Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit?
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Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit?
Sonderdruck aus Europa Institut Zürich Band 160 Mergers & Acquisitions XVII Herausgeber: Rudolf Tschäni Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Daniel Daeniker Herausgeber: Rudolf Tschäni Mergers & Acquisitions XVII Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, vorbehalten. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. © Schulthess Juristische Medien AG, Zürich · Basel · Genf 2015 ISBN 978-3-7255-7258-8 www.schulthess.com Inhaltsübersicht Joint Offers und die Abreden zwischen den Anbietern 7 Prof. Dr. Rolf Watter, Rechtsanwalt, Bär & Karrer AG, Zürich, Titularprofessor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Zürich, und Dr. Mariel Hoch, Rechtsanwältin, Bär & Karrer AG, Zürich Opting Out 33 Prof. Dr. Luc Thévenoz, Ordinarius für Obligationen-, Banken- und Finanzmarktrecht an der Universität Genf, Direktor des Zentrums für Bank- und Finanzrecht, Präsident der Übernahmekommission, und Dr. Lukas Roos, Rechtsanwalt, Rechtskonsulent bei der Übernahmekommission Öffentliche Tauschangebote 53 Dr. Rudolf Tschäni, Rechtsanwalt, Lenz & Staehelin, Zürich Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? 139 Dr. Daniel Daeniker, Rechtsanwalt, Homburger AG, Zürich, Lehrbeauftragter an der Universität Zürich Grenzüberschreitende Transaktionen – eine Bestandsaufnahme 171 Dr. Marco Superina, Managing Director, Credit Suisse AG, Zürich Auswirkungen der Finanzkrise auf M&A-Transaktionen im Bankensektor 187 Tino Gaberthüel, Rechtsanwalt, Lenz & Staehelin, Zürich Internationaler Vergleich typischer Klauseln aus M&A-Verträgen 227 Oliver Blum, Rechtsanwalt, CMS von Erlach Poncet AG, Zürich Unternehmensverkäufe unter dem neuen Sanierungsrecht 257 PD Dr. Urs Schenker, Rechtsanwalt, Baker & McKenzie, Zürich, Privatdozent an der Universität St.Gallen 5 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Daniel Daeniker Inhalt I. Problemstellung ............................................................................................... 140 II. Grundlagen...................................................................................................... 141 1. Dauer des Aktienbesitzes bei Publikumsgesellschaften ............................ 141 2. Wem dient die Publikumsgesellschaft? .................................................... 142 a) Wesen der Publikumsgesellschaft ....................................................... 142 b) Gesellschaftsinteresse.......................................................................... 143 3. Aktionärsinteressen im schweizerischen Gesellschaftsrecht .................... 145 a) Spekulations- und Daueraktionäre ...................................................... 145 b) Typologie der Daueraktionäre ............................................................. 146 4. Schaden kurzfristig orientierte Aktionäre der Gesellschaft? ..................... 147 a) Aktionärsinteressen und langfristige Unternehmensstrategie.............. 147 b) Aktivistische Aktionäre und langfristiger Mehrwert ........................... 148 c) Folgerung ............................................................................................ 149 III. Loyalitätsaktien in der internationalen Praxis ................................................ 150 1. Warum Loyalitätsaktien? .......................................................................... 150 2. Frankreich ................................................................................................. 151 a) Loyalitätsstimmrechte ......................................................................... 151 b) Loyalitätsdividenden ........................................................................... 152 c) Loyalitätsoptionen ............................................................................... 154 3. Niederlande ............................................................................................... 156 4. Rest der Welt ............................................................................................ 157 5. EWR-Gesellschaftsrecht ........................................................................... 158 a) One share, one vote ............................................................................. 158 b) Aktionsplan Corporate Governance .................................................... 159 IV. Loyalitätsaktien auch in der Schweiz? ........................................................... 160 1. Loyalitätsaktien mit Mehrstimmrechten ................................................... 160 a) Ausgestaltung ...................................................................................... 160 b) Zulässigkeit ......................................................................................... 161 2. Loyalitätsaktien mit Dividendenprivileg................................................... 162 b) Zulässigkeit ......................................................................................... 162 139 Daniel Daeniker 3. Loyalitätsoptionen (loyalty warrants) ....................................................... 163 a) Ausgestaltung ...................................................................................... 163 b) Zulässigkeit ......................................................................................... 164 4. Loyalitätsbonus im Rahmen der Vinkulierung von Namenaktien ............ 165 a) Ausgestaltung ...................................................................................... 165 b) Zulässigkeit ......................................................................................... 166 V. I. Schlussfolgerung ............................................................................................ 168 Problemstellung Ein Gespenst geht um in Europa: Das Gespenst der aktivistischen Aktionäre. Verwaltungsräte von Publikumsgesellschaften monieren, ihr Bestreben, für das Unternehmen nachhaltig Wert für ihre Eigentümer zu schaffen, werde durch rein spekulativ orientierte Anleger torpediert1. Als Abwehrmassnahme versuchen viele Publikumsgesellschaften, eine stabile Aktionärsbasis mit Ankeraktionären2 zu bilden, die das unternehmerische Programm des amtierenden Verwaltungsrates unterstützen und damit die Gesellschaft vor activist interventions bewahren. Sollte die Annahme korrekt sein, dass langfristig ausgerichtete Aktionäre kurzfristigen Spekulanten vorzuziehen seien, stellt sich die Frage, inwieweit eine schweizerische Publikumsgesellschaft langfristigen Aktienbesitz im Sinne einer Treueprämie belohnen kann. In der Literatur werden die verschiedenen Ausgestaltungen solcher Treueprämien als Loyalitätsaktien bezeichnet. Davon sei in diesem Aufsatz die Rede. 1 „‚Oligarchie’ der Aktionäre in der Schweiz“, NZZ online, 19. November 2013 (Bericht über das Verwaltungsratsforum des Europa-Institutes der Universität Zürich). – Zur Situation in den USA vgl. BOLTON PATRICK/SCHEINKMAN JOSÉ/XIONG WEI, Executive Compensation and Short-Termist Behaviour in Speculative Markets, Review of Economic Studies 73 (2006), 577 ff. m.w.N. zur ökonomischen Literatur. 2 Ausführlich dazu WATTER ROLF, Anchor Shareholders und Grossaktionäre: Ihr Einstieg, ihre vertragliche Einbindung und ihre Information, in: M&A XII, Zürich 2010, 1 ff. 140 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Zunächst gehe ich auf die mikroökonomischen und rechtspolitischen Grundlagen der Fragestellung ein, insbesondere das Spannungsfeld zwischen den Interessen verschiedener Aktionärsgruppen in Publikumsgesellschaften (II.). Sodann wird die bestehende Verbreitung von Loyalitätsaktien in der internationalen Praxis, vorab in Frankreich, dargestellt (III.). Danach wird untersucht, inwieweit Loyalitätsaktien im geltenden schweizerischen Gesellschaftsrecht zulässig sind (IV.). Schliesslich möchte ich erörtern, inwieweit Loyalitätsaktien, soweit zulässig, auch wünschbar und zielkonform sind (V.). II. Grundlagen 1. Dauer des Aktienbesitzes bei Publikumsgesellschaften Im Kapitalmarkt ist immer mehr Kurzfristigkeit zu beobachten: Die durchschnittliche Haltedauer für Aktien von Publikumsgesellschaften ist über die vergangenen Jahrzehnte stetig gesunken3. 3 <www.rollingalpha.com>. 141 Daniel Daeniker Heute geht man bei Schweizer Aktien von einer durchschnittlichen Haltedauer von etwa 12 Monaten aus4; Studien im Ausland zeigen dieselbe Entwicklung5. In jüngster Zeit werden die Statistiken möglicherweise (zu) stark von Hochfrequenzhändlern beeinflusst, die dermassen rasch Aktien kaufen und verkaufen, dass der Durchschnitt noch weiter nach unten gezogen wird6. Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend zu immer kürzeren Haltedauern ist aber dennoch zu beobachten. Ob kurzfristiges Halten von Aktien auch kurzfristiges Denken begünstigt, ist eine andere Frage. Bevor ich mich dieser Frage zuwende7, sei erörtert, wie im schweizerischen Gesellschaftsrecht das Verhältnis zwischen Aktionär und Unternehmen rechtspolitisch beurteilt wird. 2. Wem dient die Publikumsgesellschaft? a) Wesen der Publikumsgesellschaft Zum Wesen der Publikumsgesellschaft zählt, dass ihre Mitgliedschaftsrechte (Aktien) breit gestreut sind. Viele unternehmerische Projekte können nur realisiert werden, wenn die Gesellschaft bei einer Vielzahl von Marktteilnehmern grosse Mittel aufnehmen kann8. Korrelat zu dieser breit abgestützten Finanzierung ist die Möglichkeit des Aktionärs, sich jederzeit von seiner Beteiligung zu trennen9. Aktionäre von Publikumsgesellschaften können jederzeit – gewissermassen auf Knopfdruck – aus der Gesellschaft austreten. 4 NZZ (FN 1), a.a.O. 5 SAFT JAMES, The Wisdom of Exercising Patience in Investing, Reuters online, 2. März 2012; BOLTON PATRICK/SAMAMA FÉDÉRIC, L-Shares: Rewarding Longterm Investors, EGCI Finance Working Papier No. 342/2013, 3; QUIMBY ALEXANDER P., Addressing Corporate Short-Termism Through Loyalty Shares, Florida State University Law Review 40 (2013), 389 ff., 395. 6 ROE MARK, Corporate Short-Termism – In the Boardroom and in the Courtroom, The Business Lawyer 68 (2013), 977 ff., 998 f. 7 Vgl. unten, II.4. 8 A.v. MEIER-HAYOZ ARTHUR/FORSTMOSER PETER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Aufl., Bern 2012, § 16 N 14 ff. 9 MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER (FN 8), § 16 N 301 ff.; VOGT HANS-UELI, Aktionärsdemokratie, Zürich/St.Gallen 2012, 26 m.w.N. 142 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Sie sind denn auch der Gesellschaft gegenüber ausser der Pflicht zur Liberierung des Ausgabebetrags nichts schuldig (Art. 680 Abs. 1 OR). Dies gilt nicht nur in der Schweiz, sondern wohl universell: „It has often been said that the owner of a horse is responsible. If the horse lives he must feed it. If the horse dies he must bury it. No such responsibility attaches to a share of stock.“10 Publikumsaktionäre sind, wie andernorts ausgeführt11, häufig desinteressiert, gelegentlich gesichtslos und im Extremfall gar treulos. b) Gesellschaftsinteresse Der Verwaltungsrat einer schweizerischen Aktiengesellschaft ist verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen zu wahren (Art. 717 Abs. 1 OR). Worin diese Interessen bestehen, wird im Gesetz nicht näher ausgeführt. Insbesondere verlangt das Obligationenrecht nicht, dass der Verwaltungsrat ausschliesslich die Interessen der Aktionäre zu wahren oder auch nur den Aktionärsinteressen den Vorrang vor anderen Interessen zu geben habe. Dies steht im Gegensatz zu einschlägigen Gerichtsurteilen zum U.S.amerikanischen Gesellschaftsrecht, wonach eine Gesellschaft in erster Linie den Aktionären zu dienen hat12. In der schweizerischen Rechtslehre sind verschiedene Ansätze zu beobachten, die das Gesellschaftsinteresse näher umschreiben: 10 BERLE ADOLF A./MEANS GARDINER C., The Modern Corporation and Private Property, New York 1932, 64. 11 BIEDERMANN DOMINIQUE/DAENIKER DANIEL, Pro & Contra: Soll die Generalversammlung Managersaläre genehmigen?, GesKR 2008, 142 ff., 150; weiterführend FORSTMOSER PETER/MEIER-HAYOZ ARTHUR/NOBEL PETER, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 1 N 152; VOGT (FN 9), 27 m.w.N. 12 „A business corporation is carried on primarily for the profit of the stockholders“ (Dodge v. Ford Motor Company, Michigan Supreme Court, 170 NW 668 [1919]). Teilweise wird diese Maxime relativiert durch einzelstaatliche Regelungen, die es einer Gesellschaft erlauben, auch andere Interessen zu berücksichtigen (sog. alternative constituency statutes, vgl. KEAY ANDREW, The Enlightened Shareholder Value Principle and Corporate Governance, New York 2013, 185 ff.). 143 Daniel Daeniker − SCHLUEP entwickelte das Konzept des Unternehmensinteresses, gemeint als dauernde Sicherung des gewinnerzielenden Unternehmens im Interesse der Aktionäre, der Gesellschaft und der Allgemeinheit (Volkswirtschaft, Gläubiger, Arbeitnehmer)13. Dieser Gedanke wird im neueren Schrifttum als stakeholder-Ansatz bezeichnet14; sein Einfluss ist ungebrochen. Als jüngstes Beispiel betont der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance (SCBP) in der Fassung von 2014 die Verantwortung des Verwaltungsrates für die „nachhaltige Unternehmensentwicklung“15, während das Interesse der Aktionäre nur beiläufig erwähnt wird16. − Kritiker dieser Lehrmeinung, vorab BÄR, vertraten demgegenüber die Auffassung, es sei für eine Aktiengesellschaft typisch, wenn die anonymen Gesellschafter von der Gesellschaft nichts anderes erwarten als Anlage und Ertrag17. Mit seinen Aussagen nahm BÄR den shareholdervalue-Ansatz vorweg, der vor allem in den 1990er-Jahren beliebt war18, in der Zwischenzeit aber viele Anhänger verloren hat19. − LAMBERT schliesslich geht davon aus, das Gesellschaftsinteresse eigne sich nicht als objektiver Massstab für das Handeln des Verwaltungsrates, weil dieser Begriff nicht nach justiziablen Kriterien beurteilt werden 13 SCHLUEP WALTER, Schutz des Aktionärs auf neuen Wegen? SAG 1960/61, 137 ff., 170 ff., 188 ff.; FORSTMOSER/MEYER-HAYOZ/NOBEL (FN 11), § 3 N 17 und § 28 N 26; FORSTMOSER PETER, Profit – Das Mass aller Dinge? Zur Aufgabe börsenkotierter Unternehmen, in: Festgabe zum schweizerischen Juristentag, Zürich 2006, 55 ff., 71 f.; BSK OR II-WATTER/ROTH PELLANDA, 3. Aufl., Basel 2008, Art. 717 N 16. 14 VON DER CRONE HANS CASPAR, Aktienrecht, Bern 2014, § 1 KARL, Grundlagenbericht zur Revision des SCBP, Zürich 2014, 15 SCBP (2014), Rz 9. 16 Vgl. unten, FN 24. 17 ROLF BÄR, Grundprobleme des Minderheitenschutzes in der Aktiengesellschaft, ZBJV 1959, 369 ff.; DERS., Aktuelle Fragen des Aktienrechts, ZSR 1966 II, 514 f.; VON DER CRONE (FN 14), § 1 N 23 f. 18 19 144 N 20; HOFSTETTER 3 f. CRONE (FN 14), § 1 N 21; MIZRUCHI MARK/KIMELDORF HOWARD, The Historical Context of Shareholder Value Capitalism, Political Power and Theory 17 (2005), 223 ff. VON DER Eingehend FORSTMOSER (FN 13), 60 ff. Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? könne20. Man mag dem anfügen, dass es in der Tat schwer fällt festzuhalten, was im Interesse des Unternehmens liegt. Dagegen ist es einfacher, zu erkennen, welche Handlungen eindeutig gegen das Gesellschaftsinteresse verstossen – etwa Handlungen, die das Vermögen der Gesellschaft ohne Gegenleistung schmälern. 3. Aktionärsinteressen im schweizerischen Gesellschaftsrecht a) Spekulations- und Daueraktionäre Ausgehend vom Begriff des Gesellschaftsinteresses, das ein separates Dasein von den Interessen der Aktionäre führt21, wird in der Literatur zwischen Spekulations- und Daueraktionären unterschieden. Ein Daueraktionär, so die Lehre, ist daran interessiert, die finanzielle Basis der Gesellschaft gesund zu erhalten; er denkt langfristig. Der Spekulant will dagegen nur innert kurzer Zeit durch Kauf und Verkauf von Aktien Gewinne erzielen; nachhaltiger Unternehmenserfolg kümmert ihn nicht22. Im Spannungsfeld zwischen Spekulations- und Daueraktionär hat die herrschende Lehre grundsätzlich zugunsten des Daueraktionärs Stellung bezogen23. Der SCBP erwähnt – wenn überhaupt von Aktionärsinteressen die Rede ist – einzig die „Interessen langfristig engagierter Aktionäre“24. Langfristiges Denken wurde auch vom Bundesgericht als Richtschnur gutgeheissen25. Dieser Entscheid ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, weil er unter dem alten, 1992 ausser Kraft gesetzten Aktienrecht erging, in dem die Schutzrechte des einzelnen Aktionärs eher rudimentär ausgestaltet waren. 20 LAMBERT CLAUDE, Das Gesellschaftsinteresse als Verhaltensmaxime des Verwaltungsrates der Aktiengesellschaft, Diss. Zürich 1992, passim. 21 Vgl. oben, FN 13. 22 FORSTMOSER/MEYER-HAYOZ/NOBEL (FN 11), § 3 N 46. Zum short-term bias im internationalen Kapitalmarkt vgl. BOLTON/SAMAMA (FN 5), 5; QUIMBY (FN 5), 397; Mercer Consulting, Building a Long-term Shareholder Base: Assessing the Potential of Loyalty-driven Securities, London 2013, 5 und 8 f. 23 A.v. FORSTMOSER/MEYER-HAYOZ/NOBEL (FN 11), § 3 N 20 und 47. 24 SCBP (2014), Rz 35; ausführlich HOFSTETTER (FN 14), 7 f. m.w.N. 25 BGE 100 II 393 E. 4. 145 Daniel Daeniker b) Typologie der Daueraktionäre Wie kann im Einzelfall der Konflikt zwischen kurz- und langfristig engagierten Aktionären gelöst werden? Idealerweise laufen die Interessen aller Kapitalgeber in dieselbe Richtung, möglicherweise dadurch, dass die Gesellschaft ganz oder teilweise von einem Unternehmeraktionär kontrolliert wird. Dieser wird über seinen Einfluss auf den Verwaltungsrat dafür besorgt sein, dass das Unternehmen im Rahmen seiner Tätigkeit zumindest langfristig eine ansprechende Rendite auf dem eingesetzten Kapital erzielt. Gewöhnliche Publikumsaktionäre haben bei solchen Gesellschaften faktisch weniger Mitsprachemöglichkeiten, werden aber umgekehrt darauf vertrauen, dass der Unternehmeraktionär im Sinne aller Anteilseigner denkt und handelt26. Allerdings hat längst nicht jede Publikumsgesellschaft einen Grossaktionär, der das Wohl sämtlicher Aktionäre im Auge hat. Viele Anleger sind zwar langfristig engagiert, interessieren sich aber nur wenig für die Geschicke der Gesellschaft. Das gilt einerseits für Portfolioaktionäre, die nur eine geringe Anzahl Aktien halten; für diese lohnt es sich häufig schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht, in der Corporate Governance der Gesellschaft mitzuwirken27. Ähnliches Desinteresse zeigen oft auch Finanzintermediäre, die Mittel Dritter verwalten – Verwalter von Anlagefonds und Pensionskassen, grosse Versicherungsunternehmen usw. Diese Anleger halten Aktien im Interesse der Fondsanleger, Begünstigten von Pensionskassen und Versicherten. Ob und inwieweit sie bei den von ihnen getätigten Anlagen im Sinne der Begünstigten auf die Corporate Governance von Publikumsgesellschaften Einfluss nehmen sollen, ist in Teilbereichen mit wenig griffigen Phrasen geregelt28. 26 Zu den kontrollierten Publikumsgesellschaften generell vgl. DAENIKER DANIEL, Angebotspflicht und Kontrollprämie – die Schweiz gegen den Rest der Welt?, in: Mergers & Acquisitions XIII, Zürich 2010, 97 ff. 27 BERLE/MEANS (FN 10), 76, VON DER CRONE (FN 14), § 1 N 27 ff. sowie die bei VOGT (FN 9), 37 f., zitierten Autoren. 28 So etwa die Pflicht zur Wahrung der Interessen der Versicherten durch Vorsorgeeinrichtungen (Art. 51b Abs. 2 BVG; Art. 22. Abs. 2 VegüV), neuestens näher umschrieben als Stimmverhalten, das „dem dauernden Gedeihen der Vorsorgeeinrich- 146 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Regelmässig sind solche Finanzintermediäre indessen gar nicht interessiert, ihre Aktionärsrechte aktiv wahrzunehmen. Viel einfacher scheint es da, blind den Empfehlungen der proxy advisers zu folgen und so dem Vorwurf vorzubeugen, die Interessen der Destinatäre unzureichend wahrgenommen zu haben29. In der Literatur war lange von der separation of ownership from control30 die Rede, dem Gegensatz zwischen Anteilsinhabern ohne wesentliche Kontrollmöglichkeit und Verwaltungsräten, die die Gesellschaft fast ungehindert lenken können31. Neu wird heute die separation of ownership from ownership als rechtspolitisches Problem erkannt32: Der Finanzintermediär ist (Buch-) Aktionär, aber an den Geschicken der Gesellschaft nur wenig interessiert; der Begünstigte ist nicht Aktionär und kann daher keinen Einfluss auf die Corporate Governance ausüben. 4. Schaden kurzfristig orientierte Aktionäre der Gesellschaft? a) Aktionärsinteressen und langfristige Unternehmensstrategie Die Idee einer Treueprämie für langfristige Aktionäre geht implizit davon aus, dass langfristige Aktionäre der Gesellschaft gut tun, während kurzfristig tung dient“ (Art. 22 Abs. 3 VegüV). Ähnlich das Recht der kollektiven Kapitalanlagen (Art. 23 KAG). 29 Kritisch dazu GERICKE DIETER/BAUM OLIVIER, Corporate Governance: Wer ist der Governor?, SZW 2014, 345 ff., 347 und 352 f. 30 BERLE/MEANS (FN 10), 68; vgl. auch KRAAKMAN REINIER ET AL., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl., Oxford 2009, 307 f.; MONKS ROBERT A.G./MINOW NELL, Corporate Governance, 5. Aufl., Chichester 2001, 118 ff. 31 Für das schweizerische Recht bemerkenswert vorausschauend FRIEDRICH WIESER (SAG 7 [1934/35], 23): „Die Masse der Aktionäre hat mit der Leitung des Betriebes nichts zu tun, auch der Anteil an der Führung des Unternehmens, der ihnen vom Gesetze in der Generalversammlung zugewiesen ist, wird von ihnen tatsächlich kaum ausgenützt. Die Selbstbestimmungsfähigkeit der Masse reicht dazu nicht aus.“ 32 STRINE LEO, Why Excessive Risk-Taking is Not Unexpected, New York Times online, 5. Oktober 2009; QUIMBY (FN 5), 393 f.; für das schweizerische Recht GERICKE/BAUM (FN 29), 348. 147 Daniel Daeniker engagierte Aktionäre nur das schnelle Geld vor Augen haben33. Sollte diese Gleichung richtig sein, müsste man eigentlich auch davon ausgehen, dass Gesellschaften mit grossen, stabilen Aktionärsblöcken eher einen langfristigen Anlagehorizont haben als andere. Solche Gesellschaften sollten daher eher gewillt sein, Investitionen zu tätigen, etwa im Rahmen der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E). Ohne diese Frage einer empirischen Untersuchung unterziehen zu wollen34, sei auf eine kürzlich veröffentlichte Studie im Pharmabereich35 hingewiesen. Die Studie zeigt, dass die beiden schweizerischen Branchenschwergewichte Novartis und Roche mit Bezug auf die aktuellen und über die nächsten Jahre geplanten F&E-Ausgaben im weltweiten Branchenvergleich an der Spitze sind. Zwischen den beiden Gesellschaften besteht aber kein wesentlicher Unterschied, obwohl bei Roche der langfristige Einfluss der kontrollierenden Aktionärsfamilie legendär ist, Novartis dagegen eine „echte“ Publikumsgesellschaft darstellt. Zwischen Aktionärsstruktur und langfristigem Verhalten lässt sich also nicht ohne Weiteres eine simple Korrelation herleiten. b) Aktivistische Aktionäre und langfristiger Mehrwert Gleichermassen kann man sich die Frage stellen, ob die landläufige Meinung stimmt, dass Interventionen von aktivistischen Aktionären allenfalls kurzfristig ein Kursfeuerwerk produzieren, langfristig aber die Unternehmung schädigen. Polemik über die schädlichen Auswirkungen von „Heuschrecken“36 33 Vgl. die oben in FN 22 zitierten Autoren und unten, III.1. 34 Für eine eingehende (und kritische) Analyse vgl. ROE (FN 6), 985 f. und 994 m.w.N. 35 EP VANTAGE, Novartis and Roche the biggest R&D Spenders as NME costs fall, 26. Juni 2013 <www.epvantage.com>. 36 Soweit ersichtlich, wurde der Begriff vom SPD-Vorsitzenden FRANZ MÜNTEFERING geprägt: „Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben.“ (Rede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung am 22. November 2004, vgl. Erläuternder Bericht des Bundesrates zur Änderung des Obligationenrechts [Aktienrecht], Bern 2014, 27). 148 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? gibt es genug; aber die Unterscheidung zwischen kurz- und langfristiger Verfolgung von Unternehmensinteressen ist allzu pointiert, vielleicht sogar obsolet37. Neuere Studien scheinen aufzuzeigen, dass die Kritik an aktivistischen Aktionären statistisch nicht untermauert werden kann. Eine Untersuchung von rund 2’000 activist interventions bei U.S.-amerikanischen Publikumsgesellschaften zwischen 1994 und 2007 belegt sogar, dass entsprechende Aktionen (auch) langfristig – mit einem Zeithorizont von bis zu 5 Jahren nach erfolgter Intervention – Mehrwert für die Aktionäre generieren38. c) Folgerung Die Idee, dass langfristig engagierte Aktionäre der Gesellschaft gut tun, während kurzfristige Aktionäre nur Eigeninteressen verfolgen, greift wohl zu kurz39. Auch das normative Postulat, der Verwaltungsrat einer Publikumsgesellschaft bedürfe geeigneter Massnahmen, um das Unternehmen gegen aktivistische Aktionäre verteidigen zu können, lässt sich nicht ohne Weiteres empirisch belegen. Im Gegenteil: Möglicherweise sind activist interventions notwendig und sinnvoll, um zu verhindern, dass Verwaltungsräte von Publikumsgesellschaften träge und ineffizient werden. 37 Gemäss GERICKE DIETER/WALLER STEFAN, Business Judgment Rule oder Judge’s Business, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht IX, Bern 2014, 288 ff., 305 sind kurzfristige Interessen den langfristigen vorzuziehen, wenn dadurch der net present value des Unternehmens gesteigert wird. 38 BEBCHUK LUCIAN, The Myth of Hedge Funds as „Myopic Activists“, Wall Street Journal online, 6. August 2013; BEBCHUK LUCIAN/BRAV ALON/JIANG WEI, the Long-term Effects of Hedge Fund Activism, erscheint in Columbia Law Review 114 (2014); BEBCHUK LUCIAN, The Myth that Insulating Boards Serves Long-term Value, Columbia Law Review 113 (2013), 1637 ff. 39 Ebenso ROE (FN 6), 1004 f.; FRIED JESSE, The Uneasy Case for Favoring LongTerm Shareholders, erscheint in Yale Law Journal 124 (2014); SCHUMPETER (Kolumnist), The tyranny of the long term, The Economist online, 22. November 2014. 149 Daniel Daeniker III. Loyalitätsaktien in der internationalen Praxis 1. Warum Loyalitätsaktien? Geht man – im Sinne der traditionellen Sichtweise40 und entgegen den soeben gemachten Ausführungen41 – davon aus, dass Daueraktionäre für eine Unternehmung besser sind als kurzfristig engagierte Aktionäre, erscheint es angezeigt, langfristiges Engagement zu belohnen, weil die Treue der Anteilsinhaber letztlich auch der Gesellschaft nützt: „[…] sans actionnaires fidèles, la gestion n’aura pas la continuité nécessaire à la réalisation d’objectifs à long ou moyen terme, qui sont les sources les plus sûres de la rentabilité“.42 Als Mittel stehen in der internationalen Praxis drei Modelle im Vordergrund43: − langfristige Aktionäre können in einer Publikumsgesellschaft mehr Stimmrechte ausüben als kurzfristige; − langfristig engagierte Aktionäre erhalten eine Treueprämie im Sinne einer erhöhten Dividende; und − langfristige Aktionäre erhalten als Gegenleistung für ihr langfristiges Engagement andere Finanzinstrumente wie z.B. Aktionärsoptionen zugeteilt, die ihren Kapitaleinsatz im Vergleich zu kurzfristig engagierten Aktionären durch eine Besserstellung abgelten. Nachstehend wird die Verbreitung solcher Instrumente im Ausland dargestellt, in Teil IV. deren Zulässigkeit im schweizerischen Recht. 40 Vgl. oben, II.3.a). 41 Vgl. oben, II.4. 42 GUYON YVES, La Loi du 12 Juillet 1994 sur le Dividende Majoré, Revue des Sociétés (1)1995, 2 ff. – Vgl. auch PETERSON KRISTINA, Loyalty Shares – It’s a Long Story, Wall Street Journal online, 10. Mai 2011; BOLTON/SAMAMA (FN 5), passim. 43 Auf ein viertes, rein helvetisches Modell – die Berücksichtigung langfristigen Aktienbesitzes im Rahmen der Vinkulierung von Namenaktien – wird in Ziff. IV.4. eingegangen. 150 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? 2. Frankreich Das Instrument der Loyalitätsaktien wurde vor Jahrzehnten in Frankreich entwickelt. Andere Länder haben häufig das französische Modell kopiert. Aus diesem Grunde gehe ich zunächst auf die Rechtslage in Frankreich ein. a) Loyalitätsstimmrechte Grundlage des erhöhten Stimmrechts von Aktionären ist Art. L225-123 des Code de Commerce, dessen erster Absatz wie folgt lautet: „Un droit de vote double de celui conféré aux autres actions, eu égard à la quotité de capital social qu’elles représentent, peut être attribué, par les statuts à toutes les actions entièrement libérées pour lesquelles il sera justifié d’une inscription nominative, depuis deux ans au moins, au nom du même actionnaire.“ Bereits ein Gesetz aus dem Jahre 1933 erlaubte im Sinne einer prime de fidélité personnelle unter gewissen Umständen ein doppeltes Stimmrecht, das in den Statuten auf französische Aktionäre beschränkt werden konnte44. Diese Regelung wurde 1966 im Rahmen der Revision des Code de Commerce übernommen, die Möglichkeit der Diskriminierung aufgrund des Bürgerrechts zumindest innerhalb der EU aber aufgehoben45. Loyalitätsstimmrechte können im französischen Gesellschaftsrecht unter folgenden Voraussetzungen den Aktionären zugeteilt werden: − Loyalitätsstimmrechte bedurften gemäss Code de Commerce 1966 zu ihrer Gültigkeit einer Grundlage in den Statuten der fraglichen Gesellschaft. Für kotierte Gesellschaften besteht das Loyalitätsprivileg allerdings seit April 2014 aufgrund der sog. Loi Florange von Gesetzes wegen46 (Hervorhebung hinzugefügt): 44 Project de loi sur les sociétés commerciales, n° 1368, Paris 1965, 127 f. 45 Loi n° 66-537 du 24 juillet 1966, art. 175 (Ab); Project de loi sur les sociétés commerciales (FN 44), 128. – Bis 2014 konnten die Statuten dieses Recht immer noch auf EU-Aktionäre begrenzen (Art. L225-123 Abs. 3 Code de Commerce). 46 Loi n° 2014-384 du 29 mars 2014 visant à reconquérir l’économie réelle. 151 Daniel Daeniker „Dans les sociétés dont les actions sont admises aux négociations sur un marché réglementé, les droits de vote double prévus au premier alinéa sont de droit, sauf clause contraire des statuts adoptée postérieurement à la promulgation de la loi n° 2014-384 du 29 mars 2014 visant à reconquérir l’économie réelle […].“ Das doppelte Stimmrecht gilt also für kotierte Gesellschaften automatisch, ohne dass die Statuten dies eigens vorsehen müssen. Die Gesellschaft kann dieses Stimmrechtsprivileg allerdings statutarisch wegbedingen. − Die Aktien, auf die sich das erhöhte Stimmrecht bezieht, müssen im Aktionärsregister der Gesellschaft eingetragen sein. − Die Haltedauer für die Zuteilung von zusätzlichen Stimmrechten beträgt gemäss Gesetz mindestens zwei Jahre. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erhält ein langfristig engagierter Aktionär das doppelte Stimmrecht. Im Falle der Ausgabe von Gratisaktien (Reserveliberierung) kommt das doppelte Stimmrecht auch den neu geschaffenen Aktien zugute47. Das erhöhte Stimmrecht geht verloren, wenn der Aktionär nicht mehr im Aktienregister eingetragen ist oder wenn er die Titel veräussert48. b) Loyalitätsdividenden Das langfristige Halten von Aktien kann im französischen Gesellschaftsrecht auch mit einer erhöhten Dividende abgegolten werden. Die gesetzliche Grundlage findet sich in Art. L232-14 des Code de Commerce, der was folgt regelt: „Une majoration de dividendes dans la limite de 10% peut être attribuée par des statuts à tout actionnaire qui justifie, à la clôture de l’exercice, d’une inscription nominative depuis deux ans au moins et du maintien de celle-ci à la date de mise en paiement du dividende. Son taux est fixé par l’assemblée générale extraordinaire. Dans les so- 47 Art. L225-123 Abs. 2 Code de Commerce. 48 Art. L225-124 Abs. 1 Code de Commerce. 152 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? ciétés dont les titres de capital sont admis aux négociations sur un marché réglementé, le nombre de titres éligibles à cette majoration de dividendes ne peut excéder, pour un même actionnaire, 0.5% du capital de la société. La même majoration peut être attribuée, dans les mêmes conditions en cas de distribution d’actions gratuites. Cette majoration ne peut être attribuée avant la clôture du deuxième exercice suivant la modification des statuts.“ Auch diese Bestimmung besteht in ihren Grundzügen seit 196649. Loyalitätsdividenden können den Aktionären ausgerichtet werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: − Wie bei den Loyalitätsstimmrechten ist zunächst eine Grundlage in den Statuten der Gesellschaft erforderlich. − Auch die Loyalitätsdividende kann nur auf Namenaktien ausgerichtet werden, die im Aktienregister der Gesellschaft eingetragen sind. − Die Haltedauer beträgt zwei Jahre, wobei als Stichtag der Abschluss des Geschäftsjahres massgeblich ist. Im Zeitpunkt der Ausschüttung der Dividende muss der Aktionär immer noch im Aktienregister eingetragen sein. Eine Rückwirkung der entsprechenden Statutenbestimmung ist von Gesetzes wegen ausgeschlossen. Somit kann eine Statutenänderung im Jahre 2015 erst im Frühjahr 2018 für das Geschäftsjahr 2017 zur Ausrichtung einer Loyalitätsdividende führen50. − Die Superdividende darf höchstens 10% der gewöhnlichen Dividende betragen. − Bei börsenkotierten Unternehmen kann darüber hinaus die Loyalitätsdividende pro Aktionär auf maximal 0.5% des Aktienkapitals der Gesellschaft ausgerichtet werden. Somit ist die Loyalitätsdividende – im Gegensatz zu den oben beschriebenen Loyalitätsstimmrechten – in erster Linie ein Privileg für kleine Aktionäre. 49 Loi n° 66-537 du 24 juillet 1966, art. 347-2 (Ab). 50 Vgl. dazu Art. L232-14 Abs. 2 Code de Commerce; GUYON (FN 42), 4. 153 Daniel Daeniker Auch der Anspruch auf Superdividende geht verloren, wenn der Aktionär nicht mehr im Aktienregister eingetragen ist oder seine Titel veräussert51. c) Loyalitätsoptionen Ohne entsprechende Grundlage im Code de Commerce werden in Frankreich bisweilen auch Loyalitätsoptionen ausgegeben. Beispielhaft dafür sei die Emission von Michelin dargestellt52. Michelin nahm 1991 eine Restrukturierung vor, die unter anderem eine Kürzung der Dividende zur Folge hatte. Aktionäre, die den Dividendenschnitt erleiden mussten, erhielten zu diesem Zeitpunkt Optionen im Verhältnis 1:10 zugeteilt. Die Optionen konnten während vier Jahren ausgeübt werden. Der Ausübungspreis lag mit FRF 200 erheblich über dem damaligen Aktienkurs von FRF 115. Als zusätzliche Bestimmung legte der Verwaltungsrat fest, dass Aktionäre, die sich bis Ende 1993 nicht von ihren Titeln trennen, eine zweite Option pro 10 gehaltene Aktien erhalten würden. Diese Loyalitätsoptionen kamen also nur denjenigen Aktionären zu, die trotz der Restrukturierung und dem damit einhergehenden Kursrückgang ihre Titel behielten. Die spätere Entwicklung des Aktienkurses von Michelin zeigte, dass dies für die Aktionäre ein gutes Geschäft war: Der Kurs lag während der Hälfte der Ausübungsperiode über FRF 200, wobei die längste Hausse fast zeitgleich mit dem Ablauf der Loyalitätsperiode stattfand. 51 GUYON (FN 42), 5. 52 Ausführlich dazu BOLTON/SAMAMA (FN 5), 11. 154 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Der hohe Ausübungspreis für die Loyalitätsoptionen von Michelin lag wohl darin begründet, dass die Gesellschaft davon ausging, nach der Restrukturierung werde sich der Aktienkurs rasch wieder erholen. Denkbar wäre auch eine alternative Preisgestaltung gewesen: − Emission der Optionen zum Tageskurs anlässlich der Ausgabe, womit die Hebelwirkung der Optionen – aber auch die Verwässerung der bisherigen Aktionäre – einiges grösser gewesen wäre. − Ausübung der Option erst am Ende der Laufzeit (europäische Option), wobei der tiefste Kurs während der Optionsfrist als Ausübungspreis gilt. Dies führt allerdings zu einer noch stärkeren Verwässerung. 155 Daniel Daeniker − 3. Ausübungspreis, der dem Durchschnittskurs während der Ausübungsperiode entspricht, womit auch hier die Option erst am Ende der Optionsfrist eingelöst werden kann53. Niederlande Im niederländischen Gesellschaftsrecht sind Loyalitätsaktien nicht gesetzlich vorgesehen, wurden aber trotzdem vereinzelt eingeführt. Prominentes Beispiel ist die Schaffung von Loyalitätsaktien durch den Chemiekonzern Koninklijke DSM N.V.54. DSM führte im Jahre 2007 eine Statutenbestimmung ein, wonach registrierte Aktionäre nach drei Jahren eine Superdividende von 30% der durchschnittlichen Dividende der vergangenen drei Jahre erhalten würden. Danach sollte Jahr für Jahr eine Superdividende von 10% ausgerichtet werden. Franklin Mutual Advisers, Anlageberater der Franklin-Templeton-Anlagefonds, setzten sich gegen diese Regelung zur Wehr. Sie argumentierten, ein Dividendenprivileg sei nur im Rahmen der Schaffung einer eigenen Aktienkategorie zulässig; darüber hinaus führe die neue Statutenbestimmung zu einer Ungleichbehandlung der Aktionäre ohne sachliche Rechtfertigung55. Zum ersten Argument beriefen sich die Kläger auf Art. 2:92(1) des Zivilgesetzbuches (Burgerlijk Wetboek, BW), der festhält, dass die Rechte an allen Aktien sich im Verhältnis zum Nennwert bemessen, soweit die Statuten nichts anderes bestimmen56. Zum zweiten Argument hielt Art. 2:92(2) BW fest, dass eine 53 Die Preisbestimmung nach dem Durchschnittskurs während der Optionsperiode wird als Asian look-back call option bezeichnet (BOLTON/SAMAMA [FN 5], 14). 54 BOLTON/SAMAMA (FN 5), 36; WALLACE CHARLES, Thank you for Holding, Institutional Investor 10/2012, 28. 55 LENNARTS M.L., Loyalty Dividend and the EC Principle of Equal Treatment of Shareholders, European Company Law 4/2008, 173 f. 56 „Voor zover bij de statuten niet anders is bepaald, zijn aan alle aandelen in verhouding tot hun bedrag gelijke rechten en verplichtingen verbonden.“ (Soweit die Statuten nichts anderes festlegen, sind an alle Aktien im Verhältnis zu ihrem Nennwert die gleichen Rechte und Pflichten verbunden.) 156 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Publikumsgesellschaft alle Aktionäre, die sich in gleichen Umständen befinden, gleich zu behandeln habe57. Die Klage wurde in erster Instanz vom Amsterdamer Appellationsgericht geschützt. Das Gericht hielt fest, Art. 2:92(1) BW verlange zwingend, bei ungleichen Vermögensrechten von Aktionären eine eigene Aktienkategorie zu schaffen58. Der Hohe Rat der Niederlande, das höchste Gericht des Landes, stellte sich aber auf den Standpunkt, das Appellationsgericht habe die gesetzliche Bestimmung zu eng ausgelegt59: Art. 2:92(1) BW verlange nicht die Schaffung einer eigenen Aktienkategorie, sondern lediglich die Erwähnung eines allfälligen Privilegs einzelner Aktionäre in den Statuten. Da DSM genau dies gemacht habe, sei eine Loyalitätsdividende auch ohne Schaffung von Vorzugsaktien zulässig. Aus prozeduralen Gründen setzte sich das oberste Gericht nicht mit dem ebenfalls vorgebrachten Argument auseinander, es handle sich hier um eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung60. Die Angelegenheit wurde nie abschliessend entschieden, weil DSM aus eigenen Stücken entschied, das Loyalitätsprogramm nicht umzusetzen61. 4. Rest der Welt Ausserhalb Frankreichs und der Niederlande sind Loyalitätsaktien eher ein Branchen- als ein Länderphänomen. So finden sich Treueprämien für langfristig engagierte Aktionäre vor allem bei Telekomfirmen wie British Telecom, Deutsche Telekom, Telstra (Australien) und Singtel (Singapur)62. 57 „De naamloze vennootschap moet de aandeelhouders onderscheidenlijk certificaathouders die zich in gelijke omstandigheden bevinden, op dezelfde wijze behandelen.“ (Die Publikumsgesellschaft muss die Aktionäre bzw. Inhaber von Zertifikaten, die sich in denselben Umständen befinden, auf dieselbe Weise behandeln.) 58 LENNARTS (FN 55), a.a.O. 59 HR 14 december 2007, LJN BB3523. 60 LENNARTS (FN 55), 174. 61 Mercer Consulting (FN 22), 10. 62 Mercer Consulting (FN 22), 10. 157 Daniel Daeniker Bemerkenswert ist die Verwendung von Loyalitätsaktien anlässlich der Privatisierung der Elektrizitätsgesellschaft Mighty River Power in Neuseeland. Im Rahmen der 2013 erfolgten Publikumsöffnung wurde neuseeländischen Privatanlegern gestattet, sich am Loyalitätsprogramm zu beteiligen. Das Programm war weder für institutionelle Investoren im In- und Ausland verfügbar, noch für Privatanleger mit Wohnsitz ausserhalb Neuseelands63. In den Vereinigten Staaten ist die Schaffung von Loyalitätsaktien verschiedentlich postuliert64, soweit ersichtlich aber in der Praxis kaum umgesetzt worden. Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie fand bei 4’399 untersuchten Gesellschaften in den USA nur gerade deren neun, die Loyalitätsprogramme eingeführt hatten. Üblicherweise bestand die Loyalitätsprämie in zusätzlichen Stimmrechten nach einer Haltedauer von vier Jahren65. Immerhin haben die Gerichte von Delaware die Zulässigkeit entsprechender Regelungen ausdrücklich gebilligt66. 5. EWR-Gesellschaftsrecht a) One share, one vote Im europäischen Gesellschaftsrecht war zu Beginn dieses Jahrtausends viel vom proportionality principle, vom Gleichlauf zwischen Kapital und Stimmkraft, die Rede. 2002 wurden einige Vorstösse gemacht, das Stimmrecht bei kotierten Aktiengesellschaften im ganzen EWR-Raum zu nivellieren und Ungleichbehandlungen wie Stimmrechtsaktien, golden shares und andere control enhancing mechanisms gänzlich abzuschaffen67. Eine 2007 veröffentlichte Studie über die effektiven Auswirkungen solcher control enhancing mechanisms im EWR-Raum kam aber zu einem recht differenzierten 63 Medienmitteilung der neuseeländischen Regierung, 5. April 2013, <scoop.co.nz>. 64 QUIMBY (FN 5), 400 und 412 f.; BOLTON/SAMAMA (FN 5), 30 und 33. 65 Report on the Proportionality Principle in the European Union, 18. Mai 2007, 81; QUIMBY (FN 5), 403. 66 Williams v. Geier, 671 A.2d 1368, 1385 (Del. 1996); FRIED (FN 39), I.C.1. 67 So noch der High Level Company Law Experts Group Report aus dem Jahre 2002, vgl. dazu DAENIKER DANIEL, One share, one vote – Bedeutung der Debatte für die M&A-Praxis, in: M&A XV, Zürich 2013, 145 ff., 165. 158 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Resultat – so dramatisch schien das Problem doch nicht zu sein. Ende 2007 entschied die EU-Kommission, das regulatorische Projekt der Vereinheitlichung von Stimm- und Kapitalkraft im EWR nicht weiter zu verfolgen68. b) Aktionsplan Corporate Governance 2012 veröffentlichte die EU-Kommission einen Aktionsplan für europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance69. Im Rahmen dieses Aktionsplans wurde postuliert, Aktionäre sollten dazu angehalten werden, sich mehr in die Corporate Governance einzubringen70. Dazu gehören Initiativen zur Förderung und Erleichterung eines langfristigen Engagements der Aktionäre71. Am 25. März 2013 publizierte die Kommission das Grünbuch „Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft“72. Das Grünbuch schickte verschiedene Massnahmen in die Vernehmlassung. Hierzu zählten u.a. Vorschläge, die darauf abzielten, das langfristige Engagement der Aktionäre zu fördern, etwa grössere Stimmrechte oder höhere Dividenden für langfristige Anleger73. Die Vernehmlassungsergebnisse wurden im Januar 2014 publiziert74. Insgesamt 292 Stellungnahmen waren eingegangen. Aus der Vernehmlassung ging hervor, dass Loyalitätsprämien nicht ohne Weiteres zur langfristigen Finanzierung der europäischen Wirtschaft beitragen würden: „As for the issue of granting ‘loyalty shares, additional voting rights and loyalty dividends’ for long-term investors, views were mixed […] 68 Ausführlich DAENIKER (FN 67), 165 ff. 69 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, COM (2012), 740/2. 70 Aktionsplan (FN 69), 4. 71 Aktionsplan (FN 69), 18. 72 COM (2013), 150 final. 73 Grünbuch (FN 72), 18. 74 Summary: Responses to Commission Green Paper on Long-Term Financing of the European Economy (nur auf Englisch verfügbar). 159 Daniel Daeniker a non-negligible number of respondents argued that additional control rights […] could lead to a concentration of control within a certain group of shareholders and discourage the engagement of other shareholders.“75 Das neuste Papier der Kommission datiert vom 27. März 201476. Es erwähnt Loyalitätsaktien nicht mehr, womit anzunehmen ist, dass dieses Instrument für die Verbesserung der Corporate Governance im EWR-Raum als zu wenig effektiv erachtet wird. IV. Loyalitätsaktien auch in der Schweiz? 1. Loyalitätsaktien mit Mehrstimmrechten a) Ausgestaltung Eine Statutenbestimmung, die langfristig engagierten Aktionären zusätzliche Stimmrechte einräumt, könnte wie folgt formuliert sein: „1. Jede im Aktienbuch mit Stimmrecht eingetragene Aktie berechtigt ihren Inhaber zu einer Stimme. 2. Mit Stimmrecht eingetragene Aktien, die am Stichtag für die Durchführung der Generalversammlung der Gesellschaft seit mehr als zwei Jahren eingetragen sind, berechtigen ihren Inhaber an der entsprechenden Generalversammlung zu je zwei Stimmen. 3. Bei der Ausübung des Stimmrechts kann keine Person für eigene oder vertretene Aktien mehr als 5% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals direkt oder indirekt auf sich vereinigen. Diese Beschränkung gilt nicht für das Stimmrecht nach Absatz 2.“ 75 Responses to Commission Green Paper (FN 74), 17. 76 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament und den Rat über die langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft, COM (2014), 168 final. 160 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? b) Zulässigkeit Das schweizerische Recht geht im Grundsatz vom Gleichlauf zwischen Stimmkraft und Kapitaleinsatz aus: Art. 692 Abs. 1 OR hält fest, dass die Aktionäre ihr Stimmrecht in der Generalversammlung im Verhältnis des gesamten Nennwerts der ihnen gehörenden Aktien ausüben. Dieser Grundsatz ist allerdings nicht zwingend, sondern erlaubt einige Ausnahmen77: − Zunächst erlaubt das schweizerische Gesellschaftsrecht in Art. 656a ff. OR die Schaffung stimmrechtsloser Beteiligungspapiere in Form von Partizipationsscheinen. − Sodann gestattet Art. 693 Abs. 1 OR die Schaffung von Aktien mit erhöhter Stimmkraft. Die Statuten können das Stimmrecht unabhängig vom Nennwert nach der Zahl der jedem Aktionär gehörenden Aktien festsetzen, so dass auf jede Aktie eine Stimme entfällt. Dabei ist der Stimmrechtshebel von Gesetzes wegen bei 1:10 plafoniert, denn der Nennwert der übrigen Aktien darf das Zehnfache des Nennwerts der Stimmrechtsaktien nicht übersteigen (Art. 693 Abs. 2 Satz 2 OR). Ist angesichts dieser gesetzlichen Ordnung ein Loyalitätsbonus in Form eines erhöhten Stimmrechts zulässig? M.E. nicht. Art. 693 Abs. 1 OR gestattet ein differenziertes Stimmrecht nur, soweit Aktien unterschiedlichen Nennwerts ausgegeben werden, die alle kraft ausdrücklicher Statutenbestimmung je eine Stimme haben. Innerhalb von Aktien derselben Kategorie und mit demselben Nennwert lässt das Gesetz dagegen keine unterschiedlichen Stimmrechte zu. Ohne Gesetzesänderung wäre damit die Schaffung von Aktien mit Mehrstimmrechten innerhalb derselben Klasse unzulässig. Die Schaffung zweier Aktienkategorien – davon eine für Aktionäre, die die Loyalitätskriterien erfüllen – ist demgegenüber nicht kapitalmarkttauglich. Jede Konversion von Aktien der einen Kategorie (z.B. Aktien mit CHF 0.10 Nennwert) in Aktien der privilegierten (2 Aktien mit je CHF 0.05 Nennwert) müsste in den Statuten der Gesellschaft nachvollzogen werden, was angesichts der Realität des Börsenhandels undenkbar ist: Es kann nicht ständig zwischen der einen und der anderen Kategorie hin und her getauscht werden. 77 Dazu eingehend DAENIKER (FN 67), 145 ff. 161 Daniel Daeniker 2. Loyalitätsaktien mit Dividendenprivileg a) Ausgestaltung Eine Publikumsgesellschaft, die ihren Aktionären für langjährige Treue zur Gesellschaft eine Superdividende ausrichten möchte, könnte folgende Statutenbestimmung einführen: „1. Profit shall be distributed in proportion to the paid-in nominal value of each share. b) 2. Shares which have been registered with the Company’s share register with voting rights for the same shareholder for a continuous period of more than two years on the record date for a dividend payment are entitled to an additional dividend in the amount of up to 10 percent on the dividend declared by the annual general meeting. 3. The first additional dividend will be paid for the business year of 2017 in year 2018.“ Zulässigkeit Art. 661 OR hält fest, dass die Anteile am Gewinn und am Liquidationsanteil im Verhältnis der auf das Aktienkapital einbezahlten Beträge zu berechnen sind, sofern die Statuten nicht etwas anderes vorsehen. Sonderrechte auf Gewinn und Liquidationserlös müssen also statutarisch begründet sein. Dies ist etwa der Fall bei den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Vorzugsaktien (Art. 656 Abs. 2 OR). In der Lehre wird darüber hinaus die Meinung vertreten, eine Privilegierung von Aktionären sei nur im Rahmen der Schaffung einer eigenen Aktienkategorie möglich78. BÖCKLI geht sogar so weit, die Ausrichtung einer Dividende ohne entsprechende statutarische Grundlage und Verankerung im Han- 78 162 A.v. BÖCKLI PETER, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., Zürich 2009, § 12 N 510 f.; BSK OR II-WATTER/ROTH PELLANDA, Art. 717 N 24; BÜRGI WOLFHART F., Kommentar zum schweizerischen Obligationenrecht, Zürich 1957, Art. 660/661 N 30; GUHL THEO/KOLLER ALFRED/SCHNYDER ANTON K./DRUEY JEAN-NICOLAS, Das schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000, § 67 N 38. Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? delsregister als nichtig zu bezeichnen79. Aus rechtspolitischer Sicht postuliert VOGT, dass sich Superdividenden nicht aus dem Leitbild der Aktionärsdemokratie ergeben80; FORSTMOSER ist der Beurteilung etwas wohlwollender81. Der herrschenden Lehre geht also davon aus, dass das schweizerische Aktienrecht keine Differenzierungen innerhalb derselben Aktienkategorie zulässt. Eine Besserstellung einzelner Aktionäre ist denn auch keine im Handelsregister eintragungsfähige Tatsache (Art. 45 HRV). Kritisch ist immerhin anzumerken, dass das Gesetz, ähnlich wie in den Niederlanden82, eine Ungleichbehandlung allein aufgrund der Statuten – ohne Schaffung einer neuen Aktienkategorie – nicht ausschliesst. Die fehlende Erwähnung auf Stufe Verordnung ist für sich allein kein Grund, auf Ungültigkeit zu schliessen. Aufgrund der einhelligen Lehre dürfte es aber schwerfallen, für die Zulässigkeit entsprechender statutarischer Regelungen zu plädieren. 3. Loyalitätsoptionen (loyalty warrants) a) Ausgestaltung Lässt sich das von Michelin83 und anderen Gesellschaften verfolgte Modell auch in der Schweiz verwirklichen? Eine entsprechende Statutenbestimmung könnte wie folgt aussehen: „1. The share capital of the Company may be increased in an amount not to exceed CHF 10,000,000 by issuing up to 100,000,000 registered shares with a nominal value of CHF 0.10 each, which shall be fully paid up through the exercise of options rights granted in connection with the issuance by the Company of such option rights. 79 BÖCKLI (FN 78), § 16 N 169a. 80 VOGT (FN 9), 136 f. 81 FORSTMOSER PETER, Die Nachhaltigkeitsprämie, Schweiz Monat 1012 (2013), 53 ff., 57 m.w.N. 82 Art. 661 OR ist praktisch identisch mit Art. 2:92(1) BW, zu dem die niederländischen Gerichte genau diese Frage erörtert haben (vgl. oben, III.3.). 83 Vgl. oben, FN 52. 163 Daniel Daeniker 2. b) The holders of the option rights shall be entitled to subscribe for new shares if the shares underlying such option rights have been registered with the Company’s share register for a continued period of no less than two years prior to the exercise of the option rights.“ Zulässigkeit Im Rahmen der statutarischen Ermächtigung (Art. 653b OR) ist der Verwaltungsrat einer Publikumsgesellschaft frei, die Optionsbedingungen festzulegen. Eine Schaffung von Optionen, die erst nach einer bestimmten Haltedauer ausgeübt werden können, ist denkbar. Das Gesetz steht einer entsprechenden Ausgestaltung der Optionsbedingungen nicht entgegen. Unzulässig könnte die Schaffung von Loyalitätsoptionen sein, wenn man die Mindesthaltedauer als Leistungspflicht des Aktionärs versteht. Diesfalls würden die Optionsbedingungen gegen Art. 680 Abs. 1 OR verstossen. M.E. ist dies nicht der Fall. Die Haltedauer stellt wohl bloss eine Obliegenheit, keine Leistungspflicht dar, auch keine verkappte – und verbotene84 – Treuepflicht. Schliesslich stellt sich die Frage, ob die Ausgabe von Loyalitätsoptionen das Gleichbehandlungsgebot verletzt, konkret: ob die Bevorzugung langfristiger Aktionäre eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt. Ist die Ungleichbehandlung bereits in den Statuten festgehalten, kann der entsprechende Beschluss der Generalversammlung aufgrund von Art. 706 Abs. 2 Ziff. 3 OR angefochten werden. Ergibt sich die Bevorzugung langfristiger Aktionäre erst aufgrund der (vom Verwaltungsrat festgesetzten) Optionsbedingungen, liegt gegebenenfalls eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung nach Art. 717 Abs. 2 OR vor, die wohl nicht rückgängig gemacht werden kann85. Aus Gründen der unternehmerischen Vorsicht wird ein Verwaltungsrat allerdings kaum je die Aktionäre aufgrund ihrer Haltedauer dis- 84 BSK OR II-KURER, Art. 680 OR N 9 m.w.N. 85 Abgesehen von Fällen der Nichtigkeit (Art. 714 i.V.m. 706b OR) können Beschlüsse des Verwaltungsrates nicht angefochten werden (vgl. dazu BSK OR II-WERNLI, Art. 714 N 3 m.w.N.). Damit steht den allenfalls geschädigten Aktionären einzig die Klage aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit (Art. 754 ff. OR) offen. 164 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? kriminieren wollen, wenn dies nicht bereits in den Statuten so vorgegeben ist. Eine differenzierte Behandlung von Aktionären aufgrund der Haltedauer kann nur beanstandet werden, wenn sie zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Aktionären führt86. Die Dauer des Aktienbesitzes kann als sachlicher Grund herangezogen werden, wenn man es wie die Lehre und das Bundesgericht zum alten Aktienrecht87 als legitim erachtet, dass eine Publikumsgesellschaft im Rahmen ihrer Dispositionsfreiheit langfristigen Aktionären den Vorzug vor kurzfristigen gibt. Dies unterstellt, ist die Ausgabe von Loyalitätsoptionen im schweizerischen Recht zulässig. 4. Loyalitätsbonus im Rahmen der Vinkulierung von Namenaktien a) Ausgestaltung Die Belohnung der Loyalität von Aktionären liesse sich auch im Rahmen einer Vinkulierungsbestimmung erzielen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt: „1. Ein Aktionär kann anlässlich der ersten Eintragung mit maximal 5% des Aktienkapitals der Gesellschaft als Aktionär mit Stimmrecht eingetragen werden. 2. Aktionäre, die bereits mehr als zwei Jahre im Aktienbuch als Aktionär mit Stimmrecht eingetragen sind, können mit maximal 15% des Aktienkapitals eingetragen werden. 3. Die Beschränkung gemäss Absatz 1 und 2 gilt nicht für Aktionäre, die am Tag der Einführung dieser Statutenbestimmung bereits mit einer höheren Anzahl Aktien mit Stimmrecht im Aktienbuch der X AG eingetragen waren.“ 86 Zur Interessenabwägung im Rahmen der Ungleichbehandlung nach Art. 706 Abs. 2 Ziff. 3 OR vgl. BSK OR II-DUBS/TRUFFER, Art. 706 N 14 ff. m.w.N. 87 Vgl. oben, FN 23 und 25. 165 Daniel Daeniker b) Zulässigkeit Bei börsenkotierten Namenaktien kann die Gesellschaft einen Erwerber als Aktionär ablehnen, wenn die Statuten eine prozentmässige Begrenzung der Namenaktien vorsehen, für die ein Erwerber als Aktionär anerkannt werden muss, und diese Begrenzung überschritten wird (Art. 685d Abs. 1 OR). Soweit die Grenze überschritten wird, kann der Aktionär immerhin ohne Stimmrecht ins Aktienbuch eingetragen werden (Art. 685f Abs. 3 OR). Das Gesetz geht zwar davon aus, dass die Statuten eine prozentmässige Begrenzung festlegen. Dennoch kommen in der Praxis Differenzierungen vor, etwa zwischen Aktionären, die ihre Titel auf eigene Rechnung erwerben, und treuhänderischen Aktionären (Nominees), die ihre Titel für Dritte halten. Auch lassen die Statuten von schweizerischen Publikumsgesellschaften dem Verwaltungsrat die Freiheit, im Einzelfall Ausnahmen zuzulassen88. Das Gesetz steht also einer differenzierten Eintragungsregelung nicht entgegen, solange die Gleichbehandlung aller Aktionäre gewahrt ist. In der Lehre wird denn auch ausgeführt, differenzierte Limiten seien „möglich, aber keineswegs empfehlenswert“89: möglich, weil durch eine Unterscheidung der Börsenhandel nicht erschwert werde, nicht empfehlenswert, weil es schwer fallen dürfte, eine sachliche Begründung für diese offensichtliche Ungleichbehandlung zu finden. M.E. ist eine selektive Vinkulierung im Einzelfall denkbar, allerdings nur unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots: − Zunächst muss für die Einführung einer differenzierten Vinkulierung das Rückwirkungsverbot90 gelten. Wer bereits mit x% der Aktien als 88 In der Lehre ist die Zulässigkeit dieser Praxis umstritten (bejahend BSK II-OERTLE/DU PASQUIER, Art. 685d N 13 ff.; BÖCKLI (FN 78), § 6 N 71 ff.; kritisch HUGUENIN CLAIRE, Das Gleichbehandlungsprinzip im Aktienrecht, Zürich 1994, 109 ff.). 89 So BÖCKLI (FN 78), § 6 N 56a; i.d.S. auch BSK OR II-OERTLE/DU PASQUIER, Art. 685d N 6; WATTER (FN 2), 12 m.w.N. – Kritisch KLÄY HANS-PETER, Die Vinkulierung, Theorie und Praxis im neuen Aktienrecht, Diss. Basel 1997, 227 f.; im Ergebnis offengelassen HUGUENIN (FN 88), 111 ff. 90 So BÖCKLI (FN 78), § 6 N 68. – Vgl. auch KLÄY (FN 89), 233; BSK II-OERTLE/DU PASQUIER, Art. 685d N 4. 166 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? Aktionär mit Stimmrecht eingetragen ist, kann diese Rechtsstellung nicht durch nachträgliche Einführung einer statutarischen Schranke verlieren. − Ferner untersteht die nachträgliche Einführung einer zusätzlichen Eintragungsschranke dem Erforderlichkeitsgrundsatz und dem Übermassverbot91. In diesem Zusammenhang ist nach der Zielsetzung der statutarischen Eintragungslimite zu fragen. Geht es darum zu verhindern, dass ein Aktionär kurzfristig eine grosse Position aufbaut, Massnahmen einleitet und sich kurz danach aus dem Staub macht, so muss die Schwelle hoch sein. Entsprechenden Einfluss kann ein Aktionär nämlich nur dann ausüben, wenn er ein massgebliches Paket von mehr als 10% oder 15% der Aktien hält92. Will man diese Art von Interventionen vermeiden, dann muss die statutarische Eintragungslimite auch entsprechend angesetzt sein. − Schliesslich ist stets die unternehmerische Motivation eines Verwaltungsrates zu hinterfragen, der grossen Aktionären eine lange Wartefrist auferlegen will. Initiativen, die auf eine verzögerte Ausübbarkeit der Stimmrechte hinzielen, dienen letztlich (auch) dazu, den Verwaltungsrat in seiner bisherigen Position zu zementieren. Da der Verwaltungsrat aber ohne Zweifel andere Gründe für die Einführung einer differenzierten Vinkulierung anführen wird, dürfte solches Handeln aber kaum je justiziabel sein. Die Zulässigkeit einer differenzierten Vinkulierungsklausel muss daher von Fall zu Fall beurteilt werden, mit einer besonders kritischen Würdigung der vorgeschlagenen Limiten. Will man der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum alten Aktienrecht93 heute noch Wirkung zuerkennen, ist eine differenzierte Vinkulierungsklausel zulässig. Wer demgegenüber davon ausgeht, dass kurzfristige Interventionen aus normativer Sicht nicht behindert werden dür91 BÖCKLI (FN 78), § 6 N 26 m.w.N. 92 Nach der Erfahrung beträgt die Beteiligungsquote an mittelgrossen schweizerischen Publikumsgesellschaften in der Regel 50% bis 60%, bei den grössten börsenkotierten Gesellschaften 30% bis 40%, ohne Berücksichtigung allfälliger Ankeraktionäre. 93 BGE 100 II 393 E. 4. 167 Daniel Daeniker fen94, wird der Zulässigkeit von Wartefristen skeptisch gegenüberstehen. Am Ende liegt der Entscheid bei den Aktionären, die eine entsprechende Statutenänderung zu beschliessen haben. V. Schlussfolgerung Von Frankreich abgesehen, haben Loyalitätsaktien in keinem Land weite Verbreitung gefunden. Nach schweizerischem Gesellschaftsrecht sind die untersuchten Modelle von Loyalitätsaktien unterschiedlich zu beurteilen: − Die Verleihung zusätzlicher Stimmrechte für langfristiges Halten von Aktien scheitert am Wortlaut von Art. 693 Abs. 1 OR und ist damit unzulässig95. − Loyalitätsaktien mit Dividendenprivileg können nach der herrschenden Lehre nur in Form einer eigenen Aktienkategorie ausgegeben werden; die Erwähnung des Dividendenvorrechts allein in den Statuten dürfte nicht ausreichen. Umgekehrt ist die Schaffung zweier Aktienkategorien, zwischen denen ständig hin und her gewechselt wird, für kotierte Gesellschaften nicht praktikabel96. − Loyalitätsoptionen sind zulässig, wenn man das langfristige Halten von Aktien als sachlich gerechtfertigten Grund für eine Ungleichbehandlung betrachtet97. − Die differenzierte Vinkulierung je nach Haltedauer von Namenaktien dürfte ebenfalls zulässig sein, muss allerdings im Einzelfall beurteilt werden98. Ungeachtet der (teilweisen) rechtlichen Zulässigkeit stellt sich aber auch die Frage, ob Loyalitätsaktien einem Bedürfnis der Marktteilnehmer entspre94 Vgl. oben, FN 38. 95 Vgl. oben, IV.1. 96 Vgl. oben, IV.2. 97 Vgl. oben, IV.3. 98 Vgl. oben, IV.4. 168 Loyalitätsaktien – Postulat oder Rechtswirklichkeit? chen. Während ihnen in der juristischen und ökonomischen Literatur ihnen bisweilen das Wort geredet wird99, sieht die Praxis anders aus: Sowohl Vernehmlassungen der EU-Kommission als auch private Marktstudien lassen kein wesentliches Interesse an Loyalitätsaktien erkennen. Dies gilt zunächst aufgrund der Ergebnisse der Vernehmlassung zum Grünbuch der Kommission zur langfristigen Finanzierung der europäischen Wirtschaft100. Aber auch eine private Studie der Unternehmensberatungsfirma Mercer Consulting von 2013101 lässt kein entsprechendes Bedürfnis der Marktteilnehmer erkennen. Mercer Consulting kommt aufgrund der gemachten Umfrage zum Schluss, allein die Dauer des Aktienbesitzes sei wohl nicht geeignet, eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zu begünstigen: „Concerns were raised that eligibility criteria based solely on holding period could reward insiders or founders or long-term, disengaged investors – an outcome that would be counterintuitive to the objectives.“102 Es wundert daher nicht, dass bislang keine schweizerische Publikumsgesellschaft ihren Aktionären dieses Instrument zur Einführung vorgeschlagen hat. 99 Vgl. oben, FN 5 und 42. 100 Vgl. oben, FN 76. 101 Mercer Consulting (FN 22), 11 ff. 102 Mercer Consulting (FN 22), 12. 169