Abschiebepraxis
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Abschiebepraxis
Universität Wien Institut für Kultur- und Sozialanthropologie kein mensch ist illegal Körper – Gewalt: Schubhaft und Abschiebung von AsylwerberInnen in Österreich DIPLOMARBEIT zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien eingereicht von Brigitte Hofer Wien, März 2006 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis........................................................................................................ 2 Einleitung..................................................................................................................... 5 Theoretische Abhandlung zur Schubhaft oder „Auf der Suche nach dem Warum“?.......................................................................13 I. Die Schubhaft oder „Willkommen in Österreich“................................................................................... 20 1. Haftgründe........................................................................................................... 21 2. Aufenthaltsverbot................................................................................................ 25 3. Zweck der Schubhaft........................................................................................... 28 4. Gelinderes Mittel................................................................................................. 30 5. In Haft ohne Ermittlungsverfahren...................................................................... 31 6. Dauer der Schubhaft............................................................................................ 32 7. Rechte des/der Festgenommenen ....................................................................... 33 8. Schubhaftbeschwerde.......................................................................................... 34 9. Kosten der Schubhaft...........................................................................................35 10. Haftsituation in Österreich oder „Die im Dunkeln sieht man nicht“................36 11. Orte der Schubhaft............................................................................................. 39 11.1. Das Polizeianhaltezentrum Wien..................................................................40 12. Die Anhalteordnung (AnHO)............................................................................ 43 13. Der „Offene Vollzug“........................................................................................51 14. Widerstandsformen in der Schubhaft................................................................ 54 14.1. Selbstbeschädigung...................................................................................... 55 14.2. Hungerstreik oder „Österreich darf sich nicht erpressen lassen“........................................................ 56 14.3. Zwangsernährung oder „Heilbehandlung“?................................................ 62 14.4. Suizid............................................................................................................ 66 2 15. Schubhaftbetreuung........................................................................................... 68 15.1. Entstehungsprozess des österreichischen Modells der Schubhaftbetreuung69 15.2. Umsetzung der Schubhaftbetreuung in die Praxis:.......................................71 15.3. NGO´s, die in der Schubhaftbetreuung tätig sind.........................................72 Theoretische Abhandlung zur Abschiebung oder „Auf der Suche nach dem Warum“?....................................................................................................................79 II. Abschiebung oder „Aus den Augen, aus dem Sinn“.............................................................................. 85 1. Rechtliche Voraussetzungen................................................................................86 1.1. Aufenthaltsbeendender Bescheid................................................................... 86 1.2. Abschiebungsgründe...................................................................................... 87 2. Schutz vor Abschiebung während des Asylverfahrens ...................................... 88 3. Unzulässigkeit der Abschiebung......................................................................... 90 4. Abschiebepraxis oder „Im Namen des Gesetzes“...............................................91 5. Problemabschiebungen........................................................................................ 92 6. Abschiebung - eine tödliche Praxis..................................................................... 97 7. „Wo ist Marcus Omofuma?“............................................................................... 98 7.1. Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen? oder „Die polizeilichen Maßnahmen bei der Abschiebung Omofumas“..........................................................................................................100 8. Weitere menschenrechtlich bedenkliche Folgen von Abschiebungen am Beispiel Nigeria................................................................................................................... 102 9. DeportatiNO – Abschiebungen verhindern....................................................... 102 Conclusio ................................................................................................................. 106 Anhang......................................................................................................................109 Literaturverzeichnis............................................................................................... 131 3 until the philosophy which hold one race superior and another inferior is finally and permanently discredited and abandoned everywhere is war that until there (are) no longer first class and second class citizens of any nation until the colour of a man’s skin is of no more significance than the colour of his eyes me say war that until the basic human rights are equally guaranteed to all without regard to race this is war that until that day the dream of lasting peace world citizenship rule of international morality will remain ’in (nothing) but a fleeting illusion to be pursued but never attained now everywhere is war bob marley 4 Einleitung Den Ansporn für meine Diplomarbeit lieferte mir meine Arbeit als Flüchtlingsberaterin. In den zwei Jahren, in denen ich bei der Deserteurs- und Flüchtlingsberatung in Wien tätig war, haben sich viele Fragen und Unverständnis in mir aufgestaut. Unverständnis über die rassistische österreichische Gesetzgebung und das Auseinanderklaffen der theoretischen Richtlinien und Gesetze und deren Ausübung in der Praxis. Unverständnis darüber, dass die Diskussionen über Flüchtlinge und MigrantInnen so geführt werden, als handle es sich nicht um Menschen, sondern um lästige Objekte. Unverständnis darüber, dass es Menschen aus Nicht- EU Ländern so schwer gemacht wird, im reichen Österreich Fuß zu fassen. Unverständnis darüber, dass Menschen schwarzer Hautfarbe von Politik und Medien stigmatisiert und missbraucht werden. Die breite Öffentlichkeit fällt zumeist auch noch auf diese Lügen herein. Ich weiß, dass meine Wunschvorstellung von einer Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt sind, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Hautfarbe wahrscheinlich nie in Erfüllung gehen wird. Aber diese „Das Boot ist vollGesetzgebung“ und mediale (Re)Produktion von Rassismen lehne ich ab. Heute leben wir im 21. Jahrhundert; freier Geld- und Warenverkehr gehören zum Alltag der neoliberalen Marktwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung. Aber wenn es um Menschenrechte geht und darum, eine gerechte Welt für alle zu schaffen, sind wir weit von den Idealen einer gleichen Gesellschaft entfernt. Wo sind die positiven Nebeneffekte dieser vom Markt getragenen Demokratie, wenn es um Antirassismus, Antispeziesismus1, Sexismus und Menschenrechte geht? Wieso wird die Angst vor 1 Der Begriff wurde erstmals Anfang der 70er Jahre von dem Psychologen Richard Ryder eingeführt. Er beschreibt damit die weit verbreitete Diskriminierung, die von Menschen gegenüber nichtmenschlichen Tieren praktiziert wird. Aus dieser Definition von Speziesismus lässt sich eine Parallele zu Rassismus und Sexismus ziehen. Der Begriff hat sich besonders in der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung durchgesetzt, um über die Diskriminierung hinaus die Ideologie zu benennen, nach der Menschen es als ihr Recht ansehen, über andere Tiere zu herrschen. Der Begriff bezeichnet alle Einstellungen, die den Mensch als die überlegene Spezies ansehen. In: Rio Radi. Zeitung für Tierbefreiung und Antispeziesismus Nr. 2, Wien 2001. 5 „Fremden“ derart missbraucht, sodass Individuen, die nicht ins Bild passen, das Leben so schwer gemacht werden kann. Und außerdem: Wer ist Schuld an der Misere in der sogenannten „Dritten Welt“? Ich weiß; ich befinde mich nicht in einer Position, um Schuldzuweisungen aussprechen zu können, aber war es nicht unter anderem der Kolonialismus, der Strukturen ganzer Länder zerstört, Rohstoffe gestohlen, Menschen getötet und ihrer Freiheit beraubt hat? Diese Politik machte aus einem Teil der Menschen „second class people“ aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religionen und anderen Lebensvorstellungen und ihrer, den Kolonialisten der damaligen Zeit unverständlichen Gesetzgebungen und Regulierungen sozialer Prozesse. Und jetzt sind es genau die Menschen aus den ehemals kolonialisierten Ländern, die versuchen, im reichen Europa Fuß zu fassen, geblendet von falschen Realitätsschilderungen durch die Medien. Die legale Einreise nach Europa ist nur einer sehr beschränkten Minderheit gestattet. Die undokumentierte, „unrechtmäßige“ Einwanderung steigt, weil die Möglichkeit der legalen Einreise stetig eingeschränkt wird. So lange es Migrationsregulierung gibt, so lange wird es Menschen geben, die aus verschiedensten Gründen versuchen, diese Regelungen zu umgehen. Strenge Zuwanderungsregulierung forciert sozusagen die illegalisierte Einreise, was durch die Realität an den Mauern der "Festung Europa" täglich bestätigt wird. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist die Thematisierung einer Fragestellung, die in der medialen Berichtererstattung nur äußerst marginal behandelt wird. Es geht um reale Lebenswelten, Handlungsspielräume und Überlebensstrategien von Flüchtlingen in einem besonders problematischen Stadium des Asylverfahrens, der Phase nach der rechtskräftig negativen Entscheidung. Wie Österreich auf Grund der geltenden Gesetzeslage mit dieser Gruppe von Menschen umgeht, ist ein weiterer Punkt, der vertieft werden soll. Ziel meiner Diplomarbeit ist es, eine Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Schubhaft und Abschiebung zu schaffen, da auf sozialwissenschaftlicher Ebene diesem Thema bis jetzt keine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Meiner Meinung nach aber ist eine genaue Beschäftigung mit 6 diesem sozialpolitischen Phänomen unumgänglich, da täglich europaweit Tausende Menschen von Schubhaft und Abschiebung betroffen sind. Das utopische Ziel dieser Arbeit ist es, mit ihr einen Schritt setzen zu können hin zu einer Politik der Bewegungs- und Bleibefreiheit für alle. Im theoretischen Teil wird versucht, die historisch konstruierten und strukturellen Voraussetzungen für die Existenz und die Situation in den Polizeianhaltezentren (PAZ) herauszuarbeiten. Es werden Rahmenbedingungen aufgezeigt, die als Erklärungsversuche dienen können, weshalb im 21. Jahrhundert derartige Missstände im Zusammenhang mit „Fremden“ vorherrschen. Im empirischen Teil wird eine Bestandsaufnahme von Fakten bezüglich Schubhaft und Abschiebung in Österreich, unter Berücksichtigung folgender Fragestellungen vorgenommen: Was ist Schubhaft, und wer ist davon betroffen? Wie produziert und legitimiert die „Sprache der Gesetze“ und die politische Kultur eine Realität von Gewalt, Misstrauen, Angst, Diskriminierung und Rassismus? Wie sind die Polizeianhaltezentren (PAZ) organisiert und wie schaut der Häftlingsalltag aus? Welche Rechte und Pflichten haben die Angehaltenen? Welche Rolle kommt den Schubhaftbetreuungsorganisationen zu? Weshalb werden die inhaftierten Nicht ÖsterreicherInnen als zweitklassig behandelt? Wo liegt der Ursprung eines solchen Handelns? Wie kommt es dazu, dass Menschen „illegalisiert“ sein können? Wieso sterben Menschen, die sich in der „Obhut“ der Polizei befinden ohne Folgen für die BeamtInnen und die polizeiliche Praxis? In den jeweiligen ersten Abschnitten der beiden Hauptteile habe ich einen kurzen Streifzug durch den österreichischen Gesetzesdschungel vorgenommen, um zu veranschaulichen, wie vielen Gesetzen, Vorschriften und Regelungen der Aufenthalt eines/einer „Fremden“ in Österreich zu Grunde liegt. Die Institution der Schubhaft und Abschiebung ist nach der Gesetzeslage der Asylgesetzesnovelle 2004 und dem 7 Fremdengesetz 1997 erfasst.2 Besonderes Augenmerk wird auf die Art und Weise der Formulierung der Gesetzestexte gelegt, die den BeamtInnen große Handlungsspielräume offen lassen. Die Gesetzestexte sind durch eine xenophobe Sprache gekennzeichnet und scheinen geeignet, fremdenfeindliche und rassistische Strömungen bei den vollziehenden Behörden zu erzeugen, beziehungsweise zu verstärken. Die gesetzlichen Bestimmungen nehmen Pauschalverdächtigungen von „Fremden“ vor. Besonders auffallend bei den Analysen des Fremden- und Asylgesetzes ist die Allgegenwart eines Missbrauchsverdachtes und Querverbindungen zum Strafrecht.3 Des weiteren soll aufgezeigt werden, wie Gesetze über „Körper“ („Körper = Mensch“) , entscheiden und welche Formulierungen von staatlicher Seite benutzt werden, um passiver Gewalt, wie der Inhaftierung eines Menschen, Legitimation zu schenken.4 Einen Schwerpunkt stellt die Auflistung der öffentlich bekannt gewordenen Tode bei Abschiebungen und in der Schubhaft dar. Dadurch soll wiederum das wahre Ausmaß der Fremdengesetze hervorgehoben werden. Der Teil über die Widerstandsformen in der Schubhaft soll aufzeigen, welche Überlebensstrategien entwickelt wurden, um einer möglichen Abschiebung in das Herkunftsland zu entgehen. Viele Menschen riskieren ihr Leben und ziehen Selbstmord oder Hungerstreik, der immer mit enormen Gesundheitsschäden verbunden ist, der Rückkehr in das Herkunftsland vor. Österreich reagierte auf diese Praxis unter anderem mit der Einführung der Schubhaftbetreuung und mit einem verschärften Asylgesetz. Welche Möglichkeiten gibt es für die Schubhaftbetreuungsorganisationen, diesen Mechanismen entgegenzuwirken und 2 Am 01.01.2006 tritt ein neues Asylgesetz und Fremdenrechtspaket in Kraft, das in menschenrechtlicher Hinsicht nicht weniger problematisch ist als das von 2004. Auf die wichtigsten Änderungen, die am 01.01.2006 bezüglich Abschiebung und Schubhaft relevant werden, gehe ich in den betreffenden Abschnitten ein. 3 Stellungnahme von amnesty international Österreich zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das AsylG 1997 (AsylG-Novelle 2003), das Bundesbetreuungsgesetz, das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat und das Meldegesetz geändert werden, das Asylgesetz 2005 und das Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen sowie das Bundesbetreuungsgesetz, das Personenstandsgesetz, das UBAS-Gesetz und das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 geändert werden. Wien 2005. 4 Das Spannungsfeld zwischen Recht/Gesetz und staatlicher Gewalt kommt im Fremdenrecht sehr deutlich zum Ausdruck. 8 liegt es in ihrem Interesse, an einer schnellen und problemlosen Abschiebung von Flüchtlingen mitzuwirken? Im Teil über die Schubhaftbetreuung in Österreich wird an Hand von zwei Schubhaftbetreuungsorganisationen aufgezeigt, welche unterschiedlichen Ansätze es bei dieser Arbeit gibt. Abschiebegefängnisse für Flüchtlinge nehmen in der Europäischen Union zunehmend eine zentrale Stellung ein. Sie sind die Voraussetzung, um die Ausweisung oder Abschiebung einer großen Anzahl von Menschen planen und durchführen zu können. Durch die Darlegung der „Causa Omofuma“ soll die Brutalität, die bei Abschiebungen an den Tag gelegt wird, verdeutlicht werden und unter anderem auf das gesetzliche Vakuum, in dem die Handlungen der PolizeibeamtInnen rechtlich abgesichert sind und als „notwendige“ Maßnahmen dargelegt werden können, hingewiesen werden. Im Gegensatz dazu formiert sich seit den 90er Jahren eine Widerstandsbewegung in der Zivilgesellschaft, die die vorherrschende Abschiebeund Schubhaftpraxis in Europa in Frage stellt und mit Informationskampagnen und Demonstrationen dagegen ankämpft. Gleichzeitig soll vermehrtes Verständnis in der Öffentlichkeit für die Situation von Flüchtlingen gefördert werden. Die Kultur- und Sozialanthropologie hat sich bis heute nicht ausreichend mit dem Thema „Schubhaft und Abschiebung“ befasst. Die Migrations- und Fluchtbewegungen sind ein relativ junges Forschungsfeld der Kultur- und Sozialanthropologie wobei die Flüchtlingsforschung eine marginale Position in der Globalisierungs- und Migrationsforschung einnimmt.5 Es gibt diverse Annahmen, weshalb das Phänomen der Flucht in der Kultur- und Sozialanthropologie bis in die achtziger Jahre nur marginal beachtet wurde. Der Anthropologe Ron Baker setzte sich 1983 mit dieser Frage auseinander. Er geht unter anderem auf die Problematik des multidisziplinären Forschungsansatzes ein von welchem sich ForscherInnen oft nicht angesprochen fühlten und weist auf die Möglichkeit hin, dass Flüchtlinge, als Teil der großen Gruppe der „ImmigrantInnen“ in der Forschung einfach 5 Binder, Susanne; Tosic, Jelena: Flüchtlingsforschung. Sozialanthropologische Ansätze und genderspezifische Aspekte. In: SWS-Rundschau Heft 4/2003. S. 450. 9 „untergingen“. Durch die Kultur- und Sozialanthropologie könnte aber eine Lücke zwischen Politik und dem konkreten Menschen geschlossen werden, in unserem Fall zwischen der aktuellen Tagespolitik und dem Umgang mit AsylwerberInnen in Österreich. So kann zum Beispiel durch kontinuierliche Feldforschung über die Art und Weise des Umgangs der Aufnahmegesellschaft mit Flüchtlingen und die Beobachtung des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontextes der Herkunfts- und Aufnahmeregionen ein gegenseitiges Verständnis gefördert werden. Die Kultur- und Sozialanthropologie könnte unter anderem zur Aufhebung der Stereotypisierung von Flüchtlingen als passive Opfer und HilfsempfängerInnen beitragen, indem der kulturelle und lebensgeschichtliche Kontext sowie die Selbstorganisation der Flüchtlinge in den Vordergrund gerückt werden. Aus der Zusammenarbeit von Kultur- und SozialanthropolgInnen mit den „policy makers“ (politische EntscheidungsträgerInnen) könnten zum Beispiel effektive Integrationsprogramme entstehen, die auf die tatsächlichen Bedürfnisse von Flüchtlingen eingehen. So könnten Verbesserungen oder Neuerungsvorschläge, in die auch die Flüchtlinge selbst einbezogen werden, zu einer Veränderung der staatlichen Maßnahmen Flüchtlingen gegenüber führen und dadurch eine positivere Beziehung geschaffen werden. AnthropologInnen könnten durch die Feldforschung, die immer durch Interaktion mit dem „Erforschten“ gekennzeichnet ist, die Prozesse des sozialen Wandels erforschen. Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Heimat verlassen mussten, stehen vor der Herausforderung, sich in einer neuen kulturellen Umgebung zurechtfinden zu müssen. Hinzu kommt die existentielle Not als Auslöser der Flucht.6 „Dieser Prozess hinterfragt die Nützlichkeit von Glaubensvorstellungen, Werten, Technologien, den gesellschaftlichen Status, von Tauschsystemen und allen anderen Gesellschaftsaspekten, an denen die Anthropologie ein starkes Interesse hat.“7 Die Auswirkungen dieses Prozesses von Harrel-Bond und Voutira beschrieben, stehen in engem Zusammenhang mit den Menschen in der Schubhaft. Diese 6 Harrel-Bond, Barbara; Voutira Eftihia: Anthropology and the Study of Refugees. In. Anthropology Today. 8 (4). 199, S. 6ff. 7 Ebenda, S. 9. 10 unterliegen nach erfolgter Abschiebung dem selben Prozess noch einmal, diesmal im Herkunftsland. Die Nützlichkeit von Glaubensvorstellungen, Werten, Technologien und so weiter muss gezwungenermaßen (unter Berücksichtigung des Erlebten im „Abschiebeland“, das ursprünglich als ein Hoffnungsschimmer, als Chance auf ein besseres Leben in den Köpfen der Menschen gegenwärtig war-) erneut hinterfragt werden, und dieser Bewusstwerdungsprozess während der Zeit der Inhaftierung erzeugt eine enorme psychische Belastung. Die Basis für die Datenerhebung im Rahmen dieser Arbeit bildet eine intensive Literaturrecherche, die sich als problematisch erwies, da das Thema im sozialwissenschaftlichen Diskurs so gut wie gar nicht existiert. So dienen mir als Grundlage und Bundesministerium Primärquellen für Inneres hauptsächlich Gesetzestexte veröffentlichten Statistiken und die vom und juristische Abhandlungen über das Fremden- und Asylgesetz. Als Spezialliteratur zum Thema wurden Veröffentlichungen und Homepages diverser, im Flüchtlingsbereich und in der Antirassismusarbeit tätigen Gruppierungen und NGO’s herangezogen. Eine bedeutende Quelle war vor allem die Homepage „no-racism.net“, deren Zielsetzung es ist, den rassistischen Alltag, sowie Politik und ihre Folgen in Österreich, der Festung Europa und auch international zu dokumentieren.8 Des weiteren fließen Gespräche mit Experten ein, die im Bereich der Flüchtlingsarbeit tätig sind. Interviewt wurden: - Herr Günther Ecker, Geschäftsführer des in der Schubhaftbetreuung tätigen Vereins „Menschenrechte Österreich“ und Mitglied des Menschenrechtsbeirates, - Herr Dr. North, mit dem ich über die Arbeit des Vereins „Dialog“9 sprach, - Herr Thomas Neuwirth, Wachebeamter im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Hernalser Gürtel. Er gestattete mir Einblicke in die Organisation der Haftanstalt und die Arbeit der WachebeamtInnen und ihre Beziehungen und Hierarchien untereinander. 8 Entstanden ist no-racism.net aus der Plattform für eine Welt ohne Rassismus. Die erste Version der Webpage entstand 1999 unter der Domain „www.illegalisiert.at“ als Projekt der Kampagne „kein mensch ist illegal“. 9 Der Verein „Dialog“ ist im Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel für die psychische Betreuung von Häftlingen zuständig. 11 Gespräche mit „illegalisierten“ Flüchtlingen, die bereits in Schubhaft waren, wurden ebenfalls geführt. Auf Grund der prekären rechtlichen Situation und auf Bitten der Interviewten wurden die Interviews nicht aufgezeichnet. Die Angst über das Erlebte zu sprechen und deshalb wieder in Haft genommen zu werden, war deutlich spürbar. Während der Interviews wurden Notizen gemacht, um das Erfahrene in die Arbeit einfließen lassen zu können. Um mich besser in die Situation des Inhaftiert - Seins hineinversetzen zu können, besuchte ich im Rahmen eines Geschichteseminars das PAZ Hernalser Gürtel in Wien. Bei diesem Besuch wurde ein Gespräch mit Oberstleutnant Zinsberger, dem Direktor des Polizeianhaltezentrums, geführt.10 Es erfolgten ebenfalls Gespräche mit zwei diensthabenden Wachebeamten im Einzelzellentrakt und dem Wachebeamten, der uns durch das Gebäude führte. Da wir zufällig bei der Essensausgabe auf einem Stockwerk waren, konnten kurze Gespräche mit einigen Angehaltenen geführt werden. Während des Aufenthaltes im PAZ trafen wir auch auf eine unangemeldete Delegation des Menschenrechtsbeirates (MRB). Es war uns erlaubt, Fotos zu machen, die sich am Ende dieser Arbeit wiederfinden. Durch das folgende Zitat Schumachers soll die Situation von AsylwerberInnen in Österreich noch einmal verdeutlicht werden: „Es hat sich gezeigt, dass die zwangsweise Durchsetzung des Fremdenrechts an Grenzen stößt, Zwangsmaßnahmen wenn die von den angedrohten Betroffenen Sanktionen als oder einkalkuliertes möglichen Risiko einer unrechtmäßigen Zuwanderung in Kauf genommen werden. Können angedrohte Geldund Haftstrafen in weiten Bevölkerungsteilen zu einem normkonformen Handeln disziplinieren, versagen diese Sanktionsmechanismen, wenn sie gegen Menschen eingesetzt werden, die (fast) nichts zu verlieren haben. Geldstrafen führen sich dann ad absurdum, wenn bei den mittellosen Abgestraften nichts zu holen ist und die öffentliche Hand letztlich auf den Kosten eines aufwändigen Strafverfahrens sitzen bleibt. Auch Haftstrafen verfehlen ihre Wirkung, wenn sie von den Betroffenen als geringeres Übel empfunden werden als das Schicksal, das ihnen bei einer 10 Das Gespräch durfte ausdrücklich nicht aufgezeichnet werden. 12 zwangsweisen Rückkehr in ihre Heimat drohen würde. Relativ ratlos stehen Verantwortliche dem Phänomen gegenüber, dass Menschen bereit sind, ihre Dokumente zu vernichten, in Hungerstreik zu treten oder sich selbst zu verletzen, um einer Abschiebung zu entgehen. Und bereit sind, die extremen Lebensverhältnisse eines unrechtmäßigen Aufenthaltes auf sich zu nehmen, nur um in Österreich bleiben zu können. Auch eine geglückte Abschiebung ist aus der Sicht der Fremdenpolizei oft nur ein Teilerfolg. Viele Abgeschobene kehren nämlich nach Österreich zurück und nehmen erneut (irregulären) Aufenthalt.“11 Theoretische Abhandlung zur Schubhaft oder „Auf der Suche nach dem Warum“? 11 Schumacher, Sebastian: Fremden und Asylrecht. Skriptum FH. Studiengang Sozialarbeit. Wien 2005, S. 97. 13 Der Pass ist der edelste Teil von einem Mensch. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird. Bert Brecht, Flüchtlingsgespräche Schubhaft ist eine Freiheitsberaubung, die ausschließlich „Fremden“ zuteil werden kann. Schubhaft ist keine Strafhaft. Sie kann ohne Haftprüfungsverfahren von der Verwaltungsbehörde erlassen werden, um der möglichen (!) Entziehung der Abschiebung entgegenzuwirken. Die Folgen einer nicht erfolgten Abschiebung sind ein Leben als „Illegalisierte®“ mit sehr geringen Chancen auf Legalisierung. Dem Konzept der Schubhaft liegt das Konstrukt des „illegalisierten“ Menschen zu Grunde. Illegalisierung ist ein Prozess, der sehr rasch vor sich gehen kann (und in engem Zusammenhang mit der Souveränität der Nationalstaaten zu sehen ist. Eine theoretische Abhandlung dazu findet sich im zweiten Teil.). Menschen, die vor Folter, menschenunwürdigen Lebensbedingungen, Hunger, Elend, Ausbeutung oder Krieg fliehen, erwartet statt des erhofften Schutzes ein Aufenthaltsverbot wegen fehlenden Meldezettels oder illegalen Grenzübertritts. Es trifft aber genauso Menschen, die seit Jahren in Österreich leben und arbeiten und die durch verschiedene Umstände ihr Aufenthaltsrecht verlieren (auf diese Personengruppe wird hier nicht besonders eingegangen. Ich beschränke mich auf die Darlegung der Situation von AsylwerberInnen). Exkurs: Die wenigen Möglichkeiten von keinem beziehungsweise prekären zu einem „legalen“ Aufenthaltsstatus durch Eheschließung oder Adoption, werden durch das Asylgesetz 2005 rigoros Kontrollbestimmungen beschnitten. sollen Zahlreiche sicherstellen, dass Straf-, Sanktions-, „Aufenthaltsehen“ und oder 14 „Aufenthaltsadoptionen“12 (Scheinehen und Scheinadoption) unterbunden werden. Die Regelungen greifen zum Teil derartig weit in die Privatsphäre von Verlobten oder Ehepaaren ein, dass sie aus grundrechtlich-rechtsstaatlicher Sicht sehr bedenklich sind.13 Ab 01.01.2006 unterliegen die Standesämter der Verpflichtung, jeden Antrag auf Eheschließung, der von einem/einer Drittstaatsangehörigen gestellt wird, unverzüglich der Fremdenpolizei zu melden (§ 38 PStG 2005). Dies betrifft nicht nur Ehen zwischen Drittstaatsangehörigen14 und ÖsterreicherInnen/EWR BürgerInnen, sondern auch Eheschließungen von Drittstaatsangehörigen untereinander. Genauso haben Bezirksverwaltungsbehörden alle Anträge auf Namensänderung und Zivilgerichte alle Anträge auf Adoptionen von Fremden der Fremdenpolizei mitzuteilen (§ 105 Abs. 4 FPG 2005). Bei dieser Datenweitergabe geht es nicht um konkrete Verdachtsmomente. Es werden ausnahmslos alle Eheschließungen und Adoptionen Drittstaatsangehöriger an die Fremdenpolizei weitergeleitet (was in Hinblick auf das Recht auf Schutz der Privatsphäre und das Recht auf Datenschutz ausgesprochen bedenklich erscheint). Die Entscheidung, ob eine Eheschließung oder eine Adoption näher überprüft wird, liegt dann bei der Fremdenpolizei.15 (Exkurs Ende). Die österreichische Mehrheitsbevölkerung setzt „illegal“ mit „kriminell“ gleich. Massenmedien und Aussagen von PolitikerInnen stellen diese Verbindung immer wieder her und bestärken dadurch den rassistischen Konsens. Nach vorherrschender Meinung handelt es sich bei Schubhäftlingen um „Kriminelle“, wie zum Beispiel als Drogendealer stigmatisierte AfrikanerInnen.16 Für die Mehrheitsbevölkerung 12 Ehen oder Adoptionen die lediglich wegen der Erlangung eines Aufenthaltstitels erfolgen. Wohnungen werden mitten in der Nacht von PolizeibeamtInnen gestürmt um die „Vollziehung der Ehe“ zu kontrollieren, Kleiderschränke und Schmutzwäsche werden auf Hinweise der Anwesenheit des/der Ehegatten/in durchsucht. Zusätzlich werden auch Fragen, die Intimsphäre betreffend gestellt. 14 Angehörige von nicht EWR-Staaten. 15 Stellungnahme von amnesty international Österreich zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das AsylG 1997 (AsylG -Novelle 2003), das Bundesbetreuungsgesetz, das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat und das Meldegesetz geändert werden, das Asylgesetz 2005 und das Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen sowie das Bundesbetreuungsgesetz, das Personenstandsgesetz, das UBAS - Gesetz und das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 geändert werden. Wien 2005, S. 84. 16 Als eines von vielen Beispielen äußerst problematischer und rassistischer Berichterstattung österreichischer Printmedien wird hier ein Zitat aus der Kronenzeitung vom 20.12.2002 angeführt: „3000 Afrikaner als Drogendealer! In Österreich halten sich mehr als 3000 (!) Drogenhändler aus 13 15 erscheint klar: wer nichts getan hat, kommt auch nicht in Haft. Haft hat eben mit Gefängnis und Gefängnis mit Untat zu tun, und „Illegalität“ weist auf Rechtsbruch, auf Delikt hin. Jeder Mensch sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden wo und wie er/sie leben will. Der Regulierung von Migration und der systematischen Verweigerung von Rechten stellt die Kampagne „kein mensch ist illegal“ die Forderung nach Gleichheit in allen sozialen und politischen Belangen, nach Respektierung der Menschenrechte jeder Person, unabhängig von Herkunft oder Papieren entgegen. 17 Um politische Tendenzen, die versuchen, Menschenrechte für bestimmte Gruppen außer Kraft zu setzen, bekämpfen zu können, ist die genaue Analyse der diskriminierenden Rhetorik der erste Schritt. Denn die Sprache – vor allem die politische Sprache – schafft Realitäten. Sprecher und Sprecherinnen besitzen in bestimmten kulturellen und gesellschaftspolitischen Zusammenhängen Macht und sind somit in der Lage, Gruppen ein- oder auszuschließen, zu verschlingen oder zu vernichten. Worte, Parolen und ideologische Programme können Taten vorbereiten und sind wichtige Signale für potentielle Aktionen. Man sollte diese daher ernst nehmen. Offensichtlich rassistische Sprache erkennt fast jeder und jede. Die subtilen problematischen Formulierungen der Gesetzestexte hingegen sind nicht so leicht greifbar. Bei der Lektüre der Gesetzestexte lässt sich erkennen, wie Österreich auf verschiedensten Ebenen mit „Fremden“ umgeht.18 Wodak spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Renaissance von antisemitischer, rassistischer Terminologie als ein österreichisches Spezifikum (im Zusammenhang damit, dass Österreich das erste westeuropäische Land ist, in dem nach 1945 eine teilweise offen xenophobe Partei in der Regierung sitzt).19 Eine unmittelbare Auswirkung in diesem Zusammenhang ist meiner Meinung nach die zweimalige Verschärfung des Fremden- Afrika auf. Viele von ihnen leben als Asylwerber in Wien, Graz und Linz! Diese alarmierenden Fakten gab nun das Kriminalamt Wien bekannt. Seit dem Frühjahr wurden insgesamt 19 Drogenringe zerschlagen und der Verkauf von 400 Kilo Rauschgift nachgewiesen!“ 17 „kein mensch ist illegal“. Broschüre S. 1ff. 18 Wodak, Ruth; Menz, Florian: Sprache in der Politik. Politik in der Sprache. Analysen zum öffentlichen Sprachgebrauch. Klagenfurt 1990. S. 7ff. 19 http://www.bmbwk.gv.at/medienpool/3673/publ2_d.pdf, am 10.12.2005. 16 und Asylgesetzes (2003 und 2005) innerhalb der fünfjährigen Legislaturperiode von ÖVP/FPÖ.20 Als einen wichtigen Theorieansatz im Zusammenhang mit dem Thema AsylwerberInnen und Schubhaft/Abschiebung erscheint mir die These Giorgio Agambens. In seinem Buch „homo sacer“ arbeitet er heraus, dass durch die Institution der Abschiebegefängnisse21 ein entscheidender Schritt gesellschaftlicher Ausgrenzung und Entrechtung der MigrantInnen und Flüchtlinge hin zu einem Status von „Illegalen“ vollzogen wird. Agamben weist darauf hin, dass ein Ritual des Entzuges der Menschen- und Bürgerrechte, der Inhaftierung vorausgeht wo die Gefangenen nicht mehr als Rechtssubjekte gelten, da sie vom juristischen Standpunkt aus nicht länger auf dem Staatsgebiet existieren (dürften), auf dem sie sich faktisch aber aufhalten. So entsteht ein Ausnahmezustand in dem die Festgehaltenen keinerlei Rechte haben, denn juristisch gesehen, dürften sie nicht mehr „hier“ sein. „Es ist als wäre ihre physische Existenz vollkommen vom juridischen Status getrennt worden.“22 In der Abschiebehaft bleibt den Inhaftierten nur mehr das nackte Leben; sie sind ohne jeden rechtlichen Status. Die Abzuschiebenden befinden sich zwar auf dem Territorium des Nationalstaates, nicht aber innerhalb der Nationalgrenzen, denn formalrechtlich sind sie bereits abgeschoben und haben nun mehr zu warten, dass sich ihre Deportation auch praktisch vollzieht.23 Diese Überlegungen Agambens erscheinen mir als ein grundlegendes Erklärungsmodell der Zustände in den Polizeianhaltezentren und dafür, dass BeamtInnen, unter deren Aufsicht Menschen im Gefängnis oder bei Abschiebeflügen sterben, auf rechtlicher Ebene abgesichert sind und weiterhin im Dienst bleiben. Als ein weiteres Erklärungsmodell dafür, dient hier das Phänomen des Rassismus. Meiner Meinung nach findet sich in der Existenz der Schubhaft der Höhepunkt des 20 Wohingegen in der Zeit zwischen 1968 (erstes Asylgesetz) und dem Jahr 2000 ebenfalls zweimal ein „neues“ Asylgesetz beschlossen wurde 1991 und 1997. In: Gürses, Hakan; Kogoj, Cornelia; Mattl, Silvia: Gastarbejteri. 40 Jahre Arbeitsmigration. Wien 2004, S. 35 - 44. 21 Begriff für Polizeianhaltezentren in Deutschland. 22 Ohne Bürgerrechte bleibt nur das nackte Leben. Interview mit Giorgio Agamben über Abschiebung und Lager ohne Namen. In: Reader zur Kampagne gegen Abschiebungen, Abschiebeknäste und Abschiebelager. Leipzig 2002. S. 44. 23 Ebenda, S. 45ff. 17 Institutionellen Rassismus. Auf wissenschaftlicher Ebene gibt es eine Fülle von verschiedenen Rassismusdefinitionen. Die Definition des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeglicher Formen von Rassendiskriminierung von 1966 lautet: „jede Unterscheidung, jeden Ausschluss, jede Einschränkung oder Bevorzugung auf Grund von Rasse, Farbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft mit dem Ziel oder der Folge, die Anerkennung, den Genuss oder die Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf gleicher Grundlage im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem anderen Bereich des öffentlichen Lebens aufzuheben oder zu behindern.“24 Bei dieser Formulierung darf der politisch/rechtliche und zeitliche Charakter nicht übersehen werden und genauso ist festzuhalten, dass „Rasse“ nicht weiter hinterfragt wird, sondern als gegeben angenommen wird. ZARA (Verein für Zivilcourage und Antirassismusarbeit) definiert Rassismus im Gegensatz zu der oben genannten wissenschaftlichen Definition folgendermaßen: „Rassistische Diskriminierung bedeutet, dass ein Mensch aufgrund seiner Hautfarbe, seiner Sprache, seines Aussehens, der Religionszugehörigkeit, Staatsbürgerschaft oder Herkunft in irgendeiner Form benachteiligt wird.“ Zu dieser Definition wird des weiteren hinzugefügt: „Benachteiligungen, Beschimpfungen und tätliche Angriffe: Bei der Arbeits- und Wohnungssuche, in Lokalen und Geschäften, bei Kontakten mit Behörden und mit Privaten, im öffentlichen Raum und auch durch Medien. So erleben viele Menschen rassistische Diskriminierungen.“ 25 Wird die Erklärung für Rassismen nicht bloß auf das individuelle Verhalten oder die ideologische Einstellung reduziert, sondern wird Rassismus als Teil eines Ganzen gesehen, dann spielt die Funktion der staatlichen Institutionen eine wesentliche Rolle. Diese Funktion wird zum Beispiel durch mangelnde Strafverfolgung von rassistischen Handlungen oder beim „Gewähren - lassen“ innerhalb einer Institution 24 Schneider, Robin: Diskriminierung, Rassismus, und Fremdenfeindlichkeit in Europa: Ein Überblick über die Rechtslage in der EU und Thesen für eine europäische Gleichstellungspolitik. In: Institut für sozialpädagogische Forschung. Mainz 1997, S. 193. 25 Bachinger, Eva: Anti-Rassismus-Arbeit in Österreich. In: Sammelmappe zu ZARA – Lehrgang „Rassismus und Zivilcourage“. Wien 2002. S. 2f. 18 sichtbar.26 Essed schreibt in diesem Zusammenhang, dass Strukturen des Rassismus nicht außerhalb von Handelnden zu fassen sind, sie sind vielmehr durch Handelnde erzeugt. Spezifische Praxen sind nur dann rassistisch, wenn sie existierende rassistische Ungleichheiten im System zu aktivieren vermögen.27 Sie unterstreicht hier also den Zusammenhang von Alltags- und Institutionellem Rassismus (denn Individuen sind immer Handelnde innerhalb von Machtstrukturen). Alltagsrassismus ist nach Essed die Integration von Rassismus in Alltagssituationen durch Praxen, welche darunter liegende Machtverhältnisse relativieren. Dabei ist auch zu beachten, dass Menschen unterschiedlich involviert und betroffen sein können, abhängig von Gender, „Klasse“, Status und anderen Faktoren, welche Inhalt und Struktur von alltäglichem Leben bestimmen.28 Rassismus ist also einerseits als Struktur zu begreifen, da sich „rassische“ und „ethnische“ Dominanz im System ablagert. Gleichzeitig aber kommt es zur Reproduktion von Rassismus durch das System in der Formulierung von Regeln und Gesetzen, sowie durch den Zugang zu Ressourcen.29 Einfacher ausgedrückt bedeutet dies, dass Rassismus in ökonomischen und politischen Institutionen, im Bereich von Bildung und Erziehung und in den Medien verankert ist, und gleichzeitig auch wieder durch diese Strukturen reproduziert wird. 30 Essed liefert meiner Meinung nach die treffendste Definition von Rassismus, den sie sowohl als Struktur als auch als Prozess beziehungsweise Praxis und Ideologie versteht. Des weiteren fasst sie Rassismus als Rechtfertigung und als Gruppenphänomen auf. Sie definiert Rassismus folgendermaßen: „Rassismus ist eine Ideologie, eine Struktur und ein Prozess, mittels derer bestimmte Gruppierungen auf 26 Verena Krausneker kommt in ihrer Studie: “Rassismus in Österreich! Rassismus in Österreich?“ Analyse und theoretische Einbettung von Diskriminierung, unter 5.4. in Bezug auf die Rolle der Exekutive zu einer ähnlichen Annahme: ....“Auffällig bei der Analyse der Übergriffe im Bereich der Polizei ist, dass allen ein Brutalitätsniveau eigen ist, das sich in keinem der anderen Gebiete in auch nur annähernd ähnlicher Art und Weise wiederfinden lässt. Im Zusammenhang mit dem Polizeiapparat scheint es, dass körperliche Übergriffe und extreme Brutalität vor allem in Dienstzeiten verwirklicht werden, dass es also strukturelle Eigenschaften der Organisation „Polizei“ gibt, die derartige Handlungsweisen nicht ausreichend kontrolliert und sanktioniert.“ Diese Studie von Verena Krausneker, von 1999 wurde vom Bundesministerium für Wissenschaft gefördert. 27 Essed, Philomena: Understanding everyday racism. A Interdisciplinary Theory. London/New Delhi 1992. S. 39. 28 Ebenda, S. 50f. 29 Ebenda, S. 44. 30 Ebenda, S. 266. 19 der Grundlage tatsächlicher oder zugeschriebener biologischer oder kultureller Eigenschaften als wesensmäßig andersgeartete und minderwertige „Rassen oder ethnische Gruppen angesehen werden. In der Folge dienen diese Unterschiede als Erklärung dafür, dass Mitglieder dieser Gruppierungen vom Zugang zu materiellen und nicht-materiellen Ressourcen ausgeschlossen werden.“ I. Die Schubhaft oder „Willkommen in Österreich“ Schubhaft ist keine Strafe, sollte eigentlich keine sein und doch wirkt sie wie eine Strafe. Und zwar wie eine besonders tückische. Das Wort Haft allein indiziert eine 20 Gleichsetzung der Schubhäftlinge mit Strafgefangenen. Häftlinge sind sie, also müssen sie auch irgend etwas angestellt haben.31 „Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen. (§ 61 FrG)“32 „Fremder ist, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt. (§ 1 FrG)“33 Schubhaft ist eine Maßnahme, von der lediglich Menschen, die die österreichische StaatsbürgerInnenschaft nicht besitzen, sich aber trotzdem im Bundesgebiet aufhalten, betroffen sein können. Für Menschen mit österreichischem Pass gibt es diese Form des Freiheitsentzugs nicht. Die Schubhaft gilt nicht als Strafhaft, sondern als Sicherungsmaßnahme.34 Der Haftverhängung liegen keine kriminellen Handlungen zu Grunde. 1. Haftgründe Die Gründe für aufenthaltsbeendende Maßnahmen und die darauf folgende InSchubhaft - Nahme von AsylwerberInnen und MigrantInnen sind im Fremdengesetz folgendermaßen festgelegt: 31 Petrovic, Madeleine: Schubhaft – die unverhältnismäßige Strafe. In: Schubhaft. Einperren -Abschieben. Schubhaft in Österreich. Der Grüne Klub im Parlament. Wien, S. 5. 32 Schumacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Wien 2003, S. 179. 33 Ebenda, S. 123. 34 Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 230. 21 - § 33 (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. - § 33 (2) Fremde, die weder über einen Aufenthaltstitel verfügen noch Sichtvermerks- und Niederlassungsfreiheit (§ 30 Abs. 1) genießen, können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie 1. von einem Strafgericht wegen einer innerhalb eines Monates nach der Einreise begangenen Vorsatztat, wenn auch nicht rechtskräftig, verurteilt wurden oder 2. innerhalb eines Monates nach der Einreise bei der Begehung einer Vorsatztat auf frischer Tat betreten oder unmittelbar nach Begehung der Vorsatztat glaubwürdig der Täterschaft beschuldigt wurden, wenn überdies die strafbare Handlung mit beträchtlicher Strafe bedroht ist und eine Erklärung des zuständigen Staatsanwaltes vorliegt, dem Bundesminister für Justiz gemäß § 74 ARHG berichten zu wollen, 3. oder innerhalb eines Monats nach der Einreise gegen die Vorschriften, mit denen Prostitution geregelt ist, verstoßen 4. oder innerhalb eines Monats nach der Einreise den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachzuweisen vermögen oder 5. innerhalb eines Monats nach der Einreise von einem Organ der Zollbehörde, der regionalen Geschäftsstellen oder der Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bei einer Beschäftigung betreten werden, die sie nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz nicht ausüben hätten dürfen, oder 6. unter Missachtung der Bestimmungen des 2. Hauptstückes oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und während dieses nicht rechtmäßigen Aufenthaltes binnen einem Monat betreten werden und wenn ihre sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. 22 - § 33 ( 3 ) Die Ausweisung gemäß Abs. 2 wird mit ihrer – wenn auch nicht rechtskräftigen – Erlassung durchsetzbar; der Fremde hat dann unverzüglich auszureisen.35 Wird ein Fremder auf Grund seines unrechtmäßigen Aufenthalts (§ 33 Abs. 1) ausgewiesen, so ist laut Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)36 und § 37 FrG, sein Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen. Artikel 8 der EMRK lautet: Absatz 1: Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Absatz 2: Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.37 Nun stellt sich die Frage, inwieweit zum Beispiel eine undokumentierte “illegale“ Einreise, mangelnde Unterhaltsmittel oder illegale Prostitution die öffentliche und nationale Sicherheit stören oder das wirtschaftliche Wohl des Landes beeinträchtigen. Inwieweit fallen solche Delikte, begangen durch MigrantInnen oder Flüchtlinge unter die Voraussetzungen für die Maßnahme der Außerlandesbeschaffung eines/einer „Fremden“, schafft doch die österreichische Gesetzgebung selbst den rechtlichen 35 Ebenda, S. 153f. Die EMRK wurde am 4. November 1950 im Rahmen des Europarates ausgearbeitet und trat am 3. September 1953 in Kraft. Sie enthält einen Katalog von Grund- und Menschenrechten und wurde von allen Mitgliedern des Europarates unterzeichnet und zu innerstaatlichem Recht deklariert, das heißt, dass die EMRK in Österreich Verfassungsrang hat. Österreich unterzeichnete die EMRK am 16. April 1956. 37 Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 239. 36 23 Rahmen, innerhalb dessen die Begehung von Straftaten oft zur scheinbaren Notwendigkeit für die „Fremden“ wird, wie zum Beispiel durch das Verbot für AsylwerberInnen, legal einer erwerbstätigen Arbeit nachzugehen, die problematischen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Bundesbetreuung38 oder die Unmöglichkeit der legalen Einreise, verursacht durch die restriktiven Einwanderungsgesetze. Bei AsylwerberInnen wird der Aufenthalt durch das Asylgesetz geregelt. Ist das Asylverfahren negativ, also haben Asylbehörden festgestellt, dass die Person in Österreich keinen Anspruch auf Schutz vor Verfolgung hat, muss von diesen festgestellt werden, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist, (siehe dazu § 57 FrG)39 oder ob die Voraussetzungen für den Status des „subsidiären Schutzes“ vorhanden sind. Subsidiärer Schutz bedeutet, dass der/die AntragstellerIn keiner Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention40 (GFK) unterliegt, aber aus anderen Gründen 41 nicht in ihren/seinen Herkunftsstaat zurückgeschoben werden kann.42 Gründe für die Schubhaftverhängung gegen AsylwerberInnen gemäß Asylrechtsnovelle 2003: 38 Die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über Maßnahmen zur Grundversorgung für hilfsund schutzbedürftige Fremde wie für AsylwerberInnen und nicht abschiebbare Personen. Den Betroffenen wird Unterkunft, Verpflegung und ein kleines Taschengeld zur Verfügung gestellt. Ausgeschlossen werden können jene, die trotz Aufforderung, nicht an der Feststellung ihrer Identität oder ihrer Hilfsbedürftigkeit mitwirken oder die innerhalb von sechs Monaten nach rechtskräftigem Abschluss ihres Asylverfahrens einen weiteren Asylantrag einbringen oder wenn nicht an der Feststellung des für die Asylverfahrensführung notwendigen Sachverhaltes mitgewirkt wird. In: www.unhcr.at/pdf/924.pdf, am 13.09.2005. 39 Schumacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Wien 2003, S. 176. 40 Artikel 1 der GFK von 1951 bildet die Grundlage der Flüchtlingsdefinition. Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus begründeter Furcht vor Verfolgung auf Grund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er/sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will. In: http://www.aufenthaltstitel.de/genferkonvention.html#1, am 15.07.2005. 41 Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Todesstrafe oder eine Bedrohung der Freiheit, des Lebens aus anderen Gründen als in der GFK genannt. In: http://www.unhcr.at/index.php/cat/56/aid/973, am 15.07.2005. 42 Schumacher, Sebastian: Ratgeber Fremdenrecht Update 1. Mai 2004, S. 15. 24 - § 34b. (1) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Ausweisung oder Abschiebung mit Bescheid anordnen, wenn 1. der Asylwerber sich im Zulassungsverfahren ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat; 2. gegen den Asylwerber eine – wenn auch nicht rechtskräftige – Ausweisung gemäß der §§ 5a und 6 erlassen wurde, oder 3. der Fremde nach einer rechtskräftigen Zurückweisungsentscheidung im Zulassungsverfahren oder nach rechtskräftig negativer Entscheidung einen neuerlichen Asylantrag (Folgeantrag) stellt oder einbringt.43 Aus diesen Gesetzestexten geht hervor, dass es AsylwerberInnen nicht erlaubt ist, während des Zulassungsverfahrens die Erstaufnahmezentren44 zu verlassen, was bereits eine Einschränkung der persönlichen Freiheit zur Folge hat. Wird der Asylantrag im Zulassungsverfahren als unbegründet zurückgewiesen, kann der/die AntragstellerIn sofort in Schubhaft genommen werden. Durch die Asylrechtsnovelle 2003 wurde den sogenannten “Folgeanträgen“ ein Riegel vorgeschoben. Im Asylgesetz 1997 gab es noch die Möglichkeit, einen Asylantrag direkt aus der Schubhaft zu stellen, mit dem Nebeneffekt der Haftentlassung. Diese Praxis wurde 2003 mit dem Vorwand des Asylmissbrauchs verboten. 45 2. Aufenthaltsverbot 43 Schumacher, Sebastian: Gesetzessammlung Asylrecht. Wien 2004, S. 30. Mit dem Inkrafttreten des Asylgesetzes am 1. Mai 2004 wurde das Zulassungsverfahren eingeführt. Das Zulassungsverfahren ist der inhaltlichen Prüfung von Asylanträgen in einer der drei Erstaufnahmestellen (EAST) Traiskirchen, Schwechat oder Thallam in St. Georgen im Attergau vorgelagert. Es soll der Verfahrensbeschleunigung dienen, indem AsylwerberInnen in einer der Erstaufnahmestelle angehalten werden und dort im Eiltempo, längstens innerhalb von zwanzig Tagen, eine Ersteinvernahme und Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrages erfolgt. In: http://www.integrationsportal.at/icmpd/public/?&RID=&id=16627&class=container, 18.07.2005. 45 http://www.integrationsportal.at/icmpd/public/?&RID=&id=16627&class=container, 18.07.2005 44 25 Vereinfacht gesagt, ist ein Aufenthaltsverbot eine Ausweisung46 verbunden mit dem Verbot der Wiedereinreise in das Bundesgebiet. Durch das Aufenthaltsverbot kann der legale Aufenthalt eines/einer Fremden in Österreich zur Wahrung der öffentlichen Interessen beendet werden.47 Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes hängt von der Schwere des Deliktes ab und kann von 3 Jahren aufwärts bis hin zur unbefristeten Dauer reichen.48 Die Gründe für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes sind im § 36 FrG festgelegt. Die Gründe für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen AsylwerberInnen sind: (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen49 die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt 1. die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet oder 2. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. (2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder 1. von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist; 4. im Inland wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft oder im In- oder Ausland wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist. 46 Eine Ausweisung ist die Aufforderung an einen „Fremden“, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes das Inland zu verlassen. 47 Schröttner-Thurner, Birgit: Schubhaft in Theorie und Praxis. Graz 1994, S. 4. 48 Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 244. 49 „...auf Grund bestimmter Tatsachen“ ist wiederum eine Formulierung, die den BeamtInnen großen Handlungsspielraum einräumt, da die „bestimmten Tatsachen“ nirgends genauer definiert werden und die Auslegung somit den BeamtInnen überlassen ist. 26 7. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn, er wäre rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Inland mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen. (Mittellosigkeit) 8. eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat. (Scheinehe) 9. An Kindes statt angenommen wurde und die Erlangung oder Beibehaltung ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht wurde. (Scheinadoption)50 Ein Aufenthaltsverbot wegen Mittellosigkeit, darf für AsylwerberInnen laut § 21 AsylG nicht erlassen werden, wenn sie - über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung verfügen (so lange bis über den Asylantrag rechtskräftig entschieden wurde) und - den Asylantrag aus eigenem Antrieb heraus gestellt haben.51 Zu beachten gilt aber, dass trotz der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes, ein(e) AsylwerberIn im laufenden Asylverfahren nicht abgeschoben werden darf!52. Grundsätzlich gilt, dass das Aufenthaltsverbot nicht vollstreckbar ist, so lange das Asylverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. In der Praxis erweist es sich oft als schwierig, den Betroffenen zu erklären, dass einem Aufenthaltsverbot, so lange das Asylverfahren nicht rechtskräftig entschieden ist, keine Bedeutung zu kommt.53 50 Schumacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Wien 2003, S. 157ff. Ebenda, S. 252. 52 Ebenda, S. 253. 53 Wie erklärt man Menschen aus verschiedensten Herkunftsländern das österreichische Rechtssystem, wobei erschwerend hinzukommt, dass die Praxis und die Theorie weit auseinander klaffen? Was wir als BeraterInnen den KlientInnen den rechtlichen Grundlagen entsprechend als unmöglich erklären, erweist sich im Alltag der AsylwerberInnen oft als Realität. Die Menschen sind extremen Ängsten 51 27 Im Jahr 2004 wurden laut Statistik des BMI insgesamt 9.132 Aufenthaltsverbote erlassen. Davon 2.929 wegen Mittellosigkeit, 24 wegen Prostitution, 200 wegen Scheinehe, 36 wegen Scheinadoption, 2.662 wegen einer rechtlichen Verurteilung und 1.819 wegen Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit. Insgesamt sind bis Ende des Jahres 2004 76.178 Aufenthaltsverbote aufrecht. Werden die Zahlen nach der Staatsangehörigkeit gegliedert, steht Rumänien mit 11.658 aufrechten Aufenthaltsverboten an erster Stelle der Statistik, gefolgt von Jugoslawien (Serbien und Montenegro), Afghanistan und der Russische Föderation. Indien steht an fünfter Stelle mit 3.839 und Nigeria als einziges afrikanisches Land in der Statistik an siebzehnter Stelle mit 1.526 aufrechten Verboten. Deutschland steht mit 1.092 aufrechten Aufenthaltsverboten an zweiundzwanzigster Stelle.54 3. Zweck der Schubhaft „Fremde“ können festgenommen und angehalten werden um: - das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots (§ 36 FrG) oder einer Ausweisung (§ 33 FrG) - um die Abschiebung (§ 56 FrG) - um die Zurückschiebung (§ 55 FrG) oder ausgesetzt und verlassen ihre Unterkünfte nur selten, da sie befürchten, bei einer Polizeikontrolle sofort in Schubhaft genommen zu werden. 54 www.bmi.gv.at/downloadarea/asyl_fremdenwesen_statistik/Jahr2004.pdf., 10.10.2005, S. 87ff. 28 - um die Durchbeförderung (§ 58 FrG) zu sichern.55 Zu den genannten Haftgründen kommt laut Verfassungsrecht auch die Voraussetzung der „Notwendigkeit“ hinzu. Damit die Schubhaft rechtmäßig ist, muss sie zusätzlich verhältnismäßig sein. In Art. 1 Abs. 3 PersFrBVG heißt es: „nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist“. In Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG heißt es außerdem: „wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern“56 Die laut Verfassung bestehende Verpflichtung zur Prüfung der Notwendigkeit der Haft wird in § 66 FrG relativiert: „Die Behörde kann von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann“.57 Die Problematik, die sich aus diesen Gesetzesauszügen ergibt ist, dass die „Notwendigkeit“ der Haft von der Willkür der BeamtInnen abhängig ist (die Behörde kann). Die Formulierung Entscheidungsfreiheit, der die Gesetzestexte durch den lässt den Behörden institutionalisierten sehr Rassismus viel der österreichischen Gesetzgebungsapparate gedeckt wird.58 Der/die Fremde ist also von den subjektiven Eindrücken, dem Weltbild, den Lebensvorstellungen und vor allem von der Bildung der BeamtInnen abhängig. Trifft ein Mensch zum Beispiel auf eine/einen aufgeschlossene/n Beamtin/Beamten, kann es eher zur Maßnahme des gelinderen Mittels kommen. So hat zum Beispiel ein Mann aus Nigeria, der durch die österreichische Berichterstattung in den Massenmedien zum Drogendealer stigmatisiert ist, selten die Chance auf die Anwendung des gelinderen Mittels (in den öffentlich zugänglichen 55 Kux, Julia: Schubhaft – Haft ohne Delikt. Innsbruck 2001, S. 8. Ebenda, S. 10. 57 Ebenda, S. 10f. 58 Der institutionelle Rassismus manifestiert sich bereits in § 1 FrG. Dadurch werden Menschen, die keinen österreichischen Pass haben, von genau definierten Segmenten der Gesellschaft herausgenommen. AsylwerberInnen wird auf Grund ihrer Herkunft zum Beispiel der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. 56 29 Statistiken des BMI wird die Nationalität der Personen, über die das gelindere Mittel verhängt wurde nicht erfasst). Eine eventuelle Minderjährigkeit des/der Betroffenen laut eigenen Identitätsangaben, die oft angezweifelt werden, tut ebenfalls nichts zur Sache, denn es scheint, dass die Grundlage der Entscheidungen des österreichischen Bundesasylsamtes und der Fremdenpolizei grundsätzliches Misstrauen allen AsylwerberInnen gegenüber ist.59 Diese Einstellung spiegelt sich außerdem in der misstrauischen Wortwahl der Asylbescheide wieder, wenn es zum Beispiel heißt: Ferner gab der Antragsteller (Ast.) an, den Namen.......zu führen, Staatsangehöriger von Nigeria und am .......geboren zu sein. _______ Abb. 160: Einer der Textbausteine, der vom Bundesasylamt in den negativen Bescheiden verwendet wird, der meiner Meinung das grundsätzliche Misstrauen ausdrückt. 4. Gelinderes Mittel Aus den selben Gründen, aus denen die Schubhaft verhängt wird, kann das gelindere Mittel (§ 66 FrG) zur Anwendung kommen. Bei Minderjährigen sollte per Gesetz grundsätzlich das gelindere Mittel angewendet werden, was in der Praxis aber oft missachtet wird. Anwendung des gelinderen Mittels bedeutet, dass sich der/die 59 Zu dieser Schlussfolgerung gelangte ich durch die Erfahrungen aus der Praxis. Die Abbildung ist auch im Original schief, wodurch man auf eine gewisse Gleichgültigkeit der BeamtInnen, die mit diesen Bescheiden über „Leben und Tod“ entschieden, schließen könnte. 60 30 Betroffene in einer von den Behörden genannten Unterkunft aufhalten und jeden zweiten Tag bei einer bestimmten Sicherheitsdienststelle melden mussWird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, wird die Schubhaft angeordnet. Grundsätzlich gilt für die Dauer des gelinderen Mittels, dass ein Tag in „Freiheit“ nur ein halber Tag Haft bedeutet. Die Anordnung des gelinderen Mittels darf also doppelt so lange dauern wie die zulässige Dauer der Schubhaft.61 Laut Fremdenpolizeilicher Statistik kam das gelindere Mittel im Jahr 2004 362 mal zur Anwendung. Im Gegensatz dazu waren insgesamt 9.041 Menschen in Schubhaft, wobei zu beachten ist, dass die genannte Zahl nicht nur AsylwerberInnen beinhaltet, sondern auch MigrantInnen und andere Menschen, die die österreichische StaatsbürgerInnenschaft nicht besitzen.62 5. In Haft ohne Ermittlungsverfahren Bedenklich an der Praxis der Schubhaft ist des weiteren, dass der Gesetzgeber von der Notwendigkeit eines Ermittlungsverfahrens absieht. Die Schubhaft kann ohne Haftprüfungsverfahren von der Verwaltungsbehörde erlassen werden. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist laut § 37 AVG: „den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben“. 61 62 Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 260. www.bmi.gv.at/downloadarea/asyl_fremdenwesen_statistik/Jahr2004.pdf., 10.10.2005, S. 88. 31 Schubhäftlinge können somit bis zu sechs Monaten (ab 01.01.2006 zehn Monate) inhaftiert werden, ohne dass ihnen Parteiengehör laut § 37 AVG gewährt wird.63 Hier zeigt sich meiner Meinung nach erneut, dass der Status von „Fremden“ als Rechtssubjekt nicht gegeben ist. Ganz konkret bedeutet der folgende Passus, dass Menschen ohne richterlichen Beschluss ihrer Freiheit beraubt werden können. Die Fremdenpolizei fungiert als letzte Instanz und ihr ganz allein obliegt die Entscheidung über die Inhaftierung. Da die Schubhaftbetreuungsorganisationen keine rechtliche Beratung bieten (dürfen) und nicht überprüfen, ob die Inhaftierung im Rahmen des Fremden- oder Asylgesetzes rechtmäßig ist, sitzen Menschen oft Wochen und Monate unrechtmäßig in Haft. Grundsätzlich gibt es, bei unrechtmäßiger Haft, ein Anrecht auf Haftentschädigung, das nach meiner Erfahrung aber nur spärlich in Betracht gezogen wird. Da die Angst vor erneutem Kontakt mit der Fremdenpolizei und einer erneuten Inhaftierung zu groß ist. 6. Dauer der Schubhaft Die Schubhaft sollte laut Gesetz grundsätzlich so kurz wie möglich sein und nur solange andauern, bis der Grund für die Anordnung wegfällt, oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann (§ 69 FrG). Laut Statistik des Polizeianhaltezentrums Wien, wurden im Jahr 2004 von insgesamt 4.975 Schubhäftlingen 136 Menschen über drei Monate angehalten. Was der Terminus „über drei Monate“ genau bedeutet ist nicht erklärt. Es gibt keine öffentlich zugänglichen Zahlen wie viele Schubhäftlinge die maximal mögliche Dauer von sechs Monate angehalten wurden. Grundsätzlich gilt, dass die Schubhaft nur in Ausnahmefällen auf bis zu sechs Monate ausgedehnt werden kann. In der überwiegenden Zahl der In - Schubhaft- Nahmen 63 Kux, Julia: Schubhaft – Haft ohne Delikt. Innsbruck 2001, S. 6. 32 wird die im Gesetz genannte Ausnahme jedoch zur Regel. Die Schubhaft kann auf sechs Monate ausgedehnt werden, wenn: • die Identität nicht geklärt ist, • wenn ein Antrag auf Unzulässigkeit der Festnahme im Laufen ist • die notwendigen Ein- und Durchreisepapiere nicht vorhanden sind (Heimreisezertifikat) • oder wenn sich die Person der Schubhaft widersetzt. Eine/ein Fremde/r darf aber wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als sechs Monate angehalten werden. Dies gilt aber nicht für einen Zeitraum von höchstens zwei Wochen zur Durchsetzung einer Abschiebung nach Einlangen der Bewilligung.64 Aus der Praxis weiß ich, dass es des öfteren vorkommt, dass Menschen kurz vor dem vollendeten sechsten Monat entlassen werden, damit die Regelung „6 Monate in 2 Jahren“ nicht zur Anwendung kommt und die Menschen innerhalb kurzer Zeit wieder in Haft genommen werden können. Mit dem 01.01.2006 tritt ein neues Asylgesetz in Kraft, das die Dauer der Schubhaft auf zehn Monate verlängert, wenn die Unmöglichkeit der Abschiebung dem Verhalten des/der Fremden zuzurechnen ist. 7. Rechte des/der Festgenommenen Grundsätzlich ist jede/r Festgenommene „ehestens“ in einer ihm oder ihr verständlichen Sprache über die Gründe der Festnahme in Kenntnis zu setzten (§ 65 FrG). Bei der Verständigung über die Gründe der Festnahem innerhalb kürzester Zeit handelt es sich um ein verfassungsgesetzlich festgelegtes Erfordernis (VfGH 10.10.1994, 85/94). Aus § 39a AVG ist abzuleiten, dass jedenfalls eine 64 Kohler, Edelbert: Schubhaft und Abschiebung. Innsbruck 1998, S. 120. 33 DolmetscherIn beizuziehen ist, wenn der/die Fremde die deutschen Sprache nicht ausreichend beherrscht. Der/dem Festgenommenen ist ohne unnötigen Aufschub zu gestatten, einen Angehörigen oder eine sonstige Person des Vertrauens sowie einen Rechtsbeistand von der Festnahme zu verständigen. Bei der Festnahme und Anhaltung ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person vorzugehen.65 Laut § 53c VStG haben die Festgenommenen das Recht, die eigene Kleidung zu tragen, sich angemessen zu beschäftigen und sich selbst zu verköstigen. Außerdem ist dafür zu sorgen, dass ausreichend Licht zum Lesen gegeben ist. Der Briefverkehr darf nur stichprobenmäßig kontrolliert werden. Schriftverkehr mit Behörden, Rechtsbeiständen und diplomatischen und konsularischen Vertretern des Heimatstaats darf überhaupt nicht kontrolliert werden. Pakete sind in Gegenwart des Häftlings zu öffnen. Der Häftling darf innerhalb der Amtsstunden Besuche empfangen.66 8. Schubhaftbeschwerde Die Verhängung der Schubhaft oder Aufrechterhaltung der Schubhaft kann mit einer Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) bekämpft werden. Die Beschwerde kann direkt beim UVS oder bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, eingebracht werden (§72 FrG). Ist die Schubhaft noch aufrecht, hat der UVS innerhalb einer Woche über die Rechtmäßigkeit der Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden. Die Schubhaftbeschwerde kann während aufrechter Schubhaft und auch noch sechs Wochen nach ihrem Ende erhoben werden. 67 Problematisch ist hier wiederum die kaum vorhandene Möglichkeit der Schubhäftlinge, mit RechtsberaterInnen in Kontakt zu treten, um das Mittel der Schubhaftbeschwerde wahrnehmen zu können. 65 Huber, Öllinger, Steiner: Handbuch der Flüchtlingsberatung. Wien 1998, S. 88. Kux, Julia: Haft ohne Delikt. Innsbruck 2001, S. 54. 67 Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 260. 66 34 9. Kosten der Schubhaft Für jeden angebrochenen Tag werden 24 Euro verrechnet. Die Kosten hat der/die Fremde selbst zu tragen. Wenn allerdings gegen das AusländerInnenbeschäftigungsgesetz verstoßen wurde, werden die Kosten dem Arbeitgeber in Rechnung gestellt. Ist der Schubhäftling während seiner Anhaltung im Polizeianhaltezentrum einer Arbeit nachgegangen, wird die Arbeitsleistung bei der Kostenverrechnung berücksichtigt (§103FrG und § 10 FrG-DV).68 „Man kennt alle Nachteile des Gefängnisses: dass es gefährlich ist, dass es vielleicht sogar nutzlos ist. Und dennoch „sieht“ man nicht, wodurch es ersetzt werden könnte. Es ist die verabscheuungswürdige Lösung, um die man nicht herumkommt“.69 68 Ebenda, S. 262. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main 1994, S. 296. 69 35 10. Haftsituation in Österreich oder „Die im Dunkeln sieht man nicht“ Durch den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 kam es zu einem enormen Anstieg der Flucht- und Migrationsbewegungen in Richtung Westen. Eine Vielzahl von Ländern ist auf Grund politischer, wirtschaftlicher und sozialer Konflikte nicht in der Lage, den Staatsangehörigen eine Existenz bieten zu können. Viele Menschen ziehen daher die Möglichkeit der Emigration in Erwägung. Eine der Folgen dieser erhöhten Wanderbewegung war ein deutlicher Anstieg fremdenpolizeilicher Amtshandlungen und der Häftlingszahlen in den PAZ. 1989 waren 5.912 Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft in Haft70, 1993 waren es bereits 10.216.71 70 Aus der Literatur geht nicht eindeutig hervor, ob es sich bei den Zahlen nur um Schubhaft handelt, oder um jegliche Form von Inhaftierung. 71 Comments of the Republic of Austria on the report of the European Committee for the Prevention of torture and inhuman or degrading treatment or punishment (CPT) in its visit to Austria from 26 September to 7 October 1994, S. 6. 36 Auf Grund der gestiegenen Häftlingszahlen ist die österreichische Justiz neuen Anforderungen ausgesetzt. Es kommt immer wieder zu Misshandlungen in den Gefängnissen und die Amtshandlungen haben oft sogar einen tödlichen Ausgang. 72 Dies verstößt ganz konkret gegen den Artikel 3 der EMRK in der es heißt, dass „Niemand der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf“.73 Die in Österreich geltenden rechtlichen Grundlagen für die Anhaltung von Personen in den PAZ sind in der Anhalteordnung (AnhO) und der Verwahrungsvorschrift festgelegt. Den internationalen Rahmen bilden die Empfehlungen des CPT (Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Bestrafung)74, die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze sowie die Standard-Mindestregeln für Gefangene der Vereinten Nationen. Alle drei Instrumente zur Kontrolle der Haftbedingungen liefern zwar Lösungsvorschläge zur Minimierung von Problemsituationen in den Gefängnissen, ihre Normen haben aber keine bindende Wirkung. 75 So wurden bereits beim ersten Besuch des CPT in Österreich 1990 massive Unrechtmäßigkeiten in den Schubhaftanstalten festgestellt und im darauffolgenden Bericht Lösungsvorschläge geboten, denen vom BMI nicht Folge geleistet wurde, wie sich vier Jahre später, beim zweiten Besuch des CPT herausstellte. So heißt es in einem Ausschnitt des Berichtes von 1994: 72 Am 4. Oktober dieses Jahres starb der achtzehnjährige Yankuba C. aus Mali im PAZ Linz nach einem einwöchigen Hungerstreik. Angeblich war er verdurstet. Zwei Stunden vor seinem Tod wurde er im Linzer AKH untersucht und es wurden keine alarmierende Austrocknung oder Mangelernährung festgestellt. Was wirklich passiert ist, wird die Öffentlichkeit wahrscheinlich nie erfahren. In: Profil. Nr. 41, 10. Oktober 2005, S.44f. 73 Das CPT in Kürze. In: www.cpt.coe.int, 24.09.2005. 74 Die Besuche des CPT stützen sich auf die Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe aus dem Jahr 1987. Es handelt sich dabei um ein nichtgerichtliches System präventiver Natur zum Schutz der Häftlinge. „Das Komitee prüft durch Besuche die Behandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, um erforderlichenfalls den Schutz dieser Personen vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zu verstärken”. (Artikel 1 der Europäischen Konvention zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe). In: www.cpt.coe.int, 24.09.2005. 75 Bericht des Menschenrechtsbeirates: Haftbedingungen in Anhalteräumen der Sicherheitsbehörden. In: www.menschenrechtsbeirat.at 23.07.05, S. 11. 37 Wie bereits während des ersten regelmäßig erfolgenden Besuchs im Jahr 1990 wurden an die CPT- Delegation zahlreiche Beschwerden über Misshandlungen durch die Polizei herangetragen. (...) Bei den Beschwerden, die sich meist auf kurz zurückliegende Ereignisse bezogen, ging es um Misshandlungen sowohl österreichischer Staatsbürger als auch ausländischer Staatsangehöriger. Die Arten der Misshandlungen ähnelten meist jenen, die während des ersten regelmäßig erfolgenden Besuchs Gegenstand der Beschwerden waren.(...) Unterstrichen wird ferner, dass die CPT - Delegation während des zweiten Besuchs einige Beschwerden über sehr schwerwiegende, folterähnliche Misshandlungen verzeichnete, zu denen es bei Einvernahmen im Sicherheitsbüro gekommen sein soll (Überstülpen eines Plastiksacks über den Kopf, Verabreichung von Elektroschocks). (....) Angesichts aller ihm vorliegenden Informationen kann das CPT nicht die Schlussfolgerung zurücknehmen, zu der es nach seinem ersten regelmäßig erfolgenden Besuch kam, wonach die von der Polizei festgenommenen Personen ernsthaft Gefahr laufen, misshandelt zu werden. 76 Der CPT empfahl dem BMI bereits 1990 „unverzüglich ein aus unabhängigen Personen bestehendes Gremium einzusetzen, das befugt ist, allgemeine, eingehende Untersuchungen über die von Beamten des Wiener Sicherheitsbüros bei der Inhaftierung und Befragung von Verdächtigen angewandten Methoden durchzuführen“.77 Diese Weisung wurde erst 1999, nach dem Tod des Asylwerbers Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung, durch die Gründung des Menschenrechtsbeirates realisiert. Die Unabhängigkeit des Menschenrechtsbeirats kann in Frage gestellt werden, da er dem BMI unterliegt. Beim Besuch des CPT 2004 kam es zu erneuten Misshandlungs-Vorwürfen gegen die Österreichische Polizei. Die Kritik des CPT bezog sich vor allem auf die Zustände in der Schub- und Untersuchungshaft. So sollen Verdächtige, die nicht gleich ein 76 Inoffizielle deutsche Übersetzung des Resümees des CPT Berichts 1994, S. 58. Ebenda, S. 59. 77 38 Geständnis ablegen, dem Risiko von Misshandlungen in Form von Ohrfeigen, Faustschlägen, Tritten sowie Schlägen auf den Kopf mit Telefonbüchern und einem zu engem Anlegen von Handschellen für längere Zeit, ausgesetzt sein. Der CPT ging in seinem Bericht auch darauf ein, dass die von der Kommission bereits aufgezeigten Missstände vor allem im Zusammenhang mit Schub- und Untersuchungshäftlingen noch immer anhalten und die Unterbringung von Schubhäftlingen inakzeptabel sei.78 Im Bericht über den Besuch von 2004 ist unter dem Kapitel „Unmittelbare Wahrnehmungen hinsichtlich Artikel 8, Absatz 5 der Konvention79“ zu lesen: Die erste unmittelbare Wahrnehmung betraf die Polizeigefangenenhäuser (PAZ) in Linz und Wien Hernalser Gürtel. Beim PAZ in Linz ist der Aufenthalt im Freien pro Tag praktisch auf 30 Minuten beschränkt, und auch dies wurde nicht an allen Tagen geboten; weiters war Häftlingen in Absonderung die Bewegung im Freien überhaupt nicht gestattet. Im PAZ Hernalser Gürtel Wien wurde dem Großteil der in Schubhaft befindlichen Häftlingen keinerlei Aktivitäten außerhalb der Zelle, nicht einmal eine Stunde Bewegung im Freien, gestattet. Die Delegation forderte die österreichischen Behörden auf, Schritte zu unternehmen, um diese Situation zu beheben. Allen Häftlingen, ohne Ausnahme, sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich jeden Tag zumindest eine Stunde im Freien bewegen zu können. Des Weiteren sollten dringende Schritte unternommen werden, um Schubhäftlingen im PAZ Hernalser Gürtel in Wien einige Aktivitäten zu bieten.80 11. Orte der Schubhaft 78 Misshandlungs-Vorwürfe gegen Österreichs Polizei. In: http://.derstandard.at, 21.Juli 2005. Artikel 8, Absatz 5 der Antifolterkonvention schreibt dem Staat die Verpflichtung zum Schutz der Menschenrechte zu. In: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_105.html, 10.10.2005. 80 http://www.cpt.coe.int/documents/aut/2005-13-inf-deu.pdf, 10.10.2005. 79 39 Theoretisch verfolgt die Schubhaft einen Sicherungszweck. Jeglicher Strafcharakter sollte der Haft fehlen. Dass dies in der Praxis anders aussieht, liegt auf der Hand. Allein die Tatsache, dass die AnHO und § 53c VStG sowohl für Schubhäftlinge als auch für Verwaltungsstrafhäftlinge gelten, zeigt schon, dass dem Grundsatz, dass Schubhaft nur sichert, aber keinen Strafvollzug darstellt, nicht durchgängig entsprochen wird. Grundsätzlich ist die Schubhaft in den Polizeianhaltezentren jener Behörde zu vollziehen, die sie verhängt hat. (§ 67.(1) FrG). Wenn die Behörde die Schubhaft, z. B. auf Grund von Platzmangel nicht vollziehen kann, so ist die nächstgelegene Bezirksverwaltungs- oder Bundespolizeibehörde, die über Haftraum verfügt, um den Vollzug zu ersuchen.81 In Österreich gibt es in sechzehn Städten achtzehn Polizeianhaltezentren. Sie befinden sich in: Bludenz, Eisenstadt PAZ 1 und PAZ 2, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Leoben, Linz, Ried im Innkreis, Salzburg, Schwechat, St. Pölten, Steyr, Villach, Wels, Wien, Hernalser Gürtel, Rossauer Lände und Wiener Neustadt. 82 11.1. Das Polizeianhaltezentrum Wien “Every day you see one thing facing the wall. Everything u see remain the same to you every day. So I believe that it makes peoples lifetime go low not high and prison may you make thinking, fuck god.Prison make you maybe to have eye problem because you see one thing for years for months. Prison is not a place to live. Prison is inside world. Prison is a port to hell. I pray that I not go to prison again”83 81 Julia Kux, Schubhaft – Haft ohne Delikt, Innsbruck 2001, S. 53. www.vereinmenschenrechte.at am 12.06.2005. 83 Aus einem informellen Gespräch mit einem Mensch aus Nigeria, der vier Monate unrechtmäßig im PAZ Hernalser Gürtel in Schubhaft war. 82 40 Das Polizeianhaltezentrum Wien ist auf Grund der Größe der beiden Gebäude sowie auf Grund der Serviceleistungen, z. B. der Unterstützung anderer Fremdenbehörden durch die Anhaltung von „Gasthäftlingen“ und als Ausgangspunkt von Luft- und Landabschiebungen, die zentrale Servicestelle für das Arrestantenwesen. Seit 01. Mai 2005 ist das PAZ auch die Zentralstelle für Vorführungen nach dem Asylgesetz. Das PAZ Wien besteht aus dem Anhaltezentrum Rossauer Lände (Rossauer Lände 9, 1090 Wien) und dem Anhaltezentrum Hernalser Gürtel (Breitenfelder Gasse 21, 1080 Wien). Seit 1904 dient das Anhaltezentrum Rossauer Lände (im Volksmund „Liesl“ genannt) als Haftanstalt. Das PAZ Hernalser Gürtel ist seit Oktober 1990 im Gebäude des ehemaligen Landesgerichts II untergebracht, der Bedarf ergab sich 1989 durch das sprunghafte Ansteigen von Schubhäftlingen. In beiden Anstalten werden Verwahrungshäftlinge, Verwaltungsstraf- VerbüßerInnen, Schubhäftlinge sowie Finanzstrafhäftlinge angehalten. Die Kapazität des PAZ Rossauer Lände beträgt 360, die des Hernalser Gürtel 317. 84 Zur Unterbringung der Häftlinge im PAZ Hernalser Gürtel stehen vier Stockwerke zur Verfügung, die jeweils mit acht Achterzellen, eine Sechserzelle und einer Viererzelle ausgestattet sind. Im E-Trakt (Einzelzellentrakt) gibt es zweiundzwanzig Einzelzellen. 85 Die Achterzellen weisen eine Größe von 42 – 45m2 auf. Laut den Empfehlung des CPT sollen jeder Person, die längerfristig angehalten wird, nicht weniger als 6 m2 zur Verfügung stehen.86 Die Zellengröße entspricht also nicht den vom CPT vorgelegten internationalen Standards. Laut Angaben von Oberstleutnant Zinsberger sind im PAZ Hernalser Gürtel 240 BeamtInnen beschäftigt, die pro Monat an die 4.000 Überstunden machen, also einer totalen Überlastung ausgesetzt sind.87 Sehr auffallend bei unserem Besuch war die große Mitteilungsbedürftigkeit oder die Notwendigkeit der BeamtInnen, mit unabhängigen Personen über ihren Arbeitsalltag 84 Polizeianhaltezentrum Wien, 2005, S. 1. Besuch des PAZ Hernalser Gürtel am 20. Juli 2005. 86 Bericht des MRB „Haftbedingungen in Anhalteräumen der Sicherheitsbehörde, Wien 2004, S. 16. 87 persönliches Gespräch mit dem Direktor des PAZ Wien am 20. Juli 2005. 85 41 zu sprechen. In einem informellen Gespräch äußerten sich die Beamten sehr negativ über die Angehaltenen und ihre Manieren Die Beamten beschwerten sich, dass sie zum Beispiel kiloweise Brot aus dem Fenster würfen um die Tauben zu füttern, die Klobrillen zertreten, die Wände beschmieren, nicht duschen gehen, ihren Bereich nicht sauber halten, das Bettzeug nicht benutzen usw. Der Realitätswahrnehmung der Beamten erscheint es unverständlich, warum sich die Angehaltenen in so einer Art und Weise verhalten, wenn es ihnen dort, wo sie herkommen doch so schlecht ginge und sie hier im „Häfn“ doch alles Nötige zum Leben hätten „Weil wir müssen ja auch die Gesetze befolgen“, war einer der Lieblingssätze der Beamten oder „die Häftlinge haben hier im Häfn eine Wesensveränderung von beinahe 100%, bei den Einvernahmen sind sie herzzerreißend und hier drehns duach“ Anzahl der Häftlinge: Gesamt Verwaltungshäftlinge Häftlinge nach der 2001 12.425 2.489 3.970 2002 12.268 2.370 4.552 2003 12.836 2.234 5.279 2004 13.546 2.270 5.881 Strafprozessordnung Schubhäftlinge (inkl. 5.926 5.340 5.259 4.975 Passanten) Weibliche Häftlinge 2.012 1.944 1.871 1.887 gesamt Jugendliche Häftlinge 818 523 991 1.032 gesamt Angehaltene Ausländer 8.393 8.427 8.118 8.314 gesamt Quelle: Polizeianhaltezentrum Wien 42 12. Die Anhalteordnung (AnHO) Um die Situation der Menschen, die sich in Schubhaft befinden, zu verdeutlichen, wird im folgenden Teil die innere Organisation der Haftanstalten anhand der Anhalteordnung geschildert. Die Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Anhaltung von Menschen durch die Sicherheitsexekutive – AnHO, ist am 1.05.1999 in Kraft getreten. In der AnHO werden Rechte und Pflichten der Häftlinge und des Wachpersonals geregelt. Pflicht der Aufsichtsorgane ist es, den Angehaltenen gegenüber die gebotene Zurückhaltung zu üben, ihnen mit Ruhe, Ernst und Festigkeit sowie unter Achtung ihres Ehrgefühls, der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person gegenüber zu treten. Die Aufsichtsorgane haben des weiteren die Pflicht für die körperliche Gesundheit und Sicherheit zu sorgen (§ 3 AnHO). Die Aufsichtsorgane sind im Gegensatz zu den oben genannten Pflichten auch dazu ermächtigt, ihre Anordnungen mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchzusetzen: Fesseln dürfen den Angehaltenen angelegt werden wenn die Gefahr besteht, dass sie sich selbst oder andere gefährden, fremde Sachen nicht nur geringen Wertes beschädigen, flüchten oder eine Amtshandlung vereiteln. Die Verwendung der Zwangsjacke anstelle von Handfesseln ist dann zulässig, wenn die Annahme besteht, der/die Angehaltene gefährde auf Grund einer psychischen Krankheit durch Gewalttätigkeit, Leben oder Gesundheit. Bei jeder Ausübung der unmittelbaren Zwangsgewalt ist darauf zu achten, dass sie nach Art, Umfang und Dauer die Verhältnismäßigkeit wahrt, ist also von der Willkür der WachebeamtInnen abhängig (§ 26 AnHO). Rechte und Pflichten der Schubhäftlinge: - Verfügung über Kleidungsstücke und sonstige Effekte (§ 9 AnHO): Schubhäftlinge dürfen ihre eigene Kleidung tragen. Ist dies nicht möglich, so ist seitens des PAZ Kleidung zur Verfügung zu stellen. Die zur Körperpflege erforderlichen Gegenstände 43 sowie Lebensmittel und Tabakwaren in geringen Mengen dürfen in der Zelle aufbewahrt werden. Sie dürfen geringe Geldbeträge (40 Euro)88 bei sich haben, wenn dies der Kommandant für zulässig erklärt. Medikamente dürfen ausnahmslos nur mit Zustimmung des Arztes in die Zelle mitgenommen werden - Ärztliche Betreuung der Häftlinge (§ 10 AnHO): Schubhäftlinge müssen innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme vom Amtsarzt auf ihre Haftfähigkeit hin untersucht werden. Besteht zu einem späteren Zeitpunkt der Verdacht auf Haftunfähigkeit, sind sie unverzüglich dem Arzt vorzuführen. Geht vom Angehaltenen Ansteckungsgefahr aus, so sind vom Amtsarzt die gesetzlich vorgesehenen medizinischen Maßnahmen zu treffen. Der Amtsarzt entscheidet über die Verlegung in Einzelhaft oder eine Entlassung. Schubhäftlinge, die in Hungerstreik treten, sind unverzüglich dem Amtsarzt vorzuführen, der die Entscheidung über die Verlegung in eine Krankenoder Einzelzelle oder über ein etwaiges Rauchverbot trifft. Häftlingen steht es des weiteren frei, auf ihre Kosten zu ihrer medizinischen Betreuung einen Arzt ihrer Wahl beizuziehen, wobei die Betreuung im Haftraum stattzufinden hat. Im Bereich der medizinischen Betreuung von Schubhäftlingen kommt es, bedingt durch die fehlenden DolmetscherInnen, oft zu Reibungspunkten. Der Menschenrechtsbeirat stellt in seinem Bericht zur medizinischen Betreuung angehaltener Personen fest, dass „die Beiziehung von DolmetscherInnen bei der ärztlichen Untersuchung zum Großteil nicht üblich sei, nicht für nötig gehalten werde und in der Umsetzung für zu kompliziert erachtet werde. Kommunikationsprobleme seien nicht relevant. Eine Amtsärztin stehe auf dem Standpunkt, dass ein Gespräch nicht unbedingt erforderlich sei, sondern die nonverbale (Körper-) Sprache hinreichende Aussage bei auftretenden Schmerzen über die möglichen Ursachen geben könne. Ein Amtsarzt in einem PAZ gibt an, dass es keine amtlichen Einschränkungen bei der Zuziehung von 88 Neuwirth, Thomas: Sozialarbeit im Verwaltungsstrafvollzug. Die Polizeianhaltezentren Wiens als Neuland für die Sozialarbeit. Wien 2005, S. 110. 44 DolmetscherInnen gebe und es würde davon auch Gebrauch gemacht. Die Untersuchungen wären dennoch erschwert, da sich durch die Beiziehung von DolmetscherInnen die Aufnahmeuntersuchungen um Stunden verzögern und sich teilweise über den Dienstwechsel der PolizeiärztInnen erstrecken würden, wobei auch dann die Vollständigkeit der Symptomsuche nicht immer gesichert sei. NGO’s in der Schubhaftbetreuung weisen auf massive Sprachprobleme mit bestimmten Gruppen von Schubhäftlingen (etwa aus China) hin, die ohne DolmetscherInnen nicht zu beheben seien.89 Wie kann eine ärztliche Behandlung ohne Kommunikation erfolgen? - Seelsorge (§ 11AnHO): Den Häftlingen steht es frei, an den Gottesdiensten im Haftraum teilzunehmen. Auf Verlangen ist der Besuch eines Seelsorgers zu vermitteln. Befindet sich ein Häftling in Einzelhaft, weil anzunehmen ist, dass er gegen andere gewalttätig wird, ist von diesem Recht abzusehen. -Hygiene (§12 AnHO): Den Angehaltenen ist mindestens einmal täglich warmes Wasser, Seife und bei Bedarf Rasierzeug zur Verfügung zu stellen. Duschen ist einmal pro Woche erlaubt und erfolgt zellenweise. Laut Aussagen eines Schubhäftlings sind pro Zelle acht Minuten erlaubt. Desinfektionsmaßnahmen müssen vom Schubhäftling geduldet werden. Die Zellen sind von den Insassen täglich zu reinigen und zu lüften; die Fußböden sind einmal wöchentlich, die sanitären Anlagen täglich zu säubern. - Verpflegung (§13 AnHO): Schubhäftlinge dürfen sich selbst verköstigen. Ist das nicht möglich, so haben die Angehaltenen Anspruch auf ausreichende und einmal täglich warme Verpflegung, sowie auf ausreichende Versorgung mit Trinkwasser. Auf ärztliche Anordnungen (Schon- Zweck- und Diätkost) oder auf religiöse Gebote ist Rücksicht zu nehmen. Die Essenszeiten werden von der Behörde festgelegt. 89 Bericht zur medizinischen Betreuung angehaltener Personen, Wien 2002, S.39. 45 Menge, Schmackhaftigkeit und Qualität der Verpflegung sind vom Kommandanten täglich, vom Arzt und von der Behörde regelmäßig zu kontrollieren. Im PAZ Hernalser Gürtel gibt es eine „Kantine“, wo die Angehaltenen Essen und Getränke einkaufen können. Die Kantine gehört einer Privatperson, die Preise werden von der Direktion des PAZ kontrolliert. Ein Trafikant, der auch fremdsprachige Zeitungen verkauft, kommt 3 mal in der Woche (siehe Foto Nr. 17). - Rauchen (§ 14): Sofern für bestimmte Räumlichkeiten kein ausdrückliches Rauchverbot besteht, dürfen Häftlinge rauchen. Verboten ist das Rauchen für Hungerstreikende und in Gemeinschaftsnachtzellen. - Beschäftigung (§ 15 AnHO): Die Hausordnung bestimmt, dass sich Schubhäftlinge angemessen beschäftigen dürfen, soweit dies nicht gegen die Hausordnung verstößt oder die Sicherheit gefährdet. Verfügen Häftlinge über batteriebetriebene Fernsehund Radiogeräte dürfen diese, ausgenommen in Gemeinschaftsnachtzellen, verwendet werden. Das Lesen von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften ist erlaubt. Im PAZ Hernalser Gürtel steht auch eine spärlich ausgestattete Bibliothek zur Verfügung (siehe Foto Nr. 16). Gesellschaftsspiele und Kartenspiele ohne Geldeinsatz sind ebenfalls erlaubt. Es ist täglich mindestens eine Stunde Gelegenheit zur Bewegung im Freien zu geben. Ist dies aus Witterungs- oder sonstigen anderen Gründen (z.B. Personalknappheit, Willkür der BeamtInnen) nicht möglich, so ist auf andere Weise für körperlichen Ausgleich zu sorgen. Der Spazierhof im PAZ Hernalser Gürtel ist auf einer Seite, welche nicht an das Gefangenengebäude grenzt, von einer hohen Mauer mit Stacheldraht begrenzt. Im Hof befindet sich eine kleine Grünfläche und ein Basketballkorb. Von der Behörde werden Basketbälle zur Verfügung gestellt (siehe Foto Nr. 15). Der CPT empfiehlt, dass „zum Aktivitätenregime in der Schubhaft Bewegung an der frischen Luft, ebenso Zugang zu einem Tagesraum und zu einem Radio/Fernsehr, zu Zeitungen/Zeitschriften, sowie zu anderen geeigneten Freizeitartikeln (z.B. 46 Brettspiele, Tischtennis) gehören sollte. Je länger der Zeitraum ist, für den Personen festgehalten werden, desto weiter sollten die Betätigungsmöglichkeiten entwickelt sein, die ihnen angeboten werden.90 Unter Beachtung dieser Empfehlungen liegen die österreichischen Vollzugsanstalten weit hinter den internationalen Standards. - Hausarbeit (§ 16 AnHO): Jeder Angehaltene kann nach Wunsch und Bedarf für Arbeiten im Behördenbereich (Hausarbeit) herangezogen werden. Die Arbeitsverrichtung erfolgt auf eigene Gefahr und unentgeltlich, abgesehen vom Entfall der Vollzugskosten (23,88 Euro täglich) und einer Zusatzverpflegung (Milch). Im PAZ Rossauer Lände verrichten acht Personen (Hausarbeiter) Hilfsdienste in der Gefängnisküche, drei Hausarbeiter sind für die Reinigung aller zugänglichen Bereiche in den Stockwerken (Stiegenaufgang, Besucherzone, Spazierhof, Kantinenbereich) zuständig, sowie für den zweimal wöchentlich stattfindenden Wäschetausch. Pro Stockwerk werden, je nach Auslastung, drei bis fünf Personen als Hausarbeiter herangezogen. Hausarbeiter können sich im Stockwerksbereich frei bewegen und haben Zugang zu jedem Zellenraum.91 (siehe Foto Nr. 12). - Unterbringung (§ 4 AnHO): Die Schubhaft erfolgt grundsätzlich in Gemeinschaftszellen. Schubhäftlinge sind von anderen Häftlingen getrennt anzuhalten, was in der Praxis aber nicht immer möglich ist. Weibliche Schubhäftlinge sind von männlichen getrennt anzuhalten, Minderjährige gesondert von Erwachsenen. Eltern und Kinder jedoch nach Möglichkeit gemeinsam. Schubhäftlinge sind in einfachen und zweckmäßigen Räumlichkeiten unterzubringen, mit ausreichend Luftraum und Tageslicht. Die Räume sind gut zu lüften und im Winter zu heizen. Sie sind auch dementsprechend zu beleuchten so dass die Häftlinge ohne Gefährdung des Augenlichts außerhalb der Zeit der Nachtruhe lesen können. 90 Haftbedingungen in Anhalteräumen der Sicherheitsbehörden. S. 43f. In: http://www.menschenrechtsbeirat.at/de/index_berichte.html, 28.07.2005. 91 Neuwirth, Thomas: Sozialarbeit im Verwaltungsstrafvollzug. Die Polizeianhaltezentren Wiens als Neuland für die Sozialarbeit. Wien 2005, S. 121. 47 - Einzelhaft (§ 5 AnHO): Die Anhaltung in Einzelhaft hat zu erfolgen 1. wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass der Häftling anderen gegenüber gewalttätig reagiert, 2. wenn vom Gericht darum ersucht wird (bei Häftlingen gegen die ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist), 3. wenn vom Angehaltenen Ansteckungsgefahr ausgeht oder er auf Grund seines Erscheinungsbildes oder seines Verhaltens andere Häftlinge erheblich belasten würde. Die Anhaltung in Einzelhaft kann erfolgen 1. auf persönlichen Wunsch des Häftlings, 2. während der Nachtruhe, wenn dies zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung erforderlich erscheint, 3. als Disziplinarmaßnahme, 4. wenn es aus organisatorischen Gründen kurzfristig notwendig ist, 5. wenn die Annahme besteht, dass der Häftling durch Gewalttätigkeit sein Leben oder seine Gesundheit gefährdet (in diesem Fall können Häftlinge im unbedingt erforderlichen Ausmaß in einer besonders gesicherten, gepolsterten und sonst leeren Zelle untergebracht werden), 6. wenn sich der Angehaltene in Hungerstreik befindet. Beim Besuch im PAZ Hernalser Gürtel wurde uns erlaubt, eine Einzelzelle zu besichtigen und zu fotografieren (siehe Foto Nr.3 - 5). Laut den Angaben der Beamten findet die Verlegung in Einzelhaft auf eigenen Wunsch der Häftlinge oder zur Disziplinierung statt. Auch die „Hungerstreiker“92 werden, um die Nachahmung zu minimieren, in Einzelzellen verlegt. Jedoch ist diese Praxis, laut Aussage der Beamten, seit circa. 3 Monaten nach einer neuen Verordnung nicht mehr 92 Die Bezeichnung der Wachebeamten für die Anghealtenen, die sich im Hungerstreik befinden. 48 anzuwenden. Nach weiterem Gespräch wurden uns die Disziplinierungszellen gezeigt. Diese Zelle ist videoüberwacht und befindet sich gleich neben dem Zimmer der BeamtInnen. Sie gleicht einer klassischen Gummizelle, wie man sie aus dem Fernsehen kennt Die Zelle ist völlig weiß und mit Plastik gepolstert. In diese Zelle kommen die Angehaltenen nur für ein paar Stunden zur Beruhigung, falls sie um sich schlagen oder „durchdrehn“, weil die Verletzungsgefahr kleiner ist wegen der nicht vorhandenen Ecken und Kanten (siehe Foto Nr. 6 und 7). Eine weitere Einzelzelle ist für die Anhaltung der sogenannten „body-packer“ vorgesehen. (als body-packer werden jene Angehaltenen bezeichnet, die Drogen verschluckt haben). Es ist eine grau geflieste Zelle mit einer dünnen Gummimatratze und einem sogenannten „kroatischen Klo“ (ein Loch im Boden). In dieser Zelle werden die „body-packer“ so lange angehalten, bis sie die Drogen aus ihrem Körper ausgeschieden haben. Nach dem Betätigen der Spülung werden die Kugeln durch einen bestimmten Vorgang vom Rest aussortiert (siehe Foto Nr. 9 und 10). - Telefongespräche, Briefverkehr (§ 19 und 20 AnHO): In begründeten Fällen ist Schubhäftlingen das Führen von Telefongesprächen auf eigene Kosten zu gewährleisten. Mittellosen Häftlingen ist das Führen von Telefongesprächen mit Angehörigen, Rechtsbeiständen, Behörden sowie diplomatischen Vertretungen unentgeltlich zu gestatten. Bei Bedarf ist den Angehaltenen Papier und Schreibzeug unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die Postgebühr hat der Häftling zu bezahlen. Der Briefverkehr darf stichprobenartig überwacht werden. - Besuche (§ 21 AnHO): Rechtsbeistände, Vertreter inländischer Behörden, diplomatische oder konsularische Vertreter des Heimatlandes, sowie Organe, die durch für Österreich verbindliche internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte eingerichtet sind, dürfen jederzeit empfangen werden. Wenn möglich aber während der Amtsstunden. Private Besuche dürfen inhaltlich überwacht werden. Schubhäftlinge dürfen einmal in der Woche für eine halbe Stunde privaten Besuch empfangen. Die Besuchszeiten in 49 den PAZ Wien sind am Samstag und Sonntag zwischen 12.30 und 15.30. Privatbesuche erfolgen mit Plexiglastrennwand und Telefonhörer. Der sprachliche Austausch gestaltet sich als sehr schwierige Angelegenheit, da die Leitungen rauschen und oft nur unverständliche Buchstabenaneinanderreihungen herauskommen. Ein wirkliches Gespräch zu führen ist durch die Abtrennung und die schlechten Telefone beinahe unmöglich, da man während der Besuchszeit den Raum noch mit anderen Besuchenden teilt und der Lautpegel, verursacht durch viele sprechende Menschen, dementsprechend hoch ist.93 (siehe Foto Nr. 20). Bei den Besuchen können Wäsche, Geld und andere erlaubte Gegenstände abgeben werden.94 Das Recht eines hungerstreikenden Häftlings, Besuche zu empfangen, kann nach Rücksprache mit dem Amtsarzt für höchstens zehn Tage aufgeschoben werden. - Beschwerden, Wünsche und Ansuchen (§ 23 AnHO): Die Angehaltenen haben das Recht, sich beim Kommandanten schriftlich oder mündlich zu beschweren. Dafür ist im PAZ Hernalser Gürtel auf jeder Etage, an für die Stockwerksbeamten uneinsichtigen Stellen ein Beschwerdebriefkasten angebracht, der nach Angaben eines Wachebeamten beim Besuch im Hernalser Gürtel in den letzten fünf Jahren nur ein einziges mal Verwendung gefunden hat. Daraus schließe ich, dass die Existenz dieses Briefkastens den Angehaltenen nicht bekannt zu sein scheint (siehe Foto Nr. 14) oder die Menschen Angst vor den Konsequenzen einer Beschwerde haben. - Ordnungswidrigkeiten (§ 24 AnHO): Wird eine durch die Hausordnung auferlegte Pflicht missachtet oder bei Erschleichung vorzeitiger Entlassung, liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, worüber der Aufsichtsbeamte Meldung beim Kommandanten erstatten muss. Der Kommandant kann je nach Schwere des Verstoßes ohne förmliches Verfahren eine der folgenden Maßnahmen ergreifen: 1) Verweis 93 94 Persönliche Erfahrungen bei Besuchen im PAZ Hernalser Gürtel. Neuwirth, Thomas: Sozialarbeit im Verwaltungsstrafvollzug. Wien 2005, S. 127. 50 2) zeitweise Entziehung einer oder mehrerer Rechte (z. B. Einkauf, Beschäftigung) für höchstens eine Woche 3) Einzelhaft für längstens drei Tage95 Bei informellen Gesprächen mit Menschen, die im PAZ Hernalser Gürtel inhaftiert waren, stellte sich heraus, dass keinem der Befragten die Existenz einer Hausordnung bekannt war. 13. Der „Offene Vollzug“ Die Tagung „Zukunft der Schubhaft“, am 8. Juni 2001, sollte die „Initialzündung für den offenen Vollzug in ganz Österreich sein“ 96. In sechs der achtzehn PAZ (Salzburg, Klagenfurt, St. Pölten, Eisenstadt, Wien Schwechat und Hernalser Gürtel) gibt es bis heute noch keinen offenen Vollzug. Nach Informationen der ARGE Schubhaft Innsbruck werden auch dort, wo der gelockerte Vollzug besteht, die Kapazitäten nicht genutzt. So sind von den 14 Plätzen in Innsbruck oft nur die Hälfte belegt.97 Am 2. Oktober 2000 startete das PAZ Linz den Probebetrieb einer „offenen Station“. Die angehaltenen Schubhäftlinge werden nach einem Beobachtungszeitraum nicht mehr in einer geschlossenen Zelle des PAZ verwahrt, sondern sie können sich in einem Gebäudeteil frei bewegen. Die Zellen für Schubhäftlinge wurden zu Aufenthalts- und Fitnessräumen umgebaut. SOS Menschenrechte in Linz finanzierte eine SAT-Anlage zum Empfangen fremdsprachiger Sendungen, einen Tischtennistisch, einen Hometrainer, einen Stepper, ein Rudergerät, eine Eckbank für die Teeküche und unterstützten den Aufbau einer fremdsprachigen Bibliothek. Der Aufenthaltsraum ist ausgestattet mit einer Kaffeemaschine, einem Herd, Geschirr und Besteck, fremdsprachigen Zeitungen und Gesellschaftsspielen. Den Angehaltenen steht ebenfalls ein Wertkartentelefon zur Verfügung. Das PAZ Linz verfügt über 92 Haftplätze, 55 für 95 Anhalteordnung S. 9. Offener Vollzug. In: www.bmi.gv.at/oeffentlsicherheit/, Nr. 07-08/2001, 12.09.2005. 97 Umstände, tödlich verkettet. In: Der Standard, 14.10.2005, S. 14. 96 51 Männer und 9 für Frauen in Schubhaft. Die offene Station ist derzeit aber nur für 26 angehaltene Männer zugänglich, die nach einem zwei- bis dreiwöchigen Beobachtungszeitraum in geschlossener Haft in die offene Station verlegt werden. Die Haftdauer, Gemeinschaftsfähigkeit und das Fehlen von ansteckenden Krankheiten werden vom Menschenrechtsbeirat als Kriterien für die Aufnahme in eine offene Station formuliert. Als Ausschlusskriterien gelten Hungerstreik und der Wegfall von Gemeinschaftsfähigkeit. Zweifelhafte Identitätsangaben oder Vorstrafen sollten keine Ausschlussgründe für die Aufnahme in eine offene Station darstellen.98 Die Tages- und Schlafzellen in der offenen Station sind zwischen 07.00 und 19.00 offen. Die Angehaltenen können sich in diesem Zeitraum frei bewegen und ihre Kleidung tragen. Die separate Verwahrung von Schmuck, Gürteln und Schuhriemen wurde teilweise eingestellt.99 Im PAZ Rossauer Lände gibt es die offene Station seit 07.06.2004 nur in der Frauenabteilung. Hier wurde für die angehaltenen Frauen ein strukturierter Tagesablauf entwickelt. Während eines Zeitraumes von drei bis vier Stunden am Vormittag und am Nachmittag stehen die Zellentüren offen und uneingeschränkte Kommunikation, Telefonieren und die Benützung des Gemeinschaftsraumes ist möglich. Außerhalb dieser Blöcke sind die Zellentüren geschlossen.100 Durch den offenen Vollzug sollen Bedingungen der Anhaltung geschaffen werden, die die Achtung der Menschenwürde, sowie deren Autonomie über den Tagesablauf strukturell auf einem höheren Niveau gestatten, als dies derzeit in den Polizeianhaltezentren möglich ist.101 Der politische Hauptgrund für den Ausbau der offenen Stationen ist eindeutig die Minimierung des Konfliktpotentials und die Vermeidung von Hungerstreik und nicht das subjektive Wohlergehen der Angehaltenen. 98 Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates zur Schaffung einer Spezialeinrichtung für den Vollzug der Schubhaft und Anhalteformen in den Polizeianhaltezentren. S. 3. 99 Offene Stationen. In: www.bmi.gv.at/oeffentlsicherheit/, Nr. 3-4/2002, 12.09.2005. 100 Polizeianhaltezentrum Wien, S. 7. 101 Empfehlungen des Menschenrechtsbeirates zur Schaffung einer Spezialeinrichtung für den Vollzug der Schubhaft und Anhalteformen in den Polizeianhaltezentren. S 1. 52 Im PAZ Linz kam es laut Angaben des Magazins für öffentliche Sicherheit des Innenministeriums in der offenen Station zu keinem Hungerstreik oder Selbstverletzung. Die Zahl der Arztbesuche und Beschwerden ging deutlich zurück.102 Anzahl der Schubhäftlinge in Österreich von 1999 bis März 2005 Jahr Anzahl der Anzahl der Asylanträge 1999 Schubhäftlinge 16.628 20.096 2000 2001 2002 2003 2004 2005 14.329 17.306 11.816 11.173 9.041 Jänner: 582 18.284 30.127 39.354 32.359 24.676 Jänner bis März: 4.269 Februar: 593 (27,9% weniger als Jänner März: 699 bis März 2004) Quelle: Fremdenrechtsstatistik BMI Um das Ausmaß der Institution Schubhaft zu verdeutlichen, werden den Zahlen der Inschubhaftnahmen die Anzahl der Asylanträge gegenübergestellt. Bei der Betrachtung der Statistiken muss beachtet werden, dass nicht nur Menschen, die in Österreich einen Asylantrag gestellt haben, in Schubhaft genommen werden. Es kann ebenso gut Menschen treffen, die seit Jahren in Österreich leben und arbeiten oder die in Österreich geboren sind, denen aus irgendeinem der bereits genannten 102 Offene Stationen. In: www.bmi.gv.at/oeffentlsicherheit/, Nr. 3-4/2002, 12.09.2005. 53 Gründe, der Aufenthaltstitel „verloren“ geht. 14. Widerstandsformen in der Schubhaft Die meisten Gründe für eine Inschubhaftnahme sind illegaler Grenzübertritt, fehlende Dokumente oder der Verdacht auf strafbare Handlungen wie etwa illegalisierte Beschäftigung. Schubhäftlinge werden in der Praxis oft gar nicht oder in keiner ihnen verständlichen Sprache über den Grund ihrer Festnahme informiert. Diese Unwissenheit über die Dauer der Anhaltung und die prekären Zustände in den Polizeianhaltezentren führen zu einer hohen psychischen Belastung. Viele Menschen treten bei der Inschubhaftnahme zum ersten mal im Leben mit der Polizei in Kontakt. Durch die Ausweglosigkeit der Situation stehen Selbstverstümmelungen, Verschlucken gefährlicher Gegenstände, Hungerstreiks und Suizidversuche an der Tagesordnung. Menschen in Schubhaft wissen, dass es sich um die letzte Station ihres Aufenthaltes auf österreichischem Bundesgebiet handelt, und es spricht sich schnell herum, dass es Möglichkeiten gibt, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Die Mittel, zu denen die Angehaltenen greifen, verdeutlichen, wie groß die Angst vor einer Abschiebung in das Herkunftsland ist. Von politischer Seite wird das Faktum der Angst vor der Rückkehr ins Herkunftsland geleugnet und sogar umgedreht, indem Österreich zum Opfer gemacht wird (Österreich darf sich nicht erpressen lassen103). Asylsuchenden wird grundsätzlich nicht geglaubt. Sie werden als Fremde, die lediglich ein Stück vom fetten Kuchen des Wohlstandes in Europa ergattern wollen, und bereit sind, zu allen Mitteln zu greifen um etwas abzubekommen, dargestellt.104 Laut Asylgesetz, kommen nur jene AsylwerberInnen, deren Asylantrag rechtskräftig negativ entschieden wurde, in Schubhaft. Zweifel an der Praxis des Ablaufs der 103 Dokumentation: Das Fremdenpaket im Detail. In: www.derstandard.at, 06.07.2005. Bei einer Profilumfrage „Wer hat Ihrer Meinung nach in Österreich zu viele Privilegien?“, standen „Ausländer mit 65% an zweiter Stelle. An erster Stelle mit 74% waren Politiker angesiedelt. In: Profil Nr. 27, 04.07.2005, S. 17. 104 54 Asylverfahren gibt es von Seiten der regierenden Parteien keine. In jüngsten tagespolitischen Diskussionen wird auf Gründe der Selbstbeschädigungen nicht eingegangen, sondern hervorgekehrt, dass die meisten Menschen, die in Schubhaft sitzen, Kriminelle sind und kein Recht haben sollten auf einen Aufenthalt in Österreich. Der Asylmissbrauch müsse eingestellt werden. So berichtet der Standard: „Vor allem Fremde, gegen die nach zum Teil schweren Straftaten ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde und die nun außer Landes gebracht werden sollen, bedienen sich des Mittels des Hungerstreiks, um ihre Entlassung aus der Schubhaft zu erzwingen.“105 Diese Art von Aussagen dienen zur Vorbereitung und Rechtfertigung restriktiverer Fremden- und Asylgesetze. Berücksichtigt werden muss auch, unter welchen Umständen ein Aufenthaltsverbot erlassen wird und dass dazu meistens keine schwere Straftat notwendig ist (siehe dazu auch Kapitel Aufenthaltsverbot). 14.1. Selbstbeschädigung Die Palette der Selbstbeschädigungen reicht vom Verschlucken gefährlicher Gegenstände wie z. B. Essbesteck, Batterien, Feuerzeuge, Rasierklingen, Putzmittel usw. bis zum Zufügen tiefer, im Extremfall lebensgefährlicher Schnittverletzungen. In einem informellen Gespräch äußerte sich ein Beamter, dass Selbstbeschädigungen im Sinne von Zufügen von Schnittverletzungen oder Verschlucken gefährlicher Gegenstände, keine adäquaten Mittel seien, um die Haftunfähigkeit zu erreichen. Wird zum Beispiel eine Batterie verschluckt wird an den darauffolgenden Tagen eine Spezialkost verabreicht (zum Beispiel Sauerkraut) um die Gegenstände zum Verlassen des Körpers zu animieren. Schnittwunden werden genäht und führen so gut wie nie zu Haftunfähigkeit.106 105 106 Zahlen: Hungerstreiks in Österreich. In: www.derstandard.at, 10.06.2005. Informelles Gespräch beim Besuch des PAZ Hernalser Gürtel am 20. Juli 2005. 55 Laut eine parlamentarischen Anfrage im Jahr 1999, betreffend Selbstmorde, Selbstmordversuche und Selbstbeschädigungen in Schubhaft von Mag. Stoisits kam es im Jahr 1996 zu 102 Selbstbeschädigungen, 1997 zu 109 und 1998 zu 94 Selbstbeschädigungen.107 Die Menschen, die zur Möglichkeit der Selbstbeschädigung greifen, wollen ihre Entlassung erwirken und nach einer Möglichkeit des legalen Aufenthaltes suchen. Es ist absurd, den Menschen zu unterstellen, dass sie die Schubhaft nur verlassen wollen um in die Kriminalität zurückzukehren. 14.2. Hungerstreik oder „Österreich darf sich nicht erpressen lassen“ Der Hungerstreik ist die einzige Möglichkeit, die Haftunfähigkeit herbeizuführen und eine Entlassung zu bewirken. Jeder zweite Hungerstreik endet mit einer Entlassung.108 Im Jahr 2003 hat der Menschenrechtsbeirat erhoben, wie oft es in welchen Polizeianhaltezentren zu Hungerstreiks kam. Im Folgenden die Zahlen aus diesem Bericht: Polizeianhaltezentrum Durchschnittliche Dauer Durchschnittliche Durchschnittliche Anzahl des Anzahl angehaltener der Hungerstreikmeldungen Hernalser Gürtel Rossauerlände Hungerstreiks 15 Tage 15 Tage Schubhäftlinge Ca. 130 Männer 12/Tag Ca. 110 (Frauen und 4-5/Tag St. Pölten Wr. Neustadt Männer) 9,87 Tage 25 6,63 Tage (Max. 25 XXX 5,15 monatlich 3,24 monatlich 107 Parlamentarische Anfrage 5586/AB XX.GP. Zwischenbericht des MRB zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema „Spezifische medizinische Problemlagen“ Quartal III/2003, S. 38. 108 56 Eisenstadt I Eisenstadt II Tage) 10,02 Tage 6,15 Tage Linz Wels erhoben werden 4,5 Tage 60 5 Tage (2001 noch 6 15 5 monatlich 1,5 monatlich Steyr Salzburg Innsbruck VA Bludenz Graz Leoben Villach Klagenfurt Tage) 4 Tage 10-12 Tage 5 Tage 6 Tage 5,2 Tage 3 Tage 9,38 Tage 2, 61 Tage 1 monatlich 1-2 täglich 5 monatlich 2 2,5 monatlich 1,6 monatlich 1,08 monatlich 4,9 monatlich 29,35 Konnte 5,87 monatlich nicht 3,66 monatlich 9 80-90 45 27 40 7 43 monatlich 62,75 monatlich Quelle: Zwischenbericht zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema "spezifische medizinische Problemlagen" Weshalb es zu so großen regionalen Schwankungen kommt, lässt sich wohl darauf zurückführen, dass Wien als Bundeshauptstadt die größte Anzahl an Schubhäftlingen zu verzeichnen hat. Die Dauer der Hungerstreiks variiert zwischen 2 und 15 Tagen. Die Höchstgrenze ist nicht erfasst, wodurch sich die durchschnittliche Dauer relativieren würde. Die nicht Erfassung der Höchstgrenze bezeugt die Brisanz dieses Phänomens. Wie lange der Hungerstreik in der Praxis wirklich dauert,. geht aus der Statistik nicht hervor und ist individuell von der körperlichen Konstitution der Angehaltenen abhängig. Hungerstreikende sind täglich dem/der Amtsarzt/ärztin vorzuführen. 57 2004 gab es 1.072 Entlassungen aus der Schubhaft auf Grund von Haftunfähigkeit herbeigeführt durch Hungerstreik.109 Der Aspekt der Angst vor einer Abschiebung wird auch von Seiten des Menschenrechtsbeirates nicht berücksichtigt. Als Gründe für einen Hungerstreik nennt der Menschenrechtsbeirat nicht nur die Haftentlassung, sondern auch unzumutbare Anhaltebedingungen und psychische Gründe als Beweggründe.110 Entscheidet sich ein Gefangener in den Hungerstreik zu treten, wird es den WachebeamtInnen oder den SchubhaftbetreuerInnen mitgeteilt. Es erfolgt eine Hungerstreikmeldung und gemäß der Anhalteordnung sind hungerstreikende Häftlinge ohne unnötigen Aufschub dem Amtsarzt vorzuführen. Den AmtsärztInnen liegen Hungerstreikformulare vor, die eine einheitliche medizinische Mindestdokumentation, sowie die Festlegung von Mindeststandards bei den Untersuchungen garantieren sollten. Laut dem MRB finden diese Formulare in allen PAZ Verwendung. Im PAZ Klagenfurt und Villach werden diese ab dem 2. Tag der Nahrungsverweigerung angelegt. In Graz und Klagenfurt erfolgt laut den Untersuchungen des MRB aber keine lückenlose Dokumentation des Hungerstreiks.111 Bei der ärztlichen Untersuchung von Hungerstreikenden sollten folgende Merkmale kontrolliert werden: Gewicht, Blutdruck, Puls, Hautturgor, Zunge, Blutzuckerwerte, Allgemeinzustand, psychischer Zustand, Exiskosezeichen, Body-Maß-Index, Harn, Hämatokrit, Peristaltik, Ansprechbarkeit, Größe, Herz- und Lungenfunktion, Inspektion Mund- und Rachenraum. Trotz Einführung einheitlicher Mindeststandards variieren die vorgenommenen Untersuchungen der Hungerstreikenden in den einzelnen PAZ erheblich und die Richtlinien zur Untersuchung von Hungerstreikenden werden laut dem 109 Zahlen: Hungerstreik in Österreich. www.derstandard.at 10.06.2005. Ebenda. 111 Zwischenbericht des MRB zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema „Spezifische medizinische Problemlagen“ Quartal III/2003, S. 9. 110 58 Menschenrechtsbeirat nur mangelhaft angewandt. Eine NGO, die in der Schubhaftbetreuung tätig ist, berichtet, dass sich im Fall von Hungerstreik die medizinische Versorgung auf eine grobe Beurteilung beschränke. Die Prüfung des Mineralhaushaltes und einzelner betroffener Organfunktionen findet in der Regel nicht statt.112 112 Bericht des Menschenrechtsbeirates zur medizinischen Betreuung von Angehaltenen Personen, S.40. 59 Abb. 2: Informationsblatt des BMI, das in den PAZ in bis zu 23 Sprachen aufliegt und den Hungerstreikenden als Information über die gesundheitlichen Folgen der Nahrungsverweigerung dienen soll. Die zu erfolgende Unterschrift dient der rechtlichen Absicherung im Fall von Folgeerscheinungen.113 113 PAZ Hernalser Gürtel Wien. 60 14.2.1. Haftunfähigkeit Menschen, deren Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, dürfen nicht festgehalten werden (§ 7 AnHO).114 Zur Zeit gibt es keine Standards zur Feststellung der Haftunfähigkeit. Es wird jedoch grundsätzlich der Gesamteindruck der Person bewertet, der von den diensthabenden ÄrztInnen individuell festgestellt wird. Dass die Bandbreite der unterschiedlichen Stadien der Haftunfähigkeit dadurch sehr groß ist wird unter Mangel an Alternativen in Kauf genommen.115 Im Fall von einer Entlassung wegen Haftunfähigkeit werden in Wien die Schubhäftlinge auf die Straße gesetzt. Einweisungen in ein Krankenhaus erfolgen selten. Es wird jedoch die Verständigung von Bekannten ermöglicht und die Schubhaftbetreuung wird von der bevorstehenden Entlassung informiert. In Bludenz und Wels wird bei einer Entlassung die Caritas benachrichtigt.116 14.2.2. Disziplinarmaßnahmen Der/die AmtsärztIn hat zu entscheiden ob der/die Angehaltene für die Dauer des Hungerstreiks in einer Krankenzelle oder in Einzelhaft untergebracht und ob ein Rauchverbot verhängt werden soll. Der Menschenrechtsbeirat weist in seinem Bericht darauf hin, dass nach der geltenden AnHO im Zusammenhang mit Hungerstreik eine Anhaltung in Einzelhaft, ein Rauch- bzw. Besuchsverbot ausschließlich von den AmtsärztInnen zu entscheiden ist und nicht von einer Behörde oder einzelnen WachebeamtInnen. Der Grund, dass sich eine Person im Hungerstreik befindet, darf zu keiner Verschlechterung der 114 Anhalteordnung S. 3. Ebenda, S. 41. 116 Zwischenbericht des Menschenrechtsbeirates zur Umsetzung Schwerpunktthema „Spezifische medizinische Problemlagen“ S. 13. 115 der Empfehlungen zum 61 Anhaltebedingungen führen, da die Situation unnötig aufgeschaukelt werden könnte.117 Eine besondere Rolle beim Hungerstreik kommt der Schubhaftbetreuung zu. In die Schubhaftverträge 2003 wurden Bestimmungen aufgenommen, die eine verstärkte Einbindung der Schubhaftbetreuung insbesondere im Falle spezifischer Problemlagen vorsehen. In den Verträgen wird auf die erhöhte Aufmerksamkeit und intensivere Betreuung von hungerstreikenden Häftlingen eingegangen.118 14.3. Zwangsernährung oder „Heilbehandlung“? „Es ist noch einmal festzuhalten, dass im österreichischen Strafvollzug keine Zwangsernährungen durchgeführt werden, sondern vielmehr die Justizanstalten mit psychologischen Mitteln Eskalationen vermeiden. Dies hat zur Folge, dass weder die Justizwachebeamten/innen noch die Ärzte/innen der Allgemeinmedizin im österr. Strafvollzug nähere Erfahrungen im Umgang mit hungerstreikenden Häftlingen haben. Lediglich die Miterabeiter/innen der sogenannten Betreuungsdienste bemühen sich in fachlich geführten Gesprächen, die Häftlinge vom Hungerstreik abzubringen. In den letzten Jahrzehnten kam es daher in den Bereichen Untersuchungshaft und Strafhaft lediglich ganz vereinzelt zu einer Situation, dass ein Häftling durch den Hungerstreik – dessen Durchführung außer der Gewichtskontrolle nicht überprüft wird – in gesundheitliche Gefahr geriet. In diesen Fällen werden die Häftlinge in das nächstgelegene Spital überstellt, wo eine intravenöse Ernährung durchgeführt wird, gegen die in den vergangenen 20 Jahren nie ein Widerstand geleistet wurde. 117 118 Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 12. 62 Seit 1999 waren lediglich zwei künstliche Ernährungen in der Dauer von 14 und 27 Tagen zu verzeichnen, die mit Zustimmung der Betroffenen durch die oben genannte Infusionsbehandlung durchgeführt wurde.“119 Durch das Fremdenrechtspaket 2005 (tritt am 01.01.2006 in Kraft) wird die heftig umstrittene Möglichkeit der Zwangsernährung von Schubhäftlingen eingeführt. Bei Hungerstreikenden kann der Leiter eines Polizeianhaltezentrums den Leiter des gerichtlichen Gefangenenhauses Wien um den Vollzug der Schubhaft in der medizinischen Einrichtung dieses Gefangenenhauses ersuchen.120 Interessant ist, dass die Möglichkeit der Zwangsernährung von Schubhäftlingen im Fremdenpolizeipaket an keiner Stelle erwähnt wird, jedoch mittels zweifacher Verweise auf andere Gesetzestexte ermöglicht wird. So steht im neuen Fremdenpolizeipaket nur, dass für die Anhaltung in Schubhaft § 53d Verwaltungsstrafgesetz (VStG) gilt. In diesem Paragraphen wird lediglich geregelt, dass für den Vollzug der verwaltungsbehördlich erlassenen Freiheitsstrafe die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes 1969 anzuwenden sind. Dort ist festgelegt, dass Strafgefangene (obwohl Schubhäftlinge keine Strafgefangenen sind), die die Aufnahme von Nahrung verweigern, wenn erforderlich, nach Anordnung und unter Aufsicht des Arztes zwangsweise zu ernähren sind.121 Artikel 8 EMRK schützt den/die GrundrechtsträgerIn in seinem/ihrem Recht, selbst über seinen/ihren Körper zu bestimmen. Ärztliche Untersuchungen bedürfen daher der Einwilligung des/der Patientin. Die zwangsweise Anordnung von Behandlungen stellen einen Eingriff in dieses Recht dar. Auch das CPT betont das Selbstbestimmungsrecht der PatientInnen in einer Haftsituation. „Every patient capable of discenernment is free to refuse treatment or any other medical intervention. Any derogation from this principle should be based 119 Ebenda, S. 45f. Schumacher, Sebastian: Fremden und Asylrecht. Skriptum FH. Studiengang Sozialarbeit. Wien 2005, S. 99. 121 Strafrechtler: „Politische Unkultur in reinster Ausprägung“. In: www.derstandard.at, 07.07.2005. 120 63 upon law and only relate to clearly and strictly defined exceptional circumstances which are applicable to the population as a whole.”122 Die World Medical Association definiert in der Malta Deklaration (Leitlinien zur Behandlung von Hungerstreikenden) einen Hungerstreikenden als zurechnungsfähige Person, die den Entschluss zu erkennen gegeben hat, die Nahrungs- und/oder Flüssigkeitsaufnahme für einen signifikanten Zeitraum zu verweigern.123 Zwangsbehandlung oder –ernährung kommt daher erst in Frage, wenn der/die PatientIn im Koma liegt oder eine unmittelbare Lebensgefahr besteht. Andernfalls liegt ein unzulässiger Eingriff aufs Selbstbestimmungsrecht (Art. 8 EMRK) und daraus folgend eine Körperverletzung vor. Dass eine hungerstreikende Person in Schubhaft ins Koma fällt, kann in der Praxis aber nicht auftreten, weil dem eine Entlassung wegen Haftunfähigkeit vorgehen würde. Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) Reiner Brettenthaler wies darauf hin, dass kein Arzt zur Einleitung einer Zwangsernährung bei hungerstreikenden AsylwerberInnen gezwungen werden dürfe. Er beruft sich dabei auf eine Deklaration des Weltärztebundes, in der es heißt, dass im Vordergrund bei der Behandlung von Hungerstreikenden die Interessen des Patienten zu stehen haben und auch dessen Wille, künstliche Ernährung zu verweigern. Ärzte, die sich nicht an die Deklaration des Weltärztebundes halten, haben mit Disziplinarmaßnahem zu rechnen. 124 § 110 des StGB regelt, dass jemand, der einen anderen ohne Einwilligung behandelt, mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen ist.125 122 Stellungnahme von amnesty international Österreich zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das AsylG 1997 (AsylG-Novelle 2003), das Bundesbetreuungsgesetz, das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat und das Meldegesetz geändert werden, das Asylgesetz 2005 und das Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen sowie das Bundesbetreuungsgesetz, das Personenstandsgesetz, das UBAS-Gesetz und das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 geändert werden. Wien 2005, S. 82. 123 Zwischenbericht des MRB zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema „Spezifische medizinische Problemlagen“ Quartal III/2003, S. 6 124 www.aerztekammer.at/index.php?aid=headlines&tipe=article, 17.08.2005. 125 Zwangsernährung: Ärzten droht Strafe. In: www.derstandard.at, 05.07.2005. 64 Ist Zwangsernährung eine sinnvolle Maßnahme? Die Meinung der ÖsterreicherInnen zum Thema Zwangsernährung wurde in einer Online Standard-Umfrage eroiert. Es wurden insgesamt 1.497 Stimmen abgegeben, wovon sich 37,7% gegen die Zwangsernährung aussprachen, 28.9% sind aus Mangel an Alternativen dafür, 25,6% finden Zwangsernährung auf keinen Fall vertretbar und 9,8% halten sie als Abschreckungsmaßnahme für geeignet. 2,6% sind völlig anderer Meinung.126 126 Ist Zwangsernährung eine sinnvolle Maßnahme? In: www.derstandard.at, 16.06.2005. 65 14.4. Suizid Für Menschen in Schubhaft steht - wie bei allen Formen der zwangsmäßigen Anhaltung - die Gefährdung des eigenen Körpers an der Tagesordnung. Diese reicht von Hungerstreiks und Selbstverstümmelungen bis hin zu Selbstmord. In Österreich sind uns in den letzten Jahren mehrere Fälle von Selbstmorden in Schubhaft bekannt. Es gibt keine öffentlich zugänglichen Statistiken über Suizide in Schubhaft. Einer parlamentarischen Anfragebeantwortung vom Mai 2005127 "Medienmitteilungen und Presseverlautbarungen nach zufolge werden Suiziden (...) zur Verhinderung von Nachahmungen sowie im Hinblick auf die Privatsphäre äußerst restriktiv behandelt." Ein Mitglied des Menschenrechtsbeirates geht davon aus, dass es in Folge der Asylrechtsnovelle 2005 und der Möglichkeit der „Heilbehandlung“ zu einer Zunahme von Selbstmorden beziehungsweise Selbstmordversuchen kommen wird,. da durch die Möglichkeit der Zwangsernährung ein Hungerstreik nicht mehr zur Haftunfähigkeit führen kann. Selbstmorde und Selbstmordversuche von „illegalisierten“ AsylwerberInnen werden also ganz bewusst in Kauf genommen. 128 Die Erstuntersuchung bei der Inhaftierung spielt beim Erkennen von suizidgefährdeten Personen eine große Rolle. Häftlinge, die suizidgefährdet wirken, sind so lange wie notwendig unter ärztlicher Kontrolle zu behalten und von selbstgefährdenden Gegenständen fernzuhalten. Die Gefahr eines Suizids gilt kurz vor und kurz nach einer Verhandlung oder der Inhaftierung als am höchsten. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass eine psychische Untersuchung ein Mindestmaß von Vertrauen voraussetzt, das in den Schubhaftanstalten nicht gegeben ist, woraus zu schließen ist, dass bei Erstuntersuchungen meist nichts zu erkennen ist. ExpertInnen erklären, dass in einem gewissen Zeitraum vor dem Selbstmord von der betreffenden Person meist ein „Zeichen“ gesetzt wird, das auf die erhöhte Gefahr hinweist und das es zu erkennen gilt. 127 128 Parlamentarische Anfrage 2748/AB XXII. GP Interview mit Günther Ecker am 23. Mai 2005. 66 Der Menschenrechtsbeirat empfiehlt, dass nach jeder Art von Verdacht auf Selbstbeschädigung sofort eine psychiatrische Klinik kontaktiert werden sollte. 129 14.4.1. Chronologie der bekannt gewordenen „Suizide“130 in den Anhaltezentren 22. Februar 2005: Selbstmord im PAZ Hernalser Gürtel? Am 22. Februar 2005 wurde der algerische Schubhäftling Ben Habra Saharaoui tot in einer Einzelzelle im Polizeigefangenenhaus Hernalser Gürtel aufgefunden. Offiziell starb er einen "Tod durch Erhängen". Es gibt Vorwürfe von Misshandlung seitens der BeamtInnen, die offizielle Version eines Selbstmordes wird in Zweifel gezogen.131 23. Juli 2004: Toter in Schubhaft im PAZ Rossauer Lände Zeitungsmeldungen zu Folge132 kam es am 23. Juli 2004 zum Selbstmord eines 35-jährigen Schubhäftlings im PAZ Rossauer Lände in Wien. 03. August 2002: Toter in Schubhaft in Bludenz Medienberichten zufolge wird in den frühen Morgenstunden des 3. August 2002 ein Schubhäftling in einer Zelle entdeckt. Laut Angaben der Polizei soll es sich nicht um Selbstmord gehandelt haben. Zur Klärung der Todesursache wurde die Leiche obduziert.133 129 Zwischenbericht des MRB zur Umsetzung der Empfehlungen zum Schwerpunktthema „Spezifische medizinische Problemlagen“ Quartal III/2003, S. 21. 130 Suizid steht unter Anführungszeichen, da in manchen Fällen nicht eindeutig nachvollziehbar ist, ob es sich wirklich um Selbstmord handelte. Oft ist die Todesursache unklar und die Obduktionsberichte der Todesfälle werden meist nicht veröffentlicht. 131 Recherche zum Tod in der Schubhaft. In. www.no-racism.net/article/1138, am 29.07.2005. 132 www.derstandard.at, 20.10.2004. 133 Tod eines Schubhäftlings in Bludenz. In: www.no-racism.net/article/410/, am 29.07.2005. 67 23. September 2001: Selbstmord in den Anhalteräumen am Flughafen Wien/Schwechat Im "Zwischenbericht des MRB zur Umsetzung der Empfehlungen zum 'Scherpunktthema medizinische Problemlagen'", Quartal III/2003. stellt der MRB in einer Empfehlung134 für erforderliche Maßnahmen zur Anhaltung in Schubhaft fest: "Der tragische Selbstmord eines Schubhäftlings hat drastisch vor Augen geführt, dass bei einer Überlegung nicht von den erforderlichen Betreuungsmöglichkeiten ausgegangen werden kann. Darüber hinaus widerspricht die Überlegung dem diesbezüglichen Erlass, der eine Reduktion der Kapazitäten auf max. vier Haftplätze vorsieht (am Tag des Selbstmordes, 23.09.2001, waren insgesmat 9 Personen angehalten)." 1996 bis 1998 Nach einer parlamentarischen Anfragebeantwortung an den damaligen Innenminister Schlögl kam es von 1996 bis 1998 zu insgesamt 305 "Selbstbeschädigungen". Als Selbstmordversuche wurden davon 48 Fälle gewertet. Da die Bewertung im Einzelfall "nicht immer einfach" ist, kann durchaus von einer höheren Zahl ausgegangen werden. Die von Selbstbeschädigung betroffenen kommen aus 20 Staaten, unter ihnen 13 Frauen und 14 Minderjährige. In der Anfragebeantwortung wird von einem Selbstmord im Jahr 1996 berichtet. 15. Schubhaftbetreuung 134 Empfehlung Nr. 85, S. 18. 68 Die anhaltende Kritik an der Praxis der Schubhaft und die sich häufenden Fälle von Selbstverletzungen und Suizidversuchen veranlassten das Innenministerium, nach Lösungen zu suchen. Seit 1.1.1998 ist die soziale und rechtliche Schubhaftbetreuung in Österreich gesetzlich geregelt. Zwischen den NGO’s und dem Bundesministerium für Inneres wurden Verträge zur Finanzierung einer Österreich weiten Schubhaftbetreuung abgeschlossen. Ziel der Verträge war es, regelmäßige humanitäre, soziale und psychosoziale Betreuung, sowie rechtliche Beratung sicherzustellen.135 15.1. Entstehungsprozess des österreichischen Modells der Schubhaftbetreuung Bei den jährlichen Treffen von VertreterInnen des UNHCR (UN-High Commissioner for Refugees) und verschiedenster, im Flüchtlingsbereich tätiger NGO’s um über Probleme, Aufgabenstellungen, Zielsetzungen und Forderungen im Bereich der Betreuung und des Schutzes von Flüchtlingen zu diskutieren, wurde in den Jahren 1995 und 1996 in Linz und in Graz die Idee entwickelt, gemeinsam ein Konzept für die sozial-rechtliche Betreuung in der Schubhaft zu erarbeiten. Im November 1996 fand eine Arbeitstagung statt, an der sich VertreterInnen von 30 NGO’s aus allen Bundesländern beteiligten. Man einigte sich auf ein gemeinsames Konzept für die Schubhaftbetreuung und auf Mindestforderungen, die in Verhandlungen mit dem BMI durchgesetzt werden sollten. Jene Teile des NGO-Konzepts, die sich auf die Aufgaben der Schubhaftbetreuung beschränkten, fanden schnell die Akzeptanz des BMI, wie zum Beispiel der vorgelegte Leistungskatalog. Leistungskatalog der Schubhaftbetreuungsverträge: 135 http://tatblatt.net/198/198schubhaftundsozialdienst.htm, 12.06.2005. 69 - Betreuung von Schubhäftlingen in humanitärer und sozialer Hinsicht - Führen von Kontaktgesprächen mit jedem Schubhäftling in der ersten Woche der Schubhaft - Versorgung von Schubhäftlingen mit Hilfsgütern (Hygieneartikel, Bücher) im Akutfall, bis die entsprechende Versorgung durch den Träger der Gefangenenanstalt selbst erfolgen kann - Begleitung des Schubhäftlings bei ärztlichen Untersuchungen auf seinen Wunsch - Information des Schubhäftlings über behördliche Zuständigkeiten in den ihn betreffenden anhängigen Verfahren und allfällige rechtliche Schritte - Setzung von präventiven Maßnahmen zur Minimierung des Konfliktpotentials in Schubgefängnissen - Information der Behörden über Umstände, die zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung von Schubhäftlingen führen können - Vorbereitung der Schubhäftlinge auf die Abschiebung bzw. Entlassung - Hilfestellung bis zu einer Woche nach der Entlassung aus der Schubhaft - Hilfestellung zur Umsetzung des „gelinderen Mittels“ insbesondere bei Jugendlichen und Frauen 136 Im Forderungskatalog der NGO’s waren weitere Punkte enthalten, die keine Beachtung beim BMI fanden wie zum Beispiel: - Entwicklung und Ausbau von Möglichkeiten zur Vermeidung der Schubhaft, sowie deren gesetzliche Verankerung - Vermehrte Amwendung des gelinderen Mittels - Bestimmte Personengruppen sollen nicht mehr in Schubhaft genommen werden. Dazu zählen wir insbesondere AsylwerberInnen im laufenden Verfahren, unbegleitete Minderjährige und schwangere Frauen. 136 Glanzer, Edith: Möglichkeiten sozial-rechtlicher Betreuung in der Schubhaft? In: Staatsarchitektur. Vor der Information. Wien 1998, S. 158. 70 - Gesetzlich verankert werden soll ein verpflichtendes richterliches Haftprüfungsverfahren137 15.2. Umsetzung der Schubhaftbetreuung in die Praxis: In den ersten neun Monaten der war den Schubhaftbetreuungsorganisationen der Zugang zu den Schubhäftlingen generell gestattet, die Organisationen erhielten von Seiten der Behörde die Neuzugangslisten zugestellt, so dass sie dem Auftrag, den Schubhäftling innerhalb der ersten Woche zu besuchen, nachkommen konnten. Dies wurde mit Oktober 1998 eingestellt. Die Begründung von Seiten der Behörde war, dass die Zusendung der Neuzugänge aufgrund von Datenschutzproblemen nicht länger möglich sei. In weiterer Folge musste der erste Schritt vom Schubhäftling ausgehen, der nur durch ein kurzes Informationsblatt über die Möglichkeit einer Betreuung informiert wird und mit seiner Unterschrift erklären muss, dass er eine Betreuung wünscht. Bei den neuen Verträgen 1999 und 2000 stand vor allem der Punkt "rechtliche Beratung" im Kreuzfeuer der Kritik. Argumentierten die NGO’s, dass ohne rechtliche Information und Beratung die Arbeit nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könne, so war die Tätigkeit einiger SchubhaftbetreuerInnen den Verantwortlichen im BMI ein Dorn im Auge und in der Folge wurden die Verträge mit gewissen NGO´s .nicht mehr verlängert wie zum Beispiel von ZEBRA Graz. Der Sinn der Schubhaftbetreuung, ohne Möglichkeit der rechtlichen Beratung und Einbringung von Rechtsmitteln, bleibt lediglich die Vorbereitung auf die Deportation und die Minimierung des Konfliktpotentials in den Polizeianhaltezentren. Derzeit sind mehrere regionale und nationale Organisationen in der Schubhaftbetreuung engagiert. Neben der großen überregionalen Organisation Caritas (Burgenland, Steiermark und Vorarlberg) ist der Evangelische Flüchtlingsdienst (EFDÖ) in Salzburg, Niederösterreich und Kärnten, die ARGE Schubhaft in Tirol 137 Ebenda, S. 156ff. 71 und SOS Menschenrechte in Wien und Niederösterreich in einen Vertrag mit dem BMI eingebunden. Daneben gibt es noch andere Organisationen, die sich im Bereich der Schubhaft engagieren, wie etwa der Flughafensozialdienst, Asyl in Not, Amnesty International, Deserteursberatung Wien und ZEBRA, die jedoch keinen Vertrag mit dem BMI haben.138 15.3. NGO´s, die in der Schubhaftbetreuung tätig sind Um ein genaueres Bild über die verschiedenen Vereine, die in der Schubhaftbetreuung tätig sind, zu geben, werden im folgenden Abschnitt zwei NGO’s genauer dargestellt. Beide Vereine unterliegen den Vorgaben des Innenministeriums. Der Verein Menschenrechte Österreich stellt im Gegensatz zur ARGE Schubhaft Innsbruck in seiner Arbeit die Institution Schubhaft überhaupt nicht in Frage, sondern sieht sie als eine notwendige Form der Migrationsregulierung an. Daraus resultieren unterschiedliche Zugänge in der Arbeit mit den Angehaltenen. 15.3.1. ARGE Schubhaft Innsbruck Der Verein wurde 1997 aus einer Initiative der Sozialakademie gegründet und steht seit 1998 unter Vertrag mit dem Bundesministerium für Inneres. Er setzt sich aus 138 In der Steiermark, wo ursprünglich neben der Caritas auch noch ZEBRA einen Vertrag hatte, wurde aufgrund von Umbaumaßnahmen im Gefangenenhaus, durch die angeblich die Besuchskapazitäten verringert wurden, nur mehr die Caritas vertraglich gebunden - so zumindest die offizielle Version aus dem BMI. In: http://www.zebra.or.at/lexikon/s.html#Schubhaft, 21/07/05. 72 einem ehrenamtlich arbeitenden multikulturellen BetreuerInnenteam von ÜbersetzerInnen, RechtsvertreterInnen und VertrauensärztInnen zusammen. Die BetreuerInnen legen bei ihren wöchentlichen Besuchen großen Wert an der Information über die Verfahren und der Vermittlung von Rechtsberatung bzw. Rechtsvertretung. Bei besonders schutzbedürftigen Gruppen wie Minderjährigen, Betroffene von Frauenhandel und kranken Menschen wird die Anwendung des Gelinderen Mittels forciert. Es besteht auch eine enge Zusammenarbeit mit anderen NGOs, Rechtsanwälten und Ärztinnen. Im Rahmen der politischen Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit werden Vorträge an Schulen organisiert, wo Flüchtlinge über ihre Anhaltung in der Schubhaft berichten. Es werden Stadtführungen organisiert zu Orten von Flucht und Migration, Schubhaft, Asylverfahren und Abschiebung. Die Teilnahme an der Tiroler Plattform gegen Rassismus (Teil des Austrian bzw. European Network against Racism) und am Integrationsforum ist ein weiterer wichtiger Aspekt der öffentlichen Arbeit. Die politischen Forderungen der ARGE Schubhaft sind: • Abschaffung der Schubhaft • Verbesserung der Haftbedingungen / offener Vollzug • verstärkte Anwendung des gelinderen Mittels • verpflichtete Rechtsvertretung für Häftlinge • keine AsylwerberInnen in Schubhaft • keine Minderjährigen in Schubhaft • Haftprüfungsverfahren • Abschaffung / Änderung des Dubliner Übereinkommens 139 139 Das Dubliner Übereinkommen ist seit 1998 in Kraft und legt fest, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist. Laut Dubliner Übereinkommen ist jenes EU-Land, welches von der Person als erstes betreten wurde, für die Prüfung zuständig. Werden bei der Leibesvisitation in einem Erstaufnahmezentrum Hinweise auf ein anderes EU-Land gefunden, wird der/die AsylwerberIn in Schubhaft genommen und in das zuständige Land ausgewiesen. In. Die Zahl der Schubhäftlinge nimmt zu. In: www.derstandard.at, 02.02.2006. 73 • Sensibilisierung der Bevölkerung 140 15.3.2. Verein Menschenrechte Österreich Der Verein Menschenrechte Österreich wurde 2002 von Günther Ecker, der bis dahin im Verein SOS-Menschenrechte Oberösterreich tätig war, gegründet. Der Verein stellt im Gegensatz zur ARGE Schubhaftbetreuung keine politischen Forderungen sondern ist lediglich darauf spezialisiert, Konfliktsituationen in den Haftanstalten zu minimieren und die angehaltenen Menschen so schnell wie möglich und ohne größere Probleme abzuschieben oder durch das Programm der „freiwilligen Rückkehr“ den Menschen die Rückkehr in ihr Heimatland, in dem meistens Folter und Misshandlungen an der Tagesordnung stehen, schmackhaft zu machen.141 In der NGO Szene wird der Verein als GONGO – Govermental Organized NGO bezeichnet, da er primär Staatsinteressen vertritt.142 Der Verein ist seit März 2003 mit der Schubhaftbetreuung in den Polizeianhaltezentren in Wien Rossauer Lände und Hernalser Gürtel und in Oberösterreich, in Linz, Wels und Steyr, beauftragt und zählt derzeit 23 MitarbeiterInnen und vier Zivildiener.143 Das Betreuungsangebot reicht von der sozialen Betreuung in der Schubhaft über Herstellung von Kontakten mit Angehörigen und Freunden, Unterstützung in der medizinischen Versorgung durch Bereitstellung von DolmetscherInnen, Prävention von Konflikten, Selbstbeschädigungen und Hungerstreik, Information zu laufenden rechtlichen Verfahren, Versorgung bedürftiger Schubhäftlinge mit Hilfsgütern vor allem Bekleidung und Telefonwertkarten, Verkürzung der Schubhaft durch das Beibringen von Identitätsdokumenten und Flugtickets, Vorbereitung auf die Abschiebung durch Informationen über das Abschiebeprozedere, Teilnahme am Kontaktgespräch mit dem Begleitbeamten der Abschiebung, Mobilisierung von 140 http://www.abschiebehaft.de/gruppen/s37.htm, 13.06.2005. Persönliche Eindrücke, gewonnen durch ein Interview mit Günther Ecker am 23.05.2005. 142 http://oe1.orf.at/highlights/40514.html, 21.07.2005. 143 http://verein-menschenrechte.at, 17.07.2005. 141 74 Angehörigen zur Abholung vom Flughafen oder von der Grenze bis hin zur Aushändigung eines Zehrgeldes für mittellose Frauen, die abgeschoben werden.144 Ein weiteres Angebot, das der Verein den Schubhäftlingen bietet, ist das der „freiwilligen Rückkehr“. Bei der Inanspruchnahme dieses Angebotes hat der Schubhäftling die WachebeamtInnen Möglichkeit, Österreich zu freiwillig und ohne verlassen und in Begleitung sein/ihr von Heimatland zurückzukehren. Der Obmann des Vereins, Günther Ecker, äußert sich in einem Interview folgendermaßen zum Thema „freiwillige Rückkehr“: „....da kommt dann eben unser Rückkehrprogramm ins Spiel. Das ist unsere letzte Entwicklung. Wir bieten eine Alternative zur Abschiebung in Polizeibegleitung oder zur zwangsweisen Abschiebung in Form von der freiwilligen Rückkehr. Auch da gibt es unterschiedliche Haltungen. Z. b. sind die großen Hilfsorganisationen wie Caritas oder Diakonie der Meinung, aus einer Haft oder aus einer Haftsituation kann man nicht freiwillig zurückkehren. Weil man, wenn ich das kurz zusammenfassen darf, weil wenn man in Haft ist, ist man ja nicht frei in seiner Entscheidung. Das stimmt natürlich, ist überhaupt keine Frage. Man ist nicht mehr so frei und man hat nicht mehr so viele Alternativen. Aber auch in Haft hat man Entscheidungen, die man für sich treffen muss. Und das kann kein Betreuer machen. Ich vergleich das gern mit Fernsehen. Es ist ein Unterschied, ob ich einen Kabelanschluss habe mit 99 Programmen. Das ist Situation Freiheit. OK, da kann ich entscheiden: wo geh ich hin, was mach ich, wie beweg ich mich. Diese 99 Alternativen können wir nicht anbieten. Aber was wir anbieten können, ist ORF 1 und ORF 2. Man kann trotzdem wählen zwischen ORF 1 und ORF 2. Man kann sagen:“ nein ich will nicht nach Hause nur quasi wenn’s mich abschieben dann ja“ oder andere die sagen „ja ich sehe ein, mein Aufenthalt in Österreich geht zu Ende“ Manche wollen auch nach Hause also das Bild ist ja falsch, dass alle immer nur bleiben wollen, das ist ein Klischee, das nicht stimmt. Sondern dass gerade, und da bei besonderen Problemgruppen wie bei Minderjährigen durchaus die Bereitschaft da ist, so schnell wie möglich nach Hause in die vertraute Umgebung und aus dieser misslichen 144 http://verein-menschenrechte.at, 17.07.2005. 75 schwierigen Situation aus Österreich wegzukommen. Also das ist ein Angebot, das wir machen können. Momentan ist es so, dass in Oberösterreich 10% aller Schubhäftlinge mittlerweile mit unserem Rückkehrprogramm zurückkehren und in Wien sind wir derzeit bei 7% aller Schubhäftlinge, die nicht von der FREPO , 145 sondern von uns zurückkehren. Und trotzdem ist es eine freiwillige Rückkehr, weil es hat ja niemand gezwungen zu kooperieren oder die Anträge zu unterschreiben oder Dokumente beizubringen oder was auch immer.“146 Wie Günther Ecker bereits im Interview andeutet, ist das Konzept der „freiwilligen Rückkehr“ ein problematisches und purer Euphemismus. Menschen, die in Schubhaft kommen, halten sich oft bereits mehrere Jahre im österreichischen Staatsgebiet auf, haben Freundschaften geschlossen oder eine Familie gegründet. Überschattet wurde ihr Aufenthalt von dem unsicheren Ausgang des Asylverfahrens und jeder Tag in Österreich ist ein Tag voller Ungewissheit und Angst vor dem Aus des Asylverfahrens und des Inhaftiert - Werdens. Vor dem Hintergrund der Zwangssituation in Schubhaft ist die „Freiwilligkeit“ der Rückkehr massiv in Frage zu stellen. Den Menschen ist durch Kontakt zu anderen AsylwerberInnen bei den vielzähligen Behördengängen meist innerhalb kurzer Zeit, nach der Ankunft in Österreich klar, dass die Aussichten, Asyl zu erhalten, sehr gering sind. Der Aufenthalt in Österreich gestaltet sich für den Großteil der AsylwerberInnen als eine große psychische und physische Belastung. 2004 stellten 1.828 Menschen aus Nigeria einen Asylantrag. Es kam zu 455 Entscheidungen. 3 erhielten Asyl, 442 wurden abgelehnt.147 145 Fremdenpolizei Ausschnitt aus dem Interview mit Günther Ecker. 147 http://www.asyl.at/fakten_8/stat_2005_01.htm, 14.10.2005. 146 76 Ist das Asylverfahren endgültig entschieden worden, heißt es für Die AntragsterllerInnen entweder Bleiberecht oder Abschiebung. Nicht viele Menschen sind bereit, ihr Leben als Illegalisierte/r in Österreich zu verbringen. In der Betreuungspalette des Vereins Menschenrecht Österreich befindet sich auch das „Monitoring“. Die ehemals betreuten Personen werden innerhalb weniger Tage oder Wochen nach ihrer Abschiebung angerufen und nach dem Verlauf der Reise, dem Verhalten der Behörden und der Reintegration ins Heimatland befragt. Die durch das „Monitoring“ gewonnenen Erkenntnisse werden an das Bundesministerium für Inneres weitergeleitet. Diese Maßnahme soll menschenrechtliche Problemzonen bei der Abschiebung aufzeigen.148 In Bezug auf den Tätigkeitsbereich „Monitoring“ wurden seit Aufnahme der Tätigkeit bis August 2004 537 Fälle bearbeitet. 288 Klienten haben 2004 auf die Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr zurückgegriffen.149 148 149 Neuwirth, Thomas: Sozialarbeit im Verwaltungsstrafvollzug. Wien 2005, S. 148. www.verein-menschenrechte.at, 02.02.2005. 77 Freilich gibt es überall Erlässe Willkür, Ordnung, Polizeigewalt Und man fragt die Wolken: Habt ihr Pässe? Und den Baum: wo ist dein Aufenthalt? bert brecht, flüchtlingsgespräche 78 Theoretische Abhandlung zur Abschiebung oder „Auf der Suche nach dem Warum“? Die Menschheitsgeschichte unterscheidet sich wesentlich von der Zoologie. In ihr ist die Rasse nicht alles, wie bei den Katzen und Nagetieren, und man hat nicht das Recht, durch die Welt zu ziehen, den Leuten die Schädel zu vermessen und sie dann zu packen und zu sagen: „Du bist unser Blut, du gehörst zu uns!“ Ernest Renan Würde das Konzept von Nation/Nationalstaat nicht existieren, gäbe es (unter anderem) keine Deportationen. Eine theoretische Annäherung an die Entstehung der Nationalstaaten ist im Zusammenhang mit dem Phänomen der Abschiebung unumgänglich, denn „Nationalität“ gilt gegenwärtig als einer der wirkungsmächtigsten Codes für Inklusion und Exklusion. Es ist ein moderner Trend, Grenzen zu Überschreiten. Für Kapital, Waren und Menschen mit einem gewissen sozialen Status und der „richtigen“ Nationalität stellt diese Tatsache auch in keinerlei Hinsicht ein Problem dar. Im Gegensatz dazu stehen Flüchtlinge, die an den Außengrenzen Europas auf eine Möglichkeit der Einreise in das goldene Europa warten. „Es ist genau die interstitielle (zwischenräumliche) Positionierung der Flüchtlinge im System der Nationalstaaten, welche ihr Leben für das anthropologische 79 Hinterfragen von Nation, Staatenlosigkeit und die Vernetztheit von Geschichtserinnerung und nationalem Bewusstsein so einzigartig erkenntnisfördernd macht.“150 Flüchtlinge werden in einer durch Nationalstaaten organisierten Welt als Bedrohung empfunden. Interessanterweise gilt als „Problem der Flüchtlinge“ nicht der Umstand, der zur Flucht zwang, sondern vielmehr sie selbst. In diesem Zusammenhang arbeitet Malkki das Problem der allgemein gebräuchlichen Metapher der „Entwurzelung“ heraus. Diese Metapher drückt eine tiefe Verbundenheit mit dem Territorium aus und aus dem Zustand der Entwurzelung werden bestimmte „Eigenschaften der Flüchtlinge“ abgeleitet. Menschen verlieren durch die „Entwurzelung“, die „Deterritorialisierung“ ihre Identität bzw. ihre „Kultur“, wodurch sie zu unkontrollierbaren, verantwortungslosen Elementen der Aufnahmegesellschaft gemacht werden. Sie seien daher potenzielle „Kriminelle“, „Drogendealer“ oder „Terroristen“. Flüchtlinge sind sozusagen immer ein Problem: ein humanitäres, ein rechtliches oder ein psychologisches.151 Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in der Aufnahmegesellschaft die neu entstehenden Identitäten wesentlich mitprägen, wird in der aktuellen Politik nicht wahrgenommen. So werden die Bedürfnisse von Flüchtlingen und MigrantInnen in der Aufnahmegesellschaft oft auf das reine Erbringen von Sachleistungen wie Nahrungsaufnahme, hygienische und medizinische Versorgung und Schlafplatz reduziert.152 Nationalismen charakterisieren die moderne Gesellschaft. Der Nationalismusgedanke gründet sich auf der Vorstellung, dass die Menschen einer Nation durch eine lange gemeinsame mythische Vorgeschichte, eine gemeinsame „Rasse“, gemeinsame Sprache und durch natürliche Grenzen verbunden seien.153 Dabei sind Nationen historisch gesehen etwas Junges und nicht große alte traditionsreiche Gemeinschaften 150 Malkki, Liisa: Purity and Exile. Violence, Memory and National Cosmology among Hutu Refugees in Tanzania. Chicago 1996. S. 1. 151 Malkki, Liisa: The Rooting of Peoples and the Territorialisation of National Identity among Scholars and refugees. In: Gupta, Akhil; Ferguson, James: Culture, Power, Place. Exporations in Critical Anthropology. London 1997. S. 54ff. 152 Malkki, Liisa: Purity and Exile. Violence, Memory and National Cosmology among Hutu Refugees in Tanzania. Chicago 1996. S. 5f. 153 Heinz Rögl. Eine neue Theorie des Nationalismus. In: IKUS Lectures. S. 29. 80 wie es Nationalisten gerne nahe legen. „...der Fortschritt der historischen Studien ist oft eine Gefahr für die Nation“, denn die HistorikerInnen zerren die gewaltsamen Vorgänge ans Licht, „die sich am Ursprung aller politischen Gebilde ereignet haben.“154 Die „gemeinsame Rasse“ kann ebenfalls kein Grundpfeiler einer Nation sein aus dem einfachen Grund, dass es wissenschaftlich gesehen keine Rassen gibt. Auch die Sprache ist kein nationalbildender Faktor. Nationalsprachen sind vielmehr der Effekt von Nationalbildung als deren Ursache.155 Auch die „natürliche“ Grenze gilt nicht als Legitimation von Nation: „Denn was soll eine „natürliche“ Grenze sein – ein Fluss, ein Berg? Und warum ist dann ein Fluss eine Grenze und ein anderer nicht?156 Einen wichtigen Gedankengang in diesem Zusammenhang bringt Gellner ans Licht, indem er hervorkehrt, dass die Entstehung des Nationsgedankens in die Zeit des Industriellen Zeitalters fällt in dem der Imperativ: „ein Staat eine Kultur, eine Kultur ein Staat“ im Zentrum steht. Die vorindustrielle Welt kannte den Gedanken noch nicht. Man denke an das heilige römische Reich in dem eine Vielzahl von „Kulturen“ innerhalb einer Grenze lebten, die durch Eroberungsfeldzüge ständiger Fluktuation unterworfen waren. Das neue „moderne“ Prinzip lautet: jede Kultur braucht einen eigenen Staat, um sie zu beschützen. Jeder Staat soll sich der schützenden Aufrechterhaltung einer Kultur widmen.157 (Dieser Gedanke gilt immer noch als politischer Grundgedanke der einzelnen Nationalstaaten, denn würde sonst unter anderem von politischer Seite her auf so eine Art und Weise auf Migration und Flucht reagiert werden?). Aber Staaten hat es nicht immer gegeben! Norbert Elias vertritt die These, dass die Entstehung von Staaten auf das Konkurrenzdenken zurückzuführen ist: Anfänglich kleine Staatengebilde entwickeln sich durch Wetteifer und Fusionsbewegungen (zum 154 Renan, Ernest: Was ist eine Nation? Berlin 1996. S. 38. Vergleiche zum Beispiel die Schweiz mit vier Sprachen und viele Nationen die eine Sprache mit anderen Nationen gemeinsam haben. 156 Renan, Ernest: Was ist eine Nation? Berlin 1996. S. 55. 157 Gellner, Ernst: Jenseits des Nationalismus? Kulturelle Homogenität und Vielfalt in modernen Gesellschaften. In: IKUS Lectures Nr. 3 + 4/1992. S. 37. 155 81 Beispiel Unterwerfung, Hochzeit....) zu mächtigen territorialen Komponenten.158 Am 24. Oktober 1648 kam es nach dem Dreißigjährigen Krieg zum Westfälischen Frieden zwischen Frankreich, Schweden und Deutschland. Die nationale Unabhängigkeit der Niederlande und der Schweiz wurde festgelegt und zum ersten mal in der Weltgeschichte entstand ein Territorialsystem mit Nationalstaaten und Grenzen. 1648 entsteht also das Westfälische Staatenmodell, das sich global ausbreitet und dem drei universale Komponenten eines Staates zu Grunde liegen: 1. Staaten haben territoriale Grenzen, dem Staat obliegt das Gewaltmonopol und die Gerichtsbarkeit sowie das Steuerrecht. 2. Im internationalen System sind Staaten die einzigen wichtigen Akteure. Jeder Staat ist souverän und steht an höchster Stelle. 3. Jeder Staat ist gleichberechtigt. Diese neu entstanden Territorialstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass sich die Menschen, die innerhalb der territorialen Grenzen leben, mit dem Staat identifizieren. Jetzt erst kommt der Nationalismus ins Spiel. Anderson geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass durch die Entstehung des „print – capitalism“, und die in diesem Zusammenhang entstehenden „print – languages“ schon sehr früh die Basis für ein nationales Bewusstsein geschaffen wurde. „Speakers of the huge variety of Frenches, Englishes, or Spanishes, who might find it difficult or even impossible to understand one another in conversation, became capable of comprehending one another via print and paper. In the process, they gradually became aware of the hundreds of thousands, even millions of people in their particular language-field, and at the same time that only those hundreds of thousands, or millions, so belonged. These fellow readers, to whom they were connected through print, formed, in their secular, particular, visible invisibility, the embryo of the national imagined community.”159 Diese Entwicklung führte zu enormen Veränderungen in den gesellschaftlichen Strukturen. Denn nicht mehr bloß der Klerus und andere 158 Norbert Elias. Über den Prozess der Zivilisation 1939. In: Handout der Vorlesung (Post) Kolonialismus von Marcel van der Linden im SS 2002. 159 Anderson, Benedict: Imagined Comunities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1991. S. 44. 82 Angehörige der damaligen Eliten konnten lesen und schreiben lernen, sondern Sprache und Schrift wurden kontinuierlich universalisiert. Und wenn eine elitäre Klasse ihre elitären Eigenheiten abgibt, kommt es in einer gewissen Weise zur Entmachtung dieser Eliten. Die Grenzen zwischen oben und unten verschieben sich im Laufe der Geschichte der Nationsbildung zu Grenzen zwischen Gruppen beziehungsweise Gesellschaften. In einer sich industrialisierenden und vereinheitlichenden Gesellschaft sind nicht mehr die starken Ausprägungen oben und unten, wie zum Beispiel im Feudalismus, vorhanden, sondern die Grenzen verlaufen zwischen den Menschen. Aus diesem historischen Fakt leitet Anderson seine Definition von Nation ab: „It is an imagined political community – and imagined as both inherently limited and sovereign.“160 Diese Definition von Nation als vorgestellte Gemeinschaft, die über tatsächliche Verbindungen, wie Verwandtschaftsbeziehungen hinausgeht, verdeutlicht sehr gut, wie die Nation gedacht und gelebt wird. Nämlich indem die Menschen ein Wir-Gefühl entwickeln und sich als Teil eines größeren Ganzen sehen. Dieses größere Ganze bildet in der Nation eben die politische Gemeinschaft, in der sich einzelne Personen dieser Gemeinschaft unterordnen und das gemeinsame Wohlergehen über das eigene stellen. Durch diesen imaginären Charakter von Nation kommt des weiteren zum Ausdruck, dass die Grenzen der Gemeinschaft nicht fix und über die Zeit hinweg nicht statisch sind, da – bedingt durch die nicht tatsächliche Gemeinschaft im Sinne einer face - to face Gesellschaft, in der sich jedes Mitglied persönlich kennt, sondern diese Gemeinschaft nur eine vorgestellte ist, - jemand unmöglich feststellen kann, ob Leute dieser Gemeinschaft beitreten oder sie verlassen, es sei denn in der unmittelbaren eigenen Umgebung. Trotzdem werden diese Grenzen oft genug als fix gesehen. Die „vorgestellte Gemeinschaft“ ist also eine wesentliche Eigenschaft einer Nation. Eine Gemeinschaft zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie ein Wir-Gefühl besitzt, weil sie von Gemeinsamkeiten (sprachlicher, kultureller der anderer Art) ausgeht. 160 Ebenda, S. 6. 83 Kommt es nun zu Krisen (Kriege, Naturkatastrophen, wirtschaftliche oder soziale Umbrüche im Zuge des Globalisierungsprozesses) innerhalb dieser Nationalstaaten, beginnen die auf dem Territorium lebenden Menschen sich mit dem Gedanken der Emigration auseinander zu setzen; oder sie werden aus diversesten Motiven zur Emigration gezwungen. Kelly und Portes unterscheiden vier Typen von Migration: 1. Arbeitsmigration: freiwillig, aus wirtschaftlichen Gründen: („GastarbeiterInnen“, temporäre Arbeitskräfte, StudentInnen). 2. Postkoloniale Migration: freiwillig, aus politischen Gründen (dazu zählt zum Beispiel auch die jüdische Migration nach Israel in einer nicht unmittelbar bedrohlichen Situation). 3. Wirtschaftsflüchtlinge: unfreiwillig aus wirtschaftlichen Gründen (Flüchtlinge, die nicht in die GFK fallen, ArmutsmigrantInnen, Flüchtlinge vor Hungersnöten und Naturkatastrophen). 4. Flüchtlinge entsprechend der GFK: unfreiwillig aus politischen Gründen. Die genaue Zuordnung von Flüchtlingen zu einer dieser Migrationstypen ist nicht möglich, da die Migrationsmotive oft eine Kombination aller genannten Kategorien sein können. Fluchtbewegungen werden grundsätzlich aber als unfreiwillige Form der Migration definiert.161 Parnreiter wiederum sieht Zusammenhänge der Migrationsbewegungen mit der Entfaltung der internationaler Arbeitsteilung. Die Flüchtlingsbewegungen der letzten zwanzig bis dreißig Jahre unterliegen neuen Mustern, die im Zusammenhang mit der Globalisierung stehen. Ökonomische Veränderungen, hervorgerufen durch die Ausbreitung kapitalistischer Gesellschaftssysteme werden als auslösendes Moment der Flüchtlingsbewegungen der 1990er Jahre gesehen. Die Entstehung des Begriffs „Wirtschaftsflüchtling“ wird in diesem Zusammenhang geboren. Aus dem Prozess der Dekolonialisierung und den Fall des Eisernen Vorhangs resultierten neue 161 Zitiert nach Kelly und Portes. In: Binder, Susanne; Tosic, Jelena: Flüchtlingsforschung. Sozialanthropologische Ansätze und genderspezifische Aspekte. In: SWS-Rundschau Heft 4/2003. S. 455. 84 Fluchtgründe. Es entstanden neue Staaten, geprägt durch soziale, wirtschaftliche und politische Konflikte, die dazu beitrugen, Menschen zur Flucht zu bewegen.162 Diese theoretische Abhandlung über die Entstehung der Nation und eine kurze Erläuterung von verschiedenen Migrationsformen bilden den theoretischen Rahmen des nachfolgenden Kapitels über die Abschiebung von AsylwerberInnen in Österreich. II. Abschiebung oder „Aus den Augen, aus dem Sinn“ 162 Parnreiter, Christof: Migration und Arbeitsteilung. AusländerInnenbeschäftigung in der Weltwirtschaftskrise. Wien 1994. S. 18. 85 Endet die Schubhaft nicht mit einer Entlassung, setzt die Abschiebung der Schubhaft und somit dem Aufenthalt in Österreich ein Ende. Im Jahr 1954 wird mit dem § 13 FrPolG idf BGBL das Rechtsinstitut der Abschiebung zum ersten mal definiert: Fremde gegen die ein Aufenthaltsverbot erlassen oder mit gerichtlichem Urteil auf Landesverweisung oder Abschaffung erkannt worden ist, können durch zwangsweise Beförderung unter Begleitung von Sicherheitsorganen abgeschoben werden (Schub), wenn sie das Gebiet, in dem ihnen der Aufenthalt verboten ist, nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist verlassen oder wenn eine Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit notwendig erscheint.163 Die Abschiebung ist die Maßnahme, durch welche die Ausreiseverpflichtung eines Fremden umgesetzt wird. Ausreiseanordnungen erfolgen entweder in Form einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes. Mit der Durchsetzbarkeit einer dieser Bescheide entsteht für den Fremden die Verpflichtung, unverzüglich das Bundesgebiet zu verlassen. Den Fremdenbehörden kommt ab diesem Zeitpunkt die gesetzliche Befugnis der Abschiebung unter Anwendung von Befehls- und Zwangsgewalt, um das erlassene Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung durchzusetzen, zu. ( § 56 Abs. 1 iVm § 60 FrG). Die unmittelbare Ausübung von Zwangsgewalt (z. B. Festhalten, Anlegen von Handschellen usw.) muss dem/der Betroffenen gegenüber angedroht werden.164 1. Rechtliche Voraussetzungen 1.1. Aufenthaltsbeendender Bescheid 163 Böhm, Markus: Die Abschiebung als fremdenpolizeiliche Maßnahme nach dem Fremdengesetz 1997. Innsbruck 2000, S. 5. 164 Schuhmacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 263. 86 Jeder Abschiebung aus Österreich geht ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung in Form einer Ausweisung (§§ 33 und 34 FrG) oder der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes (§ 36FrG) voraus. In beiden Fällen wird mit der Durchsetzbarkeit des Bescheides die Verpflichtung des/der Fremden zum Verlassen des Bundesgebietes begründet. Einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot oder der verpflichteten Ausreise kommt in diesem Fall nach § 40 Abs. 2 FrG keine aufschiebende Wirkung zu.165 „Hat die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen eine Ausweisung Fremder gemäß § 33 Abs. 1 oder gegen das Aufenthaltsverbot (45 Abs. 3 oder 4) ausgeschlossen, so werden diese mit Ausspruch durchsetzbar; der Fremde hat dann unverzüglich auszureisen.“166 Hat der/die Betroffene eine Beschwerde beim VfGH oder VwGH erhoben, und wurde dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt, darf die Ausweisung oder das Aufenthaltsverbot nicht durchgesetzt werden.167 1.2. Abschiebungsgründe Fremde können nach § 56 FrG zur Ausreise verhalten werden, wenn: die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint oder 1. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind 2. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen 3. sie sich trotz aufrechten Aufenthaltsverbotes im Bundesgebiet aufhalten 168 165 Im Gegensatz zum Asylverfahren wo gegen den ersten negativen Bescheid innerhalb von zwei Wochen eine Berufung eingelegt werden kann, der automatisch aufschiebende Wirkung zukommt. D.h. wird gegen den ersten negativen Asylbescheid fristgerecht berufen, endet die Aufenthaltsbewilligung bis zur rechtskräftigen Entscheidung nicht. 166 Schuhmacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Alle Neuerungen der Fremdenrechtsnovelle 2002. Wien 2003, S. 161. 167 Fuchs, Carmen: Rechtliche Aspekte der Abschiebung am Beispiel Marcus Omofuma. Innsbruck 2001, S. 7. 168 Schuhmacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Alle Neuerungen der Fremdenrechtsnovelle 2002. Wien 2003, S. 175f. 87 2. Schutz vor Abschiebung während des Asylverfahrens Zurück- und Abschiebungen von AsylwerberInnen während des laufenden Asylverfahrens sind ausnahmslos verboten.169 Das Verbot der Abschiebung gilt vom Zeitpunkt des Einbringens bis zum rechtskräftigen Ende des Asylantrages durch den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS). Im Asylverfahren muss mit der Ablehnung eines Asylantrages gleichzeitig die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt werden.170 169 Fuchs, Carmen: Rechtliche Aspekte der Abschiebung am Beispiel Marcus Omofuma. Innsbruck 2001, S. 7. 170 Siehe dazu Spruch II auf der ersten Seite des Asylescheides. 88 Abb. 2: Erste Seite eines Asylbescheides nach dem Asylgesetz 2004. 89 Wird einer Beschwerde gegen den ablehnenden Asylbescheid vom VwGH oder VfGH die aufschiebende Wirkung zuerkannt, wird das Asylverfahren neu aufgerollt und das Verbot der Abschiebung gilt erneut. In der Zeit zwischen der negativen Entscheidung durch den UBAS und der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den VwGH oder VfGH sind die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wirksam, d. h. der/die Asylwerber/in kann in dieser Zeit ab- bzw. zurückgeschoben werden.171 Abschiebeaufschub: Ist die Abschiebung unzulässig (§ 57 FrG) oder aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, so ist sie für höchstens ein Jahr aufzuschieben (§ 56 Abs. 2 FrG). Unmöglich ist eine Abschiebung, wenn deren Durchführung auf Grund fehlender Dokumente oder eines Heimreisezertifikates scheitert. Ein Abschiebeaufschub ist nicht mit einer Aufenthaltsgenehmigung gleichzusetzen. Der Aufenthalt des Fremden wird nur geduldet, ohne dass dem/der Betroffenen Aufenthalts- oder Arbeitsrecht zukommt. Seit 1. Jänner 2003 kann für Fremde ein einmalig gültiges Reisedokument zum Zweck der Abschiebung ausgestellt werden. Der Abschiebeaufschub ist bei der Fremdenpolizei zu beantragen und kostet 16,30 Euro.172 3. Unzulässigkeit der Abschiebung Liegen die Voraussetzungen für eine aufenthaltsbeendende Maßnahme vor oder ist der Asylantrag rechtskräftig negativ, so hat die Fremdenpolizei dennoch zu prüfen, ob eine Abschiebung zulässig ist (Feststellung des non-refoulment). Eine Abschiebung ist nach § 57 FrG unzulässig, wenn die Person in dem Staat, in den sie abgeschoben werden soll, aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)173 bedroht wäre, die Person unmenschlicher Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe unterworfen würde oder wenn ihr Leben oder ihre Freiheit in Gefahr 171 Fuchs, Carmen: Rechtliche Aspekte der Abschiebung am Beispiel Marcus Omofuma. Innsbruck 2001, S. 9 172 Schumacher, Sebastian: Fremdenrecht. Wien 2003, S. 264. 173 wenn das Leben oder die Freiheit der Person auf Grund der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Anschichten bedroht ist. 90 wäre.174 Dem UNHCR zufolge wurde das Refoulment- Verbot in vielen Fällen nicht mit der gebotenen Sorgfalt und der erforderlichen Sachkenntnis geprüft, was auf die mangelhafte Ausbildung der PolizeibeamtInnen in diesem Bereich zurückgeführt wird. Es kommt immer wieder zu Abschiebungen in Länder, die vom menschenrechtlichen Standpunkt her bedenklich sind.175 4. Abschiebepraxis oder „Im Namen des Gesetzes“ Zur Abschiebung aus Österreich werden Flugzeuge und andere Verkehrsmittel wie Bahn und Fahrzeuge der Exekutive eingesetzt. Statistische Aufzeichnungen mit welchen Verkehrsmitteln und wohin Abschiebungen erfolgt sind, werden nicht geführt. Nach EU- Vorgaben werden Zurück- und Abschiebungen in einer gemeinsamen Statistik erfasst, wobei differenziert wird, ob die Außerlandesbeschaffung auf Land- oder Luftweg erfolgte. Abschiebungen 1998 1999 2000 insgesamt 16.992 20.207 18.074 Landweg 14.103 17.698 15.647 Luftweg 2.889 2.509 2.427 Abschiebungen per Flugzeug werden abgebrochen, wenn der Fremde Widerstand leistet und die Abschiebung unter der Einhaltung der Bestimmungen der EMRK und des § 29 SPG nicht möglich ist. Ist die Ruhe, Ordnung und Sicherheit an Bord durch den Widerstand des Betroffenen nicht gewährleistet, kann die Beförderung auf Grund des Tokioter Abkommens vom jeweiligen Flugkapitän verweigert werden. Die Richtlinien für die Organisation und Durchführung von Abschiebungen sehen eine Kontaktaufnahme der BegleitbeamtInnen mit dem Piloten bereits vor Besteigen des Flugzeuges zum Zweck der Abklärung allfälliger Fragen, die Beförderung 174 Schuhmacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Alle Neuerungen Fremdenrechtsnovelle 2003. Wien 2003, S. 176. 175 Hödl, Gertraud; Winter Petra: Auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Wien 1998, S. 77. der 91 betreffend, vor. Bis zum Verschließen der Außentüren des Flugzeugs haben die BeamtInnen das Recht zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 60 FrG. Nach dem Verschließen der Türen geht diese Befugnis an den Pilot über (Art. 6 des Abkommens über die internationale Zivilluftfahrt BGBI. Nr. 97/1949 Tokioter Abkommen176). Dieser kann von anderen Besatzungsmitgliedern (wozu ab dem Start der Maschine auch die BeamtInnen gehören) im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips Unterstützung verlangen. Die Flugtauglichkeit eines Deportees wird längstens 24 Stunden vor dem Flugtermin durch einen Arzt festgestellt. Manche Fluglinien verlangen die Anwesenheit von BeamtInnen bei Abschiebungen aus Gründen der Sicherheit.177 5. Problemabschiebungen Nach dem Tod von Marcus Omofuma traten am 01. Juni 1999 neue „Richtlinien für die Organisation und Durchführung von Abschiebungen auf dem Luftweg“ in Kraft.178 Bis dahin gab es keine generellen Richtlinien für die Vorgangsweise der Sicherheitsorgane bei Abschiebungen. 179 Grundsätzlich werden für Abschiebungen auf dem Luftweg Linienflüge gebucht. Charterabschiebungen erfolgen nur, wenn die Gewaltanwendung des/der Fremden, der/die außer Landes geschafft werden soll, offensichtlich ist oder die Abschiebung des/der Betroffenen bereits einmal abgebrochen wurde.180 Nach Abbruch einer Abschiebung wegen Widerstand kann die Schubhaft gemäß § 69 Abs. 4 Z 4 FrG verlängert werden.181 176 http://www.luftrecht-online.de/einzelheiten/luftfahrer/bordgewalt.htm, 29.09.2005. Parlamentarische Anfrage und Antwort betreffend Abschiebepraxis. In: http://noracism.net/article/233/, 19.09.2005. 178 Erlass ZI. 19.250/42-GD/99. 179 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html, 13.06.2005, S. 11. 180 Parlamentarische Anfrage und Antwort betreffend Abschiebepraxis. URL: http://noracism.net/article/233/, 19.09.2005. 181 Schumacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Alle Neuerungen der Fremdenrechtsnovelle 2003. Wien 2003, S. 184. 177 92 Problemabschiebungen sind Abschiebungen, bei denen aufgrund bestimmter Tatsachen zu erwarten ist, dass der Betroffene Widerstand leisten wird.182 Sie werden vorgenommen wenn: - die Abschiebung auf dem Luftweg auf Grund von Widerstandshandlungen des Abzuschiebenden abgebrochen werden musste - oder im Rahmen des fremdenpolizeilichen Verfahrens klar erkennbar ist, dass sich der Häftling unter Einsatz physischer Gewalt der Abschiebung widersetzen wird und eine Linienabschiebung nicht durchführbar ist Diese Richtlinien wurden am 1. September 1999 in einem Erlass183 für Charterabschiebungen vom BMI festgelegt.184 Die erste Charterabschiebung mit einem Lear-Jet des internationalen Flugrettungsdienstes Austria (IFRA) wurde am 24. Juni 1999 durchgeführt.185 Begleitet wurde der Abschiebeflug von Beamten des Einsatzkommandos COBRA und einem Arzt Menschenrechtsbeirates des Flugrettungsdienstes. von 1999, der Die Hinzuziehung Empfehlung eines des unabhängigen Menschenrechtsbeobachters bei Charterabschiebungen186, wurde am 27.10.2001 bei einer Abschiebung drei nigerianischer Staatsbürger nach Lagos zum ersten mal umgesetzt.187 Im Dezember 2004 wurden 459 Menschen von Österreich aus in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Fünfzehn dieser Abschiebungen waren sogenannte Problemabschiebungen, die auf dem Luftweg durchgeführt wurden188 (Zielorte sind in 182 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html 13.06.2005, S. 5. Erlass Zl. 31.200/50 – III/16/99 184 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html, 13.06.2005, S. 11. 185 Wie in Österreich Abschiebungen durchgeführt werden. http://no-racism.net/article/641, 26.07.200. 186 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html, 13.06.2005, S. 27. 187 http://verein-menschenrechte.at/cgibin/index.pl?MAIN=index.html&MENU=menu1.html&NEWS=news1.html&DATA=../diverz/mensc henrechtsbeobachter.html. 188 www.bmi.gv.at/downloadareas/asyl_fremdenwesen_statistik/012005.pdf, 23.08.2005, S. 62. 183 93 der Statistik, trotz vorliegender Empfehlung des Menschenrechtsbeirates nicht erfasst).189 Der Menschenrechtsbeirat Problemabschiebungen“ hat im „Bericht Empfehlungen für über die die sogenannten Verbesserung der menschenrechtlichen Standards bei der Durchführung herausgearbeitet:190 1. Bei Abschiebungen, die mit Zwang durchgesetzt werden, sind die BegleitbeamtInnen wegen der Intensität des Eingriffs in die Menschenrechte der abzuschiebenden Person, besonderen Anforderungen ausgesetzt. Die Ausund Weiterbildung der BeamtInnen soll auf diese möglichen Situationen eingehen. Speziell in Bereichen wie Kommunikations- und Konfliktlösungsfähigkeit, Erste Hilfe und Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen und Handlungsspielräume in den Zielländern.191 In der Evaluierung des Menschenrechtsbeirates von 2002 wurde diese Empfehlung vom BMI als gänzlich umgesetzt, vom MRB als überwiegend umgesetzt betrachtet.192 2. Von großer Bedeutung für einen korrekten Ablauf der Abschiebung ist die Kommunikation zwischen allen beteiligten Personen. Die SchubhaftbetreuerInnen sind über den Termin der Abholung zu informieren und sollten bei der ersten Kontaktaufnahme von BegleitbeamtInnen und Abzuschiebenden anwesend sein. Empfehlung: überwiegend nicht umgesetzt. (Problemabschiebungen werden von Wien aus durchgeführt und die Abzuschiebenden aus jedem PAZ werden zur Durchführung der Abschiebung nach Wien gebracht. Somit ist die Begleitung der Betreuungsorganisation nicht möglich). Die Erstellung eines „Laufzettels“ seitens des BMI ist vorgesehen, wo in kurzer und prägnanter Form die für die Abschiebung 189 Siehe Empfehlung Nr. 9, S. 13. www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html 13.06.2005, S. 11. 191 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html 13.06.2005, S. 12ff. 192 Schematische Übersicht zur Evaluierung des Menschenrechtsbeirates – Stand Juni 2002. In: http://www.menschenrechtsbeirat.at/de/index_evaluierung.html, S. 1. 190 94 wichtigen Informationen Hungerstreik, (psychischer Selbstverstümmelung, Zustand, Verhalten Suizidversuch im usw. PAZ, und Verfahrensschritte von der Behörde und der Schubhaftbetreuungsorganisation einzutragen sind. Eine Eskalation der Situation soll verhindert werden. Diese Empfehlung gilt als überwiegend umgesetzt.193 3. Jeder abzuschiebenden Person sollte der Zeitpunkt, die Flugroute, Flug- und Ankunftszeit und die Begleitpersonen vor der Abschiebung bekannt gegeben werden. Dafür wurde vom BMI ein Verständigungsblatt in 19 Sprachen herausgearbeitet. Der Häftling soll die Möglichkeit haben, vor der Außerlandesbeschaffung persönliche Angelegenheiten zu regeln. Der Person muss ebenfalls mitgeteilt werden, dass die Abschiebung endgültig durchgeführt wird, und dass die Sicherheitsexekutive befugt ist, Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Der abzuschiebenden Person muss verdeutlicht werden, dass dieses mal Widerstand sinnlos ist. Die Person sollte auch über die aktuelle Lage im Heimatland informiert und mit genügend Geld für die ersten Tage im Zielland ausgestattet werden. Das BMI erachtet diese Empfehlung als gänzlich umgesetzt, auf Grund der Weitergabe der Herkunftsländerdokumentation. Der MRB bewertet diese Empfehlung als nicht umgesetzt, da keine entsprechenden Monitoring Modelle entwickelt wurden, wodurch eine begleitende Beobachtung der aus Österreich abgeschobenen Personen möglich wäre.194 4. Nach der Landung im Zielland ist die problemlose Beendigung der Abschiebung für den Betroffenen und die sichere Heimreise der BeamtInnen zu gewährleisten.195 193 Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 4. 195 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html 13.06.2005, S. 17. 194 95 5. Es wird empfohlen, Informationen über die Zielländer der abgeschobenen Personen einzuholen und diese in die Ausbildung sowie in behördliche Entscheidungen einfließen zu lassen. Diese Empfehlung wird vom Menschenrechtsbeirat als nicht umgesetzt eingestuft. Das BMI hingegen bewertet sie als gänzlich umgesetzt.196 6. Die Belastung der abzuschiebenden Person und der BeamtInnen in Hinblick auf Länge und Anzahl der Zwischenstopps ist möglichst gering zu halten. Des weiteren wird empfohlen, Flugstrecken über Länder zu wählen mit denen Durchbeförderungsübereinkommen bestehen. Diese Empfehlung wird als nicht evaluierbar eingestuft.197 7. Eine Charterabschiebung ist die „ultima ratio“ der zwangsweisen Außerlandesbeschaffung. Um Vorwürfen mangelnder Kontrolle zu entgehen, sollte ein unabhängiger Menschenrechtsbeobachter am Flug teilnehmen. Sofern die Chartermaschine nicht voll ausgelastet ist, fliegt Günther Ecker, der Gründer des Vereins Menschenrechte Österreich, als Menschenrechtsbeobachter mit und verfasst anschließend einen Bericht über den Vorgang der Abschiebung für das BMI. Aus organisatorischen und finanziellen Gründen ist eine regelmäßige Teilnahme des Menschenrechtsbeobachters nicht möglich. In einem Zeitraum von zwei Jahren begleitete Günther Ecker zwei mal eine Charterabschiebung.198 8. Die angewandten Zwangsmaßnahmen bei einer Abschiebung sind auf die Wahrung der Menschenrechte und des Verhältnismäßigkeitsprinzips systematisch zu überprüfen.199 196 Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 20. 198 Schematische Übersicht zur Evaluierung des Menschenrechtsbeirates – Stand Juni 2002, S. 5. 199 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html 13.06.2005, S. 22. 197 96 9. Die Anzahl und die Zielländer der Problemabschiebungen sollten systematisch erfasst werden und in der monatlichen Fremdenstatistik Niederschlag finden. Empfehlung gilt als nicht umgesetzt.200 6. Abschiebung - eine tödliche Praxis In Österreich hat der Tod des nigerianischen Asylwerbers Marcus Omofuma eine breite Öffentlichkeit auf die Problematik von Abschiebungen aufmerksam gemacht. Der Fall Omofuma ist kein Einzelfall. In verschiedenen europäischen Ländern starben in den letzten Jahren Menschen bei gewaltsam durchgeführten Abschiebungen. Im Zuge meiner Recherchen stieß ich auf folgende Abschiebungen mit tödlichem Ausgang: Im August 1994 starb Kola Bankole, nigerianischer Staatsbürger, noch vor dem Start der Lufthansamaschine. Er wurde ähnlich wie Omofuma wie ein Paket verschnürt und ein Arzt verabreichte ihm eine Beruhigungsspritze. Todesursache: Herzversagen. Asan Asanov starb am 12. April 1998 bei seiner Deportation von Deutschland nach Mazedonien in einer Lufthansamaschine. Semira Adamu wurde am 22. September 1998 bei ihrer Abschiebung aus Belgien nach Nigeria von den begleitenden Beamten mit einem Polster erstickt. Die BeamtInnen wollten mit dieser Praxis ihr Schreien unterdrücken. Nach diesem Vorfall hat die belgische Fluggesellschaft Sabena die Beförderung von Schubhäftlingen eingestellt. 200 www.menschenrechtsbeirat.at/de/mrb_bericht_problem_vt.html 13.06.2005, S. 23 97 Der Palästinenser Khaled Abuzarifeh starb am 3. März 1999 auf dem Flughafen Kloten (Schweiz). Ihm wurden Fuß- und Handfesseln angelegt und der Mund verklebt. Zwei Monate zuvor konnte er sich durch Schreien seiner Abschiebung mit der Swiss Air nach Ägypten entziehen.201 Marcus Omofuma starb am 01.05.1999 bei seiner Abschiebung. Offizielle Todesursache: Herzversagen Am 28. Mai 1999 starb der Sudanese Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung von Deutschland nach Kairo. Ageeb wurde von den BegleitbeamtInnen an Händen und Füssen gefesselt und ein Integralhelm aufgesetzt. Er erstickte.202 Am 30. Dezember 2002 bei einem Abschiebeflug der Air France von Frankreich nach Argentinien verstarb Ricardo Barrientos. Zum Zeitpunkt seines Todes war er mit den Füßen an den Vordersitz gebunden, die Hände steckten in Handschellen, zusätzlich war eine Decke über ihn gelegt worden. Todesursache: Herzinfarkt. Der Somalier Mariame Getu Hagos, starb am 18. Jänner 2003. Bei seiner Abschiebung mit der Air France aus Frankreich verlor er das Bewusstsein und verstarb drei Tage später in einem Krankenhaus. 203 7. „Wo ist Marcus Omofuma?“ Der „Fall“ Omofuma soll das Ausmaß der staatlichen Gewalt, des institutionalisierten Rassismus in Österreich verdeutlichen. Die Suspendierung der drei Kriminalbeamten, die Marcus Omofuma in den Tod „geschoben“ haben, dauerte von 20. Mai 1999 bis 201 Zwischenfälle bei Abschiebungen. In: http://no-racism.net/article/554/, 19.09.2005. www.deportation-class.com/lh/log.html, 26.09.2005. 203 www.deportation-class.com/log/index.html, 26.09.2005. 202 98 Februar 2000; nicht einmal ein Jahr. Es stellt sich nun die Frage der „Verhältnismäßigkeit“ der Amtshandlungen und in wie weit menschenrechtliche Aspekte durch das Verhalten der Staatsbeamten ausgeblendet oder einfach nicht beachtet wurden, denn es handelte sich um eine Routineabschiebung, wie sie jeden Tag vom Flughafen Schwechat (Wien) durchgeführt wird. Marcus Omofuma wurde am 10. Mai 1973 in Nigeria geboren. Am 16. September 1998 reiste er in Österreich ein und stellte einen Antrag auf Asylgewährung. Am 01. Mai 1999 erstickte er auf seinem Abschiebeflug. Der Asylantrag von Marcus Omofuma wurde am 07. Dezember 1998 vom Bundesasylamt Traiskirchen erstinstanzlich abgewiesen. Am 15. Dezember 1998 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden die Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG 1997 und die Inschubhaftnahme an. Am 09. Februar 1999 wurde Marcus Omofuma aus Kapazitätsgründen vom PAZ Schwechat in das PAZ Wien überstellt. Nachdem sein Asylverfahren auch in zweiter Instanz durch den Unabhängigen Bundesasylsenat204 (UBAS) negativ entschieden wurde und das für die Abschiebung notwendige Heimreisezertifikat205 der nigerianischen Botschaft eingelangt war, ersuchte die Bezirkshauptmannschaft Baden das Fremdenpolizeiliche Büro in Wien um die Abschiebung des Marcus Omofuma auf dem Luftweg. Am 28. April 1999 wurden beim Österreichischen Verkehrsbüro vier Flugtickets für Marcus Omofuma und drei Kriminalbeamte für einen Flug mit der Balkan Air bestellt. Marcus Omofuma gab bereits im Vorfeld seiner Abschiebung wiederholt zu erkennen, dass er nicht freiwillig in sein Heimatland Nigeria zurückkehren werde. Laut Medienberichten war der Grund seines Widerstands die Angst vor Verfolgung durch die Ogboni society206, deren Mitglied er war und gegen dessen Regeln er 204 Der UBAS wurde mit dem neuen Asylgesetz 1997 eingerichtet und stellt die zweite Instanz im Asylverfahren dar. Das heißt, der UBAS entscheidet über die eingebrachten Berufungen. Gegen die Entscheidung des UBAS kann beim VwGH Berufung eingelegt werden. 205 Damit eine Abschiebung möglich ist, muss von der Behörde des Herkunftsstaates des/der Betroffenen ein sogenanntes Heimreisezertifikat ausgestellt werden, wodurch die nötigen Reisepapiere ersetzt werden und eine Abschiebung überhaupt erst möglich ist. Wird kein solches Heimreisezertifikat ausgestellt, so gilt der/die Abzuschiebende nicht als Staatsangehörige/r und kann in der Folge nicht abgeschoben werden. 206 Die Ogboni society ist eine Geheimgesellschaft in Nigeria. Die Mitglieder dieser Gesellschaft haben einen großen politischen und sozialen Einfluss auf die Bevölkerung und Entscheidungsträger in 99 verstoßen habe. Marcus Omofuma galt auf Grund seines Verhaltens in der Schubhaft als „unangenehmer“ Schubhäftling, weshalb vom Bundesministerium für Inneres für die Durchführung der Abschiebung drei Kriminalbeamte angefordert wurden.207 7.1. Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen? oder „Die polizeilichen Maßnahmen bei der Abschiebung Omofumas“ Bei der Ankunft am Flughafen begann Omofuma Widerstand zu leisten und versuchte sich Selbstverletzungen zuzufügen als letzte Chance, die Abschiebung zu verhindern. Die Selbstverletzungen wurden von den Beamten vereitelt. In der Folge wurde sein Kopf von hinten festgehalten und die Oberarme und auch die Beine von den Knien abwärts mit einem Klebeband gefesselt. Da Omofuma laut schrie, wurde sein Mund mit einem fünf Zentimeter breiten Leukoplastband zugeklebt. Durch eine Mundbewegung Omofumas löste sich das Band und wurde durch ein Paketklebeband ausgetauscht, das ihm nun über den Mund und um den Kopf gelegt wurde. Darüber, ob die Nasenlöcher ebenfalls verklebt waren, sind sich die ZeugInnen nicht einig. In diesem gefesselten Zustand musste der Abzuschiebende in das Flugzeug getragen werden. Die zwei letzten Sitzreihen waren nach üblicher Vorgangsweise für die Abschiebung reserviert. Nachdem Omofuma weiterhin Widerstand leistete, wurde sein Kopf mit einem Klebeband an der Nackenstütze fixiert. Ein weiteres Klebeband wurde vom Kinn nach oben über den Kopf gelegt. Als sich der Verschnürte immer noch gegen die Abschiebung wehrte, wurde sein Oberkörper mit einem Klebeband an die Rückenlehne geklebt. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Mitgliedschaft ist oft eine notwendige Voraussetzung für das wirtschaftliches Wohl und soziale Einbindung. Die Mitgliedschaft bei den Ogboni ist vererbt und jeder Titel steht im Eigentum einer Familie. In: www.ecoi.net/pub/sb65_acc-nigeria-0902-final.pdf, 01.10.2005, S. 29f. 207 http://www.parlinkom.gv.at, 27.05.2001 In: Rechtliche Aspekte der Abschiebung am Beispiel Marcus Omofuma. S, 11. 100 Die Umwickelung reichte vom Schulterbereich bis zu den Ellbogen. Die Füße des Abzuschiebenden wurden mit Hilfe eines Gurtes, der von einem Kriminalbeamten hinter Omofuma gehalten wurde, fixiert. Da Omofuma in der Startphase versuchte, seinen Oberkörper nach vorne zu bewegen, wurde von den beiden hinter ihm sitzenden Kriminalbeamten ein Klettband um seinen Brustkorb gelegt und unter Einsatz der Knie eine Zugwirkung erzeugt, sodass sich der Abzuschiebende nicht mehr bewegen konnte. Marcus Omofumas Oberkörper war derartig verklebt, dass das darunter liegende Gewand nicht mehr erkennbar war. Bei jedem Laut, den Marcus versuchte von sich zu geben, wurde neuerlich Klebeband um seinen Körper gelegt.208 Omofuma wurde wie ein Paket verschnürt. In dieser Position war es ihm unmöglich zu sprechen, seinen Kopf oder Körper zu bewegen. Er konnte zum Beispiel nicht darauf aufmerksam machen, dass er auf die Toilette muss oder er zu wenig Luft bekommt. Von den Kriminalbeamten wurde eine außergewöhnliche Gefahrenlage geschaffen, die zum Tod führte. Der Flug von Wien nach Sofia dauerte eine Stunde. Nach Angaben der Beamten beruhigte sich Omofuma bereits in der ersten Hälfte des Fluges. Einer der Beamten kontrollierte vier- bis fünf mal den Atem und den Puls des Verklebten. Die letzten zwanzig Minuten vor der Landung hatte Marcus seine Augen geschlossen und wirkte schlafend. Der Schein trübte. Marcus Omofuma war tot. Todesursache: Erstickung, herbeigeführt durch einen mindestens dreißigminütigen Sauerstoffmangel. Der Tod des Marcus Omofuma ist ungefähr zwanzig Minuten vor der Landung in Sofia eingetreten. Die wesentliche Komponente, die zum Erstickungsvorgang führte, war die Brustkorbkompression, die durch das Festkleben des Oberkörpers an die Rückenlehne hervorgerufen wurde und verstärkt wurde durch das nach Hinten drücken des Oberkörpers mit dem Klettband, jedes Mal wenn Omofuma Laute von sich gab. 208 Das Urteil. In: www.no-racism.net/article/303, 29.09.2005. 101 8. Weitere menschenrechtlich bedenkliche Folgen von Abschiebungen am Beispiel Nigeria In einem Interview mit dem Falter äußert sich der nigerianische Botschafter Biodun Owoseni in Wien folgendermaßen zu dem Thema „nigerianische Drogendealer“: „Wenn Nigerianer hier wegen Drogenhandel verurteilt und zu uns abgeschoben werden, dann sperren wir sie in Nigeria noch einmal ein paar Jahre ein, weil sie Schande über unser Land gebracht haben. Wir bestrafen doppelt!“209 Österreich führt laufend Abschiebungen nach Nigeria durch (die Fremdenstatistik des BMI gibt keine Auskunft über die Staatszugehörigkeit der Abgeschobenen). In Nigeria macht sich eine Person nach dem Dekret Nr. 33 Abs. 2 von 1990 schuldig, wenn eine Straftat im Zusammenhang mit narkotischen Drogen oder psychotropen Substanzen begangen und dadurch der Namen Nigerias in Verruf gebracht wurde (bringing Nigeria into disrepute). Werden Menschen, die in Österreich bereits ihre Haftstrafe abgesessen haben nach Nigeria abgeschoben, erwartet sie im Sinne dieses Erlasses ein fünfjähriger Freiheitsentzug und die Beschlagnahmung des persönlichen Vermögens.210 Laut Amnesty International werden Delikte, die unter das Dekret 33 fallen, vor einem Sondergericht angeklagt und verurteilt. Somit liegt eine menschenrechts- und verfassungswidrige Form der Doppelbestrafung vor. Von internationalen Menschenrechtsorganisationen wird die Haftsituation in nigerianischen Gefängnissen als lebensbedrohlich eingeschätzt.211 9. DeportatiNO – Abschiebungen verhindern 209 Klenk, Florian. Besuch in Nigeria. Falter 13/05, S. 13. 1000 Jahre Haft. Operation Spring & Institutioneller Rassismus. Resümee einer antirassistischen Gruppe. Wien, 2005. S. 170. 211 no-racism.net Abschiebung nach Nigeria- Doppelbestrafung. In: http://no-racism.net/article/167, 28.08.2005. 210 102 Den Mut aufzubringen und Abschiebungen zu verhindern heißt, aktive Teilnahme am Versuch, institutionalisierte Rassismen aufzuzeigen, in Frage zu stellen und in der Folge abzuschaffen. Seit Mitte der 90er Jahre formiert sich ein Widerstand gegen die vorherrschende Abschiebepraxis in Europa. AktivistInnen des Netzwerkes „kein mensch ist illegal“, starteten 1999 die Kampagne „Deportation Class Stopp“, um die Öffentlichkeit auf die Abschiebepraxis der Fluggesellschaften aufmerksam zu machen.212 Die wenigsten Menschen denken beim Besteigen eines Flugzeuges daran, dass auch Menschen an Bord sein können, die eigentlich nicht mitfliegen wollen. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsgruppen und KünstlerInnen haben sich der Kampagne angeschlossen und informieren über Geschehnisse, die in den täglichen Nachrichten unerwähnt bleiben. Das Thema Abschiebung wurde an eine breite Öffentlichkeit getragen und thematisiert. Die AktivistInnen appellieren auch an Fluggäste und das Flugpersonal und fordern Zivilcourage und aktives Handeln gegen Abschiebungen. Erst wenn das Image der Fluggesellschaften in Gefahr ist, wird auf Abschiebungen verzichtet werden. Europäische Fluglinien die Abschiebungen durchführen sind Lufthansa, Tyrolian Airways, AUA, Lauda Air, Air France, KLM und British Airways.213 Swiss Air und Sabena verkaufen keine Tickets für Abschiebungen.214 Als Folge der Protestaktionen der „deportation class stopp“ Kampagne befasst sich die Vereinigung Cockpit (Interessensvertretung der PilotInnen) mit den juristischen Problemen von Abschiebungen in Deutschland. In den letzten Jahren wurden mehrere Strafverfahren gegen FlugzeugführerInnen eingeleitet, auf deren Flügen Rückzuführende Schaden erlitten oder zu Tode kamen. Die Vereinigung rät ihren Mitgliedern, nur jene Abschiebehäftlinge zu befördern, welche freiwillig fliegen. Dies entspricht den Grundsätzen des WeltpilotInnenverbandes IFALPA, der die Begriffe „willing to travel“ und „not willing to travel“ eingeführt hat. Die 212 Wie in Österreich Abschiebungen durchgeführt werden. In: http://no-racism.net/article/641/, 19.09.2005. 213 Kahofer, Martin: One way ticket. In: http://oeh.ac.at/oeh/progress/105661573188/105661761818/105661830161, 19.09.2005. 214 www.deportation-class.com/lh/unmensch.html, 19.09.2005. 103 Freiwilligkeit lässt sich durch die Befragung des/der Abzuschiebenden herausfinden. Fällt die Person in die Kategorie „not willing to travel“ , sollte die Beförderung unter Hinweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip215 verweigert werden. Nach deutschem Recht haben Polizei oder Bundesgrenzschutz keine Möglichkeiten, den/die PilotIn zur Beförderung des/der Abzuschiebenden zu zwingen.216 Auch in Österreich obliegt die endgültige Entscheidung, ob ein/eine Deportee mitgenommen wird, dem/der PilotIn. Er/sie muss vor dem Flug darüber informiert werden, dass sich ein Schubhäftling unter den PassagierInnen befindet. Als Grundsatz gilt, dass durch den Transport eines Deportees kein Risiko für die Sicherheit des Fluges entstehen darf. Gefesselte oder geknebelte Abzuschiebende dürfen auf keinen Fall befördert werden.217 Der Tod des sudanesischen Flüchtlings Aamir Mohamed Ageeb bei seiner Abschiebung am 29.05.1999 mit der Lufthansa veranlasste das Flugpersonal der Lufthansa eine Stellungnahme zur Abschiebepraxis abzugeben: „Der Tod des jungen Afrikaners hat uns Flugbegleiter tief erschüttert, schließlich war er nicht das erste Opfer der unmenschlichen Abschiebepraxis in einem Flugzeug der Lufthansa. Bereits 1994 starb der Nigerianer Kola Bankole mit einem Strumpfknebel im Mund noch vor dem Abflug vom Rhein-Main-Flughafen ebenfalls an Bord einer Lufthansamaschine, ohne dass dieser schreckliche Todesfall Konsequenzen hatte. ...deshalb stehen wir heute hier, um auf die unmenschliche Abschiebepraxis im Luftverkehr aufmerksam zu machen. Seit die Lufthansa öffentlich in die Kritik gerät, behaupten Sprecher des Konzerns, die Airline lehne Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen grundsätzlich ab und befördere sie seit Juni 1999 nicht mehr. Die Realität sieht leider anders aus, denn bis heute gibt es keine entsprechenden Dienstanweisungen der Lufthansa. So wurden Flugbegleiter in den vergangenen Monaten wiederholt Zeugen gewaltsamer Abschiebungen, z.B. auf Lufthansaflügen von Paris nach Berlin und München nach 215 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bindet die gesamte Staatsgewalt beim Eingriff in die Grundrechte. Vereinigung Cockpit: Beförderung von Deportees unter Hinweis auf das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip verweigern!. In: www.deportation-class.com/lh/cockpit.html, 19.09.2005. 217 Stellungnahme der Austrian Cockpit Association (ACA) zu einer Anfrage zu Abschiebungen per Flugzeug. In: www.no-racism.net/article/238, 19.09.2005. 216 104 Sarajewo. Wir rufen auch das Flugpersonal anderer Gesellschaften zur Zivilcourage und zum Handeln gegen Abschiebungen auf. Auch Passagiere können eingreifen. Fordern Sie die Piloten zum Abbruch des Fluges auf, wenn sie Zeuge von Abschiebungen werden. Von der Konzernleitung der Lufthansa erwarten wir, dass sie diesen Geschäftsbereich endgültig aufgibt.“218 218 Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter fordern: DeportationClassStopp! In: www.deportationclass.com/lh/flugbegleiter.html, 19.09.2005. 105 Conclusio Schubhaft ist eine Freiheitsberaubung, von der ausschließlich “Fremde” betroffen sind. Sie wird ohne Haftprüfungsverfahren von der Fremdenpolizei verhängt, um eine mögliche Abschiebung durchführen zu können. In der Asylgesetzesnovelle 2005 (in Kraft seit 01.01.2006) wurde die maximale Dauer der Schubhaft von sechs auf zehn Monate erhöht. Neu ist unter anderem auch, dass Dublin-Fälle219 und straffällig gewordene „Fremde“, die aus einer Haftanstalt einen Asylantrag stellen, in Schubhaft genommen werden können. Dementsprechend ist die Zahl der Schubhäftlinge in Wien seit Jahresbeginn von 140 auf 200 gestiegen.220 Besonders bedenklich ist eine weitere neue Regelung, die illegal eingereisten Menschen, die Möglichkeit nimmt, einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen. Seit 01.01.2006 können illegal eingereiste AsylwerberInnen einen Niederlassungsantrag für Österreich nur mehr im Ausland stellen. Selbst eine Ehe schützt vor dieser Regelung nicht.221 Des weiteren muss bedacht werden, dass sich Flüchtlinge bei einer Rückkehr ins Heimatland wieder unter den Schutz dieses Landes stellen und somit der Fluchtgrund seine Glaubwürdigkeit verliert. Meiner Meinung nach ist dieses Gesetz eine eindeutig rassistische Regelung. Ebenfalls in Kraft getreten ist eine Anti-Hungerstreik- und Zwangsernährungsanleitung für die Behörden. Als „Versuchsobjekte“ sollen „kriminelle Schüblinge“ dienen, also jene, die vor der Schubhaft wegen eines strafrechtlichen Deliktes in Haft saßen, da solchen Personen in der Öffentlichkeit besonders wenig Sympathie entgegengebracht und sich der Protest in Grenzen halten 219 Siehe S. 76. Ebenda 221 Bis 01.01.06 war es auch für illegal eingereiste AsylwerberInnen möglich, nach der Eheschließung bei der Fremdenpolizei eine Niederlassungsbewilligung zu beantragen. Dieser Aufgabenbereich wurde mit Jahresbeginn an die zuständigen Länderbehörden - in Wien an die MA 20 – ausgelagert. Für Anträge, die bis Ende Dezember 2005 von der Fremdenpolizei nicht bearbeitet wurden, gilt das neue Gesetz ebenfalls. Womit 7.000 Menschen vor einer „systematischen Illegalisierung“ stehen. In: Hunderte Ehepaare in Angst vor „Illegalisierung“. In:www.derstandard.at, 04.02.2006. 220 106 würde.222 Es ist erschreckend, dass als einzige Alternative zur Vermeidung von Hungerstreik die Zwangsernährung und in Folge dessen eine ansteigende Suizidrate, und nicht die Abschaffung der Schubhaft gesehen wird. Die Abschaffung der Schubhaft ist meiner Meinung nach die einzige Alternative, die dem Hungerstreik ein Ende bereitet. Im Kapitel über die Schubhaftbetreuungsverträge wurden zwei Vereine mit unterschiedlichen Arbeitsansätzen vorgestellt. Der Schubhaftbetreuungsvertrag für die ARGE Schubhaft Innsbruck wurde mit 01. Jänner 2006 vom Innenministerium gekündigt. Somit geht die Schubhaftbetreuung in Tirol an den Verein „Menschenrechte Österreich“ über, der somit 53% der Schubhäftlinge in ganz Österreich betreut, mit einem Budget von einer knappen Million Euro.223 Der Verein gilt in der NGO Szene als GONGO (govermental organized NGO, siehe dazu S. 76). „Menschenrechte Österreich“ stellt im Gegensatz zur ARGE Schubhaft Innsbruck in seiner Arbeit die Institution Schubhaft überhaupt nicht in Frage, sondern sieht sie als eine notwendige Form der Migrationsregulierung an. Daraus resultierten unterschiedliche Zugänge in der Arbeit mit den Angehaltenen. Seit kurzem erst ist das neue Fremdenpolizei- und Asylgesetz in Kraft. Wie die neuen Regelungen in die Praxis umgesetzt werden, wird sich erst zeigen. In einem Standard Interview erklärte Günther Ecker, dass der Haftraum für die Unterbringung von 15.000 Menschen zu erweitern sei.224 Diese Politik der Internierung, Kriminalisierung und Abschiebung ist keine alleinige Erfindung Österreichs, sondern ist in engem Zusammenhang mit den Asylharmonisierungsbestrebungen der EU zu sehen. Mit dem Vertrag von Maastricht 1992 wurde die Asyl- und Migrationspolitik Teil der gemeinsamen Justiz- und Innenpolitik. In den darauffolgenden Jahren wurde beinahe jede legale Zugangsmöglichkeit zu EU-Territorium Herkunftsländer von Flüchtlingen wurden Visa - abgebaut. Für alle Bestimmungen eingeführt. Flüchtlingen wird aber in der Regel kein Visum ausgestellt. Auf der einen Seite 222 Doch kein Papiertiger. In: www.derstandard.at, 07.01.2006. Abschiebung soll garantiert werden. In. www.derstandard.at, 02.02.2006. 224 Die Zahl der Schubhäftlinge in Österreich nimmt zu. In: www.derstandard.at, 02.02.2006. 223 107 werden die Möglichkeiten für eine legale Einreise immer geringer und auf der anderen Seite werden die EU-Außengrenzen aufgerüstet, um die illegale Einwanderung zu bekämpfen, da diese als Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen wird.225 So zählt auch der Kampf dagegen zu den Prioritäten der österreichischen EURatspräsidentschaft.226 Erst sobald akzeptiert wird, dass Migration keine individuelle Entscheidung, sondern ein Prozess, ist der durch politisch-ökonomische Systeme strukturiert und geformt wird, werden Fragen der Kontrolle und Regulierung lösbar. Migrationen stehen immer in einem Rahmen von Systemen und bis heute hat noch keine Migration das Ausmaß einer Invasion angenommen. Wer das Problem der Einwanderung begreifen will, muss sich damit beschäftigen, wie, wann und aus welchen Gründen die Regierungen, die Wirtschaft, die Medien und die Bevölkerung der hochentwickelten Länder an diesen Prozessen beteiligt sind.227 225 Kopp, Karl: Umbau- und Abrissarbeiten am europäischen Flüchtlingsschutz. In: Friedrich, Rudi; Pflüger, Andreas: In welcher Verfassung ist Europa? Grafenau 2004, S. 38. 226 50.000 bis 100.000 „Illegale“ leben laut Schätzungen in Österreich. In: www.migration.cc, 02.02.2006 227 Sassen, Saskia: Migranten, Siedler, Flüchtlinge. Von der Massenauswanderung zur Festung Europa. Frankfurt/Main 1996, S. 13. 108 Anhang Foto 1: “Eurodac - Live Scanner”.228 228 Hier werden die Fingerabdrücke der Angehaltenen direkt in das „Eurodac“ System eingespeichert, um den Vergleich von Fingerabdrücken von AsylwerberInnen und „Illegalisierten“ europaweit zu ermöglichen. In Österreich ist dieses System seit 15. März 2003 in Anwendung. Die Daten werden bis zu zehn Jahre gespeichert. 109 Foto 2: „Fotosessel“ für die erkennungsdienstliche Erfassung 110 Foto 3: Blick auf den Einzelzellentrakt (E-Trakt) 111 Foto 4: Einzelzelle 112 Foto 5: Einzelzelle 113 Foto 6: Besonders gesicherte Zelle im E-Trakt 114 Foto 7: Besonders gesicherte Zelle innen 115 Foto 8: Sprechvorrichtung im inneren der Zellen 116 Foto 9: Die „body-packer“ Zelle 229 229 Als „body packer“ werden jene Angehaltenen bezeichnet, die unter Verdacht stehen, ihren Körper als Versteck für Drogen zu benutzen. 117 Foto 10: Spezielle Klovorrichtung in der „body packer“ Zelle 118 Foto 11: Ein Stockwerk in dem die Angehaltenen in Gemeinschaftszellen untergebracht sind 119 Foto 12: Aushang der Aufgaben der Hausarbeiter 120 Foto 13: Wochenplan der Angehaltenen 121 Foto 14: Der Beschwerdebriefkasten 122 123 Foto 15: Der Spazierhof Foto 16: Bibliothek für hundertdreißig Angehaltene 124 Foto 17: Die Kantine oder „shop“ 125 Foto 18: Diese Tafeln sind neben jeder Zelle angebracht und informieren die WachebeamtInnen über die Angehaltenen. Die Anmerkung: „sonstiges :3 x HS“ 126 bedeutet, dass sich drei der sieben Angehaltenen in dieser Zelle in Hungerstreik befinden Foto 19: Orientierungstafel in den Treppenaufgängen 127 Foto 20: Besucherzone 128 Foto 21: Das Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel Breitenfeldergasse 21, 1080 Wien 129 130 Literaturverzeichnis Agamben, Giorgio: Über Abschiebung und Lager ohne Namen. In: Reader zur Kampagne gegen Abschiebungen, Abschiebeknäste und Abschiebelager. Leipzig 2002 Anderson, Benedict: Imagined Comunities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism. London 1991 Bachinger, Eva: Anti-Rassismus-Arbeit in Österreich. In: Sammelmappe zu ZARA – Lehrgang „Rassismus und Zivilcourage“. Wien 2002 Binder, Susanne; Tosic, Jelena: Flüchtlingsforschung. Sozialanthropologische Ansätze und genderspezifische Aspekte. In: SWS-Rundschau Heft 4/2003 Böhm, Markus: Die Abschiebung als fremdenpolizeiliche Maßnahme nach dem Fremdengesetz 1997. Diplomarbeit. 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Zeitung für Tierbefreiung und Antispeziesismus. Wien 2001 139 lebenslauf brigitte hofer geboren am 10. juli 1978 in luttach im ahrntal in südtirol italien besuch der volksschule in luttach, fünf jahre besuch der mittelschule in st. johann, drei jahre besuch der handelsschule „projekt 92“ in sand in taufers, drei jahre besuch der hotelfachschule kaiserhof in meran, drei jahre mit matura november 1999 emigration nach wien und beginn des studiums der kultur- und sozialanthropologie, internationale entwicklung, neuere geschichte und zeitgeschichte von august 2003 bis august 2005 flüchtlingsberaterin bei der deserteurs- und flüchtlingsberatung wien. 140