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Points of Views 2/2013 Auf dem Weg zur Arbeit - Aufbruch zu einem neuen, positiven Arbeitsbegriff von Lothar Wenzl Es ist Montagmorgen. Auf dem Weg zur Arbeit höre ich ausnahmsweise einen österreichischen Populärsender. Das erste was meine Aufmerksamkeit erregt: „Wenn Sie am Weg in die Arbeit sind, hier ein Lied, dass uns wohl allen bei Montagen einfällt: I don‘ t like Mondays von den Boomtown Rats. Noch fast fünf volle Tage bis zum Wochenende, aber wir werden Ihnen diese Tage erleichtern.“ In dieser Tonart geht es dann die vollen 30 Minuten meines Weges. Ich beschließe diesen Sender wieder jahrelang nicht zu hören. Aber löst das das Problem? Warum ist Arbeit derart negativ konnotiert wird. Wenn ich mich selbst frage, geht es mir nicht so… und vielen meiner Freunde und Kollegen auch nicht. Ich arbeite gerne, ich freu mich meist auf die Arbeit. Oft kann ich es kaum erwarten, Ideen umzusetzen oder mit Kollegen an einem neuen Konzept zu arbeiten. Ich hab mich neulich selbst dabei erwischt, auf die Frage meiner Kinder, warum ich denn arbeite zu sagen: „weil ich ja Geld verdienen muss, damit wir uns das alles hier leisten können.“ Ich hörte mir dabei zu, ärgerte mich kurz über mich, welch einseitiges Bild ich hier vermittelte und verbesserte mich dann: „nein, das stimmt nicht. Ich arbeite weil ich meistens gerne arbeite, weil es mir Spaß macht und zum Glück verdiene ich damit auch Geld“. Damit waren sie dann zufrieden. Welche Einstellung geben wir, gibt die Gesellschaft schon unseren Kindern mit? Arbeit muss. Freizeit wäre aber viel schöner. Wir sollten dieses negative Bild verändern. Dafür braucht es Voraussetzungen, damit dies gelingen kann. Dafür sind viele Beiträge und vor allem ein Umdenken in vielen Bereichen notwendig, in der Gesellschaft, im Schulsystem und vor allem in den Unternehmen und um die soll es vor allem hier gehen. Bei historischer Betrachtung des Arbeitsbegriffs finden sich schon früh interessante Spuren für diese Entwicklung. Etwa bei den Römern. Ihr Arbeitsbegriff (laborare) bezeichnete das Schwanken der Sklaven unter den Lasten, die sie zu tragen hatten. Das in Österreich bekannte „lavieren- durchlavieren“ geht wohl auch auf diesen Stamm zurück und bedeutet im Kern „Schwierigkeiten vermeiden“. Die Griechen verwendeten einerseits das Wort „ponos“ für Mühe und andererseits den Begriff „ergon“ für Leistung. Dies zeigt schon die zwei Seiten des Arbeitsbegriffs, bleibende Werte zu schaffen (Werkstück, Leistung, Resultate) aber auch Last und Mühe. Auch das Englische kennt diese beiden Begriffe: „work“ für das aktive Werken und „labour“, das die passive Last meint, die man damit zu tragen hat.1 1 Manfred Füllsack, Arbeit, S. 9, UTB, 2009 www.trainconsulting.eu 1/6 Eine der jüngeren Grundlagen für den Siegeszug der schaffenden Betätigung („vita activa“) legte mit Beginn des 16 Jhd bereits die lutheranische Arbeitsethik, die gegen das bloße Anhäufen von Zinsen, Zehent und den Nepotismus der Kirche aufgetreten war und im Gegenzug für Ernsthaftigkeit und Fleiß den Einzug ins Paradies versprach. Seither begann der Siegeszug der Industriearbeit, die bis zum heutigen Tag zu einer Entfremdung von Arbeit geführt hat. Im letzten Jahrhundert hat sich der vielschichtige Arbeitsbegriff immer mehr in Richtung von Mühe geneigt, obwohl die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche über die Jahrhunderte von 80 Stunden auf heute rund 40 gefallen ist. Im Deutschen verwendet die Gesellschaft mehr und mehr den Begriff Arbeit für das, was wir tun müssen, um uns das Leben (=Freizeit / Nichtarbeit) leisten zu können. Gleichzeitig verwenden wir das Wort fast synonym für Mühe, Muss und Last. Die negative Konnotation von Arbeit in unserer heutigen Zeit wurde aber vor allem dadurch verschärft, weil die (=viele) Organisationen seit der Trennung von ausführender (operative) und Denkarbeit (Management)2 mehr und mehr zu Orten geworden sind, in denen weite Teile der Belegschaft (man beachte dieses eigenartige Wort für Menschen, die arbeiten) Sinn und damit Motivation verloren haben. Das tayloristische Konzept geht davon aus, dass Menschen wie Maschinen funktionieren, Gerade so, als könne oder müsse die Logik von Maschinen auf Menschen übertragen werden. Input-Outputkorrelationen werden dadurch als Lösung aller nichttrivialen Probleme gesehen, das heißt aller Probleme, die im Zusammenwirken von Menschen in dynamischen und komplexen Organisationen entstehen. Dieses Konzept hat entscheidend dazu beigetragen, dass denkende und handwerklich operative Arbeit getrennt wurden. Einige oben denken und viele andere führen aus. Viele Studien bestätigen heute, dass Menschen wenig Überblick haben. Viele können das Wozu ihrer Arbeit und ihren Beitrag nicht mehr erkennen. Damit geht der Bezug zu etwas Größerem verloren und damit Identität. Was die alten Manufakturen geleistet haben, ein ganzes Werkstück zu liefern und damit Sinn zu stiften, können wir heute kaum mehr beobachten. Organisationen sind heute (meist) wenig förderliche Umwelten für positiv besetzte Arbeit. Das Werk ist weggerückt. Es verwundert daher auch nicht, dass ziemlich alle „Engagement Surveys“ – also Studien, die die Zufriedenheit mit und Bindung der Menschen zu ihren Organisationen messen, zu immer denselben Schlüssen kommen. „Nur rund 25-30% der Menschen in Organisationen sind in ihren Unternehmen nachhaltig engagiert oder arbeiten mit Freude“3. Man könnte hier fragen, müssen die Menschen bei der Arbeit denn überhaupt engagiert sein oder Freude und Sinn empfinden? Reicht es nicht, wenn sie ihre Arbeit machen? 2 Niels Pfläging: Die 12 neuen Gesetze der Führung: Der Kodex: Warum Management verzichtbar ist, Campus, 2009 3 Towers Watson: Global Workforce Study 2012 www.trainconsulting.eu 2/6 Ich beantworte diese Frage mit den neuesten Erkenntnissen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Die Gehirnforschung sagt uns sehr klar, dass Menschen, die wenig bis keinen Sinn in dem sehen, was sie tun oder was rund um sie getan wird, auf Dauer keine außergewöhnlichen Leistungen vollbringen können. Wir tun das gut, wofür wir Begeisterung empfinden4 und Begeisterung entsteht im Gehirn über das Ausschütten positiver Hormone und Eiweiße. Diese werden nur dann produziert, wenn uns etwas positiv aktiviert, unsere volle Aufmerksamkeit erhält, und wir in dieser Arbeit wesentliche Beiträge leisten können. Csikszentmihalyi beschreibt dies als Flow5. Die wichtige Erkenntnis ist, dass diese Phänomene nicht nur für höherwertige oder kreative Arbeit gelten, sondern für alle Tätigkeiten möglich und nötig sind. So beschreibt der Autor sehr genau, wie und unter welchen Voraussetzungen Menschen in der Arbeit (zum Beispiel auch an AkkordArbeitsplätzen) Freude empfinden können, in ihrer Arbeit aufgehen und dadurch versuchen, diese Arbeit weiter zu verbessern. Die Genetik6, ebenso wie die stärkenorientierten Ansätze7 zeigen uns, dass der Weg zu Exzellenz, zu Spitzenleistung nur über konsequentes Erkennen, Fördern und Ausbauen der Stärken, unserer Talente gelingt, nicht jedoch über das Ausmerzen von Defiziten, Schwächen oder ähnlichem erfolgen kann. Nur so kann das Ressourcenpotential (Stärken, Talente, Erfolge, Positive Abweichungen…) in Organisationen ausgeschöpft werden und Energie entstehen. Organisationen, die immer wieder nur (und das ist die absolute Mehrheit) ihre Defizite ausmerzen wollen, brennen aus. Und mit ihnen die Menschen. Organisationen sind aus systemischer Sicht dafür da, einen sinnvollen, effektiven Rahmen für Arbeit zu schaffen. Das heißt Arbeit im Sinne von Aktivitäten und Verhalten so zu organisieren, dass sinnvolle Beiträge für Kunden, die Gesellschaft, Mitarbeiter geleistet und auch Gewinne erzielt werden können. Organisationen sind die Teilsysteme der Gesellschaft, die das größte Potential besitzen, Arbeit und ihre Bedingungen positiv zu gestalten. Ich denke, dass wird auch der wichtigste Auftrag und gleichzeitig die größte Herausforderung von Unternehmen sein, um langfristig wettbewerbsfähig bleiben zu können. Also noch mal ganz grundsätzlich gefragt: Arbeit mit Freude und Sinn? Soll und darf das sein? Das darf sein, Nein das muss. Nur dann machen Menschen Arbeit gut, dann empfinden sie Freude. Dann können Unternehmen dazu beitragen, dass Arbeit (wieder) positiv, kräftig und sinnstiftend definiert wird. Zum eigenen Nutzen und zum Nutzen von uns allen. 4 Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten, S. Fischer Verlag, 2012 5 Mihalyi Csiszentmihalyi: Flow-Das Geheimmis des Glücks, Klett-Cotta, 2005 6 Und hier allen voran Markus Hengstschläger: Die Durchschnittsfalle, 2012 7 Vgl. Kim Cameron: Positive Leadership, BK, 2008 www.trainconsulting.eu 3/6 Gibt’s gute Nachrichten? Vielen, auch vielen Verantwortlichen in Unternehmen, wird dies mehr und mehr bewusst. Es regen sich neue Entwicklungen. Megatrends (Sinnzentrierung, Ökologisierung, Nachhaltigkeit oder auch die Bildungsdebatten8) weisen in neue gesellschaftliche Richtungen. Der Paradigmenwechsel hin zu mehr Sinn, qualitativer Mitgestaltung und Partizipation, mehr Verantwortung und Nachhaltigkeit ist bereits im Gange. Wir beobachten immer mehr Beispiele von Unternehmen, in denen es Initiativen gibt, die eigene Kultur in diese Richtungen zu verändern. Es mehren sich die Unternehmen, die sich auf dem Weg zu guter Arbeit befinden. Nehmen wir als Beispiel, wie Gore, eines der kreativsten Technologieunternehmen, Innovation gestaltet. In diesem Unternehmen finden wir Prinzipien wie Selbstverpflichtung, Innovation und Eigenverantwortung. Umgelegt auf Innovation lautet die Regel dazu: „Wer es schafft, eine bestimmte, notwendige Anzahl von Personen für seine Idee zu gewinnen, darf ein Budget abrufen, ohne jemand um Erlaubnis fragen zu müssen.“ Denken wir das bis zum Ende durch. Jemand hat eine Idee, für die er mit voller Leidenschaft arbeiten möchte. Diese Person ist überzeugend und hat einen Plan, wie die Idee bis zur Marktreife geführt werden kann. Er/sie gewinnt Menschen, die ihm dabei folgen. Alles was er/sie braucht ist Geld, das er ohne zusätzlichen Aufwand abrufen kann. Den Rest, das sind Energie und Engagement -somit die wichtigste Ressourcen, die wir haben- stellen die Person und ihre MitstreiterInnen zur Verfügung. Wie lange dauert solch ein Prozess üblicherweise in Unternehmen, wie viel Zeit und Nerven brauchen Menschen dort, Ideen überhaupt mal zur Sprache zu bringe. Und aus ökonomischer Sicht, wie viel Zeit brauchen sie, um eine Idee zum Markt zu bringen? Bei Gore war‘s das schon. Sie hatten diese Idee, machten einen Plan und arbeiten bereits lange und mit voller Energie dran. Und sie finden Nachahmer. Nachahmer die auch den Weg des geringsten Widerstandes gehen, die merken, dass sie einen Unterschied machen können, und das schnell. Das schafft Energie, bringt sie zum Fließen. Das schafft Engagement und Eigenverantwortung. Es schafft letztlich sinnvolle Arbeit und entscheidende Wettbewerbsvorteile. Wer kann sich heute noch leisten, in der Innovation langsam oder ineffizient zu sein? Das ist auch die große Chance für diese Entwicklungen. Es geht hier nicht um das Wohl und die Zufriedenheit der Menschen als Selbstzweck oder gar Gutmenschentum (was wär das überhaupt?). Wenn Arbeit sinnvoll empfunden wird, wenn Menschen Freiräume haben zu entscheiden, wenn sie merken, einen wichtigen und relevanten Beitrag zum größeren Ganzen leisten zu können, erhöht das die Effektivität, 8 Vgl. die letzten Veröffentlichungen zum Thema Megatrends des Zukunftsinstituts www.trainconsulting.eu 4/6 Produktivität und damit die Erfolgschancen von Unternehmen. Es kreiert größere organisationale Energie und schafft damit nachhaltige Erfolge. Ricardo Semler, Chef von Semco, beschreibt das so: „Demokratie (im Sinne von Eigenverantwortung) am Arbeitsplatz ist kein luftiges Konzept, sondern ein besserer Weg, Dinge zu tun. Wir alle verlangen nach Demokratie in jedem anderen Aspekt unseres Lebens und unserer Kultur. Die Leute sind vernünftige Erwachsene in ihrem Privatleben, auf der Bank, in der Schule ihrer Kinder, in der Familie und unter Freunden – warum werden sie plötzlich am Arbeitsplatz wie Jugendliche behandelt? Warum können die Arbeiter nicht involviert werden bei der Auswahl ihrer Führungskräfte? Warum sollten sie nicht sich selbst managen? Warum dürften sie nicht den Mund aufmachen – herausfordern, fragen und Informationen offen teilen?“9 Er kam zu der Überzeugung, dass das nur über das Design des Unternehmens zu verändern ist. Über die Kultur, wie Menschen - statt auf zu kontrollierende Befehlsempfänger reduziert zu werden - Verantwortung übernehmen dürfen und sollen. Er arbeitete daher mit seinen Leuten an einer neuen Kultur, die (Eigen-) Verantwortung in den Mittelpunkt stellt. Sie nennen es Demokratie. Ein schönes Beispiel, wie sich diese Kultur in die Praxis gießen lässt, ist die folgende Regel bei Semco: „Treffe schnell und offen Entscheidungen - es ist 1000 mal besser nachher um Verzeihung zu bitten als vorher um Erlaubnis zu fragen.“ Bei Semco werden keine Entscheidungen von oben nach unten „runtergebrochen“. Es werden nicht mal die Geschäftsfelder definiert, um die Mitarbeiter nicht unnötig einzuengen. Die Mitarbeiter aller Ebenen sollen so frei wie möglich in ihren Entscheidungen sein. Und - Semco ist mit dieser Unternehmenskultur höchst erfolgreich. In den Jahren 19932003 gab es ein jährliches Umsatzwachstum von 25-40% und ein Gewinnwachstum von 600%, die Mitarbeiterfluktuation liegt bei unter einem Prozent und Semco gehört zu den beliebtesten Arbeitgebern in Brasilien. Nach wie vor. Dies sind nur zwei Beispiele von vielen, die wir in der Welt beobachten können. Es gibt sie auch in Mitteleuropa. Schauen Sie sich doch mal die Firma Sonnentor genauer an, auch hier werden sie staunen, wie zum Beispiel mit dem Thema Nachhaltigkeit umgegangen wird. Das heißt in diesem Unternehmen zum Beispiel, dass alle Verpackungen wiederverwertbar sind oder so viel Wertschöpfung wie möglich am Bauernhof, also bei den Produzenten belassen wird. Wie bei allen nichttrivialen Systemen im Unterschied zu Maschinen gibt es für all das keine Rezepte. Wir können keine Blaupause dieser Erfolge herstellen und woanders drüber stülpen. Aber die Beispiele geben Mut, Denk-und Handlungsmuster grundsätzlich zu hinterfragen, sorgfältig neue Prinzipien und Strukturen in Unternehmen zu schaffen, die helfen, Arbeit effektiv, energievoll und mit Freude gestalten zu können. 9 Ricardo Semler: The Seven Day Weekend, Random House Business, 2004 www.trainconsulting.eu 5/6 Auf dem Weg zu einem neuen, positiven Arbeitsbegriff. Zum Nutzen von uns allen. Ob und wie dies gelingen kann, hat immer mit dem Design der Organisation zu tun und damit meinen wir mehr als nur Aufbau- oder Ablauforganisation. OrganisationsDesign bezeichnet letztlich alles, was das Spiel der Organisation determiniert. „It defines how the game in an Organization is played”10. In der nächsten Ausgabe werde ich dann darüber berichten, wie dieser Wandel im Organisationsdesign in einigen Organisationen bereits am Weg ist. 10 N. Stanford: Organisation Design, The Economist, 2007 www.trainconsulting.eu 6/6