An den Degen, fertig, los

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An den Degen, fertig, los
Lokalsport
KS-SP3
Donnerstag, 12. Februar 2015
Inklusion im Kasseler Sport
Knigge-Tipps
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hessen hat einen Ratgeber
über den respektvollen Umgang
von Menschen mit Behinderung
herausgegeben. Er kann dort kostenlos bestellt werden (www.paritaet-hessen.de). Ein Überblick.
1. Anrede
Reden Sie mit den Menschen,
nicht über sie hinweg. Häufig werden die Begleitpersonen angesprochen, über die Betroffenen
selbstaberwirdhinweggegangen.
Haben Sie keine Hemmungen, die
Person mit Behinderung direkt,
und wenn möglich, auf Augenhöhe, anzusprechen. Setzen Sie sich
beispielsweise , wenn Sie mit einem Rollstuhlfahrer sprechen.
2. Hilfe anbieten
Bieten Sie Ihre Unterstützung an –
und warten Sie die Antwort in
Ruhe ab. Akzeptieren Sie, wenn
Ihr Angebot nicht angenommen
wird.
3. Informationen geben
Kommunizieren Sie besser zu
viel als zu wenig. Das ist gerade
für blinde Menschen besonders
wichtig. Sagen Sie: „Hallo, ich
bin’s. Herr Müller kommt auch
gerade zur Tür herein.“ Kündigen Sie an, was Sie tun, beispielsweise den Tisch verlassen.
4. Respekt
Beachten Sie die Distanz-Zonen.
Heißt: Fremden Menschen sollten
Sie nicht ohne Weiteres die Schulter tätscheln, den Blindenstock
verlegen, die Position des Rollstuhls verändern. Die Hilfsmittel
sind für Fremde tabu. Sie greifen ja
auch nicht bei Unbekannten einfach zur Handtasche.
5. Normalität
Keine Angst vor gewohnten Redewendungen. Fragen Sie die
Rollstuhlfahrerin, ob sie spazieren gehen will, sagen Sie einem
Blinden „Auf Wiedersehen.“
6. Sprachliche Sorgfalt
Vorsicht, Diskriminierung.
Sprachliche Sorgfalt ist gefragt:
Behinderte sind Menschen mit
Behinderungen. Gehörlose Menschen sind nicht taubstumm, sie
kommunizieren über die Gebärdensprache und sind gehörlos,
aber nicht stumm. Mongolismus
ist keine Diagnose, sondern eine
Diskriminierung. Richtig heißt es
„Down-Syndrom“ oder „Trisomie 21“.
7. Beachtung
Der Dolmetscher hat die Nebenrolle. Ist etwa eine Gebärdensprachdolmetscherin im Einsatz,
sehen Sie nicht sie, sondern Ihren Gesprächspartner an.
8. Ansehen
Suchen Sie den Blickkontakt, sehen Sie den Menschen an, mit
dem Sie sprechen. Das ist beispielsweise für Schwerhörige
wichtig, da Mimik und Gestik
beim Verstehen helfen. Verwechseln Sie Schwerhörigkeit
nicht mit Begriffsstutzigkeit.
9. Small Talk
Keine plumpe Neugier. Fragen
Sie Ihren Gesprächspartner
nicht, warum oder seit wann er
eine Behinderung hat. Er wird die
Geschichte von sich aus erzählen,
wenn er will. Und starren Sie einen
blinden Menschen nicht an. Auch
Blicke sind zu spüren.
10. Bewusstsein
Die Behinderung ist nur ein
Merkmal von vielen. Eine Rollstuhlfahrerin ist eine Frau, vielleicht auch Angestellte, Vereinsmitglied, Mutter, Fußballfan,
Steuerzahlerin. Reduzieren Sie
den Mensch nicht auf seine Behinderung. Andersartigkeit ist
kein Makel, sondern zählt zur
Vielseitigkeit. (mis)
Im Rollstuhlgefecht: Marie Sophie Kintzinger (links) und Katja Lüke (rechts) im Degenduell.
Fotos: Streuff
An den Degen, fertig, los
Gelungenes Beispiel für Inklusion: Rollstuhlfechterin Katja Lüke startet für den Fechtclub Kassel
Das Thema
Inklusion – die Teilhabe
von Menschen mit Behinderungen schreiben sich
immer mehr Sportvereine auf die Fahnen. Im
Fechtclub Kassel ist Rollstuhlfechterin Katja Lüke
aktiv. Die Kasselerin arbeitet als Referentin für
Inklusion in und durch
Sport beim Deutschen
Olympischen Sportbund.
Ein Trainingsbesuch.
VON MICHAELA STREUFF
KASSEL. Volle Attacke lautet
das Motto. Zurückhaltung oder
nur Kampf mit halber Kraft –
von wegen. „Los geht’s. Fertig“,
sagt Katja Lüke und fackelt
nicht lange. Gleich mit den ersten Bewegungen setzt sie ihre
Gegnerin unter Druck, lehnt
sich weit in Richtung von Marie
Sophie Kintzinger. Ihre Degen
kreuzen sich. Laute metallenblecherne Geräusche hallen
durch die Trainingshalle am Königstor. Kintzinger weicht mit
dem Oberkörper zurück, nicht
HINTERGRUND
Ausrüstung
Rollstuhlfechten
Fechtrollstuhl: Er ist nicht
so leicht und filigran wie ein
Alltagsrollstuhl. Katja Lükes
Modell wiegt etwa zehn Kilogramm, andere sind
schwerer. Ein Fechtrollstuhl
bringt 18 Kilogramm auf
die Waage und kostet etwa
3000 Euro. Der Fechtclub
Kassel hat unlängst erst
durch die Unterstützung
der Gerhard-Fieseler-Stiftung ein vereinseigenes
Rollstuhl-Fechtgestell angeschafft. Die Finanzspritze
belief sich auf 4900 Euro.
Hose und Jacke: Kosten
300 Euro.
Maske: Eine ganz neue
Fechtmaske kostet etwa
100 Euro.
• Allerdings gilt: Anfängern
stellt der Fechtclub Kassel
die Ausrüstung.
aber mit ihren Beinen. Denn
die Fechterinnen sitzen sich gegenüber. Ihre Planche ist das
Rollstuhlfechtgestell – ein
Wort, das sperrig daherkommt,
es aber Menschen mit Behinderung ermöglicht, zu fechten.
So wie Lüke. Sie ist nicht nur
eine der besten Rollstuhlfechterinnen des Landes, sondern
auch eine Vorkämpferin für Inklusion. Die 45-Jährige sitzt seit
einem Tumor an der Wirbelsäule 1997 im Rollstuhl. Sie begann
als
Rollstuhl-Basketballerin,
ehe sie vor vier Jahren über einen Schnupperkurs zum Fechtclub Kassel stieß. Ihr Glück:
Fechtmeister Daniel von der
Ahé war ausgebildet im Umgang mit Rollstuhlfechtern.
Seitdem ist ein Leben ohne Degen und Säbel für die gebürtige
Caldenerin, die heute zwischen
Kassel und Frankfurt pendelt,
nicht mehr vorstellbar.
Deutsche Meisterin
Vor allem, weil sie durch den
Sport viele Menschen kennengelernt habe, erzählt sie. „Beim
Weltcup in Malchow zum Beispiel hat ein argentinischer
Fechtmeister mit einer kanadischen Rollstuhlfechterin und
mir trainiert. Das war etwas
Grenzüberschreitendes.“ 2013
und 2014 wurde sie Deutsche
möglich, ist sie zum Training in
Kassel. Eine Sonderrolle im Verein hat sie nicht. Sie ist im Vorstand, ihr Themengebiet liegt
auf der Hand: Rollstuhlfechten.
„Ich bin nicht im Verein, weil
die anderen solche Gutmenschen sind“, sagt Lüke und
lacht. Beim Umzug anlässlich
des Stadtjubliäums war sie dabei, ebenso bei der traditionellen Sportlergala. Sie steuert Kuchen bei, hat die Außenfassade
der Trainingshalle mit gestrichen. „Nur Putzen können die
anderen besser“, ergänzt Lüke
augenzwinkernd.
Fußfechter gefordert
Ohne Maske: Katja Lüke (vorn) und Marie Sophie Kintzinger.
Säbel-Meisterin im Rollstuhlfechten, vor zwei Jahren holte
sie zudem Silber mit dem Degen bei den nationalen Titelkämpfen.
„Vor der Zeit im Rollstuhl
war ich total unsportlich. Der
Sport hat mir eine neue Welt
eröffnet und mir Selbstvertrauen gegeben. Ich bin selbstbewusster geworden. Man ist ge-
zwungen, mehr zu kommunizieren und auch mal um Hilfe
zu bitten“, fasst die studierte
Sozialpädagogin ihre Erfahrungen zusammen, die sie seit Jahresbeginn als Referentin für Inklusion in und durch Sport
beim Deutschen Olympischen
Sportbund weitergibt.
Ihre Arbeitsstelle ist zwar in
Frankfurt, doch wann immer
Nicht nur Rollstuhl-Basketball
Die Behindertensportgemeinschaft Kassel hat ein umfangreiches Sportangebot
KASSEL. Dem „integrativen Behinderten- und Rehabilitationssport“ hat sich die BehindertenSportgemeinschaft (BSG) Kassel
verschrieben. Menschen mit
und ohne Behinderungen betreiben gemeinsam ganz unterschiedliche Sportarten. Ein
Überblick über das Angebot.
• Rollstuhl-Volleyball, montags,
8-10 Personen
• Rollstuhl-Basketball,
mittwochs, 8-10 Personen
• Sitzball, dienstags, acht Personen
• Rückenschule, mittwochs, 1012 Personen
• Schwimmen, Gruppe 1, montags, 15 Personen
• Schwimmen Gruppe 2, montags, 12-14 Personen,
• Fußball-Tennis, mittwochs,
acht Personen
• Blasrohr schießen, donners-
tags, sechs Personen
• Blasrohr schießen, samstags
15 Personen
• Torball für Blinde, freitags,
sechs Personen,
• Tischball für Blinde, freitags,
vier Personen,
• Kegeln, mittwochs, 10 Personen
• Kegeln, freitags, 15 Personen,
•
Weitere Informationen:
www.bsg-kassel.de
Erfolgreich am für die BSG am Ball: Pascal Hinke.
Archivfoto: Reichert
Und auch sportlich profitieren die anderen Vereinsmitglieder von der Rollstuhlfechterin.
„Fußfechter haben einen guten
Trainingseffekt im Gefecht mit
einem Rollstuhlfechter. Man
kann nicht weglaufen. Man
muss lernen, sich zu verteidigen, eine gute Spitze zu haben“,
erklärt die 45-jährige.
Und die hat sie auch im Gefecht mit Kintzinger. Zum Abschluss reichen sie sich die Hände. „Rollstuhlfechter dürfen
sich die Waffenhand geben“, erklärt die Fachfrau. Dann steht
ein Waffenwechsel an. SäbelTraining. Auch da gilt: Volle Attacke.
HINTERGRUND
Fechtclub
Kassel
Der Fechtclub Kassel hat derzeit 150 Mitglieder, darunter
90 Jugendliche. „Unsere Mitglieder sind zwischen sechs
und 76 Jahren alt“, sagt Präsident Michael Richter. Der
Schwerpunkt liege auf dem
Degen, aber gefochten wird
auch mit Florett und Säbel.
Wer sich für’s Fechten interessiert, braucht eine gute Koordinationsfähigkeit, taktisches
Denken, sollte angriffslustig
sein und Kampfbereitschaft
haben.
Menschen mit Behinderung sind willkommen. Richter erklärt: „Wir wollen Fußfechter mit Rollstuhlfechtern
vertraut machen und bei Kindern und Jugendlichen
Hemmschwellen abbauen.“
• Auftritt im Internet:
www.fechtclub-kassel.de