KM_ISB_Lesefırderung_2403

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KM_ISB_Lesefırderung_2403
Bayerisches Staatsministerium für
Unterricht und Kultus
Du öffnest die Bücher
und sie öffnen dich.
Tschingis Aitmatov
www.leseforum.bayern.de
www.km.bayern.de
Eine Dokumentation zur
Veranstaltung »Leseforum Bayern«
des Bayerischen Staatsministeriums
für Unterricht und Kultus 2002
Leseforum Bayern
Eine Veranstaltung des
Bayerischen Staatsministeriums
für Unterricht und Kultus
am Dienstag, dem 19. November 2002
Bayerisches Staatsministerium für
Unterricht und Kultus
– Dokumentation –
Inhalt
Rede des Staatssekretärs
»Leseförderung in Bayern nach Pisa«
7
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MR Dr. Krimm
»Was heißt Lesen?«
19
Prof. Dr. Klotz
»Literatur in der Schule und Lese(r)erziehung«
32
Dr. Parigger
»Wege der Leseförderung«
42
Prof. Dr. Ring
»Gutenberg-Galaxis und Cyberspace«
51
Dr. Jooß
Bayerische Maßnahmen zur Leseförderung
60
MR Dr. Krimm, StRin Dr. Kaiser
Internet-Portal »Leseforum Bayern«
63
Kontaktadressen
64
Herausgeber:
Bayerisches Staatsministerium
für Unterricht und Kultus
Salvatorstraße 2, 80333 München
Titelbild/Illustration: Deutsches Museum, München
Gestaltung, Satz: Agentur2 GmbH, München
Druck: Druckerei Schick, München
März 2003
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LESEFORUM BAYERN
Rede des Staatssekretärs im Bayerischen
Staatsministerium für Unterricht und
Kultus zur Eröffnung der Veranstaltung
»Leseforum
Bayern«
FO
FORUM
FORUM
M
M
› KARL FRELLER
»Das Wort Esel, wenn es zurückgelesen wird, so heißt es: Lese! Wahr
ist es, wann jemand kein unverständiger Esel bleiben will, so muss
er die Bücher lesen [...]!« – Diese ernste Ermahnung richtete der für
seine direkte und plastische Ausdrucksweise berühmte Abraham a
Santa Clara schon vor gut 300 Jahren an seine Zeitgenossen.
Die Botschaft des Augustiner-Mönchs hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren – auch wenn wir sie heute in eine andere Sprache
kleiden: Lesen – so wird heute übereinstimmend formuliert – ist eine der
wesentlichen Voraussetzungen für eine gelingende Persönlichkeitsbildung;
Lesen ist die Schlüsselqualifikation schlechthin. Lesen vermittelt Wissen,
es bedeutet Welterfahrung, es weitet den Horizont in jeder Hinsicht. Lesen
vermittelt Einblicke in unterschiedliche Fachgebiete, Zeiten und Räume –
insbesondere in die geistigen Räume und die Vorstellungswelten verschiedenster Autoren. Lesen fördert Phantasie und Kreativität, denn die Bilder
zum Text werden nicht einfach geliefert und passiv konsumiert, sondern
sie müssen aus dem abstrakten Medium Schrift individuell und aktiv erzeugt werden.
Auf diese Weise trainiert das Lesen die Geduld und das Konzentrationsvermögen, denn in der Regel erschließen sich weder die Ausführungen
theoretischer Fachbücher noch die Sprache der Literatur auf den ersten
Blick. Wirkliches Verstehen setzt beharrliches Bemühen voraus. Dass das
Lesen auch die eigene »Sprache« bereichert, dass Wortschatz und Ausdrucksfähigkeit wachsen, versteht sich von selbst. Und schließlich: Nichts
fördert so sehr das Denkvermögen und die Urteilskraft wie das langsame,
reflektierende, kritische Lesen. Dies zeigt sich auch an den Ergebnissen wis-
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Rede des Staatssekretärs
Karl Freller
LESEFORUM BAYERN
senschaftlicher Studien, die besagen, dass Buch- und Zeitschriftenleser
beispielsweise viel besser den Inhalt von Radio- und Fernsehsendungen
behalten, Medieninhalte beurteilen und überzeugender argumentieren
können als Nichtleser.
Angesichts der zentralen Bedeutung des Lesens ist es umso schlimmer,
dass Lesen in unserem Land offensichtlich aus der Mode gekommen ist:
Während die Deutschen 1980 noch 56 Minuten pro Tag für Bücher erübrigten, waren es 1995 unter 25 Minuten – und seitdem sind weitere 7 Jahre
vergangen, die am Zeitbudget für das Lesen geknabbert haben!
Die PISA-Studie hat für Bayern insgesamt erfreuliche Ergebnisse gebracht. Insbesondere im Hinblick auf die Lesekompetenz lagen die bayerischen Schüler bundesweit gesehen auf Platz 1 und erzielten als Einzige in
Deutschland über dem OECD-Durchschnitt liegende Werte. Ein 10. Platz
im internationalen Vergleich kann jedoch nicht befriedigen und muss wohl
auch als Folge einer verfallenden Lesekultur bewertet werden.
Es liegt deswegen auf der Hand: Bayerns bundesweiter Erfolg muss vor
allen Dingen als Ansporn dafür gesehen werden, auch international an die
Spitze zu kommen. Dementsprechend sieht das Staatsministerium eine verstärkte Leseförderung als zentrale bildungspolitische Zukunftsaufgabe an.
Das Ziel muss sein, die Kinder und Jugendlichen frühzeitig und nachhaltig an das Lesen heranzuführen, ihr Interesse und ihre Neugierde und
auch ihre Lust am Lesen neu zu wecken. Dabei heißt Lesen bei weitem
nicht allein Auseinandersetzung mit der so genannten schönen Literatur.
Und es geht nicht darum, dass die Schülerinnen und Schüler später lieber
den »Wilhelm Meister« oder den »Zauberberg« lesen als einen Fachartikel
in der Zeitschrift GEO über die neuesten Erkenntnisse von Molekularbiologen in der Krebsforschung. Eine solche Entgegensetzung ist nicht nur
unangemessen, sie führt auch nicht weiter. Lesen heißt zunächst einmal
ganz allgemein: aus Texten Informationen entnehmen und diese einordnen,
bewerten, beurteilen und interpretieren können. Ein erweiterter Lesebegriff
schließt dabei auch das Lesen von Grafiken, Diagrammen und Plänen bis
hin zu Bildern ein.
Leseförderung, wie wir sie verstehen, muss genau hier ansetzen: Sie
muss die Schülerinnen und Schüler zu einem kritischen und reflektierten
Umgang mit der Vielfalt der Informationen und Medien in unserer modernen Welt befähigen. Nur wer in dieser Weise lesen kann, kann von sich
behaupten, tatsächliche Lesekompetenz zu besitzen und damit über die entscheidende Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts zu verfügen. Denn
auch wenn das Buch unter den Informationsträgern im Internet-Zeitalter
vielleicht eine geringere Rolle spielt als früher – die Zahl der Informationen,
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LESEFORUM BAYERN
Rede des Staatssekretärs
Karl Freller
die man sich erlesen und bewerten muss, wird keineswegs geringer. Das
Gegenteil ist der Fall!
Natürlich ist hier in erster Linie die Schule gefragt. Wir verfügen in Bayern –
und das erklärt auch das zumindest bundesweit erfreuliche Abschneiden bei
PISA – über solide Grundlagen:
➔ Die Lehrpläne sind voll von Lesehinweisen, die Lektüreanforderungen können
sich sehen lassen.
➔ Es gibt Handreichungen mit einer Fülle von Anregungen.
➔ Jede allgemein bildende Schule verfügt über eine Schulbibliothek.
➔ Der Vorlesewettbewerb des Börsenvereins ist in Bayern sehr beliebt und erfolgreich; in den letzten Jahren kam fast ein Fünftel der deutschen Teilnehmer aus
bayerischen Schulen!
➔ An vielen Orten werden Lesungen von Elternbeiräten und Fördervereinen
unterstützt. Es gibt Stiftungen, die Hilfen anbieten, Autoren vermitteln,
Veranstaltungen bezuschussen.
➔ Schulen arbeiten mit öffentlichen Bibliotheken zusammen.
➔ Auch Ideen und Möglichkeiten, um die Lesemotivation und Leselust der Kinder
und Jugendlichen zu wecken, gibt es zuhauf: von der Leseecke im Klassenzimmer bzw. dem Lesekoffer zu einem bestimmten Thema über das FortlebenLassen des »Literarischen Quartetts« auf Klassen- oder Kursebene bis hin zu
Bücherbasaren in großer Zahl und Literaturtagen mit Prominentenlesung.
➔ Ein sehr schönes Beispiel sind die bei den Schülerinnen und Schülern so
beliebten Lesenächte. Nach vielen, vielen gelesenen Seiten verabschieden sich
morgens ziemlich erschöpfte Lehrkräfte von den immer noch putzmunteren
Leseratten. Eine manchmal harte Prüfung für die Lehrerinnen und Lehrer,
gewiss, aber die Resonanz ist sehr gut – und nur auf die kommt es ihnen an:
Selbst ausgesprochene Büchermuffel werden das Lesen ab sofort mit etwas
Besonderem und Abenteuerlichem verbinden – und sicher nicht bis zur nächsten Lesenacht warten, bis sie wieder ein Buch anfassen
Alle diese Bemühungen tragen Früchte, alle diese Mittel sind gut angelegt.
Aber dennoch wollen und müssen wir unsere Anstrengungen noch
verstärken, um auch neuen Herausforderungen begegnen zu können.
Herr MR Dr. Krimm wird Ihnen später die neuen Initiativen des Staatsministeriums zur Leseförderung vorstellen. In seinen Bemühungen zur Leseförderung kann aber das Staatsministerium nicht auf die Zusammenarbeit
mit anderen an der Leseförderung interessierten Vertretern und Gruppierungen verzichten. Im Gegenteil: Leseerziehung ist – wie die Erziehung im
Allgemeinen – gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
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Rede des Staatssekretärs
Karl Freller
LESEFORUM BAYERN
Gefragt sind:
➔
➔ Lehrerinnen und Lehrer sowie die entsprechenden Verbände,
➔ Fachleute aus den Bereichen Schulpädagogik und Lehrerbildung,
➔ Fachwissenschaftler und Didaktiker an den Hochschulen,
➔ Vertreter des Buchhandels und der Bibliotheken, von Archiven,
Eltern und Familie, insbesondere die Elternverbände,
gemeinnützigen Vereinen und Stiftungen.
Unser Interesse an einer nicht institutionalisierten, aber doch fruchtbaren
und wirkungsvollen Zusammenarbeit ist der Grund, warum wir Sie zur
heutigen Veranstaltung unter dem Titel »Leseforum Bayern« eingeladen
haben. Wir wollen mit Ihnen in die Diskussion darüber eintreten, auf welche Weise Kinder und Jugendliche zu einer stärkeren Beschäftigung mit
Büchern und damit zu einer möglichst umfassenden Lesekompetenz geführt werden können.
Ich darf Sie daher – auch im Namen von Frau Staatsministerin Hohlmeier – in unserem Hause herzlich willkommen heißen und Ihnen gleichzeitig meinen Dank dafür aussprechen, dass Sie unserer Einladung gefolgt
sind und damit Ihr Interesse an einem Zusammenwirken dokumentieren.
Insbesondere begrüße ich die Referenten der heutigen Tagung: Ich danke
Ihnen schon jetzt für Ihre Bereitschaft, durch Ihre Vorträge der gemeinsamen Diskussion eine Richtung und entsprechende Impulse zu geben.
Es wäre aus meiner Sicht sehr erfreulich, wenn bis zum Ende der Veranstaltung Arbeitsfelder definiert sind, die von den genannten Gruppen
bald in Angriff genommen werden können. Vielleicht kann ja das »Leseforum Bayern« zu einer Art Markenzeichen und Gütesiegel werden: für
eine gelungene Zusammenarbeit von Spezialisten zur Förderung der Lesekompetenz.
Goethe selbst war es, der einmal ernüchtert feststellte: »Die Leute wissen nicht, was es einen Zeit und Mühe kostet, um Lesen zu lernen. Ich
habe achtzig Jahre dazu gebraucht und kann noch nicht sagen, dass ich am
Ziel wäre.« Nehmen wir diese Einschätzung nicht etwa als Ausflucht in
dem Sinne, Leseförderung sei ohnehin ein so schwieriges Feld, dass auch
stärkste Bemühungen nicht zu einem zufrieden stellenden Ergebnis führen!
Machen wir vielmehr Goethe zum Kronzeugen dafür, wie notwendig eine
ständige, umfassende und intensive Förderung von Lesekompetenz als
wesentlicher Voraussetzung für das schulische und berufliche Fortkommen
ist!
In diesem Sinne wünsche ich
der Tagung viel Erfolg.
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LESEFORUM BAYERN
Begrüßung und Einführung
in die Thematik
Leseförderung
in Bayern
nach PISA
PIS
PISA
PISA
A
A
› MR DR. STEFAN KRIMM
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich zu unserem heutigen »Leseforum Bayern« und
danke Ihnen allen für Ihr Erscheinen.
Wir sind hier zusammengekommen mit dem Ziel der Intensivierung
der Leseerziehung, die schon lange ein Desiderat darstellt, nicht zuletzt in
den Augen von Staatsministerin Monika Hohlmeier: Bereits zu Beginn ihrer
Ministertätigkeit hat sie an einer großen Podiumsdiskussion zum Thema
»Lesen« im Literaturhaus München teilgenommen.
PISA hat diesem Anliegen einen neuen Impuls verliehen. Es hat einer
breiteren Öffentlichkeit klar gemacht, worum es beim Lesen geht: um eine
der Basiskompetenzen von Bildung und Ausbildung, die sich nicht nur in
allen Schulfächern auswirkt, sondern auch über Berufs- und Einkommenschancen mit entscheidet!
Ziel der heutigen Veranstaltung ist es, ein Forum einzurichten, eine
Art Marktplatz, wo man sich trifft, Informationen austauscht und verhandelt, wo man gemeinsame Projekte verabredet, anschließend nach Hause
geht und handelt, ggf. gemeinsam mit anderen. Das Leseforum versteht sich
als »Runder Tisch« für möglichst viele Menschen und Institutionen, die –
inner- wie außerschulisch – im Bereich »Lesen und Buch« aktiv sind. Es
bietet Gelegenheit zur Begegnung, ggf. auch dazu, einander kennen zu
lernen und so die gegenwärtige Situation zu verbessern, in der die für die
Leseförderung Tätigen wie »Bergleute« in vielen »Stollen« getrennt voneinander, aber mit vergleichbaren Zielen arbeiten.
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Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
LESEFORUM BAYERN
Was heißt »Leseerziehung nach PISA«?
– zur Beantwortung dieser Frage sollte man kurz noch einmal rekapitulieren, was PISA (Programme for International Student Assessment) war und
welche Ergebnisse die Studien PISA 2000 und PISA E gebracht haben:
1. Merkmale und Ziele der
im Frühsommer 2000 durchgeführten Studie
Getestet wurden nicht Lehrplaninhalte, sondern die Fähigkeit, erworbenes
Wissen und erworbene Kompetenzen zur Lösung realitätsnaher Fragestellungen anzuwenden. Die Untersuchung bezog sich auf 15-jährige Schüler,
weltweit haben rund 180.000 Schüler aus 32 Staaten daran teilgenommen,
in Deutschland 5.073 Schüler aus 219 Schulen. Zum Vergleich der Länder
auf Bundesebene wurde in »PISA E« die Stichprobe auf 1.466 Schulen mit
insgesamt knapp 47.000 Schülern erhöht.
LESEFORUM BAYERN
Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
● Kompetenzstufe III – die Integration konkurrierender Textinformationen
und etwas weiter gehender Schlussfolgerungen;
● Kompetenzstufe IV – ein detailliertes Verständnis relativ unvertrauter, langer
und komplexer Texte;
● Kompetenzstufe V – die Gruppe der »Expertenleser«: Sie sind in der Lage,
unvertraute, lange und komplexe Texte unabhängig von ihren eigenen Einstellungen und Erwartungen vollständig und detailliert zu verstehen sowie
für verschiedene Zwecke flexibel zu nutzen.
2. Ergebnisse von PISA und PISA-E,
bezogen auf die Lesekompetenz
Die Leistung der deutschen Schüler stellt sich im Vergleich zum OECDDurchschnittswert wie folgt dar:
Stufe II, III, IV mittleres Niveau
Stufe V
höchstes Niveau
Definition von »Lesekompetenz«:
Stufe I
unteres Niveau
Lesen ist ein aktives Sich-Auseinandersetzen mit Texten: Die Konstruktionsleistung des Individuums wird betont. Die im Text enthaltenen Aussagen
werden aktiv mit dem Vor-, Welt- und Sprachwissen des Lesers verbunden.
Verwendet wurden kontinuierliche und nicht kontinuierliche Texte:
schlechter als Stufe I
OECD-Durchschnitt
Deutschland
75%
68%
9%
9%
12%
13%
6%
10%
Die Interpretation der Vergleichswerte lässt v. a. folgende
Rückschlüsse zu:
➔ Für Expertenleser und Risikogruppe: Das deutsche Ergebnis entspricht in
Deutsches PISA-Konsortium (Hg.), PISA 2000 – Die Länder der
Bundesrepublik im Vergleich, Opladen 2002, S. 58
Unterschieden wurden 5 Kompetenzstufen:
● Kompetenzstufe I und darunter – eine Risikogruppe von Schülerinnen und
Schülern mit extrem elementaren Lesefähigkeiten, die lediglich zu einem
oberflächlichen Verständnis einfacher Texte in der Lage ist;
● Kompetenzstufe II – das Herstellen einfacher Verknüpfungen und eine
auf wenig anspruchsvolle Schlussfolgerungen begrenzte Fähigkeit zur Texterschließung;
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Stufe V dem OECD-Durchschnitt, in allen übrigen Stufen liegt es signifikant
darunter. Besorgnis erregend ist der Anteil von 23% deutscher Schüler,
deren Leistungen auf dem untersten Niveau und schlechter liegen.
➔ Für das Leistungsgefälle: Es bestehen erhebliche Leistungsunterschiede
zwischen den schlechten und den guten Schülern. In einer großen Zahl
von Ländern wird ein ausgeglicheneres Leistungsniveau erreicht – ohne
Abstriche im obersten Leistungsbereich und bei hohen Durchschnittswerten
in der Gesamtleistung.
➔ Für die Rolle des Herkunftsmilieus: In Deutschland sind Leistung und soziale
Herkunft besonders eng gekoppelt, vor allem bei Schülern ausländischer
Herkunft (mit 26% ist ihr Anteil in der niedrigsten Niveaugruppe weit
höher als in vergleichbaren Ländern).
➔ Für die Geschlechterdisparität: Die Lesekompetenz ist in allen Ländern bei
den Mädchen signifikant höher als bei den Jungen. In Deutschland ist der
Unterschied dramatisch: 12,6% der Jungen erreichen nicht einmal das
unterste Anforderungsniveau und 13,9% gerade eben dieses. Auf Stufe V
befinden sich nur 6,7%. Für die Mädchen dagegen ergeben sich Quoten
13
Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
LESEFORUM BAYERN
von nur 6,8% und 11,3% im unteren Bereich und 11,1% auf der höchsten Anforderungsstufe.
➔ Zusammenfassend und pointiert gesagt: in fast allen Ländern sind die
Schüler der untersten Leistungsgruppe
➔ in der Regel männlich,
➔ oft aus sozial benachteiligtem Milieu und
➔ zu einem relativ großen Teil Jugendliche mit Migrationshintergrund.
LESEFORUM BAYERN
Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
Anhang: Grafiken zu ausgewählten Ergebnissen
der PISA-Studien
Abb. 1: Mittelwerte und Verteilung der Leistungsgruppen
(15-Jährige in 14 Ländern der Bundesrepublik im Vergleich zu einer Auswahl von 23 Staaten)
Die Ergebnisse für Bayern:
➊ Bayern liegt im nationalen Vergleich bei den Mittelwerten in allen geteste-
➋
➌
➍
➎
ten Bereichen auf dem 1. Platz, im internationalen Vergleich bei der Lesekompetenz auf Position 10.
Es weist von allen Ländern die größte Gruppe an Schülern auf der höchsten
Kompetenzstufe, die kleinste Gruppe mit schlechten Leistungen auf.
Der Anteil von Schülern, die nicht zum Vergnügen lesen, ist mit 33% am
geringsten. Dies gilt auch für die Quote der Buben, die sich mit 46% Nichtlesern deutlich von der Bundesquote abhebt (66%).
Der Anteil der Risikoschüler unter Kompetenzstufe I ist mit knapp 2% am
niedrigsten.
Schüler mit Migrationshintergrund schneiden in Bayern signifikant besser
ab: Der Mittelwert (501) entspricht dem Bundesdurchschnittswert für die
deutschen Schüler.
3. Leseerziehung nach PISA
Aber selbst wenn Bayern in mehreren Bereichen relativ günstig dasteht,
zeichnen sich große Probleme ab, die angegangen werden müssen. Es gilt:
➔ das Lesen als komplexen Prozess besser zu erforschen und zu schulen sowie
die Diagnosefähigkeit der Lehrer auszubilden und zu verbessern;
➔ das Lesen als Grundfertigkeit früh zu schulen; dazu ist eine gesteigerte Zusammenarbeit zwischen Grundschule und Kindergarten erforderlich und hat
bereits begonnen; sie soll nach dem Beschluss des bayerischen Ministerrats
vom 6. November 2002 in Lautrach weiter ausgebaut werden;
➔ soziale Disparitäten auszugleichen (v. a. auch bei Kindern mit Migrationshintergrund);
➔ die Leseferne der männlichen Jugendlichen als Problem anzugehen und so
zu verhindern, dass leseresistente Milieus entstehen, die wichtige Lebenschancen blockieren;
➔ auch literarisches Lesen früh zu fördern – als Königsweg zur differenzierten
Lesekompetenz!
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PISA 2000, S. 64
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Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
LESEFORUM BAYERN
LESEFORUM BAYERN
Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
Abb. 2: Schüleranteile auf der höchsten
Kompetenzstufe (V)
Abb. 3: Schüleranteil auf und unter der
niedrigsten Kompetenzstufe (I)
PISA 2000, S. 71
PISA 2000, S. 70
16
17
Leseförderung in Bayern nach Pisa
MR Dr. Stefan Krimm
Abb. 4: Anteil von Schülern, die angeben,
nie zum Vergnügen zu lesen
LESEFORUM BAYERN
LESEFORUM BAYERN
LES
LESEN
LESEN
ESEN
N
N
Was heißt Lesen,
und warum haben
Schüler einen weiteren
Weg zu Büchern?
Was können wir tun?
› PROF. DR. PETER KLOTZ
PISA 2000, S. 79
Abb. 5: Leistungsstreuung der deutschen
Länder im Bereich der Gymnasien
Im Jahre 1996 widmet George Steiner einen Essay dem
»Ungewöhnlichen Leser«1. Anlass und Strukturgeber
ist ihm Chardins Gemälde »Le Philosophe lisant/Der
lesende Philosoph« von 1734. Das Bild zeigt einen fast
festlich gekleideten Mann beim Lesen, bereit vor und
zurück zu blättern und bereit Notizen zu machen. Die
Geld- oder Gedenkmünzen vor dem Buch, offensichtlich
groß und von großem, dauerhaftem Wert, verweisen
auf den Wert des Umgangs mit dem Buch ebenso wie die
Kleidung des Philosophen den Respekt vor dem Buch
anzeigt. Die Begegnung mit dem Buch verlangt also eine
Chardin: Le Philosophe lisant
besondere Aufmerksamkeit wie heute immer noch ein
besonderer Theater- oder Konzertbesuch. Diese Begegnung erfordert
Eingestimmtheit und Bereitschaft zu einlässiger Konzentration, ebenso Bereitschaft zur z. B. schriftlichen Reaktion. Schließlich steht neben dem Buch
noch eine Sanduhr, ein Stundenglas, das in aller Ambivalenz darauf verweist, dass hier bei der Lektüre wertvolle Zeit verbracht wird, das aber auch
1
PISA 2000, S. 91
18
George Steiner (1996, dt. 1997): »Der ungewöhnliche Leser«. In: Ders.: Der Garten des Archimedes.
Essays. München
19
MUSÉE DU LOUVRE, PARIS
1. Differenzierung des Lesebegriffes
– über die PISA-Studie hinaus
Was heißt Lesen?
Prof. Dr. Peter Klotz
LESEFORUM BAYERN
darauf verweist, dass Lebenszeit während der Lektüre verrinnt. Die Wertund Entscheidungsfrage ist gestellt, die das Bild als Ganzes beantwortet.
Nun will ich nicht die Erwartung wecken, es wäre ein Ziel, eine solche
Haltung zum Lesen anzustreben, denn sie wäre – wenn überhaupt – nur
wenigen Texten ganz angemessen. Die Zeiten haben sich so völlig geändert:
Seit Mitte des 19. Jh. herrscht Alphabetismus in unserem Kulturraum, die
Kulturtechniken des Lesens und Schreibens stehen für die ganze Bandbreite von höchst Wertvollem bis zu miesem Schund zur Verfügung. Bücher
sind in mehr als einem Sinn zu einer Massenware vielgestaltiger Couleur
geworden. Das Fachbuch steht neben dem Nachschlagewerk, das Kunstwerk neben Unterhaltungsliteratur, das triviale Sachbuch neben einem
Ratgeber wofür auch immer. Gleichermaßen finden sich fast unüberschaubare Textmengen in Zeitungen und Magazinen, die ja – es ist gar nicht zu
übersehen – eben auch und oft vorzugsweise gelesen werden. M. a. W., gelesen wird vielfach in unserer Gesellschaft, vielleicht nicht gerade viel in und
für die Schule, so doch außerhalb, und seien es diskontinuierliche Texte im
Internet.
Wenden wir uns dem Lesen in der Schule zunächst genauer zu: In
literaturdidaktischen Veröffentlichungen, in Staatsexamensklausuren und
natürlich immer wieder in Feuilletons lese ich, Aufgabe der Schule, genauer
des Deutschunterrichts sei es, zum Lesen zu motivieren. Das klingt gut, ist
aber in dieser Einseitigkeit unsinnig. Zunächst: was soll nach der Motivation
geschehen? Welche Funktion hat dann dieses Lesen? – Ehrlicherweise wird
man zugeben müssen, dass die einseitige Aufforderung, zum Lesen zu motivieren, einfach zu ungestalt ist und sich wie eine Hilfe zur Freizeitgestaltung
ausnimmt – und da versagt sie weithin kläglich, und ganz besonders bei
Buben, wie die PISA-Studie gezeigt hat. Vielleicht sind die ja gar nicht so
dumm – vielleicht fehlt ihnen die gezielte, selbstbewusste Herausforderung
– ich meine z. B. von den Eltern, von Teilen der Alltagskultur – eine Herausforderung etwa in dem Sinne, einen schwierigen Text »knacken« zu
wollen, eine raffinierte Ästhetik aufspüren zu sollen.2 Unser Alltag lässt die
Lehrer mit solchen Aufgaben allein; Schule und Lebenswelt sind in diesem
Bereich auseinander gefallen. Lesen, und das ist herauszustellen, das kann
nicht nur ungerichtete Tätigkeit sein, auch wenn es in seinen vielfältigen
Formen und Funktionen fast nicht erfassbar erscheint.
Im Grunde ist hier die PISA-Studie bescheiden und vernünftig: Sie fragt
danach, gegliedert in fünf Kompetenzstufen, was jemand mit einem gelese-
LESEFORUM BAYERN
nen Alltags- oder Fachtext anfangen kann. – Das ist sinnvoll und brauchbar
gedacht, nur ist das seit den siebziger Jahren kein sehr zentrales Lehrziel
mehr – ich sage bewusst zuerst Lehr-, dann erst Lernziel, denn zunächst ist
die konzeptionell arbeitende Lehrkraft verantwortlich. Hier haben Deutschdidaktik, Kultusbürokratie und z. T. die germanistische Fachwissenschaft
entweder versagt oder die Dinge schleifen lassen. Auch wird das Text-Lesen
in den anderen Schulfächern weder systematisch fachbezogen erarbeitet,
noch hat der Deutschunterricht diese fächerübergreifende Aufgabe je ernsthaft übernommen – von Ausnahmen abgesehen. Die vielfältigen Kompetenzen junger Menschen im Umgang mit Computer und Internet zeigen,
wie lernbereit und wie lernfähig die Heranwachsenden sind, sie sind gelegentlich sogar sehr zäh, wenn sie etwas wirklich wissen wollen. Aber man
kann auch einsehen, dass die Dimension eines anspruchsvollen Buches für
Heranwachsende doch noch recht weit gespannt ist. Und gesellschaftliche
Vorbilder sind rar.
Einen Anspruch, wie er im Bild vom »Lesenden Philosophen« formuliert ist, hat in den letzten dreißig Jahren wohl niemand in diesem Ausmaß
auch nur annähernd erhoben, obwohl es vielleicht doch ein bedenkenswerter Anspruch wäre: Er macht etwas so Selbstverständliches wie Lesen zu
etwas ganz Besonderem. Lesen – und das ist herauszustellen – ist ja auch
ein hoch differenter, komplexer Vorgang, der wesentlich auf Wahrnehmung
beruht. Gerhard Neumann hat dies in präzis-begeisternde Worte gefasst3:
»Die Begegnung mit dem geschriebenen Text ist, wenn man sie genauer
in Betracht zieht, etwas ziemlich Komplexes. Sie ist die Simulation von Begegnung überhaupt, von Wahrnehmen und Erkennen des Fremden, des
Unbekannten, des Unverhofften. In ihr schießt zweierlei zusammen: das
Mißtrauen in die Zeichen, die wahrgenommen werden, und das gegen alle
Erwartung geweckte Vertrauen in sie, die Hoffnung, sie lustvoll zu entschlüsseln; was da zusammenschießt ist das, was der Lesende mitbringt, das
déjà vu, und zugleich jenes andere, was >auf ihn zukommt<, ... das unbekannte Abenteuer. ... Die großen Leser in der Weltgeschichte haben die
Bedeutung dieser Situation, die der Inbegriff des Theaters menschlichen Erkennens ist, sehr genau gekannt und entsprechend gewürdigt.«
Wahrnehmung4 ist nicht einfach a priori möglich, sondern sie hat Voraussetzungen, nämlich ein zunächst ungestaltes und dann mehr und mehr
3
4
2
Klotz, Peter (2000): Widerborstige Texte. Notwendigkeit und Aspekte einer Theorie der
Repulsivität. In: Wirkendes Wort, 5. Jg, Heft 3, S. 416-426
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Was heißt Lesen?
Prof. Dr. Peter Klotz
Neumann, Gerhard: Ein fast unendliches Spiel. In: Bosse, Renner (Hgg.) (1999): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg, S. 9
Arnheim, Rudolf (3/2000): Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges.
Berlin, New York
Crary, Jonathan (1999, dt. 2002): Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur. Frankfurt/M.
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Was heißt Lesen?
Prof. Dr. Peter Klotz
LESEFORUM BAYERN
bewusstes Wissen vom Gegenstand, das durchaus kulturell geprägt ist: Erst
in der Folge wird Einsicht stiftende und diskursbereite Wahrnehmung möglich. M. a. W., Lesefähigkeit im Sinne von Textverständnis, ästhetischer
Wahrnehmung und Einbau in die eigene sachliche und kulturelle Kompetenz ist eine Fähigkeit, die Ebene um Ebene erworben sein will. Hierfür
fehlt es derzeit an stringenten Modellen, wobei die Vorstellungen für solche
Forschung noch weiterentwickelt werden müssen.
Lesen wird funktional erst sinnvoll, wenn analytische und schöpferische Prozesse bewusst miteinander verbunden werden, ob es sich nun um
relativ einfache Sachtexte oder um komplexe, in sich vielgestaltige Texte
handelt. –
Doch zunächst bedürfen wir einer offenen Bestandsaufnahme.
2. Mut zur Bestandsaufnahme - ohne
Schönfärbereien und nicht immer
»politisch korrekt«
Meine Bestandsaufnahme fokussiert (A) allgemeine, (B) deutschdidaktische bzw. germanistische Gründe, warum es an Deutschlands Schulen so
schlecht ums Lesen bestellt ist, und sie bezieht sich im dritten Teil auf
Buben bzw. männliche Heranwachsende(C).
A Bücher sind zu einer Ware wie andere Waren auch geworden. Die kulturell
motivierte Preisbindung für Bücher ist nur mühsam aufrecht zu erhalten.
Gleichzeitig und genau in diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass
die Vorstellung von der einen Kultur im Lande nicht stimmt; damit verweise
ich auf die soziale Schichtung und deren Folge für kulturelle Wertvorstellungen. Auch die PISA-Studie bestätigt die Sozialabhängigkeit von Wissen
und Können, z. T. auch von Bildung. Buchkultur bzw. der beständige und
geradezu notwendige Umgang mit Büchern war immer schon eine Angelegenheit eines kleineren Teils der Gesellschaft. Nichtsdestotrotz: es wird in
allen Schichten partiell gelesen, und natürlich unterschiedlich einlässig, so
wie ja auch ferngesehen wird. Ein Blick auf die Themen sowohl vieler,
vieler (Taschen-)Bücher als auch auf Fernsehsendungen zeigt eine unendliche Wiederholung von Wiederholungen von Themen – von Themen
übrigens, wie sie auch in der Höhenkammliteratur behandelt werden. Wie
also – so die Schwierigkeit – eine »Marquise von O« oder gar die »Wahlverwandtschaften«, wie den »Roten Ritter« oder was auch immer für Heranwachsende unterscheidbar machen? Ja, das ginge nur, wenn Sprache, Stil,
Struktur, wenn einlässige geistige Auseinandersetzungen zu funktionaler
schulischer Thematisierung und Arbeit fänden. Dies aber, so sagen uns die
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LESEFORUM BAYERN
Was heißt Lesen?
Prof. Dr. Peter Klotz
Lehrenden, sei kaum mehr vermittelbar. – Mit Motivation zum Lesen ist
eben erst ein Anfang gemacht, und Wahrnehmung ist ein aufbauender Prozess, der mehr und mehr auf konkretem poetischem, sachlichem, historischem usf. Voraussetzungswissen aufbauen muss.
Lassen Sie mich diese allgemeinen Beobachtungen zu
Thesen verdichten:
➊ In Schule und Alltag wird ein differenzierter Lesebegriff5 notwendig, der
➋
➌
➍
➎
5
6
explizit Informationsentnahme, wie sie auch bei nicht-kontinuierlichen
Texten möglich ist, von der einlässigen Lektüre unterscheidet. Beides – und
viele Misch- und Zwischenstufen – sind sinnvolle Tätigkeiten.
Lesen ist nicht voraussetzungslos. Lesen braucht kulturelles, historisches,
soziales und fachliches Wissen. Insofern kann Lesen nicht zuletzt das Lesen
fördern. Dies scheint die gegenwärtige Lebenswelt der Heranwachsenden
nicht (mehr) zu begünstigen.
Lesen, vor allem ästhetisches Lesen, setzt Fähigkeiten voraus, die vergleichbar sind denen, die für eine musikalische Aufführung notwendig sind: Es
genügt gewissermaßen nicht, die Noten zu kennen, man muss sie geschickt
spielend zu einer stimmigen Interpretation zusammenfügen können. –
Ästhetisches Lesen hätte solchen Anspruch bzw. Respekt verdient – durchaus auch im Sinne von »Hausmusik« im guten Unterschied zum Konzert. –
Die Literaturtheorie von der Rezeptionsästhetik6 hat dies mutatis mutandis
formuliert.
Solch relativ hohe Ziele können von der Schule – und gelegentlichen Feuilletons – nicht allein erreicht werden. Sie sind zwar in Zeiten vielfacher
Virtualität keine veralteten oder überholten Ziele, und sie eröffnen Wege zu
sinnenhafter und sinnvoller Erfahrung. Aber Schule braucht hierfür eine
gesellschaftliche Unterstützung und Begleitung. Deshalb bleibt es die Aufgabe der Schule – und der Hochschule –, beharrlich an solchen Zielen im
Sinne eines möglichen Anspruchs festzuhalten, eben damit dieser Diskurs
nicht aufhört.
Gleichzeitig sollte das Lesen nicht allein mit solchem Anspruch thematisiert
werden. Nur wenn Sehen – z. B. von Filmen – und Hören – z. B. von Musik
oder Hörbüchern – unter einem ähnlichen Anspruch in der Schule thematisiert wird bzw. würde, könnte daraus eine kulturelle Praxis werden, die
auch überzeugend für Heranwachsende wäre.
Vgl. Bredel, Ursula/Günther, Hartmut/Klotz, Peter/Ossner, Jakob/Siebert-Ott, Gesine (erscheint
bis Mitte 2003): Handbuch der Sprachdidaktik, 2 Bde; dort die Kapitel zum »Lesen«
Warning, Rainer (Hg.) (1975): Rezeptionsästhetik. München
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Was heißt Lesen?
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➏ Solcher Umgang mit Zeichen braucht die Freude und die Bestätigung durch
Explizitheit z. T. noch zu leisten sein wird.
Der Blick über den Zaun zu meinen germanistischen Nachbarn zeigt,
dass Literaturwissenschaft sich recht oft nur noch für das eigene Lesen interessiert – eine empirische Studie über Leseverständnis oder über das Entstehen einer Interpretation in einem literaturfernen oder einem sehr belesenen Kopf ist nahezu undenkbar. – Die Linguistik hat m. E. wieder zu
Distanz zu ihren terminologischen Elfenbeintürmen gefunden und ist offen
für ein funktionales Selbstverständnis auf etlichen ihrer Ebenen, und die
Mediävistik hat in jüngster Zeit endlich verstanden, dass ihr sinnvolles
Überleben in Schulstuben beginnen könnte9.
gelingende kulturelle Erfahrungen, und die sind paradoxerweise nicht ganz
ohne Anstrengung zu haben (vgl. Anmerkung 3). Aber es lohnt sich, genau
dafür zu motivieren. Die Freude kommt mit dem Kennen, und mit dem
Kennen beginnt das – kulturelle – Spiel und die ernste Auseinandersetzung.
Vielleicht
ist es ja – ein wenig ironisch formuliert – ganz nützlich, dass die
➐
Lesekompetenz ins Gerede gekommen ist. Es besteht darin auch die ganz
eigentümliche Chance, die je eigene Position zum Lesen, zum Buch, aber
auch zum Sehen und vielleicht sogar zum Hören neu zu überprüfen.
B Wie stehen nun – aus meiner Sicht wenigstens – die Deutschdidaktik und
die Germanistik zu diesen Fragen?
Mein Fach, die Deutschdidaktik z. B., feiert seit zwei Jahrzehnten die
so genannten »handlungs- und produktionsorientierten Verfahren« im
Literaturunterricht7. Die Methodik des Spielens mit und Veränderns von
literarischen Bruchstücken hat aber nur dann Sinn, wenn es nicht simplifizierter Selbstentdeckung dient, sondern in eine sensibilisierte Literaturanalyse mündet (so wie das Günter Waldmann einmal gemeint hat)8. Die
Gefahr dabei ist, dass Jugendliche beständig aus literarischen Texten herausgeführt werden, um – wie es heißt – ihre kreative Persönlichkeit zu entdecken. M. a. W., nur eine gute, gerichtete Praxis dieser kreativen Verfahren
beim Lesen ist sinnvoll, ihre beliebige Praxis ist kontraproduktiv. Solche
Beobachtungen lassen sich leider vielfach machen. – Um es ganz deutlich zu
sagen, Begrifflichkeit ist notwendiger Bestandteil differenzierten Lesens. Die
Vernachlässigung der Analyse erschwert die durch sie möglichen schöpferischen Prozesse.
Erschwert wird auch der Weg zu einer differenzierten Äußerungskompetenz, denn sie ist bei Sachtexten, bei philosophisch-weltanschaulichen
Texten und bei literarischen Texten letztlich ohne analytische Begrifflichkeit
nicht zu haben. Diese Äußerungskompetenz ist aber deshalb so sehr, sehr
wichtig und unverzichtbar, weil Lesen als Wahrnehmung von Text immer
wieder die soziale Bestätigung über ein Textverständnis braucht, eben damit
sie sich als kulturelle und soziale Praxis verstehen kann. Das Bedürfnis dazu
ist da, die Fähigkeiten dafür müssen allmählich entwickelt werden: Lesen
und Äußerungskompetenz bilden eine komplementäre Einheit. Doch auch
diese Einheit bedarf der didaktischen Binnendifferenzierung, die in aller
7
8
Vgl. z. B. die vielen Veröffentlichungen von Kaspar Spinner dazu sowie etliche Nummern
der Zeitschrift »Praxis Deutsch« seit den 90er Jahren
Waldmann, Günter/Bothe, Katrin (1996): Erzählen. Stuttgart
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Was heißt Lesen?
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Einige Thesen zur Deutschdidaktik und zur Germanistik
mögen also folgende Schlaglichter werfen:
➊ Der Deutschdidaktik muss es in der Lehrerausbildung und in ihren programmatischen Schriften gelingen, kreative und analytische Verfahren in
ein funktional stimmiges Verhältnis zu bringen.
➋ Die Motivation zum Lesen, zum Buch genügt nicht; die Wege möglicher
Textbegegnungen und -erfahrungen zeigen sich erst durch die Arbeit und
die Freude am Text. Auch diese Wege, wenn sie sinnvoll und vergnüglich
gegangen werden sollen, brauchen eine explizite Bewusstheit, die sich
durchaus in einer Sicherheit im Umgang mit den »Werkzeugen« der Textbegegnung, den Lesetechniken niederschlagen sollte – insbesondere »leseferne« Heranwachsende werden dafür dankbar sein.
➌ Lesefähigkeit und Äußerungskompetenz sind eine komplementäre Einheit,
da ja fast jede Wahrnehmung, so auch das Lesen, soziale Bestätigung
braucht. Solche Vergewisserungen sind Teil einer Kultur.
➍ In der Lehrerausbildung ist insbesondere für so zentrale Fähigkeiten wie
Lesen und Äußerungskompetenz eine explizite Kooperation der vier germanistischen Fachteile notwendig, weil das Potenzial einer solchen Kompetenzenintegration noch gar nicht ausgeschöpft ist (auf der anderen Seite
steht nur ein »Schubladenwissen«, wie jeder Seminarlehrer weiß)10.
Das eigentliche Erschrecken nach der PISA-Studie im Bereich Lesen galt
den Buben. Die wenigsten von ihnen finden zum Buch. – Überall an deutschen Universitäten setzen Aktivitäten nach PISA ein, und so bleiben im
Augenblick nur Beobachtungen und Vermutungen.
9
10
Z. B. Müller, Jan Dirk (1996): Mittelalterliche Literatur im Deutschunterricht, in: Didaktik Deutsch,
Heft 1, S.53-63
Vgl. Klotz, Peter (2002): Dokumentation der »Regensburger Gespräche«. Bayreuth
25
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C Erziehung, so weiß man und so lässt sich statistisch nachprüfen, ist immer
mehr weiblich11 geworden: Der Kindergärtnerin folgt die Grundschullehrerin, und ihr die Realschul- und Gymnasiallehrerin; nur in der Hauptschule
– so meine Beobachtung – finden sich noch recht viele männliche Lehrkräfte und einige im Gymnasium. Wenn aber Frauen Lektüre aussuchen, so
tun sie das vielfach mit weiblichem Blick, will sagen, mit vielleicht spezifischen Präferenzen. Das wäre sehr, sehr gut, wenn es an den Schulen noch
ein numerisch halbwegs ausgeglichenes Geschlechterverhältnis der Lehrkräfte gäbe. Zu Recht wird die Unausgewogenheit beklagt, dass auf der
einen Seite junge Frauen motiviert und gefördert werden, sich für technische Ausbildung oder für ein naturwissenschaftliches Studium zu interessieren, dass aber auf der anderen Seite junge Männer nicht in ähnlich engagierter Weise auf Berufe und Studien im kulturellen Bereich, nicht zuletzt
auf das wichtige Lehramtsstudium hingewiesen werden. Denn mittlerweile fehlen in diesen Bereichen oft die männlichen Studierenden. – Dass
solche Sätze nicht ohne Nähe zu Klischees zu formulieren sind, wissen wir
alle. Und doch bleibt in vielen Klischees ein wahrer Kern, so auch in diesem. – War es wichtig für die heranwachsenden Mädchen, Vorbilder, nämlich Frauen in technischen, naturwissenschaftlichen, in universitären und
wirtschaftsorientierten Berufen zu sehen, so scheint es heute notwendig,
auf solch männliche Vorbilder im kulturellen, nicht zuletzt im schulischen
Bereich verweisen zu können.
Ich plädiere in allen diesen Bereichen für eine vielfältige und bewusste
Durchmischung. So auch bei den Lesestoffen. Da sind selbstverständlich die
vielen Themen, die nicht geschlechtsspezifisch sind wie Drogen, Dickleibigkeit, Zukunftsorientierung, Gewalt u. v. a. m. Darüber hinaus findet sich für
Mädchen eine vielfältige, z. T. sozial sehr engagierte Literaturauswahlmöglichkeit. Eine reiche, gelegentlich triviale Jugendliteratur behandelt solche
Themen exzessiv. Aber ich plädiere auch – bei aller Holzschnittartigkeit – für
so etwas wie »männliche Lesefreuden«, die die Mädchen dann oft teilen.
Abenteuergeschichten, Erkundungen anderer oder ferner Welten, Technik-,
Sport- und Naturfaszination – und nicht zuletzt Sachtexte dürfen nicht fehlen. Denn vor allem für Buben bleibt aufregend und emotional stimulierend, warum ein Flugzeug fliegt, wie raffiniert der Transrapidmotor funktioniert, wie man Musik und Filme in den eigenen Computer laden kann usf.,
usf. – Deutschdidaktik und Schule haben diese Seiten von Lesemöglichkeiten – literarisch oder sachlich – vielleicht zu sehr vernachlässigt.
11
Vgl. mehrere Artikel im Magazin »Spiegel« und im Internet 2002
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An dieser Stelle ergeben sich die unmittelbaren Anknüpfungen an die
PISA-Studie: das Verstehen und Weiterverarbeiten von Sachtexten, endlich
eine Zusammenarbeit des Faches Deutsch mit so genannten Sachfächern –
wie versteht man, kritisiert und verfasst man selbstständig z. B. eine Versuchsbeschreibung in Chemie, Physik oder Biologie –, das Verknüpfen
von Sachliteratur und »schöner« Literatur im je eigenen Welt- und Kulturverständnis – dies sind Fähigkeiten und Wissensstände, die nicht zuletzt
männliche Heranwachsende, aber nicht nur sie, für das Buch – vielleicht
nicht begeistern, wohl aber interessieren könnten.
Auch hier möchte ich einiges zu Thesen verdichten:
➊ Buben und Mädchen, männliche und weibliche Heranwachsende, haben
oft recht unterschiedliche Interessen, was sich für den Bereich des Lesens
und des Sich-darüber-äußern-Wollens deutlich auswirkt. Die Lesestoffe
der Schule müssen möglicherweise doch noch einmal grundsätzlicher überdacht werden, wobei Technik-, Sach- und Abenteuergeschichtenorientierungen eben doch nicht fehlen sollten, vielleicht gerade um auf der anderen
Seite auch solche Buben für Literatur zu gewinnen, die sonst ganz »abschalten« würden.
➋ Nicht nur Bildungswerbung ist nötig, sondern auch eine spezifische Werbung männlicher junger Leute für kulturelle Berufe, nicht zuletzt für das
Lehramt.
➌ Lesen ist nur ein Teil alltäglicher Arbeits- und Kulturpraxis. Lesen gehört in
das Ensemble von Sehen, Hören und Sich-Äußern, denn das Buch ist Teil
eines gleichermaßen medialen und kulturellen »Patchworks« geworden,
dessen Rolle und Funktion sich gegenwärtig ein Stück weit neu definiert.
Die Jugendlichen wirken an dieser Neudefinition entscheidend mit, indem
sie die Erwachsenenwelt spiegeln.
3. Was können wir tun und
Bilder vom Lesen
Nicht ein trauerndes und enttäuschtes Hinterhertragen des Buches wird
Heranwachsende motivieren, sondern der offene Blick auf eine längst existierende Lebenspraxis und – natürlich – das wirklich vorgelebte Beispiel,
denn darin drückt sich ja eine eigentliche Werthaltung aus. – Noch ein
letzter Blick auf Buben: sie verhalten sich alters- und geschlechtstypisch,
sie suchen eigene Herausforderungen und Träume, die sich mit Lesen verbinden lassen. Eine solche Motivation könnten wir Erwachsene ihnen
schon geben. Was also können wir tun?
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Was heißt Lesen?
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➊ Zunächst gilt es, den Wandel des Stellenwertes von Büchern hinzunehmen.
➍
➎
Zum Schluss eine Reihe von Bildern, die wie das
erste das Lesen selbst auf höchst unterschiedliche Art
thematisieren, und der Text eines jungen Autors:
Dem »Lesenden Philosophen« stelle ich den
»Gelehrten am Studiertisch« von Jan Steen
gegenüber: die Sanduhr ist abgelaufen, der Tod
drängt im Hintergrund herein. Die Frage aber
bleibt: Die Welt und das Leben, waren sie ihm
nur eine Weltkugel?
28
Ernest Meissoniers »Leser in Weiß«
genießt lesend im Lichte, das von
draußen kommt. Dieser männliche
Leser hat sich vom Schlachtengetümmel, das die Wandteppiche zeigen, längst abgewandt.
Zwei weibliche Leserinnen – von Henri
Fantin-Latour und von Alfred Stevens –
zeigen ganz unterschiedliche Weisen
des Lesens, ich frage, weiblichen
Lesens? Also Formen des Rückzugs ins
Evasorische?
Dass Lesen des Gesprächs bedarf, bei dem
man noch nicht einmal übereinzustimmen
braucht, zeigt Rembrandts Gemälde:
OBEN RECHTS, OBEN LINKS UND UNTEN RECHTS: MUSÉE D’ORSAY, PARIS
UNTEN LINKS: GEMÄLDEGALERIE, BERLIN
➌
LINKS: NATIONALGALERIE, PRAG; RECHTS: MUSÉE D’ORSAY, PARIS
➋
Die Expansion des Schriftlichen und Bildlichen in der gegenwärtigen Medienwelt relativiert das Buch und macht es zu einem Gebrauchsgegenstand
wie andere auch.
Die Konturierung der besonderen Lektüre, der sinnenhaften Freude und
spezifischer Buchlesesituationen trägt vielleicht die Chance in sich, auch
besondere Erfahrungen mit Büchern nach wie vor zu ermöglichen (auch im
Zeitalter permanenter Musikberieselung füllen sich Konzertsäle).
Eine (wieder) für Buben und Mädchen partiell differenzierende Lektüreauswahl, zumindest zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr, würde es erlauben, auf spezifische, genderbezogene Gegebenheiten einzugehen.
Die Deutschdidaktik muss wieder die Einheit von Lese- und Äußerungskompetenz strukturiert etablieren. Wesentlich dafür scheinen mir dafür
Modelle, die sich an wachsender Wahrnehmungsfähigkeit und steigender
Aufmerksamkeit/Wachheit für Phänomene der Textualität, der Textsorten
und der poetischen Gattungen und der ästhetischen Gestaltung orientieren.
Die Germanistik insgesamt muss möglicherweise ihr Selbstverständnis weiten: nicht nur kulturtragende Institution zu sein, sondern konkreten Anteil
an den Praktiken des Alltags und der Kultur zu nehmen, also durchaus im
Sinne einer gesellschaftlichen Dienstleistung.
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Und Mariya Bashkirtsevas Bild verweist uns schließlich doch darauf, dass
Jugendliche nach der Schule, hier sind
es Buben, noch viele, viele andere Dinge
im Kopf haben und aushecken.
Abschließend als gewissermaßen literarische
Spiegelung ein einschlägiger Auszug aus Sven
Lagers Roman »Phosphor«.
Wozu überhaupt lesen, denkt sich Mikro wahrscheinlich. Kann man doch alles
ersetzen durch bunte Bilder und Sound. Womit er nicht ganz Unrecht hat. So
wie in »Fahrenheit 451«, diesem Science Fiction aus den Siebzigern, in dem
alle Bücher verboten sind. Wenn jemand mit Büchern erwischt wird, werden
die Bücher konfisziert und sofort verbrannt. Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht wird man sogar erschossen dafür, dass man Bücher hat.
Der Oberbücherverbrenner sagt nur, wozu Bücher? Alles, was ist, ist.
Wozu es beschreiben? Bücher lügen. Die Menschen in »Fahrenheit 451«
schauen alle Fernsehen oder lesen Bilderzeitung, die in dem Film leider ziemlich miserabel aussieht. Und gute Musik gibt es in dem Film auch nicht. Mit
guter Musik würde sich keiner beschweren, dass es keine Bücher gibt, und
Mikro würde der Film auch ganz gut gefallen.
Außerdem gäbe es weniger Bücher und für jedes Buch, jedes heimliche
Buch, müsste man einstehen, weil man dafür an die Wand gestellt werden
29
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kann. Es gäbe auf keinen Fall jedes Jahr Millionen neuer Bücher darüber, wie
man das Rauchen aufgibt oder mit dem neuen Windows umgeht. Dafür würde
keiner sterben wollen. Das ist es, was ich Mikro immer zu erklären versuche,
dass man für ein gutes Buch sterben wollen kann. Für einen guten Remix
würde er auch sterben, wie man das so sagt. Aber er sagt ja nichts. Und er
liest nicht.
Noch schlimmer als Militär oder Zivildienst wäre für Mikro ein Job in
einem Antiquariat. Eine regelrechte Strafkolonie wäre das für ihn. Schlimmer
als jeden Tag Liegestütze, im Schlamm robben oder Abspülen in einem Altersheim. Viel schlimmer als ohne Geld und sogar noch schlimmer als ohne Musik.
Ich frage ihn, »schlimmer als AIDS?« »Ja«, meint er, »schlimmer als AIDS.«
Nichts Toteres gibt es für Mikro als Bücher.
»Pass auf, Mikro«, sag ich zu ihm und er ist gut einen Kopf kleiner als ich
und wir gehen gerade auf dem dunklen Bürgersteig zum Sexyland.
»Vergiss alles, was du gelernt hast in der Schule, damit endlich wieder
freie Sicht ist. Und dann, Mikro, siehst du die kleinen Sachen wieder, die es
dir antun. So wie du einen Sound findest oder ein Stück auf einer Maxi, das
dir mehr bedeutet als alles andere und das du nur auf der dritten oder siebten
CD findest und nicht auf der hundertachtzigsten im größten Musikstore Europas. Mit dem Lesen ist es genauso.«
Viele Menschen stehen auf der Straße und Mikro geht jetzt dicht hinter
mir. Ich pflüge ihm einen Kanal durch diese Leute, die vor den Cafés stehen
und trinken und denke, Größe ist es, ja die Größe, die man entdecken muss.
Auf dem Mickrigsten und Dümmsten steht: Größe. Und auf dem Schlichten und
Guten steht gar nichts, weil man seine wahre Größe erkennen muss. Mikro
denkt auch immer, es darf nichts kosten, aber das Gute muss teuer sein. Ein
Mischpult muss teuer sein. Und groß. Vielleicht würde er ja ein Buch lesen, das
so teuer ist wie ein großes Mischpult.
LITERATUR
Arnheim, Rudolf (3/2000): Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges.
Berlin, New York
Bredel, Ursula/Günther, Hartmut/Klotz, Peter/Ossner, Jakob/Siebert-Ott Gesine (erscheint bis
Mitte 2003): Handbuch der Sprachdidaktik, 2 Bde; dort die Artikel zum »Lesen«
Crary, Jonathan (1999/dt. 2002): Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur. Frankfurt/M.
George Steiner (1996, dt. 1997): »Der ungewöhnliche Leser«. In: Ders.: Der Garten des Archimedes.
Essays. München
Klotz, Peter (2000): Widerborstige Texte. Notwendigkeit und Aspekte einer Theorie der Repulsivität.
In: Wirkendes Wort, 5. Jg, Heft 3, S. 416-426
Klotz, Peter (2002): Dokumentation der »Regensburger Gespräche«. Bayreuth
Lager, Sven (2001): Phosphor. Köln
Müller, Jan Dirk (1996): Mittelalterliche Literatur im Deutschunterricht, in: Didaktik Deutsch,
Heft 1, S. 53-63
Neumann, Gerhard: Ein fast unendliches Spiel. In: Bosse, Renner (Hgg.) (1999): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg, S. 9
Spinner, Kaspar: Viele Veröffentlichungen dazu sowie etliche Nummern der Zeitschrift »Praxis
Deutsch« seit den 90er Jahren
Waldmann, Günter/Bothe, Katrin (1996): Erzählen. Stuttgart
Warning, Rainer (Hg.) (1975): Rezeptionsästhetik. München
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Was heißt Lesen?
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BILDNACHWEISE
Bashkirtseva, Mariya (1858 Gavrontsi -1884 Paris): The Meeting, 1884, Musée d’Orsay, Paris
Chardin, Jean-Baptiste-Siméon (1699 Paris -1779 Paris): Le philosophe lisant, 1734,
Musée du Louvre, Paris
Fantin-Latour, Henri (1836 Grenoble -1904 Buré): The Reader, 1861, Musée d’Orsay, Paris
Meissonier, Jean-Louis-Ernest (1815 Lyon -1891 Paris): The Reader in White, 1857,
Musée d’Orsay, Paris
Rembrandt (1606 Leiden -1669 Amsterdam): Der Mennonitenprediger Anslo und seine Frau,
1641, Gemäldegalerie, Berlin
Steen, Jan (1626 Leiden -1679 Leiden): Der Gelehrte am Studiertisch, 1665, Národní-Galerie, Prag
Stevens, Alfred (1823 Brüssel -1906 Paris): The Bath, 1867, Musée d’Orsay, Paris
Kurzbiografie Prof. Dr. Peter Klotz
Prof. Dr. Peter Klotz, geboren 1942 in
Regensburg, studierte nach seinem Abitur
1962 am Alten Realgymnasium München
Germanistik, Geschichte und Sozialkunde
für das Lehramt an Gymnasien. Neben
seiner Tätigkeit als Studienrat am städtischen Bertolt-Brecht-Gymnasium legte
er 1974 seine Promotion ab; von 1975 an
Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 1994 Habilitation. Seit 1998 ist Prof. Klotz als Ordinarius
für »Didaktik der deutschen Sprache und
Literatur«, seit 2002 auch als Dekan an der
Sprach- und Literaturwissenschaftlichen
Fakultät der Universität Bayreuth tätig.
Mitarbeit in der Hörspielabteilung des
Bayerischen Rundfunks, Forschung und
Lehre in der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur mit dem Schwerpunkt
Sprache für nahezu alle Schularten. Schulbuchautor seit 1979 beim Klett Verlag,
von 1982 bis 1984 beim Oldenbourg Verlag; Mitherausgeber u.a. der Zeitschrift
»Didaktik Deutsch« (ab 1996). Mehrere
Lehrerfortbildungsveranstaltungen überwiegend zu Themen der Grammatik, der
Textproduktion und -rezeption; Initiator
der »Regensburger Gespräche« zur intensiveren Abstimmung zwischen Universität
und Gymnasium in der Lehrerbildung.
Seit 1979 zahlreiche Veröffentlichungen zu linguistischen und
literaturwissenschaftlichen Themen
von Goethe bis Frisch, darunter:
● »Wie muß es da dem unverständigen Manne zumute gewesen
sein?«
Ein textlinguistischer Versuch zur
Textrezeption. In: W. Seifert (Hg.):
Literatur und Medien in Wissenschaft
und Unterricht. Festschrift für Albrecht
Weber zum 65. Geburtstag.
Köln-Wien 1987, S. 309-317
● »Von sprachlichen Wissensund Bewußtseinskonzepten. Oder:
Wir wissen mehr, als wir wissen.«
In: Österreichische Studiengesellschaft für Kinderpsychoanalyse (Hg.):
Jahrbuch 1991, Wien, S. 161-176
● Sprachliche Ästhetik entdecken.
Grammatik, Stimme und Textwirkung.
In: Praxis Deutsch 2002, H. 172, S. 3-56
● (Hg.) Dokumentation und Ergebnisse
der Regensburger Gespräche.
Empfehlungen für die Kooperation von
Hochschule und Schule, bezogen auf
das Lehramt an Gymnasien, Broschüre –
Sprach- und Literaturwissenschaftliche
Fakultät der Universität Bayreuth 2001
31
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Gedanken zum
Lesen und zur
Leseförderung
LES
LESEN
LESEN
ESEN
N
N
LERNEN
LERNEN
› DR. HARALD PARIGGER
Meine Damen und Herren,
als ich meinem Vater vor nunmehr 28 Jahren eröffnete, dass ich statt des
gewünschten Betriebswirtschafts- ein Germanistikstudium beginnen wolle,
zuckte er nur die Achseln und kommentierte: »Deutsch studiert man nicht,
das kann man.« – Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es bezeichnend
ist für das geringe Ansehen, welches das Fach Deutsch genoss und genießt,
auch dafür, wie wenig präzise es inhaltlich definiert ist, zumindest in den
Augen derer, die es von außen wahrnehmen, wie wenig selbstbewusst es
sich offensichtlich präsentiert.
Es gilt oft als ein Unterrichtsfach, das man als Schüler quasi nebenbei
erledigt, für das man, um im Mittelfeld zu schwimmen, weder Begabung
noch besonderen Einsatz zeigen muss, in das man alles hineinpacken kann,
was gerade gesellschaftlich brisant erscheint, und das sich ansonsten meist
mit redundanten Gegenständen befasst, die im Hinblick auf das »Leben«,
was immer das sein mag, keinerlei Bedeutung haben.
Man wird also, wenn man über Wege aus der Bildungsmisere nachdenkt, über die Leseförderung hinaus in Zukunft auch über die Rolle des
Fachs Deutsch insgesamt im Rahmen dessen, was wir uns als »Bildung«
vorstellen, neu nachdenken müssen.
Dies nur als Vorbemerkung, denn im zweiten Teil meiner Streiflichter
werden ein paar Dinge anklingen, die in diese Richtung weisen.
Zunächst ein paar Beobachtungen, empirisch untermauert, freilich
statistisch nicht gesichert, Beobachtungen nur, die Fragen aufwerfen, keine
Antworten liefern.
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
Dr. Harald Parigger
1. Der Trend zum Zweitbuch ist rückläufig, oder:
Wie viele Kinder wachsen in bücherlosen Familien auf?
Als ich mich meiner unmittelbaren Nachbarin nach dem Einzug vorstellte,
brachte ich ihr eines von meinen Büchern als Gastgeschenk mit. »Danke«,
sagte sie, »ich stell’s gleich zu dem andern.«
In der Schrankwand befand sich, Frontseite zum Betrachter und von zwei
mächtigen Halbedelsteinen bekränzt, ein Bildband über »100 Jahre Daimler-Benz«. Das war »das andere« Buch. Zur Zerstreuung dient in diesem
Haus eine Stereoanlage, die indes kaum benutzt wird, und ein riesiger Bildschirm, der den ganzen Tag lang eingeschaltet ist, ganz gleich, ob jemand
zusieht oder nicht.
Die beiden Töchter der Familie waren nie mit einem Buch als Lesestoff in Berührung gekommen, bevor sie in der Schule ein solches kennen
lernten.
Glauben Sie nicht, dass es sich hierbei um eine Ausnahme handelt,
dass es dies nicht gibt in Familien, deren Kinder das Gymnasium besuchen;
bücherlos oder fast bücherlos leben auch Kinder in Akademikerfamilien.
Als puren Zwang empfinden viele von ihnen die Schullektüren, mühsam
quälen sie sich durch die für ihr Studium benötigte Fachliteratur. In ihrer
Freizeit spielen sie Squash oder Golf, Lesen bleibt für sie ein Leben lang
Arbeit, geht über das Diners-Club-Magazin oder den »Focus« nicht hinaus.
So wie sie keine Leseimpulse bekommen haben, geben sie auch keine an
ihre Kinder weiter.
2. Mit Mama ins Erlebnisbad, mit Papa auf die Sommerrodelbahn – aber wer erzählt noch Geschichten?
Ein Großteil unserer Kinder fährt Ski oder Snowboard, von Kindesbeinen
an: Im Wintersportort Saalbach etwa beginnen die Kurse ab drei Jahren.
Eine Fülle von Freizeitangeboten lockt, Bäder, in denen man sich einen
ganzen Sonntag lang wie in den Tropen fühlen kann, Freizeitzentren,
Sommerrodelbahnen, dazu hochtechnisiertes Spielzeug, Skateboards,
Mountainbikes usw., usw. In den meisten Häusern befinden sich Computer
mit Internetanschluss, Fernsehgeräte mit vierzig Programmen.
Diese vielfältigen Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen, haben
unschätzbare Vorteile:
➔ Sie sorgen z. B. für körperlichen Ausgleich, ohne den üblen Beigeschmack
von Arbeit zu haben;
➔ sie entspannen z. B., ohne vorher den Verstand zu beanspruchen;
➔ sie werden sozusagen geliefert und müssen nicht selbst erdacht oder
produziert werden;
33
Gedanken zum Lesen und Leseförderung
Dr. Harald Parigger
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➔ und, ganz wichtig, Bedürfnisse der Eltern und der Kinder sind in vieler Hinsicht deckungsgleich, Eltern müssen weniger Zugeständnisse an die Wünsche ihrer Kinder machen, weniger Extra-Zeit aufwenden.
Aber wer nimmt sich noch die Zeit, unter Hintanstellung seiner eigenen Bedürfnisse, seinen Kindern Geschichten zu erzählen? Beim Adventskaffee die Vergangenheit zu beschwören, beim Abendessen von den Geschehnissen des Tages zu berichten? Zusammen etwas zu lesen oder vorzutragen?
So verlernen die Kinder, dass das Leben aus Geschichten besteht.
3. Lesen lernen dauert lang: Die Durststrecken
auf dem Weg zur Leseratte
Es ist mühsam, die Buchstaben unterscheiden, zu Worten zusammenfügen
und zu Satzeinheiten verbinden zu lernen, nicht weniger mühsam, als zu
begreifen, was Zahlen sind und was man mit ihnen anfangen kann.
Wer überbrückt diese Durststrecke und wie? Wer macht ihnen begreiflich, dass das Ziel nicht nur im Erwerb einer Fähigkeit besteht, sondern
dass am Ende das Abenteuer »Buch« wartet? Wie viele oder besser: wie
wenige Kinder lesen in den ersten Jahren zu Hause oder in der Schule ein
Buch?
4. Schonung am falschen Platz: Die Unterforderung
der Kinder
Immer noch meinen viele, dem Geist der Kinder gleichsam nur Diät zukommen lassen zu dürfen: Hier ein Häppchen, da ein Häppchen, hier ein
Anekdötchen, da ein Ströphchen, dort ein Ausschnittchen. Nur keine
längere Ballade lernen, nur keine längere Geschichte nacherzählen, nur
kein ganzes Buch übers Wochenende lesen. Aber können Kinder das alles
nicht besser als wir Alten, brauchen Kinder nicht die Herausforderung,
die zu bewältigen sie mit Stolz erfüllt?
5. »Was lernen wir daraus?« Die abschreckende Wirkung
von pädagogisch wertvollen Kinder- und Jugendbüchern
Kein Land weiß ich, in dem Kinder- und Jugendliteratur so strikt abgekoppelt ist von der »richtigen« wie in Deutschland. Und dies vor allem dadurch, dass erstere von vielen (Lehrern, Lektoren, Buchhändlern, Eltern)
so zweckgebunden verstanden wird wie der »Kleine Katechismus«, die
Schulordnung oder die Fernsehsprechstunde bei Antje-Kathrin Kühnemann. Bücher für diese geplagte Klientel haben Wissen zu vermitteln oder,
schlimmer noch, eine »Botschaft« rüberzubringen, ein bisschen Frieden,
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
Dr. Harald Parigger
ein bisschen Toleranz, ein bisschen Sozialkompetenz, ein bisschen Umweltbewusstsein, unterhaltsam dargebracht von moralisch gefestigten Betroffenheitsschreibmaschinen: Das Buch zum Problem, viel Utilitas, umhüllt von
ein bisschen Delectatio, und alle sind glücklich. Nur die armen jungen Leser
nicht. Als ob die nicht auch und gerade Anspruch auf eine gute Geschichte
hätten, die darauf beruht, dass jemand etwas zu erzählen hat.
6. Übung macht den Meister, aber wer will schon üben,
oder:
Wer nicht laut lesen kann, kann auch nicht still lesen
Das Lesen und Lesenüben in der Schule ist aus der Mode gekommen. Viele
Lehrer/innen, die wissen, wie schlecht, wie leise, wie einschläfernd ihre
Schützlinge lesen (und zwar beileibe nicht nur die Kleinen!), scheuen sich,
sie lesen zu lassen, um das Klassenzimmer nicht in ein Dormitorium zu
verwandeln. Sie nehmen dabei (miss)billigend in Kauf, dass es so auch
nicht besser werden kann. In der Tat: qualitätvolles lautes Lesen erfordert –
neben, zumindest bis zu einer gewissen Fertigkeit hin, häuslichem Üben –
genaues Hinschauen, Konzentration, schnelle Verarbeitung, ja, Vorausdenken und Überblick. Wer hier keine Zeile ohne Stocken hinbringt, wer
sinnentstellende Fehler macht, wer gegen den Zusammenhang betont, bei
dem liegt der Verdacht nahe, dass er auch beim Stilllesen nichts oder nur
die Hälfte versteht.
7. Bloß cool bleiben: Das Verdrängen von
Gefühlen als Lesehindernis
Auch schon vor dreißig, vor fünfzig oder hundert Jahren war es in einem
bestimmten Alter sehr schwierig, bestimmte Dinge zu äußern. Wer von uns
hätte mit 15, 16 oder 17 nicht Schwierigkeiten gehabt zu sagen: »Ich liebe
dich«, oder auch nur: »Gehen wir heute Abend ins Kino« oder »ich habe
Sehnsucht...« Viel zu groß war die Angst, sich eine Abfuhr einzuhandeln,
zuviel von sich preiszugeben. Heute, so habe ich den Eindruck, hat sich
diese Angst verstärkt, ist – und zwar oft schon bei den 12- und 13jährigen –
zur freilich nur scheinbar mit Selbstbewusstsein gelebten Verhaltensnorm
geworden, vielfach dem Gruppenzwang unterworfen: Man muss »cool«
sein, alles andere wäre Schwäche. Das gilt auch für Geschriebenes: Nur
nichts an sich heranlassen, nur nicht, nicht einmal vor sich selbst, zugeben,
dass einen etwas bewegt.
Immer wieder habe ich erlebt, dass gerade Jungen eine Lektüre deshalb
ablehnen, weil sie etwas von ihnen fordert, inneres Engagement, Bewegtheit, Fragen an sich selbst, das sie nicht zu geben bereit sind.
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
Dr. Harald Parigger
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8. Vom Ausschlachten der Texte oder:
Non vitae sed schulaufgabae discimus
Einen Kollegen, Inhaber einer 6., 8. und 11. Klasse in Deutsch, die ihm von
mir liebevoll zugeteilt wurden, fragte ich neulich, wie es ihm gehe. Er entgegnete, »danke gut, ich hangele mich so von Schulaufgabe zu Schulaufgabe.« Gar keine schlechte Definition des Alltags nicht nur eines Deutschlehrers. Wir haben es tatsächlich geschafft, in unserer verrechtlichten
Schule die Schulaufgabe zur Hauptsache zu machen.
Ein paar willkürlich aus der Fülle ausgewählte Äußerungen dazu:
Lehrer: »Dafür haben wir jetzt keine Zeit, die Schulaufgabe droht.«
Vater anlässlich des Klassenelternabends: »Wichtig ist uns vor allem, was
die Kinder für Schulaufgaben schreiben.«
Schüler anlässlich eines Gesprächs über die griechischen Dichter und
Philosophen: »Wann machen wir denn jetzt endlich mit dem Stoff weiter?«
Schüler nach ein oder zwei Tagen vorher erfolgter Rückgabe einer Schulaufgabe beim Durchnehmen eines Gedichts: »Wann fangen wir denn mit
der Vorbereitung der nächsten Schulaufgabe an?«
Das gibt zu denken. Tatsächlich: Wenn z. B. in einer 6. Jahrgangsstufe
5 Schulaufgaben geschrieben werden, so bedeutet das mit Vorbereitung,
Schreiben und Besprechen allein sechzig Stunden. Sechzig Stunden für
etwas, das eigentlich das leistungsmessende Abfallprodukt eines Lernprozesses sein sollte. Dazu, etwa in der Mittelstufe, für Inhaltsangabe, Interpretation oder Protokoll, das Ausschlachten unzähliger poetischer Texte für
diesen prosaischen Zweck.
Lesefördernd wirkt das sicher nicht.
9. Wenn sich Vorurteile bestätigen: Fernsehen und
PC, die Energie- und Phantasiekiller
Dinge, die schon hundertmal gesagt worden sind, müssen hier nicht noch
einmal erwähnt werden. Unbestreitbar scheint mir zu sein, dass die ständige, oft überhaupt nicht dosierte Verfügbarkeit von vorgefertigten und
höchst einfach und immer nach denselben Schemata gestrickten Bildern,
Verhaltensmustern, Figuren, denen man sich nur zu überlassen braucht,
die Energie, sich selbst anzustrengen, sich ein Bild zu machen, zu reflektieren, unnötig machen. Wer sich daran gewöhnt, dem erscheint alles andere als unbequem.
Wie kommt es eigentlich, frage ich mich übrigens, dass mein Sohn,
wenn er am PC gespielt oder vor dem Fernseher eine einschlägige Serie
konsumiert hat, Berge von Abfällen hinterlässt, Joghurt-Becher, Krümelteller, Chips- und Gummibärchentüten, nichts dergleichen aber, wenn
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
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er ein packendes Buch liest?
Ob es nicht doch vor allem das Buch ist, von dem man wirklich im
Wortsinn »gebannt« sein kann?
Ein paar Gedanken, Anregungen vielleicht, die sich
aus meinen Beobachtungen ergeben.
1. Vorlesen, Vorlesen, Vorlesen! Vom Kindergarten
bis zum Abitur
Wenn man Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen oft genug die
Chance bietet, in eine andere Welt hineinzutauchen, wenn man sie anregt,
zuzuhören, regt man sie auch an zu denken – und vor allem: selbst zu
lesen! Vorlesen mit der ganzen Bandbreite von Stimmungen und Gefühlen,
die ein Text erfordert: Ein spannendes Kinderbuch, die »Anekdote aus dem
letzten preußischen Kriege« oder einer gelangweilten Elften vor der Lektüre des »Parfums« von Süskind die motivähnliche Erzählung »Bitch« von
Roald Dahl – was auch immer, die Zuhörer werden Appetit, vielleicht sogar
Hunger auf mehr bekommen! Das setzt freilich eines voraus:
2. Lehrer müssen lesen lernen, oder:
Kampf der gehemmten Vortragsweise
Was ich in ungezählten Lehrproben und Unterrichtsbesuchen an Textvorträgen gehört habe, das konnte man in den meisten Fällen bestenfalls als
frei von Lesefehlern bezeichnen. Im Prinzip hatten die meisten Lehrer/innen die gleiche Scheu wie ihre Schützlinge, Texte, ganz gleich welcher Art,
mit Temperament und Emphase vorzutragen.
Liest man aber eine Geschichte von Dickens wie einen Auszug aus der
Prüfungsordnung für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst,
wird sie niemanden anregen.
Das heißt, Lehramtsanwärter müssen professionell lesen und vortragen
lernen, und wenn’s die Seminarlehrer nicht können, müssen sie sich eben
jemanden engagieren, der es kann.
Ist der Lehrervortrag gut, ist aber nur ein erster Schritt getan.
3. Also: Schüler müssen lesen üben, oder:
Kampf dem Gestotter!
Was man in den Klassenzimmern an Lesevortrag hört, jagt einem Schauer
über den Rücken. Das gilt wohlgemerkt für alle Klassenstufen. Auch bei
den jährlichen Vorlesewettbewerben, die ich sowohl als Autor wie als Mitglied der Jury immer wieder begleitet habe, war die Bilanz bis auf Ausnahmen eher trübes Mittelmaß.
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
Dr. Harald Parigger
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Man muss also lesen üben. Aber richtig, nicht nach dem Motto »jeder liest
mal ein Stück« und bestenfalls mit Verbesserungen wie »Vor dem Komma
darfst du die Stimme nicht senken, es heißt »Gespür« und nicht »Geschwür«, »lies doch mal ‘n bisschen temperamentvoller, Maxi«. Sondern
didaktisch und methodisch wohlüberlegt, als richtige, geplante Lerneinheit,
immer wieder. Ziel ist dabei nicht nur der Erwerb einer technischen Fertigkeit, sondern ein »Sich-frei-Lesen«. Man wird feststellen: Es macht Spaß,
es baut Hemmungen ab und es hilft sogar gegen die Coolness!
4. Plädoyer für eine missverstandene Kunst:
Das Auswendiglernen von Gedichten
Mütter, die wütend im Direktorat anrufen und sich über die Folterung ihrer
Kinder beschweren, Väter, die einem vorwerfen, man wolle ihre Sprösslinge nur drillen – mit Methoden von vorgestern, es gibt wohl kaum etwas,
was dermaßen als Schikane, verübt von verständnislosen Deutschlehrern
an unschuldigen Kindern, angesehen wird, wie die Anmutung, ein Gedicht
– gar eine Ballade! – auswendig lernen zu müssen.
Ich weiß wirklich nicht, warum. Allerdings, eine Aufgabe wie: »Auf
Seite 72 im Lesebuch steht das Gedicht »Die Glocke« – das lernt ihr bis
übermorgen auswendig« würde ich, trotz des enormen Gedächtnistrainings,
das damit erfolgte, auch nicht für sinnvoll halten.
Aber ein Gedicht, dessen Metaphorik man begriffen, eine Ballade,
deren Klimax man besprochen hat, lernt sich gar nicht so schwer; oft genug
stellt man fest, dass die Schüler, trotz anfänglichen Murrens, das Auswendiglernen sozusagen als Sport begreifen und sich nach anfänglichem sich
Zieren geradezu drum reißen, das Gelernte präsentieren zu dürfen. Freilich
wird, nicht selten aus Angst vor der Reaktion der erzürnten Eltern oder der
Enttäuschung der Kinder, für die Gedächtnisleistung allein schon eine gute
Note gegeben. Damit wird die Chance vertan, das Auswendiglernen zu
nutzen als Schlüssel zum Verständnis von Gedichten. Wer Gedichte so versteht, dass er sie gut vortragen kann, unbelastet von der Ablenkung durch
das Gedruckte, wie ein Musiker, der ein Stück auswendig spielt, der wird
auch weitere Gedichte lesen und lernen wollen.
So ist der Vortrag von auswendig gelernten Gedichten echte Leseförderung.
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
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Deshalb muss der Mensch von Beginn seiner Schulzeit an an das Lesen gewöhnt werden. (Im Übrigen meine ich, dass Kinder durchaus auch im
Kindergarten schon Lesen lernen dürften, aber das ist ein anderer Punkt).
Pflichtlektüren für jeden, die besprochen, vorgelesen, nacherzählt, reflektiert werden, je nach Altersstufe, sollten, sobald die Lesefähigkeit erreicht
ist, zum festen Bestandteil der häuslichen Arbeit und des Unterrichts gehören. Spätestens auf dem Gymnasium muss es für jeden selbstverständlich
sein, dass er regelmäßig Bücher liest, die er mithilfe seines Lehrers auswählt
und über die er in eigenständigen Beiträgen berichtet.
Nur wer regelmäßig liest, wer viel liest, wer schnell lesen und das Gelesene schnell begreifen kann, erwirbt die Lesekompetenz, die unseren Kindern heute offenbar abgeht.
Nebenbei bemerkt ist diese Kompetenz mehr denn je unerlässlich für
den, der sich in der Informationsfülle des Internet zurechtfinden will.
6. Ein Wort gegen die Instrumentalisierung des
Deutschunterrichts und der Literatur
Toleranzerziehung, Friedenserziehung, Drogenerziehung, Sexualerziehung,
politische Erziehung, usw., usw., alles wichtige Dinge, und im Lauf der
letzten Jahrzehnte sind die Deutschlehrer auch wahre Meister in der Lernzielbündelung geworden. Aber ist es nicht manchmal ein bisschen viel, was
ihnen da zugemutet wird? Ist es, erstens, nicht, vereinfacht ausgedrückt,
manchmal genug, im Lateinunterricht Latein und im Deutschunterricht
Deutsch zu lernen – im weitesten Sinn des Wortes?
Muss sich, zweitens, auch noch Jugendliteratur in den Dienst der übergeordneten Lernziele stellen, mit Moral strotzenden Schulgeschichten,
Ethik triefender Problemliteratur oder unerträglichen Gutmenschpostulatsgeschichten?
Ich kann mich noch erinnern, wie ich als ganz junger Lehrer mir geschworen habe, meine Schüler/innen mithilfe von Ingeborg Engelhardts
»Hexen in der Stadt« zu besseren Menschen zu erziehen. Selbst wenn mir
das gelungen sein sollte – ich weiß es nicht – meine Stunden damals hatten
mit allem Möglichen zu tun, aber am wenigsten mit Literaturbetrachtung,
und lesefördernd haben sie bestimmt nicht gewirkt.
7. Muss die Schule alles machen?
5. Lesetraining: Pflichtlektüre von Anfang an
Lesen ist genauso Ausdruck des Menschseins, wie das von Schiller beschworene Spiel. Lesen muss deshalb Bestandteil des Alltags sein wie Essen
und Trinken, wie Spielen, Schlafen und der Vollzug der Körperhygiene.
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Es ist kostenlos, ein Gymnasium zu besuchen. Alle Lehrbücher werden
kostenlos gestellt, sogar die Fahrtkosten werden erstattet.
Vielen Eltern ist das noch nicht genug, sie möchten gern die Last der
Erziehung der Schule übertragen und ergrimmen, wenn sie eine Lektüre
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
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bezahlen sollen.
Aber Eltern müssen sich an der Leseförderung beteiligen, wenn sie
Erfolg haben soll, jedenfalls ist das in der Regel so, denn die heiße Leidenschaft für das Buch, die, glaubt man ihren Memoiren, so viele Prominente
gleichsam von selbst überfallen hat, war schon damals eher die Ausnahme,
umso mehr ist sie es im Medienzeitalter.
Eltern müssen also auch gegen Widerstände für eine bekömmliche
Dosierung des Fernseh- und PC-Konsums sorgen. Eltern müssen ihren Kindern Bücher schenken, auch wenn die lieber Turnschuhe von, was weiß
ich, welcher Marke haben wollen, die das ganze Budget aufzehren würden.
Eltern sollten schließlich ihre Kinder als Leser ernstnehmen und mit
ihnen über das sprechen, was sie gelesen haben. Das ist meist keine Frage
der sozialen Schicht. Das ist eine Frage des Interesses.
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Gedanken zum Lesen und Leseförderung
Dr. Harald Parigger
An ein Gymnasium (und nicht nur dorthin) gehören Veranstaltungen, die
ich als »Leseereignisse« bezeichnen möchte: »literarisches Frühstück« oder
nachmittägliches »Literaturcafé«, Lesenächte oder »literarische Spaziergänge«, Autorenlesungen bzw. Literaturtage.
Die Begegnung zwischen Lesern und Autoren kann der einen Lust am
Schreiben und der anderen Lust am Lesen ungemein beflügeln.
Wenn zwischen lesendem Autor und hörenden Lesern ein Gespinst
von Beziehungen entsteht, dessen Mittler das Buch ist, dann spürt man,
wie viel Kraft das geschriebene Wort hat. Das ist dann wirklich Leseförderung.
Kurzbiografie Dr. Harald Parigger
8. Was könnte anders sein im Deutschunterricht?
Nur ein paar ganz knappe Hinweise:
Es gibt Besseres als das Lernen im 45-Minuten-Takt. Immer wenn es
interessant wird, wenn Teams eingespielt sind, Ergebnisse vertieft werden
könnten, klingelt’s.
Schon die Doppelstunde ist von Vorteil für ein Fach, in dem gelesen,
diskutiert und längere bzw. schwierige Texte behandelt werden.
Im Rahmen der Schulentwicklung diskutieren wir darüber, ob es
nicht möglich ist, einen oder zwei Tage im Monat ganz für ein Fach freizuhalten, gestaffelt nach Fächern und Stufen. Für Deutsch könnte ich mir
solche »Ein-Fach-Tage« sehr gut vorstellen. Über die zahlreichen Schwierigkeiten, von der Stundenplangestaltung über die Lehrerversorgung bis
zur Pausenregelung, will ich mich jetzt nicht auslassen; aber es wäre machbar.
Mehr Hörbücher würde ich einsetzen, mehr vortragen und vortragen
lassen, denn Hören macht Lust auf Lesen.
Die Schulaufgaben, im Sinn von umfangreichen selbstständigen Arbeiten mit mehrstündiger Arbeitszeit, würde ich auf zwei pro Jahr beschränken – wenn ich es denn dürfte.
Kleinere, z. B. Essays, auch in Form von zu bewertenden schriftlichen
Hausaufgaben, in loser Folge ein paar Mal jährlich von jedem Schüler anzufertigen, würde ich stattdessen einführen.
Die Lese- und Vortragskunst würde ich regelmäßig bewerten, ebenso
wie, im Sinne der Begabtenförderung, zusätzlich angefertigte schöpferische
oder analytische Arbeiten. Grundlage der Jahresnoten würden auch die
Berichte über die Pflichtlektüren sein.
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Dr. Harald Parigger wurde 1953 in Flensburg geboren, studierte Deutsch, Geschichte und Sozialkunde für das Lehramt
an Gymnasien in Würzburg, wo er – ebenso
wie in Köln – nach seiner Promotion im
Fach Geschichte als Lehrbeauftragter tätig
war. Später unterrichtete er an mehreren
Gymnasien in Lichtenfels, Coburg, Bayreuth und München und versah daneben
von 1989 bis 1994 wissenschaftliche Aufgaben am Haus der Bayerischen Geschichte.
Im Anschluss an seine Funktion als Seminarlehrer für Deutsch am Maria-TheresiaGymnasium München trat er im August
2000 das Amt des Schulleiters am Gymnasium Grafing an.
In demselben Jahr veröffentlichte Dr.
Parigger das literarische Schreib-Projekt
»Dr. Usus rettet das Universum« (CD-ROM;
ebenfalls als Buch erschienen) und trat
auch zuvor schon als Autor zahlreicher
Jugendbücher in Erscheinung:
● Geschichte erzählt – Von der
Antike bis zum 20. Jahrhundert.
1995, Cornelsen Verlag Scriptor
● Der Galgenstrick. 2000, Ellermann Verlag
● Der Rubin des Königs. 2000,
Egmont Franz Schneider Verlag
● Im Schatten des schwarzen
Todes. 2001, Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv Junior)
● Der Turbo-Club/Trucker-Joe sieht
rot. 2001, Egmont Franz Schneider
Verlag
● Der Turbo-Club/Den Autoschiebern
auf der Spur. 2001, Egmont Franz
Schneider Verlag
● Der Turbo-Club/Crash auf dem
Nürburgring. 2001, Egmont Franz
Schneider Verlag
● Meine allerschönsten Schmunzelgeschichten. 2002, Egmont Franz
Schneider Verlag
● Tödliche Äpfel. 2002, Arena Verlag
● Die Hexe von Zeil. 2002, Deutscher
Taschenbuch Verlag (dtv Junior)
● Der Safranmord. 2002, Arena Verlag
● Der schwarze Mönch. 2002, Egmont
Franz Schneider Verlag
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Wege der
Leseförderung
aus der Sicht
der Stiftung
Lesen
WEG
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WEGE
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› PROF. DR. KLAUS RING
Ich habe die Aufgabe, »Wege der Leseförderung aus der Sicht der Stiftung
Lesen« darzustellen und möchte mit einer, zugegebenermaßen etwas allgemein gehaltenen, Grundthese beginnen:
1. Leseförderung benötigt sehr viel Zeit, braucht Geduld und Einfallsreichtum.
Lesekompetenz ist keine angeborene Fähigkeit, sondern kann nur über einen
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Wege Leseförderung
Prof. Dr. Klaus Ring
Beherrschung der Sprache bei Eintritt in die Grundschule ist – und die dazu
komplementäre Feststellung, dass wir aus schulmedizinischen Eingangsuntersuchungen wissen, dass heute etwa 20% der Kinder bei Schulbeginn
Sprachentwicklungsverzögerungen respektive -störungen aufweisen und
50% dieser Kinder zum Zeitpunkt der Untersuchungen sich bereits in fachtherapeutischer Behandlung befinden.
➔ Schließlich die Feststellung der Studie, dass neben der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit es die Lesekompetenz ist, die schulischen Erfolg begründet,
und zwar in allen Fächern.
➔ Summa summarum heißt dies, dass außer- und insbesondere vorschulische
Faktoren spätere Lernerfolge ganz wesentlich vorherbestimmen, und dass
hierzu gerade solche Entwicklungen zu rechnen sind, die bis zum Schuleintritt schon weit fortgeschritten sein müssten.
Da das so ist, und da wir aus neurobiologischer Sicht inzwischen zweifelsfrei wissen, warum das so ist, kommt der Prävention späterer Fehlentwicklungen, also ganz frühem Handeln, größte Bedeutung zu.
2. Meine zweite These lautet daher:
Leseförderung muss lange vor Schulbeginn ansetzen und kontinuierlich bis
in die Schulzeit fortgeführt werden. Sie muss greifen, solange die Kinder in der
Phase ihrer höchsten Prägungsbereitschaft sind. Spätestens bei Schulbeginn
müssen die Weichen gestellt sein.
Wir sehen es bei der Stiftung Lesen daher als unsere erste Aufgabe an,
frühe Leseerfahrungen – und das heißt: Vorleseerfahrungen, verbunden
mit Erzählen und anderem, was die Freude an Geschichten fördert – zu vermitteln. Primär wäre dies eine Aufgabe der Eltern.
langen und mühsamen Lernprozess erworben und bewahrt – und das heißt
auch: vermittelt – werden. Lesen bedurfte daher immer schon besonderer
Fürsorge und Beharrlichkeit.
Die Diskussion über das Lesen wird heute vor allem durch die PISAStudie bestimmt, von der auch ich bei meinem Beitrag ausgehen möchte.
Dabei sind mir folgende Befunde der Studie besonders wichtig:
➔ Die hohe Zahl lese-inkompetenter Schülerinnen und Schüler in Deutschland, die bei 23 Prozent der 15-Jährigen liegt;
➔ der geringe Anteil deutscher Schülerinnen und Schüler in der internationalen Spitzengruppe;
➔ der hohe Anteil derer, die von sich selber sagen, nicht freiwillig zu lesen
(52% der Jungen); anders ausgedrückt: das hohe Ausmaß an fehlender
Motivation.
➔ Die Feststellung, dass die Schlüsselkompetenz für schulischen Erfolg die
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3. Daraus ergibt sich These 3:
Leserkarrieren beginnen ganz früh in der Kindheit, in den Elternhäusern,
lange bevor die Kinder selber mit dem Lesen anfangen. Wem die elterliche Zuwendung fehlt, der hat kaum Chancen, sich zum nachhaltigen Leser zu entwickeln. Das Vorbild der lesenden Eltern ist kaum zu ersetzen. Vorlesen muss
zum normalen Tagesablauf gehören wie Essen und Zähneputzen.
Wie aber erreicht man die Eltern? Appellatorische Maßnahmen führen
meist ins Leere: Die Eltern, um die es besonders gehen muss, reagieren in
der Regel nicht. Und das sind inzwischen viele: Zwischen 1992 und 2000
hat die Zahl der Eltern, die sich um das Lesen ihrer Kinder kümmern, um
50% abgenommen. Heute sind es nur noch etwa 25%, die dafür sorgen,
dass ihre Kinder lesen. Dies wird sich ändern müssen. Eltern muss die Einsicht vermittelt werden, dass Untätigsein ihren Kindern schadet.
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Wege Leseförderung
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Welche Wege geht die Stiftung Lesen, an die Eltern heranzukommen? Sie
kooperiert beispielsweise mit niedergelassenen Kinderärzten. Etwa ein Drittel der Kinderarztpraxen in Deutschland – ca. 2000 von 6000 – arbeitet mit
der Stiftung inzwischen zusammen, um das Lesen in den Familien in Gang
zu bringen.
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Wege Leseförderung
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Trotz aller Bemühungen um die Eltern bleibt allerdings festzuhalten: Viele von
ihnen können – oder wollen – ihre Aufgaben nicht wahrnehmen.
4. Daher wird – und das ist meine nächste These – der Kindergarten auch im Hinblick auf die frühe Sprach- und Leseförderung Aufgaben der Elternhäuser
● Diese Kooperation ist wichtig, denn Kinderärzte haben bei den Eltern in der
übernehmen müssen, wenn die Kinder nicht dauerhaft benachteiligt werden
Regel eine hohe Autorität. Sie werden, wie wir wissen, zumindest für die
sollen. Insofern werden die Kindergärten zu zentralen Bildungseinrichtungen
Vorsorgeuntersuchungen von Müttern mit ihren Kindern einigermaßen regel-
werden, in denen den Kindern vor allem Bildungsfähigkeit vermittelt werden
mäßig aufgesucht. Die Mütter sind dabei gegenüber Ratschlägen aufge-
muss.
schlossen.
Soll dies geschehen, müssen vielerorts allerdings erst einmal die Voraussetzungen hierzu verbessert werden. Dazu gehört eine ausreichende
Ausstattung vor allem mit Büchern. Aber auch die Erzieherinnen selbst
müssen besser qualifiziert werden – in der Ausbildung ebenso wie in ihrer
Fortbildung.
Wie ist die Stiftung Lesen in diesem Feld engagiert? Basis ist ein vom
BMBF gefördertes, dreijähriges Forschungsprojekt, dessen Ziel es war, innovative Leseförderungsmodelle für Kinder, vor allem solche aus sozial
schwierigen Verhältnissen, zu entwickeln und mit einer großen Zahl von
Kindern und Erzieherinnen (ca. 850 Kinder, ca. 100 Erzieherinnen, 11 Kindergärten) zu erproben. Die Ergebnisse sind publiziert. Daneben entstand
als Handreichung für Erzieherinnen eine Mappenwerk (»Kinder wollen
Bücher«), welches sich im praktischen Einsatz bewährt hat und regelmäßig
aktualisiert wird.
Wichtigstes Folge-Projekt ist ein bundesweit angebotenes Fortbildungsprogramm, welches Erzieherinnen mit modernen Lese- und Sprachförderungsmethoden vertraut macht: Welche Bücher setze ich ein, wie schaffe
ich – auch im Trubel des Kindergartenalltags – die notwendige Atmosphäre
zum Vorlesen und Erzählen; wie werden Kinder zum kreativen Umgang
mit Geschichten angeleitet, wie wird ihre Neugierde »auf mehr« geweckt;
wie werden die Eltern eingebunden? Wie muss ein Kindergarten ausgestattet sein, wie seine Bibliothek, so dass Leseförderung intensiv betrieben werden kann? Und schließlich: Wie werden die Kinder auf den Übergang zur
Schule vorbereitet?
Fragen dieser Art stehen im Vordergrund, ganz praktisch orientiert. Die
Seminare werden durch drei Mitarbeiterinnen der Stiftung Lesen bundesweit durchgeführt, die dazu nötigen Fahrzeuge (»Vorlesemobile«) werden
durch Mitsubishi Motors Deutschland und die Deutsche Bahn AG als Projektpartner gesponsert. Die Veranstaltungen finden in Kindertagesstätten,
öffentlichen Bibliotheken, Schulen, diversen Sozialeinrichtungen, aber
auch Fortbildungseinrichtungen für Erzieherinnen statt. Jährlich können
● Wie binden wir die Ärzte ein? Im ersten Projekt, welches mit Kinderbuchverlagen als Partnern durchgeführt wurde und unter dem Titel »Macht die Kindheit
lebendig« lief, haben wir den Praxen kostenlose »Wartezimmerbibliotheken«
zur Verfügung gestellt, die dort zum Anschauen und Vorlesen genutzt wurden.
Die Ärzte selbst bekamen Ratgeberbroschüren zum Thema »Sprechen« und
»Vorlesen und Erzählen« zur Weitergabe an die Mütter in die Hand.
Diese Aktion wurde über alle Erwartungen gut angenommen und auch inhaltlich von den Ärzten sehr positiv kommentiert. Die Ratgeber erlauben den
Ärzten, die Eltern für das Thema »Leseerziehung« zu sensibilisieren und immer
wieder auch nachzufragen, ob den Ratschlägen auch gefolgt wird.
● Eine weitere Kampagne, die in der Vorgehensweise ähnlich aufgebaut ist, gibt
den Eltern Ratgeber nicht nur für Bücher, sondern auch für neue Medien –
Hörkassetten, Videos, DVDs etc. – an die Hand. Sie deckt einen großen Bedarf
ab und greift damit die Ratlosigkeit gerade verantwortungsbewusster Eltern
auf. Denn viele von ihnen fragen nicht nur sich selbst, sondern auch die Ärzte:
»Was ist gut, was ist schlecht für mein Kind? Wie komme ich mit der Jahr für
Jahr sich erneuernden Flut neuer Titel zurecht? Wie viele neue Medien ›verträgt‹ mein Kind?« Inzwischen bietet die Stiftung Lesen die Informationen für
Ratsuchende online an – und auch dafür sind die beteiligten Ärzte dankbar.
Nach wie vor erreichen uns zahllose Wünsche von Ärzten, diese Projektideen
auszubauen. Die Reaktionen sind dabei nicht auf Pädiater beschränkt, sondern
kommen ebenso von HNO-Ärzten, Neurologen, Gynäkologen und anderen Ärzten, die Kinder als Patienten haben. Sogar öffentliche Gesundheitsämter melden sich, um einbezogen zu werden.
Der Grund dieser breiten Zustimmung ist klar: Hier wird, für alle einsichtig, zum
frühestmöglichen Zeitpunkt präventiv gehandelt. Das Problem wird klar benannt, und es wird konkret dagegen vorgegangen. Die Kinder selbst reagieren
positiv, vielleicht sogar mehr als manchen Eltern lieb sein mag, denn sie wollen
– nachdem sie es einmal kennen gelernt haben –, dass ihnen zu Hause vorgelesen wird!
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Wege Leseförderung
Prof. Dr. Klaus Ring
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etwa 130 Seminare angeboten werden, viel zu wenig, um den Bedarf abzudecken, wie sich herausgestellt hat.
Aus diesem Projekt entwickelte sich ein weiteres – aus der Einsicht heraus, dass die Erzieherinnen angesichts der enorm ansteigenden Belastung
alleine die Aufgaben nicht mehr lösen können.
Die Stiftung Lesen hat daher vor einigen Jahren begonnen, nach ehrenamtlichen Helfern zu suchen und diese durch Fortbildungsmaßnahmen für
ihren Einsatz in Kindergärten, Schulen und öffentlichen Bibliotheken vorzubereiten. Inzwischen stehen für diese Aufgaben mehr als 2.600 »Vorlesepaten« zur Verfügung, verteilt über das ganze Bundesgebiet und zusammengefasst in einem »Club«, über den sie mit aktuellen Materialien versorgt werden. Zurzeit laufen in mehreren Bundesländern Projekte mit dem
Ziel, regionale Netzwerke aufzubauen, verbunden im Übrigen mit dem
Wunsch, auch den »Dialog zwischen den Generationen und Kulturen« zu
fördern. Die Erfolge sind ermutigend. Wir glauben, in der Summe mit den
beiden Projekten einen nennenswerten Beitrag zu der von den PISA-Autoren dringend eingeforderten Verbesserung der Vorbereitung der Kinder auf
den Schulbesuch leisten zu können.
5. Aber auch für die Schulen selbst hat die Stiftung Lesen Projekte entwickelt.
Der Bedarf hierfür ist lange bekannt und wurde durch PISA letztendlich nur –
erneut – bestätigt, allerdings auf spektakuläre Weise.
Die sich für unsere Arbeit ergebenden Thesen:
a. Schule gelingt es offensichtlich schlecht, die bei Vorschulkindern häufig so
eindrucksvolle und intensive Lust zu lesen und sich mit Geschichten zu beschäftigen, über die Schulzeit zu retten.
b. Einer der Gründe besteht darin, dass schulische Leseförderung vor allem als
schulpädagogische Aufgabe, eingebunden in curriculare Anforderungen
an Literaturvermittlung, gesehen wird und nicht genug auch als Bestandteil
privater Lebensgestaltung, von Freizeit also.
c. Deshalb ist die Erfahrung des Lesens – besonders von fiktionalen Stoffen –
im familialen Umfeld so wichtig. Für die »Institution« – Schule also – zu lesen,
scheint Schülern wenig attraktiv. Daher ist für die Förderung des Lesens das
kulturelle Klima vermutlich wichtiger als die rein erzieherische Absicht.
d. Schule muss deshalb nach neuen Wegen suchen, wenn sie die Freude am
Lesen und die Neugierde erhalten oder fördern will, die die Kinder aus dem
Kindergarten mitbringen. Dazu muss sie glaubwürdiger werden. Die Lehrer,
die offenbar selber wenig lesen, müssen Vorbilder sein, nicht nur im DeutschUnterricht. Sie müssen auch wissen, ob und was ihre Schüler lesen – das
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Prof. Dr. Klaus Ring
ist nicht die Regel, wie der Hauptautor der PISA-Studie, Jürgen Baumert, feststellt.
e. Schulen brauchen aber auch Orte für Bücher, Bibliotheken also. Hier gibt es
einen hohen Nachholbedarf, denn höchstens 20 % der deutschen Schulen verfügen über eine eigene Bibliothek. Die Bibliotheken müssen für alle erreichbar
sein, für simples Schmökern ebenso wie für die Beschäftigung mit anspruchsvollen Texten – literarischen, aber auch Sachtexten.
f. Schließlich muss Schule damit auch »Raum« geben für Programme, die den
normalen Unterricht in der Klasse ergänzen; für Projekte, die sich primär an
den Interessen der Schüler orientieren und an deren Ausgestaltung diese von
Anfang an beteiligt werden!
Traditionsgemäß – und ganz selbstverständlich – bilden die Schulen einen
zentralen Schwerpunkt der Projektarbeit der Stiftung Lesen. Seit Jahren
hat sie daher eine methodisch-didaktisch wie auch inhaltlich breite Palette
an Leseförderungsprojekten für diesen Bereich entwickelt und erprobt.
Bei der Vielfalt der Projekte kann hier nur auf wenige sehr selektiv eingegangen werden, soweit sie besonders typisch für die Art der Ansätze sind.
Für Details sei auf die Internetseite der Stiftung Lesen verwiesen:
http://www.stiftunglesen.de
Nahezu alle Projekte der Stiftung zeichnen sich durch bislang mehr
oder weniger ungewohnte Vorgehensweisen aus. Sie sind notwendigerweise außerhalb der normalen curricularen Programme angesiedelt, also als
additiv zu dem, was Lehrpläne in der Regel umfassen, zu sehen. Wenn die
Stiftung hiermit bei Lehrern positive Resonanz findet, dann vermutlich vor
allem deswegen, weil sie immer wieder neue Projektideen entwickelt, weil
sie flexibel auf die sich zum Teil rasch wandelnden Interessen der Schüler
eingehen und sich dementsprechend auch rasch korrigieren kann. Denn im
Vordergrund aller dieser Bemühungen steht, die Schüler dort anzusprechen, wo diese ihre Interessen sehen – als Individuen wie als Gruppen. Nur
dann lassen sie sich wirklich aktiv in Projekte einbinden. Damit geht die
Stiftung gezielt auf die PISA-Daten ein, wonach in der fehlenden Motivation zum Lesen eine der Hauptschwierigkeiten der Leseförderung liegt. Bei
der Kultur- und Bildungsferne vieler Jugendlicher und ihrer Familien sind
die »klassischen« kultur- oder bildungsbezogenen Argumente für Leseförderungszwecke sicher wenig sinnvoll.
Die Stiftung Lesen scheut sich daher auch nicht, gerade die durch
die PISA-Autoren besonders herausgestellten Problemgruppen über Eventgebundene Maßnahmen, wie sie andere Lebens- und Erfahrungsbereiche
längst prägen, anzusprechen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen,
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Wege Leseförderung
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dass in diesem Sinne popularisierende, Aufmerksamkeit bindende Ansätze sich durchaus eignen, eine so »ernste« Frage wie Leseförderung zu
behandeln. Natürlich bedarf es dazu attraktiver Themen, die die Fantasie
anregen und zum Mitmachen einladen – die Schüler, aber auch die
Lehrer.
Besonders bewährt hat sich ein Ansatz, Leseförderung im Medienverbund
zu betreiben. Grundlage dieser Idee ist das große Interesse, welches Jugendliche vor allem an Kinofilmen haben. Das Kino ist für viele der Treffpunkt
geworden, fast schon ein Kultort, insbesondere an Wochenenden. Da liegt
es nahe, das »Abenteuer Kinofilm« in das »Abenteuer Lesen« umzumünzen, die Begeisterung für das Kino als Trojanisches Pferd für Bücher einzusetzen.
Wie kann das funktionieren – für die Schule? Wir suchen mit Hilfe
von erfahrenen Lehrern, aber auch von »Testschülern«, Kinofilme aus, die
sich für die Behandlung im Unterricht eignen – für das Fach Deutsch, aber
keineswegs darauf beschränkt, denn Leseförderung muss eine Aufgabe aller
Fächer sein, bis hin zum Sport! Die Filminhalte werden dann für den Schulunterricht aufbereitet, Unterrichtsvorschläge erarbeitet und entsprechende
Unterrichtsmaterialien erstellt, die allen Schulen kostenlos zur Verfügung
gestellt werden, die sich beteiligen möchten. Entscheidend ist, dass zur
Bearbeitung der Themen Bücher, u. U. auch Zeitschriften gelesen werden
müssen. Häufig genug zählt zu den Aufgaben, eigene Texte zu erstellen und
die Anregung, sich an einem Schreibwettbewerb zu beteiligen, zu dem wir –
über unsere Projektsponsoren – sehr attraktive, die Interessen der Schüler
treffende Preise zur Verfügung stellen.
Große Erfolge waren Filme wie »Romeo und Julia«, »Sommernachtstraum«, »Herr der Ringe«, das »Sams«, um nur einige zu nennen. Die
größte Resonanz haben wir mit »Titanic« erzielt; die Themenvorschläge
konnten hier besonders breit angelegt werden: von Deutsch über Biologie,
Physik, Technik, Geographie bis hin zu Gesellschaftskunde. An dem abschließenden Wettbewerb haben sich über 260.000 Schüler beteiligt.
Sehr wichtig ist mir im Zusammenhang mit diesen Projekten, auf zwei
Aspekte hinzuweisen:
➔ Wir wünschen für diese Projekte, für die die Schüler häufig auch recherchieren
müssen, dass die öffentlichen Bibliotheken einbezogen werden, die in der
Regel gerne mitmachen, da sie von der Aufmerksamkeit nicht nur profitieren,
sondern als Orte der Anregung und des Lernens oft genug überhaupt erst entdeckt werden.
➔ Ebenso wünschen wir uns aber auch die Beteiligung der Buchhandlungen, die
durch die Themensetzung Gelegenheit bekommen, spezielle Büchertische mit
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Wege Leseförderung
Prof. Dr. Klaus Ring
eigenen Lernanregungen aufzubauen. So kann der eine wie der andere von der
Popularität der Filme profitieren.
Ein durchaus gewollter Nebeneffekt derartiger Projektansätze besteht
darin, Möglichkeiten zu vermitteln, sich mit den Medien selbst, Filmen also
wie Büchern, vergleichend zu beschäftigen und auf diese Weise medienkundlich zu arbeiten. Die Unterrichtsmaterialien machen auch hierzu Vorschläge. Die Schüler können damit sogar von Medienkonsumenten zu
Produzenten werden – durch Schreibspiele im Unterricht bis hin zu Drehbuchwettbewerben. Es gibt also Anregungen genug, zu lesen und darüber
hinaus Fantasie für eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Diese, hier nur knapp beschreibbare Art von Handlungsorientierung
ist durchweg Grundprinzip fast aller Projekte der Stiftung Lesen. Insofern ist
die Schilderung der Kinoprojekt-Idee als eines unter vielen anderen Beispielen zu verstehen.
Die Stiftung Lesen als eine außerhalb der Schulen angesiedelte, private
Einrichtung wäre einflusslos, würde sie nicht versuchen, in Abstimmung
mit den Schulen und ihren Trägern, den Ministerien, zu handeln. Dies versucht sie, mit durchaus unterschiedlichem Erfolg, was einzelne Bundesländer betrifft. Besonders wichtig ist uns die Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern. Um dies dauerhaft zu erreichen, hat die Stiftung Lesen
vor zwei Jahren eigens einen »Club« gegründet, das »Ideenforum Schule«,
der interessierten Lehrern kostenlos zur Verfügung steht und bundesweit
inzwischen ca. 7.000 Mitglieder zählt. Finanziert wurde diese Einrichtung
bislang durch die ZEIT-Stiftung und die Kulturstiftung der Commerzbank.
Die Mitglieder erhalten über den Club frühzeitig Informationen über Leseförderprojekte, die sich in Entwicklung befinden; sie werden mit didaktischen Materialien versorgt, bekommen aber auch, soweit technisch möglich, Zugang zu den Vorab-Vorführungen von Filmen, die die Stiftung Lesen
gegebenenfalls für Unterrichtsprojekte vorschlagen wird. Umgekehrt erhält
die Stiftung wichtiges Feedback, nämlich das Urteil der in der Regel sehr
engagierten und aufmerksamen Pädagoginnen und Pädagogen über einzelne Projekte.
Einen anderen Versuch, den Clubgedanken für die Leseförderung zu
nutzen, stellen die »Leseclubs« dar, die wir an einzelnen Schulen, aber auch
kirchlichen oder kommunalen Sozialeinrichtungen eingerichtet haben. Aus
Platzgründen kann hierauf nur ganz kurz eingegangen werden.
Diese Clubs sind Schülerinnen und Schülern offen. Sie werden von
Erwachsenen betreut, in der Regel von Lehrern. Sie sind ausgestattet mit
Büchern, häufig auch Zeitungen und Magazinen, in neuerer Zeit teilweise
auch mit Personalcomputern. Mit Hilfe solcher Clubs soll die Kluft zwischen
49
Wege Leseförderung
Prof. Dr. Klaus Ring
LESEFORUM BAYERN
Schule und Freizeit überbrückt werden. Schule wird hier nicht als Ort gezielten Lernens und am Ende auch von Notengebung verstanden, sondern
als ein Ort von Freizeitgestaltung zum Zweck der Anregung zum Lesen, der
Beschäftigung mit Literatur, aber auch anderen Themen, die sich über das
Lesen erschließen und vertiefen lassen. Sie können so – wenn es gelingt –
zu Orten der Diskussion über Gelesenes werden. Insgesamt betreuen wir
über 600 solcher Clubs in Deutschland. Manche Schulen beherbergen inzwischen zwei oder drei Clubs, die oft genug Bemerkenswertes leisten und
Vorbild für weitere werden.
Mit diesen wenigen Beispielen aus der praktischen Arbeit der Stiftung
Lesen sei der Bericht abgeschlossen. Die Projekte haben Erfolg sicher auch
deshalb, weil sie einerseits unkonventionell sind, andererseits die Interessen
der Zielgruppen unmittelbar ansprechen und zum Mitmachen einladen.
Auch nach PISA gilt, dass zum Verzagen kein Grund besteht, wenn man
nahe genug an den Interessen der Schüler bleibt und sie zum aktiven Mitmachen einlädt.
LESEFORUM BAYERN
Gutenberg-Galaxis
und Cyberspace
Die Rolle der Bibliotheken und Buchhandlungen bei der
Leseförderung
BIBLIO
BIBLIO
O
› DR. ERICH JOOß
Kurzbiografie Prof. Dr. Klaus Ring
Prof. Dr. Klaus Ring, geboren 1935,
ist von Beruf Biochemiker. Nach
seinem Abitur 1953 in Essen studierte er Mikrobiologie und Biochemie an den Universitäten
Göttingen und Kiel. Promotion
1962, sechs Jahre später Habilitation; Verfasser des Lehrbuchs der
Physiologischen Chemie.
Seit 1988 ist Prof. Ring Mitglied
mehrerer in- und ausländischer Akademien, des Wissenschaftsrats Köln, des
Unternehmensbeirats der Messe Frankfurt
GmbH, der Vollversammlung der IHK
Frankfurt, des Kuratoriums der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH, des Kuratoriums der Villa Vigoni Menaggio sowie des
Programmbeirats Rundfunk (Radio FFH).
Von 1986 bis 1994 war er als Präsident der
Johann-Wolfgang-von-Goethe-Universität
Frankfurt tätig, im Anschluss daran übernahm er die Geschäftsführung der Stiftung
Lesen, die von Firmen, Mäzenen und vier
50
Bundesländern getragen wird. Die Stiftung
Lesen unterstützt mit jährlich ca. 2 Millionen Euro Literaturprojekte vor allem für
Kinder und Jugendliche.
»Pisa«, das ist für Klaus Ring klar, »ist eine
Momentaufnahme des Könnens«. Und
fehlendes Können komme vom fehlenden
Tun. Vom Sprechen und Lesen. Kinder
müssten bis zur Einschulung die Sprache
beherrschen, dann komme die Lesekompetenz als zweite Säule der Bildung. Und
deswegen wird der Geschäftsführer der
Stiftung Lesen nicht müde zu predigen,
dass der »Weg zum Lesen ganz früh beginnen muss«. Eines der Basisprogramme
der Stiftung Lesen heißt: »Lesen ist Familiensache«. Zunächst seien die Eltern verantwortlich, dann die Kindergärten und
dann erst die Schulen. In der anekdotenreichen Runde wusste er die Antwort eines
14-Jährigen beizutragen, der gefragt worden war, was Kultur sei. »Kultur ist«, so die
Antwort, »wenn man freiwillig liest«.
Der Titel meines Vortrages hat mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Mit seinen Formulierungen liegt er zweifellos im Trend. Aber im letzten Jahrzehnt
konnten wir so viele Trends erleben wie nie zuvor und diese Trends sind
schneller vergangen als je zuvor. Erst vor wenigen Jahren haben renommierte Institute das rasche Zusammenwachsen des Homecomputers mit
dem Fernseher prognostiziert und daraus enorme wirtschaftliche Impulse
abgeleitet. An der Verfallszeit dieser Prognose durften wir alle teilnehmen.
So verhält es sich auch mit anderen Prognosen. Wahrscheinlich sind weite
Teile der Internetindustrie an überzogenen Innovations- und Wachstumserwartungen zugrunde gegangen. Also spreche ich heute zwar von der Gutenberg-Galaxis, aber ich meine damit die immer noch unübertroffenen
Möglichkeiten der Lesewelten. Natürlich haben sich diese Lesewelten unter
dem Druck der fortschreitenden Digitalisierung verändert. Auch die Büchereien und Buchhandlungen müssen der Entwicklung Rechnung tragen.
Sie verwandeln sich gegenwärtig, soweit es die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zulassen, in Einrichtungen, die neben dem Buch alle gängigen
Offline-Medien und zusätzliche Online-Nutzungen anbieten.
Lassen Sie mich nach dieser notwendigen Vorbemerkung mit einer
provozierenden Feststellung beginnen, die Eugen Biser vor einigen Jahren
getroffen hat. Er sprach von einer »neuen Form des Kannibalismus« und
51
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
LESEFORUM BAYERN
behauptete, die elektronischen Medien seien im Begriff, die alten Printmedien zu verschlingen und damit unsere tradierte abendländische Kultur zu
zerstören. Diese These, so einleuchtend sie auf den ersten Blick sein mag,
bleibt jedoch die Antwort schuldig, wie eigentlich sich der Mensch in unserem Medienzeitalter bewegen soll. Der radikale Rückzug in eine Nische der
Schriftkultur, die Ausgrenzung der elektronischen Medien, kann jedenfalls
nicht die Antwort darauf sein. Denn eine solche Verweigerung würde
zwangsläufig zur medialen Unmündigkeit führen …
Heutzutage muss es – den Bibliotheken wie den Buchhandlungen –
viel eher darum gehen, die alte Konkurrenz zwischen Bild und Buchstabe
aufzuheben. Im Internet ist sie ohnehin bereits aufgehoben. Wer das Buch
noch immer als kulturelles Leitmedium propagiert, schadet ihm mehr, als
dass er ihm nützen würde. Hierarchisierungen dieser Art machen das Buch
in den Augen der Heranwachsenden zu einem musealen Objekt, das es
ganz und gar nicht ist. Gerade weil es nach wie vor unausschöpfbare Möglichkeiten bietet und uns weit ins Phantastische hinaustragen kann, sollte
es nicht zu sehr pädagogisch instrumentalisiert werden. Je mehr wir die
Wichtigkeit des Buches betonen, umso mehr erwecken wir den Eindruck,
dass es rettungsbedürftig, also eigentlich bereits verloren ist. Das sage ich
ganz bewusst als Buchmensch, der mit Büchern aufwuchs und den die
Bücher nie mehr in seinem Leben losgelassen haben.
Genauso wenig darf das Buch aber – ganz zeitgeistig – der digitalen
Hybris geopfert werden. Ein Beispiel dafür ist die 1995 veröffentlichte Erklärung der Bundesvereinigung deutscher Bibliotheksverbände, die völlig
zu Recht fordert, dass die Bibliotheken »zu Servicezentren der digitalen
Information ausgebaut werden« sollen. Gleichzeitig fehlt der Erklärung aber
jeder Bezug auf das Buch, das in seiner eigenständigen kulturellen Rolle gar
nicht erst reflektiert wird. Wir wären heute schon froh, wenn nicht noch
weitere Büchereien geschlossen oder ihre Etats empfindlich gekürzt würden. Haushaltszwänge sind der eigentliche Feind jeder institutionalisierten
Kultur. Beide – Eugen Biser mit seiner These und die Schrift der Bibliotheksverbände – markieren Extreme. Wer über digitale Informationen und
Cyberspace redet, darf das Buch nicht ausklammern und wer über das Buch
redet, muss dessen Rolle in der Medienwelt immer wieder neu überdenken
und notfalls diese Rolle auch neu definieren.
Ich möchte nun gerne einen Exkurs einschalten und dabei an eine
selbstverständliche Erkenntnis erinnern. Adolf Spemann hat hierfür die
beste Formulierung gefunden: »Niemand kann uns zwingen, ein Buch zu
lesen. Dies kann nur das Buch selber.« Obwohl wir bereit sind, der Maxime
sofort zuzustimmen, handeln wir nur selten nach ihr. Es sind die Bücher,
52
LESEFORUM BAYERN
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
die erst die Leser machen und es sind übrigens auch die Bilder, die erst die
Seher machen. Leseförderung muss also, wenn sie Erfolg haben soll, ganz
bewusst Buchförderung sein. Von dieser Erfahrung zehrt der Buchhandel
genauso wie die Büchereien. Ich glaube jedenfalls: Wir reden viel zu viel
über die Leseförderung und viel zu wenig über die Bücher, die es zu lesen
lohnt. Im Umkehrschluss ließe sich fragen: Reden wir deshalb so gerne und
so unverbindlich von der Leseförderung, weil wir im Ernstfall gar nicht
wüssten, über welche Bücher wir eigentlich reden sollten? Wann haben wir
zuletzt ein Buch gelesen? Wann hat uns zuletzt ein Buch beeindruckt oder
geärgert?
Bibliothekare leben davon, dass sie Bücher gezielt herausstellen und
weiterempfehlen. Besonders erfolgreich sind Büchereien dort, wo sie dem
Urteil ihrer jungen Leser ein Forum geben: sei es in Form eines Literaturclubs oder auch nur durch Gesprächs- und Denkanstöße am Schwarzen
Brett. Warum sollten Büchereien ihren Internet-Auftritt nicht erweitern
um einen literarischen Chatroom, eine elektronisch organisierte Bücherdebatte? Das geschieht noch zu wenig. Dabei wissen wir, dass nichts die Leselust der Jugendlichen so sehr stimuliert wie Buchempfehlungen durch
Gleichaltrige. Büchereien könnten und können hierfür einen pädagogikfreien Kommunikationsraum bereitstellen. Die eigene Lesebiographie ist
immer mit anderen Lesebiographien verbunden, steht mit ihnen in einem
unauflöslichen Zusammenhang. Diese Erkenntnis sollten wir nutzen!
Meine Damen und Herren! Bis hin zum wöchentlichen Politbarometer
werden wir mit Statistiken überfüttert. Wir sind eine statistisch durchleuchtete, statistikgläubige Gesellschaft geworden. Das dient zuallererst dem
florierenden Wirtschaftszweig der Meinungsforschung. Auch wenn wir den
statistischen Befund ernst nehmen müssen, dass die tägliche Lesezeit bei
den Kindern und Jugendlichen kontinuierlich abnimmt, bleibt trotzdem die
Frage: Welche Art von Lesen meinen wir eigentlich? Was wurde gelesen?
Welche Leseleistung ist erbracht worden? Gerade weil jede Art des Lesens,
vom literarischen Lesen bis zum Info-Lesen, seine eigene, unterschiedliche
Berechtigung hat, dürfen wir das Qualitätsproblem nicht einfach aussparen.
Statistiken, die die Frage nach der Lektüre und der jeweils besonderen Leseleistung übergehen, verdienen darum erst einmal unser Misstrauen.
Büchereien und mittelständisch geprägte Buchhandlungen sind, was
die Qualitätsfrage angeht, weniger gefährdet als Großbuchhandlungen und
Kettenläden. Skeptisch sollte man überall dort sein, wo der Umsatz fast ausschließlich mit schnell drehenden Titel gemacht und die gewollte Dürftigkeit des Angebots durch geschickt drapierte Mehrfachexemplare der immer
gleichen Bücher verschleiert wird. Ein guter Teil der Misere unserer literari53
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
LESEFORUM BAYERN
schen Kultur hat mit Marktmechanismen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen wie Kapitalbindung und Umsatzrendite zu tun. Buchhändler,
die dennoch das Besondere, Nicht-Alltägliche anbieten (und solche Buchhändler gibt es!), sind deshalb auf engagierte, kriterienbewusste Kunden
angewiesen – und damit auf die Heranbildung kundiger Leser in den Familien, Schulen und Büchereien. Das ist ein Zirkelschluss, auf den in der
Leseförderung immer wieder hingewiesen werden muss. Wie überhaupt die
Diskussion über die Leseförderung viele Aporien kennt! Wie bekommen
wir beispielsweise Kinder zum Lesen, deren Eltern nicht mehr lesen, weil
schon ihre eigenen Eltern nicht mehr gelesen haben? Es gibt hier familiäre
Konstellationen oder besser: Verfestigungen, die sich kaum noch aufbrechen lassen …
Rechtzeitig zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse 2002 trug ein Leitartikel der »Zeit« die Überschrift: »Land ohne Leser«. Solche schlagworthaften Verkürzungen sagen vielleicht mehr aus über unsere resignative Seelenlage als über den Zustand der Buchkultur in unserem Lande. Noch immer melden die Büchereien steigende Entleihzahlen und die Einbrüche im
Buchhandel sind hoffentlich auch nur – wenngleich schmerzhafte – Konjunkturdellen. Trotzdem dürfen wir die Alarmzeichen nicht übersehen.
Spätestens seit der PISA-Studie wissen wir, dass es einen nachweisbaren
strukturellen Zusammenhang gibt zwischen dem Länder-Ranking bei der
Bewertung der Lesefertigkeiten und dem Ausbau der öffentlichen Büchereien bzw. der Schulbüchereien in diesen Ländern. Für beide Büchereitypen, nicht bloß für die Schulbüchereien, besteht in Deutschland noch ein
hoher Ausbaubedarf und ein noch höherer Bedarf an Vernetzung, die vielerorts gar nicht oder nur in Ansätzen realisiert ist. Dabei gäbe es für solche
Vernetzungen viele erprobte Kooperationsmodelle – ausführlich beschrieben in genauso vielen Veröffentlichungen.
Als einziger Flächenstaat in der Bundesrepublik gewährt Bayern eine
nennenswerte Büchereiförderung. Gerade weil diese staatliche Bezuschussung in den letzten Jahren kontinuierlich zurückging, ist der kritische Blick
auf die Versorgungsunterschiede im Land und auf die unterschiedliche, im
Übrigen stark nachlassende Finanzierungskraft der Träger notwendiger
denn je. Er lehrt uns, vorsichtig zu sein mit Vollzugsmeldungen. Wer ein
Land der Leser will (und diese Länder existieren tatsächlich!), muss auch
die strukturellen Voraussetzungen dafür schaffen. Das kostet, neben Enthusiasmus, sehr viel Geld. Lassen Sie mich eine weitere unbequeme Feststellung anfügen: Das gegenseitige Schielen auf Fördertöpfe hilft weder den
öffentlichen Büchereien noch den Schulbüchereien. Sicherlich verheerend
wäre hier eine Konkurrenz um die ohnehin unzureichenden Fördermittel.
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LESEFORUM BAYERN
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
Anders ausgedrückt: Aus dem staatlichen Zuschussetat der öffentlichen
Büchereien, der selbst notleidend ist, kann der längst fällige Ausbau der
Schulbüchereien nicht finanziert werden. Dazu bedarf es gezielter Verhandlungen mit den Sachaufwandsträgern. Ohne deren Einbindung bleiben
nämlich alle Verbesserungsvorschläge Makulatur …
Leistungsfähige, öffentliche Büchereien und Buchhandlungen gehören
zu den Kulturträgern. Sie bilden die erweitere Leseumgebung der Kinder
und Jugendlichen, machen neugierig auf Bücher, geben Leseimpulse, ermöglichen Teilhabe am riesigen literarischen Angebot und leisten Orientierung. Das Erlebnis der großen Auswahl, das heute fast jede öffentliche
Bücherei und jede gute Buchhandlung garantiert, ist freilich mit Schwellenhemmungen versehen. Denn Kinder und Jugendliche brauchen eine
kundige Begleitung und Einführung, wenn sie erstmals Büchereien und
Buchhandlungen besuchen. Dann ist die Chance hoch, dass sie das Buch
finden, das am Anfang ihrer eigenen Lesebiographie steht oder diese in eine
andere Richtung lenkt. Dann sind sie auch in der Lage, eigene Wege durch
die verwirrende Gutenberg-Galaxis einzuschlagen. Eine entscheidende
Rolle spielt dabei der Wunsch der Kinder und Jugendlichen, selbst Bücher
zu besitzen. Die kleine, mit dem Lebensalter wachsende Privatbibliothek ist
kein bildungsbürgerliches Privileg vergangener Zeiten, sondern elementare
Voraussetzung für eine lebenslange Beziehung zum Buch. Es lohnt sich,
an diese banale, aber weithin verloren gegangene Erkenntnis zu erinnern.
Anstöße zum Lesen erfolgen oft genug durch das erste Buch, das an Weihnachten unter dem Gabentisch liegt oder das ein Kind bei einer Büchereiveranstaltung bzw. in einem Schulwettbewerb gewinnt. Wo so viele Verlegenheitspreise ausgesetzt werden, wäre das Buch eine gute Alternative.
Jede Kultur, auch die Lesekultur, ist auf Zeichen und auf zeichenhaftes
Handeln angewiesen …
Und noch eine Selbstverständlichkeit: Die Leseförderung braucht, damit sie überhaupt funktioniert, ein Netzwerk von unterstützenden Personen und Aktivitäten. Wir haben in Bayern beispielsweise eine erfolgreiche
Musikförderung mit Musikschulen bereits in kleineren Gemeinden und wir
haben eine lebendige Heimatpflege mit vielen Vereinen. Alles wird gepflegt:
die Denkmäler und die Trachten, das Hackbrett und die Geschichtswerkstatt, die Gebirgsschützen und die Biotope. Aber wo bleibt die Literaturpflege? Wo bleiben die Leseklubs, die literarischen Zirkel, die Märchenkreise
oder die regelmäßigen Treffen der Büchersammler? Hier könnten die
Büchereien und Buchhandlungen mit Gründungseifer vorangehen. Manchmal tun sie es auch schon, jedoch nur sehr verhalten. Wenigstens für die
Autorenbegegnungen, die »Bayern liest« und der Bödecker-Kreis initiieren,
55
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
LESEFORUM BAYERN
gibt es ein stetig wachsendes Interesse. Solche Begegnungen liefern Kindern
und Jugendlichen Identifikationsmöglichkeiten und im besten Fall spielerisch-kreative Anregungen zu eigenen literarischen Streifzügen.
Offensichtlich gibt es eine ganz spezifische Disposition des lesenden
Menschen: Er liebt das Leben zwischen zwei Buchdeckeln und macht nicht
gerne auf seine individuellen Lebenswünsche aufmerksam. Vielleicht sind
die Leser mit ihren Interessen deshalb in der gesellschaftlichen Diskussion
nicht oder kaum existent. Vielleicht begegnen sie deshalb auch allen Events
rund um die Leseförderung, allen öffentlichen »Leselustbarkeiten« mit
Skepsis. Was ich hier kritisch anmerke, hat freilich auch seine positive
Kehrseite. Heutzutage wird oft vergessen, dass das Lesen die Fähigkeit des
Menschen stärkt, Stille auszuhalten. Diese Fähigkeit entscheidet letztlich
darüber, ob wir uns selbst auszuhalten vermögen und wie tief wir über uns
und die Welt nachdenken können. Stille, dieses Mal bei den Zuhörern, ist
auch die Vorbedingung für das Vorlesen und Erzählen. In einer kleinen
schwäbischen Gemeinde ist mir einmal ein junger Bürgermeister begegnet,
der in seiner Bücherei regelmäßig vorlas. Er hatte sich die Überzeugung von
Willi Fährmann zu eigen gemacht: »Laufen haben wir durch Laufen, Sprechen durch Sprechen, Singen durch Singen gelernt. Also beginnen wir doch
endlich, das Erzählen durch Erzählen zu lernen, behutsam, in kleinen
Schritten, aber stetig.« Kürzlich besuchte ich ein Lesefest, das von einer örtlichen Zeitung veranstaltet wurde. Mitten im Rummel, mitten in der Hektik
stieß ich auf eine »Ruheecke«. Die Mitarbeiterinnen der Stadtbücherei
saßen auf einem orientalischen Teppich und erzählten Märchen. Auch
wenn die Kinder noch nichts vom Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und Lesekompetenz wussten, hörten sie gespannt zu. Wer so den Geschichten lauscht, ist für das Lesen (noch) nicht verloren.
Das Vorlesen und das Zuhören, das Geschichtenerzählen und das Erzählenlassen gehören untrennbar zusammen und, wenn überhaupt irgendwohin, in den vorschulischen Bereich und in die Grundschule. Hier werden
elementare kulturelle Fertigkeiten erlernt, die unser ganzes Leben begleiten
und prägen können. Darum ist gerade in diesen Bereichen die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Büchereien und Buchhandlungen einerseits
und den Kindergärten und Grundschulen andererseits so wichtig. Das
Fundament der Lesekultur wird also nicht erst im Gymnasium gelegt, sondern weit davor: beim Besuch der öffentlichen Bücherei durch eine Kindergartengruppe, bei der regelmäßigen Erneuerung der Bilderbuchbestände
und beim Austausch der Bücher in den ersten Klassen durch die öffentliche Bücherei sowie in einer engen Kooperation zwischen Eltern, Erzieher(inne)n, Lehrer(inne)n und Büchereikräften.
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LESEFORUM BAYERN
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
Die gegenwärtige Debatte über die Lesekrise ist für meinen Geschmack zu
oft mit Schuldzuweisungen garniert. Natürlich wissen wir, dass sich Lesefreude nicht einfach verordnen lässt und schon gar nicht von Eltern oder
Lehrern, die selber nicht lesen. Wir wissen auch, dass Kinder und Jugendliche nur dann zu einem Buch greifen, wenn es sie interessiert. Büchereien
und Buchhandlungen sichten den Markt. Sie haben neben dem Elternhaus
und der Schule die wichtigste Vermittlerrolle und können, besonders in
Deutschland, auf eine sehr lebendige, reiche Szene der Kinder- und Jugendliteratur verweisen. Man muss schon genauer hinschauen, um dennoch
einige Ursachen der Lesekrise in diesem Markt zu diagnostizieren. Hierzu
zählt sicherlich der immer noch boomende Bereich der Erstlese-Bücher, bei
denen eine fragwürdige, weil kommerzielle Lesedidaktik als Kaufanreiz
eingesetzt wird. Viele dieser Bücher haben vor lauter Didaktik keine Geschichte mehr. Ein Autor muss schon sehr selbstbewusst und ein großer
Könner sein, wenn er sich über die strengen Formatierungsvorschriften der
Verlage hinwegsetzt.
Ähnliches begegnet uns bei den Jugendromanen, die überwiegend
Fallstudien und Bewältigungsszenarien anbieten. Humor und Poesie sucht
man in solchen Büchern oft vergeblich, stattdessen begegnet man Problemen in Überfülle, verkraftbar nur für hart gesottene Leser. In diesen
Büchern gibt es fast alles, nur nicht die ungleich schwieriger zu beschreibende Normalität: Behinderungen jeder Art, Magersucht und Drogentod,
Geschwisterliebe und Homosexualität bis hin zur Vergewaltigung der Kinder durch ihren Vater, gelegentlich auch schon durch die Mutter. Kein
Wunder also, dass der Jugendbuchmarkt unter Überdrusserscheinungen leidet. Zur Leseförderung gehört eben die Erfahrung, dass das Lesen nicht in
seinem Nutzen aufgeht. Und es gehört dazu die Aktualität der gelesenen
Literatur. Bei der Durchsicht der Jahresberichte von Gymnasien fällt mir
immer wieder auf, wie viele Deutschlehrer bei der Literatur der 60er Jahre
des vorigen Jahrhunderts stehen geblieben sind, falls sie überhaupt soweit
kommen. Dabei gäbe es eine interessante und sehr vielfältige Jetztliteratur,
deren Texte ganz bewusst mediale Formen und Prozesse verarbeiten, vom
Internet bis zum Pop …
Ich habe versucht, einige Zusammenhänge aufzudecken oder zumindest deutlich zu machen, wo in der Leseförderung nicht nur die Büchereien
und Buchhandlungen gefragt sind. Ein paar Mal war die Rede von der Gutenberg-Galaxis, kaum hingegen vom Cyberspace. Die Gründe dafür überraschen Sie vielleicht: Zum einen glaube ich, dass das Surfen im Cyberspace
entwickelte Lesefertigkeiten voraussetzt. Deshalb sollten wir zuerst über das
Lesen reden, bevor wir über den virtuellen Raum des Cyberspace reden.
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Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
LESEFORUM BAYERN
Zum anderen sind neue Medien von den Büchereien und den Buchhandlungen weit pragmatischer angenommen worden als man erwarten durfte.
Was gibt es alles in der Kinderbibliothek der Stadtbücherei Bamberg? Ich
zitiere aus ihrem Werbe-Leporello: Abenteuerbücher, Detektivgeschichten,
Gruselbücher, Bilderbücher, Bücher für Leseanfänger, Comics, Bücher über
Sport, Technik, Ritter und Pferde, Kassetten, Spiele, CDs, Videos, CD-ROMs,
DVDs und Zeitschriften. Außerdem können die Kinder im Online-Katalog
der Stadtbücherei nach Medien suchen, sich ein Anmeldeformular ausdrucken, ihr Lesekonto ansehen und Bücher verlängern. Das ist nichts
Außergewöhnliches – sondern mittlerweile in vielen Orten Standard. Auch
ein Internet-Lese-Programm wie antolin.de, das ohne Umwege sehr direkt
zum Lesen anstiften will, demonstriert eindrücklich, wie Bücherei, Schule
und das Internet zusammenfinden können. Beide Beispiele – Bamberg und
Ruderting – stammen übrigens aus dem Betreuungsbereich des Sankt
Michaelsbundes.
Am Schluss meiner Ausführungen möchte ich Ihnen gerne noch zwei
Impulse geben. Der erste stammt von Viktor E. Frankl, der einmal geschrieben hat: »Das Buch dient nicht einer zentrifugalen, sondern einer zentripetalen Freizeitgestaltung. Es entlastet uns vom Leistungsdruck, von der vita
activa, und ruft uns zurück in die vita contemplativa, ins beschauliche
Dasein.« Frankl erinnert uns mit seiner Bemerkung daran, dass das Buch,
obwohl selbst kommerzieller Verwertung anheim gegeben, ein notwendiges
Gegengewicht zur geschäftigen Wirtschafts- und Arbeitswelt ist, ein heilsames Refugium. Er traut sich sogar, in diesem Zusammenhang das heutzutage eher verpönte Wort »beschaulich« zu verwenden. Wenn er auch noch
vom »Dasein« spricht, wird für jeden Leser deutlich, dass er nichts Flüchtiges, nichts Modisches meint. Lesen zielt bei ihm in die Tiefe, Lesen entrückt.
Das vergessen wir heute allzu rasch, wenn wir von der PISA-Studie reden
und ausschließlich verwertbare Fähigkeiten wie Auffassungsgabe oder
Flexibilität meinen. Der kontemplative Mensch entzieht sich jeder Verwertbarkeit, er findet »zurück« zu sich selbst. Hier führt eine Brücke zum Religiösen und es führt von hier aus auch eine Brücke zu einer provozierenden
Bemerkung des neuerdings so umstrittenen Martin Walser. Das folgende
Zitat von ihm begleitet mich seit Jahren und fordert immer wieder meine
Kritik und meine Zustimmung gleichzeitig heraus: »Als Kind ist jeder ein
Leser. Werden einem später alle Wünsche erfüllt (und das geschieht nur,
wenn man zu wenig Wünsche hatte), dann liest man nicht mehr.« Ich habe
inzwischen Zweifel, ob der erste Satz noch stimmt, und würde den zweiten
Satz gerne verändern: »Werden einem später alle Wünsche erfüllt (und das
geschieht nur, wenn man nicht die richtigen Wünsche hatte), dann liest
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LESEFORUM BAYERN
Gutenberg-Galaxis und Cyberspace
Dr. Erich Jooß
man nicht mehr.« Darüber lohnt sich zu meditieren. Folgt man Martin
Walser, so sind nachdenkliche, auswählende, kritische, vergleichende Leser
Menschen, deren Wünsche und Hoffnungen noch nicht vernichtet wurden.
Wie aber geschieht die Vernichtung von Wünschen und Hoffnungen?
Die Antwort darauf könnte der eigentliche Schlüssel zum Verständnis der
Leseunlust und der Lesekrise unserer Zeit sein …
Kurzbiografie Dr. Erich Jooß
Dr. Erich Jooß, geboren 1946 in Hechingen/Hohenzollern, legte1966 an der MariaTheresia-Oberrealschule in München das
Abitur ab und widmete sich nach Ableistung des Wehrdienstes ab 1968 dem
Studium der Germanistik, Geschichte und
der Politischen Wissenschaften an der
Ludwig-Maximilians-Universität München.
1976 Promotion über »Aspekte der Beziehungslosigkeit« im Werk von Thomas
Bernhard; im gleichen Jahr Eintritt beim
Sankt Michaelsbund, zunächst als Assistent, dann als Referent der Geschäftsleitung, ab 1984 als geschäftsführendes
Vorstandsmitglied. Seit 1989 ist er als Beauftragter der Bayerischen Bischofskonferenz für Neue Medien, seit 1996 auch als
stellvertretender Vorsitzender und Sprecher
der Verleger im Katholischen Medienverband (KMV) tätig. Im Jahr 2000 übernahm
er den stellvertretenden Vorsitz des
Medienrates und wurde im gleichen
Jahr zum Vorsitzenden von Bayern
liest e. V. gewählt; seit 2001 Berater
der Publizistischen Kommission der
Deutschen Bischofskonferenz.
Zahlreiche Buchveröffentlichungen
vor allem im Bereich der Kinderliteratur, Bilderbuchtexte und
Geschichtenbücher, zuletzt »Der Meister,
der Träume schicken konnte«, eine Legendensammlung bei Herder.
Auszeichnungen: »Volkacher Taler« der
Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, das Bundesverdienstkreuz
u. a. m.
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LESEFORUM BAYERN
Bayerische
Maßnahmen zur
Leseförderung
ZZIEL
ZIEL
IEL
LL
› MR DR. KRIMM, STRIN DR. ELKE KAISER
Die Referate und die Diskussionen dazu haben folgende Arbeitsfelder
und mögliche Kooperationen ergeben:
LESEFORUM BAYERN
Bayerische Maßnahmen zur Leseförderung
MR Dr. Krimm, StRin Dr. Elke Kaiser
Arbeitsfelder
● Intensivierung des literarischen
➔ Lesen als Prozess besser erforschen
➔ Kompetenzniveaus definieren
➔ Diagnoseinstrumente für Lehrer und Eingreifprogramme
➔
Kooperationspartner
BLK, KMK, Kultus- und Wissenschaftsministerium, Universitäten, ISBReferate, Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung (ALP),
Stiftung Bertelsmann
➔ Leseanreize für Buben setzen (Sachbuchautoren:
Lesungen/Lektüren)
➔ Literarische Spaziergänge durchführen
➔ Texte von Schülern für Schüler (und ein größeres
Publikum) vortragen lassen, auch als Vorbereitung
von Studienfahrten u. Ä.
➔ Kurse im gestalterischen, kreativen Schreiben anbieten
➔ Literaturtage, Mediennächte u. a. m. veranstalten
➔ Schülerzeitung als Forum des Austauschs über Literatur
und Autorenlesungen an der Schule/zur Präsentation
eigener dichterischer Erzeugnisse nutzen
➔ Angebote wie das Internet-Portal »Leseforum Bayern«,
die Aktion »Literaturlandschaften Bayerns« oder
»Antolin.de« in den Unterricht/das schulische Leben
➔ Literarischen Schulwettbewerb durchführen
● Frühförderung im Vorschulalter
➔ Beratung und Unterstützung von Eltern, besonders
bei typischen Schwierigkeiten entwickeln
buchferner Sozialmilieus und/oder mit Migrations-
Fragen des Leseverhaltens/der Mediennutzung
hintergrund
➔ Lesetraining für Erwachsene: Grundregeln des Lesens/
erforschen und neue Wege eröffnen
➔ Lehrberuf wieder attraktiver machen, auch für
Vorlesens in und mit der Bibliothek/VHS vermitteln
➔ Gegenseitige Information für Eltern, Erzieher und
männliche Anwärter
wie oben, dazu Deutschlehrer
Lebens in allen Bereichen
integrieren und mitgestalten
Arbeitsfelder
● Leseforschung und Lehrerbildung
Kooperationspartner
(Bereitstellung von lehrplanbezogenen
Besprechungen und Lektütedatenbanken hinsichtlich empfehlenswerter Bücher durch die Rezensenten
in Zusammenarbeit mit dem ISB und
Lektoraten)
v. a. Schulen, regionale Beauftragte
für Leseförderung
Familien- und Sozialministerium,
Kultusministerium, Institut für
Frühpädagogik (IFP), ISB-Referate,
Stiftung Lesen, Friedrich-BödeckerKreise, Eltern, Ärzte, Kindergärten,
Grund- und Hauptschulen, Volkshochschulen, Öffentliche Bibliotheken,
Buchhandel, Gemeinden, Verlage,
Vereine, Verbände
Lehrkräfte über Kinderbücher, Hörbücher, das gute
● Auf- und Ausbau multimedialer
Schulbibliotheken
➔ Multimedia-Schulbibliotheken auf-/ausbauen
➔ Leseatmosphäre und emotionale Zugänge zur Literatur
schaffen – in wie außerhalb der Schule
ISB-Referat, regionale Beauftragte
für Leseförderung und Schulbibliotheken, Öffentliche Bibliotheken,
Schulen, Stiftung Lesen, FriedrichBödecker-Kreise, Kulturämter,
Buchhandel, Gemeinden, Vereine,
Verbände, Sponsoren
Vorlesen
➔ Vorlesepatenschaften, auch Autorenlesungen in
Kindergärten/für Kinder im Vorschulalter
➔ Einrichtung von Lesebüchereien (Bilderbücher) in
Arztpraxen
➔ Schulen/Schulbibliotheken als Orte des literarischen
Lebens etablieren (Autorenlesungen/Lesereisen sowie
deren Vorbereitung durch Büchertische und Lesehefte,
Workshops mit Schriftstellern)
60
● Bildung kooperativer Netzwerke
alle an der Leseförderung Beteiligten, Theater, Kino, Kunst- und
Konzerthallen, Kirchen und Religionsgemeinschaften
61
Bayerische Maßnahmen zur Leseförderung
MR Dr. Krimm, StRin Dr. Elke Kaiser
LESEFORUM BAYERN
● Da die Leseförderung bereits im Vorschulalter einsetzen muss, wird schon
jetzt die Zusammenarbeit von Grundschule und Kindergarten verstärkt.
● Übergreifende Netzwerke bedürften einer institutionell gesicherten Infrastruktur, die bayernweit, flächendeckend und schulartübergreifend sowie
nah an der Einzelschule operieren und die neuen Medien nutzen muss. Das
Staatsministerium ist hier initiativ geworden durch die Einrichtung eines
ISB-Referats, dessen Aufgabe es ist, in Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen sowohl die Leseförderung an den allgemein bildenden
Schulen als auch den weiteren Auf- und Ausbau multimedialer Schulbibliotheken zu koordinieren und voranzutreiben sowie im Rahmen von RLFB
die Bibliotheksbeauftragten aus- und fortzubilden.
LESEFORUM BAYERN
Internet-Portal »Leseforum Bayern«
Internet-Portal »Leseforum Bayern«
Strukturskizze: Staatliche Leseförderung an den Schulen in Bayern
➔
➔
➔ Rezensenten/Bereichsbetreuer
➔
➔
ISB-Referat Leseförderung und Schulbibliotheken
Stab »Lesenswert«
Stab multimediale
Schulbibliotheken (mmSB)
➔
➔
Außerschulische
Institutionen und
Organisationen zur
Leseförderung
➔
Regionale Beauftragte für Leseförderung und Schulbibliotheken
● Daneben ist das Referat damit betraut, in einem Internet-Portal, das ab
April 2003 unter www.leseforum.bayern.de zur Verfügung stehen wird,
entsprechende Materialien – von Publikationen und Tipps zur Leseförderung, Rezensionen und Lektüredatenbanken über Veranstaltungshinweise
und Kontaktadressen bis hin zu konkreten Hilfestellungen für Bibliotheksbetreuer sowie Modellen für den bibliotheksgestützten Unterricht – zu sammeln und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
● Weitere Perspektiven für die gemeinsame Arbeit:
➔ Faltblatt zur Leseförderung im Rahmen des »Leseforums Bayern«
➔ Information der Schulen durch die regionalen Beauftragten
➔ Entwicklung von Materialien zur Leseförderung im ISB
➔ Neue Konzeption für die Schulbibliotheken als Ort
der Leseerziehung und -förderung
➔ Gütesiegel »Leseforum Bayern« für Buchhandlungen,
die enger mit Schulen zusammenarbeiten
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Service
Kontaktadressen zur
Leseförderung
1. Referenten
Arbeitskreise, Fachstellen, Vereine, Bibliotheken, Archive, Stiftungen
➊
➎
Friedrich-Bödecker-Kreis in Bayern e. V.
Brüder-Grimm-Str. 14, 84570 Polling
➔ www.boedecker-kreis.de
Herr Prof. Dr. Hans Gärtner
➏
Internationale Jugendbibliothek
Schloss Blutenburg, 81247 München
➔ www.ijb.de
Herr Jochen Weber Abteilungsleiter
➔ [email protected][email protected]
➐
Herr OStD Georg Behütuns
Landesverband Bayern des
Fachverbands Deutsch im
➔ [email protected]
Deutschen Germanistenverband
Bessenbacher Weg 95, 63739 Aschaffenburg
➔ www.germanistenverband.de/schule/index.htm
➑
Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg e. V.
Rosenberger Str. 9
92237 Sulzbach-Rosenberg
➔ www.asamnet.de/~literata/publik.htm
➋
Universität Bayreuth
Herr Dekan Prof. Dr. Peter Klotz
Sprach- und Literaturwissen➔ [email protected]
schaftliche Fakultät,
95440 Bayreuth
➔ www.uni-bayreuth.de/departments/didaktik-deutsch/index.htm
Gymnasium Grafing
Jahnstr. 17, 85567 Grafing
➔ www.gymnasium-grafing.de
Herr OStD Dr. Harald Parigger
➔ [email protected]
➌
Stiftung Lesen
Fischertorplatz 23, 55116 Mainz
➔ www.stiftunglesen.de/index_html.html
Herr Prof. Dr. Klaus Ring
Sprecher der Geschäftsführung
➔ [email protected]
➍
Sankt Michaelsbund
Herzog-Wilhelmstr. 5, 80331 München
➔ www.st-michaelsbund.de
Herr Direktor Dr. Erich Jooß
➔ [email protected]
➎
Staatsinstitut für Schulpädagogik
und Bildungsforschung
Rosenkavalierplatz 2, 81925 München
➔ www.isb.bayern.de
Frau StRin Dr. Elke Kaiser
➔ [email protected]
➒
Bayerisches Staatsministerium
für Unterricht und Kultus
80327 München
➔ www.stmuk.bayern.de
Herr MR Dr. Stefan Krimm
➔ [email protected]
Stiftung Buch-, Medien- und
Herr Direktor
Literaturhaus München
Dr. Reinhard G. Wittmann
Salvatorplatz 1, 80333 München
➔ www.literaturhaus-muenchen.de/home.asp
➓
Verband Bayerischer Verlage
und Buchhandlungen e. V.
Salvatorplatz 1, 80333 München
➔ www.buchhandel-bayern.de
Herr Dr. Klaus Beckschulte
Geschäftsführer
➔ [email protected]
11
●
Bayern liest e. V.
Kohlstatt 12a, 82256 Fürstenfeldbruck
➔ www.buchhandel-bayern.de/bayern-liest
Ute Bornemann
Geschäftsstelle
➔ [email protected]
12
●
Verlagsgruppe Bertelsmann
Goldregenweg 2, 85591 Vaterstetten
➔ www.verlagsgruppe-bertelsmann.de
Herr Peter Gutmann
➔ [email protected]
➏
2. Arbeitskreise, Fachstellen, Vereine, Bibliotheken,
Archive, Stiftungen
➊
Arbeitskreis für gemeinsame
Frau Dr. Christine Fuchs
Kulturarbeit bayerischer Städte e. V.
➔ [email protected]
Unterer Graben 2, 85049 Ingolstadt
➔ in Vorbereitung: Literaturlandschaften Bayerns
➋
Bayerische Staatsbibliothek
Landesfachstelle für
das öffentliche Bibliothekswesen
Kaulbachstr. 19, 80539 München
➔ www.lfs.bsb-muenchen.de
Herr Dipl.-Bibl. (FH) Klaus Dahm
➔ [email protected]
Börsenverein des Deutschen
Buchhandels e. V.
Referat Leseförderung
Großer Hirschgraben 17-21,
60311 Frankfurt a. M.
➔ www.boersenverein.de
Herr Lothar Sand
➔ [email protected][email protected]
Deutsche Akademie für Kinderund Jugendliteratur e. V.
Hauptstr. 42, 97332 Volkach
➔ www.volkach.de/kultur/akademie.html
Herr Prof. Dr. Kurt Franz
Präsident
➔ [email protected]
➌
➍
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Frau Dr. Barbara Baumann-Eisenack
Wissenschaftliche Leiterin
➔ [email protected]
3. Medien
➊
Bayerischer Rundfunk
Rundfunkplatz 1, 80300 München
➔ www.br-online.de
Frau Dr. Annette Maier
➔ [email protected]
➋
Süddeutsche Zeitung
Sendlinger Straße 8, 80331 München
➔ www.sueddeutsche.de
➌
Frankfurter Allgemeine Zeitung
➔ www.faz.net
Hellerhofstraße 2-4, 60327 Frankfurt am Main
➍
DIE ZEIT
Speersort 1, 20095 Hamburg
➔ www.zeit.de
➎
DIE WELT
Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin
➔ www.welt.de
Bayerisches Staatsministerium für
Unterricht und Kultus
Du öffnest die Bücher
und sie öffnen dich.
Tschingis Aitmatov
www.leseforum.bayern.de
www.km.bayern.de
Eine Dokumentation zur
Veranstaltung »Leseforum Bayern«
des Bayerischen Staatsministeriums
für Unterricht und Kultus 2002