sommer in orange
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8.2011 SOMMER IN ORANGE EIN FILM VON MARCUS H. ROSENMÜLLER www.sommerinorange.de www.engels-kultur.de /CEJGP5KGFKG9GNV GKPDKUUEJGPITØPGT ,GOGJTOKVOCEJGPFGUVQITØPGT9GEJUGNP5KGLGV\VICP\GKPHCEJ\W2TQ\GPV ²MQUVTQO&COKVDTKPIGP5KG+JTGP*CWUJCNVCWHFKGITØPG5GKVG(ØTPWT%GPV OGJTRTQ-KNQYCVVUVWPFGHÒTFGTP5KGCMVKXFGP#WUDCWTGIGPGTCVKXGT'PGTIKGPWPF FGP-NKOCUEJWV\KP9WRRGTVCN9GKVGTG+PHQUWPVGT6GNGHQP YYYYUYUVTQOITWGPFG YRRVMQOOWPKMCVKQP 9595641/)4¸0 5 Das Heimatbier, Foto: Francis Lauenau www.engels-kultur.de I August 2011 Bier statt Wackelpudding Irgendwann, so prophezeien manche Kulturpessimisten, werden alle Lebensmittel aus Bielefeld kommen. Nicht nur Pudding und Backpulver, wie schon seit Jahrzehnten, sondern auch Pizza und Joghurt sowie Sekt und Bier stellt der Doktor aus Ostwestfalen bereits her. Mit eigener Reederei und eigener Bank kommt das Unternehmen auf einen Jahresumsatz von knapp 10 Milliarden Euro. Auch das Wicküler, einst weltbekanntes Pils aus Elberfeld, wird inzwischen als Billigplörre vom Götterspeisen-König gebraut. Andy Warhol formulierte einmal höchst sarkastisch: „Das Schönste in Tokio ist McDonald‘s, das Schönste in Stockholm ist McDonald‘s, das Schönste in Florenz ist McDonald‘s. Moskau und Peking haben noch nichts Schönes.“ Andy kannte Dr. Oetker nicht. Die Uniformierung von Speisen und Getränken schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. Nun droht der Privatbrauerei in Schwelm nach Insolvenz die Schließung zum Ende des Monats. Vielleicht verlängern ein paar beherzte Schwelmer mit einer Geldspritze den Braubetrieb um noch ein paar Monate. Wenn nun aber jeder biertrinkende engels-LeserInnen auf das in der Region beheimatete Bier umsteigen würde - das Unternehmen könnte auf Dauer bestehen und die Lebensmittelmultis müssten ihre Gerstengetränke anbieten wie Sauerbier. Unser Heimatbier ist also zu retten. Ist aber die CDU noch zu retten? Seit Monaten streiten sich Wuppertals Christdemokraten im Rat und auf offener Straße, dass die Fetzen fliegen. Unser Thema im September heißt deshalb KRISE DER LOKALPOLITIK. Vielleicht sollten die Beteiligten ins VON-DERHEYDT-MUSEUM gehen. In der aktuellen Ausstellung ICH werden ausschließlich Selbstportraits aus der eigenen Sammlung ausgestellt, die genau zeigen, in welcher Lebenskrise der jeweilige Künstler gerade verweilte. Ein anschließender Blick auf alte Wahlplakate könnte zu Selbsterkenntnis führen. Oder die geplagten und plagenden Politiker besuchen das SOMMERLOCH in den alten Elba-Hallen. Das Kulturfestival für Daheimgebliebene bietet sich an, um auf andere Gedanken zu kommen. Außerdem empfehlen wir der CDU-Fraktion und natürlich auch allen anderen LeserInnen die komische Oper DER BARBIER VON SEVILLIA im Theater Hagen. Ein Tag ohne Lächeln, das wusste schon Charlie Chaplin, ist nämlich ein verlorener Tag. Harmonie erfahren kann man auch in einem der Chöre, die von JENS BINGERT geleitet werden. Wir portraitieren den Ausnahmemusiker. Natürlich klärt auch das Kino über Beziehungskrisen auf. Beim Ehedrama BLUE VALENTINE möchten Dean und Cindy während eines Wochenendes in einem Motel ihre fade Beziehung aufpäppeln. Ob das gelingen kann? Im Film DIE ANONYMEN ROMANTIKER hingegen klappt es mit der Liebe besser, obwohl der Ausgangspunkt nicht schwieriger sein könnte. Zwei krankhaft schüchterne Menschen vergucken sich ineinander. Und da der Streifen ein französischer ist, spielt eine Schokoladenfabrik eine nicht unwesentliche Rolle. Vielleicht sollten wir ein paar Tafeln ins Rathaus schicken – als Nervennahrung. LUTZ DEBUS engels-Thema. 5 Krise der Kommunalpolitik. Zur Parteiendämmerung im Wuppertaler Rat Bühne. 8 10 11 Bühne: Theater-Veranstaltungen beim Sommerloch-Festival Tanz in NRW: Hanna Koller zeigt Tanz-Gastspielreihe in Köln Theater in NRW: Theater Bonn siegt beim Theatertreffen NRW und verliert sei nen Intendanten Oper in NRW: „Der Barbier von Sevilla” in Hagen Kino. 12 13 14 16 17 18 Film des Monats: „Blue Valentine” weitere Filmkritiken Roter Teppich: Schauspieler Georg Friedrich über „Sommer in Orange“ Hintergrund: „Die Anonymen Romantiker” Filmwirtschaft: Der Fall „www.kino.to” Gespräch zum Film: Marie Kreutzer über ihren Debütfilm „Die Vaterlosen“ Literatur. 20 21 Wortwahl /ComicKultur – Neue Buch- und Comicerscheinungen Poetry – Shir Khan beißt Paul Panzer in den Schritt Textwelten – Eine Hommage an die Schreibschrift Musik. 4 22 23 Der Chordirektor der Wuppertaler Bühnen Jens Bingert Pop in NRW/Improvisierte Musik in NRW Kompakt Disk: Besondere neue Tonträger Kunst. 24 25 26 27 Wupperkunst: Das Von der Heydt-Museum zeigt Selbstporträts aus seiner Sammlung Kunst in NRW/Kunstwandel Sammlung: Anime zwischen Tradition und Moderne. Kurator Stefan Riekeles über die Ausstellung „Proto Anime Cut“ im HMKV im Dortmunder U Kunst-Kalender/Langen Foundation Service. 3 28 30 31 Intro Engels Zungen/Auswahl Kolschewsky lmpressum/Verlosungsbox Lesen Sie mehr auf www.engels-kultur.de Dieses Icon zeigt Ihnen den Weg. Bühne Sommerloch Seite 8 Film des Monats "Blue Valentine" Seite 12 Pop in NRW „Die Rückkehr der Riot Grrrls” Seite 22 portrait Hauptverantwortlicher für die NRW-weite Anerkennung des Wuppertaler Chores, Chorleiter Jens Bingert, Foto: Milena Holler-Lück Zweite Reihe, erste Sahne Mit ihrem Chordirektor Jens Bingert sind Opern-, Kinder- und Extrachor künstlerisch einen großen Schritt weiter gekommen Der Chor der Wuppertaler Bühnen war im vergangenen Jahr nach der Inszenierung „Griechische Passion“ des Komponisten Bohuslav Martinus bei der NRW-Kritikerumfrage achtmal als einer der drei besten Chöre nominiert, „Unser Chor war vorher auch schon sehr gut. Unter Jens Bingert hat sich sein Repertoire auch auf Kammerchor-Repertoire erweitert - sie haben beispielsweise diese beiden fantastischen Konzerte in der Citykirche gemacht, wo sie allerschwerstes a cappella-Repertoire gesungen haben, zuletzt das Programm mit türkischer Musik, Bartók und Hindemith“, urteilt Johannes Weigand, seines Zeichen Opernintendant. Herzblut und positive Impulse „Ich versuche, jeden einzelnen Sänger persönlich wahrzunehmen“, beschreibt Jens Bingert, der mit sechs Jahren Klavier zu spielen begann, nach eigener Erinnerung „schon immer“ gesungen hat und bereits als Abiturient den C-Schein hatte, um den sonntäglichen Gottesdienst an der Orgel begleiten zu können, seine Arbeitsweise jenseits der rein technisch-musikalischen Ansprüche. „Die Art, wie ich mit Menschen umgehe, erweckt oft einen anderen Klang. Ich bin kein Monarch, die Choristen keine Sing-Maschinen. Jeden Einzelnen zu motivieren, ist ganz wichtig. Das ist eine positive Stimulation.“ In seiner Beschreibung, Qualität zu halten und weiterzuentwickeln, erinnert er an Pierre Boulez, der dem Vernehmen nach mit dieser ungeheuren Ruhe dasteht und immer so unaufgeregt freundlich ist. Seit der Spielzeit 2009/10 ist der gebürtige Rheinland-Pfälzer Jens Bingert, der in Köln Kirchenmusik und anschließend an der Folkwanghochschule Chor- und Orchesterleitung studierte, also bestens ausgebildet ist, in Wuppertal angekommen. Durch den Weggang Jaume Mirandas war der Posten als Chorleiter ausgeschrieben, und Bingert, bis dahin Chordirektor und Kapellmeister in Trier, bewarb sich. Für einen solchen Job gibt es eine Art „Test", er hat also eine Stunde mit dem Chor geprobt. Anschließend zählt maßgeblich das Votum des Chores. „Nun ja, und in seinem Fall waren der Chor und ich uns schnell einig, dass wir ihn engagieren wollen“, erinnert sich Johannes Weigand. Ohne guten Chor geht gar nichts, in keiner Musikinszenierung. Der Chordirektor fände für jedes Werk genau die richtige Zusammenstellung, immer stimmt die Mischung perfekt. „Ich höre gerne zu, wenn Menschen singen“, beschreibt Jens Bingert unprätentiös eine Leidenschaft. „Ob Solo oder im Chor, das gefällt mir. Ich mag auch Geigen und Oboen, aber die Stimme ist ein absolut pures Ausdrucksmittel.“ Obwohl er nach dem Studium bereits auf „einem guten Weg“ war, ein Dirigent von Format zu werden, entschied er sich für die Karriere als Chorleiter. „Als Dirigent ist man separierter, das ist nichts für mich.“ Theater ist Leben Mit dem Engagement als Solorepetitor in Köln 2000 war alles klar: „Vom Theater möchte ich nie wieder weg.“ Der Startschuss um 19.30 Uhr, das ist seine Zeit. Das Gefühl, wenn der Vorhang aufgeht, sei großartig, „in meinem Empfinden hat Theater mehr Leben“. Solche konstruktiven Auseinandersetzungen mag er, der immer so in sich zu ruhen scheint und gelassen-höflich ist, „sehr gerne“. Abends allerdings klappt der Mann, der als stilsicherer Vollblutmusiker gilt, gerne die Ohren zu, „ich höre selten zu Hause Musik“. Er ist vom Präsens fasziniert und Gegenwart gibt es in musikalischer Hinsicht für ihn beispielsweise nicht, wenn Musik von einer CD abgehört wird. „Da weiß ich vorher, wie es klingt. Ich mag das Live-Erlebnis.“ Das muss dann nicht perfekt, aber schön sein, um ihn zu berühren. Abstand von seinem Job – der ihm schon keine Zeit mehr lässt, selbst zu singen, wovon er manchmal träumt – Abstand von diesem mit Herzblut gelebten Beruf findet er im Garten. „Das ist mein Hobby. Mich entspannt es, wenn ich verblühten Löwenzahn zupfen kann.“ In so kontemplativen Aufgaben findet er Kraft für neue Herausforderungen. Und an denen mangelt es an den Wuppertaler Bühnen nicht. Die neue Spielzeit wird mit Wagners „Fliegendem Holländer“ eröffnet, die „Lustige Witwe“, die schon in Solingen Premiere hatte, kommt ebenso. Bestimmt wird auch das „Emil"-Musical mit dem Kinderchor im November eines der Highlights der Saison. Die Kinder wollten unbedingt mal etwas Nicht-Klassisches machen. Ein weiterer Vorteil des wunderbaren Musikers, der eben nicht „nur“ auf Oper beschränkt ist, sondern vielseitig ist. „Ich bin sehr gespannt auf das Oratorium ‚Nazım‘ von Fazıl Say, das wir im April 2012 in der Stadthalle zum ersten Mal in Deutschland spielen. Da braucht es einen großen Extrachor. Es sind salopp gesagt eine Art ‚türkische Carmina burana‘ – und der Chor steht ziemlich im Mittelpunkt. Ohne Jens würde ich das nicht auf den Spielplan setzen“, so Johannes Weigand. VALESKA VON DOLEGA Übrigens: Für den Extra-Chor werden immer wieder erfahrene Sänger gesucht. Mehr per Mail an [email protected] „Die lustige Witwe“ von Franz Léhar I R: Pascale Chevroton Opernhaus Wuppertal I 15.10. 2011 (P) I 0202 569 44 44 „Nazim“ von Fazil Say I 1.4. 2012 Stadthalle Wuppertal I 0202 569 44 44 4 thema Auch im Rathaus schaut man sich nicht mehr ins Gesicht, Foto: Francis Lauenau Die Krise als Chance Zur Parteiendämmerung im Wuppertaler Rat Ein Nachbarschaftsstreit in einer gutbürger- die Bezirksversammlungen tagten. Aber der lichen Eigenheimsiedlung ist nichts gegen Mehrheit der Mandatsträger lag damals das das, was sich in den letzten Monaten im Rat Gemeinwesen am Herzen. Oder? Zumindest der Stadt Wuppertal ereignete. Der Disput, war der Lokalpolitiker schon immer jemand, der letztlich zur Spaltung der CDU-Fraktion der sein Foto gern in der Zeitung sah. Und vor führte, wurde aber nicht wegen zu hohen He- langer Zeit waren die Anlässe, die mediale Aufmerksamkeit mit sich cken, spielenden Kinengels-Thema im August: brachten, durchaus dern oder Partylärm angenehm. Hier wurausgetragen. Es ging de ein Kindergarten um Bedeutenderes: Haushaltsnot, Sparzwang und Ideenlosigkeit schweeingeweiht, dort ein um Geld und Macht. ben über den Ratsbänken der Wuppertaler FraktiEinkaufszentrum erEinige Mitglieder des onen. Dringend werden neue Impulse gebraucht, öffnet. Die Zeiten aber Fraktionsvorstandes aber die Kommunalpolitik erfreut sich trotz aufkommender Bürgerbeteiligung keiner großen Zuläufe. haben sich geändert. warfen ihrem VorsitDer Stadtsäckel ist kein zenden den selbstherrlichen Umgang mit Personalkosten vor. Darauf- wundersames Füllhorn mehr. Aufträge müssen hin wollte Fraktionschef Bernhard Simon jene europaweit ausgeschrieben werden. Der PolitiQuerulanten aus dem Vorstand abwählen las- ker wird nicht mehr als Wohltäter, sondern als sen und zu diesem Zweck die Satzung ändern, Kürzer und Streicher wahrgenommen. Und für die hierfür bislang eine Zweidrittel-Mehrheit die weitere politische Karriere ist der Posten vorsah. Inzwischen sind neun Ratsfrauen und als Ortsvorsteher einer Partei eher hinderlich. -männer aus der CDU-Fraktion ausgetreten und Wer mit 38 Jahren Vizekanzler wird, hat keine haben eine eigene gegründet, die Fraktion der Zeit, sich um die Baumsatzung und die FriedChristlich Demokratischen Bürger (CDB). Die hofsordnung im Heimatdorf zu kümmern. Union ist somit nach der SPD nur noch zweitstärkste Kraft im Stadtparlament. Soweit die „Die Finanzsituation der Kommunen wird Vorgeschichte, die allerdings kommunalpoli- als Politikersatz missbraucht.“ tisch interessierten Lesern bekannt sein dürfte. Ist Lokalpolitik also angesichts leerer Kassen überflüssig geworden? Fragt man die betrofAber interessieren sich viele Menschen über- fenen Bürgervertreter, bekommt man andere haupt noch für Lokalpolitik? Früher bekleidete Antworten. Die Gestaltungsmöglichkeiten im ein Ratsherr ein einigermaßen ehrenwertes Rat seien längst nicht ausgereizt. So sagt LoEhrenamt. Zwar gingen manche Zeitgenos- renz Bahr von den Grünen: „Die Finanzsituatisen in die Politik, um sich durch so entstan- on der Kommunen wird als Politikersatz missdene Beziehungen einen persönlichen Vorteil braucht. Der Stadtkämmerer spricht: ‚Nichts zu verschaffen. Landwirte konnten durch ihre geht mehr, alles unterliegt der HaushaltskonParteifreunde Ackerland zu Bauland umwid- solidierung.‘ Die Politiker verstecken sich hinmen lassen. Firmen konnten lukrative Aufträ- ter ihm. Dabei bleibt jede Kreativität auf der ge erhalten. Auch war die Lokalpolitik in der Strecke und es geht tatsächlich nichts mehr.“ Regel die Eintrittskarte für die große Politik. Auch Jörn Suika von der FDP sieht das Problem Der Karriereweg der Landes- und Bundes- im fehlenden Selbstbewusstsein seiner Ratspolitiker führte zwangsläufig durch die ver- kollegen. Entscheidungen würden ohne Not an rauchten Hinterzimmer der Kneipen, in denen die Verwaltung abgegeben. Politikverdrossen- Krise der Kommunalpolitik 5 heit würde sich breit machen und diese würde sich auch auf die Medienberichterstattung auswirken. „In der letzten Ratssitzung sind die Pressevertreter eine Stunde vor Ende der Sitzung gegangen, so dass niemand mitbekommt, was im Stadtrat passiert. Während in ebenfalls unter Nothaushalt leidenden Nachbarstädten die Presse einen Online-Liveticker über Ratssitzungen erstellt, geht bei uns die Presse.“ Der grüne Fraktionsvorsitzende Peter Vorsteher hingegen sieht vor allem den Imageschaden: „Der Konflikt in der CDU tut allen Parteien weh. Die Öffentlichkeit erwartet von uns gerade in schwierigen Zeiten konstruktives Verhalten.“ Die Fraktionssitzungen dienen dazu, die im inneren Zirkel gefassten Beschlüsse abzunicken Die Lähmung der Kommunalpolitik mag auch an der langjährigen Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD in der Stadt liegen. Jeden Mittwochmorgen, so berichtet ein Insider, sitzen Fraktionsgeschäftsführer und Fraktionsvorsitzende von CDU und SPD mit dem Oberbürgermeister und dem Stadtkämmerer zusammen, um über die Entscheidungen der Woche zu beraten. Die Fraktionssitzungen der beiden großen Parteien hingegen dauern in der Regel nur eine Stunde und dienen dazu, die im inneren Zirkel gefassten Beschlüsse abzunicken. Die zahlenmäßig kleine Opposition im Rat ist machtlos. Dieser Zustand könnte sich durch die Spaltung der CDU-Fraktion ändern. Ohne CDB-Fraktion verfügen SPD und CDU nur noch über eine hauchdünne Mehrheit. Und wenn bis zur nächsten Kommunalwahl der Riss zwischen den Christdemokraten nicht gekittet ist, könnte die CDB eigenständig kandidieren und so Leben in die Wuppertaler Parteienlandschaft bringen. Jede Krise kann auch eine Chance sein. LUTZ DEBUS thema Christdemokraten gehen fortan getrennte Wege, Foto: Francis Lauenau „Junge Leute kommen nicht“ Dorothea Glauner über die Probleme in der Kommunalpolitik engels: Frau Glauner, macht Kommunalpolitik sicherung verstecken, weil sie keine Kreativität mehr entwickeln. noch Spaß? Dorothea Glauner: Sie sollte Spaß machen, weil Da könnte ein kleines Stückchen Wahrheit dran sie die Politik ist, die am nächsten am Bürger ist. sein. Dies würde aber auch von den Bürgern Man weiß, wo der Schuh drückt, man möchte viel Eigeninitiative erfordern. In Ronsdorf und sich einsetzen. Aber dieser Einsatz ist inzwi- Vohwinkel haben sich Vereine und Bürger geschen schwierig geworden. Wir funden ihr Bad in Eigenregie „Viele haben vergessen, stehen unter Haushaltssicheweiterzuführen. Solch ein Enwelches hohe Gut rung. Es macht keinen Spaß, gagement sollte von der Stadt die Demokratie darstellt.“ Maßnahmen ergreifen zu müsbelohnt werden. Stattdessen sen, die dem Bürger wirklich wehtun. In Kür- sollen die Finanzmittel ganz gestrichen werden. ze wird sich entscheiden, ob das Bürgerbad in Es ist absehbar, dass der Förderverein allein die Ronsdorf geschlossen wird. Kein Mensch will, Kosten nicht tragen kann, das gilt zumindest für dass Bäder geschlossen werden. Viele alte Men- Ronsdorf. schen wohnen da oben auf der Höhe, müssen auf andere Bäder in Wuppertal ausweichen. Wer geht eigentlich noch in die KommunalpoKinderschwimmen ist nur noch möglich, wenn litik? Haben Sie Nachwuchssorgen? Fahrtwege in Kauf genommen werden. Da Dieses Thema macht mir große Bauchschmerzen. möchte man gern mit der Opposition stimmen. Unsere Bezirksvertretungen sind oft mit Leuten Aber so ist das Problem der Überschuldung noch besetzt, die auf die Siebzig zugehen. Junge Leute nicht gelöst. kommen nicht. Und wenn sie kommen, sind sie ganz schnell wieder weg. Lorenz Bahr von den Grünen sagte mir, dass sich die meisten Politiker hinter der Haushalts- Was ist so schwierig, junge Menschen an die Demokratie heranzuführen? Ich mache da auch der Presse einen Vorwurf. Öffentlich wird der Politiker oftmals als Egoist dargestellt. Es wird nicht erwähnt, was Lokalpolitiker an wöchentlicher ehrenamtlicher Arbeit leisten. Wir müssen junge Menschen für diese Demokratie wieder begeistern. Viele haben vergessen, welches hohe Gut die Demokratie darstellt. Da haben Menschen ihr Leben für gelassen. Die heutige Demokratie ist letztlich aus zwei Diktaturen entstanden. ZUR PERSON: Dorothea Glauner (62) ist Bürgermeisterin der Stadt Wuppertal, Mitglied der CDU und fraktionslose Ratsherrin Foto: CDU Lesen Sie die Langfassung des Interviews unter: www.engels-kultur.de/thema „Gewählt, um Probleme zu lösen“ Bernhard Simon über die Aufgaben von Ratsvertretern engels: Herr Simon, wie ergeht es Kommu- ßen. Gute Kommunalpolitik muss sich stets dieser nalpolitikern bei schrumpfenden Handlungs- Herausforderung stellen. spielräumen? Bernhard Simon: Geringer werdende Spielräume Ist die Aufgabe, in der Bezirksvertretung oder im ergeben sich zwar vor dem Hintergrund der Spar- Rat Politik zu machen, undankbarer geworden? anstrengungen Wuppertals, doch damit wäre der Undankbarer sicher nicht, aber schwieriger. Handlungsrahmen von Kommunalpolitikern nur un- Sie müssen bei Anliegen von Bürgern auch mal zureichend umschrieben. Nicht bei Nein sagen können. Die Haus„Die Haushaltsmittel sind zwar allem, wo wir als Politiker geforhaltsmittel sind zwar kleiner, kleiner, die Erwartungen an die dert sind, geht es um Geld. Es geht Politik jedoch größer geworden.“ die Erwartungen an die Poliauch um das Aufgreifen guter tik jedoch größer geworden. Ideen von Bürgern unseres Stadtteils oder darum, ei- Gerade die Nähe zu den Bürgern und auch die nen Rahmen für privates Engagement zu setzen und Tatsache, dass wir direkt auf der Straße auf um das Eintreten hierfür in den Bezirksvertretungen Probleme angesprochen werden, haben seiund im Stadtrat. Außerdem müsste jedem Kommu- nen Reiz. Vieles von dem, was wir für die Mennalpolitiker vor Beginn seiner politischen Laufbahn schen in Wuppertal politisch umsetzen, geht klar sein, dass die rosigen Zeiten mit gut gefüllten zudem schneller, als wären wir Volksvertreter Kassen längst Vergangenheit sind. Es kommt darauf im Landtag oder Bundestag. Wir sind eben stänan, mit den vorhandenen Mitteln intelligent umzu- dig vor Ort und sehen auch früher den Erfolg gehen und sich Sparvorschlägen nicht zu verschlie- unserer Arbeit. 6 Wer geht überhaupt noch in die Kommunalpolitik? Das sind Menschen, die sich für die Entwicklung ihres Stadtteils interessieren und sich für ihre Mitbürger einsetzen möchten. Einen Prototyp des erfolgreichen Kommunalpolitikers gibt es nicht. Ob jung oder erfahren - entscheidend ist, dass man Biss mitbringt und bereit ist, an einer Sache so lange dran zu bleiben, bis sie gelöst ist. Man darf auch nicht allzu viel Dankbarkeit von den Bürgern erwarten. Schließlich wurden wir Kommunalpolitiker gewählt, um Probleme zu lösen. INTERVIEWS: LUTZ DEBUS ZUR PERSON: Bernhard Simon (65) ist Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Wuppertal Foto: CDU thema Der Kommunalpolitiker ist nicht immer eine Lichtgestalt – und hieß nicht immer Johannes Rau, Foto: Francis Lauenau Bürger beteiligen? Modelle direkter Demokratie boomen besonders in der Lokalpolitik Die finanzielle Lage der Stadt Wuppertal könnte dramatischer kaum sein: Die Verschuldung der Stadt liegt bei annähernd zwei Milliarden Euro, ein Ende der Zeit der roten Zahlen ist trotz Haushaltssicherungskonzept und Einsparungen nicht in Sicht. Viele Wuppertaler Bürger sind unzufrieden – mit den Folgen der Einsparungen für das Leben in ihrer Stadt, aber auch mit den Entscheidungen der Politiker. Die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen sank, wenn auch weniger schnell als die Schulden stiegen. Sie lag im Jahr 2009 nur noch bei etwa 45 Prozent. Aber sind die Bürger tatsächlich desinteressiert? Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Juni 2011 würden sich die Bundesbürger deutlich stärker politisch engagieren, wenn sie tatsächlich mitentscheiden könnten. Das Interesse an Volksentscheiden, Bürgerbegehren oder -befragungen ist entsprechend groß. Auch an den sogenannten Bürgerhaushalten besteht Interesse. Bürger können sich hierbei aktiv an der kommunalen Haushaltsplanung beteiligen und werden in Entscheidungsprozesse eingebunden. In über 90 Kommunen der BRD wird dieses Modell der Bürgerbeteiligung bereits praktiziert – demnächst auch in Wuppertal? Nun ist es notwendig, ein Beteiligungsverfahren zu etablieren Bürgerhaushalte unterschiedlicher Konzeption finden sich vielfach in Kommunen, deren finanzielle Lage wenig vielversprechend ist. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Sitzung des Wuppertaler Stadtrats vom 23.05.2011 die Bürgerbeteiligung im Rahmen der Haushaltsplanaufstellung beschlossen wurde. Ein erster Schritt Richtung Bürgerhaushalt ist somit getan. Nun ist es notwendig, ein Beteiligungsverfahren zu etablieren. Wie sollen Vorschläge entwickelt, aufbereitet, beraten und eingebracht werden? Eine Online-Beteiligung ist vorgesehen, auch wenn diese laut aktueller Bertelsmann-Studie nur wenig beliebt ist. Manche Städte haben mit Online-Beteiligungen inzwischen gute Erfahrungen gemacht. Wie aber auch immer die Formen der Beteiligung aussehen werden, das Schuldenproblem wird sich dadurch nicht lösen lassen, trotz vieler wertvoller Impulse, die aus den Reihen der Bevölkerung zu erwarten sind. Dennoch wären von einer stärkeren Bürgerbeteiligung positive Effekte zu erwarten. Bereits vorhandenes Engagement wird gestärkt, zudem steigt die allgemeine Bereitschaft zur Mitarbeit durch die Partizipationsmöglichkeiten. Der Bürger wird über die geplante Verteilung der finanziellen Mittel angemessen informiert und entwickelt dadurch nicht nur ein bloßes Kostenbewusstsein. Die Diskussion kann auch Konsens in Zeiten knapper Kassen fördern, um vorhandene Handlungsspielräume nutzen zu können. Ob die Stadt Wuppertal es schaffen wird, in naher Zukunft gemeinsam mit den Bürgern einen Bürgerhaushalt zu etablieren, der langfristig nicht allein dazu beiträgt, Politik- und Parteiverdrossenheit abzubauen, sondern auch die Schuldenbremse zu treten, wird sich zeigen. Die Wuppertaler mit in die Verantwortung zu nehmen und aktiv einzubinden, ist allerdings nicht nur zeitgemäß, sondern vielleicht auch längst an der Zeit. MARTIN THELEMANN Der Einzelgänger Rolf-Jürgen Köster betreibt Politik jenseits der Parteien In der CDU-Fraktion im Rat der Stadt wütet der Spaltpilz. Eine andere Partei, die FDP, hatte vor zwei Jahren ähnliche Probleme. Inzwischen ist einer der damals Beteiligten, Dr. Rolf-Jürgen Köster, mit seiner „Bildungsoffensive für Wuppertal“ in den Rat gewählt worden. Noch immer wird er von ärgerlichen Wählern angesprochen. „Da kommen Leute, fragen, was wir Politiker denn überhaupt machen und wissen gar nicht, dass wir in einer de facto insolventen Gemeinde nur sehr geringen Handlungsspielraum haben“, erzählt der ehemalige Vorsitzende der Wuppertaler FDP. Als im Rat der Rotstift die Politik übernahm, wuchs seine Unzufriedenheit: „Wenn man etwa in der Kultur überlegt, ob die Sparte Schauspiel eingespart wird und damit der einzige Bereich, in dem sich überhaupt ab und zu Jugendliche in Turnschuhen blicken lassen, ist das wenig sinnvoll. Und bei Überlegungen über Einsparungen im Bereich des Sinfonieorchesters geht es um Spareffekte, die, wenn überhaupt, erst in 20 Jahren eintreten werden.“ Kein Mensch, da ist Köster sicher, wolle diese Situation, in der Politik handlungsunfähig gewor- den ist. Aus der Dauerkrise zog er seine eigenen Schlüsse: „Irgendwann habe ich festgestellt, dass viele Probleme in der Politik nicht gelöst werden. Da gibt es Erklärungen und Positionen, aber das reicht nicht“, erinnert er sich. „Gute Ideen wurden kaputt gemacht, weil sie von der falschen Partei kamen.“ Die Erkenntnis, dass nicht parteipolitische Statements sondern parteiübergreifende Ziele und Einigungen gefragt sind, führte ihn schließlich 2009 dazu, sein Amt als Parteivorsitzender aufzugeben und aus der FDP auszutreten: „Dazu kam, dass die FDP sich mit der Fokussierung auf Steuersenkungen und einem Verlust an Tiefenschärfe in rechtspolitischen Fragen deutlich in eine Richtung entwickelte, die nun bundesweit zur Krise führte,“ bilanziert Köster. Für seine Partei war der Austritt bitter: „Es gab damals heftige Auseinandersetzungen, in deren Folge vier Mitglieder austraten. Damit verlor die FDP drei Mandatsträger im Stadtrat. Ein Trost war, dass es nur neun Monate waren bis zur Kommunalwahl,“ erinnert sich Marcel 7 Hafke, Kreisvorsitzender der FDP Wuppertal. Während die FDP einen Relaunch durchlief und den Wahlkampf vorbereitete, konzentrierte sich Köster auf die Bildungspolitik: „Integration wird ohne Bildung und Chancengleichheit kaum gelingen. Und die Jugendlichen, die heute ohne Abschluss die Schulen verlassen, sind die Arbeitslosen von morgen. Bildung ist demnach der Schlüssel zur Lösung vieler sozialer Fragen“, führt er aus. Als Einzelkämpfer zog er Ende August für die neu gegründete „Bildungsoffensive“ in den Stadtrat. „Ich habe oft erlebt, dass gute Ideen kaputt gemacht wurden, weil sie von der falschen Partei kamen“, erinnert er sich. Damit das nicht passiert, sucht er seither Gesprächspartner, wo er sie findet: „Man muss Gespräche mit allen Parteien führen, wenn man für die Sache etwas erreichen will.“ Und sind es auch nur eine Handvoll kleiner sozialer Projekte, die so entstehen, ist es für ihn dennoch eine sinnvolle Sache, denn es ist mehr als nichts in Zeiten, in denen gestaltende Politik kaum mehr möglich ist. DAGMAR KANN-COOMANN bühne Erst in der scheinbaren Leere zwischen Häusern entsteht Festivalatmosphäre, das Sommerloch-Festival an den ELBA Fabrik-Hallen Schönes Strandgut im Sommerloch Bildung macht reich, das ist bekannt. Nur weil die großen Häuser Ferien machen, muss keiner geistig verarmen Spontan, eigen, alternativ und gerne jenseits des Mainstreams organisiert das Team Sommerloch ihren gleichnamigen Veranstaltungsreigen. Im vergangenen Jahr erstmal rund um eine leer stehende Villa an der FriedrichEbert-Straße an den Start gegangen, gibt es in diesem Jahr eine Neuauflage. Ein bisschen länger dauert es diesmal, die Location wurde, weil es dem Vernehmen nach Theater mit der Stadt gab, auch gewechselt. Die Moritzstraße 14, also die früheren Elba-Hallen, sind nun Schauplatz für das Alternativ-Kultur-Festival. Die Frage, warum gerade dieser Ort ausgewählt wurde, wird überaus poetisch beantwortet: „Ein einzelner Ton ist Geräusch. Erst in der scheinbaren Leere zwischen Tönen entsteht Klang. Die Geräusche vieler alter Produktionsgebäude entlang der Wupper sind verstummt. Was bleibt ist der Charme der alten, leer stehenden Industriehallen. Eine verfallene, ungenutzte Leere, die in diesem Jahr zu einem Klangkörper wird - für das Sommerloch 2011.“ Der Style ist wie das Programm – abgerockt Seit Juli läuft das Event mit seiner Mixtur aus Musik, Lesung, Ausstellungen und der Talkshow „Dem lieben J sein Wuppertal“. Die Grundidee hinter dem Konzept ist, „Kunst und Kultur in Wuppertal stärker zu vertreten. Diese Stadt hat eine Menge Potenzial und viele Menschen, die gern an kulturellen Dingen teilhaben. Der Verfall der Kultur in dieser Stadt und ihrer Umgebung soll mit diesem Kulturforum aufgehalten werden.“ Mehr als 60 Veranstaltungen sind es insgesamt, die die gemeinnützige Organisation „Sommerloch e.V.“, eine Kulturoffensive, präsentiert. Es ist eine Gruppe junger Kreativer aus verschiedenen Bereichen, die sich „schon lange kennen“ und für dieses Projekt „zum Kollektiv“ geworden sind. Mirka Pflüger beschreibt, was Kulturinteressierte erwartet: „Geöffnet sind die Hallen und Innenhof des Geländes in der Moritzstraße immer Mittwochs ab 16 Uhr mit der Veranstaltung OFFEN, die zu gemütlicher Plauderei, Ausstellungen und Konzerten einlädt. Der Eintritt ist frei. Jeden Freitag verhelfen im Rahmen der Reihe *#123 wechselnde DJs und Liveacts Freunden elektronischer Musik zu neuen Entdeckungen.“ Hochkarätige Jazzkonzerte, kulinarische Zaubereien, grandiose Clubnächte und Sommer-Rock-Abende, das versprechen die wöchentlichen Samstags-Events, die für besondere Veranstaltungen und abwechslungsreiches Programm reserviert sind. Ein Wiedersehen gibt es mit Lando Kal ebenso wie dem Gaslamp Killer. „Der war auch schon in Wuppertal und freut sich sehr wieder zu kommen.“ Ein Programm, das hält, was es verspricht Alle Wunschkandidaten haben die Sommerlöchler dabei, und auch Veranstalter sind Fans: „Schön ist, dass der Jazzmusiker Ravi Coltrane dabei war. Und am 3. August spielt das Christof Söhngen Trio. Sehr sehenswert ist auch der Film „Der Fall des Elefanten“ von Volker Anding, der am 10. August gezeigt wird.“ Dann gibt es die Samstagveranstaltungen, die randvoll mit hochkarätigen Künstlern bestückt sind. Unter Anderem treten da auf Boca45, Give the drummer some scott hendy, Gaslamp Killer, Free the robots und Juha. „Die Acts aus der Umgebung kannten unsere Veranstaltung bereits und haben sich gefreut mitzumachen“, beantwortet Mirka Pflüger die Frage, wie die Neulinge ins Boot geholt wurden. „Die Acts aus anderen Orten wie Los Angeles, Amsterdam oder London waren von der Idee dieser Veranstaltung begeistert und haben zügig zugesagt. Das verspricht ein heißer Sommer zu werden." Termine für Kinder Wuppertal erfindet sich in diesem Sommer aber nicht nur zwischen den Tönen. Für den Nachwuchs gibt es immerhin zwei Veranstaltungen beim vom Haus der Jugend organisierten SommerTheater 2011. Nicht wie noch im vergangenen Jahr im Botanischen Garten, sondern beim Spielplatzhaus auf der Hardt gibt es diesmal sonntägliche Veranstaltungen nach dem Motto „umsonst und draußen“. Das Theater des Lachens spielt „Der große Zauberer und der kleine Hase“, ein temporeiches, witziges Stück mit Puppen und Objekten am 7. August um 16.30 Uhr. Christiane Weber präsentiert als „Krümelmücke“ sieben Tage später (am 14.8.) zur gleichen Uhrzeit eine bunte Welt gesungener, lustiger und phantasievoller Geschichten auf Ohrwurm-Niveau. VALESKA VON DOLEGA Sommerloch 2011 I Elba-Hallen Wuppertal I bis 20.8. www.sommerloch-wuppertal.de SommerTheater 2011 I Spielplatzhaus Hardt I So 7.8., So 14.8. je 16.30 Uhr hdj.liveclubbarmen.de 8 Action Tragikomödie Expressionistisch Tragikomödie Expressionistisch Nouvelle SSchwarzwei h Farbe 3DNew H Western We West Wes te Lie essionistisc Expressionistisch Liebe KinderHistorie Krieg Stumm Schwarzweiß Anim Western ern Abenteuer Western usAAntikrieg Italienischer Farbe Neorealismus 3D n Heima Heimat Monume alErotik Monumental Historie Liebe Thriller Nouvelle Vague Stumm Mysstery Myster Mystery stem noirIndependent ster In y dent d New Hollywood Fantasy ttasy ta or Katas Katastrophen strophen t p phen h d FFant Expressionistisch Ju Jugend J Schwar Schwarzweiß Animation Liebe Farbe Western Poetis Poetischer Realismus Kinder Tragödie Ab Abenteu t uer r 3D KAction Antikrieg Krimi Auto Trick Autoren Historie Science-Fiction Th Liebe Thriller Erotikk Heimat Stumm Krieg Film noir n no Hor Horror Ho Animatio Animation Expressionistisch Expression Trag Kinder Western Tragödie Komödie Tr A Antikrieg Trickk Heimat 3D Drama Dr ma Komödie Tragödie Ko 3 3D D Liebe Komödie Ko K Kom die e gikomödie ie Melodrama Melodram o odra od Komödie Action AAct ct n Tragödie Action ion n Science-Fiction Katastrophen Fantasy Fam Komödie ödie Tragikomödie g Neoreal Italienischer F Fantasy Katastrophen Jugend Monumental Italienischer talienischer ennischer enischer is err Familie Neorea Ne Neorealis e iliealismus Nouvelle Vague enteuer Abenteuer Monum Mon Monu Krimi Nouvelle Vague gue ue IndependentFrrauen Erotik Film noirdikNewIndependen Independent Independe drau FFra auuen Hollywood m noir n Ne Film New ew H Hollywo Holl Hollywood y H Horror warzwePPo SSchwarzweiß chwarzwe h weiß we ißTragödie Tragödie Poetischer ti Realismus smus us Poetischer etischer tische Realismus Farbee 3D DFarb Melodrama Act Action 3D Autoren Aut iee Melodrama LLieb Li ebe Stumm Stum mm öLie omödie omöd ietumm Action Autoren storKr KKrrieg ri r Tragikomödie Li b Anim mationn ma iernn amilie Tragikomödie estern Krieg Animation Antikrieg Trickk Heimat eimat Familie Antik Western Antikrieg Heimat y Jugendd tasy Expressionistisch Frauen Jugend KINO Alle Filme, alle Kinos, alle Termine, Interviews und Links: engels-kultur.de facebook.com/engelsKultur tanz in nrw theater in nrw Szenenfoto aus „Körper“, Foto: Bernd Uhlig Kaspar im Theater Bonn, Foto: Thilo Beu Pralinées zum Hauptgang Neoliberaler Discount Von Thomas Linden Jedes Mal die Hütte voll, was kann man sich in Oper und Schauspiel da noch wünschen? Neun Gastspiele international renommierter Tanz-Kompanien holte Hanna Koller in der letzten Spielzeit für die Kölner Bühnen an den Rhein, darunter die Ensembles von Maurice Béjart aus Lausanne, Akram Khan und Michael Clark jeweils aus London oder Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet aus Brüssel. Mit knapp einer Million Euro wird Hanna Koller für ihre Reise um die Welt ausgestattet. „Ich nehme kein Mittelmaß“, sagt die ehemalige Tänzerin, die in den neunziger Jahren zu den markantesten Ensemble-Mitgliedern in Jochen Ulrichs Tanzforum zählte, bevor sie von der Bühne ins Management wechselte. Wie reagiert denn das Publikum in Paris und London auf die aktuellen Entwicklungen der Tanzkunst? „Dort ist der „Hanna Koller gefällt am Kölner Umgang mit Tanz viel selbstverständ- Publikum, dass es in seiner Alterslicher“, erklärt Hanna Koller, „die Leute struktur durchmischt ist“ gehen gleich von der Arbeit ins Theater, das ist für sie so normal wie das tägliche Brot. Man ist begeisterungsfähig, findet nicht alles gut, ist dabei aber nie böse in der Kritik“. In Köln gehört die Standing Ovation bei den Gastspielen schon fast zum Ritual, so dass die Begeisterung inflationären Charakter anzunehmen droht. Hanna Koller gefällt aber an diesem Publikum, dass es in seiner Altersstruktur durchmischt ist, viele junge Leute sitzen im Parkett, und es findet ein lebendiger Austausch über die Produktionen statt. Anders als in Düsseldorf, wo das Publikum des Haus-Choreographen Martin Schläpfer - den die Kölner nur zu gerne engagiert hätten - eher die älteren Jahrgänge lockt. „Die stehen dann schnell auf, wenn es ein bisschen experimentell wird“, gibt Hanna Koller zu bedenken. Im Gegensatz zu Düsseldorf dienen die Gastspiele in Köln eben auch als Trostpflaster für ein Publikum, dem man weder ein Tanzhaus noch ein eigenes, städtisches Ensemble gönnt. Hanna Koller bietet in dieser Situation die Pralinées, die man sich nur zu gerne munden lässt. Sie versteht ihre Rolle jedoch durchaus als pädagogische Aufgabe. „Ich möchte den Leuten sagen: Schaut euch doch einmal das andere an, es gibt eine internationale Vielfalt auf hohem Niveau“. Deshalb präsentierte sie auch Maurice Béjarts 50 Jahre alten „Bolero“. Alle sollen den Klassiker einmal erlebt haben. Die strenge Stilistik eines Michael Clark muss man ebenfalls gesehen haben, auch wenn dessen frostige Choreographien erwartungsgemäß nicht begeistert aufgenommen wurden. Hanna Koller sieht ihren Auftrag im Versuch, die Faszination für den Tanz so lange am Leben zu erhalten, bis eine eigene Kompanie an den Kölner Bühnen installiert sein wird. Das Bemühen um eine solche Truppe ist jedoch in der politischen Landschaft der Stadt weit und breit nicht zu sehen, daher könnten die Gastspiele zur Dauereinrichtung werden und Hanna Kollers Funktion als Geschmacks-Testerin in Sachen Tanz wird sicherlich in Zukunft eine noch wesentlich größere Bedeutung zukommen. Sie hat verstanden, worum es geht, darin bestehen auch deshalb keine Zweifel, weil die neue Spielzeit gleich mit einem Paukenschlag beginnt. Denn Thomas Linden ist Journalist, Autor mit Sasha Waltz‘ Inszenierung „Körper“ steht am 6. und und Jurymitglied des 7. Oktober eine der bedeutendsten Choreographien der Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreises. deutschen Tanzgeschichte auf dem Programm. Von Hans-Christoph Zimmermann Am Ende herrscht grausiges Schweigen, wenn der Kannibale von Rotenburg in völliger Dunkelheit mit seinem Opfer diskutiert. Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung ließ den Schluss von Elfriede Jelineks „Rechnitz (Ein Würgeengel)“ unangetastet und sorgte so in Düsseldorf für einen Skandal. Beim Gastspiel in Wuppertal zeigte sich, wie intelligent die Regie diesen Botenbericht vom Massaker einer Schlossgesellschaft an jüdischen Zwangsarbeitern steigert. Jelineks Betonung der rauschhaften Seite des Holocaust wird mit einer beißenden Exegese der NS-Rezeption konfrontiert, vom diarrhoehaften Geschichts-Small Talk, über NS-Aufarbeitungsliteratur, Feldforschung nach Leichen bis zum NS-Porno ist alles dabei. Dafür gab’s zu Recht den Publikumspreis des Theatertreffen NRW in Wuppertal. Das Festival mit dem merkwürdigen Untertitel „Westwärts“ ist eine Best of-Show mit unscharfer Kontur. Eine Jury hat zehn „bemerkenswerte und künstlerisch herausra-gende Inszenierungen“ der insgesamt 19 NRW-Bühnen ausgewählt. Viele wollten dabei sein, nicht jeder durfte. An „Es ist ein bitterer Sieg.“ Herbert Fritsch kommt derzeit allerdings niemand vorbei. Wie schon beim Berliner Theatertreffen sorgte seine Oberhausener „Nora“-Inszenierung auch an der Wupper für Begeisterung. Ibsens angestaubter Emanzipationsklassiker wird zur gnadenlos stilisierten Beziehungsgroteske zwischen Filmtrash, Courteline und Slapstick. Fritsch treibt den Personen die Psychoflausen aus und macht aus ihnen Pathosmonster mit aufgerissenen Augen und schreckgeweiteten Mündern. Dem Oberhausener Theater geht es schlecht, dem Wuppertaler auch und deswegen wurde auch eifrig diskutiert und ein Thesenpapier mit halbgaren Thesen vom Theater als Thinktank, als Bildungsstätte, als Ort der Identifikation und Vielfalt der Produktionsformen veröffentlicht. Lob erhielt die Landesregierung, die im Rahmen eines Theaterpakts ab 2012 den notleidenden NRW-Theatern und -Orchestern weitere Zuschüsse von 4,5 Mio. Euro, der freien Szene 1,5 Mio. zusagt. Das ist auch dringend nötig, wie gerade der Fall Bonn zeigt. Dort haben Kultur- und Finanzausschuss Sparmaßnahmen von 3,5 Mio. Euro pro Jahr ab 2013, manche sagen sogar 7 Mio. Euro beschlossen. Der derzeitige Etat von 27 Mio. Euro würde damit um fast 13 Prozent zusammengestrichen. In ähnlicher Größenordnung schrumpft auch die Freie Szene. Generalintendant Klaus Weise hat daraufhin auf eine Vertragsverlängerung über 2013 hinaus verzichtet. Da nutzte es auch nichts, dass das Theater Bonn für seine „Kaspar“- Interpretation in Wuppertal mit dem Preis für die beste Inszenierung ausgezeichnet wurde. Alexander Riemenschneider richtet Handkes Sprachdressurstück auf Unterhaltungs- und Motivationsformate aus. Die Schauspieler inszenieren eine Animationsshow mit dem Publikum und setzten Hans-Christoph Zimmermann ist die Titelfigur einem Discount-Motivationspush aus, der am Theaterkritiker Ende in einen neoliberalen Identitäts-Habitus mündet. Das für Printmedien und Hörfunk. ist mitreißend inszeniert, doch es bleibt ein bitterer Sieg. Hanna Koller zeigt starke Tanz-Gastspielreihe in Köln Theater Bonn siegt beim Theatertreffen NRW und verliert seinen Intendanten Das gesamte Gutachten zu den Kooperationsmöglichkeiten der Ruhrgebietstheater finden Sie unter: www.nrw-kultur.de/gutachten Lesen Sie auch unsere Musicalkolumne unter: www.engels-kultur.de/musical-nrw 10 oper in nrw Fair! Ice Tour 2011 Ben & Jerry’s kommt vor Deine Haustür Eine Nase voll Lachgas „Der Barbier von Sevilla” in Hagen Von Karsten Mark Gut zwei Jahre ist es her, da gaben Regisseurin Annette Wolf und Ausstatterin Lena Brexendorff an der Hagener Oper ihren Einstand und landeten mit Rossinis „La Cenerentola“ prompt einen Coup. Die komische Oper kam nicht als museales Schmunzelstück für Kenner daher, sondern als tempound pointenreicher Brüller. Ihr Aschenputtel schuftete in der Würstchenbude, während die bösen Stiefschwe„Munter springen die Funken stern als It-Girls durch die Partyszene zwischen Orchestergraben und der Reichen und Schönen tingelten. InBühne hin und her“ tendant Norbert Hilchenbach hatte mit Wolf und Brexendorff offensichtlich ein Dreamteam für Komödien verpflichtet. Nun sind den beiden Frauen nach Hagen zurückgekehrt und übertreffen sich selbst – wieder mit Rossini und wieder mit einem Partyschönling, dieses Mal allerdings einem männlichen: dem Barbier von Sevilla. Raymond Ayers gibt den eitlen Figaro mit trendiger Fransenfrisur, Sonnenbrille und weißem Aufschneideranzug. Und er darf seine Rolle auch gesanglich ausgiebig persiflieren, was ihm gut gelingt. Gegen den coolen Barbier wirkt Jeffery Krueger als verliebter Incognito-Graf Almaviva reichlich vertrottelt – eine gute Voraussetzung für allerlei kleine Gags bis hin zu ausgewachsenen Slapstickeinlagen. Regisseurin Wolf findet stets das rechte Maß, wobei die Stärke ihres Barbiers eindeutig in der kräftigen Überzeichnung liegt. Rossini und sein Librettist Cesare Sterbini haben in mancher Szene das reinste Tohuwabohu entfesselt. Annette Wolf kostet das in vollen Zügen aus. Dabei kann sie auf eine äußerst spielfreudige Solistenriege zurückgreifen, die ebenfalls für jeden Spaß zu haben ist. Baßbariton Rainer Zaun etwa schneidet als rabiater Zahnarzt Doktor Bartolo Grimassen, als wäre er bei Louis de Funès in die Lehre gegangen. Und seine ältliche Helferin Marcellina (Christine Graham im Wechsel mit Tanja Schun) nimmt in der Praxis gern mal eine Nasevoll Lachgas, wenn gerade kein Likörchen in Reichweite ist. Das alles ist so grotesk und comichaft, dass Ausstatterin Brexendorff konsequenterweise das Bühnenbild schwarzweiß mit groben Strichen zeichnet und den Figaro zu Beginn direkt durch die Papierwand in die Szene springen lässt. Auf der Drehbühne sind schnelle Wechsel zwischen Zahnarzt-OP, Wohnzimmer und dem Schlafzimmer Rosinas möglich – und entsprechend turbulente Szenen. Regisseurin Wolf brennt ein solches Feuerwerk an Action, Gags und vielen kleinen Überraschungen ab, dass die 90 Minuten des ersten Aktes wie im Fluge vergehen und auch der zweite Akt schnell wieder Fahrt aufnimmt. Den Schwung bezieht die Regie dabei unmittelbar aus der Musik. Partitur und Regie widerstreben an keiner Stelle. Und Bernhard Steiner dirigiert die Hagener Philharmoniker mit Elan und Pfeffer. Wenn das zuweilen auch mal etwas rustikaler klingt, hat das durchaus seinen Charme. Munter springen die Funken zwischen Orchestergraben und Bühne hin und her. Rossinis Musik ist springlebendig und dabei durchaus handfest. So wird sie in Hagen gespielt auch gesunKarsten Mark ist freier gen – nicht zuletzt von Kristine Funkhauser als Rosina, Journalist und lebt im Ruhrgebiet. Kultur und die neben jugendlicher Leichtigkeit in den Höhen auch besonders das Mueine erdige Mezzo-Fundierung beweist. So macht Oper siktheater gehören zu seinen Schwerpunkten. Spaß! 11 E V O M n t de i z se Tan. 2011 d n s t u 5 . 09 Kun07. – 2 19. Eine Ausstellung organisiert von der Hayward Gallery, London, in Zusammenarbeit mit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf K20 GRABBEPLATZ Düsseldorf www.kunstsammlung.de 60e rn Mike Kelley, Test Room Containing Multiple Stimuli Known to Elicit Curiosity And Manipulatory Responses (Detail), 2001 © Courtesy of Kelley Studio, Foto: Fredrik Nilsen/Kelley Studio Rosina kann ihren Vormund Doktor Bartolo nicht ausstehen. Foto: Stefan Kühle Immer dann, wenn Ihr dringend ein Ben & Jerry’s Eis braucht, ist gerade keines in der Nähe? Tja, das Leben ist nicht immer fair. Ben & Jerry’s aber schon. Und deswegen kommt der Ben & Jerry’s Bus diesen Sommer direkt zu Euch. An 38 Tagen geht es durch 35 Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz – und immer mit an Bord: eine extra große Ladung Fairtrade Eiscreme for free. Kommt vorbei und holt Euch am 07.08. in Wuppertal eine Portion Ben & Jerry’s Eis ab. Besonders fair ist, dass Ihr via Facebook selbst Vorschläge machen könnt, wo der Bus halten soll. Ob schöne Parks, ein gemütliches Grillfest, ein Konzert der Lieblingsband, das eigene Büro oder eine Demo zur fairen Behandlung von Milchkühen – unter www.facebook.com/benjerry.de könnt Ihr der Crew Eure Vorschläge schicken. Aus allen Ideen wählt das Fair! Ice Tour-Team spontan die kreativsten, sympathischsten oder fairsten Tourstopps aus und kommt direkt vorbei. Die genauen Stopps der Fair! Ice Tour 2011 könnt Ihr zu jeder Zeit auf der Facebook-Fanpage e verfolverfol gen. „Fast“ wie in guten alten Zeiten… en… denn 1986 starteten Ben Cohen und d Jerry Greenfield eine – bis heute – legendäre und einzigartige Bustour: Im „Cowmobile“, einem umgebauten Wohnmobil, kurvten sie durch die USA und verteilten kostenlos Eiscreme. film des monats Freunde sein? Der Anfang vom Ende für Cindy (Michelle Williams) und Dean (Ryan Gosling) Szenen einer Ehe „Blue Valentine“ von Derek Cianfrance Seit sechs Jahren sind Dean und Cindy verheiratet. Doch die Ehe steht an einem Scheidepunkt. Die Lebensentwürfe scheinen unvereinbar. → Schonungsloses Liebesdrama Der erste Eindruck trügt: Ein idyllischer Blick auf ein Haus auf der Wiese, die Familie beim Frühstück, der Mann kaspert mit der Tochter rum. Doch die Frau ist leicht genervt davon. Leicht genervt ist stark untertrieben, wie sich später zeigt. Wir wohnen vielleicht dem baldigen Ende der Beziehung von Dean (Ryan Gosling) und Cindy (Michelle Williams) bei. Die Liebe ist schon länger erkaltet, nun scheint sie nur noch das Kind zu verbinden. Dean ist zwar nicht der Vater des Mädchens, aber das ist das geringste Problem – die beiden verstehen sich prächtig. Nur kann das wohl kaum die Beziehung von Dean und Cindy retten, die offensichtlich am Tiefpunkt ist. Akt der Verzweiflung Nach seinem gefeierten Debüt „Brothers Tied“, der aus rechtlichen Gründen nie ins Kino kam, wandte sich der Regisseur, der bei der Experimentalfilmlegende Stan Brakhage studiert hat, dem Dokumentarfilm zu. Doch die ganze Zeit über hat er nebenher an seinem zweiten Spielfilm gearbeitet. Auch das neue Projekt war problembelastet. Bereits 2003 hat er Michelle Williams das Drehbuch geschickt, aber für den Dreh fehlte lange Zeit das Geld. Dann kam der frühe Tod von Michelle Williams' Freund Heath Ledger, der der Schauspielerin erst eine Auszeit und dann um Williams' und Ledgers' Tochter wegen dem Film einen Drehortwechsel abverlangte. Am Ende hat sich die Ausdauer gelohnt. Dean und Cindy haben wenig gemein außer ihrer Herkunft aus schwierigen Verhältnissen. Sie arbeitet in einem Krankenhaus und hat gerade die Chance, ihre Karriere voranzutreiben. Er begnügt sich mit einem Job als Anstreicher und trinkt lieber ein Bier und albert mit der Tochter rum. Als die Kälte zwischen den beiden kaum noch zu überspielen ist, schlägt er eine gemeinsame Nacht in einem Motel vor. Cindy ist nicht sonderlich begeistert, kommt aber dennoch mit. Als wären ihre Gefühle nicht schon kalt genug und ihre Zukunft düster, wählen sie im Themen-Motel das Science Fiction-Zimmer. Dort mühen sie sich damit ab, die alte Liebe zu finden. Sie kehren in Gedanken an den Anfang ihrer Beziehung zurück: Dean, der charmante Kindskopf, ist für Cindy eine Möglichkeit, aus ihrer verkorksten Beziehung mit Bobby, von dem sie ein Kind erwartet, rauszukommen. Dean ist zur Stelle, und er bleibt auch in den nächsten sechs Jahren genau an dieser Stelle. Cindy macht seine Genügsamkeit wahnsinnig. Deans Versuch, die Probleme mit einer tollen Liebesnacht zu klären, ist ein Akt der Verzweiflung, der grausam scheitert. Am nächsten Tag kommen sie um eine Entscheidung nicht länger herum. Psychologie statt Handwerk Die verschachtelte Erzählstruktur von „Blue Valentine“ ist nichts Neues in der Filmgeschichte und auch für die Erzählung einer Liebesgeschichte bereits mehrfach verwendet worden. Nicht nur François Ozon hat 2004 in „5x2“ rückwärts von einer gescheiterten Beziehung erzählt. Schon 1967 drehte Stanley Donen mit „Zwei auf gleichem Weg“ mit Audrey Hepburn einen Blueprint für diese Erzählform. Sie ist für ein Beziehungsdrama so geeignet, weil sich mit ihr das vielzitierte hilflose „Was ist nur aus uns geworden?“ entschlüsseln lässt. Blickt man mit dem Ende im Kopf auf den Anfang, sieht man bereits in den kleinsten Details Hinweise auf eine Entwicklung, die schleichend zum Erlahmen der Liebe führt. Eine der größten Qualitäten von „Blue Valentine“ liegt darin, dass Derek Cianfrance es schafft, ohne plakative Dramaturgie, dafür mit vielen kleinen Einzelheiten seine beiden Protagonisten zu charakterisieren bis langsam ein Bild entsteht, das der Zuschauer am Ende viel deutlicher vor Augen hat als die Figuren selbst. Hier kommt die Qualität der beiden Hauptdarsteller ins Spiel – beide zugleich große Stars und Ikonen des Independent-Kinos. Ohne sie hätte Cianfrances Unterfangen leicht scheitern können. Dessen war sich der Regisseur wohl bewusst und hat anstelle langer Proben zur Vorbereitung einfach die Filmfamilie in dem Filmhaus zusammen leben lassen. Wie Williams in einem Interview betont, hat sich Cianfrances dann kaum um das technische Beiwerk gekümmert. Lichtsetzung und andere Vorbereitungen waren in 15 Minuten erledigt, damit der Rest der Zeit voll und ganz auf die Performance der Darsteller verwendet werden konnte, um die psychologischen Feinheiten auszuarbeiten. Williams‘ und Goslings Palette ist dafür groß genug: Sie zeigen die erste Annäherung als naiv-schüchternes Spiel und enden beim gewaltigen Drama. Pathos bleibt dabei außen vor, weil sie stets in ihren Figuren bleiben. Der verspielte Anfang ist ganz zaghaft und weiß noch nichts Genaueres von der kommenden Liebe. Im entromantisierten Alltag ist dann auch kein Platz für Pathos, da gibt es nur noch tiefe seelische Verletzungen. Warum einen so deprimierenden und fast illusionslosen Film ansehen? Weil er genau hinguckt und einem das zeigt, was man selbst sonst nicht sieht. Man kommt aus dem Kino und will vor allem eins: es besser machen. CHRISTIAN MEYER San Francisco Film Critics Circle Award 2010: Beste Hauptdarstellerin BLUE VALENTINE San Francisco Film Critics Circle Award 2010: Beste Hauptdarstellerin USA 2010 - Drama - Regie: Derek Cianfrance - Kamera: Andrij Parekh mit: Mike Vogel, Ryan Gosling, Michelle Williams - Verleih: Senator Start: 4.8. 12 neue filme neue filme Trügerisches Familienidyll? Clotilde Hesmé, Grégory Gadebois und Antoine Couleau (l.) Was würde Louis de Funès dazu sagen? Grenzdebil Überspannt und Frivol Ein belgischer und ein französischer Grenzpolizist werden zur Zusammenarbeit verdonnert. Start frei für den Revierkampf! → Belgisch-Französische Patrioten-Posse Was Angèle in dem kleinen Küstenstädchen sucht, fragt sich nicht nur der Fischer Tony. Die hübsche Frau hütet gleich mehrere Geheimnisse. → Gefühlvolles Sozial- und Liebesdrama Europa ist vereint – die Grenzen sind geöffnet! Dass dem Sachverhalt allerlei Skeptiker kritisch gegenüber stehen, ist nicht erst vereinzelten Staatspleiten geschuldet. Denn echten Patrioten geht es nicht um spontane Notlagen, sondern ums Prinzip. Und im Prinzip ist eine Grenze nichts anderes als eine wertvolle Hinterlassenschaft der Ahnen, vor allem aber ein Wall gegen Barbaren und von daher eine sehr vernünftige, ja existenzielle Einrichtung, die es zu wahren und verteidigen gilt. So sieht das zumindest der belgische Zollbeamte Ruben (Benoît Poelvoorde), der in seinem Dörfchen Courquain mit vollem Übereifer die Grenze nach Frankreich sichert. Etwaiger Kritik entgegnet er schlagfertig verklärt: „Wir sind überlegen, nicht überheblich!“ Als die Umstrukturierungen der Europäischen Union greifen, ist plötzlich sein Posten in Gefahr: Stationären Grenzkontrollen droht das Aus. Als wäre das nicht schon schlimm genug, soll Ruben in Zukunft mobile Kontrollen durchführen – in Begleitung des französischen Zollbeamten Mathias (Dany Boon). Der ist prinzipiell nicht minder patriotisch eingestellt, muss sich allerdings zügeln, weil er ein Auge auf Rubens Schwester (Julie Bernard) geworfen hat. Regisseur Dany Boon hat sich auf Komödien eingeschossen, die sich genüsslich am Aufeinandertreffen kultureller Unterschiede reiben. Nach seinem auch in Deutschland erfolgreichen „Willkommen bei den Sch’tis“, in dem es noch der Südfranzose war, der auf die Nordfranzosen trifft, gestaltet sich das Ganze hier nun länderübergreifend und so für den internationalen Betrachter noch zugänglicher. Die Idee mag nicht originär sein, umso erfreulicher aber ist, wie erfrischend Boon an seine Geschichte herangeht. Denn neben zynischen Wortgefechten scheut der Franzose in seinem heiteren Camembert-Fritten-Duell auch den Klamauk nicht. Temporeich prallen hier Slapstick, Wortwitz, Vorurteile, schrullige Figuren und vor allem Zitate aufeinander, die bis in die 70er Jahre zurückreichen, in denen Louis de Funès noch als uneinsichtiger, hitzköpfiger Streifenpolizist auf Touristen und Landsleute losgelassen wurde. Vergleichbar cholerisch geben sich die Kindsköpfe in diesem Streifen – und ebenso französisch charmant. Boon gelingt somit nicht nur eine freche Posse, er verneigt sich zugleich vor seinen Vorbildern und zeigt, wie unbeschwert gutes Mainstream-Kino sein kann. Eine freche, unterhaltsame, bewusst trashige Stunde der Patrioten, mitunter auch mal überzogen, aber durchgehend souverän gestemmt von den beiden Hauptdarstellern, von denen vorneweg Benoît Poelvoorde („Mann beißt Hund“, „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“) überzeugt. Und dass der Film am Ende Toleranz huldigt, ohne predigen zu wollen, und dabei verblendetem Nationalstolz entsprechend an den Kahn fährt, ist eine sympathische Randerscheinung. HARTMUT ERNST Die erste Einstellung macht klar: Dem klassischen Mutterbild entspricht Angèle nicht: Sie fickt mit einem Typen im Hauseingang – der gibt ihr danach die versprochene Actionfigur für ihren Sohn Yohan. Gleich danach trifft sie den Seemann Tony per Kleinanzeige. Aber der ist von ihrer überspannt-frivolen Art eher abgeschreckt. Dass der grob gebaute Tony nicht auf ihre Avancen eingeht, irritiert die hübsche Angèle zwar. Doch seine ruhige Ausstrahlung gibt ihr Halt. Und genau das braucht sie, um nach einem Gefängnisaufenthalt das Sorgerecht für ihren Sohn wiederzubekommen. Alix Delaporte erzählt in ihrem stilsicheren und zärtlichen Debüt unpathetisch von einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte und macht sich für einen hoffnungsvollen Realismus stark. CHRISTIAN MEYER „Nichts zu verzollen“ von Danny Boon „Angèle und Tony“ von Alix Delaporte NICHTS ZU VERZOLLEN ANGELE UND TONY F 2010 - Drama / Lovestory - Regie: Alix Delaporte - Kamera: Claire Mathon mit: Grégory Gadebois, Clotilde Hesme, Antoine Couleau - Verleih: Kool Start: 4.8. Nigel (Freddie Highmore) weiß was Mädchen mögen. Kochduell „Toast“ von SJ Clarkson Nigel Slater entdeckt in den 60er Jahren seine Leidenschaft fürs Kochen. Als sein Vater eine Haushaltshilfe engagiert, kommt es zum Duell. → Amüsanter Nostalgietrip Slater ist in Großbritannien ein Kochidol, das auch von Jamie Oliver bewundert wird. Basierend auf seiner Autobiografie wirft „Toast“ einen Blick auf die größtenteils unglückliche Jugend des Gourmets. Mag die Geschichte nicht viel Originelles aufweisen und die Figuren ein wenig oberflächlich daherkommen, so gleicht SJ Clarkson das durch eine detailreiche und authentische Schilderung des Lebens im Großbritannien der 60er Jahre wieder aus. Die vehement verfochtenen Standesunterschiede, die Reserviertheit gegenüber Neuem und das Festhalten an lieb gewonnenen Traditionen formen zusammen mit einer gelungenen Ausstattung ein ansprechendes Zeitgemälde. Außerdem versteht es Helena Bonham Carter („Harry Potter“, „The King's Speech“) auch hier, jede ihrer Szenen durch ihre Präsenz zu adeln. FRANK BRENNER TOAST F 2011 - Komödie - Regie: Dany Boon - Kamera: Pierre Aïm mit: Dany Boon, Guy Lecluyse, Benoît Poelvoorde - Verleih: Prokino Start: 28.7. 13 GB 2010 - Komödie - Regie: S.J. Clarkson - Kamera: Balazs Bolygo mit: Ken Stott, Oscar Kennedy, Helena Bonham Carter - Verleih: MFA Start: 11.8. roter teppich Siddharta genießt mit Amrita (Petra Schmidt-Schaller) das Kommunenleben: Georg Friedrich in „Sommer in Orange“, Foto: Majestic/Mathias Bothor „Je extremer eine Figur ist, desto lieber spiele ich sie“ Georg Friedrich über „Sommer in Orange“, Film in Österreich und sein Faible für ungewöhnliche Charaktere Seit 1983 wirkt der 1966 in Wien geborene Schau- zeptanz zu zeigen gegenüber Dingen, die man nicht spieler Georg Friedrich in zahlreichen Film- und versteht. Leben und leben lassen. Fernsehproduktionen mit. Durch seine Auftritte in „Hundstage“, „Wolfzeit“, „Böse Zellen“, „Silenti- Ihre Figur Siddharta ist voller Extreme, Sie scheium“ oder „Import/Export“ wurde er zum Gesicht nen ein Faible für etwas freakigere Rollen zu hades neuen österreichischen Films. Der viel beschäf- ben… Ja, das mache ich schon sehr gern. tigte Mime, der 2004 auf der Berlinale zum österreichischen „Man muss Akzeptanz zeigen Je extremer eine Figur ist, desto Shooting Star gekürt wurde, ist gegenüber Dingen, die man lieber spiele ich sie. Obwohl eine nicht versteht.“ Figur auch in ihrer Einfachheit exin diesem Monat in Marcus H. trem sein kann. Nicht nur die StrizRosenmüllers neuem Film „Sommer in Orange“ zu sehen, in dem er den ehemaligen zis (wienerisch für Zuhälter, aber auch Strolche im RAF-Terroristen Siddharta spielt, der in einer Kom- Allgemeinen; die Red.) und RAF-Terroristen können extrem sein, sondern auch ein Universitätsprofessor mune seine Erfüllung findet. – für mich sogar noch mehr als ein Strizzi. Für mich engels: Herr Friedrich, „Sommer in Orange“ ist das dann eine größere Herausforderung, das zu spielt 1980, als Sie selbst noch Teenager wa- machen. Bei „Sommer in Orange“ haben wir täglich ren. Was haben Sie für eine Erinnerung an diese 12 bis 15 Stunden zusammen gearbeitet und sind dabei auch persönlich zusammengewachsen. Ich Zeit? Georg Friedrich: Ich habe noch eine relativ gute habe dort bei der Arbeit Freunde gefunden. Das ist Erinnerung an die Zeit, als Jugendlicher bekommt das Tolle an dem Beruf, dass man mit vielen „emoman schon einiges mit. Von den 70er Jahren kann tional schönen Menschen“ zusammenarbeiten kann, ich nur noch ein bisschen erinnern, aber die 80er die ich dann auch sehr ins Herz schließe. Das ist, glaube ich, in keiner anderen Branche so extrem. waren meine Zeit, da bin ich groß geworden. Man arbeitet sehr intensiv zusammen und trennt Gibt es bei Ihnen konkrete Erinnerungen an die sich dann wieder. Friedensbewegung oder die Bhagwan-Anhänger? Da gibt es wenig. Ich weiß nur noch, dass in den Ist so eine Trennung dann nicht umso schwerer, 80er Jahren München für Wiener Verhältnisse eine wenn man eine solche emotionale Nähe aufgeGroßstadt war. Da war damals schon wahnsinnig baut hat? viel los, in Wien dafür eher wenig. Damals gab es Ja, mir fällt das immer schwer. Man ist aber auf der in Wien noch nicht so viele Lokale und Clubs, und anderen Seite auch froh, weil es doch sehr anstrenMünchen war dann für uns Wiener ziemlich hip. gend ist. Man ist froh, wenn diese Anstrengung vorWenn man nach München gefahren ist, ist man in bei ist, andererseits ist man traurig, weil man sich von Leuten, die man irgendwie ins Herz geschlossen die große weite Welt hinausgefahren. hat, wieder verabschieden muss. Nach 30 Jahren greift der Film nun die Bhagwan-Bewegung in seiner Geschichte auf. Welche Unter Michael Glawogger, Wolfgang Murnberger und Barbara Albert sind Sie zum Gesicht des Bedeutung hat dieses Thema heutzutage? Welche Relevanz das für die heutigen Kinozuschau- neuen österreichischen Films geworden. Wo seer hat, muss jeder für sich selbst bestimmen. Aber hen Sie diesen heute? wenn ich mir den Film ansehe, besinne ich mich Dafür, dass wir so ein kleines Land sind, haben wir in einfach wieder, dass es auch andere Dinge gibt als den letzten Jahren großes Glück gehabt, dass wir so nur zu arbeiten und Kohle zu machen. Es geht auch interessante und gelungene Filme zustande bekomdarum, sich um seine Freunde und seine Familie zu men haben. Gute Filme werden ja nicht unbedingt kümmern, um die Menschen, die man gern hat. Und auch zu großen Publikumserfolgen. Aber mir ist es für sich selbst einen offenen Weg zu finden und Ak- gar nicht so wichtig, dass Filme ein großes Publikum 14 haben. Mir ist es nach der Premiere wichtig, dass mir der Film gefällt. Da ist es egal, ob zwei Millionen in den Film gehen oder achthundert. Klar, wenn er einen großen Erfolg hat, dann freue ich mich auch, in erster Linie für den Regisseur. Ich finde es oft schade, wenn Filme, die ich mag, zuschauermäßig auf der Strecke bleiben. Viele Filme finden ja auf Festivals unter Cineasten ihr Publikum, gewinnen dort Preise, werden aber anschließend im Kino von niemandem gesehen. Der Österreicher sieht sich nur ungern österreichische Filme an. Der österreichische Durchschnittszuschauer geht eher in die amerikanischen Blockbuster. Bei uns ist ein Film schon mit 100.000 Zuschauern ein Riesenerfolg. Damit es mal mehrere hunderttausend Zuschauer werden, muss schon ein Kabarettist die Hauptrolle spielen. Die erfolgreichsten Filme sind oft solche, die ich selbst überhaupt nicht mag, die ich ganz furchtbar finde. Da kann ich mir überhaupt nicht erklären, wieso die dann zum Publikumserfolg werden. Was sind Ihre Kriterien bei der Rollenwahl? Ich lese das Buch. Wenn mir das Buch und die Figur gefallen, dann treffe ich mich mit dem Regisseur. Das sind häufig Bauchentscheidungen, gerade bei Kinofilmen. Ich habe häufig Bücher in die Hand bekommen, zu denen mir nicht viel eingefallen ist, wie das am Ende aussehen könnte. Oft sind dann dabei ganz tolle Filme herausgekommen. Auf der anderen Seite habe ich auch Drehbücher gelesen, die mir unheimlich gut gefallen haben und die dann am Ende nichts geworden sind. Man kann wirklich keine Prognose abgeben, bevor der Film nicht zu Ende gedreht, zu Ende geschnitten und zu Ende gemischt ist. Die Mischung kann einen Film groß machen oder sie lässt ihn klein bleiben. INTERVIEW: FRANK BRENNER Die Langfassung des Interviews mit Georg Friedrich lesen Sie unter: www.engels-kultur.de/roter-teppich neue filme neue filme Gil findet in Adriana charmante Gesellschaft aus der Vergangenheit Von einer solchen Kulisse wagten die Hobbyfilmer nicht mal zu träumen E.T. & Co. lassen grüßen Kulturgeisterstunde In einer ländlichen US-Kleinstadt bekommt es eine Gruppe von Jugendlichen mit mysteriösen Ereignissen zu tun. → Vergnügliche Hommage an Sci-Fi-Klassiker Ein nostalgischer Autor sucht in Paris Inspiration. Auf nächtlichen Spaziergängen bekommt er überraschende Hilfe: Von Hemingway, Fitzgerald und Gertrude Stein persönlich. → Kulturbeflissene Zeitreise „Super 8“ von J.J. Abrams „Midnight in Paris“ von Woody Allen „Super 8“ verfügt über erstklassige Referenzen: Neben „E.T. – der Außerirdische“, „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (beide von Steven Spielberg), „Invasion of the Bodysnatchers“ und den „Goonies“ finden sich auch Spurenelemente des ersten „Alien“ in J.J. Abrams’ Film wieder. Darüber hinaus fungierte Spielberg höchstpersönlich als Produzent und konnte sich quasi selbst beklauen. Die Mixtur, die Abrams als Regisseur und Drehbuchautor von „Super 8“ angerührt hat, ist entsprechend Spielberg-like – aber sie stimmt. Ein Film, wie ihn der Meister vor 30 Jahren selbst inszeniert hätte, mit ein paar modernen Spezialeffekten aus dem Rechner angereichert. Die entlang von gängigen Sci-Fi-, Thriller- und Mystery-Mustern erzählte Geschichte spielt im Jahr 1979 in einer fiktiven Kleinstadt namens Lillian in Ohio. Eine Gruppe von sechs Jugendlichen um die 13 Jahre will mit einer Super 8-Kamera einen Zombiefilm drehen. Um die von Regisseur Charles gewünschten „Schauwerte“ zu bekommen, filmen sie eines Abends an einer stillgelegten Bahnstation und warten auf einen Zug. Der liefert tatsächlich Schauwerte, denn er entgleist, nachdem sich ihm ein Auto auf den Schienen entgegengestellt hat – in einer imposanten Action-Szene. Inmitten eines infernalischen Trümmerfelds finden die Kinder in dem Auto ihren schwer verletzten Biologielehrer Dr. Woodward. Der wusste offenbar um ein düsteres Geheimnis des Zuges und schickt sie fort, als Militär anrückt. Vorher warnt er sie davor, mit irgendjemandem über das zu sprechen, was sie gesehen haben. In der Folgezeit geschieht in und um Lillian immer mehr Mysteriöses. Menschen, Tiere und Dinge verschwinden – Paranoia greift um sich („Das waren die Sowjets!“). Also müssen die Kinder Detektiv spielen. Parallel dazu verläuft die langsame Annäherung zwischen „Star“ Alice und „Maskenbildner“ Joe, die durch ein familiäres Unglück vorbelastet ist. Im Spiel und Umgangston der Teenager spiegelt sich auf vergnügliche Weise das Verhalten von Erwachsenen und wird ein ironischer Seitenblick auf das Filmemachen geworfen. Vorzügliche jugendliche Darsteller, allen voran die hochbegabten Elle Fanning (Alice) und Joel Courtney (Joe), tragen ihren Teil dazu bei, aus „Super 8“ einen packenden und unterhaltsamen Film zu machen. So geht das, Michael Bay: Katastrophen, Ballereien und Alles-in-Schutt-und-Asche-legen nehmen Zuschauer nur mit, wenn sie Sympathien für die Hauptfiguren entwickeln können. Dann ist RegieHandwerk mit dosierten Effekten aus der digitalen Hexenküche allemal in der Lage, Spannung zu erzeugen und 3D-Overkill locker zu übertrumpfen – zumal die Gestalt des unheimlichen Monsters in guter alter „Alien“Tradition erst peu à peu enthüllt wird. Der witzige Super 8-Zombiefilm der Kiddies wurde übrigens auch fertig gestellt und wird dem Publikum nicht vorenthalten. Tipp: Beim Abspann dranbleiben! MICHAEL HERMANN Woody Allens Europareise geht in die nächste Runde: der 75-Jährige lässt in seiner 41. Regiearbeit einen erfolgreichen Drehbuchautoren Hollywoods in Paris die höhere Poesie suchen. Mit seinem nostalgischen Blick verliert er zwar zunehmend seine Braut in spe aus den Augen, findet aber per Zeitreise die Gesellschaft der Pariser Kunstzirkel der 1920er Jahre. Allen hat großen Spaß, an der Zeit zu drehen und Hemingway, Scott Fitzgerald, Picasso oder Man Ray klischeebeladen auferstehen zu lassen und damit zugleich auch seinen eigenen Hang zur Nostalgie zu karikieren. Starbesetzt wie immer, hat dieses Mal sogar Präsidentengattin Carla Bruni einen kleinen Auftritt. Allens Energie schwindet nicht: Zurzeit dreht er in Rom schon seinen nächsten Film. CHRISTIAN MEYER MIDNIGHT IN PARIS E/USA 2011 - Komödie - Regie: Woody Allen - Kamera: Darius Khondji mit: Adrien Brody, Carla Bruni, Owen Wilson - Verleih: Concorde Start: 18.8. Spaßfaktor mit skurrilem Touch In geheimer Mission „Cars 2“ von John Lasseter und Brad Lewis Abschleppwagen Hook wird irrtümlich für einen Agenten gehalten und bringt so Lightnings Teilnahme am World Grand Prix in Gefahr. → Ideenreiche Fortsetzung SUPER 8 „Cars“ war nicht einer der besten Pixar-Filme, und doch hat das Studio diesen Film nun nach „Toy Story“ als zweiten auserkoren, um in Serie zu gehen. Doch der Spaßfaktor ist bei der Fortsetzung enorm hoch. Schon in den Eröffnungsszenen werden genüsslich Stereotypen aus Agentenfilmen parodiert, was mit den Autos als Protagonisten einen sehr skurrilen Touch erhält. Später wird die Spionagestory noch durch den Handlungsstrang um das Autorennen erweitert, was den Machern Gelegenheit für Seitenhiebe auf das Medienbusiness und den Rennfahrrummel gibt. Wie bei allen Pixar-Filmen steckt auch dieser voller selbstironischer Details, die man beim ersten Ansehen kaum alle entdecken wird. Das gilt auch für den tollen „Toy Story“-Vorfilm „Urlaub auf Hawaii“. FRANK BRENNER USA 2011 - Science Fiction - Regie: J.J. Abrams - Kamera: Larry Fong mit: Ron Eldard, Ryan Lee, Kyle Chandler - Verleih: Paramount Start: 4.8. USA 2011 - Trickfilm - Regie: John Lasseter, Brad Lewis - Verleih: Disney Start: 28.7. 15 CARS 2 hintergrund Wecken Bemutterungsgefühle: Angelique und Jean-René Süße Verführung „Die Anonymen Romantiker“ von Jean-Pierre Améris Als der kontaktscheue Besitzer einer Schokoladenmanufaktur eine ähnlich gehemmte Chocolatière einstellt, stehen die beiden plötzlich vor der Herausforderung, ihr ganz persönliches Rezept für die sich anbahnende Liebe finden zu müssen. → Tragikomische Liebesgeschichte Statistisch gesehen leben etwa 12 Millionen hochsensible Menschen in Deutschland, für die landesweit „Selbsthilfegruppen“ angeboten werden. Am meisten fürchten die von ihrer Umwelt als extrem schüchtern oder ängstlich wahrgenommenen den intimen Kontakt mit anderen Menschen. Diese „Behinderung“ hat Regisseur Jean-Pierre Améris nun als Folie genommen, um uns eine romantische Liebesgeschichte voller Poesie und verhaltener Tragik zu erzählen. Schon bei ihrer Abschlussprüfung fiel Angelique (Isabelle Carré) in Ohnmacht, als der berühmte Chocolatiére Mercier ihr Talent lobte. Seitdem arbeitet Angelique inkognito für Mercier. Als ihr Chef stirbt, bewirbt sich Angelique bei der kurz vor dem Bankrott stehenden Schokoladenmanufaktur von Jean-René (Benoît Poelvoorde), der sie allerdings als Vertreterin und nicht als Chocolatière einstellt. Die beiden entdecken ihre Seelenverwandtschaft, denn auch JeanRené leidet unter Berührungsängsten. Als ihm sein Psychiater rät, Angelique zum Essen einzuladen, könnte das Happyend eingeläutet sein – beruflich wie privat. Doch bis dahin gibt es noch einige Hürden zu nehmen, die für normal sensible Menschen eventuell ein Leichtes, für zwei Hochsensible wie Angelique und Jean-René jedoch fast unüberwindlich sind. Mit dem gleichen Genuss, den Angeliques Pralinen versprechen, erzählt Amé- ris seine romantische Liebesgeschichte, deren kreative Füllung erst den vollen Geschmack ausmacht. Die Gags passieren manchmal am Rande, etwa wenn Angelique bei ihrer ersten Selbsthilfe-Gruppenstunde gleich vom Stuhl kippt, manchmal werden sie genüsslich ausgespielt, wie beim ersten gemeinsamen Dinner, als Jean-René ständig auf dem Klo verschwindet, um seine Angstschweiß-getränkten Hemden zu wechseln. Aber weil Améris so wunderbar die Balance zwischen Märchen und Realität hält – was sich auch in den zeitlosen Kostümen und Dekors manifestiert - lacht man immer mit und nie über seine Protagonisten. Und die sind einfach zum vernaschen: Benoit Poelvoorde mag zwar im ersten Moment etwas zu Altbacken für die mädchenhafte Angelique wirken. Aber sein vereinsamter Dackelblick dürfte auch beim (weiblichen) Publikum „Bemutterungsgefühle“ wecken. Und Isabelle Carré, die uns schon in Zabou Breitmans kleinem Meisterwerk „Claire – Sich erinnern an die schönen Dinge“ zutiefst berührte, verzaubert uns hier mit ihrem unschuldigen Charme. Wenn sie zu der Melodie „I Have Confidence in me“ (Ich hab Selbstvertraun´zu mir) aus dem Richard Rodgers-Musical „Sound of Music“ durch eine Einkaufspassage tanzt, dann möchte man am liebsten, dass sie einem direkt in die Arme rennt. Süßer kann ein Film kaum sein – nicht nur wegen der Schokolade. ROLF-RUEDIGER HAMACHER DIE ANONYMEN ROMANTIKER F/B 2010 - Komödie / Lovestory - Regie: Jean-Pierre Améris - Kamera: Gérard Simon - mit: Isabelle Carré, Lise Lamétrie, Benoît Poelvoorde - Verleih: Delphi Start: 11.8. DIE ANONYMEN ROMANTIKER – AM RANDE Menschen mit psychischen Störungen eignen sich immer bestens für den Film – sei es fürs Drama, für den Thriller oder wie in diesem Fall für die Komödie. Hitchcocks Norman Bates, der von Jack Nicholson gespielte Melvin Udall aus „As good as it gets“ oder Russel Crowes Interpretation des Mathematikers John F. Nash in „A beautiful Mind“ – die Liste ist ewig erweiterbar. Abweichendes Verhalten wird in bestimmten Fällen von der Medizin als krankhaft beschrieben. Die soziale Phobie oder auch soziale Angststörung ist ein Phänomen, das die Betroffenen unter enormen Leidensdruck stellt. Ist ja auch klar – den Mitmenschen kann man nur selten entkommen. Wenn man jetzt etwa Spinnen oder die Höhe fürchtet, ist das wesentlich vermeidbarer. Die soziale Phobie macht sich durch Angst vor der Bewertung Anderer bemerkbar. Sie kann in bestimmten Umgebungen auftreten oder sich auf den Umgang mit dem jeweils begehrten Geschlecht beziehen. Soziale Isolation durch das Meiden dieser Situationen ist oft die Folge. Schon das kleinste zwischenmenschliche Gespräch kann einen enormen Kraftaufwand bedeuten. Doch woher kommt die soziale Phobie? Oft beginnt sie schon in der Kindheit und wird von den Eltern nicht erkannt. Eine familiäre Häufung der Fälle lässt wohl, zusätzlich zu erlernten Verhaltensweisen, auf eine genetische Disposition schließen. Das größte Problem ist die späte Diagnose und somit auch verspätete Hilfe sowie mögliche Folgeerkrankungen. INGA SELCK 16 neue filme filmwirtschaft Fröhliche Ankunft der Kommunarden im erzkatholischen Bayern Kommunenleben Der aktuelle Status auf kino.to, Abbildung: www.kino.to Film ohne Grenzen Der Schlag gegen kino.to weckt Sensibilität bei den Usern „Sommer in Orange” von Marcus H. Rosenmüller Die Mitglieder einer sexuell freizügigen Berliner Wohngemeinschaft verschlägt es 1980 in die bayerische Provinz, wo sie mit dem konservativen Weltbild der erzkatholischen Dorfgemeinschaft kollidieren. → Kunterbunte Sommerkomödie Die Entmystifizierung von Bhagwan Shree Rajneesh und seiner Bewegung sollte 1980 erst noch anstehen. Damals drangen zwar schon erste negative Schlagzeilen über den Sex-Guru und die fragwürdigen Praktiken in seinem Ashram an die Öffentlichkeit, die großen Skandale, die mit dem Umzug seiner Kommune nach Oregon begannen, waren jedoch noch Zukunftsmusik. Marcus H. Rosenmüller beabsichtigt in seinem neuen Spielfilm „Sommer in Orange“ allerdings auch gar nicht, in das gleiche Horn zu blasen wie beispielsweise Sabine Gisiger und Beat Häner, die im vergangenen Jahr „Guru: Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard“ in unsere Kinos brachten. Rosenmüller geht es vielmehr um einen ungewöhnlichen und farbenfrohen Background für seine liebenswerte Sommerkomödie, den die Jünger in Orange auf jeden Fall bieten können. Als Bezugsperson dient ihm die zwölfjährige Lili (Amber Bongard), die in der neuen Schule den Spott ihrer Mitschüler ertragen muss und zum ersten Mal mit spießigen Traditionen wie Schützenvereinen und Volksmusikgruppen in Berührung kommt. Aber vielleicht ist die Sicherheit, die diese neue Lebensweise mit sich bringt, am Ende sogar den allzu lockeren Sitten der Mutter vorzuziehen, die darüber schon mal ihre elterliche Fürsorge vergisst. In fünf Jahren hat es Marcus H. Rosenmüller geschafft, acht Spiel- und einen Konzertfilm abzudrehen. Ein unglaublicher Output, bei dem allerdings erstaunlicherweise die Qualität nicht zu leiden scheint. Nicht immer hat er mit seinen oftmals stark im Bayerischen verwurzelten Geschichten an den Erfolg von „Wer früher stirbt ist länger tot“ anknüpfen können. Aber auch mit „Die Perlmutterfarbe“ oder jetzt mit „Sommer in Orange“ hat er nachhaltig gezeigt, dass er ein Kinoerzähler ist. Und ein hervorragender Kinderregisseur! Viel zu oft leiden insbesondere deutsche Produktionen, in denen Kinder zentrale Rollen zu bekleiden haben, unter deren Laienhaftigkeit. Nicht so bei Rosenmüller, der ein goldenes Händchen beim Casting und bei der Schauspielführung beweist, wenn bei ihm selbst die Jüngsten vor der Kamera natürlich und glaubwürdig rüberkommen. Hier ist es die 1997 geborene Amber Bongard („Groupies bleiben nicht zum Frühstück“), die als Ich-Erzählerin die Sympathien schnell auf ihrer Seite hat. So ist hier eine nostalgisch angehauchte Familiengeschichte entstanden, die einen herrlich unverbrauchten, teilweise auch sehr trockenen Humor an den Tag legt. Der seit „Wer früher stirbt…“ sicherlich massentauglichste und publikumswirksamste Film Rosenmüllers, dem man einen ähnlichen Erfolg prognostizieren möchte, wie seinem Debüt aus dem Jahr 2006. FRANK BRENNER SOMMER IN ORANGE D 2011 - Komödie - Regie: Marcus H. Rosenmüller - Kamera: Stefan Biebl mit: Wiebke Puls, Georg Friedrich, Petra Schmidt-Schaller - Verleih: Majestic Start: 18.8. 17 Nach mehreren Jahren Vorarbeit wurde Anfang Juni das illegale Filmportal kino.to vom Netz genommen. Auf dieser Webseite wurden vor allem aktuelle Kinofilme millionenfach runtergeladen. Während der Server in Russland stand, weil die dortigen Behörden in dieser Hinsicht wenig Kooperationsbereitschaft gezeigt haben, waren die Hintermänner sowie der überwiegende Teil der Nutzer in Deutschland zu finden. Schäden in Millionenhöhe Dank der Ermittlungsbehörden in Dresden konnten die wichtigsten Drahtzieher festgenommen und das Portal geschlossen werden. Was unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit und freiem Zugang zu Filmen eher wie die Tat von Robin Hood aussah, war und ist in Wahrheit ein saftiges Geschäft der Datendiebe. Denn die Filme wurden illegal kopiert (teilweise im Kino, teilweise von Presse-DVDs, teilweise von den Ansichtskopien für die Mitglieder der Oscar-Akademie) und anschließend zum Download oder Streaming ins Netz gestellt. Denn nicht nur die Urheberrechtsverletzung der Kreativen in aller Welt ist zu beklagen, sondern auch, dass mit diesen Filmportalen viel Geld verdient wird. Werbeeinnahmen, die ebenfalls in die Millionen gehen, machen deutlich, dass es eben nicht nur darum geht, hochwertige Filme kostenlos zur Verfügung zu stellen. Der Schlag war deshalb so erfolgreich, weil nicht nur die Verantwortlichen ins Netz der Fahnder gerieten, sondern auch die Server beschlagnahmt wurden. Die Reaktion aus dem illegalen Umfeld kam prompt. Hinter dem erfolgreichen Schlag gegen die Filmpiraterie, die der Filmproduktion, dem Filmvertrieb, den Kinos und den DVD-Herstellern jährliche Schäden in Millionenhöhe zufügt, steht in Deutschland die GVU, die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen. Schon wenige Stunden nach der Stilllegung des Portals wurde die Webseite der GVU mit Beschwerdemails lahmgelegt. Und natürlich ist mit diesem Schlag die Filmindustrie noch nicht von diesem Übel befreit, wenngleich die Publizität dieses Vorgangs dazu führt, dass die Sensibilität des Publikums für diesen kriminellen Tatbestand geschaffen wurde. Strafen und Wirkung Den Hintermännern drohen Strafen von bis zu fünf Jahren Gefängnis sowie Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Wie erfolgreich der Schlag gegen kino.to war, zeigt, dass es mehr als fünf Wochen gedauert hat, bis das Nachfolge-Portal kinox.to wieder erreichbar war. Doch auch wenn viele Nutzer darauf zurückgreifen, sind die Reaktionen auf den einschlägigen Portalen durchaus von Respekt gegenüber dem zu schützenden Filmwerk geprägt. Offenbar haben die vielfältigen Kampagnen – insbesondere im Kino – auch dazu beigetragen, dass nur über reguläre Verwertung eine hochwertige Filmproduktion überhaupt möglich ist. Ansonsten wird es nur noch selbst gedrehte Filmchen auf YouTube geben, weil es sich kein Filmproduzent mehr leisten kann, nennenswerte Summen in einen aufwändigen Spielfilm zu investieren. Parallel zu den Portal-Betreibern geraten aber auch die Nutzer ins Visier. Dabei spielt die Frage, ob beim Streaming nun eine wenn auch nur für wenige Millisekunden realisierte Zwischenspeicherung stattfindet oder nicht, keine nennenswerte Rolle. Denn die Kopien auf den einschlägigen Portalen sind bereits illegal hergestellt worden und somit ist auch die Verbreitung wie die Nutzung illegal. KIM LUDOLF KOCH neue filme gespräch zum film Unter der Oberfläche gehren bereits die Konflikte Regisseurin Marie Kreutzer, Foto: Thimfilm Wenn die Nacht am tiefsten Geborgenheit und Freiheit Zum Tod des Vaters kehren die Kinder ins Haus der ehemaligen Kommune zurück. Nicht nur Trauerarbeit, auch Vergangenheitsbewältigung haben sie vor sich. → Ungewöhnliches Familiendrama Marie Kreutzer, 1977 in Graz geboren, studierte Romanistik und Germanistik, bevor sie an die Wiener Filmakademie wechselte und die Fächer Drehbuch und Dramaturgie belegte. Seit dem Jahr 2000 drehte sie vier teils prämierte Kurzfilme. Ihr erster Kinolangfilm „Die Vaterlosen“ feierte auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere, wo er den Preis für den besten Debütfilm erhielt. „Die Vaterlosen“ von Marie Kreutzer Der Vater ist tot, und damit auch ein Übervater gestorben. Er hatte einst eine Kommune gegründet. Die Liebe war befreit, entsprechend verwirrend die Vaterschaftsverhältnisse. Aber auch die Erziehungsmethoden des Patriarchen stehen nach all den Jahren auf dem Prüfstein. Noch seine letzten Worte im Totenbett sind eine Provokation. Marie Kreutzer entfaltet langsam und poetisch das komplexe Beziehungsgeflecht der Figuren – von der Mutter zu den Kindern und deren Partnern. Vor allem in den Rückblenden ist der Film unnötig dramaturgisch aufgeladen, womit er ein wenig seine Allgemeingültigkeit verspielt. Dennoch sieht man dem psychologischen Spiel der durchweg guten Darsteller gerne bei ihrer Selbstfindung zu. Berlinale 2011: bester Debütfilm CHRISTIAN MEYER DIE VATERLOSEN A 2011 - Drama - Regie: Marie Kreutzer - Kamera: Leena Koppe - mit: Andrea Wenzl, Emily Cox, Philipp Hochmair - Verleih: Thimfilm Start: 4.8. Die Österreicherin Marie Kreutzer über ihren Debütfilm „Die Vaterlosen“ engels: Frau Kreutzer, haben sie einen biografischen Bezug zum Thema ihres Debütfilms? Marie Kreutzer: Ich bin nicht in einer Kommune aufgewachsen, aber ich habe auch eine Familie – und ich bin auch in einem alten Haus in ländlicher Umgebung aufgewachsen. Außerdem war ich in einer Alternativschule mit dem Ideal antiautoritärer Erziehung, was sicher in die Kommunenszenen eingeflossen ist. Die Geschichte ist so sehr mit einem einzigen Ort verbunden, dass man meinen könnte, die Filmcrew hätte in dem Haus ebenso als WG gewohnt wie die Figuren. Wie gestaltete sich der Dreh tatsächlich? In dem Haus gab es weder Strom noch fließendes Wasser, das wäre also etwas unbequem geworden. Aber natürlich haben wir sehr viel Zeit zusammen in und um dieses Haus verbracht, sind dort abends nach dem Drehen in der Wiese oder am Lagerfeuer gesessen. Es war ein idealer Drehort, eine wirkliche Homebase, und alles an einem Motiv zu drehen, war auch organisatorisch sehr günstig. Der Dreh dort war eine sehr intensive Erfahrung, sodass ich mich dem Haus sehr verbunden fühle – und immer noch so etwas wie Heimweh empfinde, wenn ich daran denke. „Die Vaterlosen“ ist in der Gegenwart angesiedelt, doch es gibt auch Rückblenden. Wie hat sich das Verhältnis der Zeitebenen ergeben? Die Rückblenden-Ebene war von Anfang an Bestandteil des Drehbuchs. Sie ist allerdings immer fragmentarischer geworden, im Schnitt haben wir nochmals einige Szenen verloren. Die Rückblenden sollen sich anfühlen wie Erinnerungen – unvollständig, assoziativ, mit einer starken Atmosphäre von Sommer und Kindheit, aber eben nicht zu komplett, nicht zu erklärend. Für mich verliert der Film durch den schicksalhaften Vorfall in der Vergangenheit ein wenig seinen allgemeingültigen Charakter. Ging es Ihnen denn überhaupt um das Thema alternativer Familienmodelle im Allgemeinen? Ich sehe das nicht so. Das Ereignis in der Vergangenheit ist eng mit den Themen des Films verknüpft. Oder anders gesagt: Es ging mir um Familie im Allgemeinen, um die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Geborgenheit und Freiheit, und ich habe diese Geschichte mit genau diesem Ende gewählt, um darüber zu erzählen. Gibt es bereits Pläne für ein neues Projekt? Ja, Pläne gibt es sogar für zwei, aber ich stehe noch am Anfang der Schreibarbeit. Ich will aber nicht, dass zu viel Zeit bis zum nächsten Film vergeht, weil mich die Arbeit am Set und im Schneideraum sehr erfüllt. Ich kann mir keine schönere Arbeit vorstellen. INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER 18 neue filme Green Lantern Resturlaub USA 2011 - Action - Regie: Martin Campbell - Verleih: Warner Regisseur Martin Campbell („Casino Royal“) schickt Ryan Reynolds ins Comic-Universum: Als einziges menschliches Mitglied der Superheldenfraktion Green Lantern Corps muss er nicht nur auf Erden, sondern und vor allem im Universum für Recht und Ordnung sorgen. Im Kampf gegen Bösewicht Parallax sind dem Helden die menschlichen Züge sowohl von Vor- als auch von Nachteil. Comic-Spaß. HE Start: 28.7. D 2011 - Komödie - Regie: Gregor Schnitzler - Verleih: Sony Ein Impuls öffnet dem festgefahrenen Brauerei-Manager Pitschi Greulich (Maximilian Brückner) die Augen: Kurzentschlossen entzieht er sich dem alljährlichen Mallorca-Urlaub und steigt in einen Flieger nach Buenos Aires. Dort will er neu anfangen. Doch schon bald offenbaren sich ihm die Vorzüge seines zurückgelassenen Spießerlebens. Midlife-Crisis-Komödie. HE Start: 11.8. Die Schlümpfe Captain America USA 2011 - Trickfilm - Regie: Raja Gosnell - Verleih: Sony Ups – die Schlümpfe in New York? Schuld daran ist Schurke Gargamale (Hank Azaria, „Godzilla“), der die verschlumpften Blaublüter aus ihrem Dorf verjagte. Die blauen Zwerge mit den weißen Mützen staunen nicht schlecht über die Großstadtmenschen, wollen aber vor allem eins: Zurück ins Dorf! In neuem 3D-Anstrich schlumpfen die Kultfiguren aus Belgien zurück auf die Leinwand. HE Start: 4.8. USA 2011 - Action / Abenteuer - Regie: Joe Johnston - Verleih: Paramount Neulich noch kämpfte er als Menschliche Fackel für die „Fantastic Four“ – jetzt darf Chris Evans als Captain America im Alleingang die Welt retten. Die wird nämlich während des Zweiten Weltkriegs von einem mächtigen Nazi-Agenten bedroht (Hugo Weaving, „Der Herr der Ringe“). Comic-Spektakel aus dem MarvelUniversum mit Tommy Lee Jones und Stanley Tucci. HE Start: 18.8. Plötzlich Star Crazy, Stupid, Love USA 2011 - Abenteuer / Komödie - Regie: Thomas Bezucha - Verleih: Fox Grace (Selena Gomez) und ihre beste Freundin Emma (Katie Cassidy) haben gerade die Highschool hinter sich und begeben sich auf einen Trip nach Paris. Graces Mami aber stellt ihnen Stiefschwester Meg als Aufpasserin zur Seite. Vieles geht schief in der Stadt der Liebe, bis Grace mit einem Superstar verwechselt wird. Quietschlustige, romantische Komödie über Freundschaft und Verwechslungen. HE Start: 4.8. USA 2011 - Komödie - Regie: Glenn Ficarra, John Requa - Verleih: Warner Cal (Steve Carell) ist seit Jahrzehnten mit Emily (Julianne Moore) verheiratet – da knallt sie ihm plötzlich und unerwartet die Scheidung hin. Der Mittvierziger ist wieder Single und weiß überhaupt nicht mehr, wie man sich in dieser Rolle verhält. Jacob (Ryan Gosling) ist zehn Jahre jünger und schult ihn in Sachen Flirt und Mut für den Neuanfang. Liebeskrisenkomödie. HE Start: 18.8. Planet der Affen: Prevolution Homies USA 2011 - Science Fiction - Regie: Rupert Wyatt - Verleih: Fox Das war wohl überfällig: Nach dem Remake (2001) jetzt also das Prequel zum Science-Fiction-Klassiker von 1968. Der Film erzählt davon, wie aus den Affen schlechte Menschen wurden: Ein junger Forscher (James Franco) entwickelt ein Heilmittel, das er an Affen testet. Dabei vergisst er, zu Risiken und Nebenwirkungen seinen Arzt oder Apotheker zu fragen. Digitale Affenshow-Party. HE Start: 11.8. D 2010 - Komödie / Musikfilm - Regie: Adnan G. Köse - Verleih: Kinowelt Jimi Blue Ochsenknecht mimt den jungen Rebellen Marvin, der aus dem bürgerlichen Mief ausbrechen will. Entgegen der Vorstellungen seiner Mutter, einer Immobilienmaklerin, will Marvin nämlich eine Musikerkarriere starten. Coming-of-AgeDrama, in dem der Held seinen Weg sucht und dabei zu seinen Wurzeln stehen muss. Popstar-Juror Detlef D! Soost steht ihm dabei als Mentor zur Seite. HE Start: 18.8. 19 comickultur wortwahl Zittriger Fluss Egoshooter „Warum gibt es keine Antworten, die nicht tendenziös sind“, fragt Sarah Glidden in ihrem autobiografischen Bericht „Israel verstehen – In 60 Tagen oder weniger“ über eine Reise nach Israel. Die 10-tägige Reise wird gestiftet, um Juden aus aller Welt das Leben in Israel näher zu bringen. Glidden gelingt das, was sie suchte: Ihr Reisebericht ist geprägt von ständiger Selbstreflexion, und die Autorin ist klug genug zu wissen, dass es immer verschiedene Wahrheiten gibt. Das Ganze ist leichtfüßig in farbigen Aquarellzeichnungen erzählt, so dass Verbissenheit und Dogmatismus auf keiner Ebene eine Chance haben (Panini). Mein Haus, mein Auto, mein Vorgarten. Madame in der Wanne, mit Blick auf den Pool. Die Familie: andächtig der töchterlichen Cheerleader-Performance im heimischen Wohnzimmer beiwohnend. Dad mit schlafendem Babyboy auf dem Bauch oder die junge Lady bei der Selbstverwirklichung im heimischen Akt-Malstudio. Perfekte Inszenierungen der eigenen Häuslichkeit. So sehen sie also aus, die „Suburban Dreams“ (Kehrer, 96 S., 30€). Alles individuell arrangiert, eingerichtet, aufgeräumt und sortiert, abgestimmt und maßgeschneidert auf seine stolzen Besitzer. Nur hin und wieder durchbricht ein missmutiger Seitenblick der Ma auf ihre Tochter oder ein chaotisches Jugendzimmer das anheimelnde Vorstadtidyll. Aber nichts, was die Verwirklichung des kleinen privaten Traums gefährden könnte. Und doch sind es genau diese leisen Dissonanzen, nach denen man unweigerlich in Beth Yarnell Edwards‘ fotografischer Sammlung trauten Glücks fahndet. Wo ist der Riss in der Fassade, wo bröckelt ein wenig Putz, wo keimt der erste Funken Wahnsinn, der die in ihren kleinen Paradiesen schwelgenden Gutbürger in sich gegenseitig zerfleischende Vorstadtkrokodile verwandelt? Wann erlischen „Die Lichter von Bullet Park“ (Dumont, 256 S., 19,99€), wann implodieren sie mit großem Getöse? Alles nur eine Frage der Zeit, bis das (schein)heilige Gebäude in sich zusammenbricht. John Cheever macht da erst gar kein großes Federlesen: Hier die Hammers, deren unterschwellig brodelnder Konflikt im neu bezogenen Elysium erst richtig Feuer fängt. Dort die Nailles, die die Depression ihres Sohnes nur als schrecklich unverdienten Zusammen mit Zeichner Ryan Kelly widmet sich Brian Wood mit „Local“ einer Ausreißerin: Megan haut immer wieder ab, mit 17 dann endgültig. Sie zieht zwölf Jahre durch die USA, ist immer an anderen Orten – Großstädten, Kleinstädten, auf dem Land. Sie lernt die unterschiedlichsten Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten kennen. Mal ist sie nur Nebenfigur, meist aber steht sie im Zentrum dieses fast 400 Seiten starken Kaleidoskops eines Landes, das zugleich eine Coming-of-Age-Geschichte einer jungen Frau ist – beeindruckend (Modern Tales). Gleich ein halbes Leben spiegelt Manuele Fior mit „Fünftausend Kilometer in der Sekunde“. Eine kurze Jugendliebe ist der Auftakt, von dem aus Fior die getrennten Lebenswege der beiden Protagonisten verfolgt. Damit fängt er meisterlich die Ernüchterung vom Lebenstraum zum Alltag ein und entlässt uns mit einem Hauch Melancholie (avant verlag). Eine Kinderfreundschaft ist der Ausgangspunkt für die Gefühlsirrungen in „Hair Shirt“. Büßerhemd bedeutet das, und John büßt! Mit surrealen Alpträumen, die die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Was das alles mit seiner Freundin Naomi zu tun hat, die nach Jahren wieder in die trostlose Heimatstadt zurückgekehrt ist, muss John langsam und schmerzlich erfahren. Der Kanadier Patrick McEown zeichnet den adoleszenten Alptraum in zittrigem Fluss (avant verlag). Altmeister Enki Bilal hat sich mit „Julia & Roem“ wieder erfolgreich dem klassischen Erzählen zugewandt. So klassisch, dass er sich mit seiner Science Fiction Liebesgeschichte sogar elegant an Shakespeare anlehnt. Die Figuren in dem apokalyptischen Szenario sehen zwar nach wie vor wie Waves anno 1983 aus, aber seine geheimnisvollen Kreisezeichnungen und der untergründige Humor machen den Band zu einem Ereignis (Ehapa). Mit „Gemma Bovery“ widmet sich Posy Simmonds nach „Tamara Drewe“ (erfolgreich verfilmt als „Immer Drama um Tamara“) erneut dem Liebesleid in der britischen Mittelschicht. Anhand von Tagebuchaufzeichnungen wird das Leben der verstorbenen Gemma erzählt, die sich mit ihrem Mann in der Normandie niedergelassen hat, aber todunglücklich ist. Die Sehnsucht nach einem anderen Leben kurbelt die Ereignisse an. Wie Bilal lehnt sich auch Simmonds wieder an einen Klassiker der Literaturgeschichte an und erzählt in ihrer eigentümlichen Kombination aus Comic und Textpassagen (Reprodukt). Das Comiczeichnerinnen Kollektiv „Spring“ setzt sich in der achten Ausgabe der gleichnamigen Anthologie mit „Familiensilber“ auseinander. Nicht nur Themen und Stil, auch die Technik der Beiträge ist sehr unterschiedlich. Die Palette reicht vom klassischen Comic (Claire Lenkova, Uli Lust, Barbara Yelin) über abstraktere Grafikarbeiten, Fotoübermalungen, Pappcollagen bis hin zu bemaltem Geschirr. Ohne Rücksicht auf Grenzen wird hier der Freiheit des Erzählens gefrönt, und dass mit berührenden, persönlichen Themen. Irrtum des Schicksals zu begreifen vermögen. Nomen est Omen treibt der Bitterböseste unter den amerikanischen Vorstadtchronisten den stählernen Dorn weiter und weiter in die trügerische Glückseligkeit dieses Garten Eden. Ein grausam-geniales Spiel, das Louise Erdrich in eine vermeintlich reflektierte Künstlerehe verlegt. In einem wahren Strudel aus Sehnsucht und Leidenschaft dreht sich das Paar, ein jeder auf immer und ewig in sich selbst gefangen, schneller und schneller um sich selbst: Während Gil seine Gefühle und Stimmungen verzweifelt versucht auf die Leinwand zu bannen, treibt Irene ihren Mann – und sich selbst – mit immer perfideren Einträgen im gefälschten Tagebuch in ein Martyrium, bei dem sie ihre ganze Familie verzehren. Ein egomaner Wahnwitz namens „Schattenfangen“ (Suhrkamp, 239 S., 17,90€), bei dem nun wirklich keiner gewinnen kann. Doch selbst wenn der Mensch schon »Nackt« danieder liegt, weigert er sich immer noch ‚standhaft‘ das irdische Dilemma anzuerkennen. Die Menschen können selbst bei aller Liebe nicht miteinander verschmelzen. Vielmehr sind es die Normen und Konventionen, die uns einander ähnlich machen, mit denen wir uns in verzweifelter Leidenschaft aneinander binden und unser anarchistisches Ich ausblenden. Von Story zu Story tritt dieses Schicksal in der Sammlung bisher unveröffentlichter Erzählungen von Joyce Carol Oates zutage. So schonungslos wie beiläufig: „Die Lästigen“ (Eichborn, 384 S., 32€) sind die in uns schlummernden Ichs, die unsere mühsam errungene Eintracht beständig torpedieren. Eine Erkenntnis, die „Die Party bei den Jacks“ (Manesse, 352 S., 24,95€) auf grandiose Weise eskalieren lässt. Unfassbar, wie Thomas Wolfe in seinem erst im Nachlass entdeckten Meisterwerk sich über seitenlangen und dennoch nie ermüdenden Detailzeichnungen seinen Protagonisten nähert, vom Äußersten ins Innerste vordringt, um am Abend vor dem großen Börsencrash das Gebäude aus gesellschaftlichen Konventionen und Errungenschaften mit feiner Ironie in Flammen aufgehen zu lassen. LARS ALBAT CHRISTIAN MEYER 20 poetry textwelten Sebastian23 hat keinen Fernseher Verschwindet die Schreibschrift?, Foto: Hannah Linden Shir Khan beißt Paul Panzer in den Schritt Schreiben ist Denken Sebastian23 zählt an: elf – die Video-Kolumne Die fatale Idee, die Handschrift aufzugeben Der dumme August ist der Monat, in dem man die meiste Zeit draußen verbringt. Wenn ich so durch meine ausgedehnten Liegenschaften im grünen Süden Bochums flaniere und mir die dort lebenden Hobbits und Elfen fröhlich zuwinken, dann frage ich mich schon, ob die viele Sonne gut für mich ist. Meine Mütze wird im Sommer zu meinem privaten Hochofen und die Gedanken zu Eisenerzschlacke. Doch ich werde die Dampfhaube auch nicht abnehmen, denn dann fragen mich die Menschen immer, ob ich mir die Haare schwarz gefärbt habe. Dabei sind die einfach nur verbrannt. So trage ich also meinen Hitzkopf durch das Auenland und denke mit Wehmut an mein klimatisiertes Gutshaus, in dem mich meine Bediensteten mit sehnsüchtigen Blicken zurückerwarten. Ich bin ein guter Lehnsherr und schicke nicht mehr als drei pro Tag in die Strafkammer. Die anderen kriegen was zu essen und im Sommer sogar Getränke. Karpfen gegen Anti-Schuppen-Schampoo Das klingt vielleicht hart, aber im Zuge der Demokratiemüdigkeit unterwerfen sich immer mehr Menschen freiwillig meiner tyrannischen Willkür, denn wenigstens exportiere ich keine Panzer. Außer Paul Panzer, den verkaufe ich demnächst an eine taiwanesische Fischfabrik. Als Karpfen. Dabei hab ich gar keine Ahnung, wer dieser Paul Panzer eigentlich genau ist. Ich habe nämlich keinen Fernseher zu Hause. Im bin im Sinne des Höhlengleichnisses entrückt von der Welt. Wenn mir jemand sagt, dass das „Sommermädchen“ auf Pro7 nichts als komprimierte Dackelkacke ist, dann ahne ich nur die Bedeutung der Worte. Ich habe auch ehrlich nicht die geringste Ahnung, wer „Daniela Katzenberger“ ist und ob es diese Person wirklich gibt, oder ob sie der pervertierten Fieberfantasie einiger ehemaliger Freunde entsprungen ist. Aus Sicherheitsgründen rede ich jedenfalls nicht mehr mit denen. Die Erde ist eine linke Kniescheibe Und ich weiß auch nicht, ob das Programm schlechter geworden ist, denn ich hab schon lange keinen Fernseher mehr. Im letzten Dschungelcamp, das ich noch gesehen habe, waren Shir Khan, Mogli und Balu, der Bär. Ist lange her, aber ich glaube, Mogli wurde am Ende Dschungelkönig. Es kommen natürlich Leute zu mir, die sagen, es gäbe schon ein, zwei interessante Sendungen auf Spartenkanälen. Zu denen sage ich immer: „Freunde“, sage ich, „ich heirate doch auch keine Frau, nur weil sie eine attraktive linke Kniescheibe hat. Denkt an meine Worte: Daniela Katzenberger hat eine attraktive linke Kniescheibe.“ Dann nicken alle verständnisvoll und leicht angewidert und keiner merkt, dass ich keine Ahnung habe, was ich da grade gesagt habe. Vermutlich hab ich einfach nicht alle Schnitzel in der Pfanne, aber ich sehe nicht ein, wieso ich Geld ausgeben sollte, damit mir jemand auf Knopfdruck ins Wohnzimmer kackt. Dafür habe ich schließlich die Strafkammer für Aufsässige in meinem Hofstaat. Und in meiner Strafkammer sieht es aus, wie im innersten Kreis der Hölle: Es gibt nichts außer einem riesigen Fernseher, einem teuflisch weichen Sofa und schüsselweise frittierter Nahrungsmittel. Trotzdem benehmen sich in letzter Zeit auffällig viele Bedienstete daneben. Keine Ahnung, was mit denen los ist. TEXT: SEBASTIAN23 Sebastian23 - Die Video Kolumne: Auf youtube und auf trailer-ruhr.de 21 Wofür brauchen wir noch die Handschrift, wir schreiben doch sowieso auf dem Computer? Eine weitverbreitete Ansicht, die man offenbar auch in Hamburgs Schulbehörde teilt. Als erstes Bundesland gibt Hamburg die verpflichtende Handschrift auf, dort können die Erstklässler in Zukunft auch in Druckbuchstaben schreiben. Die Erfahrung zeigt, wo die Freigabe einmal erfolgt ist, wird das bestehende System bald verschwinden, schon alleine, weil die Lehrer keine Rückendeckung bei ihrer Arbeit mit dem alten System von Seiten der Schulbehörde zu erwarten haben. Die Einführung der Druckschrift vereinfache vielen Kindern das Schreiben, meint man in Hamburg. Eine Ansicht, die auch schon bei der Einführung der Rechtschreibreform ins Feld geführt wurde. Offenbar soll sich das gesamte System vor den IDötzchen verneigen, die ja eigentlich in die Schule gekommen sind, um etwas zu lernen. Wer einmal beobachtet hat, wie stolz Kinder darauf sind, ihre eigene Handschrift zu zeigen, wundert sich darüber, dass ihnen dieses erste Erlebnis von Erfolg und Identität genommen werden soll. Nun könnte man einwenden, dass der Untergang des Abendlandes nicht bevorsteht, wenn ein paar Sechsjährigen keine Handschrift mehr beigebracht wird. Andererseits darf man sich fragen, ob sich das Abendland nicht gerade über seine Kultur definiert. Handschrift ist ein Stück Identität, das wissen nicht nur die Graphologen. Was wir auf dem Papier sehen, ist geronnene innere Bewegung, die einen Blick auf Denken und Fühlen bietet. Dass die Buchstaben miteinander verbunden werden, entspricht nicht bloß einem Bedürfnis nach Dekoration. Spätestens seit der Veröffentlichung von Stanislas Dehaenes bahnbrechender Untersuchung „Lesen“ (Textwelten 11/2010) wissen wir, dass vom Auge jeder einzelne Buchstabe aufgenommen und im Gehirn zu einem Wort zusammengesetzt wird. Indem sich die Buchstaben zu einem Wort fügen, entsteht Sinn. Ein geistiger Prozess, dem wir im Schreiben manuell Ausdruck verleihen. Das Schreiben bildet die Bewegung des Denkens ab. Die eilige Forderung nach Effizienz ist hier fehl am Platz. Lernen braucht Zeit, hat man die, entwickelt sich Kreativität und das Neue kann geboren werden. Schreibt man in Druckschrift, muss die Hand immer wieder absetzen, der Fluss der Bewegung geht verloren, das verkrampft die Hände und man wagt sich gar nicht vorzustellen, wie jemand in der Lage sein soll, seitenweise auf diese Weise mit der Hand zu schreiben. Der Wechsel auf die Tastatur des PCs ist nur logisch. Das Schreiben stellt jedoch das Paradebeispiel für eine Kulturtechnik dar, die sich in den Körper einschreibt. So gehört die Handschrift zu den komplexesten Bewegungsabläufen des Menschen. Nicht nur die Motorik wird auf Trab gehalten auch im Gehirn geht während des Schreibens ein Feuerwerk im Spiel der Neuronen ab. Analphabeten haben tatsächlich andere Gehirnstrukturen und ziemliche Probleme mit Tätigkeiten, die feinmotorische Finesse verlangen. Hamburg steht mit seiner bequemen Entscheidung jedoch nicht alleine da, andere Bundesländer wollen nachziehen, auch NRW. Wieder einmal zeigt sich, wer vom Wert kultureller Errungenschaften nicht überzeugt ist, der schafft sie irgendwann einfach ab und da kann eine Schulbehörde sicher besonders effiziente Ergebnisse erzielen. THOMAS LINDEN popkultur in nrw improvisierte musik in nrw Slutwalk in Manchester, Foto: Phil King Ein normaler Blick hinab von Montepulciano, Foto: Olaf Weiden Good Grrrls are to be heard – and seen Kein stilles Örtchen Von Christian Werthschulte Zugegeben, manchmal ist der Titel dieser Kolumne irreführend. Denn was in diesen Zeilen Monat für Monat unter dem Label „Unterhaltungsmusik“ besprochen wird, ist ja meistens erst dann interessant, wenn es über die kulturindustrielle Klebrigkeit hinausgeht. Zwischen dem 20. und 25. August 1991 geschah dies. In dieser Woche trafen sich in Olympia, im Nordosten der USA, eine Reihe von Underground-MusikerInnen zur International Pop Underground Convention, auf der sich alle Protagonistinnen einer Szene versammelt hatten, die vielleicht letzte Jugendbewegung mit Gitarren in der Hand bilden würde: Riot Grrrl. Die Geschichte dieser Popfeministinnen hat jetzt die Essener Kulturwissenschaftlerin Katja Peglow zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Jonas Engelmann im Buch „Riot Grrrl Revisited“ aufgearbeitet. „Zum ersten Mal in der Musikgeschichte wurden bei den Riot Grrrls Frauen zu Anführerinnen einer popkulturellen Bewegung“, erzählt sie. Zwar hatten schon in der Hochphase von Punk besonders junge Frauen die alten Rollen von Fan und Sängerin verlassen und erfolgreich Bands gegründet, waren aber mit dem Abebben der ersten Punkwelle wieder in der Versenkung verschwunden. Das sollte „Unterhaltungsmusik ist sich diesmal ändern. Die Platten, Bücher und eigentlich erst dann Fanzines, „die uns ansprechen, in denen wir interessant, wenn sie uns mit eingeschlossen und verstanden fühlen“, wie es im Riot Grrrl-Manifest von 1991 kulturindustrielle Klebrigkeit hinter sich lässt.“ heißt, wurden im Selbstverlag produziert und per Eigenvertrieb um die Welt geschickt. So bildete sich ein Netzwerk, das auch dann noch Bestand hatte, als die Medien das Phänomen als „Girlie“ längst verniedlicht hatten. Und auch der Sound änderte sich im Laufe der Jahre. Waren die ersten Riot Grrrl-Veröffentlichungen noch lärmige Punkplatten, orientierten sich die Protagonistinnen der Szene spätestens ab den späten Neunzigern am DIY-Gedanken elektronischer Musik. So schafften die Riot Grrls den Brückenschlag zu queeren Subkulturen und wurden zu Vorbildern. Wenn Beth Ditto, die Sängerin von The Gossip, am 30.7. als Headlinerin beim Juicy Beats auftritt, dann nur, weil sie als Jugendliche von den Riot Grrrls inspiriert wurde, ihre eigene Band zu gründen. „Nach der Aufbauarbeit der Initiative Rocksie! in den frühen Neunzigern ist spätestens mit Beth Dittos Auftritt das Phänomen auch im Ruhrgebiet angekommen“, urteilt Peglow. „Und dann findet zwei Wochen später noch der erste Slutwalk statt.“ Eine Parallele, die einleuchtet. Die Riot Grrrls forderten in ihren Songs immer wieder das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein - genau wie es die Teilnehmerinnen der Slutwalks auch tun. Der erste Slutwalk fand im April 2011 in Toronto als Reaktion auf die Äußerung eines ein Polizisten statt. Dieser hatte erklärt, dass Frauen sich nicht „wie Schlampen“ kleiden sollten, wenn sie sexuelle Gewalt vermeiden wollten. „Dadurch findet eine Schuldumkehrung statt, die absolut fatal ist“ erklärt Anni Lischewski vom Organisationsteam Ruhr. Sexuelle Gewalt sei in erster Linie in ungleichen Machtpositionen begründet. In Anlehnung an die 2000 Frauen, die in bewusst ‚schlampiger‘ Kleidung zum Hauptquartier der Polizei in Toronto zogen, will der SlutWalk Ruhr am 13.8. in der Essener Innenstadt demonstrieren. „Wir gehen auf die Straße Christian Werthschulte für unser Recht auf Selbstbestimmung - über unsere Körper lebt in Köln und mag Pop und unsere Leben.“ Von Olaf Weiden Bildungsreisen führten gern mal gen Italien, ganz berühmte Visiten verknüpfen sich mit dem Namen Goethe und denen der Familie Mozart. Auch Mendelssohn reiste in das Land, in dem „Hier wurde ein Paradies gealle Pizzabäcker angeblich so schön singen schaffen für kreative Leute“ können. Und er war entsetzt, wie schändlich nachlässig, geradezu schlampig die Italiener mit der hohen Kunst ernster Musik verfuhren. Auch heute strotzt das Land in Stiefelform nicht mit den tollsten Orchestern der Welt, die wohnen ganz woanders. Was dieses Land aber bieten kann, gerade einem Reisenden, das ist die Allgegenwärtigkeit von kultureller Geschichte, das sind sanfte, herrlich von der Natur gemischte Farben, flammende Pflanzenbüsche und fließende Hügellandschaften. Diese einzigartige Rezeptur können sich seit zehn Jahren Musikstudenten in ganz Europa verschreiben und sich auf einen Meisterkurs im sonnigen Montepulciano bewerben. Die Hochschule für Musik und Tanz Köln hat damals einen verrotteten Palazzo in jenem toskanischen Bergstädtchen angemietet, in dem in den Siebzigern der heute sehr prominente Komponist Hans Werner Henze mit der Stadtverwaltung ein erstes Musikfestival gegründet hatte. Nach zehn arbeits- und – durch Sponsoren gedeckt – kostenintensiven Jahren steht heute der Palazzo Ricci, den einst ein mehrfacher Papstkandidat bewohnte, wie ein Vorzeigeobjekt da. Ein Konzertsaal, Probenzimmer, Räume der Stille und natürlich Räume für die Organisation sind bestens mit Instrumenten und Gerät ausgestattet. Zum zehnjährigen Geburtstag schenkte sich das erste und einzige eigene, im europäischen Ausland gelegene Institut einer deutschen Musikhochschule ein kleines Festival mit Dozentenkonzerten, studentischen Vorspielen und öffentlichen Meisterkursen, die von einer ganzen Schar prominenter Vertreter aus Politik und Wissenschaft besucht wurden. Das Institut genießt nämlich große Aufmerksamkeit auch auf Landesebene, die es 2010 zu einem „Internationalen Kolleg Montepulciano“ beförderte, was nun auch interdisziplinäre Projekte für die Studierenden an Kunst- und Musikhochschulen in NRW ermöglicht. Übersetzt für den Alltag: Hier wurde ein Paradies geschaffen für kreative Leute, die in ihrer Freizeit oder als Teil ihrer Ausbildung eigeninitiativ Fortbildung auf höchstem Niveau und in höchster Konzentration betreiben wollen. Die Bedingungen sind sensationell, die Stimmung im nur mäßig touristisch belasteten Ort ist sehr entspannt, die Bewohner geben sich freundlich, der Wein ist gut, das Essen ist besser. Mit den gehobenen Umständen wächst auch die Bereitschaft prominenter Dozenten aus Klassik und Jazz, diese Reise anzutreten. Aber wer einmal die muffig satte Luft in den kühlen Weinkellern oder die würzig warmen Stadtwinde im Burgpark geschnuppert hat, den lässt dieser schöne Ort nicht mehr los. Sensationell ist der Blick aus den Fenstern des Palazzos, besonders wenn die Sonne sich langsam hinter die Hügelketten senkt. Die Auslastung des Hauses tendiert bei den Meisterkursen aktuell gegen 100 %, und Projekte auf Landesebene stecken noch in den Kinderschuhen. Da ist „Improvisation“ angesagt, das Thema des im nächsten Monat beginOlaf Weiden arbeitet nenden ersten gemeinsamen Kolleg-Projekts artfremder als Musiker und Musikkritiker in NRW. Kunsthochschulen aus NRW. Auf nach Monte! Riot Grrrl Revisited von K. Peglow und J. Engelmann, Ventil Verlag 2011. 16,90 € SlutWalk Ruhr I 13.8. I Essen I www.slutwalkruhr.blogsport.de www.palazzoricci.com www.hfmt-koeln.de/hochschule/institute-und-zentren/montepulciano Die Geschichte der Riot Grrrls ist noch nicht zu Ende In Montepulciano lehren Meister Klassik und Jazz 22 kompakt disk Rumpeln im Gebälk And so I watch you from afar ist der Name einer nordirischen Band, die sich dem instrumentalen Mathcore verpflichtet. Auf ihrem zweiten Album „Gangs“ gibt es tricky Rhythmen, Breaks und Tempowechsel. Die Gitarre kratzt immer haarscharf an Metal- und Art Rock-Klischees vorbei, die Double-Bassdrum ergänzt den Eindruck, als Gegengewicht gibt es aber Punk Rock-Feeling (Richter Collective). Wooden Shjips benennen sich zwar nach einem Stück von David Crosby (mit Schreibfehler), beziehen sich mit ihrem Space Rock aber deutlich auf die psychedelischen Hippies bzw. deren Nachfahren. Als hätte es Spacemen 3, deren Sonic Boom produziert hat, nie gegeben (Thrill Jockey). Der zwölfte Jahresbericht von Kölns Techno-Flagschiff Kompakt fährt die Anstrengungen der letzten Jahre etwas zurück und präsentiert sich als einfache CD. Zwölf Stücke gibt es auf „Total 12“. Mit dabei sind alte Hasen wie Wolfgang und Reinhard Voigt, Michael Mayer, The Modernist, Superpitcher und Matias Aguayo und einige Neuzugänge mit meist geschmackvollem, melodiösen Techno – ein paar Mal rumpelt es aber auch ordentlich im Gebälk. Noch ein Lokalmatador: Hans Nieswandt, seit Ewigkeiten bekannt als DJ, Autor und Produzent, versammelt auf „Hans is playing House“ seine Remixe der letzten Jahre. 14 Mal hat er Originale von Knarf Rellöm über Jens Friebe zu Barbara Morgenstern individualistisch verhoused, ohne Angst vor drolligem deutschen Disco (bureau b). Die französischen DJs Jess & Crabbe stellen mit "Bazzerk – African Digital Dance“ auf zwei CDs Kuduro vor, eine Musik aus Angola, die afrikanische Rhythmen und Sounds mit Techno, House, Rap und Dancehall mischt. Eine Verwandtschaft zum rauen Baile Funk aus Brasilien lässt sich ausmachen. International bekannt geworden ist der Stil durch die Portugiesen Buraka Som Sistema und M.I.A., die den Sound in ihre Musik einfließen lässt. „Bazzerk“ versammelt 27 umwerfende Dancetracks (Mental Groove). Aus Mali kommt das L'Orchestre Kanaga de Mopti, deren gleichnamiges Album 1977 auf einem staatlichen Label erschien und inzwischen Kultstatus genießt. Was nicht wundert, denn der Afro Funk ist sehr mit typischen Stammesgesängen und tribalistischen Xylophon-Phrasen durchsetzt – großartig (Kindred Spirits). In der „Original Album Series“ werden für wenig Geld fünf Original-Alben in dünnem Originalcover ohne Schnickschnack zusammengefasst. Neben vielem mediocrem 70er und 80r Kram erscheint jetzt auch je eine Box von zwei der bedeutendsten Jazz-Erneuerern: John Coletrane und Ornette Coleman. Beide Boxen demonstrieren mit den Alben für das Label Atlantic – darunter das programmatische „Free Jazz“ von Coleman, den Umbruch in den frühen 60er Jahren zum freieren Jazz (Rhino). Das Harmonium sieht aus und spielt sich wie eine Kirchenorgel, die Tonerzeugung ist ähnlich wie beim Akkordeon. Man kennt es in der Popmusik vor allem von Nico. Auf Sigbjørn Apelands instrumentalem Soloalbum „Glossolalia“ ist es sehr flächig eingesetzt, wogt mal beruhigend, mal schaukeln sich die Klangwellen hoch oder getragene Melodien halten einkehr. Sehr schön, sehr kontemplativ (Hubro). Jim O'Rourke arbeitet seit Jahren an der Grenze zwischen Pop und Experiment. Mit der Reihe Old News räumt er sein Archiv auf und veröffentlicht experimentelle Stücke der letzten 15 Jahre. „Old News #5“, versammelt vier Stücke von 1992 bis 2010, deren elektronische Klänge wie ein Geräuschorchester erscheinen, mitunter sehr harsch, dann wieder schälen sich wunderbare Melodien aus den Drones. Vinyl only (Editions Mego). CHRISTIAN MEYER 23 wupperkunst Ausschnitt aus: Hans von Marées, Skizze der „Pergola“, 1873, Öl auf Leinwand, 73,5 x 63 cm (Ausschnitt), © Von der Heydt-Museum, Wuppertal Der Maler als eigener Herr Das Von der Heydt-Museum zeigt Selbstporträts aus seiner Sammlung Ausstellungen zum Selbstporträt sind selten. Denn so viele derartige Bildnisse gibt es ja gar nicht, und dann werfen sie in ihrer Verschiedenheit ein Bündel an Fragen, Überlegungen und Ansätzen auf. Bei diesen Werken ist der Künstler alleine oder mit anderen zu sehen, in der Ausübung seiner Tätigkeit oder in gesellschaftlichen Zusammenhängen oder ganz auf sich konzentriert. Im Gegensatz zum Auftragsporträt entscheidet ausschließlich der Künstler, was er mitteilen möchte und wie er sich folglich darstellen möchte, ob es ihm gefällt oder nicht. Das Selbstporträt vermittelt Statusbehauptung und Selbstbewusstsein, auch in eigenen Krisenzeiten. Der Künstler versteht sich als herausgehobene Persönlichkeit – und oft stellt das Selbstporträt einen besonderen, verdichteten Höhepunkt in seinem Werk dar. Kurzum, man kann die künstlerischen Beiträge dieser persönlichsten künstlerischen Gattung aus der Zeitgeschichte heraus begreifen oder sie etwa malerisch oder psychologisch untersuchen und verorten. Dazu sind Selbstporträts meist schonungslos und ungeschönt. Sie intensivieren die Wahrnehmung des Gesichts und des Körpers, mit dem Ziel, hinter jede Oberfläche zu dringen. Wichtig ist oft die Kenntnis von der Lebenssituation, in der sich der Künstler da befand. All das spricht nun die Ausstellung an, die das Von der Heydt-Museum ganz aus seinem eigenen Besitz zusammengestellt hat. Sie umfasst – locker präsentiert – rund vierzig Kunstwerke: Gemälde, Papierarbeiten, Skulpturen und eine fotografische Sequenz, in welcher der abstrakt-informelle Maler Wols (1913-51) seine Mimik spielen lässt. Die zeitgenössische Kunst aber ist in der Ausstellung deutlich in der Unterzahl; tatsächlich spielen Porträt und Selbstporträt seit langem schon keine so große Rolle mehr. Und während ein zeitgenössischer Maler wie der aus Wuppertal stammende Peter Schmersal ausschließlich sein Gesicht, und das auch nur im Ausschnitt zeigt, – wobei er sein eigenes Sehen und Wahrnehmen thematisiert – stellen sich die früheren Generationen mit ihren Darstellungen meist in künstlerische oder gesellschaftliche Kontexte. Auf den Werken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts liegt nun auch der Schwerpunkt der Ausstellung, entsprechend zur grandiosen Sammlung des Von der HeydtMuseum. Deren hoher Rang blitzt bereits bei diesen wenigen Arbeiten auf. In unsicheren politischen Zeiten Vertreten sind Künstler wie der „Brücke“-Maler Otto Mueller mit seinem „Selbstbildnis mit Pentagramm“ (1922) als still konzentrierter Bohème in einer mystischen, von Geheimnis umwehten, dabei nicht weiter bestimmten Umgebung, und Oskar Kokoschka mit seinem expressiven Selbstbildnis (1917), welches sich vor einem blauen Fond direkt dem Betrachter zeigt und psychische Labilität signalisiert. Ganz anders dagegen Otto Dix im Vordergrund des Gemäldes „An die Schönheit“ (1922), kontrolliert im Blick und in der Haltung, fast lauernd und mit wenig Interesse an der Tanzszene dahinter. Im Anzug und mit dem Telefonhörer definiert er sich hier nicht als Maler im Atelier, sondern als aufmerksamer Berichterstatter in unsicheren politischen Zeiten, mit Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Natürlich ist Hans von Marées dabei, der 1837 in Elberfeld geborene Maler aus dem Kreis der Deutschrömer, der 2008 mit einer Einzelausstellung im Von der Heydt-Museum gewürdigt wurde. Ausgestellt ist jetzt die Öl-Skizze zum „Pergola“-Fresko in der Stazione Zoologica in Neapel (1873), in der er sich sitzend am Tisch gemalt hat: den Kopf auf die linke Hand gestützt und ruhig zum Betrachter schauend – so hat er sich in allen seinen Selbstbildnissen gezeigt. Sein berühmtes Selbstbildnis mit Hildebrand und Grant (1873), das die gleiche Tischgruppe zeigt, ist freilich zunächst noch in der hauseigenen SchatzhausAusstellung zu sehen. Nach auswärts aber entliehen ist derzeit Max Beckmanns Selbstbildnis (1915) – denn die Bilder des Von der Heydt-Museums gehen auf Reisen, als Leihgaben zu externen Ausstellungen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass das Wuppertaler Museum seinerseits demnächst für seine Alfred Sisley-Ausstellung Gemälde anderer Museen erhält. Aber erst anhand dieser feinen und tiefschürfenden Schau der Selbstporträts wird deutlich, wie außerordentlich die Dimensionen und Facetten der eigenen Sammlung sind. THOMAS HIRSCH „Ich!“ – Künstlerporträts in der Sammlung des Von der Heydt-Museum Bis 3.4. 2012 I Von der Heydt-Museum I 0202 563 62 31 24 kunst in nrw kunstwandel Ernesto Neto: Humanóides, 2011, Thyssen-Bornemisza Art Comtemporary, Foto: courtesy of Galeria Fortes Vilaca, Sao Paulo/Arp Museum Bahnhof Rolandseck Cindy Sherman, „Untitled Film Still # 25“, 1978, Courtesy Galerie Sprüth Magers Skulptur der Gegenwart Das Konzept des Bildes Von Thomas Hirsch Am Anfang jeder ernsthaften Themenausstellung steht die Feststellung wiederkehrender Sachverhalte. Derzeit wenden sich (jedenfalls) drei Ausstellungen der zeitgenössischen Skulptur zu und gehen ihren spezifischen Phänomenen nach. Sie legen diese frei und klären die Verfahren und den „Look“. Eine Ausstellung im renommierten Museum Morsbroich in Leverkusen widmet sich der Rolle der Collage bei der Konstitution dreidimensionaler Arbeiten: dem „Zusammengesetzten“ heutiger Skulpturen, wobei die Verbindungsstellen häufig provisorisch wirken und die Einheit der Erscheinung relativieren. Unterschiedliche Wirk„Motive und Modi kehren wieder“ lichkeitsfragmente sind zueinander gesetzt, nach System und einer Konzeption folgend. In Leverkusen werden dazu sehr verschiedene Positionen vorgestellt, die das Spektrum zwischen einheitlicher Erscheinung und offen vorgetragener Assemblage mit unterschiedlichen Materialien umreißen. Durchgehend findet sich die Neugierde der Künstler an den Wirkweisen und Erscheinungen des Heterogenen, am Disparaten, das wie ein Riss durch die Konstruktion fährt und so deren Dreidimensionalität betont. „Schnitte im Raum“: ein kluger Ausstellungstitel. Dass zeitgleich die Ausstellung „Biomorph!“ im Arp Museum Bahnhof Rolandseck stattfindet, ist eine glückliche Koinzidenz. Sie geht anderen Befunden im Bereich der aktuellen Plastik nach, auf der Grundlage des Werkes von Hans Arp (1886-1966). Sie stellt seine anthropomorph anmutenden Formulierungen mit einer homogenen Oberfläche vor – als revolutionäre Neuerung, die bis in die zeitgenössische Kunst hinein wirkt, und sie zeigt dafür Beispiele. Weitere Aspekte, die ausgehend von Arps organischer Abstraktion sowohl mit seinen Arbeiten als auch mit Werken heutiger Künstler angesprochen werden, betreffen das Verhältnis von Gesamtform und detaillierter Strukturierung sowie die volumetrische Präsenz, die sich sukzessive in den Raum hinein tastet. Dazu sieht man im Bahnhof Rolandseck etliche hervorragende Werke, etwa von Tony Cragg, Ernesto Neto und Thomas Rentmeister. Wenn von der Formensprache von Hans Arp die Rede ist, ist natürlich Richard Buckminster Fuller (1895 - 1983) nicht fern, und umgekehrt. Umso mehr macht es Sinn, auf die Werkschau des amerikanischen Architekten, Theoretikers und Ökologen und auf die begleitenden Beiträge jüngerer Künstler im Marta Herford hinzuweisen. Tatsächlich kehren die Motive und Modi seiner biomorphen Architektur mit schwebenden Strukturen und geodätischen Kuppeln und sein utopischer Anspruch zumal in jüngerer Zeit – oft implizit und aus innerer Notwendigkeit – wieder, hier zu sehen anhand von Werken etwa von Björn Dahlem, Olafur Eliasson und Michel François. Vor allem hier und in Leverkusen gibt es zudem weniger bekannte Künstler zu entdecken. Alle drei Ausstellungen aber zeichnet noch eines aus: Indem sie die Gemeinsamkeiten hervorheben, Thomas Hirsch ist arbeiten sie auch die jeweiligen Eigenheiten heraus – eben Kunsthistoriker, Kudas, was Stil ausmacht. rator und Journalist. Von der Technik hinter den klimatisierten Räumen im Bonner Kunstmuseum ist nichts zu sehen oder zu hören, dennoch ist die unsichtbare Belüftungsanlage irgendwie symbolisch für die aktuelle Ausstellung „Through the Looking Brain“. Die sehenden Gehirne sind international renommierte Fotografen, die nicht grummelig wie Humpty Dumpty aus Lewis Carrols Fortsetzung von Alice im Wunderland, aber doch kritisch die Welt betrachten. An der Museumsmeile ist jetzt die nie öffentlich gezeigte, international bedeutende Fotosammlung der Schweizer Zellweger Luwa AG zu sehen, die sich als multinationaler Konzern mit Klima- und Lüftungsanlagen beschäftigt und sich eine solche Sammlung leistet, deren wertvolle Exponate aber mitarbeiterfreundlich in Büros und Kantinen hingen. Nach dem Eintritt in die verwinkelten Ausstellungsräume lassen die Formate der Fotografien den Betrachter erst einmal erstarren. Rund sechs Quadratmeter Fläche bei Thomas Ruff, Andreas Gursky oder Jeff Wall werden nicht mehr in der muffigen Dunkelkammer abgezogen. Diese Bilder benötigen schon industrielle Präzisions-Plotter, um fehlerfrei reproduziert zu werden. Es waren die Söhne der Firmengründer (Ruedi und Thomas Bechtler, Ruedi Bechtler ist selbst Fotograf) die 1990 die fotografische Sammlung begründeten, sie gilt heute als eine der besten und umfassendsten Sammlungen im Bereich konzeptueller, vorwiegend seriell angelegter Fotografie. Da sind natürlich alle Größen des Kunstmarkts vertreten, ihre Meisterwerke hängen wie selbstverständlich in jedem großen Museum weltweit. Darunter Abzüge die schon oft gesehen wurden, wie die inszenierten Landschaften von Jeff Wall, das riesige „Paris, Montparnasse“ (1993) von Andreas Gursky, aber auch die ersten Filmstills (# 25, 1978) von Cindy Sherman. Erstaunliche Entdeckungen kann der Besucher aber auch machen. Ungewöhnlich wie viele Künstler, die normalerweise nicht mit dem Medium Fotografie verbunden werden, in dieser Ausstellung vertreten sind. „Psychobuildings“ (1988) nennt da Martin Kippenberger seine Serie aus 85 Alltagsdokumentationen und „zufälliger Landart“. Von Sigmar Polke ist die Fotoserie „Magie der Dinge“ von 1969 zu sehen. Auch Imi Knoebel hat in dieser Zeit mit serieller Schwarzweiß-Fotografie experimentiert (Projektion I, 1968-71). Fast ein Jahrzehnt davor hatte Ed Ruscha die Konzeptfotografie in eine neue Dimension gehoben. Er fotografierte Tankstellen (Gasoline Stations, 1962) entlang der berühmten Route 66, und das mit absichtlicher Fehlerhaftigkeit. Langeweile und Gleichgültigkeit scheinen die menschenleeren Darstellungen zu dominieren. Menschenleer sind auch die 111 Doppelbelichtungen vom schweizerischen Künstlerduo Fischli und Weiß, die einen ganzen Raum füllen. Die „BlätterBlumen-Box“ (1998) zeigt Pflanzen, Obst und hin und wieder ein paar Schmetterlinge. Durch das visuelle Bombardement intensiver bunter Motive, deren Anachronismus aus fotografischen Stilleben und Naturdokumentation durch die geschickte Überblendung noch verstärkt wird, zitieren Fischli und Weiß nicht nur die klassische Moderne, sondern auch die enorme Bilderflut und die nicht eindeutige Wahrhaftigkeit der fotografischen Abbildung. Ausstellungen in Leverkusen, Remagen und Herford „Through the Looking Brain“ im Bonner Kunstmuseum PETER ORTMANN „Schnitte im Raum – Skulpturale Collagen“ Bis 21.8. I Museum Morsbroich in Leverkusen „Biomorph! Hans Arp im Dialog mit aktuellen Künstlerpositionen“ Bis 22.1. 2012 I Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen „Wir sind alle Astronauten. Universum Richard Buckminster Fuller im Spiegel zeitgenössischer Kunst“ I Bis 18.9. I Marta Herford “Through the looking brain” I Kunstmuseum Bonn Bis 25.9. I 0228 77 62 60 25 sammlung Filmstill aus: Neon Genesis Evangelion, Abbildung: Studio Khara_Universum Film GmbH „Es gibt keinen großen Bruch“ Anime zwischen Tradition und Moderne. Kurator Stefan Riekeles über die Ausstellung „Proto Anime Cut“ im HMKV im Dortmunder U Auch wenn die Möglichkeiten der Computergrafik immer ausgefallener und unsichtbarer werden, beim japanischen Anime, einem filmischen Genre, bei dem man die neueste Technik hinter den laufenden Bildern immer vermuten würde, spielt sie nur eine begleitende Rolle. Noch immer sitzen die Zeichner mit Bleistift und Pinsel vor Papierstapeln, um den Filmen diese unnachahmliche Optik zu geben. engels: Herr Riekeles, ist Heidi in Japan in der postatomaren Apokalypse angekommen? Stefan Riekeles: Aus heutiger Sicht ist Heidi für Anime interessant, weil in den 1970er Jahren in Deutschland kaum jemand wusste, dass es eine japanische Produktion war. Andererseits ging auch das japanische Publikum davon aus, dass es keine japanische Produktion ist, weil es in den Bergen in Europa spielt und nicht besonders japanisch aussah. Aber irgendwie erinnern viele Figuren noch heute an Heidi. Die großen Augen, auf die Sie anspielen, sind nicht von den Heidi-Produzenten vorangetrieben worden. Die lassen sich eher auf eine Entwicklung zurückführen, die von Osamu Tezuka ausging, der in seinen Comics immer mehr Wert auf die Ausarbeitung der Augen gelegt hat. Seine Mangas hatten einen großen Einfluss auf die Entwicklung. Heute existiert ein stereotypes Bild von Anime Figuren, die große Augen und mindestens noch einen Roboteranzug in der Garderobe hängen haben müssen. Das erklärt sich einmal aus der Faszination für Zukunftsszenarien, für die Anime immer ein Medium waren, aber auch aus einer Verweigerung oder der Suche nach Identität jenseits der japanischen. Das Besondere an den großen Augen ist, dass es eben keine asiatischen sind, deshalb sind die so groß. Von „Godzilla“ bis „Ghost in the shell“ sind viele Ängste der Japaner auch in die künstlichen Welten, in sehr spezieller Science-Fiction eingebunden. Inwieweit spielt denn die Hiroshima-Bombe in der Entwicklung von Anime eine Rolle? Die Hiroshima-Bombe in Japan ist ein noch immer sehr schwieriges Thema. Es ist bekannt, dass die Geschichtsaufklärung, wie wir sie für den 2. Weltkrieg fast exzessiv betreiben, in Japan nicht besonders stark stattfindet. Es gibt aber in Filmen und Comics diese Monster und Mutanten, die durch Strahlung jedweder Art aus dem Meer kriechen. Meiner Meinung nach können die tatsächlich als so eine Verarbeitungslei- werden, dass es den typischen Anime-Look behält, stung gelesen werden. Vor allem Godzilla, der nur ein der eben immer etwas Handgezeichnetes hat. Man paar Jahre nach dem Bombenabwurf aus dem Meer sieht das am besten bei den Zeichnungen von Takashi Watabe, der ganze Räume als 3D steigt und erst mal Tokio verwüComputermodelle entwirft, die als stet. Und er hat unzählige Nach„Der Regisseur hat beim Computergrafik eigentlich relativ folger – also rumort da was. Die Anime eine wesentlich schnell gerändert werden könnten, Godzilla Filme werden auch nie abstärkere Rolle als im norer druckt sie aber nur als Rastermogeschlossen werden, genauso wie mal gedrehten Film, weil er sich die Monster-Ikonografie in tatsächlich die komplette Welt dell aus, zeichnet dann noch mehr Details ein, scannt alles wieder den Mangas und Animes fortsetzt. kontrollieren und die kreaEs gibt also tatsächlich so eine Art tiven Entscheidungen sehr viel ab und danach ist es einfach eine handgezeichnete Hintergrundvorvon Aktualität der Bombe in der jadirekter umsetzen kann.“ lage. Die Digitalisierung dringt tief panischen Kultur, und das Bedürfnis sich damit auseinander zu setzen. Diese Kreaturen in die Produktionsprozesse ein, wodurch zum Beispiel sind ein gutes Medium, um sozusagen zwischen Tech- manche Hintergrundbilder, die wir in der Ausstellung nik, Kultur, Natur zu operieren und das zu verhandeln. sehen, relativ leer wirken. Bei den Layouts fehlen dann immer die entscheidenden Stellen, da steht dann nur Die Filme sind immer ein Gesamtkunstwerk. Domi- ein großes 3D-CG, das ist der Aufruf an die Computergrafik da nachzulegen. Nur die Konzeptentwicklung nieren die Zeichner sie? Die Filme sind Gesamtkunstwerke in dem Sinne, dass und ersten Zeichnungen sind immer Bleistiftzeichein ganzes Team daran beteiligt ist und gemeinsam nungen auf billigem Papier. Die tragen aber schon die ein Kunstwerk schafft. Es gibt einige dominante Stel- Botschaft in sich. len in der Produktion, in der Entscheidungen getroffen werden, die den Gesamt-Look und den gesamten Das Potential für die Zukunft? Film durchdringen. Das sind aber nur wenige Positi- Es geht schon in den letzten Jahren immer mehr daonen. Das sind das Storyboard, das Concept Design, rum, große Franchises um einzelne Figuren und eindas Background Design, die Charakterentwürfe, die zelne Storys zu bauen. Die Welt in „Evangelion“ haAnimation und alles koordiniert vom jeweiligen Regis- ben wir hier, aber es gibt Hunderte solcher Universen, seur. Der Regisseur hat beim Anime eine wesentlich wo es eine ganz enge Medienverknüpfung zwischen stärkere Rolle als im normal gedrehten Film, weil er Computerspielen, Animes, Mangas, Figuren, Spiele für tatsächlich die komplette Welt kontrollieren und die Handy und Internetportale gibt. Da wird versucht ein kreativen Entscheidungen sehr viel direkter umsetzen ganzes Verkaufssystem aufzubauen, das von verschiekann. So gibt es da beispielsweise wenig Verhand- denen Firmen bedient wird die alle auf einen Handlungsspielraum für den Kameramann. Aber der Con- lungsuniversum gründen. Das wird stark zunehmen cept Designer hat dafür eine wesentlich stärkere Rolle, und auch bei uns wahrscheinlich immer weiter wahrweil er die Welt erschaffen muss und erst mal nach genommen werden. seinen Kriterien entwirft. INTERVIEW: PETER ORTMANN Shinji Aramaki hat 2004 auf der DVD von „Appleseed“ im Interview gesagt, dass er bestimmte Szenen vorsätzlich einfach gezeichnet hat, um zu zeigen, welche technischen Möglichkeiten zu der Zeit möglich waren. Wie weit ist die Animation vorangeschritten? Das Verblüffende an Anime ist, und das kommt hoffentlich auch durch unsere Ausstellung heraus, dass es trotz einem Jahrzehnt Digitalisierung immer noch aussieht wie Anime. Es gibt keinen großen Bruch und eines der wirklich verblüffenden Erkenntnisse ist, dass zwar computergenerierte Bilder an allen Stellen eingesetzt werden, sie zum Schluss so überzeichnet 26 „Proto Anime Cut – Räume und Visionen im japanischen Animationsfilm“ HMKV im Dortmunder U I Bis 9.10. 0231 496 64 20 ZUR PERSON Stefan Riekeles (35) studierte audiovisuelle Medien in Stuttgart, Neue Medien in Zürich und Kulturwissenschaft in Berlin. Seit 2002 ist er Projektleiter und Kurator für die „transmediale“, Festival für Kunst und digitale Kultur Berlin. 2008 gründete er zusammen mit Andreas Broeckmann „Les Jardins des Pilotes“. Foto: Peter Ortmann kunst-kalender KLEVE – Museum Kurhaus www.museumkurhaus.de Max Pechstein, bis 1.11. Der Hauptvertreter der deutschen expressionistischen Malerei in einer Werkschau BOCHUM – Kunstmuseum www.bochum.de/kunstmuseum Carl Andre, bis 28.8. Der amerikanische Pionier des Minimalismus Bildvertrauen/Studio Jaeschke, bis 7.8. Gegenständliche Malerei und Plastik aus Deutschland seit den 1970er Jahren BONN – Kunstmuseum www.kunstmuseum-bonn.de Rosemarie Trockel, bis 4.9. Zeichnungen, Collagen und Entwürfe für Bücher der bedeutenden Kölner Künstlerin BONN – Kunst- und Ausstellungshalle www.kah-bonn.de Anime!, bis 8.1.2012 Überblick über die Ästhetik und Produktionsweisen der japanischen Animationsfilme BOTTROP – Josef Albers Museum www.quadrat-bottrop.de Yuji Takeoka: Museo, bis 11.9. Werkschau des puristischen Objektkünstlers BRÜHL – Max Ernst Museum www.maxernstmuseum.lvr.de Kurt Schwitters & Ray Johnson, bis 21.8. Positionen des Dadaismus und Surrealismus DÜSSELDORF – Kunsthalle www.kunsthalle-duesseldorf.de KÖLN – Museum Ludwig www.museum-ludwig.de Sternstunden des Glamour, bis 4.9. Frühe Fotografien zu Mode und Filmstars KÖLN – SK / Photographische Sammlung www.sk-kultur.de August Sander – Sardinien, bis 21.8. Der berühmte deutsche Fotograf mit seiner Dokumentation von Sardinien von 1927 KÖLN – Wallraf-Richartz-Museum www.wallraf.museum Vasari 500, 19.8.-13.11. Italienische Zeichnungen des 15./16. Jahrhunderts aus der Museumssammlung KREFELD – Haus Esters www.kunstmuseenkrefeld.de Latifa Echakhch, bis 25.9. Die marokkanische Mies van der RoheStipendiatin mit ihren poetischen Werken LEVERKUSEN – Museum Morsbroich www.museum-morsbroich.de Schnitte im Raum, bis 21.8. Zeitgenössische plastische Kunst, für die Collage und die Assemblage konstitutiv sind MÖNCHENGLADBACH – Museum Abteibeiberg www.museum-abteiberg.de Tomma Abts, 16.7.-3.10. Die Turner-Preisträgerin mit einer neuen Werkgruppe abstrakt geometrischer Malerei DÜSSELDORF – K 20 Kunstsammlung www.kunstsammlung.de Evelyne Axell, bis 3.10. Werkschau der belgischen Pop Art-Malerin Move – Kunst und Tanz seit 1960, bis 25.9. Internationale Koryphäen der Avantgarde zwischen bildender und darstellender Kunst DÜSSELDORF – Museum Kunstpalast www.smkp.de Das Bauhaus und danach, bis 18.9. Werner Graeff und weitere Künstler mit Tendenzen zu Einfachheit u. Geometrie um 1950 Metallarbeiten 1920er-1950er J., bis 16.10. Kunsthandwerk des Art déco und des Jugendstil aus der Sammlung Giorgio Silzer DUISBURG – Museum DKM www.museum-dkm.de Iran Amlash, bis 24.10. Beiträge zur eisenzeitlichen Kultur im Norden des Iran, 9.-8. Jahrhundert v. Chr. DUISBURG – Lehmbruck Museum www.lehmbruckmuseum.de Fabrice Samyn, bis 21.8. Der belgische Konzeptkünstler im Dialog mit der Gemälde-Sammlung ESSEN – Museum Folkwang www.museum-folkwang.de Joel Sternfeld, bis 23.10. Elf Projekte im Werk des US-amerikanischen Pioniers der Farbfotografie ESSEN – Villa Hügel www.villahuegel.de Krupp Fotografien, bis 11.12. Einblick in das bedeutende Fotoarchiv zwischen Repräsentation und Dokumentation MÜLHEIM a.d. RUHR – Kunstmuseum www.kunstmuseum-mh.de OBERHAUSEN – Ludwiggalerie www.ludwiggalerie.de Elliott Erwitt, bis 11.9. Der amerikanische Fotograf mit seinen Dokumentarfotografien und Hundefotos RECKLINGHAUSEN – Kutscherhaus www.kunst-re.de Legacy Swarm for the Ruhrgebiet, bis 11.9. Vier internationale Landschafts- und Naturprojekte im Kutschhaus und im Erlbruchpark REMAGEN – Arp Museum Rolandseck www.arpmuseum.de Martin Noël. bis 14.8. Abstrakte Gemälde, Holzschnitte, Zeichnungen des verstorbenen Bonner Künstlers SIEGEN – Museum für Gegenwartskunst www.mgk-siegen.de Cy Twombly: Photographien, bis 30.10. Polaroid-Aufnahmen 1951-2010 des legendären amerikanischen Malers und Zeichners Empfehlungen von Thomas Hirsch 27 VISUAL STORIES AHLEN – Kunstmuseum www.kunstmuseum-ahlen.de ヴィジュアル・ストーリー―日本の絵は語る 絵巻ーマンガーアニメ Die Kunst-Termine NRW Japans Bilder erzählen: Bildrollen, Manga, Anime Langen Foundation Neuss. 16/07/2011—06/11/2011 www.langenfoundation.de Jessica Stockholder, Ohne Titel, 2001, © J. Stockholder / Museum Morsbroich, Leverkusen zungen auswahl Bis Do 1.9. I ab 19 Uhr RATHAUSPLATZ Remscheid REMSCHEID LIVE mit -zungen Foto: I. Arndt, Montage: K. Nikolic Hottingen, 17. September 1886 Lieber Engels! Ich weiß nicht, wie groß die Zahl der Briefe und Sendungen, für die ich Dir Dank und Antwort schuldig bin, und noch weniger weiß ich die Zahl der Briefe, die ich willens war, an Dich zu schreiben, aber soviel weiß ich, daß die letztere Zahl die größere. Nimm daher, bitte, die gute Absicht für die Tat, wer bei dem Nichtschreiben verloren hat, bin ja doch eigentlich mehr ich als Du. Die Parteikonflikte sind jetzt zwar nicht beigelegt, aber von der Oberfläche zurückgedrängt. […] Unter diesen Umständen habe ich mich denn nun endlich zu einem Schritt entschlossen, den man sonst auch am liebsten erst unternimmt, wenn man weiß, wovon morgen leben. Ich habe mich mit einer „Edin“ versehen. Es ist eine gute Genossin und bereit, allen Verpflichtungen, die meine Stellung mir auferlegt, sich zu unterwerfen. Kautskys kennen sie und können Dir näheres von ihr erzählen. Jedenfalls ist nicht zu befürchten, daß sie mich philiströser machen wird, als ich ohnehin bin. Wir haben uns schon seit Jahren gern, aber das verdammte Gefühl, jeden Tag mein Bündel schnüren zu müssen, ließ mich alle andern Wünsche unterdrücken. Außerdem drückte mich der Gedanke, ich könnte, wenn verheiratet, in die Lage kommen – denn wir haben beide nichts – einmal aus materiellen Gründen mich an meinen Posten zu klammern, aber mein Weiberl denkt zum Glück in diesem Punkt fast noch schroffer wie ich und wird gegebenenfalls lieber alle Entbehrungen tragen als mitansehen, daß ich meine Überzeugung prostituiere. Na, das wäre nun vom Herzen, und nun können wir wieder auf allgemeine Angelegenheiten zurückkommen. […] Bitte, entschuldige mich bei Kautsky, ich stecke bis über die Ohren in Familienkorrespondenz, Wohnungssuchen etc. Es grüßt Dich bestens Noch bis zum September bedeutet in diesem Sommer wieder jeder Donnerstag in Remscheid: Bunte Live-Musik, von Coverbands verschiedenster Stilrichtungen, unter freiem Himmel auf dem Rathausplatz. Ab 19 Uhr kann sich hier jeder bei kostenlosem Eintritt einfinden (es muss lediglich einmalig ein Remscheid-Live-Getränkebecher erworben werden), zum Feiern und Entspannen. Das Musikevent geht bereits in die vierte Runde und verspricht wieder tausende Besucher aus der ganzen Region anzuziehen. Bis So 25.9. I 11-18 Uhr KUNSTHALLE BARMEN Wuppertal STREETART Dein Ede [d.i. Eduard Bernstein] Eduard Bernstein (1850-1932) war während des Sozialistengesetzes Redakteur der illegalen, in der Schweiz produzierten und nach Deutschland geschmuggelten Parteizeitung „Der Sozialdemokrat“. Seine damit verbundene unsichere Lebenslage wird in dem Brief angesprochen. Die Auserwählte hieß übrigens Regina. engels zungen in der Engels-Stadt: Wir lassen Zeitgenossen des Kapitalisten und Revolutionärs zu Wort kommen, zitieren Briefe an Wuppertals berühmten Sohn. . Quellenangabe: Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Friedrich Engels, Assen 1970, S. 337-341; Abb.: Francis Ludwig Carsten: Eduard Bernstein 1 850-1932, München 1993, Umschlag Eduard Bernstein Dreizehn Künstler aus der ganzen Welt, die meist unter Pseudonym auftreten und ihre Maßnahmen im öffentlichen Raum sozusagen ungefragt anbringen, verlassen ihr Terrain – und gehen in die Kunsthalle. Kuratiert vom Hamburger Rik Reinking, haben die Künstler hier vor Ort gearbeitet. Sie decken das Spektrum der künstlerischen Medien auf hohem handwerklichen Niveau ab, mit viel Phantasie und Witz und verblüffenden Effekten. Und doch – viele Arbeiten verlieren hier und in diesem Kontext die Notwendigkeit, die ihnen eigentlich zugrunde liegt: die Verdeutlichung sozialer Missstände und die subversive Kommentierung gesellschaftlicher Zustände. 28 Bis So 2.10. I 14-18 Uhr STÄDTISCHE GALERIE REMSCHEID Remscheid STEFAN WISSEL: LATENTE RESSOURCEN Neue Skulpturen des Düsseldorfer Künstlers, der 1960 in Hamburg geboren wurde und an den Akademien in Münster (bei Ulrich Erben) und Düsseldorf (bei Michael Buthe) studiert hat. Aber im Gegensatz zu den Werken seiner Lehrer sind seine Arbeiten extrem reduziert. Sie bestehen häufig aus Metallstangen, Gerüsten, metallenen Flächen; konstituierend sind lineare Verläufe, die einen leeren Raum umschreiben, teils in offene Kabinen gesetzt sind, damit wie aus dem funktionalen Leben genommen wirken, nur ihrer Funktion beraubt sind. In ihrer Knappheit deuten sich erzählerische Momente an, als eine vage, nicht eingelöste Ahnung. Di 2.8. I 20 Uhr DIE BÖRSE Wuppertal WORTEX CHARITY SLAM Der Wortex am 2.8.2011 wird ein ganz besonderer Poetry-Slam, denn es ist der erste Benefiz-Slam der Wortpiraten Wuppertal. Die Börse und die Wortpiraten spenden alle Einnahmen des Abends an den Ambulanten Kinderhospizdienst Bergisch Land, der sich vorbildlich um die Betreuung von Kindern mit lebensverkürzenden Krankheiten kümmert. Und auch die Zuschauer können auf eine besondere Weise spenden: Abgestimmt wird an diesem Tag nicht mit Goldmünzen, sondern mit echtem Geld. Die Slammer, die am meisten Spenden gesammelt haben, kommen eine Runde weiter. Mi 3.8. | 20 Uhr ELBA-HALLE Wuppertal SOMMERLOCH: CHRISTOF SÖHNGEN TRIO auswahl DDas Sommerloch-Festival vermag dank seines umfangreichen Programms vor allem in musikalischer Hinsicht das berüchtigte kulturelle Loch zum Sommer zu stopfen. Das Christof Söhngen Trio, dem neben Gitarrist Christof Söhngen noch die beiden Musiker Jörg Brinkmann (Cello) und Patrick Hengst (Schlagzeug) angehören, widmet sich dem zeitgenössischen Jazz und überzeugt bei den Improvisationen durch intensive und klangvolle Melodik. Gemeinsam brachten sie das Album „Il était une fois“ heraus. Der Eintritt zu ihrem Sommerloch-Konzert ist kostenlos. www.sommerloch-wuppertal.de Mi 3.8. I 21 Uhr ALTE FEUERWACHE Wuppertal WORTWACHE@HOME Die Lesereihe, bei der Jörg Degenkolb-Değerli und Gäste selbstverfasste und stets unterhaltsame Texte zu verschiedenen Themen vortragen, präsentiert sich in diesem Sommer mit einer Open-Air-Spezialausgabe in der Alten Feuerwache – also an jenem Ort, an dem die Wortwache ihren Anfang fand. Maximal eine Viertelstunde ist jedem Vorleser zum Vortrag seines Textes gegeben. Wie auch bei den regulären Wortwachen ist der Eintritt für alle Zuhörer kostenlos. Infos: 0202 40 86 99 00 Do 4.8. I 19.30 Uhr IMMANUELSKIRCHE Wuppertal EURO MUSIC FESTIVAL: CELLO-ABEND Bereits seit 1998 findet das Euro Music Festival an wechselnden Orten in Europa statt. In diesem Jahr ist Wuppertal der Mittelpunkt des Festivals, zu dessen Kursen und Konzerten Künstler aus aller Welt anreisen. Die Konzerte im Konzertsaal der Musikhochschule und in der Immanuelskirche sind für jedermann kostenlos zu besuchen. Am Cello-Abend im August erfüllen Emil Rovner, Peter Bruns, Hee Song Song und das Seoul Soloists Cello Ensemble die Immanuelskirche mit Stücken von Schuhmann, Piazzolla und Weinberg. Sa 6.8. I 21.15 Uhr PLATZ AN DER LUISENSTRAßE Wuppertal OPEN-AIR-KURZFILMABEND Der Platz an der Luisenstraße wartet am Abend des 6. August mit animierten Kurzfilmen fernab des Mainstreams auf. Der Eintritt zum Kino unter freiem Himmel ist kostenlos, ganz im Sinne der aufgeführten Filme: Gezeigt werden ausschließlich frei zugängliche Creative-Commons-Filme. Mithilfe dieser speziellen Lizenz lassen sich Inhalte frei veröffentlichen, um sie einem breiten Publikum leicht zugänglich zu machen. Die thematische Bandbreite reicht von humorvollen über phantastische Filme bis hin zu Beiträgen, die zum Nachdenken anregen. Sa 6.8. | 21.30 Uhr ALTE FEUERWACHE Wuppertal TALFLIMMERN: VORPREMIERE „THE GUARD“ Trotz des anhaltend herbstlichen Wetters ist das Freiluftkino „Talflimmern“ auch in diesem Sommer im vollen Gang. Auf der Freilichtbühne im Innenhof der Alten Feuerwache wird den Kinobesuchern dank eines flexiblen Dachs aus Planen stets ein trockenes KinoErlebnis geboten. Die Komödie „The Guard“ mit ihrem schwarzen Humor und den schrulligen Charakteren überraschte bei der diesjährigen Berlinale und ist beim Talflimmern als Vorpremiere zu 29 sehen. Bei schlechter Witterung empfiehlt es sich trotz der Überdachung, Decken und Sitzkissen mitzubringen – denn Lachen allein hält nicht auf Dauer warm. Infos: Infos: 0202 40 86 99 00 Mo 8.8. | 20 Uhr ALTER BAHNHOF/SCHALTERHALLE Solingen WOLF CODERAS SESSION POSSIBLE Mehrmals im Monat trifft sich der Saxophonist Wolf Codera mit internationalen Musikern, vornehmlich aus dem Bereich des Pop, um gemeinsam mit ihnen Musik zu machen. Die Session Possible wurde aus der ursprünglichen Idee geboren, Pop- und Soul-Sessions im Ruhrgebiet zu etablieren, ähnlich den gängigeren Jazz-Sessions. Während seiner Sessions, die stets an einem anderen Ort in der Region stattfinden, stehen die Spielfreude und der Austausch der Musiker im Vordergrund. Und das ist für die Zuhörer überaus unterhaltsam. So 14.8. 19 Uhr SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN Wuppertal CRISTINA BRANCO & ENSEMBLE Wie sehr eine warme Stimme die vermeintlichen Grenzen zwischen einzelnen musikalischen Genres auftauen lassen kann, beweist Cristina Branco seit Jahren. Einst als Nachfolgerin der Fado-Legende Amália Rodrigues gekürt, wandte sie sich aber nach kurzer Zeit auch Spielformen zwischen Jazz und lateinamerikanischer Musik zu. Neben Bossa Nova-Rhythmen kamen ab dem April Tango-Stücke ins Spiel. Das Urgestein Rodrigues wich langsam der Begeisterung für Sängerinnen wie Ella Fitzgerald, Billy Holliday auswahl oder Janis Joplin. Mit Ricardo J. Dias am Piano, Bernardo Couto an der portugiesischen Gitarre, Carlos M. Pruenca an der Gitarre und Bernardo Moreira am Bass hat sie musikalisch stilweites und –sicheres Ensemble um sich, das auf einen multinationalen Konzertabend einstimmen dürfte. Bereits am Tag davor ist im Rahmen des Klangart-Festivals ein anderes Konzert im Skulpturenpark zu Gast. Mit dem Portico Quartet kommt eine Jazz-Fraktion, die eher Richtung Elektor und Indie schlägt. Infos: 0202 317 29 89 So 14.8. I 19.30 Uhr FREIBAD MIRKE Wuppertal SOMMERRESIDENZ: TANZ-IMPROVISATION Ab August eröffnet der Kunstkomplex im Freibad Mirke mit der „Sommerresidenz“ bis zum 4. September einen Ort für Kunst und Kultur. Daheimgebliebene können hier durch eine Freiluftgalerie wandeln, Künstlern bei der Arbeit zusehen oder an vielfältigen Kulturveranstaltungen teilnehmen. Wegen technischer Mängel bleiben die Schwimmbecken des historischen Freibads in diesem Sommer leider ohne Wasser, aber dank der Sommerresidenz auch nicht gänzlich leer: Absolventen der Folkwang Universität der Künste nutzen das Becken am zweiten AugustWochenende für eine abendliche Tanzperfomance. Fr 19.8. I 19.00 Uhr ELBA-HALLE Wuppertal SOMMERLOCH: LESEBÜHNE STRÄTER & SALMEN Zum Sommerloch 2011 füllen sich die ehemaligen Industriehallen an der Wupper wieder mit Menschen und Kultur. Neben dem umfangreichen Musikprogramm gibt es noch mehr Unterhaltung für die Ohren: Die beiden Autoren, Poetry Slammer und „Bühnenleser“ Patrick Salmen und Torsten Sträter treten beim Sommerloch mit Geschichten, Poesie, Kabarett und Comedy gegen kulturelle Leere im Sommer an. Auch außerhalb des Festivals sind sie in Wuppertal jeden Monat mit ihrer Lesebühne in der Shakespeare-Live!-Akademie zu sehen. Der Eintritt zu ihrer Sommerloch-Lesebühne kostet 5 Euro. Fr, 26.8. I 19 Uhr WALDBÜHNE HARDT Wuppertal LUXUSLÄRM Mit „1000km bis zum Meer“ hat alles angefangen, jetzt hat Luxuslärm den Durchbruch geschafft. Über 100.000 verkaufte Alben, Platz 13 der offiziellen deutschen Album- charts mit dem zweiten Album („So laut ich kann“), eine ECHONominierung und über 5 Millionen Aufrufe bei Youtube. Nun sind sie auf Deutschlandtour und machen Halt in Wuppertal. Nichts wie hin. So, 28.8. I 19 Uhr WALDBÜHNE HARDT Wuppertal ELEMENT OF CRIME Nichts neues eigentlich, aber immer wieder schön. Die Band um Autor Sven Regener spielt auf der Wuppertaler Waldbühne: Eine Band, die 1985 beim legendären AtaTak-Label ihr erstes Album aufnahm und seither zwölf Studioalben geschaffen hat, hätte viel zu erzählen: von Düsseldorf und dem Pyrolator, von London und 30 John Cale, von den Anfängen in den klammen Kellern der Westberliner Postpunk-Szene. Und all die Tourgeschichten aus den 80er, 90er und 00er Jahren, und das immer mit derselben Crew, wer kann das schon bzw.: wer will das schon? Element of Crime. Eben. Mi 31.8. | 19.30 Uhr HISTORISCHE STADTHALLE Wuppertal WUPPERTALER MUSIKSOMMER: KONZERT DER DOZENTEN Mit dem August kommt auch der „Musiksommer 2011“. Bis Ende September finden die Internationalen Meisterkurse statt, geleitet von Dozenten der Hochschule für Musik und Tanz des Standorts Wuppertal. Ort des Unterrichts ist die Hochschule selbst, die Konzerte werden im MendelssohnSaal der Historischen Stadthalle aufgeführt. Gleich zu Beginn des Musiksommers stellen sich die diesjährigen Dozenten und Dozentinnen Ende August in einem Konzert vor, das jedem kostenlos zugänglich ist. ZUSAMMENGESTELLT VON INGA SELCK, MAREN LUPBERGER UND THOMAS HIRSCH AKTUELLELLE EMPFEHLUNGEN AUCH UNTER: WWW.FACEBOOK.COM/ENGELSKULTUR magenbitter service VERLOSUNGS-BOX Foto: Presse Die Feder vom Vogel Greif Foto: Kurt Bouda, pixelio.de Warum die Leber der Kultur so schmackhaft ist I want to fly like an eagle Till I'm free Oh, Lord, through the revolution (Steve Miller) Von Peter Ortmann Immer wenn ich auf mein Konto schaue, denke ich an Griechenland. Immer wenn ich an Griechenland denke, schaudert es mich. Direkt nach der Volksschule wollte man mich auf ein altsprachliches Gymnasium schicken, wo ich in der Sexta mit Griechisch beginnen sollte. Meine damalige Klassenlehrerin fand das wohl schick, ich fand allein die Vorstellung beklemmend, rettete mich in eine „normale“ Penne, wo ich „nur“ mit Latein startete. Auch die damals in Stuttgart stattgefundene Uraufführung von Carl Orffs „Prometheus“, bei dem die Götter nebst Okeaniden-Chor zweieinhalb Stunden lang auf altgriechisch plapperten, hätte meine Aversion gegen das altsprachliche kaum abbauen können, außerdem wusste ich damals noch nichts von Orff und dieser Inszenierung. Das kam erst später, als Schellentrommeln, Xylophone und die allseits beliebte Triangel den Musikunterricht verfeinerten und das Orff-Schulwerk mächtig „in“ war. Dieser Lautewirrwarr führte später zu einer meiner ersten LPs: „Ceremony“ von Pierre Henry zusammen mit Spooky Tooth und zu weiteren Henry-Werken. Irgendwie war das echte Avantgarde. Orff mochte ich damals noch gar nicht. Aber der Prometheus hat mich wieder eingeholt. 2012 kommt er in einer Inszenierung des aus Samoa stammenden Künstlers Lemi Ponifasio zur Ruhrtriennale, selten gespielt wird er, aber im Ruhrpott mit 800.000 Euro Steuergeldern vom Bund gefördert. Ich frage mich sofort in welche Taschen die wohl wandern und nehme für den flauen Magen mal ein Gläschen Feuerwasser, die hochprozentige Flüssigkeit hat schließlich mehr Kultur vernichtet als Armeen. Gleichzeitig kämpft das Bochumer Theater ums Überleben. Das in Wuppertal tut es ohnehin. Hier wie dort fehlt eine ähnliche Summe, nicht für ein Highlight oder eine bauliche Maßnahme. Nein, schlicht für den ganz normalen Betrieb. Wie geht das zusammen? Welchen Wert hat da der Prometheus noch? Ist es nicht so, dass der irgendwann einmal Feuer und Kultur zu den Menschen gebracht hat, auch wenn davon heute eher die Fernsehköche partizipieren? Aber auch der alte Kultur-Titan hatte es nicht leicht. Den Göttern missfiel der ganze Aufwand. Schließlich konnte es nur einen geben und der hieß Zeus. Er ließ den Unsterblichen in die schlimmste Einöde des Kaukasus (und nicht Hindukusch) verschleppen, wo er unsere Freiheit verteidigte. Gefesselt an einen Felsen musste er dort ausharren, ohne Mahlzeit, Freibier und Schlaf. Und dann kam täglich Adler Ethon und zerbiss seine Leber. Glücklicherweise war der Recke kein Alkoholiker und nicht sterblich. So ähnlich müssen sich Theaterintendanten heute in Deutschland einig Vaterland fühlen. Kultur ja, aber ohne Speis und Trank. Dazu die Kämmerer, die an den Eingeweiden fressen. Na wir alle wissen, wie diese altsprachliche Tragödie ausging: Ganz im Sinne der Uraufführung 1968: Als Herakles Prometheus befreite, erschlug er Ethon. Nun will ich ja gar nicht sagen, dass dies auch heute noch eine zeitgenössische Lösung ist – oder doch? 31 Women’s Run Köln: Am 13. August startet der 4. Reebok Women’s Run am Tanzbrunnen in Köln unter dem Motto „Laufen, lachen und relaxen“. 6.000 Frauen werden erwartet, die eine attraktive Strecke von fünf oder acht Kilometern laufen oder walken können. Das Konzept aus Sport, Spaß und Entspannung überzeugt Jahr für Jahr mehr Frauen. Und die kommen nicht nur aus Köln, sondern auch aus dem Ruhrgebiet oder sogar Luxemburg. Informationen unter www.womensrun.de. engels verlost 5 Startplätze. E-Mail bis 9. 8. an [email protected], Kennwort: Womens Run Kölner Musiknacht: Zum ersten Mal setzen die Organisatoren der Kölner Musiknacht mit dem Thema Stimme einen Schwerpunkt, der sich durch alle musikalischen Genres zieht. Und so klingt (und singt!) Köln am 10. September wieder an allen Ecken und Enden und zeigt die Vielfalt der Freien Musik. Um 19 Uhr treten die Multiinstrumentalisten Verena Guido und Adrian Ils im Belgischen Haus auf. Ihre Musik bewegt sich im weiten Feld der Weltmusik, des Jazz, der Klassik und des Chanson. Für die Musiknacht haben sie neben Liedern aus der jiddischen Tradition u.a. auch Arbeiter- und SchubertLieder ausgewählt. engels verlost 2x2 Tickets für das Konzert. E-Mail bis 29.8. an [email protected], Kennwort: Musiknacht Remscheid live: Pünktlich zum Beginn der warmen Jahreszeit findet mit „Remscheid live“ zum vierten Mal ein Open Air-Spektakel auf dem Rathausplatz statt. Auch 2011 werden professionelle Cover-Bands unterschiedlicher Stilrichtungen auftreten. Vom 14. Juli bis zum 1. September kann man donnerstags von 19 bis 22 Uhr bei guter Livemusik, unter freiem Himmel und vor allem bei freiem Eintritt gemeinsam die Sommerabende genießen. engels verlost 5x2 Pfandbecher inkl. je 3 Getränkemarken. E-Mail bis 10. August an [email protected], Kennwort: Remscheid live Claudius Therme: Die Claudius Therme im Kölner Rheinpark ist eines der schönsten Thermalbäder Europas. Am Samstag, den 13. August ist die Claudius Therme von 9-24 Uhr nur für weibliche Gäste geöffnet und bietet ein einzigartiges Sonderprogramm nur für Damen, die von der Wellnessabteilung, der Gastronomie sowie dem Bad- und Saunateam rundum verwöhnt werden. Live Musik, Kosmetikaktionen, besondere Aufgüsse und Peelings in entspannter Atmosphäre und einem exklusiven Ambiente lassen diesen Besuch zu einem außergewöhnlichen Erlebnis werden. engels verlost 5x2 Gutscheine für den Damentag XXL bzw. Tagesgutscheine für Männer. E-Mail bis 9. August an [email protected], Kennwort: Therme IMPRESSUM Herausgeber: engels Verlag Joachim Berndt, Büro Köln Maastrichter Str. 6-8, 50672 Köln E-Mail: [email protected] Tel. 0221 272 52 60, Fax: -88 Redaktion: Dawid Kasprowicz (v.i.S.d.P.), Inga Selck Mitarbeit an dieser Ausgabe: Frank Brenner, Lutz Debus, Valeska von Dolega, Hartmut Ernst, Thomas Hirsch, Dagmar KannComann, Kim Ludolf Koch, Thomas Linden, Maren Lupberger, Karsten Mark, Christian Meyer, Peter Ortmann, Sebastian23, Inga Selck, Martin Thelemann, Olaf Weiden, Christian Werthschulte, HansChristoph Zimmermann, Andreas Zolper Grafik: Michael Hennemann, Mathias Mortag, Katharina Olma Anzeigenverwaltung: Berndt Media Dr.-C.-Otto-Str. 196, 44879 Bochum www.berndt-media.de Tel. 0234-941910, Fax -9419191 Buchhaltung: Karin Okniewski Druck: Henke Druck Verbr. Auflage: 14.915 Ex. IVW II/2011 Alle nicht gesondert gekennzeichneten Bilder sind Pressefotos. 8.2011 www.engels-kultur.de DIE ANONYMEN ROMANTIKER EIN FILM VON JEAN-PIERRE AMÉRIS www.die-anonymen-romantiker.de ab 11.8. im Kino