Bericht - Atelier Fornaro
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Bericht - Atelier Fornaro
IM ZWEIFELS FALL NACH ALTER SCHULE Text: Jeroen van Rooijen Fotografie: Valentin Jeck Bruli im Tessin fertigt eines der weltbesten Herrenhemden. Ein Manufakturbesuch bei der Familie Brülisauer offenbart einige der Geheimnisse ihrer ausserordentlichen Qualität Es gibt ein paar Dinge, die man mit den Brülisauers nicht verhandeln kann. Etwa vertikale Taillierungsnähte im Vorderteil eines Herrenhemdes, wie sie vor einigen Jahren in Mode kamen. Auch ganz schlimm: Bügelfrei-Ausrüstungen oder Einlagen in der Knopfleiste. Selbst über das Weglassen des Knopfes am Ärmelschlitz lassen Herbert Brülisauer und seine beiden Söhne Marco und Paolo nicht mit sich reden. «Den Knopf am Ärmelschlitz braucht man, sonst klafft er auf wie eine Wunde», sagt Marco Brülisauer, der für Kollektionsentwicklung und Verkauf zuständig ist. Und das Knopfloch sollte dabei im 90-Grad-Winkel zum Ärmelschlitz stehen. Die Kragen schneidet Bruli nach wie vor recht hoch, 40 bis 45 mm sind der Standard. MODE 32 Auch was die Krägen und die darin verarbeiteten Einlagen betrifft, geben sich die Brülisauers bisweilen orthodox: «Ein Hemdkragen muss leben und darf nie zu steif aussehen», erklärt Marco Brülisauer. Bei Industrieware sei der Kragen allerdings meistens verklebt und glattgebügelt, als wäre eine Walze drüber gefahren. Zwar könne man mit solchen Einlagen schneller und rationeller arbeiten, bestätigen Vater und Sohn Brülisauer einhellig, doch auf den Oberstoff des Kragens sowie die Innenseite des Kragenstegs, der den Hals berührt, kommt bei ihnen kein Zentimeter von dem Zeug. Wo was nach der reinen Lehre der Hemdenschneiderei hingehört und wo nicht, ist bei Bruli, so heisst die Marke der Brülisauers in Stabio, meist nicht verhandelbar. «Gewisse Dinge müssen wir ablehnen, weil sie gegen unsere Überzeugung wären», so Marco und Paolo Brülisauer im Gleichklang. Aber sonst sind die Herren recht flexibel. Sie können gar nicht anders, denn Bruli hat sich auf die allerhöchste Qualitätsstufe von Herrenhemden spezialisiert und fertigt immer mehr auf Mass, so auch für Al Ferano, den Schweizer Marktführer für Masskonfektion. Da muss man sich schon ein bisschen nach den Wünschen der Kundschaft richten können. Gegründet wurde die Firma Brülisauer 1961 von dem Appenzeller Herbert Brülisauer – er nähte damals bevorzugt die gerade aufkommenden, bügelfreien NylonTrikothemden, und zwar zu Zehntausenden. Trotz der mittlerweile fünfzig Jahre, die er nun schon im Tessin lebt, hat der Patron seinen charakteristischen Appenzeller Dialekt behalten. Abhanden gekommen ist ihm allerdings die Konkurrenz: Von den vielen Mitbewerbern, die damals in der Schweizer Sonnenstube Hemden fertigten, ist er einer der letzten, die noch übrig geblieben sind. Doch auch an seiner Firma ist der Strukturwandel in der Modebranche nicht spurlos vorbeigegangen. Hatte Brülisauer senior vor zwanzig Jahren noch sechsmal mehr Angestellte, und nähte Hunderttausende Hemden pro Jahr für den modischen Mittelmarkt, so ist es nunmehr ein Bruchteil der Stückzahlen von damals, dafür im obersten Preis- und Qualitätssegment. ZUSCHNITT IMMER VON HAND Um die Schnitttechnik, Logistik und die Produktionsabläufe im Betrieb, der heute eher einer grossen Manufaktur denn einem industriellen Produktionsbetrieb ähnelt, kümmert sich Paolo Brülisauer, der zweite Sohn des Patrons. Jeder Auftrag, und sei es ein einzelnes Masshemd, wird auf einem grossen Plotter ausgedruckt und einzeln und von Hand zugeschnitten. Nur so kann sichergestellt werden, dass am Schluss alle Musterverläufe am Hemd, etwa in einem Karo, millimetergenau passen, so wie es der handwerkliche Ehrenkodex der Brülisauers erfordert. Genäht wird ausnahmslos von Frauen, fast alle Grenzgängerinnen aus Italien. Einige davon arbeiten schon ihr halbes Leben bei Brülisauers und wissen genau, wie detailversessen die Familie mitunter sein kann. Immer ist einer der dreien, auch Brülisauer senior, im Betrieb zugegen und schaut zum rechten. «Die Geschichte eines guten Hemdes beginnt», so Marco Brülisauer, «immer mit dem bestmöglichen Stoff. Wir ordern unsere Stoffe ausnahmslos bei kleinen, hochwertigen Webern, die meisten davon kommen aus Italien.» In der Schweiz gebe es leider kaum noch Weber, die hochwertige und gleichwohl Hemdenstoffe herstellen, die auch in Kleinmengen noch bezahlbar sind. Die meisten der verarbeiteten Stoffe sind aus Baumwolle, doch sind auch Mischgewebe – ausschliesslich aus Naturfasern! – am Lager, also Qualitäten mit Leinen oder Kaschmir. Wolle wird im Hemdenbereich kaum je verarbeitet, denn man kann auch Flanellhemden heute besser aus voluminösen Baumwollgeweben mit Kaschmiranteil fertigen. SLIM FIT AUCH OHNE STRETCH Kunstfasern sucht man bei Bruli vergeblich, und auch Bügelfrei-Ausrüstungen schätzen die feinen Herren nicht: «Eine chemische Behandlung zur Reduzierung des Knitterns ist tabu, denn sie ruiniert die Baumwolle und den Tragekomfort.» Und Stoffe mit Elastan-Anteil werden nur auf ausdrücklichen Kundenwunsch und gleichwohl etwas widerwillig verarbeitet. «Eigentlich braucht ein Männerhemd keinen dehnbaren Stoff», so Marco Brülisauer, «denn wenn der Schnitt gut ist, auch bei Slim-Fit-Modellen, dann sitzt es auch ohne Stretch.» Das eigentliche Geheimnis des Bruli-Hemdes ist also der Schnitt, genauer gesagt: die Schulter und die Armkugel. Rationelle Hersteller schneiden relativ flache Armkugeln, weil diese sich leichter einnähen lassen und die Nahtzugaben beim Versäubern der gegenläufigen Kurven nicht zu sehr rebellieren. Die Brulis schneiden ihre Armkugeln höher, was dem Träger eine bessere Passform verspricht, den Näherinnen aber mehr Stress an der Maschine beschert. «Eine gute Armkugel ist eine Sache der Übung», wiegelt Paolo Brülisauer dem Verdacht ab, seine Leute im Dienste der Eleganz unnötig zu schinden. Bruli-Hemden, die nicht komplett auf Mass gefertigt werden, gibt es in drei Weiten (weit, für den amerikanischen Markt; gerade und tailliert) sowie in zwei Längen: eine ist lang genug, dass sie beim Tragen nicht aus dem Hosenbund rutscht und die andere leicht verkürzt, um das Hemd auch über der Hose tragen zu können. Der Slim-Fit-Rücken hat unter der Schulterpasse (Göller) keine Falten, die anderen schon. Ein in der Rückenmitte geteiltes Göller, wie es die Amerikaner im MODE 33 Luxusbereich gerne mögen, bieten die Brülisauers nicht an, denn, so sagen die Herren durchaus streng: «Das hat keinen Zweck für die Passform.» Die Amis würden das nur machen, um die vordere horizontale Naht des Göllers fadengrad zu legen und so leichteres Spiel beim Zusammennähen der Teile zu haben. Zwei schräge Nähte verziehen bekanntlich leichter. Die Kragen sind bei Bruli nach wie vor relativ hoch, also 40 Millimeter oder mehr. «Die Mode sagt seit Jahren schon kleinere Krägen voraus», lacht Marco Brülisauer, «aber die Kragenhöhe von 42 bis 45 Millimetern geht immer noch am besten.» Der Kragen, es gibt etwa achtzehn verschiedene Standardtypen, wird beim Zuschnitt etwa acht Millimeter weiter gefertigt als tatsächlich nötig, denn oft läuft der Kragen nach den ersten Waschgängen etwas ein. A propos Waschen: Da müsse man, so Marco Brülisauer, sich einfach daran gewöhnen, vor dem Füllen der Trommel die Stäbchen aus den Kragentaschen zu entfernen. Denn die brauche man später wieder, soll der Hemdkragen nicht schlaff unter das Revers eines Jacketts abtauchen. Gerade der längerschenklige Kent-Kragen spreize sich ohne Stäbchen gar sehr vom Hals weg. Eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Bruli-Kragens ist übrigens der leicht asymmetrische Zuschnitt des Ansatzpunktes am Vorderteil, der im oben liegenden Stoff, also jener des linken Brustteils, um einige Millimeter tiefer geschnitten wird, damit der geschlossene Kragen keinerlei Falten wirft und auch im gelegten Zustand, etwa im Verkaufsregal, ohne Stecknadeln richtig liegt. BRUSTTASCHE BLEIBT GEFRAGT Bezüglich der grossen Streitfälle der Hemdenkultur, Brusttasche und Button-down, geben sich die drei Brülisauers versöhnlich, ja geradezu kulant. «Buttondown-Kragen verkaufen wir sehr gut, man trägt sie immer öfter auch mit Krawatten, und es funktioniert», sagt Stil-Oberbefehlshaber Marco Brülisauer. Man müsse sich nur mal bei den Italienern umschauen. Und was die leicht spiessige Brusttasche betrifft, habe Erkenntnis über den Stilwillen triumphiert. Neunzig Prozent der Männer in der Schweiz würden Hemden mit Brusttaschen solchen ohne dieses Extra den Vorzug geben. «Wir haben namhafte Kunden, die daran gescheitert und wieder zur Brusttasche zurückgekehrt sind», weiss Marco Brülisauer. Und dann kommt es natürlich, vom ersten bis zum letzten der vielen Tausend feinen Stiche, die bis zur MARCO BRÜLISAUER Der Chef trägt immer und überall ein Hemd, auch im Sommer und am Strand. Schliesslich gilt es, die Ehre seines Berufs zu verteidigen. MODE 34 MODE 35 Vollendung eines Hemdes gemacht werden, auf die Details an. Etwa auf die «englische» Naht in der Seite, die gegenüber der handelsüblichen, mit einem Kettstich genähten und immer etwas sportiv wirkenden Kappnaht, weicher und eleganter wirkt. Genäht wird mit acht bis zehn Stichen pro Zentimeter, für eine feine, aber gleichwohl belastbare Naht. Die Knopfleiste wird zweimal voll eingeschlagen, aber meist nicht abgesteppt. Wichtig ist auch die «Mosca» oder «Fliege», ein kleines Stoffdreieck, welches am Saum den Übergang vom vorderen zum rückwärtigen Rumpfteil bildet. «Die Mosca muss im hochwertigen Bereich unbedingt sein, doch sie kostet natürlich extra Geld in der Produktion», sagt Paolo Brülisauer. DIE «MOSCA» MUSS SEIN Extra kosten auch die Bruli-typischen Knopflöcher, die fast wie handgestochen aussehen, aber mit einer eigens für den Betrieb angepassten Maschine genäht werden. Die Maschine macht pro Knopfloch drei Arbeitsschritte – Vorfaden, Umrandung und Aufschneiden –, wobei das unterste Knopfloch auf der Verschlussleiste quer zu den übrigen stehen sollte. Auch dieser Arbeitsschritt kostet mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Die Knöpfe, welche diese Knopflöcher «füllen», sind in der Luxusausführung Knöpfe aus australischem Perlmutt mit abgerundeten Kanten, auf Wunsch auch Perlmutt naturfarben, also ungebleicht. Ein weiteres Markenzeichen des Bruli-Hemdes ist der Ärmelschlitz, welcher aus einem kontrastierenden Stoff zugeschnitten ist und natürlich einen eigenen Knopf (mit quer stehendem Knopfloch) MODE 36 MODE 37 hat. Weitere Individualisierungs-Optionen sind eine persönliche Stickerei mit Monogramm, das richtigerweise auf das linke Vorderteil gehört, etwa auf Höhe der Milz. Wer will, kann auch eine Hemdmanschette etwas weiter schneiden lassen, damit auch eine voluminöse Uhr drunter passt. «Nur eine verstellbare Manschettenweite machen wir nicht, denn das ist nicht elegant», ergänzt Marco Brülisauer. Ein Bruli-Hemd ist, einmal fertig genäht, so perfekt versäubert, dass man es auch komplett umdrehen und auf der Kehrseite tragen könnte. Bevor es in den Verkauf kommt, wo es üblicherweise für einen Preis zwischen 250 und 390 Franken über den Ladentisch geht, wird das Hemd von Hand gebügelt. «Seit wir umgezogen sind, werden nur noch Kragen und Manschetten maschinell gepresst», sagt Paolo Brülisauer. Zum Schluss wird das Hemd mit ein paar wenigen Klammern und Seidenpapier auf das gewünschte Format zusammengelegt und verpackt. Ein kleiner Karton unter dem Kragen und ein Kunststoffschild sorgen dafür, dass das Hemd schon im Verkauf appetitlich und anmutig aussieht. www.gentlemensreport.com/mode