen oder Cottages
und sprechen (während sie Baumstämme durch
die Gegend werfen) ein Englisch, das man selbst
mit bestem Willen nicht verstehen kann. Doch
wer sich ernsthaft für klassische Musik interessiert, der hat von Schottland ein anderes Bild.
Dort residiert etwa das Scottish
Chamber Orchestra, das spätestens
seit der Taktstockübernahme durch
Sir Charles Mackerras über 30 Jahre
lang immer wieder von der Kritik gefeierte Alben aufnahm und fraglos zur
globalen Elite der Kammerorchester
gehört. Heute hat die Leitung dieses
Orchesters der Brite Robin Ticciati
inne, der das Scottish Chamber Orchestra seit 2009 von Welterfolg zu
Welterfolg führt.
Und noch ein Ensemble hat in den
letzten Jahren für viel Aufsehen gesorgt:
Das Dunedin Ensemble aus Edinburgh.
Unter der Leitung seines Chefdiri­
genten John Butt ist es inzwischen
für viele die ultimative Referenz für
Musik des (das ist eindeutig!) NichtSchotten Johann Sebastian Bach.
Beide Orchester haben eins gemeinsam: Ihre Plattenfirma! Denn
Schottland ist auch die Heimat des
CD-Labels Linn. Fans von Hifi-Elek­
tronik wissen, dass Linn einer der
renommiertesten Hersteller von HifiEquipment ist. Während die Geräte
von Linn aber in einem Preisbereich
rangieren, der für Normalsterb­liche
kaum zu stemmen ist, kann sich
jeder Inte­
ressierte die Alben des
Labels, z.B. im hoch auflösenden
SACD-Format, ins Haus holen.
Neuestes Label-Highlight ist das
aktuelle Album der hoch gelobten argentinischen Pianistin Ingrid Fliter.
10
Sie hat mit dem Scottish Chamber Orchestra das
erste Klavierkonzert Felix Mendelssohns und
das hoch virtuose Schumann-Konzert aufgenommen. Ingrid Fliter gilt schon lange als eine der
besten Pianistinnen der jüngeren Generation.
Und dieses fantastische Album beweist das aufs
Neue. Und das im kompromisslos genialen LinnSound. Schottland, schönes Klassik-Paradies!
Ausgabe 2016/2
René Brinkmann
CLASS : aktuell
Johann Sebastian Bach
Goldbergvariationen BWV 988
„Aria mit verschiedenen Veraenderungen“
(nach der Fassung von Josef Rheinberger, 1883)
Aulos Quartett
MDG 903 1950-6 (Hybrid-SACD)
Mehrwert mit Spaßfaktor
Bachs berühmter Variationszyklus in Rheinbergers Perspektive
Oberstimmen, Spieler wie Zuhörer. Im Quodlibet
schließlich treten zwei volkstümliche Lieder
zum Bassthema hinzu, und erst rückblickend
wird man gewahr, dass eines der Lieder bereits
vorher immer wieder in kleinen Partikeln Ver­
wendung fand – nicht umsonst gilt das Werk als
ein Gipfelpunkt der Kompositionskunst.
Die verdienstvolle Bearbeitung des Schweizer
Ensembles lässt auch erfahrene Hörer noch
manches bisher unbeachtetes Detail entdecken.
Der Legende nach soll Reichsgraf Keyserlingk
wohl seinen im Gefolge reisenden Cembalisten
Johann Gottlieb Goldberg angewiesen haben,
aus diesen Variationen vorzutragen, wenn der
Graf an nächtlicher Schlaflosigkeit litt. Kaum
anzunehmen, dass dem Kunstsinnigen bei der­
art geistreicher Unterhaltung die Augen zuge­
fallen sind. Auch diesseits aller historischen
Perspektiven macht das Zuhören dieser auch
technisch hochkarätig im 2+2+2 Recording
aufgenommenen SACD einfach Spaß.
Klaus Friedrich
Foto (Ursprungsdatei): © Sandra Stamm
S
chon die allerersten Druckausgaben
von Bachs unvergleichlichen „Goldberg­
va­r iationen“ enthielten Bearbeitungen
für Ensembles von Melodieinstrumenten.
Der Grund ist naheliegend: Bachs komplexer
Stimmensatz, für ein zweimanualiges Tastenins­
trument konzipiert, ist auf dem Klavier nicht so
ohne weiteres zu realisieren und für den Hörer
nur schwer nachvollziehbar. Das Aulos Quartett
hat eine Neufassung der Rheinberger-Fassung
eingespielt, die gleich in mehrfacher Hinsicht
aufhorchen lässt: Die gemischte Besetzung mit
Streichern und Bläsern sorgt für die ideale
Transparenz, und mit der Oboe profonda kommt
ein selten gehörtes Instrument zum Einsatz, das
die klanglichen Möglichkeiten der Oboenfami­
lie enorm erweitert.
Als Grundlage ihres Arrangements verwenden
die Musiker des Aulos Quartetts die Bearbeitung,
die Josef Rheinberger vor über hundert Jahren
für zwei Klaviere angefertigt hat. Rheinberger
gelang es, verborgene polyphone Strukturen
durch äußerst geschickte Verteilung der Stim­
men auf die zwei Klaviere an die Oberfläche zu
holen – eine perfekte Ausgangslage: Oboe und
Violine spielen den Diskant, die Oboe profonda
übernimmt die Tenorpartie, während das Vio­
loncello den Bass versieht. So kommen sich
ähnliche Klangfarben nie in die Quere – ein
gewaltiger Gewinn für die Durchhörbarkeit.
Und was es alles zu hören gibt: Schon in der
Aria überlagern sich Menuett, Sarabande und
Polonaise; überaus kunstvolle Kanons fordern,
mit fortschreitenden Intervallabständen in den
Aulos Quartett | www.oboe.ch
Ausgabe 2016/2
11
CLASS : aktuell
Foto: © Arne Mayntz
„BRITISH.NOW! ist eine Momentaufnahme,
inspiriert von der Vielfalt britischer Musik des
20. und 21. Jahr­h underts, eine Kombination aus
Traditionsbewusstsein, Moderne, Romantik,
Minimalismus und unterschwelligem Humor…“
Mikhail Gurewitsch
Aufregende Performance
Dogma Kammerorchester mit Stücken für die Insel
B
ritish.Now! ist die vierte Produktion des
dogma chamber orchestra, und für die­
ses Projekt gönnten sich die 18 Musi­
ker etwas ganz Besonderes: Michael
Nyman, der für zahlreiche Filme von Peter
Greenaway die Musik komponierte, widmete
dem Ensemble ein neues Werk: „When Ingrid
met Capa“ thematisiert die Liaison zwischen
Ingrid Bergman und dem Fotografen Robert
Capa, dessen Bild eines Gefallenen zur Ikone
des spanischen Bürgerkrieges wurde. Minima­
listische, oft motorische Motive bestimmen das
Werk, dessen zwingenden Groove das dogma
chamber orchestra wunderbar einfängt – natür­
lich in Respekt vor Nymans Credo, ausschließlich
„schöne Musik“ zu schreiben…
Eine gänzlich andere Welt erschließt „In
Nomine (nach Purcell)“ von Gavin Bryars. Ur­
sprünglich für Gambenconsort geschrieben,
entfaltet auch die Version für Streichorchester
den archaischen Reiz einer geradezu medita­
tiven Stimmung, der sich aus der Beziehung zu
Purcells Fantasie entwickelt. Auch „Antiphon“ von
Lennox Berkeley verweist schon im Titel auf alte
Vorbilder. Der gregorianische Choral aus dem
Antiphonale Romanum erscheint vollständig erst
im zweiten Satz und wird dann variiert; bereits im
ersten ist er aber unterschwellig präsent. Berkeley
hat das Kompositionshandwerk noch bei Nadia
Boulanger gelernt und war mit Ravel, Poulenc
und später mit Benjamin Britten befreundet.
Da darf Brittens „Klassiker“ für Streichor­
chester dann natürlich nicht fehlen: Anders als
der Titel nahelegt, ist die „Simple Symphony“
alles andere als einfach. Dem Dogma Kammer­
www.dogmaorchestra.com
DO.GMA#4
British Now!
Benjamin Britten: Simple Symphony
Lennox Berkeley: Antiphon
Gavin Bryars:
In Nomine (after Purcell)
Michael Nyman: When Ingrid
Met Capa (Auftragswerk
für do.gma chamber orchestra)
dogma chamber orchestra
Mikhail Gurewitsch
AUD 912 1944-6 (Hybrid-SACD)
orchester gelingt eine aufregende Performance
dieses Bestsellers, schon von Beginn an begeistert
der frische Zugriff auf die „Boisterous Bourrée“.
Erstaunlich, welche dynamischen Möglichkeiten
im „Playful Pizzicato“ stecken! Und die „Senti­
mental Sarabande“ lässt vor schmerzerfüllter
Schönheit die Tränen in die Augen treten… Wie
gut, dass mit dem „Frolicsome Finale“ ein echter
Rausschmeißer folgt!
Die hochauflösende Super Audio CD sorgt
für allerfeinsten Hörgenuss – natürlich echt in
dreidimensionalem Mehrkanalklang des 2+2+2Recording, der nicht nur audiophile Herzen höher
schlagen lässt, sondern auch die Platzierung
aller Musiker punktgenau definiert, die mit Aus­
nahme der Cellisten traditionell alle im Stehen
musizieren.
Lisa Eranos
12
Ausgabe 2016/2
Weitere Einspielung:
DO.GMA#1
Peter Tschaikowsky: Serenade op. 48;
Souvenir de Florence op. 70
Audiomax 912 1654-6 (Hybrid-SACD)
DO.GMA#2
„American Stringbook“
David Diamond: Rounds for String Orchestra
(1944); Arthur Foote: Suite in E op. 63;
Samuel Barber: Serenade op. 1, Adagio op. 11
William Schuman: Sinfonie Nr. 5
Audiomax 912 1717-6 (Hybrid-SACD)
DO.GMA#3
Dmitri Schostakowitsch:
24 Präludien op. 34 – Fassung für
Streich­orchester von G. Korchmar (1990);
Streichquartett Nr. 8 op. 110
Audiomax 912 1830-6 (Hybrid-SACD)
Profil
CLASS : aktuell
Edition
Günter
Hänssler
Foto links: © Robert Orledge
PROFIL &
hänssler CLASSIC
NEUERSCHEINUNGEN
JOSEPH HAYDN
Cellokonzert Hob. VII b:1
WOLFGANG AMADEUS MOZART /
GASPAR CASSADO
Cellokonzert D Dur (nach
dem Hornkonzert KV 447)
CARL PHILIPP EMANUEL BACH
Cellokonzert Wq 171
Valentin Radutiu, Violoncello
Münchener Kammerorchester
Stephan Frucht
CD HC16038
Robert Orledge
Christoph-Mathias Mueller
PAUL HINDEMITH
Der Dämon op. 28
Kammermusik Nr. 2 Klavierkonzert op. 36/1
Hérodiade
Kammermusik Nr. 1 op. 21/1
Ensemble VARIANTI
Florian Henschel, Klavier
Gisela Zoch-Westphal, Rezitation
Dietrich Fischer-Dieskau, Dirigent
2 CD HC16014
Posthume Premiere
Zwei unbekannte Opern von Claude Debussy
F
ür viele Musikliebhaber steht fest: Claude
Debussy hat nur eine Oper geschrieben,
nämlich „Pelléas et Mélisande“ , die 1902
uraufgeführt wurde, also erst gegen Ende seines
Lebens. Debussys Verhältnis zum Musiktheater
war dabei keineswegs so indifferent, wie die
Beschränkung auf ein einziges Werk vielleicht
vermuten lassen könnte. In Wirklichkeit ist die
Oper nämlich kein Einzelfall in seinem Schaffen.
Hätte er all seine musikdramatischen Pläne ver­
wirklicht, von denen mehrere sogar deutlich
über das bloße Planungsstadium hinaus ge­
diehen waren, würden wir ihn heute als Opern­
kom­ponisten völlig anders wahrnehmen. Noch
lange vor „Pelléas et Mélisande“ arbeitet Debussy
von 1890 bis 1893 an der dreiaktigen Oper
„Rodrigue et Chimène“, deren rekonstruierte
Fassung erst 1993 uraufgeführt wurde. Zwei
weitere Opernpläne verfolgt er 1902 und 1908.
Claude Debussy (1862 - 1918)
The Edgar Allan Poe Operas – vervollständigt
und orchestriert von Robert Orledge (*1948)
Göttinger Symphonie Orchester
Christoph-Mathias Mueller, Ltg.
PAN CLASSICS PC 10342 (2 CDs)
Sie haben Erzählungen des amerikanischen
Schriftstellers Edgar Allen Poe als literarische
Vorlage: „Le Diable dans le Beffroi“, mit der sich
Debussy von 1902 bis 1911 beschäftigt, entstand
nach der Erzählung „The Devil in the Belfry“
(Der Teufel im Glockenturm). „La Chute de la
Maison Usher“ nach „The Fall of the House of
Usher“ (Der Untergang des Hauses Usher) ist
der Opernplan von 1908, an dem Debussy etwa
neun Jahre lang mit Unterbrechungen arbeitete.
Die Krebserkrankung, der Debussy schließlich
1918 erliegen sollte, verhinderte allerdings die
Fertigstellung der beiden Partituren, die größ­
tenteils als Skizzen hinterlassen wurden. Der
englische Musikforscher und Komponist Robert
Orledge hat als ausgewiesener Spezialist für die
französische Musik zu Beginn des 20. Jahrhun­
derts nach den Skizzen eine aufführbare Fassung
der beiden Opern erstellt, die 2006 (La Chute de
la Maison Usher) bzw. 2012 (Le Diable dans le
Beffroi) uraufgeführt wurden. Als 1908 „Pelléas
et Mélisande“ am Manhattan Opera House in
New York mit großem Erfolg ihre amerikanische
Erstaufführung erlebte, beeilte sich die Metro­
politan Opera, den französischen Komponisten
für ein weiteres neues Werk zu verpflichten.
Debussy sicherte dem Haus damals die Erst­
aufführung der beiden Poe-Opern zu. Dabei
ließ er sich vertraglich bestätigen, dass beide
Werke nur im Verbund am selben Abend aufge­
führt werden dürften. In dieser vom Komponisten
intendierten Form sind die von Robert Orledge
komplettierten Werke noch nie erklungen. Inso­
fern handelt es sich bei der Pan Classics-Einspie­
lung mit dem Göttinger Symphonie Orchester
unter seinem Chefdirigenten Christoph-Mathias
Mueller sogar um die eigentliche posthume
Premiere. Bernhard Blattmann
Ausgabe 2016/2
13
MÉLANCOLIE
Werke von:
Poulenc, Satie,
Milhaud, Honegger
& Album des Six
(Auric, Durey, Honegger,
Milhaud, Poulenc,
Tailleferre)
Miki Aoiki, Klavier
CD PH15023
Frauenrollen und
Frauengestalten bei
SCHUBERT,
VERDI & ROSSINI
Cornelia Lanz, Mezzospran
Stefan Laux, Klavier
CD HC16019
HANS ROTT
Symphonie No. 1
Mozarteumorchester Salzburg
Constantin Trinks
CD PH15051
Erhältlich im Fachhandel
Profil
Edition
Günter
Hänssler
Profil Medien GmbH
Edition Günter Hänssler . www.haensslerprofil.de
Vertrieb: NAXOS DEUTSCHLAND GmbH . www.naxos.de
CLASS : aktuell
Mitkomponiertes Augenzwinkern
Foto: © Federal Studio – OCL.ch
Joshua Weilerstein debütiert beim OCL mit Strawinsky
Aktuelle Konzerte:
Orchestre de Chambre
de Lausanne
Joshua Weilerstein
12. | 13. | 18. 09. 2016 Salle Métropole, Lausanne
M
it einem Sensationserfolg eröffnet
Igor Strawinsky den musikalischen
Neoklassizismus: „Pulcinella“ ist bis
heute vor allem als Suite aus dem
gleichnamigen Ballet ungemein populär. Grund
genug für Joshua Weilerstein, frisch ernannter
Chefdirigent des Orchestre de Chambre de Lausanne, dieses virtuose Orchesterstück in sein
attraktives Debütprogramm für MDG aufzunehmen, bietet es doch den Solisten des Orchesters
hervorragende Gelegenheit Klangsinn, Virtuosität
und ungebremste Spielfreude zu präsentieren.
09. 11. 2016 Tonhalle, Zürich
13. 11. 2016 Auditorium Parco della
Musica, Rome
15. 11. 2016 Grand Théâtre de Provence,
Aix-En-Provence
16. 11. 2016 MC2, Grenoble
19. 11. 2016 Auditorium, Oviedo
21. | 22. | 18. 09. 2016
Salle Métropole, Lausanne
www.ocl.ch
Igor Strawinsky
Pulcinella-Suite, Apollon musagète, Concerto in D
Orchestre de Chambre de Lausanne
Joshua Weilerstein, Ltg.
MDG 940 1955-6 (Hybrid-SACD)
14
Ausgabe 2016/2
Foto: © Library of Congress
Foto: © Felix Broede
CLASS : aktuell
Igor Strawinsky
Apollinische Klarheit war Strawinskys Anliegen für die Ballettmusik zu „Apollon musagète“.
Einfache tonale Motive, in harmonischen Terzen
schwelgende Violinen, dazu die kluge Beschränkung auf ein reines Streichorchester: Apoll, der
Musenführer, wird seiner Bestimmung bis zum
Besteigen des Parnass vollauf gerecht. Mitunter
scheint allerdings auch hier ein mitkomponiertes
Augenzwinkern die antik-klassische Mythenwelt zu brechen…
Für das Basler Kammerorchester, das unter
seinem legendären Leiter und Förderer der
musikalischen Avantgarde Paul Sacher zu den
herausragenden Klangkörpern des 20. Jahrhunderts zählte, schrieb Strawinsky das „Concerto
in Ré“. Das dreisätzige Werk ist eine Heraus­
forderung für jedes Streichorchester, dessen
Musiker immer wieder die Gelegenheit zu solistischem Spiel erhalten. Rhythmisch komplex
Ausgabe 2016/2
15
und tonal anspruchsvoll weist das Concerto
bereits auf das Ende von Strawinskys neoklas­
sizistischer Zeit hin.
Mit Joshua Weilerstein hat das Orchestre
de Chambre de Lausanne einen echten Gene­
rationswechsel vollzogen. Der junge Dirigent
tritt in große Fußstapfen: Dass nach Christian
Zacharias mit dem Geiger Weilerstein wieder
ein hervorragender Instrumentalist die Stabfüh­
rung des renommierten Schweizer Orchesters
übernimmt, zeigt aber auch Kontinuität auf
höchstem Niveau. Man kann dem Orchester und
seinem hochmotivierten Chef für dieses Debüt
nur danken, das dank hochaufgelöster Klangtechnik im MDG-typischen 2+2+2 Re­cording
einen faszinierenden Blick auf diese wichtige
Schaffensperiode des großen russischen Komponisten wirft.
Lisa Eranos
CLASS : aktuell
Johann Sebastian Bach
Concerto No. 9 BWV 1060; Tripelkonzert BWV 1044
Orchestersuite BWV 1067; Concerto BWV 1055a
Barocksolisten München, Dorothea Seel
hänssler CLASSIC HC16006
Georg Friedrich Händel
Flötensonaten HWV 359b, HWV 363b, HWV 367b,
HWV 378, HWV 379
Dorothea Seel, Traversflöte, Luca Guglielmi, Cembalo
hänssler CLASSIC HC 16005
Carl Philipp Emanuel Bach
Flötensonaten Wq. 83-87, 123-134
Dorothea Seel, Traversflöte
Christoph Hammer, Hammerflügel
hänssler CLASSIC CD 98.057 (2 CDs)
Antonio Vivaldi
Solokonzerte
Dorothea Seel, Traversflöte; Barocksolisten München
hänssler CLASSIC CD 98.034
Unterhaltsam und geistreich
SWR19011CD
VOLKSLIEDER 2.0
SWR Vokalensemble Stuttgart, SWR Big Band
Morten Schuldt-Jensen
Bekannte deutsche Volkslieder und unsterbliche
Melodien des Norwegers Edvard Grieg erklingen
in einer spannenden Besetzung
für Chor und Bigband.
Bereits erschienen:
93.342
Chormusik aus
Großbritannien
93.329
Chormusik
aus Italien
„Das von Marcus Creed geleitete SWR Vokalensemble Stuttgart
kann auf dieser grandiosen CD wieder einmal unter Beweis stellen,
dass es unbestreitbar zu den besten Chören, vermutlich nicht
nur in Deutschland, gehört.“
16
Ausgabe 2016/2
Foto: © Theresa Pewal Photographie
D
orothea Seel legte bereits 2015 die Flöten- merphilharmonie Bremen, Hofkapelle München,
sonaten von Carl Philipp Emanuel Bach Musica Antiqua Köln, Concerto Köln, Concentus
unter Hänssler Classic vor. Die auf Alte Musicus Wien unter dem Dirigat von Rattle,
Musik spezialisierte Flötistin lässt es dabei aber Norrington, Hengelbrock, Harnoncourt, Pinnock,
nicht auf sich beruhen: Anfang 2016 erschie- Goebel, u.v.a. Mit diesen Ensembles gastierte sie
nen Händels Flötensonaten und ganz aktuell auf den bekanntesten Konzertpodien der Welt
wurde das Album mit Johann Sebastian Bachs und erhielt als Solistin höchste Anerkennung.
„Concertos“ veröffentlicht.
Die jüngste CD wurde eingespielt zusammen mit den Barocksolisten München,
ein Ensemble, das Dorothea Seel 2010
gründete. Die Mitglieder sind allesamt
international erfahrene und renommierte
Musiker. Die Concertos von Johann Sebas­
tian Bach sind diesem Ensemble wie auf
den Leib geschneidert: einst wurden sie
für die Köthener Hofkapelle geschrieben,
dessen Hofkapellmeister Bach war. Viele
seiner weltlichen Werke wurden in dieDorothea Seel
ser Periode verfasst. Die Hofkapelle war,
wie die Barocksolisten München auch,
ein leistungsstarkes junges Ensemble,
das Herzog Leopold tatkräftig förderte.
Als Solistin ist sie bekannt durch ihre VirtuoDorothea Seel studierte Konzertfach Flöte an sität und ihren eleganten, farben- und nuancender Universität Mozarteum Salzburg und absol- reichen Ton.
vierte mit Auszeichnung. Im Anschluss erwarb
Bei Hänssler Classic wurden 2014 mit dem
sie ein Diplom für Alte Musik in Trossingen.
Ensemble Barocksolisten München unter ihrer
Ihre Laufbahn begann sie in renommierten Leitung sämtliche Vivaldi-Konzerte veröffentlicht.
Orchestern wie The English Concert, Orchestra 2015 veröffentlicht Hänssler Classic alle Flötenof the Age of Enlightenment, London Classical sonaten von CPE Bach mit Christoph Hammer
Players, Kings Consort, Orchestre des Champs am Hammerklavier, sowie die Flötensonaten
Elysées, London Baroque. Sie spielt mit Orches- von Georg Friedrich Händel mit Luca Guglielmi
tern wie dem Münchner Kammerorchester, Kam- am Cembalo. Kerstin Hänßler
CLASS : aktuell
Heidenspaß am
opulenten Klanggetöse
www.musikkollegium.ch
Musikkollegium mit Mendelssohn bei MDG
Foto Musikkollegium Winterthur: © Paolo Dutto
W
elch ein Gepolter! „Kommt mit Zacken und mit Gabeln“ werden die
heidnischen Brockenanrainer aufgefordert, um den missionierenden
Christen im „Rundgeheule“ einen gehörigen
Schrecken einzujagen. Goethes anspielungsreiche
Ballade vertont der junge Felix Mendelssohn
Bartholdy zu einem furiosen Tongemälde zwischen Sinfonie und Chorballade, das den feinen
Humor des Dichterfürsten auf grandiose Weise
umsetzt. Zusammen mit drei Konzertouvertüren
beschließt „Die erste Walpurgisnacht“ den vielgelobten MDG-Mendelssohn-Zyklus des Musikkollegium Winterthur unter der Stabführung von
Chefdirigent Douglas Boyd.
Jenseits des äußerlichen Spektakels ist
„Die erste Walpurgisnacht“ ein topaktuelles
Plädoyer für religiöse Toleranz. Der wilde Spuk,
sehr irdischen Ursprungs, kommt dennoch zu
seinem Recht: Das jault und knallt, dass es eine
Freude ist – offensichtlich erfolgreich, denn
am Ende siegt das Licht, dessen rauchfreies Erscheinen mit gar nicht genug Pathos besungen
werden kann… Die Solisten und die Zürcher
Sing-Akademie haben offensichtlich einen Heidenspaß am opulenten Klangzauber.
Während Mendelssohn Goethes Dichtkunst
über alles schätzte, ließ er an Victor Hugos Tragödie „Ruy Blas“ kein gutes Haar. Einem wohltätigen Zweck zugute komponierte er dennoch
auf drängende Nachfrage eine Ouvertüre – der
er für eine Wiederholungsaufführung vielleicht
nur halb im Scherz statt des originalen Titels den
Namen „Ouvertüre zum Theater-Pensionsfonds“
gab… Bis heute gehören die Ouvertüren, insbesondere „Die Hebriden“, zu Mendelssohns beliebtesten Kompositionen. „Die schöne Melusine“ hat
Felix Mendelssohn Bartholdy
„Die erste Walpurgisnacht“ op. 60
Ouvertüren „Die Hebriden“ op. 26,
„Das Märchen von der schönen
Melusine“ op. 32 & „Ruy Blas“
Birgit Remmert, Alt; Jörg Dürmüller, Tenor;
Ruben Drole, Bariton; Reinhard Mayr, Bass
Zürcher Sing-Akademie (Tim Brown)
Musikkollegium Winterthur
Douglas Boyd, Ltg.
MDG 901 1949-6 (Hybrid-SACD)
Weitere Einspielungen:
auch schon Richard Wagner fasziniert: Der „fischartige“ Beginn des Nixenmärchens findet sich später in der Ouvertüre zum „Rheingold“ wieder!
Mendelssohn hat verbale Ausdeutungen
seiner programmatischen Werke stets abgelehnt;
musikalische Gedanken seien zu bestimmt, um
sie in Worte zu fassen. Umso unbefangener kann
die Musik pur genossen werden – besonders
gut im hochauflösenden und detailreichen dreidimensionalen 2+2+2-Klangbild, das die SACDs
von MDG auszeichnet. Doch Vorsicht: Empfindliche Gemüter könnten in der spannend plas­
tischen Wiedergabe der „Walpurgisnacht“ das
Grausen bekommen. Herrlich!
Klaus Friedrich
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)
Sinfonie Nr. 3 „Die Schottische“
Sinfonie Nr. 4 „Die Italienische“ (Version 1833/34)
Musikkollegium Winterthur; Heinz Holliger, Ltg.
MDG 901 1663-6 (Hybrid-SACD)
Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonie Nr. 1 und 5 „Reformations-Sinfonie“
Musikkollegium Winterthur; Thomas Zehetmair, Ltg.
MDG 901 1814-6 (Hybrid-SACD)
Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonie Nr. 2 „Lobgesang“
Lisa Larsson, Sopran; Malin Hartelius, Sopran
Jörg Dürmüller, Tenor; Ensemble Corund
Musikkollegium Winterthur; Douglas Boyd, Ltg.
MDG 901 1857-6 (Hybrid-SACD)
Ausgabe 2016/2
17
Klangfarben
CLASS : aktuell
GUTE MUSIK GUT HÖREN
Wenn Sie gute Musik auch
zu Hause gut hören wollen,
dann fragen Sie doch uns:
Wir zeigen Ihnen gern,
was technisch möglich ist –
in jeder Preisklasse
Foto: © Manuel Krug
Wir beraten und führen vor,
gern auch bei Ihnen zu Hause
Wir liefern, installieren und
betreuen Sie auch nach dem Kauf
Wir haben auch das „Klangfutter“
für Ihre neue Anlage
„Mozarts Cellokonzert“
und andere
Überraschungen
Stephan Frucht und Valentin
Radutiu präsentieren bekannte
Werke in neuem Gewand
Bei uns finden Sie Produkte der Marken:
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E
in Cellokonzert von Mozart? Davon konnten Cellisten bislang nur träumen. Doch
eine Transkription des Komponisten Gaspar
Cassadó macht‘s nun möglich.
Mozarts Hornkonzert in Es-Dur gehört zu
den beliebtesten Instrumentalkonzerten der klassischen Musik. Das Horn spielt etwa in derselben
Tonlage wie bei den Streichinstrumenten das
Violoncello. Was liegt also näher, als aus diesem
Umstand eine Bearbeitung abzuleiten? Das Ergebnis: Mozart auf dem Cello! Eine Weltpremiere!
Dazu gesellen sich das hoch virtuose Cellokonzert Wq171 von Carl Philipp Emanuel Bach
und Joseph Haydns berühmter Gattungsbeitrag
in D-Dur. Bachs Cellokonzert wird hierbei mit
extra für diese Aufnahme neu komponierten
Kadenzen aufgeführt.
Die Interpreten dieser Einspielung sprechen
für sich: Dirigent Dr. Stephan Frucht bekleidet
einflussreiche Positionen im deutschen Musik­
leben. Er erweist sich als gleichermaßen stil- wie
verantwortungsvoller Interpret der drei großen
Werke und hatte sich schon durch frühere CDProduktionen als vorzüglicher Interpret der
„Wiener Klassiker“ empfohlen.
18
Joseph Haydn: Cello Concerto C Major
Mozart / Cassadó: Cello Concerto D Major
C.P.E. Bach: Cello Concerto B flat Major
Valentin Radutiu, Cello
Müncher Kammerorchester, Stephan Frucht
hänssler CLASSIC HC16037
Ihm zur Seite steht Valentin Radutiu. Er ist
einer der besten Cellisten seiner Generation.
Liest man Rezensionen über sein Spiel in der
Tagespresse, fallen auffällig häufig Begriffe wie
„leidenschaftlich“, „emotional“, „vollblütig“, all
das gepaart mit einer Technik und einer Präzision, die ihresgleichen suchen. Das Münchener
Kammerorchester ist mit seiner bekannt hervorragenden Qualität das „Tüpfelchen auf dem i“
und lässt diese herausragende Einspielung mit
einiger Sicherheit auf etlichen Referenz­listen
am Jahresende aufblitzen.
René Brinkmann
Ausgabe 2016/2
CLASS : aktuell
Wild. Tonschönheit ist Nebensache
Hindemiths Bratschensonaten in audiophiler Neuaufnahme
Ernst Rudorff (1840-1916)
Kammermusik
Sextett für 3 Violinen, Viola und
2 Violoncelli op. 5; Drei Romanzen op. 48
Capriccio appassionato op. 49
Sechs Klavierstücke op. 52
Concertetüden No. 1 und 2 op. 29
Romanze für Violine + Klavier op. 41
Berolina Ensemble
MDG 948 1889-6 (Hybrid-SACD)
Fotos: © MDG
Paul Hindemith
Paul Rivinius und Christian Euler
P
aul Hindemith wollte „…nur noch in
Fällen dringender Not“ zu seinem eigentlichen Instrument, der Geige, zurückkehren – so sehr hat es ihm die Bratsche
angetan. Und da ist es nicht verwunderlich, dass
der begabte Musiker das bis dahin schmale
Repertoire für sein favorisiertes Instrument
durch etliche anspruchsvolle Werke erweiterte.
Christian Euler hat jetzt zwei Solo- und, gemeinsam mit Pianist Paul Rivinius, zwei Duosonaten
neu eingespielt, die damit erstmals in 3DQualität auf Super Audio CD zu erleben sind.
Hindemith muss ein ziemlich versierter Bratscher gewesen sein. Die technischen Höchstschwierigkeiten seiner Sonaten meistert Christian
Euler natürlich mit Bravour – und was der erfahrene Virtuose und Pädagoge aus den sehr
unterschiedlichen Werken herausholt, ist absolut
hörenswert! Da gibt es impressionistische Anklänge in op. 11 Nr. 4, das 1919 unter dem Eindruck
des Todes von Claude Debussy entstanden ist und
mit raffinierten thematischen Verschränkungen
zwischen den drei Sätzen aufwartet; andererseits
verzichtet Hindemith auch nicht auf schroffe
Grobheiten und wird damit seinem frühen Ruf
als „Bürgerschreck“ durchaus gerecht.
Berühmt geworden ist die Spielanweisung
Paul Hindemith (1895-1963)
Sonaten für Viola und Klavier
op. 11,4 & op. 25,4
Solosonaten op. 11,5 & 25,1
Christian Euler, Viola
Paul Rivinius, Klavier
MDG 903 1952-6 (Hybrid-SACD)
in der Solosonate op. 25 Nr. 1: „Rasendes Zeitmaß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache“. Dass
das aufwühlende Stück deswegen keineswegs
hässlich sein muss, ist bei Christian Euler eindrucksvoll zu erleben, und auch, dass die eigentümliche Melancholie der anderen Sätze völlig
zu Unrecht meist im Schatten dieses kurzen,
aber desto wilderen Ausbruchs stehen.
Für die Duosonaten steht Christian Euler mit
Paul Rivinius der perfekte Kammermusikpartner zur Seite, der dem Steinway-Konzertflügel
„Manfred Bürki“ ebenso opulente wie klang­sin­ni­
ge Töne entlocken kann. Schon für das Britische
Recital mit Werken von Bax, Bliss und Vaughan
Williams ernteten beide Solisten viel Applaus –
und liefern mit ihrer Hindemith-Lesung eine ebenso willkommene wie hörenswerte Fortsetzung.
Lisa Eranos
Ausgabe 2016/2
19
Weitere Einspielung:
Englische Musik für Viola und Klavier
Arnold Bax: Sonata, Arthur Bliss: Sonata,
Ralph Vaughan Williams: Suite
Christian Euler, Viola
Paul Rivinius, Klavier
MDG 903 1796-6 (Hybrid-SACD)
CLASS : aktuell
MDG 613 0579-2
der Musik des 20. Jahrhunderts. Mit
dem Komponisten und Dirigenten Hans
An ihm kommt niemand vorbei, wenn es um Neue und neueste Musik geht:
Zender konnte ein ausgewiesener Ex­per­
te für die Neue Musik als Dirigent gewon­
nen werden, und nicht zuletzt Salome
Kammers eindrucksvoll gestaltete Rolle
Pianist, Komponist, Konzertveranstalter, Festivalorganisator,
zwischen Sprechen und Singen sorgte
dafür, dass die dabei entstandene CD bis
Lehrer, Herausgeber von Notenausgaben, Ensembleleiter, Autor,
heute als Referenz­
aufnahme dieses
Moderator, Weltreisender und vieles mehr.
Klassikers gehandelt wird. Eingebettet
ist der „Pierrot“ in eine kluge Auswahl
von Stücken aus allen Lebensphasen
Schönbergs, einschließlich der „Phan­
tasie“ für Violine und Klavier, der
www.schleiermacher-leipzig.de
letzten Komposition des nach Amerika
emigrierten Schönberg.
Die „Pierrot“-Einspielung ist der Auftakt zu
eine Diskografie liest sich wie ein Kom­ preis der Ernst von Siemens-Stiftung, 1992 den
pendium der zeitgenössischen Musik. speziell für Verdienste um die zeitgenössische einer langjährigen Zusammenarbeit, die Steffen
Meilensteine der Kompositionsgeschichte Musik ausgeschriebenen Schneider-Schott-Preis Schleiermacher und das Ensemble Avantgarde
mit dem Detmolder Edellabel MDG verbindet.
sind ebenso darunter wie manches auf der Stadt Mainz.
Das Preisgeld investieren die jungen Künst­
Es entsteht ein verwegener Plan: Eine Ge­
den ersten Blick abseitig erscheinende Programm.
Und immer wieder zeigen seine klugen Werk­ ler in ein ambitioniertes Projekt: Arnold Schön­ samteinspielung aller Klavierwerke von John
zusammenstellungen Querverbindungen auf, die bergs „Pierrot lunaire“ steht für das Anliegen Cage soll in Angriff genommen werden. Dabei
des Ensemble Avantgarde wie kaum ein anderes ist der Umfang des Vorhabens zunächst gar
überraschende Erkenntnisse zu Tage fördern.
Rückblende: Leipzig im Wendejahr 1989. Werk. Am Scheitelpunkt zwischen der Aufgabe nicht abzusehen: Ein exaktes Werkverzeichnis
In der allgemeinen Aufbruchstimmung finden der Tonalität und der Hinwendung zur Zwölfton­ des gerade eben erst verstorbenen Komponisten
sich junge Musiker, darunter viele Mitglieder musik gehört es zu den wichtigen Wegmarken in existiert natürlich nicht, und überhaupt ist die
des weltberühmten Gewandhausorchesters,
zusammen, um Musik der Gegenwart aufs Kon­
zert­podium zu bringen. Von Anfang an mit da­
bei, wird Steffen Schleiermacher schnell zum
spi­ritus rector des neu gegründeten Ensemble
Avantgarde. Der Gruppe geht es nicht so sehr
um Neuheit als Selbstzweck, vielmehr sollen die
durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts abge­
rissenen Traditionsstränge wieder aufgenommen
werden; Klassiker der Moderne und Werke ver­
gessener oder verfemter Komponisten stehen
deshalb bis heute auf dem Programmzettel.
Eine eigene Konzertreihe im traditionsrei­
chen Gewandhaus wird ins Leben gerufen, und
das Ensemble wird schnell über die Grenzen
der Messestadt hinaus bekannt. Bereits 1991
erhält das Ensemble Avantgarde den Förder­
Fotos: © MDG
Steffen Schleiermacher
S
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Ausgabe 2016/2
CLASS : aktuell
MDG 613 0781-2
Frage, was denn in Cages Schaffen als „Werk“ zu
bezeichnen ist, nicht ganz einfach zu beantworten:
Da gibt es Vieles, das einer Aufbereitung durch
den Interpreten bedarf; manche Stücke können
wenige Minuten, aber auch mehrere Stunden
dauern; was ist von der Anweisung „As Slow As
Possible“ zu halten? Und so weiter. Den Auftakt
bilden die vergleichsweise eindeutigen Stücke
für präpariertes Klavier. Das präparierte Klavier
gilt als eine Erfindung Cages. Weil für die Auf­
führung einer Ballettkomposition nicht genug
Platz auf der Bühne für das Ensemble von
Bambus­trommeln vorhanden war, setzte sich
Cage an das beiseite stehende notleidende Kla­
vier und experimentierte mit Radiergummis,
Holzstäben, Schrauben und was sonst gerade
greifbar war, die er zwischen die Saiten steckte.
Heraus kamen verblüffende Obertoneffekte,
fremdartige Farben und überhaupt eine oft per­
kussive Klangvielfalt, die die Bambustrommeln
entbehrlich machten. Für den Pianisten erwächst
daraus eine neue Herausforderung: Zwar no­
tiert Cage seine Präpa­ra­tionsanweisungen sehr
penibel, zenti­me­ter­ge­nau beschreibt er, wo
der „iron bolt“ zu platzieren ist, unterscheidet
zwischen den verschie­de­ns­ten Materialien und
Schraubenformen; in der Praxis erweist sich die
Anweisung allerdings als enorm interpretations­
bedürftig, weichen die Verhältnisse doch von
Klavier zu Klavier, in Abhängigkeit von Saiten­
längen und Bauformen, stark voneinander ab.
Bereits hier zeigt sich Steffen Schleiermachers
Ausnahmetalent, wenn es um das Ausloten des
Unbekannten geht. Mit einem feinen Gespür für
die Nuancen des Möglichen findet er Klangfarben,
die Publikum wie Kritik gleichermaßen begeistern.
Schon diese erste Folge, die auf drei CDs alle
Werke für präpariertes Klavier enthält, darunter
den großen Zyklus „Sonatas and Interludes“,
wird ein sensationeller Erfolg.
Filmausschnitt:
“And the Earth Shall Bear Again”
unter: https://vimeo.com/165301765
MDG 613 1063-2
Der Grad der Freiheit und Verantwortung,
den Cage seinen Interpreten überlässt, wird mit
der Zeit immer größer. „Music for Piano 1 - 85“
und „Electronic Music for Piano“ überlassen dem
Pianisten zahlreiche Entscheidungen, angefangen
von Tondauern und Dynamik bis zu der Frage,
ob die Stücke einzeln oder simultan gespielt
werden… Durchaus virtuos geht es in den groß­
formatigen „Etudes Australes“ und der „Music
of Changes“ zu – Werke, denen Zufallsopera­
tionen zu Grunde liegen wie das chinesische
Orakel I Ging oder die Verwendung von Karten
des südlichen Sternenhimmels. Cage wollte „ab­
sichtsloses“ Komponieren und damit eine radikale
Abkehr von der europäischen Musiktradition,
für die zunächst die Entwicklung zu einem Ziel
oder Höhepunkt von entscheidender Bedeutung
ist. Vordergründig hohen Unterhaltungswert haben
etliche Stücke aus der mittleren Schaffenszeit wie
„Water Music“, „Winter Music“ oder „Music Walk“,
die als weitere Auflösung traditionellen Konzer­
tierens zu verstehen sind, bevor im Spätwerk die
sogenannten „Number Pieces“ die Oberhand ge­
winnen, Stücke, deren Titel aus Nummern be­
stehen, die die Anzahl der Spieler angeben. Aus
Schleiermachers langjähriger Beschäftigung mit
John Cage ist ein Dokumentarfilm entstanden,
der mit viel Originalmaterial, Interviews u. a.
mit Yoko Ono, David Tudor, Toshio Hosokawa
und Steffen Schleiermacher Leben und Werk des
amerikanischen Pilzkenners näher bringt.
widmet. Statt der unvermeidlichen und allgegen­
wärtigen „Gymnopädien“ wählt sich Schleier­
macher allerdings ein sehr seltsames Werk als
Einstieg: „Le fils des étoiles“ ist die Bühnenmusik
zu einem schwer verständlichen esoterischen
Drama von Sar Peladan, der sich eigentlich eine
„wagnerianische“ Musik für sein Theaterstück
vorstellte. Saties Baukastentechnik ist nun das
genaue Gegenteil, absolut undramatisch, ohne
jede Entwicklung und im besten Sinne absichts­
los – Musik als Dekoration. Es ist nicht überliefert,
wie Peladan auf Saties Komposition reagierte…
Auf insgesamt 5 CDs hat Schleiermacher aus­
gewählte Klavierwerke Saties eingespielt, darunter
etliches aus der Rosenkreuzerzeit, aber auch viele
Stücke mit merkwürdigen Titeln wie „Unappetitli­
cher Choral“ oder „Kalte Stücke“ und den berühm­
ten rätselhaften Zwischentexten, die keinesfalls
laut zu lesen sind – und deshalb allenfalls die
Gedanken des Pianisten abschweifen lassen. Viel­
leicht auch ein Mittel, „absichtsloses“ Musizieren
zu erzwingen? In Zusammenarbeit mit der Buch­
künstlerin Sabine Golde entstand eine luxuriös
ausgestattete Notenausgabe mit CD und Original­
lithografien von Saties „Sports et Divertissements“
und „La Piège de Méduse“. „Satiesfictions – Pro­
menades with Erik Satie“ ist ein absolut sehens­
werter Film betitelt, der nicht nur Wissenswertes
aus dem Leben des kauzigen Sonderlings be­
richtet, sondern mit filmischen Mitteln Saties
ästhetische Prinzipien zu befolgen versucht.
Filmausschnitt hierzu:
www.youtube.com/watch?v=hR4hyGwTU8A
Während Saties Einfluss auf nachfolgende
Generationen und insbesondere auf die Minimal
Music lange Zeit nicht erkannt wurde, bestand an
der Bedeutung der sogenannten Zweiten Wiener
Schule spätestens seit den 1950er Jahren kein
Zweifel. Es ist Steffen Schleiermachers großes
Verdienst, dass er sich in seiner Reihe „The
Filmausschnitt hierzu:
www.youtube.com/watch?v=k8gMr0RKad4
Insgesamt 18 CDs in 10 Folgen umfasst die
vielfach preisgekrönte – allein dreimal gab´s
dafür den ECHO Klassik – Gesamtaufnahme der
Klaviermusik von John Cage. Eine davon ist einem
großen Vorbild gewidmet: „Hommage à Erik
Satie“. Das revolutionär Neue in Saties Musik
erkannte Cage schon früh. Und so ist es kein
Wunder, dass Steffen Schleiermacher sich auch
diesem lange völlig unterschätzten Komponisten
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MDG 613 1282-2
CLASS : aktuell
Viennese School – Teachers and Followers“
nicht auf die Trias Arnold Schönberg – Anton
Webern – Alban Berg beschränkt. Denn auch
Webern und Berg haben Unterricht erteilt, und
was deren Schüler komponiert haben, ist weit­
gehend unbekannt. Auf je einer CD werden Werke
des Lehrers mit denjenigen seiner Schüler kon­
frontiert, und man wundert sich gelegentlich,
wie selbständig sich die Nachfolger entwickelten.
Echte Entdeckungen sind dabei, wie die 20 Minia­
turen des „Tombeau de Vincent van Gogh“ des
Webern-Schülers Fré Focke, oder „Die Maschine“
von Berg-Schüler Fritz Heinrich Klein – das, sehr
zu Schönbergs Ärger, erste gedruckte Zwölfton­
stück überhaupt! Arnold Schönberg, der zunächst
in Wien, dann in Berlin und schließlich im ame­
rikanischen Exil in Los Angeles unterrichtete,
sind sogar 2 CDs gewidmet – und interessanter­
weise findet man auch John Cage, der hier mit
„Variations I“ vertreten ist, unter seinen Schülern.
Allerdings hatten die beiden, wie man sich leicht
denken kann, wohl nicht viel Freude aneinander.
Dass Arnold Schönberg beim Anspruch auf
die Urheberschaft der Zwölftonmusik keinen
Spaß verstand, musste nicht nur Fritz Heinrich
Klein erfahren. Auch Josef Matthias Hauer
konnte ein Lied davon singen – zumal singen,
oder ganz allgemein das „Melos“ bei Hauer im
Zentrum musikalischen Schaffens stand. Einen
gänzlich anderen Weg als Schönberg verfolgend,
beharrte er bis zu seinem Lebensende darauf,
der eigentliche Schöpfer der Musik mit den
zwölf Tönen zu sein – ja eigentlich sei die ge­
samte Musik in seinem System bereits enthalten.
Im Gegensatz zu Schönbergs expressionistischer,
auf Bach, Beethoven und Brahms aufbauenden
Tonsprache schafft Hauer tatsächlich etwas
radikal Neues. Er ordnet das Tonmaterial in so­
genannten „Tropen“, aus denen er das „Melos“
entwickelt. Motivverarbeitung spielt eher keine
Rolle, und so entsteht eine spannungsfreie
Musik von ganz eigentümlicher Wirkung. Im
MDG 613 1686-2
Regelfall enden die oft kurzen Stücke, viele mit
dem Titel „Zwölftonspiel“, auf einem harmoni­
schen Dur-Akkord – bei Schönberg allerstrengs­
tens verboten! Vieles spricht dafür, dass es Hauer
ist, der sich hinter dem „Joculator Basiliensis“
in Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ verbirgt.
Für seine „Präludien und Melodien“ fordert
Hauer stets ein „wohltemperiertes“ Instrument;
gelegentlich schreibt er konkret Harmonium oder
Celesta vor. Besonders die Stücke mit Celesta
gewinnen etwas Überirdisch-Sphärisches, das
im Wechsel mit Harmonium und Klavier her­
vorragend zur Entfaltung kommt. Gemeinsam
mit Bariton Holger Falk erweist sich die CD
„Musik mit Hölderlin“, die Klavierstücke Hauers
mit Überschriften nach Hölderlin und Lieder
auf Texte des großen Dichters umfasst, als über­
raschende Entdeckung.
Mit Holger Falk verbindet Steffen Schleier­
macher eine besondere künstlerische Freund­
schaft. „Sind noch Lieder zu singen?“ war ein
Konzertprogramm im vergangenen Jahr über­
schrieben – um die Antwort gleich hinterher­
zuschicken: Selbstverständlich! Wolfgang Rihm,
der ein Gespür für ganz besondere Texte hat, ver­
tonte mit dem „Wölffli-Liederbuch“, den „LenzFragmenten“ und den „Sechs Gedichten von
Friedrich Nietzsche“ Vorlagen von Menschen in
zerbrechlicher oder gar zerrütteter psychischer
Verfassung. Im Falle des „Wölffli-Liederbuchs“
war der namengebende Autor gar in geschlos­
sener psychiatrischer Verwahrung, was der er­
schütternden poetischen Qualität der Texte kei­
nen Abbruch tut. Genie und Wahnsinn – nicht
nur bei Nietzsche ist das nahe beieinander.
Und wieder Erik Satie: Die jüngste Einspie­
lung mit Holger Falk und Steffen Schleiermacher
umfasst sämtliche „Mélodies et Chansons“, in
denen der wandlungsfähige Bariton sein enormes
schauspielerisches Talent einbringen kann. Die
literarischen Vorlagen sind von eher zweifelhafter
Qualität – dafür macht der sehr spezielle Humor
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MDG 613 1926-2
des eigenbrötlerischen Komponisten Einiges
wett. Bei einigen Cabaret-Liedern sind die Texte
verloren gegangen, und was Holger Falk damit
anstellt, ist absolut hörenswert. Liebhabern der
französischen Sprache sei auch „Les Oiseaux“
sehr an Herz gelegt…
Für die Musik des 20. Jahrhunderts sind die
„Internationalen Ferienkurse für Neue Musik
Darmstadt“ von ganz besonderer Bedeutung.
Seit 1946 treffen sich regelmäßig, anfangs auf
Schloss Kranichstein, später an anderen Orten in
der Stadt Musikenthusiasten aus aller Welt zu
einem Festival der zeitgenössischen Musik. Be­
sonders in den 1950er Jahren war der Einfluss,
der von Darmstadt ausging, enorm; die Serielle
Musik, eine Kompositionsmethode, die Schön­
bergs Reihentechnik auch auf andere Parameter
als nur die Tonhöhe bezieht, wurde hier intensiv
betrieben. Steffen Schleiermacher, der 1986 selbst
den Kranichsteiner Musikpreis erhielt, hat die
„Darmstädter Schule“ mit zwei CD-Einspielungen
gewürdigt. Neben den Matadoren der Seriellen
Musik Karlheinz Stockhausen, Pièrre Boulez und
Olivier Messiaen auf Volume 1 kommen auf der
zweiten Folge auch jüngere Komponisten mit ande­
ren Interessen wie Maurizio Kagel, Helmut Lachen­
mann und Steffen Schleiermacher selbst zu Gehör.
Eine ganz persönliche Zusammenstellung hat
Steffen Schleiermacher mit „Teachers – Friends
– Colleagues“ vorgelegt. Die mit einem „ECHO
Klassik“ ausgezeichnete CD enthält Werke von
Schleiermachers Lehrern Friedrich Goldmann,
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Siegfried Thiele und Friedrich Schenker, außer­
dem Stücke von Weggefährten, Freunden und
Kollegen. Etliches davon ist in der DDR entstanden,
und es mag den einen oder anderen überraschen,
was trotz geschlossener Grenzen in der Musik
alles möglich war. Die Avantgarde war auch in der
DDR stets auf der Höhe der Zeit, was politische
Anspielung keineswegs ausschließt. So heißt es
in der Spielanweisung zu Reiner Bredemeyers
„Klavierstück 3“: „Der Spieler ergänzt, kontert,
kommentiert und synchronisiert mit geschlosse­
nem Mund summend“ – wer dachte da nicht an
die eingeschränkte Meinungsfreiheit?
Steffen Schleiermacher, der in Halle an der
Saale aufgewachsen ist, hat die Reisemöglich­
keiten, die ihm die DDR ermöglichte, reichlich
genutzt. Im Ausland hat er sich, sobald irgend
möglich, vom offiziellen Programm mit der Be­
sichtigung der industriellen Errungenschaften der
sozialistischen Bruderstaaten verabschiedet, um
die Eigenarten des Gastlandes kennen zu lernen
– sicher nicht immer zur Freude der Reiseleitung.
Auf diese Weise hat er sich profunde Kenntnisse
über Musik und Kultur etlicher Weltregionen an­
eignen können, die nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs die Grundlage für weitere ge­zielte Exkur­
sionen bildeten. Immer wieder wird Schleier­
macher zu Meisterkursen auch in entfernte Gegen­
den eingeladen – sei es als Komponist oder als
profunder Kenner zeitgenössischer Klaviermusik.
Die dabei gewonnenen Eindrücke schlagen
sich in einer ganzen Reihe von CD-Produktionen
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nieder, wie „Asia Piano Avangarde“ mit Musik aus
Japan und Indonesien, „British!“, „Tschechische
Avantgarde“ oder „American Ultramodernists“.
Überhaupt spielt die Musik Amerikas auch jen­
seits von Cage eine große Rolle. Morton Feldman
mit seinen ausladenden Werken ist eine Reihe mit
den späten Klavierstücken gewidmet. Wie „for
John Cage“, das Schleiermacher gemeinsam mit
Gewandhauskonzertmeister Andreas Seidel musi­
ziert, sind auch Feldmans „Patterns in a Chromatic
Field“, bei denen Christian Giger den Cellopart
übernimmt, mit an die 80 Minuten Spielzeit an
der Grenze des technisch machbaren. Immer
wiederkehrende Muster werden so eingearbeitet,
wie anatolische Teppichknüpfer ihre überlie­
ferten Formen herstellen: Aus dem Gedächtnis,
Abweichungen vom Grundmuster nicht suchend
und nicht vermeidend, sondern absichtslos akzep­
tierend. Mit den Minimalisten Philip Glass und
Terry Riley begibt Schleiermacher sich auf das
Gebiet der synthetischen Klangerzeugung. Bei
Earl Brown hatte Schleiermacher Kompositions­
unterricht – sofern man da von Unterricht reden
kann. Auf jeden Fall hat die Auseinandersetzung
mit der amerikanischen und auch der asiati­
schen Musik Spuren in seinem kompositorischen
Schaffen hinterlassen. Oft verwendet er ver­
trackte Rhythmen, die durchgehende, manch­
mal minimalistisch wirkende Motorik wird von
einzelnen Sechzehnteln „gestört“, wie man es in
der Gamelan-Musik Indonesiens immer wieder
findet. Das ist für die Ausführenden durchaus
MDG 613 1265-2
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schwierig, fürs Publikum aber sehr attraktiv.
Kompositionsaufträge namhafter Institutionen
bleiben deshalb nicht aus: Für das Gewandhaus­
orchester schrieb er mehrere Werke, ebenso
für das Konzerthausorchester Berlin und die
Dresdner Philharmonie.
Das Schöne an der Neuen Musik ist ja: Es
gibt immer wieder Neues zu entdecken. Damit
das so bleibt, hat Steffen Schleiermacher weitere
CD-Projekte in Planung. Nach einer Ensemble­
einspielung und einer CD mit Klavierwerken ist
eine dritte Veröffentlichung eigener Werke in Vor­
bereitung. Eine Auswahl der Lieder von Hanns
Eisler ist, wieder gemeinsam mit Holger Falk,
geplant, und auch die Aufnahme von Federico
Mompous „Musica Callada“ findet eine Fort­set­
zung mit kleineren Zyklen des katalanischen
Sonderlings. Drei gute Gründe, sich auf die
Zukunft zu freuen! Klaus Friedrich
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„Eine gelehrte und zugleich stürmische Musik!“ Julien Green 1987
Max Reger (1873 – 1916)
Gesamteinspielung der Werke für Violine allein
Renate Eggebrecht, Violine
Pionierarbeit? Zweifellos! Hut ab vor so viel Mut, denn dies ist ein hartes
Stück Arbeit! Das Spiel der Interpretin ist kultiviert und versiert. Alles ist
straff strukturiert und konzentriert. Eine beachtenswerte Gesamtleistung! Mit Engagement und Können leistet die Violinistin Pionierarbeit!
TRO-CD 01422
Vier Sonaten op. 42
TRO-CD 01416 (2-CDs)
Sieben Sonaten op. 91
TRO-CD 01425
Sieben Präludien und Fugen,
Chaconne op. 117
TRO-CD 01427
Sechs Präludien und Fugen op. 131a
Präludium und Fuge a-Moll
Präludium e-Moll
Chaconnen opp. 42, 91, 117
„Hab jetzt 6 Solosonaten für die Geige
allein geschrieben. Mir geht’s gut, wie’s
den Geigen geht dabei, weiß ich nicht!“
Reger, 1905
Ihre technische Souveränität,
die nie zum Selbstzweck gerät,
wird dabei zum Mittel einer
Darstellung, die stets Klarheit
der Linienführung mit Intensität
des Ausdrucks verbindet.
Pizzicato 2003
„… Nun sollen die Werke für den Heimgegangenen reden. Möchten sie noch Vielen Freude bringen und uns der
Verlust dieses großen, guten Menschen und genialen Musikers mit der Zeit vergessen machen. Es wäre der
schönste Lohn seines kurzen Lebens, das köstlich war, weil es Mühe und Arbeit gewesen ist!“ Fritz Busch, 1916
Vertrieb: Klassik Center
Tel. 0561 935 14 0 • Fax 0561 935 14 15
[email protected] • www.classicdisc.de
TROUBADISC
Tel. +49 (0) 89 7142357 • Fax +49 (0) 89 71000850
E-Mail: [email protected] • www.troubadisc.de
Profil
Edition
Günter
Hänssler
TRO-CD 01437
Klavierkonzert f-Moll op. 114
Wolfram Lorenzen, Klavier
„Triumph für Reger und Lorenzen – der Pianist
interpretiert kongenial! Eine atemberaubende
Technik und dies ganz besonders, eine überlegene
Basler Zeitung 2011
Gestaltung …“
TRO-CD 01438
Klavierwerke, Sonatinen op. 89
Humoresken op. 20, Bachvariationen op. 81
Wolfram Lorenzen, Klavier
„Eine perfekt geführte Klangregie – Ich verneige
mich vor Lorenzens kraftvoller, aber auch umsichtiger, maßvoller Virtuosität – geglückt, überzeugend!“
NEU
ANTON BRUCKNER
Studien-Symphonie f-Moll 1863
Peter Cossé 2011
CD PH15004
TRO-CD 01413
Klavierkammermusik Vol. 1
Sonaten für Violine und Klavier opp. 72 und 139
Renate Eggebrecht, Violine
Wolfram Lorenzen, Klavier
Siegfried Mauser, Klavier
„The performers deliver a passionate account of
the Sonatas, an important side of Reger’s output!“
Gramophone 1999
NEU
ANTON BRUCKNER
Messe Nr. 3 - Psalm 146 - Orgelwerke
TRO-CD 01414
Klavierkammermusik Vol. 2
Klavierquintett op. 64, Klaviertrio op. 102
Wolfram Lorenzen, Klavier
Fanny Mendelssohn Quartett
CD PH16034
Erhältlich im Fachhandel
Ebracher
Musiksommer
„Die Musiker spielen mit kraftvollem Ton und
leidenschaftlich erregt, aber dennoch stets kultiviert
und klangschön – eine sehr spannende Inter Fono Forum 1998
pretation.“
Abteikirche Ebrach, 24. Juli 2016 - 17 Uhr
ANTON BRUCKNER
Symphonie Nr. 9 d-Moll,
viersätzig
ERSTAUFFÜHRUNG
TRO-CD 01413
Klavierkammermusik Vol. 3
Klavierquartette opp. 113 und 133
Fanny Mendelssohn Quartett
Wolfram Lorenzen, Klavier
des von Gerd Schaller nach originalen Quellen
ergänzten und vervollständigten Finales
Philharmonie Festiva
GERD SCHALLER
„Plenty to enjoy, and the sound is excellent!“
Gramophone 1999
„Dann gehe ich jetzt an ein Klavierquartett op. 133 in a moll. Heute bin ich noch
Hofbeamter – morgen bin ich ‚Freiherr‘!“
Reger, 30. Juni 1914
Weitere Infos:
www.ebracher-musiksommer.de
Profil
Edition
Günter
Hänssler
Profil Medien GmbH
Edition Günter Hänssler, www.haensslerprofil.de
Vertrieb: NAXOS DEUTSCHLAND GmbH
www.naxos.de
Foto: © Guido Werner
CLASS : aktuell
Make it sound easy
P
eter Albrecht sprach mit Friedemann Eichhorn und Alexander Hülshoff
über ihre neue CD mit Duos für Violine und Cello von François Schubert
und Frédéric Kummer, ein kongeniales Komponisten-Duo der Romantik.
Was kann sich der Hörer unter den Duos von Schubert und
Kummer vorstellen?
F. Eichhorn: „Das Spielen dieser Virtuosenstücke als Duo ist ein
sehr kommunikatives Erlebnis: Die virtuosen Passagen wechseln sich
ständig ab und versuchen sich zu übertreffen an Brillanz und Leidenschaft – während einer brilliert, begleitet der andere und breitet
gleichsam den Teppich aus, auf dem der Partner Saltos schlagen darf.
Schubert und Kummer haben sich dann immer wieder witzige, hypervirtuose Gesten als kurze Kommentare einfallen lassen. Das ist
einfach ein pures Vergnügen und man muss das ironisch und mit
Augenzwinkern spielen. Schwefelgelb und lässig würde ich sagen.“
A. Hülshoff: „Gleichzeitig war Virtuosität nie Selbstzweck für
die Künstler sondern vielmehr ein offenherziger Impuls an das
Publikum, der für die Leidenschaft der Musik steht. Friedemann
und ich haben viele Stücke für Violine und Cello aus der Mitte des
19. Jahrhunderts entdeckt. Zum ersten Mal in der Musikgeschichte
beherrschte „der Solist“ die musikalische Welt und die Herzen der
Musikliebhaber. Die Duos dieser Zeit erzählen uns diese Geschichte,
eine Geschichte der romantisch-instrumentalen Stürme.“
Wie ging die Einstudierung vonstatten?
F. E.:„Wir haben uns vorgestellt, wie sich Kummer und Schubert beim
gemeinsamen Komponieren wohl gefühlt haben – das müssen Feste
des Musizierens gewesen sein, höchst inspiriert. An die Stücke sind
wir sehr improvisatorisch herangegangen und haben versucht, hinsichtlich Virtuosität und melodischem Ausdruckswille die Vorlage
noch zu steigern.“
A. H.: „Also ein Allegro spielen wir schon im obersten Tempobereich
und einige hübsche Stricharten haben wir hinzugefügt. Die Duos sind
aberwitzig virtuos und bilden –neben den Duos von Francois Servais
– das instrumentale High-end
dieser Gattung. Make it sound
easy – das ist unser Konzept.“
Fréderic Kummer und
François Schubert:
Duos für Violine und Cello
Friedemann Eichhorn, Violine
Alexander Hülshoff, Cello
tung!
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So geht’s: batt auf alle NAX
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2
NAXOS 8.573000
26
Ausgabe 2016/2
Foto: © Dirk Guldner
CLASS : aktuell
Aktuelle Konzerte:
Mai Opéra du Strasbourg
Juni Busan (Korea), Duisburg, München
Juli München, Münchener Philharmoniker
www.constantintrinks.com
„Der Begründer der Neuen
Symphonie, wie ich sie verstehe“
Gustav Mahler
Die erste und einzige Symphonie von Hans Rott wurde
erst 1989 entdeckt, uraufgeführt und auf Tonträger eingespielt.
Die aktuelle Live-Aufnahme des Mozarteumorchester Salzburg
unter der Leitung von Constantin Trinks ist die
insgesamt elfte Veröffentlichung dieser bemerkenswerten
Symphonie, die der Komponist 21jährig vollendete.
H
ans Rott war ein genialisch-begabter Komponist des 19. Jahrhunderts, BrucknerSchüler und Mahler-Kommilitone in Wien,
der im Alter von nur 21 Jahren eine hoch ambitionierte Symphonie von Brucknerschen Dimensionen schrieb, und welche Gustav Mahler als wichtige Inspirationsquelle dienen sollte; der dann aber
in geistige Verwirrung und Depressionen verfiel
und die letzten fünf Jahre seines kurzen Lebens –
Rott starb nicht ganz sechsundzwanzigjährig –
in der geschlossenen Anstalt verbringen musste.
Gustav Mahler fand für seinen Wiener Studienkollegen und Freund Hans Rott bewundernde
Worte: „Was die Musik an ihm verloren hat, ist
gar nicht zu ermessen. Er ist meinem Eigensten
so verwandt, dass er und ich mir wie zwei Früchte
von demselben Baum erscheinen, die derselbe
Boden erzeugt, die gleiche Luft genährt hat. An
ihm hätte ich unendlich viel haben können und
vielleicht hätten wir zwei zusammen den Inhalt
dieser neuen Zeit, die für die Musik anbrach,
einigermaßen erschöpft.“
Die Bewunderung für den zwei Jahre älteren,
jedoch allzu früh verstorbenen Freund schlug
sich auch in Mahlers eigenem kompositorischen
Schaffen nieder: So hören wir in Rotts Symphonie
vieles, was uns an Mahler erinnert – oder richtiger: was auf ihn voraus weist, ihn antizipiert.
Denn man muss sich vor Augen führen: Im Jahr
1880, in welchem Rott seine Symphonie beendete, war Mahler noch acht Jahre von der Komposition seiner ersten Symphonie entfernt.
„Nicht ohne Stolz zähle ich mich zu den
ersten ‚Jüngern’ nach der sensationellen Neuentdeckung dieses Kunstwerks im Jahr 1989.
So fiel mir die CD der Ersteinspielung bereits
kurze Zeit nach Veröffentlichung in die Hände.
Diese entfachte sofort meine jugendliche Begeisterung, kam doch in dieser Musik hörbar
Rotts Verehrung für Wagner und Bruckner –
den Leitsternen meiner Jugend – zum Ausdruck. Ich freue mich sehr, mit diesem Livemitschnitt nun einen ganz persönlichen Beitrag
zur Würdigung des Genies Hans Rott und zur
weiteren Verbreitung seines Hauptwerkes leisten zu dürfen.“ sagt der Dirigent Constantin
Trinks, der für Profil Edition Günter Hänssler
diese Rarität 2015 zusammen mit dem Mozarteumorchester Salzburg einspielte.
Contantin Trinks / Kerstin Hänßler
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27
Hans Rott: Symphonie Nr. 1
Mozarteumorchester Salzburg
Constantin Trinks
Profil Edition Günter Hänssler
CD PH15051
Bereits erschienen:
Jaromír Weinberger
Schwanda, der Dudelsackpfeifer
Oper in zwei Akten; Libretto von Milos Kares
Christoph Pohl, Marjorie Owens, Ladislav Elgr,
Tichina Vaughn, Tilmann Rönnebeck,
Michael Eder, Simeon Esper u.a.
Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden;
Staatskapelle Dresden, Constantin Trinks
Profil Edition Günter Hänssler
PH13039 ( 2 CDs )
CLASS : aktuell
Foto: © Marco Borggreve
Bach Collegium Japan
Shoin Chapel
Masaaki Suzuki
Ü
ber fast die gesamte Zeit seiner Kar­
riere hat Johann Sebastian Bach Kan­
taten für den Gebrauch im Gottesdienst
komponiert; man nimmt an, dass er
wahrscheinlich rund 300 Werke dieser Art schuf.
Etwa 200 davon sind überliefert; die ersten
stammen aus J.S. Bachs Zeit als Organist in
Arnstadt (1703 -1707) und die letzten entstan­
den nur ein oder zwei Jahre vor seinem Tod
im Jahre 1750. Als Masaaki Suzuki und sein
Bach Collegium Japan 1995 ihr monumentales
Abenteuer begannen, all diese Werke aufzu­
nehmen, entschlossen sie sich, chronologisch
Bachs Fußspuren zu folgen. Deshalb enthält
Vol. 1 ihrer Serie (Disc 1 dieser Box) drei der
ersten Kantaten (BWV 4, 150 und 196), und die
Serie endet mit der letzten: „Lobe den Herrn,
meine Seele“ (BWV 69).
Freue dich, erlöste Schar!
Bachs sämtliche geistlichen Kantaten auf SACD
Der über einen Zeitraum von 19 Jahren ein­
gespielte und veröffentlichte Zyklus erwarb sich
internationale Anerkennung sowie Respekt der
Kritiker und Experten für Masaaki Suzuki und
sein Team dank der exzellenten Qualität der In­
terpretationen, aber auch für die vorsichtige, re­
spektvolle Annäherung an die Musik. Ein Kritiker
schrieb, es gehe hier wohl eher um „verehrungs­
volle Tiefe als um brillante Selbstdarstellung.“
Gleich die erste CD der Serie wurde im BBC
Music Magazine 2012 unter den „besten CDs der
letzten 20 Jahre“ gelistet, und die letzte Folge wur­
de 2013 zur Editor’s Choice in Gramophone und
Recording of the Month des BBC Music Magazine.
2014 wurde die Serie mit einem ECHO Klassik als
„editorische Leistung des Jahres“ ausgezeichnet.
Kritiker haben Masaaki Suzukis Kantaten­
zyklus über die 18 Jahre in zahllosen Rezen­
sionen stets mehr als nur freundlich aufgenom­
men; als er 2011 im Penguin Guide unter den
1000 Finest Classical Recordings genannt wurde,
war er noch nicht einmal vollendet!
Die bemerkenswert gleichbleibende Qualität
der Einspielungen über die gesamte Dauer die­
ses Langzeitprojekts ist insbesondere Masaaki
Suzuki zu verdanken, der schon bei der Ein­füh­
rung in die Serie 1995 seiner Überzeugung Aus­
druck gab: „Bachs Musik enthält eine Botschaft,
die das menschliche Herz anrührt, unabhängig
von Nationalität oder kultureller Tradition.“ Viele
seiner Musiker – Solisten, Chorsänger und Ins­
trumentalisten – sind dem Projekt über die
Jahre bemerkenswert treu geblieben, wie auch
die Shoin Women’s University in Kobe, die ihre
Kapelle die ganze Zeit über als Aufnahmeort zur
Verfügung stellte.
A. Rainer
N e b e n 5 5 Su p e r A udio- C Ds
e nt h ä lt d i e B o x :
• ein 208seitiges Booklet mit Tracklistings,
einem Essay über die geistlichen Kantaten
von Dr. Klaus Hofmann (in englisch,
deutsch und französisch) und Indices
Johann Sebastian Bach
Sämtliche geistliche Kantaten
Bach Collegium Japan
unter der Leitung von Masaaki Suzuki;
Unter den Vokalsolisten:
Hana Blažiková, Yukari Nonoshita
und Carolyn Sampson, Sopran
Robin Blaze und Yoshikazu Mera, Altus
Gerd Türk und Makoto Sakurada, Tenor
Peter Kooij, Bass
• ein 376seitiges Booklet mit
sämtlichen Gesangstexten auf
deutsch mit englischer Übersetzung
Neben den vollständigen Kantaten
enthalten die Aufnahmen
auch zahlreiche
Fragmente und Alternativsätze
BIS 9055 (Box mit 55 SACDs)
28
Ausgabe 2016/2
Im Blickpunkt
CLASS : aktuell
Barockmusik
Towards Heaven – Dem Himmel
entgegen
Werke von Georg Muffat,
Carl Rosier,
Georg Philipp Telemann,
Élisabeth-Claude Jacquet de la Guerre
Cölner Barockorchester
Coviello Classics COV 91603
Himmlisches hat das Cölner Barock­
orchester auf seiner neuen CD einge­
spielt. Himmlisches gibt es aber auch
in der Musik nur als Kontrast zu den
Beschwernissen des irdischen Lebens,
und diesen zeichnet das Ensemble in der
ausdrucksstarken Sprache der um 1700
entstandenen Musik nach: In Georg
Muffats eröffnender Sonate herrscht noch
das Grave und die düstere Stimmung
vor; die Oper „Céphale et Procris“ von
Élisabeth-Claude Jacquet de la Guerre
handelt von einer dramatischen Liebe,
die schließlich in Mord und Totschlag
endet – was nicht ohne Wirkung auf die
Ausdruckswelt ihrer hier eingespielten
instrumentalen Zwischenspiele bleibt.
Himmlisch
Telemann bringt mit seiner Viel­
seitigkeit und der Ouvertürensuite „La
Changeante“ („Die Wechselhafte“) den
Wechsel zu lichteren Welten, an die sich
eine Sonate des Kölner Domkapellmeis­
ter Carl Rosier mit rheinischem Frohsinn
anschließt. Mit Muffats Concerto „Propitia
Sydera“ („günstiges Gestirn“) ist schließ­
lich die himmlische Sphäre erreicht. Auf
höchstem musikalischem Niveau ent­
steht ein faszinierendes Bild des Span­
nungsfelds barocker Affekte zwischen
Erdenschwere und Jenseitsbezug.
Orchester
George Butterworth (1885-1916)
Orchesterwerke
Idyll: ‘The Banks of Green Willow’
Six Songs from ‘A Shropshire Lad’*
(orchestriert von Kriss Russman)**
Rhapsody ‘A Shropshire Lad’; Two English
Idylls; Suite for String Quar­tette (für
Streichorchester arrangiert)**
Love Blows as the Wind Blows
(vervollständigt von Kriss Russman)* **
BBC National Orchestra of Wales,
Kriss Russman
*James Rutherford, Bariton
** Ersteinspielung
BIS-SACD-2195
Als der mit Ralph Vaughan Williams
befreundete Butterworth (beide hatten am
Trinity College in Oxford studiert) 1914
in die Armee eintrat, hatte er gerade
den Liedzyklus „Six Songs from ‚A
Shropshire Lad‘“ wie auch die „Rhapsody
‚A Shropshire Lad‘“ vollendet, die er ei­
nen „orchestralen Epilog“ zu seinen Ver­
tonungen der Lieder von A. E. Housman
bezeichnete. Viele englische Komponis­
ten seiner Zeit vertonten Gedichte von
Housman, aber keine dieser Kompo­
sitionen erreichte die Popularität der
beiden Liedzyklen (für Singstimme und
Klavier) von Butterworth. Diese Rhapso­
die ist seither als eines der „großartigsten
englischen Orchesterwerke“ benannt
worden, und ihr Komponist galt als eine
der ganz großen Hoffnungen englischer
Musik, eine Hoffnung, die im August
1916 an der Somme ihr Ende fand.
Begrabene
Hoffnung
Einige Manuskripte hatte Butterworth
vor seinem Einrücken noch vernichtet,
weil er sie ungenügend fand. „Überlebt“
hat dies eine „Orchestral Fantasia“, de­
ren Komposition er erst kurz vor dem
Krieg begonnen hatte. Ein 3 ½ Minuten
langes Fragment hatte er bereits fertig­
gestellt. Kriss Russman hat dieses Frag­
ment vollendet, wie er auch die Streich­
orchesterversion der „Suite for String
Quartette“ (sic!) schuf. Insgesamt bie­
tet diese SACD die Wiederentdeckung
eines Großen der englischen Musik.
Igor Strawinsky
Pulcinella Suite (1924)
Apollon musagète (1928)
Konzert in D für
Streichorchester (1946)
Tapiola Sinfonietta, Masaaki Suzuki
BIS-SACD-2211
Ottorino Respighi – Sinfonia
drammatica
Sinfonia drammatica (1913 -1914)
Belfagor, ouverture
per orchestra (1924)
Orchestre Philharmonique Royal de
Liège, John Neschling
BIS-SACD-2210
Masaaki Suzuki hat sich weltweit als
eine der führenden Persönlichkeiten der
Bach-Interpretation profiliert, sowohl
als Leiter des Bach Collegium Japan wie
auch als Organist und Cembalist. Seit
einigen Jahren schon steht er aber
auch immer wieder am Pult bedeutender
Orchester und dirigiert dann keines­
wegs Barockmusik, sondern Britten,
Fauré oder Mahler. Und folgt damit den
Spuren vieler Künstler, die ihr beson­
deres Profil zunächst im Bereich der
Alten Musik hatten. Interpretatorisch
ist es oft besonders spannend, wenn sie
ihre Erfahrungen aus dem Bereich der
historischen Aufführungspraxis in die
Musik späterer Zeiten einbringen.
Mal ganz was
anderes
Für seine erste Aufnahme mit Werken
des 20. Jahrhunderts hat Suzuki sich
zusammen mit der gefeierten Tapiola
Sinfonietta für ein reines StrawinskyProgramm entschieden. Und dies gleich
mit zwei Hauptwerken, der Pulcinella
Suite und Apollon musagète. Von der
Pulcinella Suite, entstanden 1919 für
die Ballets Russes in Paris, sagte ihr
Schöpfer selbst, sie sei der Türöffner
gewesen, durch die sein ganzes späte­
res Werk erst möglich geworden sei.
Apollon musagète ist deshalb so be­
deutsam, weil sich Strawinsky hier
mit der französischen Musik des 17.
und 18. Jahrhunderts auseinandersetzt.
Historie verarbeitet er auch in dem
Konzert in D, das eine Hommage an
das barocke Concerto grosso im Sinne
Vivaldis und Bachs ist.
Ausgabe 2016/2
29
Respighi wird vor allem mit seiner
„römischen Trilogie” verbunden, die
zwischen 1916 und 1928 entstand und
die „ewige Stadt“ mit ihren Brunnen,
Kiefern und Festivals feiert. Dabei war
Respighi ein in vielen Genres profilierter
Komponist, und alle seine Orchester­
werke, auch die vor und nach der „römi­
schen Trilogie“, bieten hohe Qualität.
Seine Orchesterwerke lassen Einflüsse
des französischen Impressionismus er­
kennen; die Klangsprache von Maurice
Ravel war ihm sehr nahe. Doch Respighi
war auch ein Vertreter des Klassizismus
in Italien. Und so setzen John Neschling
und das Orchestre Philharmonique Ro­
yal de Liège ihre Erforschung Respighi­
scher Orchesterkompositionen fort mit
dieser dritten Folge und der „Sinfonia
drammatica“, einem großformatigen
Werk von epischen Dimensionen (Spiel­
dauer über 58 Minuten).
Episch sinfonisch
Das mag der Hauptgrund sein, war­
um es nur selten gespielt wird. Das Stück
hat einen dunklen, intensiven, dramati­
schen Charakter, der alle überraschen
wird, die Respighi nur von seiner extro­
vertierten Seite her kennen. Besser be­
kannt ist die „Belfagor“ Ouvertüre, ein
1924 entstandenes Werk, in dem Respighi
Material einer Oper gleichen Titels auf­
greift, die 1923 mit großem Erfolg Pre­
miere hatte. Diese „lyrische Ko­mödie“
erzählt die Geschichte eines Teufels –
Belfagor –, der auf die Erde kommt,
um mehr über die Liebe zwischen Men­
schen zu lernen. Die Orchesterouver­
türe beschreibt die beiden Hauptfiguren,
Belfagor und Candida, „das Mädchen,
rein, liebend und treu.“
Im Blickpunkt
CLASS : aktuell
Kammermusik
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Serenade op. 25
Streichtrio op. 3
Ardinghello Ensemble
MDG 903 1953-6 (Hybrid-SACD)
Nur wenig Kammermusik für die Flöte
sind aus Beethovens Feder überliefert.
Dabei gelang ihm mit der Serenade op. 25
ein apartes, leichtfüßiges Werk, das das
Ardinghello Ensemble gemeinsam mit
dem gewichtigen Streichtrio op. 3 jetzt
neu eingespielt hat.
Den serenadenhaften Tonfall im
Flötentrio findet Beethoven bereits mit
den ersten Takten: Eine marschmäßige
„Entrata“ zum Einzug der Musikanten
eröffnet das Werk ganz in der Tradition,
auch wenn die Serenade inzwischen aus
dem höfischen Garten in den bürgerli­
chen Salon umgezogen ist.
Auch das Trio op. 3 erinnert in seiner
äußeren Anlage mit ebenfalls sechs Sätzen
an die beliebte Serenade. Dahinter aller­
dings offenbart sich Beethoven, wie wir
ihn kennen: Akzentverschiebungen stellen
die metrische Sicherheit unmittelbar in
Frage, die Einzelstimmen entwickeln
sich betont gleichwertig, und schon der
Umfang des Werks rechtfertigt den Titel
„Grand Trio“ allemal.
Zart und gewichtig
Für das Ardinghello-Ensemble steht
Beethoven am Anfang einer Epoche be­
sonderen Interesses. Die vier Musike­
rinnen um den Flötisten Karl Kaiser, die
ganz undogmatisch mit den Erkenntnis­
sen der historischen Aufführungspraxis
spielen, geben sich der Suche nach dem
„Fernen Klang“ der Romantik hin – und
entdecken dabei Unerhörtes und nie Er­
wartetes. Überraschungen garantiert!
Vocalises-Etudes für Saxophon
und Klavier von
Dukas, Auric, Poulenc, Jongen, Messiaen,
Honegger, Roussel, Canteloube, Milhaud,
de Bréville, Schmitt, Ravel, Vierne, Huré,
Ibert, Lajtha, Labinsky, Gretchaninow,
Tscherepnin, Martinu, Malipiero, Nielsen
und Villa-Lobos
Harry White, Saxophon
Edward Rushton, Klavier
BIS-CD-9056
Eine Melodie auf nur einer Silbe zu
singen, bringt technische Schwierigkeiten
mit sich: ein sauberes Legato, weiche
Registerübergänge und auch die Intona­
tion können Probleme bereiten. Daher
sind Vokalisen (und ihre Erarbeitung)
immer schon ein probates Übungsele­
ment der Gesangslehrer. Sie beginnen
meist damit, bestehende Lieder ohne Text
singen zu lassen. Im 19. Jahrhundert
erschienen zu diesem Zweck spezielle
Studien, die aber in ihrer Monotonie
oft ermüdeten. 1906 machte AmédéeLandély Hettich, Gesangslehrer am
Pariser Konservatorium, die Vokalise
schließlich zu einer eigenen Kunstform.
Geadelte
Unterrichtswerke
Über 30 Jahre lang animierte er Kom­
ponisten, Vokalisen zu schreiben, und
150 davon wurden vom Verlag Alphonse
Leduc publiziert. Einige davon wurden
in verschiedenen Instrumentalversionen
populär – man denke nur an Ravels „en
forme de Habanerá“, vom Komponisten
selbst für Violoncello transkribiert.
Harry White stellt aus dieser Kollektion
hier eine Auswahl von 23 besonders
eindrucksvollen Vokalisen vor. Der ame­
rikanische Saxophonist war von 1990
bis 2001 Mitglied des Raschèr Saxo­
phon Quartetts; seit 2001 ist er tätig
als Solist, freischaffender Musiker und
Pädagoge mit Wohnsitz in Zürich, wo er
am Konservatorium unterrichtet. Er hat
ein besonderes Faible für die lyrischen
Qualitäten seines Instruments, die er
mit sanfter Tongebung auf seinem his­
torischen Saxophon umsetzt.
30
Sweet Melancholy
Werke für Gamben-Consort von
Byrd bis Purcell
Cellini Consort
Coviello Classics COV 91604
„Süße Melancholie“ – im England
des 16. und frühen 17. Jahrhunderts war
das kein Widerspruch. „Melancholy“
galt als edle Geisteshaltung: in milder
Abgeklärtheit genoss man den Welt­
schmerz geradezu. Das blieb natürlich
nicht ohne Auswirkungen auf die Musik;
wobei die Melancholie natürlich auch
hier nicht mit Freudlosigkeit oder gar
Langeweile verwechselt werden darf,
sondern einen einzigartigen und durch­
aus faszinierenden Tonfall erzeugt.
Faszinierender
Tonfall
Im subtilen Klangbild eines Consorts
von zwei oder drei Gamben wird dieser
ideal umgesetzt. Diese Consorts waren
um 1600 eine weit verbreitete Beset­
zung, die Gambe auch in England ein
beliebtes Instrument. Es gibt also reich­
lich Literatur, das Cellini Consort konn­
te bei seiner Neueinspielung aus dem
Vollen schöpfen. Neben Tanzsätzen, von
denen hier einige eingespielt sind, war
die Fantasie damals eine geläufige Form
und galt gemeinhin als „die edelste
Kunst der Erfindung“. In Werken von
William Byrd bis Henry Purcell entsteht
ein Stimmungsbild aus dem England
jener Zeit, und da ist am Ende dann
doch nicht nur Melancholisches dabei.
Ausgabe 2016/2
»Rendez-vous Russe«
Werke von Schostakowitsch,
Scriabin, Prokofiev, Rachmaninoff
und Gubaidulina
Eva van Grinsven, Saxophon
Helena Basilova, Klavier
Maria Milstein, Violine
Lars Niederstraßer, Saxophon
MDG 903 1951-6 (Hybrid-SACD)
Mit „Saxofolk“ und dem Berlage
Saxofon Quartet hat Eva van Grinsven
ein fulminantes Debütalbum veröffent­
licht. Jetzt legt die junge Niederlän­
derin nach: „Rendez-vous russe“ spürt
der „russischen Seele“ nach. In über­
aus wandlungsfähigem Klang verschmilzt
ihr Saxofon mit den Instrumenten ihrer
Kammermusikpartner, und die feine
Artikulation mit ihrer unglaublichen
Nähe zur menschlichen Stimme berührt
auf besondere Weise.
Mit Empfindung
Das trifft natürlich ganz besonders
auf die Lieder von Sergej Rachmaninoff
zu. Faszinierend auch das: In Dmitrij
Schostakowitschs meisterhaft-jugend­
lichem Klaviertrio übernimmt das Sa­
xophon den Cellopart – und verhilft mit
seinen enormen dynamischen Möglich­
keiten dem Werk zu einer nie dage­
wesenen Transparenz. Im Duett mit der
Violine zeigt sich, wie anpassungsfähig
das Instrument ist, wenn es von einer
wirklichen Könnerin geblasen wird.
Reminiszenzen an den russisch-or­
thodoxen Kirchengesang entfalten bei
Sofia Gubaidulinas Duo Sonata eine frap­
pante Wirkung. Dass mit Lars Nieder­
straßer ein weiterer „Berlage“-Spieler
mit von der Partie ist, sorgt für eine
besonders harmonische Verbindung
der beiden Instrumente, die in der
dreidimensionalen Wiedergabe dieser
fein ausbalancierten Super Audio CD
die sakrale Illusion perfekt macht.
CLASS : aktuell
Im Blickpunkt
Gehörig den Staub von den
Partituren geblasen…
Klavier
Felix Mendelssohn Bartholdy
Lieder ohne Worte, Hefte 5-8:
Sechs Lieder ohne Worte,
Opp. 62, 67, 85 und 102
Fünf individuelle ‘Lieder ohne Worte’
Sechs Kinderstücke, Op. 72
Zwei Stücke aus dem Notenalbum für
Eduard Benecke (1842)
Ronald Brautigam, Fortepiano
BIS-SACD-1983
Im 19. Jahrhundert kam es unter
Komponisten in Mode, sich von der
Literatur inspirieren zu lassen. Felix
Mendelssohn schuf in diesem Kontext
ein ganz eigenes Genre, als er seiner
Schwester Fanny „sechs Lieder ohne
Worte“ zum Geburtstag schenkte. In der
Folge schrieb er solche Lieder in großer
Zahl, die unter Pianisten (Amateuren
wie Profis gleichermaßen) ungeheuer
populär wurden. Für Mendelssohn war
Musik genauer als Sprache: „Die Musik,
die ich liebe, drückt Ideen aus, die nicht
in Worte zu fassen sind“.
Nicht in Worte zu
fassen
Zur musikalischen Charakteristik der
„Lieder ohne Worte“ gehören Erzählton,
Sprachlichkeit, leicht fassliche und ly­
rische Melodik, klare Form“ (Reinhard
Amon). In den meisten Fällen erklingen
sangliche Melodien über durchgän­
gigen Begleitformeln – die ausgefeilten
Figurationen rücken zahlreiche Kompo­
sitionen in die Nähe virtuoser Konzert­
etüden. Weniger häufig sind chorische
Sätze. Der Aufbau folgt in der Regel
der dreiteiligen Liedform. In manchen
Stücken zieht sich die Melodie von An­
fang bis Ende durch; andere „Lieder“
beginnen und enden mit der beglei­
tenden Satzschicht; ein dritter Typus
besitzt kurze, kadenzierende Vor- und
Nachspiele. Die poetische Idee steht
gegenüber der thematischen Arbeit im
Vordergrund. Wie schon bei seiner vor­
hergehenden Interpretation der Hefte
1-4 spielt Brautigam auch diesmal auf
der Kopie eines Pleyel-Flügels von 1830
aus der Werkstatt von Paul McNulty.
Serenade für
Dieter Klöcker – Vol. 2
Albrechtsberger,
Asioli, Bruch,
Erzherzog Rudolf,
Farrenc, Grund,
Meyerbeer, Myslivecek,
Röntgen, Schubert,
von Herzogenberg,
Wagenseil
Dieter Klöcker, Klarinette
Consortium Classicum
Domenico Scarlatti
18 Sonaten
Yevgeny Sudbin, Klavier
BIS-SACD-2138
2005 ließ ein junger Pianist die
internationale Fachpresse im Wortsinn
aufhorchen: Yevgeny Sudbin, der sich
für sein Debüt-Album auf BIS ausge­
rechnet Musik eines Barockmeisters
ausgesucht hatte: Domenico Scarlatti.
Die Kritik hob ihn damals schon auf
eine Stufe mit Horowitz und Pletnev.
Zahlreiche höchst erfolgreiche Aufnah­
men und elf Jahre später kehrt Sudbin
zu diesen Wurzeln zurück.
Erneuerte
Wurzeln
Mit Marion Schwebel, der Tonmeiste­
rin, die ihn seit seinen Anfängen betreut,
hat er in der wundervollen Akustik der
Kirche St George‘s in Bristol 18 weitere
Sonaten Scarlattis aufgenommen. Man
darf gespannt sein, wie die Kritik, die
schon 2005 zu Superlativen neigte, die
nun noch toppen will. Denn Sudbin ist
nun noch ausdrucksstärker, noch vir­
tuoser als damals. The Telegraph hat
ihn immerhin schon mal als „wahr­
scheinlich einen der größten Pianisten
des 21. Jahrhunderts“ geadelt. 1980
wurde er in St. Petersburg geboren und
begann seine Studien am dortigen
Konserva­torium. 1990 emigrierte er mit
seiner Familie nach Deutschland, wo er
an der Hanns Eisler Musikhochschule
studierte. Ab 1997 setzte er seine Ausbil­
dung in London an der Royal Academy
of Music fort, wo er jetzt mit seiner
Frau und seinen zwei Kindern auch lebt.
MDG 301 1967-2
(4 CDs)
I
n diesem Jahr hätte der unvergessene Dieter Klöcker seinen 80. Geburts­
tag gefeiert. Grund genug, den Jubilar mit einer ganz besonderen Edition
zu würdigen: Nach der Veröffentlichung von Vol. 1 mit MDG-eigenen
Aufnahmen sind hier vier CDs mit sorgfältig ausgesuchten Kostbarkeiten
aus dem Schallarchiv des Westdeutschen Rundfunks zusammengestellt. Sie
entstanden zwischen 1969 und 1993 und repräsentieren die unvergleichliche
Vielfalt in Klöckers kammermusikalischem Schaffen. Dass darunter etliche
CD-Premieren zu finden sind, macht die beim Label liebevoll zusammenge­
stellte Auflage zu einem wertvollen historischen Kleinod, das nicht nur
eingefleischte Fans des legendären Consortium Classicum begeistern wird.
Kaum ein Werk haben die Consorten so häufig auf der Bühne gegeben wie
Franz Schuberts Militärmarsch, natürlich in der großen Paradebesetzung für
Bläseroktett und Kontrabass. Fast in jedem Konzert war das Stück als Zugabe
dabei; umso erstaunlicher, dass bisher keine Version auf Ton­träger vorliegt!
Da kommt diese Radioproduktion aus dem Dezember 1977 gerade recht.
Klöckers unermüdlicher Forscherdrang führte ihn in öffentliche und
private Archive und Bibliotheken auf der ganzen Welt. Seine Entdeckun­
gen haben das Repertoire für Bläserkammermusik enorm erweitert, und
etliche der in archäologischer Fleißarbeit gehobenen Preziosen kommen
auch hier zu Gehör. Da gibt es ein Klarinettenquintett von Giacomo Meyer­
beer, Weber-Freund und Großmeister der Pariser Grand Opéra; ein Septett
von Max Bruch, der durch sein Violinkonzert in g-Moll unsterblich wurde;
eine großbesetzte Serenade aus der Feder Julius Röntgens, ein Quintett
mit Klavier von Heinrich von Herzogenberg, und, und und…
Namen wie Christian Cannabich oder Georg Christoph Wagenseil
haben heute ihre feste Bedeutung in der Musikgeschichtsschreibung.
Als Dieter Klöcker deren Werke erstmals aufs Podium brachte, waren
sie bestenfalls ausgesuchten Spe­
zia­
listen ein Begriff. Wagenseils
Suite, die als älteste Komposition
mit einer Aufnahme aus dem Jahre
1974 das Programm eröffnet, zeigt
uns, wie gekonnt das Consortium
Classicum musikantisches Spiel mit
wissenschaftlichem Hintergrund zu
verbinden wusste – ein rundum
gelungenes, pralles Musikfest mit
MDG 301 1775-2 (5 CDs)
hohem Repertoirewert!
Ausgabe 2016/2
31
Im Blickpunkt
CLASS : aktuell
Lied
A Crush on you – Songs by
George Gershwin
Mary Carewe, Sängerin
The Swonderful Orchestra
Philip Mayers, Arrangements,
Klavier & Ltg.
Coviello Classics COV 91606
Es ist eine Jugendliebe, der er immer
wieder neu verfallen ist: Schon lange
verehrt der australische Pianist und
Komponist Philip Mayers den großen
Amerikaner George Gershwin, der mit
zuweilen nur scheinbar leichten, aber
immer eingängigen Melodien den Geist
seines Landes und seiner Zeit perfekt in
Töne zu setzen wusste. Viele GershwinSongs sind weltbekanntes Allgemeingut
geworden und werden in zahllosen Va­
rianten immer wieder gespielt, andere
dagegen versprechen auch heute noch
weitgehend unbekannte Entdeckungen.
Mayers trifft in seinen größtenteils neuen,
äußerst filigran und sensibel ausgear­
beiteten Arrangements für Singstimme,
Streicher und Klavier eine persönlichbiografisch inspirierte Auswahl, die
gleichwohl das Ausdrucksspektrum des
Komponisten in vielen Facetten auslotet.
Detailverliebte
Perfektion
Sängerin Mary Carewe und ein hoch­
karätig besetztes Berliner Streicher­
ensemble interpretieren die so ent­
standenen Preziosen mit viel Verve und
gleichzeitig so detailverliebter Perfek­
tion, dass man am Ende der Leidenschaft
des Arrangeurs nur folgen kann.
Geistliche Musik
Luigi Cherubini (1760-1842)
Messen: Nr. 1 F-Dur „Cäcilienmesse“
Nr. 4 C-Dur
Ingrid Kremling, Ursula Ott, Sopran
Olga Sandu, Monika Keggenhoff, Alt
Christoph Prégardien, Werner Seyfried,
Jürgen Heene, Tenor; Eduard Wollitz,
Eberhard Storz, Günther Schlosser, Bass
Chor und Orchester der Dreifaltigkeitskirche
Wiesbaden, Gabriele Klippert
Cantate C57628
Im Oktober 1982 und im September
1983 wurden die vorliegenden beiden
Messe-Kompositionen in Wiesbaden auf­
geführt und von der Konzertkritik als wert­
volle Neuentdeckungen gewürdigt. Dass
diese bedeutenden Werke der katholi­
schen Kirchenmusik nach langer Zeit wie­
der aufgeführt werden konnten, ist das
Verdienst der Kantorin Gabriele Klippert,
die eine alte, von Cherubini signierte Par­
titur entdeckte, die der nach 1816 in Paris
im Selbstverlag herausgegeben hatte.
Die vorliegende ,,Cäcilienmesse“ ist
nicht nur als Erstlingswerk einer stilis­
tischen und inhaltlichen Neubesinnung
Cherubinis von historischer Bedeutung,
sondern auch durch die meisterhaften
symphonischen Dimensionen, die den
Grund legten für eine Entwicklung, auf
der Beethoven aufbauen konnte, als er
mit seiner ,,Missa Solemnis“ endgültig
die Messe-Komposition aus dem Bereich
der liturgischen Praxis zur metaphy­
sisch-geistlichen Konzertmusik führte.
Meisterhafte
symphonische
Dimensionen
Bereits in Cherubinis erster Messe in
F-Dur, die der Schutzheiligen der ka­
tholischen Kirchenmusik, der Heiligen
Cécilie gewidmet ist, ist die Umsetzung
des geistigen Inhalts des Messe-Textes
auf die symphonische Ebene verwirk­
licht. Die einzelnen Messe-Teile gliedert
er in groß angelegte, symphonischen
Sätzen vergleichbare Abschnitte. Seine
vierte Messe-Komposition in C-Dur hat
Cherubini als ,,Missa solenelle“ bezeichnet
und im Selbstverlag herausgegeben.
32
Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Markus Passion, BWV 247
Lars Eidinger, Sprecher und Evangelist
Ulrike Eidinger, Sopran
Ulirch Weller, Alt
Samir Bouadjadja, Tenor
Ensemble & Chor Wunderkammer
Peter Uehlung, Ltg.
Geistliche Barockmusik
Giovanni Battista Pergolesi:
Stabat Mater
Antonio Vivaldi: Sinfonia „Al Santo
Sepolcro“; Nisi Dominus
Silvia Frigato, Sopran; Sara Mingardo, Alt
Accademia degli Astrusi, Federico Ferri
Coviello Classics COV 91605
Marienverehrung ist der rote Faden
dieser CD. Das Klagen der Mutter Jesu
ließ beide Komponisten, Pergolesi wie
Vivaldi, ergreifende Werke schaffen, die
heute zu ihren bekanntesten zählen.
Pergolesi starb an dem Tag, an dem er das
„Stabat Mater“ vollendet hatte. In Windes­
eile verbreitete sich dieses Werk über
ganz Europa; es setzte die stilistischen
Standards für moderne geistliche Musik
im Spätbarock. Die 2010 entstandene
Liveaufnahme bringt die hoch emotio­
nale Atmosphäre sehr gut zum Ausdruck.
In den fünf Jahren, die Pergolesi nach
Verlassen des Konservatoriums als Schaf­
fenszeit vergönnt waren (er starb mit
nur 26 Jahren an Tuberkulose), schuf er
ein Gesamtwerk, das die Nachwelt be­
schäftigt hat wie das kaum eines anderen
italienischen Komponisten des 18. Jhts.
(ausgenommen vielleicht Antonio Vivaldi,
von dem ja folgerichtig auch zwei Wer­
ke auf dieser CD zu hören sind).
Zum großen Bedauern vieler Mu­
sik­freunde ist sie nur fragmentarisch
erhalten – Bachs Markuspassion spielt
deswegen neben ihren berühmten
Schwestern nach den Evangelien von
Matthäus und Johannes bisher nur eine
Nebenrolle im öffentlichen Musikleben.
Peter Uehling und das von ihm mit­
begründete Ensemble Wunderkammer
wollen das ändern. Anstelle einer Re­
konstruktion von Bachs verloren ge­
gangenen Evangelisten-Rezitativen, wie
von anderen schon mehrfach versucht,
geht das Ensemble einen anderen Weg:
Das Markus-Evangelium wird in seiner
Neueinspielung vom bekannten Schau­
spieler Lars Eidinger eindringlich ge­
sprochen, begleitet von Klängen, die in
der Harmonik Bachs Rezitativen nach­
empfunden, aber neu komponiert sind.
Eindringliche
Sprache
So wird der Fragment-Charakter des
Werks nicht verdeckt, dennoch aber
der musikalische Fluss zwischen ge­
sprochenem Text und Choreinsätzen
gewahrt. Gemeinsam mit den Solisten
Ulrike Eidinger (Sopran), Ulrich Weller
(Alt) und Samir Bouadjadja (Tenor)
gelingt dem Ensemble und seinem Chor
eine schlüssige Neufassung des (ehe­
maligen) Bachschen Problemfalls.
Ausgabe 2016/2
Concerto CD2097
Schwärmerisch
verehrt
Der frühe Tod gab ähnlich wie im
Falle Mozarts Anlass zu schwärmeri­
scher Verehrung und sentimentaler
Verklärung (Vincenzo Bellini nannte
ihn den „angelico maestro“), hinter
der die reale historische Persönlichkeit
nahezu verschwand. Zudem veranlasste
der unmittelbar nach dem Ableben ein­
setzende Nachruhm manchen Verleger,
die Zugkraft des nunmehr berühmten
Namens zur Vermarktung von Werken
weniger bekannter Komponisten zu nut­
zen. Die Liste der Pergolesi irrtümlich
zugeschriebenen oder vorsätzlich unter­
geschobenen Werke ist daher mindestens
so lang wie die seiner authentischen
Kompositionen.