Produktionscontrolling über BDE-Kennzahlen

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Produktionscontrolling über BDE-Kennzahlen
H. F. Binnen Produktionscontrolling über BDE-Kennzahlen
CIM4/93
MANAGEMENT
Produktionscontrolling über
BDE-Kennzahlen
Hartmut F. Binner, Fachhochschule Hannover
Prof. Dr.-Ing. Hartmut F. Binner studierte an der TU Hannover Maschinenbau. Nach mehrjähriger leitender Tätigkeit in der Industrie ist er seit 1978
Professor an der FH Hannover, dort zuständig für CIM und Logistik, Industriebetriebslehre und Planung von Anlagen
und Werkstätten. Außerdem ist er EDVTechnologieberater.
Nach wie vor ist die seit langem bekannte Forderung nach einer durchgängigen Transparenz des
betrieblichen Werteflusses zur Überprüfung der
vorgegebenen logistischen Zielvereinbarungen und
als Hilfe zur Entscheidungsfindung über ein funktionierendes Produktions-Controlling nur sehr
schwierig zu erfüllen.
Wie in Bild 1 dargestellt, orientieren sich die Bezugsgrößen an den hier als logistisches Viereck abgebildeten kritischen Erfolgsfaktoren: „Bedarfssicherheit, Bestandssicherheit, Prozeßsicherheit und
Prozeßsynchronisation". Dahinter stehen im betrachteten Einzelfall die für einen eingeschwungenen,
stabilen Prozeßzustand quantitativen Zeit- und Mengenwerte, die je nach strategischen Zielvorgaben oder
auch nach temporär existierenden Rahmenbedingungen variierbar sind [3].
Optimale Entscheidungsfindung auf der Basis eines beherrschten ProzeBes, d.h. Erfüllung
der kritischen Erfolgsfaktoren zum Erreichen von definierten, logistischen ZielgröBen
im logistischen Viereck:
kritische
Erfolgsfaktoren:
Bedarfssicherheit
lermii
A
Hier hilft der Einsatz von anforderungsgerecht eingeführten BDE-Systemen und die exakte Definition
der Zielgrößen in Form von Kennzahlen.
Produktionscontrolling besteht im wesentlichen in
der Durchführung aktueller Abweichungsanalysen in
bezug auf vorgegebene, logistische Planungs-Sollwerte und der raschen Ausregelung von Störgrößen,
die das Erreichen eines Planwertes in Frage stellen;
außerdem in der Dokumentation des Ist-Ablaufes, um
betriebswirtschaftlich exakte Zuordnung von Kosten,
Mengen, Zeiten und Termingrößen zum Auftrag vorzunehmen, verbunden mit der Erarbeitung aktueller
Kennzahlen zur Beurteilung des Arbeits-, Materialund Werteflusses [1].
In der Praxis ist immer wieder festzustellen, daß
ein Produktions-Controlling nicht durchführbar ist.
Zum einen, weil im betrieblichen Regelkreismodell
entweder konkrete Zielvorgaben und Planungswerte
nicht existieren, zum anderen weil rückmeldeseitig die
Abweichungen durch fehlende Erfassungsinstrumente
im Prozeß nicht feststellbar sind [2]. Häufig kommt es
auch vor, daß sich die nachfolgenden Abrechnungen
auf einmal vorgegebene Planwerte beziehen, ohne daß
geprüft wurde, ob die so festgelegten Abläufe überhaupt bei der Auftragsausführung sinnvoll waren und
auch in dieser Form im Prozeß nachvollzogen wurden.
Die erste Aufgabe für ein funktionierendes Produktionscontrolling besteht also darin, diese Bezugsgrößen
7ii schaffen.
ProzeBSYnchrnnisation
: V i ï ' • • • ' • \ . a l „ - : i—i
\
ProzeBsfcherheit
Bestandsreduzierung
^liiijr
Bestandssicherheit
gemessen durch aktuelle, logistische Kennzahlen, z.B. :
V
- Bestände
-Auslastungen
-Termine
-Qualität
- Kosten
-Durchlaufzeiten
/ • . • • • •
auf der Basis eines anforderungsgerechten Echtzelt-Diagnosesystems, bestehend aus den Komponenten :
- BDE ( Betriebsdatenerfassung )
-MDE (Maschinendatenerfassung )
- PDE ( Peisonaldatenerfassung )
- QDE (Qualitätsdatenerfassung )
mit der Erfassung von ProzeB-ZustandsgrOBen wie z.B. :
- Mengen
- Zeiten
-Orte
-Verbrauche
- Qualitäten
- sonstige Prozeßparameter
Bild 1: Flexibilität durch Prozeßbeherrschung
Orientierung für die Praxis
CIM4/93
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Erfüllung der Bestandsicherheit
1
• Erfassen der Materialzu- und abginge pro Kostenstelle und
Im Lager
• Führen der Ist-Bestände auf jeder Kostenstelle und im Lager
• Erfassen von ungeplanten Lagerentnahmen
• Ermöglichen von Verfügbarkeitsprüfungen Im Lager und
von Vorarbeitsgängen
• Erfassen von Ausschuß- und Fehlmengen in jeder
Produktionsstufe
r
Erfüllung der Prozeßsicherheit
- Herstellen der Prozeßtransparenz mit Anlagenverfügbarkeit
- Erfassen von Störungen und Warnmeldungen
" Verfolgen des Auftragsfortschritts
- Verfügbarkeitsprüfungen benötigter Ressourcen
•» Differenzierte Gemeinkostenerfassung mit Schwachstellenanalyse
- Dokumentation zusätzlicher Tätigkeiten
- Einbinden der Qualitätskontrolle
- Schnittstelle zur vorbeugenden Instandhaltung
Herstellung der Prozeßsynchronisation
- Ereignisorientierte Feinsteuerung
1
- Anstoß zu nachfolgenden Aktivitäten
- Steuerung der Transport- und Fördermittel
- Erfassung von Durchlaufzeitanteilen, z.B. Wartezeiten
- Ermittlung der Bedarfszeitpunkte nachfolgender Ressourcen
- Abbau von Zwischenlagern in der Produktion
Bild 2: Verknüpfung von BDE- und Logistik-Zielsetzungen
Bei dem kritischen Erfolgsfaktor „Bedarfssicherheit" als Eingangswert für einen beherrschten Prozeß
sind dies konkrete Kundenspezifikationen für eine bestimmte Produktvariante. Für die Summe aller vorliegenden Kundenaufträge lassen sich daraus bedarfsgerecht alle Ressourcen ableiten, die zur jeweiligen
Auftragsaufführung erforderlich sind.
Bei der Durchsetzung der Bestandssicherheit als
weiterer Erfolgsfaktor ist das Wissen über sämtliche
Bestandspositionen innerhalb des gesamten Materialflusses erforderlich. Beim Erfolgsfaktor „Prozeßsicherheit" sind es quantitative Aussagen über
Auslastungen, Nutzungsgrade, Störungsursachen, Störungsdauer, die Einhaltung definierter Qualitätsmerkmale sowie daraus abgeleitete Kostengrößen.
Die Prozeßsynchronisation wird durch Kennzahlen
wie Durchlaufzeiten, Termine und Engpaßhinweise
gekennzeichnet [4].
Die hinter diesen Kennzahlen stehenden, im Prozeß aktuell richtig und vollständig zu erfassenden Men-
gen, Zeiten, Orte, Kosten, Qualitäten oder sonstige definierte Prozeßparameter lassen sich nur auf der Basis
einer integrierten Betriebsdatenerfassung gewährleisten.
Das klassische BDE-System liefert Daten der
Termin- und Auftragsverfolgung, das Personalzeiterfassungssystem berechnet mitarbeiterbezogen
die An- und Abwesenheitszeitanteile für die flexible
Arbeitszeitermittlung. Weiter gehört dazu noch die
Maschinendatenerfassung (MDE), die alle technologischen und Nutzungs-Daten über das Arbeitssystem
erfaßt sowie die Qualitätssicherungskomponente, die
Aussagen über Gutmengen, Ausschußmengen und
Nacharbeitsmengen liefert [5].
Die BDE-Daten, die erfaßt werden, um Bestandssicherheit, Prozeßsicherheit und Prozeßsynchronisation zu erreichen, Bild 2. Der Ablauf der Erfassung beginnt mit der exakten Verbuchung der Materialzu- und
abgänge pro Kostenstelle der Fertigung und in allen
beteiligten Lägern, dem Führen dieser Istbestände auf
jeder Kostenstelle und im Lager sowie der Dokumentation von ungeplanten Entnahmen innerhalb dieses
Materialflusses. Jederzeit müssen Verfügbarkeitsprüfungen an allen definierten Materialflußpunkten möglich sein. Auch das Auftreten von Ausschuß und die
Erfassung von Fehlmengen in jeder Produktions stufe
ist exakt abzubilden.
Die Erfüllung der Prozeßsicherheit erfolgt nach
ähnlichen Überlegungen. Hier ist statt des Materialflusses allerdings der Arbeitsfluß Gegenstand der Betrachtung. Lauf- und Stillstandszeiten, Einsatzzeiten
von Ressourcen, die über den Zeitfaktor kostenmäßig
bewertet werden, stehen hier im Vordergrund der
Datenerfassung, dazu gehören auch Transportzeiten,
Wartungszeiten und Reparaturzeiten.
Bei der Prozeßsynchronisation kommt es auf die
Kombination von Mengen- und Zeitdaten an. Vorhandene Zeitpuffer als Synchronisationshilfsmittel hängen in ihrer Kapazität von den dahinter stehenden
Mengen bzw. Warteschlangen ab und bestimmen deshalb entscheidend die Gesamtdurchlauf zeit bei der
Auftragserledigung [6].
Während auf der unteren Ebene noch sehr viele
Einzeldaten betrachtet werden, die für die direkte
Arbeitsausführung von Interesse sind, genügen auf der
obersten Ebene verdichtete Unternehmensdaten.
Gründe für auftretende Abweichungen von den
Planvorgaben sind auf der Basis des vorliegenden Datenmaterials einfach zu finden. Ebenso kann jetzt die
richtige Maßnahme getroffen werden, um diese
Abweichungen zu korrigieren. Weiterhin lassen sich
ggf. Vorgabewerte modifizieren, um im Sinne des betrieblichen Regelkreismodells auch aus dieser Sicht
Produktions-Controlling in der Praxis erfolgreich umzusetzen.
Voraussetzung dafür ist ein betriebsspezifisch
erstelltes BDE-Rahmenkonzept, in dem die Vorgaben
für die Einführung eines anforderungsgerechten BDESystems enthalten sind [7].
H. F. Dinner: Produktionscontrolling über BDE-Kennzahlen
Die als Grundlage für einen beherrschten Prozeß
definierten kritischen Erfolgsfaktoren „Bedarfs-, Bestands- und Prozeßsicherheit sowie Prozeßsynchronisation" orientieren sich, wie die Ausführungen bisher
gezeigt haben, sehr stark an den eingesetzten Produktionsfaktoren. Produktionscontrolling bezieht sich
deshalb auch immer auf Prozeßkenngrößen dieser Produktionsfaktoren, um die optimale Faktorkombination
bei der betrieblichen Leistungserstellung zu erreichen
(Bild 3). Auftragsbezogene Rückmeldungen über das
BDE-System beziehen sich auf den Produktionsfaktor
Mensch bzw. die darunter stehende Ablauforganisation. Prozeßsynchronisation und Prozeßsicherheit
beziehen sich auf den Arbeitsfluß. Die Zustandsmeldungen über das Arbeits system haben primär Prozeßsicherheitsaussagen zum Inhalt. Daten über das Material bzw. Werkstück sollen die Bestandssicherheit
unterstützen sowie die Qualität im Prozeß sichern.
Aus diesen Daten lassen sich eine ganze Anzahl
von faktorbezogenen Kennzahlen bilden, die unmittelbar Einfluß auf ein erfolgreiches Produktionscontrolling besitzen (Bild 4). Sie beginnt auf der operativen Ebene beim Mitarbeiter an der Maschine und endet
im oberen Management.
Die Verdichtung dieser Daten liefert dem Management die notwendigen Erkenntnisse für das Treffen der
richtigen unternehmerischen Entscheidungen.
Informationeller
Prozeßinput
t=0
Auftragspapiere, z.B.
Lohnschein
Terminkarte
Laufkarte
Materialkarte
Prüfplan
Produktionsprozeß
Anwesenheitszeit
Leistungsgrad
Auslastungsgrad
IST-Termin
IST-Mengen
Störungsarten
Nutzungsgrade
Schnittkräfte
Schnittleistungen
Schnittzeit
Temperatur
Kinematik
Verschleiß
Werkzeugtemperatur
Werkstoffverhalten
MaterialWerkstück
Produktinformationen
z.B. Zeichnung
Stückliste
Arbeitsplan
Prüfplan
Prözeßsicherheit
- ger.Storungsrate
-akLStörmeldungen
• rasche Ausregelg.
- vorbeugende
Instandhaltung
ProzeßSynchronisation
keine Warteschlangen
keine Rückstände
Ressourcenvertügbarkeit
Termintreue
( BDE)
Anfrage Rückmeldung
z.B.:
Fertigmeldung
Mengenleistung
Störungsmeldung
Auftragsstatus
Personaldaten
(Schnittsteile PZE)
( WIDE )
Zustandsmeldung z.B,
Maschinenstatus
Störungen
Belegzelt
Zustandsmeldung
Ressourcen
(ODE)
Qualitätsdaten z.B.
Formfehler
Oberflächengüte
Maßgenauigkeit
Verbrauche
Materialbestände
Bild 3: Faktorbezogene Daten- und Prozeßkenngrößen
Logistische Zielgrößen
Hierarchische
ManagernentKennzahlen
Auslastung der Betriebsmitte]
Wie teuer ?
Sesami- Auslastung in [%]
Management
Produktions-Bereichsweise Auslastung in [%]
Betriebsleitung
LaüfzüTprö
STiÚstañdszeífpro
_Artreftssystem
Arbeitssvstem
Ausschuß^ Bearbei- Rüst- Stör- Wartungszeit
_ * e i t _ [ tungszeit zeit zeit
Durchlaufzeiten der Aufträge /
.Terminireue
Terminverzüge
aktuelle DUZ
( Tag?
Wochen) bestimmter Aufträge
Searb.- Transp. Liege- Auftragsrückstände
zeiten Zeiten zeiten
pro Kunde
Auftragsrückstände
0 Warteschlangen
in min
in min pro Auftrag
3 Wartesch lange ZAuHráge
Auftragsrückstände
pro Arb.system
Auftr.zahl in min pro Arb.svstem
o d e r
1
Bestandssicherheit
-niedrige Bestände
-Keine Zwischenlager
-Transparenz
-geringe Kapital-Jtrindung
^
Qualität
- niedrige
Ausschußquote
eringe
ehlerkosten
•kaum
Reklamationen
P
ProzeBkenngrößen
MenscWOrganisatlon
Maschine/Werkzeuge
Maschinendaten z.B
Technologische Steuerdaten
(NC-Programme)
Arbeitsplandaten
Werkzeugplan
Vorrichtungsplan
Spannskizze
Schichtplan
Informationeller
Prozeßoutput
kritische
Erfolgsfaktoren
Bestandsinformationen
Bewerteter Gesamtbestand
( Kapitalbindung )
Bestände
Bestände
Bestände
Versand
Wareneingang_ Produktion
Bestände und Waiteschlangen pro
Meisterbereich
Warteschlange"
Werkstatt
pro Arb.svstem
|
Zwischenlager^
Meister
Wie lange ?
Management
Betriebsleitung
Meister
Mitarbeiter
Wie hoch ?
Management
Betriebsleitung
Meister
-
Qualitätskosten
Gesamt Aus Gesámt-ÑaclPJGÍesamt-Rekla
schuBkosten larbeitskosten Imiationskosten
AusschuB-.Nacharbeits-.Reklamationskostcn
je Produktionsbereich
AusschuB-.Nacharbeits-.Reklamationskosten
je Meisterbereich
Gutmenge am AusschuB- I Nacharbeitsjnengen
_ArbeÄsj3latz_
_mengen_
Wie gut ?
Management
Betriebsleitung
Meister
Bild 4: Prozeß-Controlling-Kennzahlen
Literatur
[1 j Binner, H. F.: Mit BDE betriebliche Regelkreise durchsetzen. AV 28 (1991) 2, S. 59 - 62
|2] Gronau, N.; Krallmann, H.: Vom PPS-System zum rechnergestützten Produktionsmanagementsystem. In: VDI-Z 134
(1992) Nr. 10, S. 8 4 - 8 9
|3] Bullinger, H. L: Werksorientierte Produktionsunterstützuns. Berichte aus dem Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) , Stuttgart, Band T
24, Berlin 1991
[4] Wiendahl, H.-R; Gläßner, 1 : Neues Monitorsystem für die
Beschaffungslogistik in der Testphase. In: Logistik im Unternehmen 6 (1991), Nr. 10, S. 76 - 83
[5] Scheer, A.-W.; Geib T.; Gerstenmayer, M.; Haas, A.: Integrierte Fertigungs- und Qualitätssteuerung. In: VDI-Z 134
(1992) Nr. 11 S. 5 5 - 6 1
[61 Binner. H. F.: Integrierter Leitstand-Einsatz in PPS- und
BDE-Systemen. In: ONLINE Kolloquium 1992, Kolloquiumsband
[7] Binner, H. F.: Anforderungsgerechte Einführungen von
BDE-Systemen sichern den wirtschaftlichen Erfolg.
In: VDI-Z-Spezial: Messen und Überwachen, April 89,
S. 22 - 26