Reversible Kontrolle der Genaktivität mittels RNAi in
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Reversible Kontrolle der Genaktivität mittels RNAi in
380_421_BIOsp_0407.qxd 398 12.06.2007 11:36 Uhr Seite 398 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN Genfunktionsanalysen Reversible Kontrolle der Genaktivität mittels RNAi in der Maus JOST SEIBLER 1 UND FRIEDER SCHWENK 1, 2 1 ARTEMIS PHARMACEUTICALS GMBH, KÖLN 2 DEPARTMENT OF APPLIED NATURAL SCIENCES, UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCE GELSENKIRCHEN, RECKLINGHAUSEN Die Labormaus (Mus musculus) nimmt eine herausragende Rolle unter den genetischen Modellorganismen in der biomedizinischen Forschung ein. Neben der Homologie der Genomsequenzen von Mensch und Maus und der Ähnlichkeit in vielen physiologischen Aspekten sind es vor allem die vielfältigen Möglichkeiten zur Manipulation des Genoms, die die Maus als ideales Modell in der präklinischen Pharmaforschung auszeichnen. So können durch verschiedene Methoden Gene gezielt ausgeschaltet werden, um aufgrund der dadurch verursachten Veränderungen Rückschlüsse auf deren Funktion zu ziehen. ¯ Abb. 1: Generierung von Mausmutanten mittels Technologiebasis von Artemis. Die Kombination des Kassettenaustausches in embryonalen Stammzellen und der Komplementation tetraploider Blastozysten ist schematisch dargestellt. Die Dreiecke stellen FRTRekombinationsstellen für den Kassettenaustausch dar. Fünf Wochen alte Mäuse können innerhalb von 3–4 Monaten generiert werden. Das von Artemis entwickelte induzierbare System ist in der unteren Box dargestellt. Der tetRepressor (itetR) bindet reversibel und in Abhängigkeit des Induktors Doxycyclin (Dox) an eine geeignete Sequenz (tetO) im H1-Promotor. In Abwesenheit von Dox blockiert tetR den Promotor und verhindert dadurch die Ausprägung der shRNA. RNA-Interferenz als alternative Methode zur selektiven Hemmung von Genen ó In jüngster Zeit hat sich die RNA-Interferenz (RNAi) in verschiedenen Organismen als äußerst effiziente Methode zur Hemmung der Genausprägung erwiesen. RNAi beruht auf einem evolutionär konservierten, zellulären Prozess, der von doppelsträngiger RNA (dsRNA) initiiert wird. Der zum Zielgen komplementäre Strang der dsRNA wird mithilfe von dem RNA-induced silencing complex (RISC) an die mRNA angelagert, was den gezielten Abbau der mRNA-Moleküle zur Folge hat. Derzeit wird RNAi mittels so genannter short interfering(si)RNA-Moleküle häufig zur Analyse der Genfunktion in Zellkulturen (in vitro) benutzt. Die Anwendung von siRNA in Mäusen ist dagegen nur sehr eingeschränkt für in vivo-Untersuchungen geeignet, da auf diese Weise lediglich eine vorübergehende und unvollständige Hemmung der komplementären mRNA in wenigen Organen erreicht wird. Kürzlich konnte jedoch gezeigt werden, dass sich siRNAs auch mittels eines geeigneten Vektors stabil in der Zelle ausprägen lassen[1]. In der Regel wird dabei eine so genannte short hairpin-RNA (shRNA) durch die Verwendung von RNA-Polymerase III-abhängigen Promotoren in der Zelle transkribiert[2]. Es wird davon ausgegangen, dass die shRNA von dem Dicer-Enzym zu einer hemmenden siRNA prozessiert wird. Die damit möglich gewordene, lang andauernde Ausschaltung von Genen mittels stabiler Integration von shRNA-Vektoren wurde mittlerweile mit verschiedenen Zelllinien und transgenen Mäusen gezeigt[3–5]. Im Vergleich zur Knock-out-Technologie, bei der durch aufwändige Verfahren und Züchtungsschritte mehrere genetische Modifikationen kombiniert werden müssen, ist der Aufwand für ein einzelnes shRNA-Konstrukt, das zur Vermittlung der RNAi in das Genom eingebracht werden muss, deutlich geringer. Effiziente Anwendung von RNA-Interferenz in der Maus In der Literatur sind in den letzten Jahren mehrere shRNA-basierte Mausmodelle beBIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang 380_421_BIOsp_0407.qxd 12.06.2007 11:36 Uhr schrieben worden[3–5]. Diese transgenen Mausmodelle wurden durch zufällige Integration der shRNA-Gene generiert, z. B. mittels Pronukleus-Injektion oder viraler Vektoren. Typischerweise entstehen dabei eine Reihe von transgenen Individuen, die den eingesetzten Vektor an unterschiedlichen Positionen und in verschiedener Kopienzahl im Genom integriert haben. In Abhängigkeit von der jeweiligen Integrationsstelle weisen die shRNA-Transgene in den resultierenden Mausstämmen ein unterschiedliches Aktivitätsmuster auf. Dieses Phänomen ist seit langem bekannt und wird als position effect variegation bezeichnet. Daher muss nach der Herstellung der shRNA-transgenen Tiere eine zeit- und arbeitsaufwändige Charakterisierung durchgeführt werden, um einzelne Mauslinien mit dem gewünschten Ausprägungsmuster der shRNA zu identifizieren. Diese Zusatzarbeit hat bisher die routinemäßige Anwendung der Technologie im hohen Durchsatz unmöglich gemacht. Um diese Komplikationen zu vermeiden, wurde bei Artemis nach einer definierten Integrationsstelle im Mausgenom gesucht, die reproduzierbar eine geeignete Ausprägung der shRNA in allen Geweben der Maus gewährleistet. Hierzu wurde auch das Rosa26Gen getestet, da es als ubiquitär ausgeprägtes Gen beschrieben wurde und während der gesamten Entwicklung in jeder Zelle der Maus aktiv ist[6]. Diese Eigenschaft ließ Rosa26 als vielversprechenden Integrationsort für die Ausprägung von shRNA-Vektoren erscheinen. Unsere Erwartungen bestätigten sich, da eine einzelne shRNA-Kopie in diesem Locus reproduzierbar zu einer hohen RNAi-Effizienz zwischen 80–95 % in nahezu allen Organen führte[5]. Um darüber hinaus eine schnelle Generierung von shRNA-Mausmodellen zu erreichen, wurde ein Kassettenaustauschsystem für den Rosa26-Locus in ES-Zellen entwickelt. Dieses System erlaubt die effiziente Einbringung von shRNA-Vektoren in nur einem einzigen Schritt. Dabei wird eine sequenzspezifische DNA-Rekombinase eingesetzt, die die gerichtete Integration von DNAAbschnitten in einen definierten, mit BIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang Seite 399 den entsprechenden Erkennungssequenzen ausgestatteten Locus vermittelt (recombinase mediated cassette exchange, RMCE). Somit steht eine Methode zur Verfügung, die eine zielgerichtete Integration von shRNA-Vektoren in den Rosa26-Locus im hohen Durchsatz und mit geringem Aufwand ermöglicht[5]. Mittlerweile wurden auf diese Weise mehrere hundert shRNAVektoren erfolgreich in das Genom embryonaler Stammzellen eingebracht. Die Ausprägung jeder dieser Vektoren führte konsistent und reproduzierbar zu einer fast vollständigen Hemmung der jeweiligen Zielgene in vivo. Neue Methoden zur induzierbaren RNA-Interferenz Ein weiterer Meilenstein ist bei Artemis mit der Entwicklung einer Methode zur zeitlich regulierbaren (induzierbaren) Ausprägung von shRNAVektoren erreicht worden. Hierzu wurde eine spezielle Variante des tetRepressors genutzt, der reversibel und in Abhängigkeit des Induktors Doxycyclin an eine geeignete Sequenz (tetO) im Promotor bindet (Abb. 1). In Abwesenheit des Induktors blockiert tetR den Promotor und verhindert dadurch die Ausprägung der shRNA. Nach Zugabe von Doxycyclin fällt der Repressor ab, woduch die Transkription angeschaltet wird. In ZellkulturExperimenten konnte demonstriert werden, dass dieser Ansatz prinzipiell funktioniert. Allerdings zeigte das System in der Maus bislang nur eine unzureichende Regulierbarkeit auf[7]. Daher war es notwendig, eine optimierte Variante des tet-Repressors in Kombination mit verschiedenen Promotoren zu testen. Schließlich wurde eine Kombination gefunden, bei der die Ausprägung der shRNA nach Zugabe von Doxycyclin stark aktiviert wird und in Abwesenheit des Induktors keine Hintergrundaktivität aufweist. Hierbei war entscheidend, dass alle Elemente zur induzierbaren shRNA-Ausprägung auf einem Vektor kombiniert und durch RMCE effizient und zielgerichtet in das Genom embryonaler Stammzellen eingebaut werden können. Damit eignet sich das System für die Herstellung induzierbarer Knock- 380_421_BIOsp_0407.qxd 400 12.06.2007 11:36 Uhr Seite 400 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN ˚ Abb. 2: Reversible Induktion einer Hyperglykämie in Mäusen. Eine Gruppe von sechs 2 Monate alten transgenen shINSR Mäusen wurde für 10 Tage mit 20 μg/ml Doxycyclin im Trinkwasser gefüttert und anschließend für 21 Tage ohne Doxycyclin gehalten. Die Blutglukosewerte wurden an den jeweiligen Tagen der Behandlung von venösen Blutproben bestimmt. Vor und nach der Fütterung des Doxycyclins (Tag 0, 10 und 31) wurden Proteinextrakte der Leber extrahiert und eine Western-Blot-Analyse mittels eines INSR-spezifischen bzw. AKT-Antiserums durchgeführt. down-Mausmodelle in einem einzigen Schritt. Die Anwendung des Systems konnte erfolgreich durch die reversible Hemmung des Insulin-Rezeptors demonstriert werden (Abb. 2). Das Modell der progressiven Insulin-Resistenz spiegelt physiologische Veränderungen wider, die beim Menschen zur Entstehung von Typ 2-Diabetes mellitus führen. Es stellt daher ein interessantes Forschungsobjekt zur Untersuchung der Pathogenese und neuer Therapiemöglichkeiten von Typ 2-Diabetes dar. Die beschriebenen Methoden haben im Gegensatz zu den bisherigen Techniken zur gezielten Mutagenese den Vorteil, dass die Inaktivierung der Zielsequenzen reversibel gesteuert werden kann. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, die Funktion von Genen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, z. B. während verschiedener Phasen der Pathogenese, zu untersuchen und neue Einblicke in Krankheitsprozesse zu gewinnen. ó Literatur [1] Brummelkamp, T. R., Bernards, R., Agami, R. (2002): A system for stable expression of short interfering RNAs in mammalian cells. Science 296: 550–553. [2] Tuschl, T. (2002): Expanding small RNA interference. Nat. Biotechnol. 20: 446–448. [3] Kunath, T., Gish, G., Lickert, H., Jones, N., Pawson, T., Rossant, J. (2003): Transgenic RNA interference in ES cellderived embryos recapitulates a genetic null phenotype. Nat. Biotechnol. 21: 559–561. [4] Rubinson, D. A., Dillon, C. P., Kwiatkowski, A. V., Sievers, C., Yang, L., Kopinja, J., Rooney, D. L., Ihrig, M. M., McManus, M. 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Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Frieder Schwenk University of Applied Science Gelsenkirchen August-Schmidt-Ring 10 D-45665 Recklinghausen Tel.: 02361-915532 Fax: 02361-915484 [email protected] www.fh-gelsenkirchen.de Dr. Jost Seibler Artemis Pharmaceuticals GmbH Neurather Ring 1 D-51063 Köln Tel.: 0221-9645342 Fax: 0221-9645321 [email protected] www.artemispharma.com BIOspektrum | 04.07 | 13. Jahrgang