Mitglieder-Info 1/2011 - Verband katholischer

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Mitglieder-Info 1/2011 - Verband katholischer
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Heft 1
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Juli 2011
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Seite
Editorial3
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
eigentlich selbstverständlich
Landes-Caritasdirektor Prälat Karl-Heinz Zerrle
4
Inklusion – mal mit der „christlichen Brille“ betrachtet
Prof. Dr. Matthias Hugoth
5
Mehr als nur ein Trend. Ethische und rechtliche Begründung der Inklusion
Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler
Über den Schatten springen. Inklusive Organisationsentwicklung und inklusive
Didaktik in Kindertageseinrichtungen
Prof. Dr. Helga Schneider
Gedanken zu einer „Pädagogik der Inklusion“ und zur menschlichen Würde
Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler
17
24
32
Aus Ministerien und Politik
Novellierung des BayKiBiG – Wie es jetzt weitergeht
35
Online-gestütztes Abrechnungsverfahren
36
Aus Kirche und Caritas
Monsignore Bernhard Piendl wird neuer Landescaritasdirektor
39
Meldungen40
Aus dem Fachverband
Stellungnahme zur Novellierung des BayKiBiG
41
Herzlich willkommen im Verband! Neue Mitglieder
44
Überarbeitet und neu: Bildungs- und Betreuungsvertrag, KiTa-Ordnung & Co.
45
Für Sie notiert
47
B 53180
(HRSG.):
(HRSG.):
(HRSG.):
Impressum
(HRSG.):
Mitglieder-Info,
31. Jahrgang, Heft 1
„MITGLIEDERINFO“
30.1434-8918
JAHRGANG,
ISSN
ISSN 1434-8918
HEFT 3
„MITGLIEDERINFO“
„MITGLIEDERINFO“
„MITGLIEDERINFO“
30.
HEFT
30.JAHRGANG,
JAHRGANG,
HEFT3 3HEFT 3
30. JAHRGANG,
ISSN
ISSN1434-8918
1434-8918
ISSN 1434-8918
© Bayerischer Landesverband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V., 2011
Herausgeber:
Bayerischer Landesverband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V.
Maistraße 5
80337 München
Tel. 089/5307 25 – 0
Fax 089/5307 25 – 25
[email protected]
www.blv-kita.de
1. Vorsitzender:
Prälat Karl-Heinz Zerrle, Landescaritasdirektor
Geschäftsführung: Gabriele Stengel
Redaktion:
Dr. Susanne Körber (Redaktionsleitung)
Gabriele Stengel, Pia Theresia Franke, Martha Eber, Elisabeth Minzl
1.1.VORSITZENDER:
PRÄLAT
ZERRLE,
LA
VORSITZENDER:
PRÄLATKARL-HEINZ
KARL-HEINZ
ZERRLE,ZE
L
1. VORSITZENDER:
PRÄLAT
KARL-HEINZ
EINZ
ARL-HEINZ
ZERRLE,
1. ZERRLE,
VORSITZENDER:
LANDES-CARITASDIREKTOR
LANDES-CARITASDIREKTOR
PRÄLAT KARL-HEINZ ZERRLE, LANDES-CARITASDIREKTOR
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GESCHÄFTSFÜHRUNG:
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STENGEL
(STE) (ST
GESCHÄFTSFÜHRUNG: GABRIELE
GABRIELE
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STENGEL
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GABRIELE STENGEL (STE)
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ELISABETH
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Editorial
Sehr geehrte Mitglieder,
es gibt Zeiten, in denen uns unser Tun und Handeln
angesichts der Wucht des Weltgeschehens klein und
unbedeutend erscheint. Diese MitgliederInfo entstand
im Eindruck des unermesslichen Leids, das die Katastrophe über die Menschen in Japan gebracht hat, und
das uns die Brüchigkeit auch unserer eigenen Existenz wieder einmal vor Augen führt. „Mitten im Leben
sind wir vom Tod umfangen“, heißt es in einem alten
Kirchenlied. Was zählt da wirklich im Leben? Nehmen
sich angesichts dieser Tragödie die aktuellen Themen,
die uns in unserem Arbeitsfeld beschäftigen, nicht wie
das privilegierte „Klein-Klein“ einer Wohlstandsgesellschaft aus?
Nein, meinen wir als katholischer Landesverband,
im Gegenteil. So nachdenklich uns die Katastrophe
macht, so unvergleichlich das Elend in Japan einerseits und die Mängel in der hiesigen Kita-Landschaft
und die Folgen einer sich entsolidarisierenden Gesellschaft andrerseits sind: Beiden gilt es Achtsamkeit
entgegenzusetzen, waches Hinsehen, Mitfühlen und
Handeln.
So bringen wir sie wieder, die Themen, an denen wir
mit Ihnen, unseren Mitgliedern und ihrem Fachpersonal in den Einrichtungen, im Interesse von Kindern und
Eltern täglich arbeiten. Im Mittelpunkt dieser Ausgabe
stehen die Frage der Inklusion und die Novellierung
des Bayerischen Bildungs- und Betreuungsgesetzes
(BayKiBiG).
Mit großer Einigkeit hat der katholische Bereich in
Bayern eine Stellungnahme zur Novellierung des
BayKiBiG verabschiedet. Die bayerischen Bischöfe
haben sie in der Freisinger Bischofskonferenz Ende
März zustimmend zur Kenntnis genommen und damit
deutlich gemacht, welchen Stellenwert sie der Gesetzesnovellierung beimessen. Zu den zentralen Forderungen des Katholischen Bereichs gehören u. a. die
Erhöhung des Basiswertes und eine Verbesserung
der Situation im ländlichen Raum. Lesen Sie die gesamte Stellungnahme auf Seite 41ff.
Mit dieser Position sind wir gut gewappnet für die bevorstehenden fachpolitischen Verhandlungen, über
die wir Sie auf dem Laufenden halten werden. Eine
erste Information zur Zeitschiene bis zum Inkrafttreten
des Gesetzes entnehmen Sie bitte der Antwort des
Sozialministeriums auf unsere Anfrage dazu (Seite
41ff.).
mit diesem Thema auseinander und widmen
ihm in diesem Heft den
Schwerpunkt. Wir freuen uns, dass wir Ihnen
ab Seite 5 die Fachbeiträge von Prof. Dr. Matthias Hugoth, Prof. Dr.
Helga Schneider und Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler
zur Verfügung stellen können.
Auch innerhalb unseres Verbandes stehen Veränderungen an: Es gibt immer mehr neue Organisationsformen, in denen sich Träger zusammenschließen,
zugleich verändern viele Einrichtungen ihre Angebotsstruktur. Darauf reagiert der Verband und unterzieht sein (Leistungs-)Profil einer Prüfung. In Vorbereitung sind ein nicht nur optischer Neuauftritt ebenso
wie eine Anpassung der Satzung. Die Neugestaltung
der Beitragsordnung haben die Mitglieder bereits
in der Mitgliederversammlung am 18. Mai 2011 beschlossen. Im fachlichen Teil dieser Versammlung haben Dr. Werner Gatzweiler (KTK) und Prof. Dr. Isidor
Baumgartner (Universität Passau) zudem über das
gemeinsame Projekt von KTK und Landesverband
„Katholische Kindertageseinrichtungen in pastoralen
Räumen“ referiert.
Die ausführliche Dokumentation dieser Mitgliederversammlung mit allen Vorträgen und Beschlüssen stellen wir in der nächsten Mitglieder-Info für Sie zusammen.
Ein bewegtes Jahr liegt vor uns als Verband, als Träger und Mitarbeitende in den Einrichtungen; gesetzliche Veränderungen stehen bevor, vielerorts auch
strukturelle, komplexe Neuerungen. Glücklicherweise
treffen sie uns nicht unvorbereitet, sie sind angekündigt und wir können einen gewissen Einfluss auf sie
nehmen. Dafür wünsche ich Ihnen und uns die nötige
Kraft und Achtsamkeit!
Ihre
Gabriele Stengel
Geschäftsführerin
Die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit
Behinderung hat einen Stein ins Rollen gebracht und
das Thema Inklusion befördert.Auch wir setzen uns
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 3
Landes-Caritasdirektor
Prälat Karl-Heinz Zerrle
eigentlich selbstverständlich
Inklusion – Herausforderung für katholische
Kindertageseinrichtungen
Inklusion: Dieser Begriff begegnet uns in letzter Zeit
immer häufiger, und inzwischen führen ihn nicht mehr
nur Wissenschaftler und Politiker im Mund, sondern
er ist auch bei den Fachleuten in der Praxis angekommen. Fast scheint es zum guten sozialen Ton zu gehören, sich dieses Wort auf die Fahnen zu schreiben.
Aber was bedeutet diese schöne Idee, dass alle dazugehören und sich auch zugehörig fühlen, konkret?
Und warum setzt sich ein katholischer Landesverband
mit dieser Idee auseinander?
Inklusion: Für uns als katholischen Fachverband, als
Mitarbeitende bei katholischen Trägern und deren Einrichtungen ist diese Idee eigentlich selbstverständlich.
Wir alle sind Kinder Gottes und von ihm bedingungslos geliebt mit unserem ganzen Wesen, mit unseren
Talenten und Neigungen, unseren Schwächen und
Stärken. Diese Liebe weiterzugeben und zu leben ist
unsere Aufgabe als Christen. Nach unserem Glauben
gehören alle dazu, soll jeder teilhaben an der Gemeinschaft und am Geschehen, darf keiner ausgeschlossen werden, weil er oder sie nicht ins Raster passt,
zu langsam oder zu schräg, zu schwach oder schnell,
anstrengend oder irgendwie schwierig ist.
Eigentlich.
Doch auch katholische Träger und Einrichtungen stoßen an Grenzen, sind an Rahmenbedingungen und
Strukturen gebunden, die die Umsetzung von Inklusion mindestens erschweren. Und auch die interne
Diskussion über die konkreten Auswirkungen in der
Praxis ist noch nicht abschließend geführt. Begeisterung und Aufbruchswille stehen Skepsis und Zurückhaltung gegenüber.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 4
Ist Inklusion nicht doch nur ein Argument für Sparmodelle auf dem Rücken von benachteiligten Menschen,
und wie lässt sich genau dies verhindern? Wird die
hoch spezialisierte Förderung, Bildung und Betreuung von Kindern mit Behinderung oder mit besonderem Förderbedarf gewährleistet bleiben oder drohen
da wertvolle Errungenschaften verloren zu gehen?
Braucht es für Inklusion nicht mehr Personal, weitaus bessere Betreuungsschlüssel, multiprofessionelle
Teams, andere Verwaltungsstrukturen und nicht zuletzt: mehr Geld?
Hier sind wir gefordert als katholischer Fachverband,
öffentlich Stellung zu beziehen für eine Gesellschaft,
an der alle teilhaben können, und Akzente in der Diskussion um die Verwirklichung von Inklusion zu setzen. Hier sind wir gefordert, gemeinsam mit den Trägern und ihrem Fachpersonal in den Einrichtungen die
konkreten Bedürfnisse für die Praxis zu sammeln und
an Verantwortungsträger und in die Öffentlichkeit weiterzutragen. Denn Inklusion braucht ein Umdenken in
der gesamten Gesellschaft. Die UN-Konvention über
die Rechte von Menschen mit Behinderung und ihre
Ratifizierung durch die Bundesregierung hat dieses
Umdenken in Gang gesetzt. Dennoch beobachten wir
Tendenzen der sozialen Exklusion, des Ausschlusses
von Teilhabe, durch Armut, soziale Ausgrenzung und
Bildungsungerechtigkeit.
Wenn es Kinder schon von klein an als selbstverständlich erleben, dass es normal ist, verschieden zu sein
und trotzdem dazuzugehören, besteht die Chance,
dass sie die Idee der Inklusion auch als Erwachsene
leben und die Gesellschaft entsprechend gestalten.
Hier liegt eine große Chance, aber auch Verantwortung und Herausforderung gerade für katholische
Kindertageseinrichtungen und den katholischen Lan­­des­
verband. Damit Inklusion nicht nur eigentlich
selbstverständlich ist, sondern selbstverständlich wird.
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Matthias Hugoth
Inklusion – mal mit der „christlichen Brille“ betrachtet
Wenn in einer Publikation eines katholischen Landesverbandes ein Fachthema „aus christlicher Sicht“
bedacht wird, dann löst das gewöhnlich bei vielen Leserinnen und Lesern Gedanken aus wie „Jetzt kommt
das Sahnehäubchen – darf ja nicht fehlen“, oder „Jetzt
wird’s fromm“ oder aber: „Mal sehen, könnte ja inte­
ressant sein“.
Die folgenden theologisch-ethischen Ausführungen
sind weder „fromm“ noch dem Gedanken geschuldet,
dass es sich für den Info-Service eines katholischen
Verbandes gehört, auch etwas „aus christlicher Sicht“
zu bringen. Es geht vielmehr um Anhaltspunkte für
die Erstellung einer Referenztheorie für eine inklusive
Praxis in Kindertageseinrichtungen.
Notwendig: Eine Referenztheorie – wissen, warum man etwas tut und mit welchem Anspruch
Referenztheorien sind verbindliche Bezugstheorien,
deren Bedeutungen sich auf drei zentrale Funktionen
zusammenfassen lassen:
1. Sie stellen eine normative Bezugsgröße dar, aus
der maßgebende und verbindliche Konsequenzen
abgeleitet werden.
2. Sie bieten denjenigen, die sie als maßgebend anerkennen, Orientierung und geben die Richtung für
Planen und Handeln vor.
3. Sie bieten eine Basis, auf der sich eine Gruppe von
Menschen über das verständigen kann, was sie
tun wollen und mit welchem Verpflichtungsgrad;
sie haben also eine Konsens stiftende Funktion.
„Referenztheorie“ im Bereich Erziehung und Bildung
meint vor allem eine Theorie, von der die Gründe und
Verbindlichkeiten für ein bestimmtes pädagogisches
Handeln von Einzelnen und von Gruppen abgeleitet
werden.
Eine Referenztheorie stellt also in erster Linie eine
normative Bezugsgröße dar, die Anhaltspunkte für
die Beantwortung der Frage bietet: Warum soll überhaupt – in unserem Beispiel – Inklusionspädagogik
praktiziert werden? Mit welchem Anspruch an die Einstellungen und Haltungen, die Kompetenzen und das
konkrete Verhalten und Handeln der pädagogischen
Fachkräfte soll sie erfolgen? Und welche Verpflichtun-
gen resultieren aus einer solchen Pädagogik für den
Kita-Träger?
Derartige von der Referenztheorie abgeleitete Verpflichtungen bieten den Beteiligten – dies ist eine weitere Funktion – Orientierung und können – drittens
– Sicherheit für die anstehenden Entscheidungen und
Maßnahmen geben; die Referenztheorie bietet – viertens – eine Grundlage für eine Verständigung auf gemeinsame Interessen und Ziele.
Ohne eine solche Referenztheorie würde es so laufen,
wie es meistens im Kitabereich geschieht, wenn pä­
dagogische Ansätze in der Praxis umgesetzt werden
sollen: Unser pädagogischer Ansatz scheint schlüssig und sinnvoll, nach ihm zu verfahren ist gut für das
Kind, und wir können darauf verweisen, dass wir nach
einem schlüssigen Konzept arbeiten.
So zu denken und zu handeln reicht in der Regel
aus, um den Arbeitsalltag gut zu meistern. Es reicht
allerdings dann nicht aus, wenn es einmal „eng“ wird
– wenn die personellen, finanziellen und andere wichtigen Ressourcen fehlen oder wenn in der Einrichtung
so viel parallel läuft, dass man sich mit einer Sache
nicht mehr in dem Maß beschäftigen kann, wie es
von ihrem Anspruch her erforderlich ist; dann wird
„runtergefahren“ und nur mit geteilter Energie und Intensität die Sache umgesetzt. So wird dann etwa der
Anspruch, inklusivpädagogisch zu arbeiten, häufig
auf einige integrative Maßnahmen im Alltagshandeln
reduziert und er ist in seiner Begründung und Tragweite schließlich nicht mehr bewusst. Das kann dann
die ursprüngliche Prägekraft des Anspruchs schwächen und zu Verdünnungen im pädagogischen Profil
führen.
Um eben diesen Anspruch geht es nun, wenn Inklusion „durch die christliche Brille“ betrachtet wird.
Ausgangspunkt: Verständigung auf einen
­Inklusionsbegriff
Im Kitabereich war bisher der Begriff der Integration
geläufig. Er meinte im Grunde nichts anderes, als
dass auch Kinder mit Migrationshintergrund und solche mit besonderen Beeinträchtigungen in einen Kindergarten aufgenommen wurden – vielfach nach dem
Motto: „Dabeisein ist alles.“
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 5
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Dagegen geht Inklusion davon aus, dass Dabeisein
nicht alles ist. Inklusion handelt über die Integration
„hinaus von der Qualität der Arbeit, die in der integrierten Einrichtung geleistet wird. Sie soll so betrieben
werden, dass alle, auch Kinder mit einer Funktionsbeeinträchtigung, die Inhalte und Aktivitäten gemeinsam
erleben und Nutzen daraus ziehen können“ (Haug
2011, S. 37). Noch radikaler in der Sprache der Soziologie formuliert: „Inklusion bezeichnet die Art und
Weise, wie Kommunikation auf Menschen zugreift,
d. h. wie die Gesellschaft, ihre Teilsysteme [z. B. Bildung, M. H.] und deren Organisationen [z. B. Kitas,
M. H.] wie auch Interaktionen Menschen als Personen thematisieren, in Anspruch nehmen, ansprechbar
machen und anschlussfähig halten“ (Bardmann 2011,
S. 57).
Inklusion auf der Sachebene meint: Ein Konzept, dessen Strategien und Methoden den uneingeschränkten
Zugang aller Kinder zu den Lebens- und Lernprozessen einer Einrichtung ermöglichen und garantieren.
Dieses Konzept zielt also auf
1. eine Analyse der Faktoren, die Ausgrenzungen bewirken können;
2. auf eine Beseitigung dieser Faktoren;
3. auf eine offene, vorurteilsbewusste und dann möglichst vorbehaltsfreie Haltung, ein integrierendes
Denken, Interagieren und Handeln;
4. auf eine Organisation der pädagogischen Prozesse und der Lebensgestaltung in der Kita, die Ausschließungsmechanismen und -prozesse soweit
wie möglich verhindert.
Diese Ziele gehen über das bisher weitgehend vorherrschende enge Verständnis von Inklusion hinaus,
nach dem Kinder mit einem besonderen Förderbedarf
in Regeleinrichtungen aufgenommen und in möglichst
vielen Bereichen integriert werden sollen – was konkret darauf hinausläuft, dass pädagogische Probleme
als Folge von Beeinträchtigungen oder Defiziten von
Kindern gesehen und bearbeitet werden („spezial
needs education“), ohne dass dabei gefragt wird, ob
diese Probleme (auch) auf die zugrundegelegten Bildungskonzepte und Lernansätze zurückgeführt werden müssen.
Inklusion als programmatischer Begriff für Kindertageseinrichtungen meint:
1. Diesen herkömmlichen problemorientierten Blick
(wir müssen die Probleme pädagogisch bearbeiten, die durch die Aufnahme von Kindern mit Behinderung oder einer anderen erheblichen AndersMitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 6
artigkeit entstehen) durch einen Blick ersetzen, der
die Kita als eine Einrichtung sieht, in der alle Kinder
zu ihrem Recht kommen sollen.
2. Ausgrenzung verhindern, indem dafür gesorgt
wird, dass alle Kinder an den Lebens- und Lernvollzügen teilhaben und diese mitgestalten können.
3. Das Bemühen, allen Kindern Recht zu verschaffen
und sie teilhaben und mitgestalten zu lassen – was
bedeutet: Die Kinder mit ihren jeweiligen Eigenarten, Möglichkeiten, Fähigkeiten und Potenzialen
und mit ihren Grenzen zu sehen und Bedingungen
zu schaffen, dass die Kinder in den Alltagsvollzügen der Kita zur Geltung kommen.
Das alles läuft auf eine Egalisierung hinaus, also auf
eine Verhältnisbestimmung der Kinder zueinander,
die allen die gleichen Teilhaberechte und jedem individuelle Chancen zugesteht und somit ein vorhandenes Gefälle zwischen den Kindern aufgrund unterschiedlicher Ausstattungen und Fähigkeiten nicht zu
Ungunsten der vermeintlich Schwächeren zum Tragen kommen lässt. Eine solche Egalisierung meint
keine naive Gleichmacherei durch ein Überspielen
von Unterschieden in der körperlichen, geistigen und
psychischen Verfassung der Kinder; es meint vielmehr ein Konzept, bei dem die besonderen Handicaps einzelner Kinder nicht als spezifische Probleme
gesehen werden, auf die es Rücksicht zu nehmen
gilt. Es meint ein fantasievolles Lebens- und Lernsetting, bei dem jedes Kind auf seine Weise zum Zuge
kommt.
Warum Inklusion und wie?
„Inklusion“ ist ein so genannter Containerbegriff. Er
beinhaltet Absichten, Ziele, Konzepte, Einstellungen
und Haltungen sowie konkrete pädagogische Maßnahmen – alles mit dem generellen Ziel, jedes Kind
möglichst gleichermaßen an den Lebens- und Lernprozessen beispielweise einer Kita teilhaben zu lassem, jedenfalls alle exkludierenden Elemente soweit
wie möglich zu beseitigen. Dabei berührt der Inklusionsbegriff sowohl die weltanschaulich-ethische Ausrichtung einer Kita, also das geltende Bild vom Kind
und die handlungsleitenden Werte und Normen; er
berührt Empfindungen, Sympathien und Antipathien;
er umfasst das Denken, Sprechen, Interagieren von
Erzieherinnen, Eltern und Kindern; er berührt schließlich die organisatorische und pädagogische Praxis einer Einrichtung. Alle diese Dimensionen müssen mitbedacht werden, wenn sich eine Einrichtung für eine
Inklusion mit allen Konsequenzen entscheidet.
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Prüfsteine für eine Inklusion aus christlicher Perspektive
Für eine Inklusion aus christlicher Perspektive können, bezogen auf diese Aspekte, folgende Prüfsteine
Anhaltspunkte bieten (jeder für sich kann als Gegenstand einer persönlichen Vergewisserung und einer
im Kita-Team durchgeführten Diskussion und Verständigung gelesen werden):
Erster Prüfstein: Das Bild vom Kind
Sehen wir Kinder mit Behinderung oder einem anderen „Handicap“ (z. B. Armut, Migrationshintergrund)
als Problemfälle, also als Menschen, die einen erhöhtem Förderbedarf haben und demnach Probleme
bereiten? Oder sind solche Probleme nicht (auch)
darauf zurück zu führen, dass unsere Konzepte nicht
auf diese Kinder abgestimmt sind, weil sie sich in der
Regel auf das „kompetente“, lernwillige, relativ unproblematische Kind, beziehen – wogegen die andersartigen Kinder, vor allem die mit einer Behinderung,
einfach abfallen? Auch wenn die Einstellungen und
Verhaltensweisen der Erzieherinnen augenscheinlich
von Wohlwollen, Offenheit und einer besonderen Sensibilität den betroffenen Kindern gegenüber bestimmt
sind – allein schon dadurch, dass sie „die einen“ und
„die anderen“ Kinder gegenüberstellen, kann es ungewollt zu Diskriminierungen kommen.
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein „Das Bild vom Kind“:
Wir überprüfen, welches Bild vom Kind reklamieren
wir. Wir überprüfen, ob dieses nicht unter der Hand
von Idealvorstellungen vom Kind ausgeht, das bereits
so viele Anlagen, Begabungen, Interessen, Fähigkeiten, Kompetenzen mitbringt – auch für den Bereich
„Werte und Religion“ –, dass man nur die richtigen Motivations-, Begleitungs- und Förderungstechniken anwenden muss? Und dieser Prüfstein bedeutet: Ernst
machen mit dem christlichen Bild vom Menschen, das
dessen Wert und Bedeutung nicht an körperlicher und
psychischer Gesundheit und Stärke festmacht und
das nicht zulässt, für das Engagement und pädagogische Handeln die Kategorien des „sich Lohnens“
und des vorzeigbaren Erfolgs zu veranschlagen. Das
christliche Bild vom Kind ist stets integrativ, nicht exkludierend, damit aber auch anspruchsvoll. Noch stärker ausgedrückt: Das christliche Bild vom Menschen
anerkennt die von Gott als Schöpfer und Menschenfreund abgeleitete Dignität (Würde und Ansehen)
jedes Kindes, die vom Menschen nicht „angetastet“
werden darf, indem er etwa Kinder mit einem besonderen Handicap als Objekte von besonderen Fördermaßnahmen definiert und nicht als Menschen mit
spezifischen Dispositionen, bei denen man an dem
ansetzen muss, was sie mitbringen – wie man es bei
allen anderen Kindern auch tut.
Zweiter Prüfstein: Ethische Entscheidungen
Aus dem Bild vom Kind resultieren Vorgaben für
ethische Entscheidungen. Zu diesen gehört eine
Entscheidung für Gerechtigkeit, die bei der Anerkennung dessen ansetzt, was einem Kind zusteht (Anerkennungsethik). „Gerechtigkeit [als gleiches Recht
für alle, M. H.] ist eine allgemeine moralische Norm,
aber das Individuum verlangt auch nach Anerkennung
seiner Besonderheit. Individuelle Anerkennung ist Ermöglichung von Behütung und Befreiung, ist Achtung
von Zugehörigkeit und Absonderung. … Der Kern
der Gerechtigkeit ist … der Anspruch auf unbedingte Anerkennung des Einzelnen in seinem So-Sein,
unabhängig von seinem Beitrag für die Gesellschaft“
(Schmid Noerr 2011, S. 75).
Pädagogische Arbeit, die sich einer solchen Anerkennungsethik verpflichtet weiß, wird dies auf folgenden
Ebenen zeigen:
1. Auf der Ebene der emotionalen Zuwendung zu
dem Kind, die weder eine Überproblematisierung
seiner Situation noch eine Überbehütung zulässt,
sondern auf Zuwendung, Stärkung und auch auf
angemessene Anforderungen, auf „Zu-Mutungen“
zielt.
2. Auf der Ebene der „objektiven“ Achtung und Anerkennung, die darauf abzielt, dass den Kindern
Recht geschaffen wird und sie auch in die Bemühungen eingebunden werden, dass sie zu ihrem
Recht kommen (s. unten „Dritter Prüfstein: Kinderrechte“).
3. Auf der Ebene der sozialen Wertschätzung, die darauf abzielt, dass im Lebens- und Lernraum Kindertageseinrichtung ein Miteinander praktiziert wird,
das von Teilhabe, gegenseitiger Unterstützung und
Solidarität bestimmt wird. Die ferner darauf abzielt,
dass die Einrichtung ihre Inklusionsgerechtigkeit
und -praxis demonstriert durch eine konsequente
Aufnahme- und Unterstützungsbereitschaft für alle
Kinder; dass die Einrichtung sich ferner dafür stark
macht, dass möglichst wenig Kinder mit besonderem Förderbedarf in Sondereinrichtungen betreut
werden, weil durch eine Absonderung der betroffenen Kinder von den Regeleinrichtungen diese KinMitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 7
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
der erst als behindert wahrgenommen, eingestuft
und statusmäßig festgelegt werden. Eine auf der
Basis der Anerkennungsethik inklusionspädagogisch arbeitende Kindertageseinrichtung wendet
sich klar gegen eine Absonderungspraxis, die Behinderung oft erst produziert. Das bedeutet auch,
dass die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus
zwischen den Kindern nicht in einer Leistungsasymmetrie verfestigt werden; stattdessen schaffen
die pädagogischen Fachkräfte Möglichkeiten, in
denen die Kinder partiell symmetrische Beziehungen eingehen können, sich also „auf Augenhöhe“
begegnen und etwas miteinander unternehmen, zu
dessen Gelingen alle auf ihre Weise etwas beitragen können.
Neben der Anerkennungsethik kann auch eine advokatorische Ethik zur Geltung kommen (vgl. Brumlik
2004). Sie zielt darauf ab, dass sich die pädagogischen Fachkräfte bei gemeinsamen Lernprozessen
der Kinder mit Interventionen und Steuerungen zurückhalten und der Selbstwirksamkeit der Kinder
vertrauen. Sie vertrauen darauf, dass die Kinder untereinander regeln, wie sie sich gegenseitig in ihre Aktivitäten einbeziehen.
Die Fachkräfte verhalten sich wie „Advokaten“, Fürsprecher, die sich nach den Interessen der Mandanten/Klienten/Kinder richten, sie sehen sich nicht als
Vormund sondern als Beauftragte ihrer „Mandanten“.
Und diese wollen mitmachen, teilhaben, ihre Vorlieben und Stärken entdecken und entfalten. Eine advokatorische Ethik fragt danach – überspitzt formuliert –,
welchen Auftrag die Kinder den Erwachsenen geben
würden, wenn sie zu einem solchen Akt in der Lage
wären. „Wenigstens gedankenexperimentell kann
man sich beim Umgang mit Unmündigen oder partiell
Unmündigen die Frage stellen, ob diese die jeweilige
Betreuungshandlung billigen oder zurückweisen würden, wenn sie über die Autonomie verfügen würden“
(Schmid Noerr 2011, S. 88).
„Aus christlicher Sicht“ bedeutet beim Prüfstein
­„Ethische Entscheidungen“:
Bei der Frage, inwieweit die oben ausgeführten Konsequenzen einer Anerkennungsethik auf der Ebene
der emotionalen Zuwendung, der „objektiven“ rechtlichen Anerkennung und auf der Ebene der sozialen,
solidarischen Wertschätzung zum Tragen kommen
sollen, begründen christlich motivierte Fachkräfte ihre
positive Antwort mit einem Handeln in der Spur Gottes: Dieser hat den Menschen mit seiner ganzen HinMitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 8
fälligkeit und mit allen Schwächen wie auch mit seinen
Potenzialen und Fähigkeiten als sein Gegenüber bedingungslos anerkannt. Eine solche Begründung kann
zu radikaleren Konsequenzen führen als eine Begründung, die lediglich auf einem Postulat der Humanität
beruht. Klarer ausgedrückt: Wer an den menschenfreundlichen Gott glaubt und sich an seiner Beziehung
zu den Menschen orientiert, der ist zu weitertragenden
Konsequenzen bereit als diejenigen, die sich rein auf
das von Menschen formulierte „Recht auf Achtung und
Anerkennung“ berufen, das nie gegen Einschränkungen und Effizienzkalküle (wann lohnt sich der Aufwand
und wann nicht mehr?) geschützt sind.
Die Umsetzung der Anerkennungsethik auf der Ebene sozialer, solidarischer Wertschätzung verlangt von
christlich motivierten Einrichtungen, dass sie ihre Inklusionspädagogik in Theorie und Praxis auch nach
außen, vor allem in den Raum der Kirchengemeinden
hinein, offensiv vertreten und dort eine Praxis der Inklusion anstoßen, die zum einen bei den betroffenen
Kindern und Familien fortsetzt, was in der Kita bereits
getan wird, und zum anderen das Leitbild der „gastfreundlichen Gemeinde“ mit Konzepten und Methoden der Inklusionspädagogik umsetzt (dazu später
mehr in den Ausführungen zum neunten Prüfstein
„Trägerverantwortung“).
Die inklusionspädagogische Praxis auf der Basis einer
advokatorischen Ethik bedeutet christlich gewendet,
dass die Frage danach, ob und inwieweit Erwachsene
über Kinder, besonders über solche mit besonderem
Förderbedarf verfügen dürfen, sich theologisch negativ beantwortet mit dem Verbot des Herrseins über
andere und dem Gebot der Egalisierung, der Einebnung von Standes- und Herrschaftsstrukturen („Wer
der Erste sein will, der soll der Letzte sein“).
Dritter Prüfstein: Kinderrechte
Über die beim zweiten Prüfstein vorgestellten und
christlich zugeschnittenen ethischen Ansätze hinaus
bieten die verbrieften Rechte der Kinder ein weiteres
gewichtiges Element einer Referenztheorie für die
Inklusionspädagogik in Kindertageseinrichtungen.
Diese Rechte sind verbürgt in der „UN-Kinderrechtekonvention“ (KRK) und der „UN-Behindertenrechtskonvention“ (BRK) – beides völkerrechtliche Abkommen, die von Deutschland ratifiziert worden sind (die
KRK im Jahr 1992, die BRK im Jahr 2009). Das bedeutet, dass sowohl die Bundes- und Landesregierungen wie auch die Akteure der Kinder-, Jugend- und
Behindertenhilfe verpflichtet sind, nachweislich diese
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Rechte umzusetzen. Es müssen Maßnahmen nachgewiesen werden (etwa gegenüber den entsprechenden UN-Kontrollinstitutionen wie dem UN-Kinderrechteausschuss in Genf), die den von Behinderung und
anderen Einschränkungen betroffenen Kindern zu
ihrem Recht verhelfen – etwa zu dem Recht auf Zugehörigkeit und Teilhabe, auf Mitbestimmung und auf
Mitgestaltung ihrer Lebenswelt.
Nach Art. 23 der UN-Kinderrechtskonvention (diese
gilt für junge Menschen bis zum 18. Lebensjahr) sind
der Staat und alle Akteure in der Kinder-, Jugend- und
Behindertenhilfe dazu verpflichtet, die Selbstständigkeit und aktive Teilnahme von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung am Leben der Gemeinschaft
zu fördern. Diese Verpflichtung war auch maßgebend
für entsprechende Bestimmungen des 2001 in Kraft
getretenen Sozialgesetzbuches IX, das die Förderung
der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten
Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben
in der Gesellschaft generell festschreibt (§ 1 SGB IX).
In beiden Rechtstexten – der KRK und dem SGB IX
– wird somit ein Paradigmenwechsel, also eine grundsätzliche Neuausrichtung vollzogen vom Fürsorgeund alten Integrationsgedanken zur Anerkennung des
Selbstbestimmungs- und Teilhaberechtes aller Kinder.
Die beiden genannten Konventionen stellen Fortschreibungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 dar. Dies wird besonders in der
BRK deutlich, die darauf abzielt, „Behinderung als Teil
der Vielfalt menschlichen Lebens wahrzunehmen und
Menschen mit Behinderung eine selbstbestimmte und
diskriminierungsfreie Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben zu ermöglichen“ (Penka 2011, S. 69). Bei der
BRK geht es nicht um Spezialrechte von Menschen
mit Behinderung, sondern „um die Umsetzung von
allgemeinen Menschenrechten für alle Menschen mit
und ohne Behinderung“ (ebd. S. 69). Die Vertragsstaaten der BRK müssen gewährleisten, dass „Kinder
mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen Kindern
alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen
können. […] Sie gewährleisten, dass Kinder mit Behinderung das Recht haben, ihre Meinung in allen sie
berührenden Angelegenheiten gleichberechtigt mit
anderen Kindern frei zu äußern, wobei ihre Meinung
angemessen und entsprechend ihrem Alter und ihrer
Reife berücksichtigt wird, und behinderungsgerechte
sowie altersgemäße Hilfe zu erhalten, damit sie dieses Recht verwirklichen können“ (Art. 7 BRK).
Die Behinderten- wie auch die Kinderrechtskonvention legen fest, dass bei allen Maßnahmen, die junge
Menschen betreffen, das Kindeswohl vorrangig zu be-
rücksichtigen ist (Art. 3 KRK, Art. 7 BRK). In der KRK
ist das Kindeswohl Basis für die Forderungen nach
einer Gleichbehandlung der Kinder unabhängig von
Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, nationaler,
ethnischer und sozialer Herkunft und Behinderung
(Diskriminierungsverbot Art. 2 KRK). Wie die BRK in
Art. 7 fordert auch die KRK in Art. 12 eine Berücksichtigung des Kindeswillens „angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“, das Recht auf
Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 13) und auf
einer Beteiligung an Freizeit, kulturellem und künstlerischem Leben und fordert, dass entsprechende
Möglichkeiten und Voraussetzungen für alle Kinder
geschaffen werden sollen (Art. 31). Schließlich fordert
die KRK ausdrücklich (in Art. 23), dass die Würde jedes Kindes mit Behinderung gewahrt, seine Selbstständigkeit gefördert und seine aktive Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben erleichtert werden soll; dazu
sind die Angebote so zu gestalten, dass sie „dem behinderten Kind in einer Weise zugänglich sind, die der
möglichst vollständigen sozialen Integration und individuellen Entfaltung des Kindes einschließlich seiner
kulturellen und geistigen Entwicklung förderlich ist.“
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein
­„Kinderrechte“:
Kindertageseinrichtungen prüfen, inwieweit das für
sie geltende Bild vom Kind dem hohen Anspruch der
Anerkennung des Kindes als Rechtssubjekt gerecht
wird, so wie es die UN-Kinderrechtekonvention (und
die UN-Behindertenrechtskonvention, wenn auch
nicht so ausdrücklich) festschreiben. Das Kind als
Rechtssubjekt verstehen meint: Seine Rechte nicht
von der Gunst und Großzügigkeit von Erwachsenen
abhängig machen, sondern anerkennen, dass es
Rechte hat, die ihm von Geburt an zustehen, so wie
jeder Mensch allein schon aufgrund seines Status als
Mensch Menschenrechte in Anspruch nehmen kann.
Die in den genannten Konventionen festgeschriebenen Rechte der Kinder und das ihnen zugrundeliegende Menschenbild stimmen mit dem christlichen
Menschenbild überein (vgl. Hugoth 2009, Hüssler/Hugoth 2009). Somit erhalten die oben unter dem Ersten
Prüfstein „Bild vom Kind“ aufgezeigten Kriterien durch
die Umsetzung der Kinderrechte eine noch stärkere
Verbindlichkeit und zugleich eine plausible Konkretion: Die Kinderrechte (und damit das christliche Bild
vom Kind) können grundlegend sein sowohl für die
Leitwerte und Umgangskultur der Kita als auch für deren pädagogische Praxis (Kinderrechte zum Thema
der Bildungsarbeit mit den Kindern machen) und für
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 9
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
deren politisches Engagement besonders für diejenigen Kinder, die nicht die gleiche Anerkennung finden
wie starke und gesunde Kinder oder Kinder ohne eine
Behinderung (vgl. Hugoth 2008).
Vierter Prüfstein:
Der Selbstanspruch der pädagogischen Fachkräfte
Die pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen haben in der Regel klare Vorstellungen davon,
worin die Qualität ihrer Arbeit besteht. Sie wissen, was
sie können und was man von ihnen erwarten kann.
Sie haben aber auch Ansprüche an sich selbst: Jede
will ihren Kindern soweit wie möglich gerecht werden.
Das trifft vor allem auf die Kinder zu, die einen besonderen Förderbedarf haben und sich nicht so leicht
und schnell von sich aus entwickeln können wie die
starken und robusten Kinder.
Der Selbstanspruch der Erzieherinnen im Hinblick auf
eine inklusionspädagogische Praxis konzentriert sich
vor allem auf zwei Aspekte:
1. die Balance zwischen individueller Förderung einzelner Kinder, die eine besondere Unterstützung
und Begleitung benötigen, und die Einbindung dieser Kinder in die pädagogischen Prozesse, die mit
anderen Kindern zusammen durchgeführt werden;
2. die Vergewisserung der eigenen Dispositionen für
die Art und Weise, wie sie ihre Beziehung zu den
Kindern gestalten, von welchem Bild vom Kind sie
sich leiten lassen, welche Vorerfahrungen aus der
eigenen Kindheit und weiteren Lebensgeschichte
in ihre pädagogische Arbeit hineinspielen.
Was die Frage nach einer Balance zwischen individueller und gemeinschaftlicher Förderung der Kinder
anbelangt, so muss die Erzieherin wissen, dass eine
individuelle Förderung besonders von Kindern, die einen erhöhten Förderbedarf haben, zwangsläufig die
Ungleichheiten zwischen den Kindern verstärkt, da
man die „begabteren“ Kinder anders behandelt als die
„unbegabteren“. Bei diesen Kindern wie überhaupt bei
einer Pädagogik, die auf das Kind als Individuum und
„einzigartige Persönlichkeit“ setzt, ist eine Förderung
der Persönlichkeit nur dann möglich, wenn sie sich ein
Stück weit von den anderen abhebt, also entfernt und
– streng genommen – exkludiert. „Die Individualität
des Individuums […] kann sich nur über Exklusion definieren: Exklusionsindividualität … Individualisierung
findet nicht im Inklusions-, sondern im Exklusionsbereich statt“ (Bardmann 2011, S. 65). So muss sich die
Fachkraft entscheiden, was sie an Exklusion aufgrund
individueller Förderung und an Inklusion im Sinne eiMitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 10
ner Hineinnahme aller Kinder in gemeinsame Lebensund Lernprozesse verantworten kann. Pointiert formuliert: Keine Inklusion ohne eine partielle Exklusion
einzelner Kinder! Dessen müssen sich die Fachkräfte
bewusst sein und hier müssen sie abwägen, was das
einzelne Kind braucht und wie man ihm am besten
gerecht wird. Hier ist der „Vorrang des Kindeswohls“,
wie er im Dritten Prüfstein „Kinderrechte“ begründet
wurde, gezielt zu veranschlagen.
Was die zweite Kernfrage beim Selbstverständnis der
pädagogischen Fachkraft anbelangt, also die Frage
nach der persönlichen Disposition generell für ihre pädagogische Arbeit und speziell für inklusionspädagogische Maßnahmen, so lässt sich der Anspruch an ihr
Verantwortungsbewusstsein und ein entsprechendes
Verhalten und Handeln folgendermaßen konkretisieren: Die Erzieherin muss sich selbstreflexiv bewusst
werden, wie die Themen Inklusion und Exklusion biographisch in ihrem Leben verankert sind. Dies betrifft
zum einen das Bewusstsein von Vorgängen und Ereignissen, durch die sie selbst exkludiert wurde, und
inwieweit solche Erfahrungen mit Ausgeschlossenwerden noch nachwirken, indem sie etwa die eigene
Einstellung zum Thema Inklusion bestimmen. Ebenso
gehört die Reflexion dazu, wie die Erinnerungen an
solche Situationen denk- und handlungsbestimmend
sind, in denen sie erlebt hat, wie wohltuend, aufbauend, stärkend die eigenen Erfahrungen mit Inklusion,
also mit Teilhabe, Mitbestimmung und Mitgestaltung
und eine Anerkennung auf Augenhöhe waren.
Schließlich gehört zu einer verantwortungsvollen
Selbstreflexion einer Erzieherin, dass sie sich ihre
gegenwärtigen Erfahrungen mit In- und Exklusion bewusst macht. Wie alle Zeitgenossen lebt auch eine
Erzieherin heute in Teilsystemen – ein Zeitfenster
lang im System der eigenen Familie, dann im System
der Kita als ihrem Arbeitsplatz, dann im Teilsystem
der ehrenamtlich Tätigen im Umwelt-, Friedens- oder
sonstigen Bereich, im Teilsystem ihrer Freundinnen,
ihrer Kameradinnen im Sportverein, Gesprächskreis,
Erwachsenenbildungskurs. In diesen Teilbereichen
erfahren sie sich in der Regel als teilinkludiert, weil
sie in diesen Teilsystemen „nicht als Individuen (als
ganze, unteilbare Menschen), sondern als Dividuen
[‚geteilte‘, nur in Ausschnitten gemeinte, M. H.], angesprochen nur auf rollen- und teilsystemspezifische
Teilaspekte“ zur Geltung kommen (Bardmann 2011,
S. 65).
Auch solche Erfahrungen von segmentierten Lebensund Aktionsbereichen, in denen die Erzieherin jeweils
nur teilinkludiert ist, dürfte ihre Einstellungen zur In-
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
klusionspädagogik und ihre Präferenzen bei ihrer konkreten Inklusionspraxis bestimmen.
Zum Anspruch an ihre selbstreflexiven Kompetenzen
muss für eine pädagogische Fachkraft einer Kindertageseinrichtung auch die Bereitschaft und Fähigkeit zu
einer Analyse der eigenen Exklusions- und Inklusionserfahrungen und der Intensität gegeben sein, mit der
diese ihr Denken und Handeln als Pädagogin heute
bestimmen. Denn wenn es bei einer konsequenten
Inklusionspädagogik darum geht, strukturelle, soziale
und Denkbarrieren abzutragen, dann gehören die oft
unbewussten, aus früheren und gegenwärtigen Erfahrungen resultierenden emotionalen und moralischwertenden Faktoren dazu.
Ein Kita-Fachkraft, die derart selbstreflexiv und -kritisch die Dispositionen für ihre Einstellungen und
Handlungen bedenkt und einschätzt und ihre Wirksamkeit zu steuern weiß, kann für ihre Kolleginnen,
für die Eltern – wenn auch in abgestufter Form – Vorbild sein. Die Vorbildfunktion von Erzieherinnen im
Hinblick auf eine inkludierende Praxis besteht zum einen in dem, wie sie mit ihren eigenen Exklusions- und
Inklusionserfahrungen und mit ihrer teilinkludierten
Lebensweise umgeht; zum anderen natürlich in der
Konsequenz, mit der sie inklusionspädagogische Ziele bei ihrer Arbeit realisiert.
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein
„Der Selbstanspruch der pädagogischen Fachkräfte“:
Sie nehmen sich selbst als Personen ernst, die selbst
Erfahrungen mit Exklusionen und Inklusionen gemacht haben und die heute noch immer Erfahrungen
mit Teilinklusionen in segmentierten Lebens- und
Arbeitsfeldern machen. Das „Christliche“ kann sich
hier zum einen in dem Grad der Selbstakzeptanz wie
auch in der Größe der Verantwortung zeigen, die für
die inklusionspädagogische Praxis vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen zum Tragen kommen
muss. Ferner zeigt sich das „Christliche“ bei der Frage
nach einer Balance zwischen individueller Förderung
einzelner Kinder – mit einer zwangsläufigen partiellen Exklusion – und einer inkludierenden Praxis, bei
der diese Kinder in den Kreis der anderen Kinder als
Gleichberechtigte hineingenommen werden. Solche
Erfahrungen machen Christen in ihren Gemeinden
und anderen Lebens- und Wirkfeldern. Sie wissen
aber auch darum, dass es neben den Exklusionseffekten, die jede funktionale Zuspitzung dieser Wirkfelder haben muss, zusammenführende, einigende,
über den Grenzen stehende Gemeinsamkeiten im
Glauben, Lieben und Hoffen gibt. Diese Erfahrungen
eines Denkens, Empfindens, Glaubens und Handelns
aus einer gemeinsamen Spiritualität hinaus kann sich
begünstigend auf die Haltung auswirken, die im Bestreben um eine Balance zwischen individueller Zuwendung und Förderung auf der einen und einer Hineinnahme und Egalisierung von Besonderheiten auf
der anderen Seite erforderlich ist.
Fünfter Prüfstein: Das Humanniveau
Inklusionspädagogik als Ansatz und Praxis in Kindertageseinrichtungen betrifft – so wurde in den bisherigen Ausführungen hinlänglich deutlich – nicht nur
die einzelnen pädagogischen Maßnahmen. Sie muss
von allen Akteuren mitgetragen werden, sie bestimmt
die Organisation und Vollzugsformen des Lebens
und Lernens in der Kita insgesamt und sie prägt den
„Geist des Hauses“. Inklusion als Programm bestimmt
das Denken, Reden, Planen und Handeln, die Beziehungen untereinander und die Interaktionen aller.
Das hat Auswirkungen auf das ethische Niveau einer
Kindertageseinrichtung; ein solches wird gewöhnlich
als „Humanniveau“ oder als Unternehmenskultur bezeichnet. Die Unternehmenskultur einer Kita wird eine
andere, wenn Inklusion in allen Dimensionen greift.
Das aber bedeutet, dass Inklusion nicht verengt individualethisch verstanden werden darf als eine Verpflichtung, als ein ethischer Anspruch für jede einzelne
Erzieherin. Sie muss vielmehr sozialethisch gesehen
werden als ein Maßstab für die Aufnahmebereitschaft
und Integrationskraft einer Einrichtung und für den
Grad der Verbindlichkeit, mit der die Grundsätze und
Ziele der Inklusionspädagogik umgesetzt und eingelöst werden.
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein ­„Das
Humanniveau“:
Eine Antwort auf die Frage finden: Was kann die
christliche Spiritualität, also der „Geist des Hauses,
der aus der Überzeugung von der Heil- und Gestaltungskraft des Glaubens“ lebt, zu der Entwicklung
eines Humanniveaus beitragen, das aus einer konsequenten Bejahung und Praxis des Inklusionsansatzes
erwächst? Und eine Antwort auf die Frage finden: Zu
welchen besonderen Einstellungen und Verhaltensweisen veranlassen uns die Vorgaben, die sich aus
unserem Glauben für eine christlich orientierte Erziehung und Bildung ableiten lassen? Antworten auf
diese beiden Fragen lassen sich zum Teil in den Ausführungen zu den bisherigen Prüfsteinen finden. Zum
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 11
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
anderen können folgende Gedanken die Antworten
erleichtern: Das Hilfehandeln Jesu und die Art und
Weise, wie er sich auf Frauen und Männer in Begegnungen, Gesprächen und Freundschaften einließ, die
in der jüdischen Gesellschaft seiner Zeit zu den Außenseitern gehörten, die als minderwertig, nicht dazugehörend, nicht als vollgültige Mitglieder galten, ist
Leitmotiv und spirituelle Quelle für Christen bis heute.
Das entgrenzende, Status- und Leistungsschranken
überwindende Verhalten Jesu kann inspirieren und
den „Geist des Hauses“ einer katholischen Kindertageseinrichtung prägen – den Geist der Offenheit
und Gastfreundschaft, den Geist des integrierenden
Redens und Handelns und Umgehens miteinander,
den Geist, der zuerst auf das schaut, was miteinander
verbindet, und dann erst dem Rechnung trägt, was
unterscheidet und einer besonderen Förderung und
Unterstützung bedarf.
Sechster Prüfstein: Religiöse Erziehung
Nochmals zu Erinnerung: „Als integrative/inklusive Erziehung bezeichne ich eine Pädagogik, die sich darum
bemüht, Kinder erfahren zu lassen, was ihr gemeinsamer Nenner ist, was sie gemeinsam tun können, was
sie gemeinsam lernen können“ (Kron 2011, S. 191 f.).
Die heute in katholischen Kindertageseinrichtungen
praktizierte religiöse Erziehung liegt auf dieser Linie
von Gemeinsamkeit und Teilhabe, sie ist einladend für
alle Kinder angelegt und wird auch in der Regel so
gestaltet. Oft lässt sich nicht mehr unterscheiden, ob
bei der Rede von Gott und seiner Schöpfung, bei der
Rede von Gott, der die Kinder liebt, und bei der Rede
von der Verheißung des Himmels für die Menschen,
die an Gott glauben, vom christlichen, dem muslimischen oder dem jüdischen oder einem sonst irgendwie vorstellbaren Gott die Rede ist. Meist steht hinter
einer solchen Angleichung die Absicht, dass man die
Kinder trotz unterschiedlicher Religionszugehörigkeit
in einem gemeinsamen Glauben an Gott einander näherbringen und Unterschiede einebnen will.
Religiöse Erziehung sollte nicht dem Gleichheits- und
Harmoniebedürfnis der Kinder (und der Erzieherinnen) „inklusionistisch“ entsprechen, sondern in erster
Linie dem, was den Glauben in den unterschiedlichen
Religionen jeweils auszeichnet. Wer religiöse Erziehung so versteht, der versteht Inklusion in diesem
Feld nicht so, dass eine Art Einheitsglaube konstruiert
wird, zum dem sich alle dazugehörig fühlen können,
sondern für den ist Inklusion ein Programm, das unter
Beibehaltung der spezifischen Unterschiede zwischen
den Religionen nach solchen religiösen Gesprächen,
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 12
Bildern, Gemeinschaftsvollzügen sucht, bei der alle
mitmachen können.
Ein Rest von Spezifischem und Unvereinbarem wird
aber bleiben – ob im Gottesbild, im Verständnis des
Jesus von Nazareth, in der Interpretation von Kreuz
und Auferstehung, in den Gottesdiensten und in den
unterschiedlichen Symbolen, mit denen jeweils der
Glaube ausgedrückt wird. Religiöse Erziehung ist
demnach immer auch exkludierend, indem sie die Zugehörigkeit und die Nichtzugehörigkeit der Kinder zu
den einzelnen Religionen markiert.
Aber solange nicht die eine als die eigentlich wahre
Religion gegen die andere ausgespielt wird, solange nicht die Unterschiede und die Unvereinbarkeiten
zwischen den Religionen unentwegt im Mittelpunkt
stehen, solange nach Konvergenzen und nach Möglichkeiten gemeinsamer religiös-spiritueller Vollzüge
gesucht wird, solange ist eine wirkliche Inklusion in
einer Kita trotz oder sogar durch die religiöse Erziehung möglich.
Inklusion durch religiöse Erziehung kann also sowohl
durch eine Nivellierung der Unterschiede zwischen
den Religionen und Glaubensrichtungen als auch
durch eine Polarisierung und durch exkludierende
Verhaltensweisen verhindert oder zumindest erschwert werden. Sie kann dagegen durch eine interreligiös ausgerichtete Praxis beschleunigt und vertieft
werden, wenn diese
1. Zugänge zu den einzelnen Religionen und Glaubensrichtungen für alle Kinder schafft,
2. das Unterscheidende erkennen lässt und „aushalten“ hilft,
3. Annäherungen und die Erfahrung von Gemeinsamkeiten ermöglicht,
4. bei den Kindern (und den Erzieherinnen) die Wahrnehmung und das Verstehen der eigenen Religion
durch den Vergleich mit den anderen vertieft.
Inklusion im Bereich der religiösen Erziehung kann
auch durch ein Denken und Handeln erschwert werden, durch das Kinder mit einem besonderen Förderbedarf an den Rand des Geschehens verortet werden, das nicht auf ihre Teilnahme an Gottesdiensten,
Glaubensgesprächen oder anderen religionspädagogischen Maßnahmen ausgerichtet ist, das diese Kinder nicht als Akteure der einzelnen Prozesse einbezieht – weil die ja, nach dieser Auffassung, eh nicht
verstehen, worum es geht, weil sie Ernst und Andacht
stören und insgesamt einfach nicht mitkommen. Wenn
religiöse Erziehung vor allem die im Blick hat, die Fra-
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
gen stellen, Vorstellungen und Theorien entwickeln
und die durch ihr Engagement eine Sache voranbringen, wenn religiöse Erziehung also in erster Linie mit
denen rechnet, die sich ausdrücken und mitgestalten
können, dann ist sie unter der Hand auf eine ungute Weise exkludierend und unterscheidet sich kaum
von anderen leistungs- und kompetenzorientierten
Bildungsprozessen.
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein
„Religiöse Erziehung“:
Diese Erziehung stellt die Nagelprobe auf die Ernsthaftigkeit und die Stringenz der inklusionspädagogischen Praxis einer Kindertageseinrichtung dar. Denn
wenn religiöse Erziehung so stark exkludierend ist,
dass benachteiligte Kinder nicht mitkommen bzw. nur
als Anhängsel mitgenommen werden, dann verrät sie
ihren Auftrag, den Kindern einen Zugang zur Welt
der Religionen zu ermöglichen, der diese als menschenfreundlich, Halt und Orientierung gebend und
als aufbauend und jeden bejahend erfahrbar macht.
Religiöse Erziehung hat die große Chance, für Kinder
erlebbar zu machen, dass man auch aufgrund seiner
religiösen Überzeugung zu einer bestimmten Religion
gehört und nicht zwischen verschiedenen Religionen
ständig wechseln kann, dass man also aufgrund des
Bekenntnisses zu einem Glauben von anderen Religionen ausgeschlossen ist und dass Andersgläubige
von dieser eigenen Religion ausgeschlossen werden;
religiöse Erziehung beinhaltet also durchaus auch Exklusionserfahrungen. Aber – und hier liegt die eigentliche Chance – sie demonstriert auch, wie Inklusion
trotz der unterschiedlichen Religionszugehörigkeit
möglich ist. Inklusion wird möglich, indem zum einen
alle Religionen erlauben, dass man in ihre Glaubensinhalte, Symbole, Bilder und rituellen und caritativen
Vollzüge Einsicht erhält, indem zum anderen auch die
Überschneidungen und gemeinsamen Themen und
Anliegen deutlich werden, sodass unter dem „Dach
der Religionen“ Menschen zueinander finden können.
Siebter Prüfstein: Trägerverantwortung
Die Leitwerte, die „Philosophie“ und Politik einer Kindertageseinrichtung werden in der Regel auch von
ihrem Träger mitbestimmt und mitgetragen. Da das
Konzept der Inklusion für eine Kita, die es konsequent in ihre Pädagogik und in die Organisation der
Arbeitsabläufe übernimmt, nachhaltige Auswirkungen
auf das ganze Haus haben kann, muss das Konzept
zum einen auch vom Träger bejaht und mitgetragen
werden. Zum anderen kann der Träger die Prozesse
innerhalb der Einrichtung unterstützen – angefangen
von der veränderten Arbeitsorganisation über die Personalauswahl und die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zur Zusammenarbeit mit den
Eltern und bis zur Vertretung dieses Konzepts durch
den Träger nach außen etwa gegenüber der Elternschaft, den Kooperationspartnern der Kita und den
Ansprechstellen der öffentlichen Verwaltung und Politik.
Dazu sind zunächst interne Klärungsprozesse zwischen dem Träger, der Leiterin und dem Team erforderlich. Denn: Der Begriff der Inklusion kann sowohl
in einer Vertikalen als auch in einer Horizontalen betrachtet werden. Inklusion in einer vertikalen Perspektive zu betrachten bedeutet, dass es unterschiedliche
Sichtweisen und Akzentsetzungen bei den Menschen
auf den unterschiedlichen sozialen Positionen und
Funktionsebenen gibt. So hat der Träger einer Kita
eine anders akzentuierte Sicht von Inklusion und inkludierender pädagogischer Praxis als die Leiterin, als
die Erzieherin, als die Eltern und die Kinder.
Auf der Horizontalen meint Inklusion, dass alle bestimmenden Elemente auf einem gleichen Niveau angesiedelt sind – von den normativen und strategischen
Festlegungen (Leitbild, Konzeption) über die einzelnen Planungen und Einrichtung von Lernsettings bis
zur konkreten pädagogischen Maßnahme.
Die auf der vertikalen Ebene erforderlichen Klärungsprozesse zwischen Träger und Mitarbeiterschaft zielen auf eine Verständigung über das gemeinsame
Inklusionsverständnis, über die Konsequenzen für die
Arbeitsorganisation, den Qualifikations- und Fortbildungsbedarf der pädagogischen Fachkräfte, über die
Kommunikation mit den Eltern und über die Funktionen, die der Träger, die Leiterin und die Erzieherinnen
übernehmen, wenn es gilt, den Inklusionsansatz und
die Inklusionspraxis der Einrichtungen nach außen gegenüber unterschiedlichen Adressaten zu vertreten.
Der Träger kann auch gezwungen sein, den Druck
abzuwehren, der von außen auf seine Einrichtung
ausgeübt wird. Dieser kann entstehen, wenn die eine
Inklusionspraxis begünstigenden Arbeitsbedingungen
gegenüber Entscheidungsgremien in der Gemeinde,
den Zuschussgebern, dem Jugendamt usw. gerechtfertigt werden müssen. Denn: „Weder Inklusion noch
Exklusion [ist] eine Frage der freien persönlichen
Entscheidung und des individuellen Verhaltens, sondern immer auch eine Frage der funktionsorientierten
strukturellen Bedingungen“ (Bardmann S. 70). Ferner
ist eine Inklusionspädagogik in KindertageseinrichtunMitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 13
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
gen in der öffentlichen Meinung und aufgrund einer
eher polarisierenden und exkludierenden sozialen
Praxis in der Gesellschaft dieses Landes nicht überall gleich plausibel und akzeptiert. Die Kita befindet
sich nicht selbstverständlich in einem Umfeld, das
mit der Heterogenität der Menschen gut umgehen
kann. Wenn das Umfeld einer katholischen Einrichtung die Kirchengemeinde ist, hat der Träger hier die
unverzichtbare Aufgabe, das Gemeindeverständnis
danach zu befragen, ob dieses eher exkludierende
oder eher inkludierende Tendenzen aufweist. Er muss
die Kompatibilität des Inklusionsgedankens und der
Inklusionspraxis seiner Einrichtung mit dem Leitbild
der Kirchengemeinde und ihrem pastoralen Konzept
überprüfen und im Gespräch mit den Akteuren seiner Kita und der Gemeinde nach Möglichkeiten von
Übereinstimmungen, Unterstützungen und gemeinsamen Aktionen suchen. Denn: „Soziale Hilfe kann nicht
‚stellvertretend’ inkludieren, wo andere Funktionssysteme exkludieren“ (Bardmann 2011, S. 64).
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein
­„Trägerverantwortung“:
Der Träger stimmt dem einer Inklusionspädagogik zugrunde liegenden Menschenbild, den Leitwerten und
der konkreten Praxis mitsamt den Konsequenzen an
Investitionen zu. Dazu beruft er sich auch auf theologische Motive und Argumente (vgl. oben die Ausführungen zu der entgrenzenden Lebens- und Beziehungspraxis Jesu). Der Träger vertritt das Konzept
und die Praxis der Inklusion nach außen und weist
diese auch als spezifisch christlichen Auftrag aus.
Der Träger intensiviert vor allem die Zusammenarbeit mit den Funktionsträgern und den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Kirchengemeinde und sucht
mit ihnen nach Wegen, wie der Gedanke und wie die
Praxis der Inklusion auch das Leben und die Arbeit in
der Gemeinde ausdrücklicher bestimmen können. Er
sucht nach Wegen, wie seine inklusionspädagogisch
arbeitende Kindertageseinrichtung als ein Aktionsfeld
für Inklusion wahrgenommen und in ein inklusions­
orientiertes Pastoralkonzept der Gemeinde integriert
werden kann.
Achter Prüfstein: Christliches Profil
Die Ausführungen
steinen haben an
deutlich gemacht:
klusionspädagogik
bleiben. Denn die
zu den bisher vorgestellten Prüfunterschiedlichen Stellen bereits
Eine konsequent umgesetzte Inkann (und darf) nicht „verborgen“
Einrichtung wird, wenn die inklu-
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 14
sionspädagogische Praxis umfassend zur Geltung
kommen soll, so „geformt, dass sie für alle passt.“
(Haug 2011, S. 40). Die Inklusionspädagogik sollte deshalb auch nicht nur in Leitbild und Konzeption
aufgeschrieben werden; sie ist vielmehr ein zentrales
Element des Profils der Kindertageseinrichtung, da
sie letztlich einen „Gewinn für alle“ bedeuten kann.
Denn eine solche Einrichtung hebt sich in der Tat von
vielen anderen Einrichtungen, die „nur“ integrativ arbeiten, deutlich ab.
Inklusionspädagogik stimmt nach allem, was bisher
in diesem Beitrag zu ihren Kennzeichen, ihrem Wert,
ihre Prägekraft in den Binnenraum der Einrichtungen
und nach außen ins Umfeld ausgeführt worden ist, mit
einem christlichen Verständnis von Erziehungs- und
Bildungsarbeit mit Kindern in kirchlichen Kindertageseinrichtungen in vielen Punkten überein. Inklusion
muss daher zu einem exponierten Element des christlichen Profils werden.
„Aus christlicher Sicht“ heißt beim Prüfstein
­„Christliches Profil“:
Das christliche Profil katholischer Kindertageseinrichtungen soll zum einen nach innen wirksam
werden, indem die Einrichtung sich auf eine Orientierung an religiösen Überzeugungen, an christlichen Leitwerten und an einer solidarischen (inkludierenden) Praxis verpflichtet. Zum andern stellt
das christliche Profil das „Aushängeschild“ der Einrichtung nach außen dar. Da sich die Inklusionspädagogik, wie sie in diesem Beitrag charakterisiert
worden ist, mit dem christlichen Menschenbild, mit
einem christlichen Bildungsverständnis und mit dem
Selbstverständnis kirchlicher Kitas als Lebens- und
Lernorte für alle Kinder gut vereinbaren lässt, sollte
dieser Ansatz als „Philosophie und Programm“ der
Kita in deren Profilbeschreibung unbedingt aufgenommen werden.
Ein Gedanke zum Schluss
Dieser Artikel ging detailliert der Frage nach, was es
heißt, wenn man „Inklusion mal mit der ‚christlichen
Brille’ betrachtet“. Diese Frage wurde vor allem auf die
Konsequenzen hin bedacht. Diese beziehen sich
1. auf die Einstellungen und Haltungen der Akteure
(Träger, Leitung, pädagogische Fachkräfte, Eltern
und Kinder);
2. auf Leitbild und Konzeption der Einrichtung und auf
deren theologische Fundierung;
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
3. auf die Kompetenzen der Fachkräfte;
Literatur
4. auf die Arbeitsorganisation und die pädagogische
Arbeit;
6. auf das Umfeld der Kita, vor allem die Kirchengemeinde;
Bardmann, Theodor M.: Integration und Inklusion
– systemtheoretisch buchstabiert: Neue Herausforderungen für die soziale und pädagogische Arbeit,
in: Kreuzer, Max / Ytterhus, Borgunn (Hrsg.): „Dabeisein ist nicht alles“ – Inklusion und Zusammenleben
im Kindergarten: München: Reinhardt Verlag, 2. Aufl.
2011, S. 52 – 72
7. schließlich auf das Profil und die Positionierung der
Kita „am Markt“.
Brenner, Peter J.: Bildungsgerechtigkeit. Stuttgart:
Kohlhammer Verlag 2010 (Praxiswissen Bildung)
Es wurde deutlich: Inklusionspädagogik in Kindertageseinrichtungen zu realisieren ist anspruchsvoll.
Dies bringt aber auch einen nicht zu unterschätzenden Gewinn für alle, vor allem für die Kinder. Und: Inklusionspädagogik steht katholischen Einrichtungen
nicht nur „gut zu Gesicht“, sondern sie entspricht ihrem ureigenen Auftrag.
Brumlik, Micha: Advokatorische Ethik. Zur Legitimation pädagogischer Eingriffe. Hamburg: Europäische
Verlagsanstalt, 2. Aufl. 2004
5. auf die Unterstützung und Repräsentationsleistungen des Trägers;
Haug, Peter: Inklusion als Herausforderung der Politik
im internationalen Kontext, in: Kreuzer, Max / Ytterhus, Borgunn (Hrsg.): „Dabeisein ist nicht alles“ – Inklusion und Zusammenleben im Kindergarten: München: Reinhardt Verlag, 2. Aufl. 2011, S. 36 – 51
Hugoth, Matthias: Kinderrechte theologisch betrachtet, in: Kittel, Claudia: Kinderrechte. Ein Praxisbuch
für Kindertageseinrichtungen. München: Kösel Verlag
2008, S. 68 – 76
Neuerscheinungen
Wer das Thema Inklusion noch weiter vertiefen möchte, sei auf folgende Neuerscheinungen bzw. Stellungnahmen verwiesen:
l Sabine Jungk, Monika Treber, Monika Willenbrink (Hrsg. 2011): Bildung in Vielfalt. Inklusive Pädagogik in
der Kindheit, Freiburg: Verlag FEL. Forschung – Entwicklung - Lehre
Über die Homepage des Verlages können Sie das Buch direkt bestellen:
http://www.fel-verlag.de/catalog/3/materialienzurfrhpdagogik
l Klaus Klemm (2010): Gemeinsam lernen. Inklusion leben. Status Quo und Herausforderungen inklusiver
Bildung in Deutschland, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung
Die Studie steht auf der Homepage der Bertelsmann Stiftung als Download zur Verfügung:
http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_32811_32812_2.pdf
l Annedore Prengel (2010): Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und
­pädagogische Grundlagen. Unter Mitarbeit von Katja Zschipe, Dorit Horn und Sebastian Schultz.
Eine Expertise für das Projekt Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF), hrsg.
vom Deutschen Jugendinstitut, München
Die Expertise steht als Download auf der WiFF-Homepage zur Verfügung:
http://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/inklusion/details-inklusion/artikel/inklusion-in-der
fruehpaedagogik.html
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 15
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Hugoth, Matthias: Kinder haben Rechte – warum eigentlich? Eckpunkte einer normativen Referenztheorie, in: Lindenau, Mathias (Hrsg.): Jugend im Diskurs
– Beiträge aus Theorie und Praxis. Wiesbaden: Verlag
für Sozialwissenschaften 2009, S. 35 – 49
Hüssler, Georg / Hugoth, Matthias: Vergewisserung
– die theologisch-normativen Grundlagen der Kinder- und Jugendhilfe der Caritas, in: Knab, Eckhart /
Fehrenbacher, Roland (Hrsg.): Die vernachlässigten
Hoffnungsträger. Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe. Freiburg: Lambertus Verlag 2009, S. 53 – 68
Kron, Maria: Integration als Einigung – Integrative
Prozesse und ihre Gefährdungen auf Gruppenebene,
in: ebd. S. 190 – 200
Penka, Sabine: Ein Recht auf Teilhabe?! Die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention und der
UN-Kinderrechtskonvention für junge Menschen mit
Behinderung, in: Fink, Franz (Hrsg.): Inklusion in Behindertenhilfe und Psychiatrie. Vom Traum zur Wirklichkeit. Freiburg: Lambertus Verlag 2011, S. 67 – 77
Prof. Dr. Matthias Hugoth
Der Diplom-Theologe und Diplom-Pädagoge ist Professor
für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Erziehungswissenschaft
und Pädagoge der frühen
Kindheit an der Katholischen
Hochschule Freiburg. Er leitet
den Bachelorstudiengang „Management von Erziehungs- und
Bildungseinrichtungen“. Zu seinen Arbeits- und
For­schungsschwerpunkten gehören u. a. Päda­
go­
gik der frühen Kindheit, Kinderrechtepolitik
und -pädagogik, Profilierung der pädagogischen
Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe und Berufspolitik, Management sozialer Systeme sowie
Sozialpolitik und Lobbying. Prof. Dr. Hugoth war
langjähriger Mitarbeiter des Deutschen Caritasverbandes für die Tageseinrichtungen für Kinder.
Inklusionslandkarte
Im Rahmen der Kampagne „Deutschland wird inklusiv – wir sind dabei“ hat der Bundesbeauftragte für die Belange behinderter Menschen im März 2011 eine deutschlandweite Inklusionslandkarte mit gelungenen Beispielen inklusiver Praxis eingerichtet. Darauf sind nicht nur Einrichtungen und Projekte samt Kontaktdaten aufgenommen, vielmehr können (und sollen) sich
weitere inklusive Einrichtungen um die Aufnahme in die Karte bewerben. Über die Aufnahme
entscheidet eine dreiköpfige Jury von Personen aus dem vom Bundesbeauftragten einberufenen Inklusionsbeirat. Diese sind selbst behindert oder vertreten einen entsprechenden Verband.
Die Inklusionslandkarte, Informationen zu den Zielen und zum Hintergrund dieses Projektes sowie das
Bewerbungsformular finden Sie unter:
http://www.behindertenbeauftragter.de/DE/Landkarte/Forms/Suche/ProjektSuchen_formular.html
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 16
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Arnold Köpcke-Duttler
Mehr als nur ein Trend.
Ethische und rechtliche Begründung der Inklusion
Erster Teil: Das Übereinkommen über die Rechte
des Kindes
In dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes
vom 20. November 1989 verpflichten sich die Vertragsstaaten, diese Rechte jedem ihrer Hoheitsgewalt
unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht,
der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung,
der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes,
seiner Eltern oder seines Vormunds zu gewährleisten.
Über Artikel 2 Abs. 1 dieses Übereinkommens der
Vereinten Nationen hinaus sollen die Vertragsstaaten
anerkennen, dass ein geistig oder körperlich behindertes Kind ein erfülltes und menschenwürdiges Leben
unter Bedingungen führen soll, welche die Würde des
Kindes wahren, seine Selbstständigkeit fördern und
seine aktive Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft
erleichtern.1 Anerkannt werden auch die besonderen
Bedürfnisse eines behinderten Kindes, sein Recht auf
„besondere Betreuung“, sein Recht auf Erziehung,
Ausbildung, die Bereitstellung von Gesundheits- und
Rehabilitationsdiensten, Vorbereitung auf das Berufsleben in einer Weise, die der möglichst vollständigen
„sozialen Integration“ und individuellen Entfaltung des
Kindes einschließlich seiner kulturellen und geistigen
Entwicklung förderlich ist.
Im Rahmen der Kinderrechtskonvention werden die
Rechte der Kinder als Grundrechte, als „personale Selbstbestimmungsrechte“ gedeutet, wobei ihre
Partizipations- und Mitgestaltungsrechte auf allen
Entscheidungsebenen gestärkt werden sollen.2 Diese Deutung befreit freilich nicht von der Erkenntnis,
Art. 23 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes;
Matthias Herdegen, Völkerrecht, 8. Aufl. München 2009, S. 326;
Wolfgang Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. Berlin / New
York 2010, S. 230
2
Caroline Steindorff, Zur Einstimmung in das Thema, in: dies.
(Hrsg.), Vom Kindeswohl zu den Kindesrechten, Neuwied / Kriftel
/ Berlin 1994, S. 4 f.; s. Sabine von Schorlemer und Elena SchulteHerbrüggen, 1989 – 2009: Zwanzig Jahre UN-Kinderrechtskonvention, Frankfurt 2010; Michael von Cranach u. a., Aktiv für Kinderrechte: 20 Jahre UN-Kinderrechtskonvention, München 2010
dass, wenn Kinder zu ihrem Recht kommen sollen,
sich auf den Feldern der Politik, der Wirtschaft, des
Umweltschutzes weltweit sehr viel ändern muss. Von
der Verwirklichung der Kinderrechte sind wir weit entfernt – immer noch. Terre des Hommes hat angesichts
dessen, dass Kinder als Soldaten verdingt werden,
Kinder auf der Flucht sind, Opfer von Minen werden,
dazu aufgerufen, Kinderrechts-Teams zu bilden, die
Verwirklichung der Kinderrechte zu intensivieren und
praktisch in die Hand zu nehmen. So war eines der
ersten Kinderrechts-Teams „Children World“ in Berlin,
eine Gruppe, die dafür eintrat, dass niemand unter
achtzehn Jahren als Soldat eingesetzt werden sollte,
kein einziges Kind. In Straelen am Niederrhein stellte
ein Kinderrechts-Team „Blumenkinder für eine bessere Welt“ dar; in Melle verkleideten sich die „Sonnenkinder“ zu Straßenkindern, legten sich in Pappkartons
auf einen Blumenmarkt, putzten Schuhe und gaben
Straßenmusik. In allen diesen Aktionen wurden Zusammenhänge zwischen auferlegter Armut und unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Lebensmöglichkeiten von Kindern deutlich, wie es auch in der
Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte
von Menschen mit Behinderung geschieht.3 Nicht allein Manfred Liebel hat mit der Berufung auf Janusz
Korczak, wonach Erwachsene sich irren können und
das Kind allein weiß, ob es sich wohlfühlt oder nicht,
herausgearbeitet, dass Kinderrechte Menschenrechte
sind, menschenwürdige Lebensbedingungen für alle
Kinder geschaffen werden müssen, ihre Gleichberechtigung und ihre aktive Mitwirkung in der Gesellschaft
zu unterstützen sind. Seit Kinder über eigene Rechte
verfügten, hätten Erwachsene nicht mehr das Monopol, zu bestimmen, was dem Wohl der Kinder diene.
Kinderrechte als Menschenrechte zu verstehen,4 verlange, ausgehend von ihrer Schutzbedürftigkeit, ihre
1
Hans-Martin Große-Oetringhaus, Spiel- und Aktionsbuch Eine
Welt, 4. Aufl. Berlin 2002, S. 207 ff.
4
In ihrem Artikel „Children’s Rights“, der im Jahr 1892 veröffentlicht
wurde, betonte die frühere Kindergärtnerin Kate Douglas Wiggin,
jedes Kind sei „a free will human beeing“ und habe ein Recht auf
eine ihm eigene Kindheit. „There is no substitute for a genuine, free,
severe, healthy, bread-and-butter childhood“ (zit. n. Jürgen Oelkers,
Demokratisches Denken in der Pädagogik, in: Zeitschrift für Pädagogik, 56. Jahrgang 2010, Heft 1, S. 17)
3
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 17
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Menschenwürde als gleichberechtigte Mitglieder der
menschlichen Gesellschaft zu achten.5
Die Kinderrechts-Konvention proklamiert ein Recht
auf Leben und Gesundheit für alle Kinder. In einer
eigenen Charta haben südafrikanische Kinder gefordert, dass alle Kinder erdweit das Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung und medizinische Betreuung sowohl vor als auch nach der Geburt haben,
das Recht auf freie und umfassende Dienstleistungen
im Gesundheitsbereich. Für behinderte Kinder fordert
diese Charta das Recht auf besonderen Schutz und
eine besondere Gesundheitsversorgung.6 Art. 125
der Bayerischen Verfassung verhieß früher, dass gesunde Kinder das köstlichste Gut eines Volkes seien.
Dieses verfassungsrechtliche Ziel erneuerte Art. 119
der Weimarer Reichsverfassung, in der von der Gesundheit der Familie gesprochen wurde. Die Gefahr
einer Diskriminierung von Kindern mit einer Behinderung wurde Art. 125 durch Gesetz vom 20. März 1998
geändert in der Weise, dass das Adjektiv „gesunde“
gestrichen wurde. Durch die Änderung der Verfassung wurde das Recht auf Leben und Gesundheit für
alle Kinder deutlich hervorgehoben. In meinem eigenen Änderungsvorschlag hieß es damals, dass das
Gemeinwesen die Würde der Kinder achtet, es Kinder
mit Behinderungen respektiert und gegen ihre Diskriminierung vorsorgt. Jedes Kind mit einer Behinderung
habe das Recht auf ihn gemäßen Schutz und ihm entgegenkommende Gesundheitsversorgung.7
Zweiter Teil: Das Menschenrecht auf Bildung
Art. 24 der Behindertenrechtskonvention verlangt,
dass das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und
auf der Basis gleicher Chancen durchgesetzt werde –
auf allen Ebenen eines „inklusiven Bildungssystems“.
Menschen mit Behinderungen sollen Zugang zu einer
inklusiven, qualitativ hochwertigen und unentgeltlichen
Manfred Liebel, Kinderrechte sind Menschenrechte, in: Gemeinsam leben, 16. Jahrgang 2008, Heft 1, S. 3 – 10; ders., Wozu Kinderrechte? Grundlagen und Perspektiven, Weinheim und München
2007; Reinald Eichholz, Demokratische Schule – Schule für alle?
Zum Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, in: Gemeinsam leben, 16. Jahrgang 2008 – Heft 1,
S. 11 – 18
6
Große-Uetringhaus, Kinder haben Rechte – überall, 2. Aufl. 1993,
S. 49
7
Arnold Köpcke-Duttler, Gesunde Kinder sind das köstlichste Gut
eines Volkes. Zur Geschichte und zur notwendigen Reform des Art.
125 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung, in: Bayerische Verwaltungsblätter 1996, S. 455 – 458; Urs Haeberlin, Die wissenschaftstheoretische Wende in der Heilpädagogik, in: Vierteljahresschrift für
Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 1980, S. 12
5
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 18
primären und sekundären Bildung erhalten, wobei das
gleichberechtigte Zusammenleben mit den Menschen
einer Gemeinde und der Gesellschaft hervorgehoben
wird. Über die nähere Ausgestaltung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen ist damit freilich noch nicht
viel gesagt; jedenfalls soll sich die Arbeit – gegen Tendenzen der Selektion und Segregation – an einem
Zusammenleben ausrichten, in das alle Menschen in
ihrer Unterschiedlichkeit einbezogen werden sollen.
Wenn auch eine Konkretisierung jenes Gemeinwesens noch fehlt, das die Teilhabe von Menschen mit
unterschiedlichen Benachteiligungen ermöglicht, so
bleibt doch ein grundlegendes Ethos der Behindertenrechtskonvention praktisch einzulösen. Zur Begründung dieser Ethik, die eine inklusive Pädagogik in
sich birgt, ist anzuführen, dass alle Menschen in einer
Gesellschaft mit anderen Menschen zusammenleben
und mit ihnen Beziehungen eingehen sollen. Damit
wird auch deutlich, dass die Begründung des Rechts
auf Bildung sich nicht vollends in der Betonung der
Autonomie, der Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung des einzelnen Menschen erschöpft. Vielmehr
sind Autonomie und soziale Bezogenheit miteinander
zu verbinden.8 Zu einer menschlichen Bildung gehören die Einübung des advokatorischen Handelns, der
Schutz der Schwächeren, Freiheit gebende Solidarität
und Achtsamkeit, die Anerkennung der menschlichen
Würde, die sowohl um die Autonomie des einzelnen
Menschen als auch um seine Verletzbarkeit weiß.
Verbindet man das Recht auf Bildung mit einer Pädagogik der Menschenrechte und einer Erziehung zum
Rechtssinn, so kann die Bildung zu einer „solidarischen Kraft“ werden und beitragen zu der Verwirklichung einer konnektiven Gerechtigkeit.9
Die Behindertenrechtskonvention ist also nicht nur
als Aufforderung an den Staat und an die Politik zu
verstehen, sondern auch als Herausforderung an die
Kräfte der Zivilgesellschaft, die seit Jahren überfällige
Demokratisierung des gesamten Bildungssystems voranzubringen. Die mit dem Menschenrecht auf Bildung
verbundenen Veränderungen betreffen das gesamte
Feld der Bildungswege der Kinder. Es geht nicht nur
um den Entwurf einer Schule für alle, sondern um ein
gemeinsames Leben und Lernen auf allen Ebenen
mit dem Ziel, die Heterogenität der Kinder zu achten
Elisabeth Conradi, Take care. Grundlagen einer Ethik der Achtsamkeit, Frankfurt / New York 2001; Arno Baruzzi, Freiheit, Recht
und Gemeinwohl, Darmstadt 1990
9
Karl Ernst Nipkow, Weltepos und Nächstenliebe, in: S. Görgens
u. a. (Hrsg.), Universalistische Moral und weltbürgerliche Erziehung, Frankfurt 2001
8
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
und die Zusammenarbeit verschiedener pädagogischer Professionen zu verlangen. Menschenrechte
wie auch die in der Behindertenrechtskonvention verbürgten Rechte sollen beitragen zu der Verwirklichung
eines Ethos universaler und gleicher Achtung, zu dem
immer wieder neu zu suchenden Dialog der Kulturen.
So fordert die neue Konvention auch dazu heraus, der
Heilpädagogik einen interkulturellen Horizont zu geben, sie in den Kontext von Armut und Befreiung gegen das Unrecht der Behinderung zu rücken.10 So hat
Maria Montessori als großen Fortschritt in der Weiterentwicklung der Menschheit gesehen, dass nur der
Mensch stark wird, der anderen hilft. Der menschliche
Fortschritt sei darin zu sehen, dass die Gesellschaft
den Schwachen und Armen aufhelfe, statt sie zu unterdrücken. Von daher entdeckte die italienische Ärztin
und Pädagogin unter den Kindern eine ursprüngliche
und offensichtliche Form von Brüderlichkeit.11 Dieses im Grundgesetz vergessene Verfassungsprinzip,
das längst überschritten werden muss auf Geschwisterlichkeit, sollte auch fruchtbar werden bei der Demokratisierung des gesamten Bildungswesens. Das
Menschenrecht auf integrative und inklusive Bildung
gründet in einem konkreten Verständnis menschlicher
Würde. Die Behindertenrechtskonvention tritt ein für
eine menschliche Zukunft der Verachteten und der
Unterdrückten. So wird in der Konvention die menschliche Würde nicht allein als Selbstbestimmung ausgelegt, sondern auch gedeutet als Aufruf zur Überwindung der Armut, als Protest gegen jede Missachtung
und Misshandlung eines Menschen, als Proklamation,
sich mit erniedrigenden Lebensbedingungen nicht abzufinden. Das Recht auf Bildung richtet sich auf die
volle Entfaltung des menschlichen Potentials, auf die
Achtung der menschlichen Würde. Von ihren Verletzungen ausgehend, sucht die Konvention nach politischen, kulturellen, pädagogischen, ökologischen und
rechtlichen Wegen der Verwirklichung. Es lässt sich
auch sagen, dass – im Wissen um die Antastbarkeit
der Würde des Menschen – Menschen als Repräsentanten der Menschheit herausgefordert sind, ihre
Würde in der des anderen Menschen zu entdecken.
In der Sprache des Christentums ist damit ausgesprochen der nicht drohende, wohl lebensverheißende
Ruf: „Kehret um, und ihr werdet leben.“12
Dritter Teil: Inklusive Bildung
Arnold Köpcke-Duttler, Menschliche Würde und Solidarität der
Schwachen. Gedanken zu der Convention on the Rights of Persons with Disabilities, in: Zeitschrift Behinderung und Dritte Welt,
Heft 1/2007, S. 19 – 23
11
Maria Montessori, Das kreative Kind. Der absorbierende Geist,
10. Aufl. Freiburg 1994, S. 208
12
10
Reinhard Markowetz kommt in seiner Abhandlung
„Inclusive Education – Erziehung, Bildung und Förderung von Kindern mit und ohne Behinderungen / Lernschwierigkeiten in Burkina Faso (Westafrika)“ „auf das
Weltbildungsforum“ in Dakar, Senegal, im Jahr 2000
zu sprechen, auf dem die Herausforderungen und
Ziele erneut verkündet wurden, wie bereits zehn Jahre zuvor in Jomtien,Thailand, veröffentlicht als „World
Declaration on Education for all“. Nach einem internationalen Aktionsplan „Bildung für alle“ wurden unter
der Zustimmung einer großen Mehrheit der beteiligten
Staaten sechs Bildungsziele benannt, die bis zum Jahr
2015 erreicht werden sollen: Die frühkindliche Bildung
solle ausgebaut und verbessert werden. Alle Kinder
sollen eine Grundschule besuchen können. Abgesichert werden sollen die Lernbedürfnisse von Jugendlichen. Die Analphabetenquote unter den erwachsenen
Menschen soll halbiert werden. Überwunden werden
soll das Geschlechtergefälle in den Bildungsprozessen. Die Qualität der Bildungswege soll gesteigert
werden. Hier werden Verbindungslinien gezogen zwischen der Konvention über die Rechte des Kindes
und der am 13. Dezember 2006 in New York von den
Vereinten Nationen verabschiedeten Konvention über
die Rechte von Menschen mit Behinderung, insbesondere deren Artikel 24 (Menschenrecht auf Bildung,
auf „Inclusive Education“). Im Spiegel des UNESCOWeiterbildungsprogramms, der Salamanca-Erklärung
des Aktionsplans von Dakar, sollen sozial- und bildungspolitische Realitäten verändert werden in Richtung auf eine Verbesserung der frühkindlichen Förderung und Bildung, eine Steigerung der universellen
Grundschulbildung gerade der Kinder aus armen und
sozial schwachen Bevölkerungsgruppen und der Kinder mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten und
in Richtung auf eine Verbesserung der schulischen
Lernbedingungen. Im Rahmen des Aktionsplans für
das Land Burkina Faso wurden der Bau einer inklusiven Grundschule, einer Lehrerakademie mit inklusionspädagogischer Aus- und Weiterbildung von LehrerInnen, die Inbetriebnahme eines Frühförderzentrums
für benachteiligte, behinderte und in ihrer Gesundheit
bedrohte Kinder und ihrer Eltern sowie einer Berufsschule für nachhaltiges Bauen vorgeschlagen. In dem
Arnold Köpcke-Duttler, Zur Kritik der Qualifizierung von human
capital oder Was ist für das Menschenrecht auf Bildung zu tun?, in:
Dorothea Kröll (Hrsg.), Bildung = Humankapital?, Hofgeismar 2010
(Tagungsreihe „Zukunftsfähige Schule“ IV), S. 78; Umkehr zum Leben. Nachhaltige Entwicklung im Zeichen des Klimawandels. Eine
Denkschrift des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2009, S. 155
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 19
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Wissen um die engen Zusammenhänge zwischen
Behinderung der Lebensmöglichkeiten und aufgezwungener Armut sollen Ernährung, Gesundheit und
Rehabilitation für alle Kinder ermöglicht werden, damit
sie bald gleichberechtigt aktiv am Leben der Gesellschaft teilhaben können.13 Markowetz geht wie andere davon aus, dass Inklusion als Begriff auf die Entfaltung von Gemeinsamkeiten und die Neuordnung
des Zusammenlebens und Zusammenhandelns der
Menschen gerichtet und nicht als alleinige Aufgabe
der Sonder-, Heil-, Behinderten- und Rehabilitationspädagogik zu verstehen ist, sondern eine transdisziplinäre Aufgabe bedeutet, die den wissenschaftlichen
und praxisbezogenen Diskurs über den Umgang mit
Gleichheit und Differenz zu führen habe. Er formuliert
ein „emanzipatorisch-partizipatorisches Interesse“ daran, sich an der Lösung sozialer Probleme konstruktiv
zu beteiligen, Inklusion als Zusammenhalt der ganzen
Gesellschaft zu verstehen. Angestrebt werden sollen
die Veränderung aller Lebensbereiche und die Sicherung der gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen,
was gerade auch in der Behindertenrechtskonvention
zum Ausdruck gelangt.14
Vierter Teil: Die Behindertenrechtskonvention
und die Elementar-Pädagogik
Die Auswirkungen der Behindertenrechtskonvention
auf den elementarpädagogischen Bereich hat Sabine
Dahm näher untersucht. Um den Begriff der Inklusion näher zu bestimmen, müsse auf die Grundsätze
der Behindertenrechtskonvention näher eingegangen
werden. Nach Art. 3 der Behindertenrechtskonvention
gehören zu den Grundsätzen des Übereinkommens
die Achtung der dem Menschen innewohnenden
Würde, seiner individuellen Autonomie, die NichtDiskriminierung, die volle und wirksame Teilhabe an
der Gesellschaft und die Einbeziehung in sie, die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit
Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen
als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit.
Deutlich wird daraus, dass der Konvention ein andeReinhard Markowetz, Inclusive Education – Erziehung, Bildung
und Förderung von Kindern mit und ohne Behinderung – Lernschwierigkeiten in Burkina Faso (Westafrika), in: Alois Bürli / Urs
Strasser / Anne-Dore Stein (Hrsg.), Integration / Inklusion aus internationaler Sicht, Bad Heilbrunn 2009, S. 326 ff.; ders., Inklusion und
soziale Integration von Menschen mit Behinderungen, in: Günther
Cloerkes, Soziologie der Behinderten. Eine Einführung, 3. Aufl. Heidelberg 2007, S. 207 – 278
14
s. Irmtraud Schnell / Alfred Sander (Hrsg.), Inklusive Pädagogik,
Bad Heilbrunn 2004
13
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 20
res Verständnis von „Behinderung“ zugrunde liegt:
Anders als in § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX wird Behinderung nicht mehr als Abweichung von einem (fiktiven) Normalzustand definiert; vielmehr geht die Konvention aus von dem sogenannten diversity-Ansatz,
wonach Menschen mit einer Behinderung selbstverständlich mit allen anderen Menschen zusammenleben und sich ihnen zugehörig fühlen können.15 Gemäß Art. 7 der Behindertenrechtskonvention treffen
alle Vertragsstaaten die erforderlichen Maßnahmen,
um zu gewährleisten, dass Kinder mit Behinderungen
gleichberechtigt mit anderen Kindern alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können. Art. 24
verpflichtet die Vertragsstaaten, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und ein lebenslanges
Lernen mit dem Ziel zu gewährleisten, die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur
Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken. Menschen mit Behinderungen sollen zur wirklichen Teilhabe an einer freien
Gesellschaft befähigt werden. Nach Art. 24 Abs. 2 a)
der Behindertenrechtskonvention dürfen Menschen
mit Behinderungen nicht aufgrund einer Behinderung
vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen
werden. Im Licht der neuen Menschenrechtskonvention spricht vieles dafür, dass die bisherige Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts in
Zukunft keinen Bestand mehr haben wird. In einem
Rechtsstreit über die Aufnahme von behinderten Kindern in einen „integrativen Regelkindergarten“, der
sich auf § 24 SGB VIII und § 12 des Kindertagesstättengesetzes des Landes Niedersachsen richtet, hat
das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss
vom 10.02.2006 (Az.: 1 BvR 91/06) die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da
sie zumindest unbegründet sei. Mit Rücksicht auf Art.
6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des
Grundgesetzes sei der Staat grundsätzlich gehalten,
für behinderte Kinder Einrichtungen bereit zu halten,
die auch ihnen eine „sachgerechte Erziehung, Bildung
und Ausbildung“ ermöglichten. Danach wäre ein genereller Ausschluss der Möglichkeit einer gemeinsamen
Erziehung von behinderten Kindern mit nicht behinderten Kindern nicht zu rechtfertigen. Allerdings hat
das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss
Sabine Dahm, Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre
Auswirkungen auf den Elementarbereich, in: KiTa Recht, Heft
3/2010, S. 86
15
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
nicht beanstandet, dass der Staat die zielgleiche wie
die zieldifferente Erziehung unter den Vorbehalt des
organisatorisch, personell und von den sächlichen
Voraussetzungen her Möglichen stelle.16 Wenn die
betroffenen Kinder aufgrund der Art ihrer Behinderung nicht fähig seien, ohne besondere Hilfe in einem
Regelkindergarten an den dort vorhandenen Betreuungsmöglichkeiten teilzuhaben, sei es auch unter den
Gesichtspunkten des Kindeswohls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn diese Kinder auf die
Aufnahme in einen heilpädagogischen Kindergarten
verwiesen würden. Ein Recht auf Aufnahme in eine
„Regelkindergartengruppe“ besteht nicht. Dieser Verweis auf den Besuch eines „Sonderkindergartens“ hält
der Gewährleistung des Menschenrechts auf Bildung
innerhalb eines inklusiven Bildungssystems nicht
mehr stand. Zudem droht die Gefahr, dass ein Vorbehalt des Möglichen, vor allem ein Finanzierungsvorbehalt, einen Verstoß gegen die Rechtsidee der Achtung
der dem einzelnen Menschen innewohnenden Würde darstellt. Es kommt hinzu, dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit
auch zu einer neuen Auslegung des Grundgesetzes
auffordert; danach ist die Behindertenrechtskonvention auch im Rahmen der Auslegung des Verbots der
Diskriminierung von Menschen mit Behinderung (Art.
3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz) zentral zu beachten mit
der Folge, dass eine Abweichung von dem „Grundsatz
der Inklusion“ als diskriminierender staatlicher Eingriff
in das Recht auf Bildung gedeutet werden kann. Ein
inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen schließt
den Elementarbereich ein, wobei dieser nicht erst seit
dem Zeitpunkt der Erfüllung des Rechtsanspruchs auf
einen Kindergartenplatz zu dem Bildungssystem gerechnet wird.17
Fünfter Teil: Bildungsplan und Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz
In dem Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für
Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung findet sich auch ein Kapitel, das sich Kindern mit Entwicklungsrisiken und (drohender) Behinderung zuwendet.
Hier wird der Fortgang von einem aussondernden zu
einem integrativen Hilfeangebot dargestellt mit der
Aufforderung, das Hilfeangebot für Kinder mit beson-
deren Bedürfnissen nicht länger mit deren Aussonderung zu verknüpfen. Der lange Zeit vorherrschenden
Ansicht, solche „Problemkinder“ seien in Sondereinrichtungen besser aufgehoben, und dem Aufbau eines
ausdifferenzierten Systems von Sondereinrichtungen,
das sich dann auch zunehmend auf „Risikokinder“
ausgedehnt hat, wird ein tiefgreifender Wandel entgegengehalten, der in den Fachdiskussionen und im
öffentlichen Bewusstsein stattgefunden habe. Ausgehend von internationalen Entwicklungen habe sich
in Deutschland die „Idee der integrativen Erziehung“
durchgesetzt.18 Einem der wesentlichen Gründe für
die Neuausrichtung, dass die Aussonderung Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung begünstige, dann
als weitere Gründe hinzugefügt, dass Hilfen für Kinder
mit besonderen Bedürfnissen in integrativen Einrichtungen wirksam sich durch die Zusammenarbeit mit
Fachdiensten auch sicherstellen ließen, dass Kinder
mit besonderen Bedürfnissen von dem positiven Vorbild anderer Kinder profitierten und auch diese und
ihre Eltern aus der gemeinsamen Erziehung Anregungen erhielten. Die elementarpädagogischen Diskussionen wurden auch in mehrere transnationale Abkommen und Deklarationen hineingenommen wie die
Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte
des Kindes, die Erklärung der Weltkonferenz über die
Erziehung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen
in Salamanca und in das Sozialgesetzbuch IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen). In dem
Bildungs- und Erziehungsplan heißt es dann weiter,
dass Kinder mit (drohender) Behinderung gemeinsam
mit Kindern ohne Behinderungen in Tageseinrichtungen gebildet, erzogen und betreut werden sollen.
Die gemeinsame Erziehung sei eingebettet in einen
allgemeinen Prozess der Förderung einer vollen Teilhabe der behinderten Kinder und ihrer Familien am
gesellschaftlichen Leben. Aufgerufen wird auch dazu,
eine gemeinsame „Integrationsphilosophie“19 bei dem
Personal zu fördern, eine Grundüberzeugung, dass
Integration notwendig und sinnvoll sei.
In Art. 11 des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes wird ebenfalls von einer integrativen Bildungs- und Erziehungsarbeit in Kindertages­
einrichtungen gesprochen. Kinder mit Behinderung
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen / Staatsinstitut für Frühpädagogik, München, Der
Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung, Weinheim / Basel / Berlin 2003,
S. 114
19
ebd. S. 121
18
Rechtsdienst der Lebenshilfe, Heft 4/2006, S. 163 f.
Dahm, Der gesetzliche Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen, in: KiTa Recht 2009, S. 6 ff.; Wiesner / Struck, SGB VIII.
Kinder- und Jugendhilfe, 3. Aufl. München 2006, § 24 Rdnr. 7.
16
17
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 21
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
und solche, die von einer Behinderung bedroht sind,
sollen nach Möglichkeit gemeinsam mit Kindern ohne
Behinderung betreut und gefördert werden, um ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Das pädagogische
Personal habe die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit Behinderung und von Kindern mit drohender Behinderung bei seiner pädagogischen Arbeit zu
berücksichtigen. In der Kommentierung wird hier nicht
auf menschenrechtliche Erklärungen Bezug genommen, sondern auf § 2 Abs. 1 SGB IX, wonach als behindert alle Personen gelten, deren körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von daher beeinträchtigt ist. Als Leitprinzipien
der Zusammenarbeit bei der Bildung, Erziehung und
Betreuung von Kindern mit (drohender) Behinderung
werden die soziale Inklusion und der Vorrang präventiver Maßnahmen statuiert, ohne dass auch nur im
Mindesten ein Bezug hergestellt würde zu der heilpädagogischen Diskussion. Auch werden Unterscheidungen zwischen dem Begriff der Inklusion und dem
der sozialen Inklusion nicht einmal angedeutet.20 Mitmenschlichkeit und gegenseitiges Lernen voneinander sollen als Bildungsziele in integrativen Kindertageseinrichtungen eine hervorragende Rolle spielen.21
Sechster Teil: Aufklärung für Kinder:
Das bucklichte Männlein
Schon vor über einhundert Jahren wurden behinderte
Kinder der besonderen Fürsorge nicht behinderter
Kinder anempfohlen. Das zeigt sich zum Beispiel in
dem Gedicht „Das bucklige Männlein“, dessen erste
von sieben Strophen so lautet:
„Will ich in mein Gärtlein gehen,
Will mein Zwieblein gießen,
Steht ein bucklig Männlein da,
fängt gleich an zu niesen.“
Für Hans-Peter Schmidtke findet die Inklusion des
Kindleins in der Fürbitte der nicht behinderten Kinder
am Ende des Gedichts statt, wo es heißt:
Hans-Jürgen Dunkl / Hans Eirich, Bayerisches Kinderbildungsund -betreuungsgesetz, München 2006, S. 60
21
Heike Jung / Simon Lehner, Bayerisches Kinderbildungs- und
-betreuungsgesetz, Stuttgart u.a. 2007, S. 108
20
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 22
„Liebes Kindlein, ach ich bitt’,
Bet’ für’s bucklig Männlein mit!“
Diesen „Inklusionsansatz“ hält Schmidtke gleichwohl
für befremdlich. Inklusion in einem menschlich überzeugenden Sinne meine nicht in erster Linie eine
besondere Fürsorge, die wir einem Kind mit Behinderungen angedeihen lassen und durch die wir es
zum „Objekt“ machen, sondern seine selbstverständliche Teilhabe als ein vollwertiges Mitglied einer Kindergruppe, die freundliche wechselseitige Anerkennung des Unterschiedenseins. In der Fortführung
seiner Abhandlung über die Erklärung von Salamanca
fragt Schmidtke weiter, wie aus Utopien Realität werden und wendet seinen Blick in interkultureller Absicht
nach Costa Rica. Dabei fällt ihm der folgende Satz des
japanischen Philanthropen Ryoichi Sasakawa ein, der,
in die spanische Sprache übersetzt, dies gesagt haben
soll: „Feliz la madre costricense que al parir ya sabe
que hijo nunca será soldado!“ („Glücklich die costarikanische Mutter, die schon bei der Geburt weiß, dass
ihr Sohn nie Soldat sein wird!“). Den geschichtlichen
Hintergrund dieser Worte bildet, dass im Jahr 1948 der
damalige Präsident José Figueres Ferrer und seine
Regierung begannen, das Militär im Land aufzulösen.
Costa Rica wurde zum einzigen Land der Welt, das
ohne eine Streitmacht als Zeichen nationaler Stärke
auskommt. Die folgenden Regierungen investierten
die jetzt freigewordenen Gelder in das Gesundheitsund Bildungswesen. Diese politische Grundentscheidung spricht dafür, eine pazifistische Tradition mit
heilpädagogischen Entwürfen zu verbinden. So führt
am Schluss seiner Abhandlung Schmidtke ein Gedicht
des buckligen Männleins aus, in dem es für die eigene
wahre Integration und die aller anderen Kinder mit besonderem Förderbedarf eintritt:
„Worum ich Dich aber am meisten bitte, lieber Gott:
Gib allen Regierungen dieser Erde die Kraft Costa
­Ricas, ihre Militärs nach Hause zu schicken
und das eingesparte Geld in ihre Gesundheits- und
Erziehungsbereiche zu investieren.“22
Hans-Peter Schmidtke, Die Erklärung von Salamanca – unterschiedliche Realisierung der Integration / Inklusion, in: Alois Bürli /
Urs Strasser / Anne-Dore Stein (Hrsg.), Integration / Inklusion aus
internationaler Sicht, Bad Heilbrunn 2009, S. 273; s. a. Schmidte,
Sonderpädagogik in Spanien ..., in: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 69. Jahrgang 2000, S. 305 – 309.
– Zu dem Recht auf Bildung als einem „Empowering Right“, zu
einem Recht, das zur gesellschaftlichen Partizipation, zur Selbstbestimmung und zur Selbstverantwortung ermächtigt siehe Sibylle
Hausmanns, Über die Mühen der Ebenen. Kinderrechte für Kinder
mit Behinderungen und ihre Umsetzung in Deutschland, in: Gemeinsam leben, Heft 1/2008, S. 21
22
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Walter Benjamin, der Freund der Schönheit und des
Schreckens der Kindheit und des Umherirrens, hat
in seinen Rundfunkvorträgen „Aufklärung für Kinder“
von Caspar Hauser erzählt, von der Hilflosigkeit, Blödheit und Unwissenheit des verwildert aufgefundenen
Knaben, die in schreiendstem Gegensatz zu seinen
großartigen Gaben und edlen Charakteranlagen standen, von einem rätselhaften Findling unbekannter
Herkunft.23
In Benjamins „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“ irrlichtert das bucklichte Männlein herum, vor
dem dem Kind graust, das es verstört, das es nie gesehen hat. Immer nur sah das Männlein das Kind, je
schärfer, je weniger es von sich selber sah. „Ich denke
mir, dass jenes ‚ganze Leben’, von dem man sich erzählt, dass es vorm Blick der Sterbenden vorbeizieht,
aus solchen Bildern sich zusammensetzt, wie sie das
Männlein von uns allen hat. Sie flitzen rasch vorbei
wie jene Blätter der straff gebundenen Büchlein, die
einmal Vorläufer unserer Kinematographen waren
... Das Männlein hat die Bilder auch von mir.“24 Das
bucklichte Männlein lässt den Schmerz um das unwiederbringlich Verlorene aufleuchten und wird zur
„Allegorie des eigenen Untergangs“.25 Die Kindheit ist
hier nicht gefangen in einer Idylle, die schauern lässt;
über ihr liegt der Schatten der Herrschaft des Nationalsozialismus. In der Verzweiflung gibt sich dem Kind
Walter Benjamin, Aufklärung für Kinder. Rundfunkvorträge.
Herausgegeben von Rolf Tiedemann, Frankfurt 1985, S. 121
24
Benjamin, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert, Frankfurt
1975, S. 165 f.
25
Nachwort zu: Benjamin, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert,
ebd. S. 169
23
der Trost, in dem Unheil den Kindern die Zärtlichkeit,
nach der alle – einsam und gemeinsam – suchen voller Anmut und unergründlich. Das bucklichte Männlein
offenbart die Rettung und Bergung der Ursprungskraft
des Kindes, der nicht verlorenen Kindheit, und lässt
die Empathie für die Verstümmelungen des menschlichen Daseins aufwachen.
Diesen Vortrag hielt Prof. Dr. Köpcke-Duttler am 9.
Dezember 2010 anlässlich der Fachberatertagung
des Landesverbandes in Augsburg.
Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler
Der Jurist und Diplom-Pädagoge arbeitet als Rechtsanwalt
in Marktbreit bei Würzburg.
Er hat als außerplanmäßiger
Professor am Fachbereich Erziehungs- und Humanwissenschaft der Universität Würzburg
gelehrt und hatte Lehraufträge
an der Universität Würzburg inne, die Fragen
des Jugendrechts, der Kinderrechte, des Schulrechts und der interkulturellen Bildung betrafen.
Zu seinen thematischen Schwerpunkten gehören insbesondere die Rechte von Kindern, von
Menschen mit Behinderung, von alten Menschen
sowie interdisziplinäre Fragestellungen zwischen
Rechtswissenschaft und Pädagogik. Prof. Dr.
Köpcke-Duttler ist Justitiar des Montessori Landesverbandes Bayern und gehört dem Vorstand
des Montessori-Dachverbands Deutschland an.
Inklusion – ein Thema der caritas
Der Deutsche Caritasverband hat sich in jüngster Zeit mehrfach mit dem Thema Inklusion beschäftigt. So
hat der Vorstand im September 2010 ein Diskussionspapier vorgelegt. Dier Fachtagung „Inklusion jetzt –
oder erst später? Vernetzung aller Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung“ im Oktober 2010 bot
Gelegenheit, die Positionen im Verband und interdisziplinär zu diskutieren.:
l Deutscher Caritasverband.Vorstand (2010): Selbstbestimmte Teilhabe für Kinder und Jugendliche mit
Behinderung durch inklusive Bildung – Handlungsbedarf gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention.
Ein Diskussionspapier, Freiburg
Das Papier steht auf der Homepage des Bundesverbandes als Download zur Verfügung:
http://www.caritas.de/2041.html
l „Inklusion jetzt – oder erst später? Vernetzung aller Hilfen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung“.
Dokumentation der Fachtagung vom 19./20. Oktober 2010 in Freiburg
Die Dokumentation steht als Download auf der Homepage des Verbandes zur Verfügung:
http://www.cbp.caritas.de/
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 23
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Helga Schneider
Über den Schatten springen
Inklusive Organisationsentwicklung und inklusive Didaktik
in Kindertageseinrichtungen
40 Jahre Initiativen zur gemeinsamen Bildung und
Erziehung in Deutschland
Bereits zu Beginn der 1970er Jahre hat der Deutsche
Bildungsrat – damals mit Blick auf die schulische
Sonderpädagogik – einen pädagogischen Richtungswechsel hin zur Integration empfohlen (Deutscher
Bildungsrat 1974). Inzwischen sind beinahe 40 Jahre
vergangen, und während Integration im Regelschulsystem vor allem in Bayern noch die große Ausnahme
darstellt, ist sie in unseren Kindertageseinrichtungen
weitgehend selbstverständlich geworden1. Kinder
aus deutschen Herkunftsfamilien und Kinder mit Migrationshintergrund, Mädchen und Jungen aus unterschiedlichen sozio-ökonomischen Milieus und Kinder
mit Entwicklungsbeeinträchtigung oder Behinderung
kommen in der Kindertageseinrichtung ihrer Gemeinde bzw. ihres Wohnumfeldes zusammen um miteinander zu spielen, zu lernen und eine Kultur des Zusammenlebens zu entwickeln.
Die Berücksichtigung individueller Vielfalt und Unterschiedlichkeit gehört heute in vielen Kindertageseinrichtungen zum pädagogischen Alltag. Bisher bestand
die konzeptionelle Antwort auf die Heterogenität der
Kinder und Familien meist in der Integration einzelner Kinder oder bestimmter Gruppen von Kindern, die
aufgrund spezifischer Merkmale einen erschwerten
Zugang zu regulären Kindertageseinrichtungen hatten bzw. bis heute noch haben. Ausgangspunkt von
Integration ist dabei vielfach die Wahrnehmung einer
Abweichung von einem gedachten Normzustand: Ein
Kind ist anders als die Mehrheitsgruppe und soll inteDerzeit besucht deutschlandweit ungefähr die Hälfte aller Kinder
mit Behinderung einen Regel- oder Integrationskindergarten. Dabei sind große Unterschiede hinsichtlich der Integrationsquoten auf
der Ebene der Bundesländer feststellbar. Während z. B. in Thüringen, Berlin und Bremen nahezu alle Kinder mit Behinderung im
Vorschul­alter in eine integrative Kindertageseinrichtung gehen, beträgt deren Anteil in Bayern rund 75 %, in Sachsen 55 % und in Niedersachsen nur rund 42 % (BMFSFJ 2009, 192f.). Insgesamt hat
etwas über ein Viertel der Kindergärten in Deutschland min­destens
ein Kind mit Behinderung aufgenommen (Riedel 2007, 145). Dies
bedeutet jedoch auch, dass etwa drei Viertel der Kinder in den re­
gulären Kindertageseinrichtungen keinerlei Kontakt zu Kindern mit
Behinderung haben.
1
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 24
griert werden.
In jüngerer Zeit ist bei uns ein aus dem Englischen
stammender Begriff für die gemeinsame Erziehung
von Kindern unterschiedlicher soziokultureller Herkunft und Fähigkeitsniveaus gebräuchlich geworden:
Inklusion. In diesem Vortrag geht es zunächst darum,
die Begriffe Integration und Inklusion zueinander ins
Verhältnis zu setzen. Anschließend werde ich die Leitidee der Inklusion auf zwei zentrale Bereiche hin konkretisieren: Zuerst mit Blick auf die Bildungsarbeit und
danach in Bezug auf Organisationsentwicklung in Kindertageseinrichtungen. Mit Hinweisen zu möglichen
Fehldeutungen von Inklusion und einem Plädoyer für
eine reflexiv-kritische Inklusionsperspektive enden
diese Ausführungen.
Integration – Inklusion: Rhetorisches Wortspiel
oder substantieller Unterschied?
Der lateinische Begriff integratio bedeutet im Deutschen Wiederherstellung eines Ganzen, (Wieder-)
Herstellung einer Einheit (Duden 2007). Integrationsprozesse können in verschiedensten Bereichen statt
finden, z. B. in der Biologie, d. h. bei den lebenden
Organismen, aber auch in sozialen, institutionellen
und gesellschaftlichen Bezügen, zu denen Menschen
gehören und in denen sie sich täglich bewegen, wie
etwa in der Familie oder im Beruf.
In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
sind bereits differenzierte (sonder-)pädagogische
Konzepte zu Integration ausgearbeitet worden, die
wesentliche Aspekte der heutigen Auffassung von Inklusion enthalten. Als Beispiel möchte ich das Modell
integrativer Prozesse skizzieren (Reiser u. a. 1986),
welches von einer Wechselbeziehung zwischen Individuum und Gesellschaft ausgeht und zeigt, dass es
sich bei Integration um ein komplexes und auf mehreren Ebenen ablaufendes Geschehen handelt. Reiser
unterscheidet vier Ebenen integrativer Prozesse:
a) Die subjektive Ebene beim einzelnen Menschen.
Hier geht es um die Integration widersprüchlicher
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Aspekte der eigenen Psyche zu einer kohärenten
Persönlichkeit.
b) Auf der interaktionellen Ebene konkretisiert sich
Integration vor allem im Miteinander-Tätig-Werden.
Hier geht es darum, sich in soziale Beziehungen
einzubringen, andere in ihrem So-Sein zu respektieren und kooperativ zu handeln. Der Bezug zur
Sache und der Gruppenbezug sind dabei miteinander verbunden.
c) Auf der institutionellen Ebene schlägt sich Inte­
gration vor allem in dem in pädagogischen Konzepten formulierten Sachauftrag der öffentlichen
Bildungs- und Erziehungseinrichtungen nieder.
d) Auf der gesellschaftlichen Ebene sind die normativen Grundlagen von Integration in Form von Gesetzen und Verordnungen verankert. Gesellschaftliche Wertvorstellungen und Normen spiegeln sich
sowohl im Auftrag öffentlicher Bildungs- und Erziehungseinrichtungen wider als auch in den Selbstdefinitionen der dort Tätigen. Integrationsprozesse auf der gesellschaftlichen Ebene können nicht
mehr allein durch pädagogisches Handeln bewirkt
werden (Reiser u. a. 1986, 121).
Integrationsentwicklung als Mehrebenen-Prozess bezieht innerpsychische, interaktionale, institutionelle
und gesellschaftliche Aspekte ein. Die damit verbundenen Einigungsvorgänge beinhalten den Verzicht
auf die Ausgrenzung oder Verfolgung des Andersartigen. Sie sind darauf ausgerichtet zu entdecken, was
gemeinsam möglich ist und vorhandene Unterschiedlichkeit zu akzeptieren.
Eine solche Vorstellung von Integration ist dem neueren Inklusionskonzept sehr ähnlich. Inklusion (lat.
inclusio) bedeutet wörtlich Einschließung, Einschluss
bzw. das Enthalten-Sein (Duden 2007). Das Konzept
Inklusion geht über den Blick auf einzelne Merkmale
von Heterogenität und Differenz hinaus (z. B. Migration, Behinderung), indem es weitere Dimensionen
menschlicher Verschiedenheit einbezieht. Dazu gehören vor allem Zugehörigkeiten zu sozialen Schichten und Milieus, ökonomische Lebenslagen, kulturell
geprägte Auffassungen von Geschlechtsrollen sowie
religiöse und weltanschauliche Verortungen. Sowohl
das Integrations- als auch das Inklusionskonzept zielen auf Einheit, Enthalten-Sein, auf Ganzheit ab, die
es zu verwirklichen gilt. Auf der begrifflich-theoretischen Ebene kann deshalb eine hohe Übereinstimmung in Bezug auf den Bedeutungsgehalt der Begriffe
Integration und Inklusion festgestellt werden.
Obwohl für Integration spätestens seit Ende der 80er
Jahre differenzierte wissenschaftliche Ausarbeitungen
vorlagen, blieb die praktische Umsetzung in Deutschland vielfach hinter diesem Stand zurück. In den
Kindertageseinrichtungen ist Integration dabei nicht
selten in einer pragmatischen Weise verstanden und
umgesetzt worden: Kinder, die aufgrund eines spezifischen Merkmals nicht ohne weiteres Zugang zu einer
Regel-Kindertageseinrichtung hatten, wurden dann
aufgenommen, wenn ihr Anderssein sich im Rahmen
des Integrierbaren bewegte – vor dem Hintergrund
der jeweils abrufbaren Personal-, Wissens- und Könnensressourcen.
Pragmatische Auffassungen von Integration gehen
nicht selten unausgesprochen davon aus, dass es ein
Nebeneinander unterschiedlicher Gruppen von Menschen gibt: Solche, die als normal gelten und andere,
die aufgrund einer Abweichung nicht dazu gehören
und deshalb in die Gruppe der sogenannten Normalen
integriert werden sollen. Menschen, die als integrierbar angesehen werden, können in die für die Mehrheit
der Bevölkerung üblichen Formen sozialer und kultureller Teilnahme einbezogen werden. Hierbei gibt
es jedoch keine Verpflichtung zur Integration. Seitz
spricht deshalb von einem „dualen System“ (2003, 92)
in Bezug auf die Möglichkeiten gesellschaftlicher Mitwirkung. Dabei haben Menschen, die von der NormalGruppe nur wenig abweichen, die meisten Chancen
auf Einbeziehung.
Eine solche, vor allem an den gegebenen Verhältnissen und am praktisch Machbaren orientierte und damit
verkürzte Umsetzung von Integration in Deutschland
ist in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts
u. a. vor dem Hintergrund der außereuropäischen
Inklusionsentwicklung, insbesondere in Kanada und
den USA, zunehmend hinterfragt worden. Wichtige
Anstöße auf dem Weg zu einer kritischeren Betrachtung der integrativen Praxis hat darüber hinaus die
UNESCO-Konferenz „Special Needs Education: Access and Quality“, die 1994 in der spanischen Stadt
Salamanca durchgeführt worden ist, gegeben. Ein
wesentliches Ergebnis dieser Veranstaltung war die
sogenannte Salamanca-Erklärung über Prinzipien,
Politik und Praxis der Pädagogik für besondere Bedürfnisse. In der englischsprachigen Originalversion
dieser Erklärung wird an zentralen Stellen den Begriff
inclusion gebraucht, z. B. wenn für den Elementarbereich gefordert wird: ”Programmes at this level should
recognize the principle of inclusion … .” (UNESCO
1994, 33).
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 25
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Die deutschsprachige Übersetzung übernimmt diesen
Begriff jedoch nicht wortgetreu als Inklusion sondern
übersetzt Inclusion mit Integration. Damit ist die in
Deutschland bis heute beobachtbare uneinheitliche
Begriffsverwendung in Bezug auf Inklusion mit ermöglicht worden. Unter Inklusion ist demnach einmal ein
neues Konzept für ein nicht-aussonderndes Bildungssystem in einer anzustrebenden nicht-aussondernden
Gesellschaft zu verstehen, das vieles von dem aufweist, was in den Integrationstheorien der 80er Jahre bereits formuliert worden ist. Andererseits wird Inklusion auch als Synonym für Integration verwendet,
ohne weiter nach dem theoretischen Verständnis und
der Art der Umsetzung zu fragen. Da Integration sehr
unterschiedlich verstanden werden kann, je nachdem ob man mehr auf den Stand der wissenschaftlichen Theoriebildung oder auf die verschiedenen
Integrationspraxen in den Einrichtungen zur Bildung,
Erziehung und Betreuung von Kindern blickt, nimmt
es nicht Wunder, dass sich an der begrifflichen Auslegung von Inklusion und Integration bis dato immer
wieder Kontroversen entzündet haben.
Die aktuelle Inklusionsdebatte bietet eine Chance,
von dem noch immer weit verbreiteten Zwei-GruppenDenken, welches nach normal und abweichend unterscheidet, Abschied zu nehmen, Unterschiede zwischen Menschen in einer neuen Weise zu betrachten
und darauf aufbauend pädagogisch anders mit der
interindividuellen Differenz und soziokulturellen Diversität von Kindern und Familien umzugehen.
Inklusion ist unteilbar und schließt alle Menschen ein.
Sie zielt auf eine Lebenswelt ohne Ausgrenzung. Aus
einer lebensweltlichen Perspektive besteht ihr Kern
vor allem in der Anerkennung von Unterschiedlichkeit zwischen Menschen auf der Basis elementarer
Gleichheit. Dies beinhaltet Respekt und Offenheit
gegenüber Heterogenität, gegenseitige Kenntnis der
interindividuellen Unterschiedlichkeiten und Räume
des Miteinanders (Thiersch, Grundwald & Köngeter
2005, 173). Der Inklusionsbegriff umschreibt eine gesellschafts-, sozial- und bildungspolitische Leitidee,
die in internationalen Übereinkünften, in nationalem
Recht und in pädagogischen Theorien und Konzepten
konkretisiert worden ist.
Inklusion in Kindertageseinrichtungen:
Organisationsentwicklung und Didaktik
Wenn sich Leitung, pädagogische Fachkräfte und Träger entscheiden, ihre Kindertageseinrichtung entspre-
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 26
chend der Leitidee von Inklusion weiter zu entwickeln,
so betrifft dies zwei Bereiche in besonderer Weise:
Das Selbstverständnis als Organisation und die elementarpädagogische Bildungsarbeit. Was es heißt,
die Anerkennung von Gleichheit auf diesen Ebenen
auszubuchstabieren, möchte ich im Folgenden näher
beleuchten.
Inklusive Organisationsentwicklung:
Eine willkommen heißende Kindertageseinrichtung werden und sein
Inklusion im Kontext von Bildung, Erziehung und Betreuung zielt auf ein anregendes und förderliches Miteinander unterschiedlichster Mehr- und Minderheiten.
Dabei geht es um wechselseitiges Lernen und gegenseitige Annäherung mit dem Ziel, die individuellen Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten zu stärken und
demokratische Gemeinschaften aufzubauen. Inklusive
Kindertageseinrichtungen sind deshalb bestrebt, alle
Formen von Ausgrenzung zu reduzieren und gemeinsames Spielen, Lernen und Partizipation für alle Kinder
der Einrichtung zu ermöglichen. Wenn hier von Barrieren die Rede ist, so soll damit verdeutlicht werden,
dass nicht nur die individuellen Besonderheiten oder
Beeinträchtigungen einzelner Kinder Kooperation, gemeinsames Lernen und Spiel behindern. Vielmehr entsteht Behinderung oder Ausgrenzung vor allem durch
bestimmte soziale Haltungen und Einstellungen, die
maßgeblich von der Mehrheitsgruppe hervorgebracht
werden sowie deren soziales Handeln.
Wenn sich die Verantwortlichen einer Kindertageseinrichtung entscheiden, Bildung, Erziehung und Betreuung im Sinne von Inklusion weiterzuentwickeln, so
ist damit ein vielschichtiger Entwicklungsprozess verbunden. Denn es reicht nicht, einfach nur alle Kinder
des Wohnumfeldes aufzunehmen und dabei sein zu
lassen. Es kommt darauf an, die heterogenen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Kinder, die unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen auf Seiten der Familien, die ebenfalls unterschiedlichen Kompetenzen
und Sichtweisen des Personals sowie die materiellen
und kulturellen Ressourcen der Einrichtung und ihres
Umfeldes in einem stimmigen Gesamtkonzept zu verknüpfen. Wie kann eine Kindertageseinrichtung diesen vielfältigen Aspekten gerecht werden?
Der von Tony Booth und Mel Ainscow in England entwickelte und in mehr als 20 Sprachen übersetzte Index für Inklusion kann konkrete Anregungen für die
Inklusionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
geben. Er stellt ein praxisnahes Instrument zur Verfügung, um gemeinsames Spiel, Lernen und Partizipation aller Kinder in der Einrichtung zu stärken und steht
auch in einer deutschen Übersetzung zur Verfügung
(Booth, Ainscow & Kingston 2006, 21). Die Autoren
des Index schlagen vor, für die Weiterentwicklung
einer Kindertageseinrichtung entsprechend der Leitidee von Inklusion die folgenden drei Dimensionen ins
Auge zu fassen:
• Die Entfaltung inklusiver Kulturen in Kindertageseinrichtungen. Hier geht es darum, miteinander eine
Gemeinschaft zu bilden und inklusive Werte zu fördern. Dazu gehört vor allem die Bildung einer sicheren, akzeptierenden, kooperativen und anregenden
Gemeinschaft, in der jede und jeder geschätzt wird
als Grundlage für die Entwicklung von Spiel, Lernen
und Partizipation. Gemeinsam geteilte Werte, wie
die Gleichachtung aller Menschen in ihrer Verschiedenheit, Respekt und Solidarität bilden hierfür das
Fundament.
• Die Etablierung inklusiver Leitlinien in Planung,
Leitung und Management. Diese zielen darauf, eine
Kindertageseinrichtung für alle Kinder des Wohnumfeldes zu entwickeln und die Unterstützung von Vielfalt zu organisieren. Dabei geht es vor allem darum,
mit dem Angebot der Einrichtung möglichst alle Kinder der Gemeinde bzw. des Wohnumfeldes zu erreichen und evtl. bestehende Ausgrenzungstendenzen
zu minimieren. Als förderlich werden alle Strategien
und Maßnahmen betrachtet, die die Kompetenz der
Einrichtung erhöhen, auf die Vielfalt der Kinder angemessen einzugehen.
• Die Entwicklung einer inklusiven Praxis. Hier
geht es darum, Spielen, Lernen und Partizipation
für Kinder zu gestalten und hilfreiche Ressourcen
dafür zu mobilisieren. Im Mittelpunkt steht dabei die
Frage, inwieweit die Aktivitäten, die Betätigungsund Mitwirkungsmöglichkeiten in der Kindertageseinrichtung die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der
Kinder sowie die Vielfalt ihrer Umgebung aufgreifen.
Kinder und Eltern werden ermutigt, ihr Wissen und
ihre Erfahrungen einzubringen. Die Leitung und die
Fachkräfte erkennen und aktivieren Ressourcen um
Spiel, Lernen und Partizipation in allen wichtigen Bereichen zu fördern: Auf der Einrichtungsebene, auf
der Ebene von Träger, Fachaufsicht und Fachberatung sowie im sozialräumlichen Umfeld der Kinder
und Familien.
Um die Inklusionsentwicklung in einer Kindertageseinrichtung zu unterstützen, empfehlen Booth und Ainscow die Einbeziehung eines kritischen Freundes bzw.
einer kritischen Freundin. Dieser bzw. diese kann helfen, sicherzustellen, dass wichtige Themen, bei denen
die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter unterschiedlicher
Meinung sind, nicht umgangen werden. Der kritische
Freund bzw. die kritische Freundin könnte auch ein
Angebot an die Kinder sein, ihre Vorstellungen vom
gemeinsamen Spielen, Lernen und von Mitwirkung
zum Ausdruck zu bringen(ebd., 34).
Inklusionsentwicklung in Kindertageseinrichtungen ist
kein zeitlich oder inhaltlich begrenztes Projekt, das
sich auf bestimmte Teilbereiche der pädagogischen
Arbeit bezieht und nach einer definierten Dauer ohne
weiteres wieder abgeschlossen werden kann. Die
Frage nach Inklusion weist eine unmittelbare Verbindung mit der Frage nach den der pädagogischen Arbeit zugrunde liegenden Menschenbild-, Bildungs- und
Gesellschaftsvorstellungen auf und betrifft damit das
Fundament jeder Arbeit mit Kindern und Familien.
Menschen, Institutionen und gesellschaftliche Bedingungen können sich verändern. Deshalb ist Inklusionsentwicklung ein prinzipiell unabschließbarer Prozess,
der sowohl die institutionellen Strukturen als auch die
für wichtig gehaltenen Bildungsvorstellungen und die
sozialen Praxen im Einrichtungsalltag immer wieder
auf ihren Beitrag zu einem förderlichen Umgang mit
menschlicher Vielfalt und Unterschiedlichkeit befragt.
Inklusive Didaktik: Einbeziehung von Vielfalt und
Subjektorientierung
Mit der Einführung von Bildungsplänen für Kindertageseinrichtungen in allen Bundesländern sind in den
vergangenen Jahren die Grundlagen für die Verankerung eines ko-konstruktiven Bildungsverständnisses
und einer individualisierten Planung der Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen geschaffen worden.
Die Einbeziehung von Kindern mit besonderem Förderbedarf, von Kindern mit Migrationshintergrund, mit
Armutserfahrung oder psychosozialen Belastungen
machen die Kindertageseinrichtung zu einem Spiegel
der Gesellschaft. Wie kaum eine andere Bildungseinrichtung bietet die Kindertageseinrichtung Kindern
aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen und Milieus einen Ort für gemeinsames Spiel, Lernen und
Partizipation. Besonders Kindertageseinrichtungen,
die seit langem und engagiert Integration praktizieren, sind sich dessen bewusst, dass es mit der blo-
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 27
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
ßen Hereinnahme bestimmter Minderheiten in die Kita
nicht getan ist, weil es eben nicht nur zwei Arten von
Kindern gibt. Vielmehr zeigt sich bei genauerer Betrachtung ein vielfältiges Bild von Gemeinsamkeiten
und Unterschiedlichkeiten, von Potentialen und Unterstützungsbedarfen, die sich in der einfachen Kategorisierung von „behindert – nicht behindert“ oder
„Migrationshintergrund – kein Migrationshintergrund“
nicht fassen lassen.
Eine noch zu entwickelnde inklusive Didaktik und
Methodik des Elementarbereichs wird deshalb vor
der Aufgabe stehen, pädagogische Ziele, Inhalte und
Methoden systematisch auf heterogene Gruppen hin
zu formulieren und vor allem für das Bildungshandeln
der Fachkräfte Orientierung und praktische Anleitung
zu geben. Im Bereich der Schul- bzw. der Sonderpädagogik liegen bereits Ausarbeitungen vor, die dafür
anregend sein können.
Als pädagogische Antwort auf die in allen Bildungsund Erziehungseinrichtungen gegebene menschliche
Heterogenität hat Annedore Prengel bereits zu Beginn der 90er Jahre eine Pädagogik der Vielfalt vorgeschlagen (Prengel 2006). Dabei handelt es sich um einen Entwurf, der nach Prengel in drei pädagogischen
Strömungen verwurzelt ist:
• in der interkulturellen Pädagogik, verstanden als
pädagogischer Beitrag zum Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in einer Gesellschaft,
• in der geschlechtergerechten Pädagogik, im Sinne
eines Beitrags der Pädagogik zu einer Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses sowie
• in der integrativen Pädagogik, verstanden als pädagogischer Beitrag zur Nichtaussonderung von Menschen mit Behinderung (Prengel ebd., 12).
Eine Pädagogik der Vielfalt ist zu allererst der Demokratie und dem emanzipatorischen Bildungsziel der
Mündigkeit verpflichtet. Dabei verbindet sie moderne
demokratische Prinzipien mit einer postmodernen Öffnung für Pluralität (ebd., 16 f.). Der Knotenpunkt dieser beiden Stränge wird von dem Konzept der Anerkennung gebildet, das sich nach Axel Honneth (1992)
in drei Dimensionen entfalten lässt:
• in der Dimension der Anerkennung als Person in intersubjektiven Beziehungen,
• in der Dimension der Anerkennung gleicher Rechte
(hier auch im Sinne gleicher Bildungszugänge) und
• in der Dimension der Anerkennung der Zugehörig-
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 28
keit zu kulturellen bzw. subkulturellen Gemeinschaften (Prengel ebd., 185).
Der Entwurf einer Pädagogik der Vielfalt wird für den
Bereich der Schule in 17 Thesen konkretisiert, die
darauf gerichtet sind, allen Schülerinnen- und Schülergruppen einen gleichberechtigten Zugang zu materiellen und personellen Ressourcen zu gewähren,
damit auf der Basis einer solchen Gleichberechtigung
die jeweils besonderen, vielfältigen Lern- und Lebensmöglichkeiten entfaltet werden können (ebd., 185).
Dieses Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe an den
Ressourcen von Bildungseinrichtungen kann für den
Elementarbereich in gleicher Weise Geltung beanspruchen.
Die von Prengel beschriebenen Elemente einer Pädagogik der Vielfalt beziehen sich z. B. auf die „Selbstachtung und Anerkennung der Anderen“, auf die
„Aufmerksamkeit für die individuelle und kollektive
Geschichte“ oder auf „Verschiedenheit und Gleichberechtigung als institutionelle Aufgabe“ (ebd., 184-196).
Aus elementarpädagogischer Sicht besonders interessant erscheint das Verständnis von Übergängen in
diesem Konzept. Übergänge beinhalten nach Prengel
vor allem das Kennenlernen der Anderen, welches bei
der Aufmerksamkeit für die jeweils eigene Besonderheit beginnt und – vermittelt über persönliche Neugierde – den Bogen spannt hin zu der Besonderheit
der oder des Anderen. Es geht also weniger um die
Bewältigung eines Übergangs, sondern eher um das
Sich-Öffnen durch Neugierig-Werden, und zwar sowohl auf sich selbst als auch auf die Anderen.
Das Interesse, kennen lernen zu wollen, lässt die Einmaligkeit des oder der Einzelnen bestehen und versucht, diese zu begreifen. Eigene Erfahrungen ausdrücken, mitteilen, zuhören und zuschauen, was bei
anderen vorgeht, was sie empfinden, lernen und für
wichtig halten, sind Facetten einer Gemeinsamkeit,
in der Individualität nicht stört, sondern Raum findet
und ausgestaltet werden kann. Gemeinsamkeit entsteht hier durch die Begegnung des Verschiedenen
und nicht durch Angleichung aneinander oder durch
Angleichung an eine abstrakte Norm (ebd., 186f.).
An diesem Beispiel kann deutlich werden, wie im Rahmen einer Pädagogik der Vielfalt die Idee der Menschenwürde und der elementaren Gleichheit mit der
Achtung des Verschiedenen verknüpft sind. Zugleich
eröffnet sie einen Raum, in dem kultureller Reichtum
entfaltet und demokratische Geschlechterverhältnisse
etabliert werden können (ebd., 13). An dieser Stelle
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
werden die eingangs genannten Wurzeln dieses pädagogischen Entwurfs – die interkulturelle Pädagogik,
die geschlechtergerechte Pädagogik und die integrative Pädagogik wieder erkennbar. Annedore Prengel
hat damit grundlegende Elemente einer inklusiven
Pädagogik hergeleitet und beschrieben.
Der nachfolgend skizzierte pädagogische Zugang
lässt sich deutlicher als didaktisch-methodischer Beitrag im Sinne einer inklusiven Bildung charakterisieren. Ich beziehe mich hier auf Georg Feuser, der als
Alternative zu den zahlreichen schulischen SonderPädagogiken schon in den 80er Jahren eine Allgemeine (integrative) Pädagogik ausgearbeitet hat. Ihr
handlungspraktisches Zentrum wird von einer subjekt­
orientierten und entwicklungslogischen Didaktik gebildet (u. a. 1999, 2002).
Feuser geht davon aus, dass Sinn und Bedeutung
für den Menschen die führenden und motivbildenden
Orientierungen darstellen, an denen Bildung anzusetzen hat. Gleichzeitig betont er die Bedeutung sozialer
Austauschprozesse für die Konstitution einer personalen Identität. So knüpft er beispielsweise an Martin
Buber an, der die Bedeutung des anderen für die eigene Personwerdung in dem Satz gebündelt hat: „Der
Mensch wird am Du zum Ich“ (1965, 32). Feuser variiert diesen Ausdruck und gibt ihm eine subtile Dramatik, wenn er in Anlehnung an Buber sagt: „Der Mensch
wird zu dem Ich, dessen Du wir ihm sind“ (1999). Das
Streben nach Sinn und die Angewiesenheit auf ein
wahrnehmendes, anerkennendes und im besten Falle
förderliches Gegenüber bildet die Grundlage seiner
allgemeinen (integrativen) Pädagogik. Diese ist durch
zwei Prinzipien gekennzeichnet:
auf den Erkenntnisgewinn der Kinder und weniger auf
Wissensakkumulation hin orientiert. Um diese praktisch umzusetzen, ist es nach Feuser notwendig, Didaktik in drei Richtungen zu entfalten. Dabei geht es,
1. um die Einschätzung der jeweils aktuellen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen
der Kinder im Sinne der Zone der aktuellen Entwicklung sowie der anzustrebenden Zone der
nächsten Entwicklung im Sinne einer Tätigkeitsstrukturanalyse (Vygotski 1987),
2. um die Gestaltung eines adäquat strukturierten
Lern- und Handlungsfeldes, und zwar unter Einbezug der sich aus Punkt eins ergebenden Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer Handlungsstrukturanalyse und
3. um die tätige Konfrontation der Kinder mit den im
Sinne einer Sachstrukturanalyse aufbereiteten exemplarischen Bildungsinhalten.
Diese drei Dimensionen konstituieren nach Feuser
eine subjektorientierte entwicklungslogische Didaktik, die unterschiedlichen Kindern eine Kooperation
an gemeinsamen Gegenständen bzw. Themen auf
ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau ermöglicht. Von
daher ist auch die Forderung Feusers zu verstehen,
dass Erziehung und Unterricht auf heterogene Lerngemeinschaften hin zu orientieren seien. Die volle
und gleichberechtigte Teilhabe aller Mitglieder einer
Gesellschaft am kulturellen Erbe und an der sozialen
Gemeinschaft, ohne sozialen Ausschluss aufgrund individueller Merkmale – welcher Art auch immer – gibt
dabei die Zielrichtung vor.
a) Alle dürfen alles lernen, d. h. jede und jeder auf ihre
und seine Weise und
Dabeisein ist nicht alles –
Wider die Verkürzung von Inklusion
b) alle erhalten die jeweils dafür erforderlichen personellen und sachlichen Hilfen.
Celebrate diversity! – dieses Motto aus der kanadischen Inklusionsbewegung wurde von der Pädagogin
Marsha Forest geprägt und unterstreicht die Chancen
und möglichen Gewinne von Inklusion in pädagogischen Kontexten. Vielfalt zu feiern und willkommen zu
heißen, darf jedoch nicht dazu führen, über eventuelle
Probleme, die in die Inklusionsthematik auch eingelagert sind, hinweg zu sehen.
In die Praxis umgesetzt werden diese Grundsätze vor
allem durch die Kooperation von Kindern unterschiedlicher Entwicklungsniveaus an einem gemeinsamen
Gegenstand bzw. Thema. Diese wird gestützt durch
eine innere Differenzierung in Bezug auf die Angebote
bzw. Betätigungsgelegenheiten innerhalb einer Lerngruppe und durch eine auf das jeweilige Entwicklungsniveau bezogene individualisierte Arbeit an dem gemeinsamen Gegenstand. Dies bedeutet konkret, dass
jedes Kind Situationen und Handlungsmöglichkeiten
vorfindet, an denen es kompetent einsteigen kann.
Eine solche entwicklungslogische Didaktik ist primär
Ein demokratisches Zusammenleben in menschlicher
Vielfalt bietet anspruchsvolle Lernmöglichkeiten für
Kinder und Erwachsene. Achtung von Differenz bei
Kindern und Familien sowie Willkommenheißen von
Heterogenität darf jedoch nicht zu einer indifferenten
Haltung gegenüber den Lebenslagen von Kindern
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 29
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
und Familien führen. Denn nicht alle Bedingungen, in
denen Kinder aufwachsen und Familien leben, sind
auch wünschbar und begrüßenswert.
Wenn sich vermeintliche Inklusion im bloßen Dabeisein erschöpft und dabei Entwicklungsmöglichkeiten
beschnitten werden, statt Entwicklung zu fördern,
kann dies aus pädagogisch-ethischer Sicht nicht mehr
bejaht werden und es ist an der Zeit für solidarisches
bzw. anwaltschaftliches Handeln. Vielfältige Facetten
von Armut, prekäre Lebensverhältnisse, soziale und
kulturelle Benachteiligung oder deprivierende häusliche Bedingungen müssen thematisiert und durch
geeignete sozial- und bildungspolitische Maßnahmen
so gut es geht ausgeglichen werden. Inklusiven Kindertageseinrichtungen kommt hier eine stützende und
kompensatorische Funktion im Rahmen eines Netzwerkes früher Hilfen zu. Wo Anderssein in hohem
Maße gesellschaftlich miterzeugt wird und die personalen Lebensmöglichkeiten eines Kindes und seiner
Eltern durch aussondernde oder stigmatisierende
gesellschaftliche Mechanismen einschränkt werden,
kann Vielfalt ebenfalls kaum gefeiert werden. Hier gibt
sie vielmehr Anlass zu politischem Handeln und zivilgesellschaftlicher Stellungnahme.
So sehr Inklusion als Leitidee den Grundwerten und
der Lebensauffassung einer offenen und demokratisch verfassten Gesellschaft entspricht, so sehr ist
auch darauf zu achten, dass sie nicht zu einem flachen Slogan verkommt. Ebensowenig sollte sie im
Sinne einer Zwangsbeglückung allen Kindern und
Familien verordnet werden. Inklusion sollte vielmehr
als Angebot, als eine Einladung zum Teilnehmen und
Beitragen an Kinder und Erwachsene formuliert werden und nicht im Sinne eines Totalanspruches oder
einer Inklusionsverpflichtung. Das Recht auf temporäre, partielle Exklusion ist jedem Kind, jedem Erwachsenen zuzugestehen. In bestimmten Lebensphasen
und Lebenslagen kann es für ein einzelnes Kind, für
eine Familie hilfreich sein, sich aus dem inklusiven Milieu teilweise zurückzuziehen und die Gemeinschaft
von Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen zu
suchen.
Eine reflexiv-kritische Inklusionsperspektive
entwickeln
Im Mittelpunkt von Inklusion steht die Achtung des
anderen als Mitglied der Menschheitsfamilie und zugleich als einzigartiges Individuum. Damit verbindet
Inklusion die Universalität grundlegender allgemei-
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 30
ner Prinzipien, wie sie z. B. in den Menschenrechten
niedergelegt sind, mit der Besonderheit persönlicher
Lebensgeschichten, Bedürfnisse und Interessen. Daraus ergibt sich, dass es keine pauschale Anleitung
für das gelingende Miteinander unterschiedlichster
Kinder und Familien geben kann, sondern dass das
jeweils angemessene Maß an Nähe, Mitwirkung, Involviertheit bzw. Distanzierung, Autonomie und FürSich-Sein stets aufs Neue miteinander gefunden werden muss. Nur so kann sichergestellt werden, dass
der Inklusionsgedanke nicht in Ideologie abgleitet,
sondern als Instrument zur Herstellung und Sicherung
sowohl von Anerkennung und Zugehörigkeit als auch
von individueller Autonomie und Selbstbestimmung
wirksam werden kann.
Das Konzept Inklusion setzt bei den entwicklungsund sozialisationsbedingten Unterschiedlichkeiten
von Individuen an, deren Teilhabe und Mitwirkung
gewährleistet werden soll. Hierfür sind wechselseitige
Anpassungsprozesse erforderlich: Einerseits und zuerst geht es darum, die bedeutsamen Umwelten der
Kinder und Familien so zu gestalten, dass sie auf der
Basis ihrer jeweiligen Ausgangslagen Anerkennung
und Teilhabe erfahren sowie Mitwirkung praktizieren
können. Zugleich geht es darum, durch Bildungsprozesse zur Erweiterung individueller Kompetenzen beizutragen und dadurch die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Mitwirkung bei der Gestaltung dieser
relevanten Umwelten zu erweitern.
Eine reflexiv-kritische Inklusionsperspektive zu entwickeln bedeutet unter anderem, gesellschaftliche
Herstellungsprozesse von Differenzen zwischen Menschen als solche wahrzunehmen. Die Anerkennung
von Vielfalt ist eine Seite der Medaille, die Dekonstruktion, d. h. die Offenlegung und kritische Reflexion
der durch die Gesellschaft gemachten Unterschiede
ist die andere. Denn Heterogenität ist nicht einfach da,
sie wird vielmehr durch Unterscheidung, Differenzierung, Kategorisierung und durch konkretes Handeln
im Alltag immer wieder neu geschaffen. Das Streben
nach der Verwirklichung von Inklusion steht nach wie
vor bestehenden Ungleichheitsstrukturen gegenüber,
die inklusive Prozesse behindern können. Inklusive
Entwicklungen in Pädagogik und Gesellschaft sind
bis heute vielfältigen Widersprüchen und Spannungen ausgesetzt. Diese anzuerkennen, ohne sich von
ihnen bestimmen zu lassen und inklusive Prozesse
mitzugestalten, ohne in Selbst-Überforderung abzugleiten: Das kann ein wesentlicher Beitrag der in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen Tätigen zu einer
reflexiv-kritischen Inklusionsentwicklung sein.
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Literatur
Booth, Tony; Ainscow, Mel & Kingston, Denise (2006):
Index für Inklusion (Tageseinrichtungen für Kinder).
Lernen, Partizipation und Spiel in der inklusiven
Kindertageseinrichtung entwickeln. Deutschsprachige Ausgabe. Herausgegeben von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Frankfurt/Main
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BMFSFJ) (Hg.) (2009): 13. Kinder- und
Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation
junger Menschen und die Leistungen der Kinderund Jugendhilfe in Deutschland. 2. Auflage. Berlin
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BMFSFJ) (Hg.) (2007): Übereinkommen
über die Rechte des Kindes. Die UN Kinderrechtskonvention im Wortlaut mit Materialien. Berlin
Deutscher Bildungsrat (1974): Zur pädagogischen
Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher. Empfehlungen
der Bildungskommission. Stuttgart 1974
Dudenverlag (Hg.) (2007): Deutsches Universalwörterbuch, 6., überarb. und erw. Auflage. Mannheim
u. a.
Reiser, Helmut u. a. (1986): Integration als Prozess.
In: Sonderpädagogik 16,3, 115-122
Riedel, Birgit (2007): Zahlenspiegel 2007. Kindertagesbetreuung im Spiegel der Statistik. München
(DJI)
Seitz, Simone (2003): Wege zu einer inklusiven Didaktik des Sachunterrichts. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion. In: Feuser, G. (Hg.):
Integration heute – Perspektiven ihrer Weiterentwicklung in Theorie und Praxis. Hamburg, 91-104
Thiersch, Hans; Grunwald, Klaus & Köngeter, Stefan
(2005): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit. In:
Thole, W. (Hg.): Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. 2., überarb. u. aktual. Auflage. Wiesbaden, 161-178
Vygotski, Lew. S. (1987): Ausgewählte Schriften.
Band 2: Arbeiten zur psychischen Entwicklung der
Persönlichkeit. Köln
Diesen Vortrag hielt Prof. Dr. Schneider am 9. Dezember 2010 anlässlich der Fachberatertagung des Landesverbandes in Augsburg.
Feuser, Georg (1999): Integration – eine Frage der
Didaktik einer Allgemeinen Pädagogik. Link: http://
bidok.uibk.ac.at/library
Feuser, Georg (2002): Von der Integration zur Inclusion. „Allgemeine (integrative) Pädagogik“ und
Fragen der Lehrerbildung. Vortrag an der Pädagogischen Akademie des Bundes, Niederösterreich,
anlässlich der 6. Allgemeinpädagogischen Tagung
am 21.03.2002 in Baden (Österreich). Link: http://
www.feuser.uni-bremen.de/texte
Honneth, Axel (1992): Der Kampf um Anerkennung.
Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte.
Frankfurt/M.
Prengel, Annedore (2006): Pädagogik der Vielfalt.
Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. 3. Auflage. Wiesbaden
Prengel, Annedore (2010): Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. WiFF – Expertise Nr. 5, hg.
vom Deutschen Jugendinstitut. München
Prof. Dr. Helga Schneider
Die Erziehererin, DiplomSozialpädagogin und DiplomPädagogin ist Professorin an
der Katholischen Stiftungsfachhochschule München.
Sie leitet den Bachelorstudiengang „Bildung und Erziehung im Kindesalter“. Zu ihren
Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören die Pädagogik der Kindheit in der späten Moderne, Globalisierung und
Lebenswelten von Kindern sowie Bildungs-, Erkenntnis- und Qualitätskonzepte in der Pädagogik
der Kindheit. Prof. Dr. Schneider ist Mitglied im
Beirat des Bayerischen Landesverbandes Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 31
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
Arnold Köpcke-Duttler
Gedanken zu einer
„Pädagogik der Inklusion“ und zur menschlichen Würde
1.
Damit Mit-Menschlichkeit konkret wird, erinnere ich
an einen katholischen Priester, der zwei verkrüppelte
Arme hatte und der über Jahre hinweg um seine Anerkennung als ordentlicher Geistlicher ringen musste.
Schließlich wurde ihm eine rechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt mit der Auflage, bei dem Opfer der
Eucharistie seine Armstummel hinter Prothesen zu
verstecken. Entgegen einem Recht auf Unvollkommenheit und angesichts der Verletzbarkeit der Antastbarkeit der menschlichen Würde gibt es in diesem Ereignis Anzeichen dafür, dass das Bild des Göttlichen
sich nicht vertrüge mit dem Menschen, an dem ein
Fehl, der gebrechlich ist an einer Hand oder einem
Fuß, blind oder lahm, begabt mit einer ungewöhnlichen Nase. Das Recht auf Unvollkommenheit verbindet sich mit dem Blick auf die Antastungen und die
Unantastbarkeit der menschlichen Würde, die nicht
gebeugt werden darf unter den Idealtypus des Starken und vollkommen Ungehinderten.
2.
Die menschliche Würde ist ein Relations- oder Kommunikationsbegriff. Die menschliche Würde konkretisiert sich in sozialer Anerkennung und als sozialer
Achtungsanspruch. So wird sie zur Brücke hin auf
eine mitmenschliche Solidarität, die auch jene Menschen umfasst, deren Recht mit der neuen Behindertenrechtskonvention gewahrt und zugleich erstritten
werden soll.
Bei der Anerkennung des Rechts der Menschen mit
Behinderung auf Bildung, Arbeit, soziale Teilhabe,
Wohnen, geht es auch um die Ausgestaltung einer
neuen Menschheitskultur, die sich den Folgen der
ökonomischen Globalisierung nicht fügt. In Jeremiah
22,16 heißt es, dass Jahwe dem Schwachen und
Armen zum Recht verhelfe. Diese Tradition erneuernd, steht Jesus an der Seite der Verletzlichen und
Benachteiligten. Die jesuanische Botschaft verlangt,
in Solidarität mit den Geringsten Mensch zu werden,
worin auch das der Behindertenrechtskonvention zugrunde liegende Ethos zu entdecken ist. Das Behindertenrechtsübereinkommen hält in sich das gemeinsame Wissen um die Verletzbarkeit aller Menschen,
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 32
den Aufruf zu einem herrschaftskritischen Mitleiden
und zur Entwicklung des Gefühls der Zusammengehörigkeit aller Menschen. Wir sind füreinander verantwortlich in gegenseitiger Erwürdigung. Dabei wird
der Horizont der Bildung überschritten durch die Aufforderung zur Humanisierung des menschlichen Zusammenlebens insgesamt. Das ist der provokative
und aufbegehrende Inhalt des Begriffs der Inklusion.
Nach dem grundlegenden Ethos der Menschenrechte
sind wir aufeinander angewiesen, im Zusammensein
mit anderen Menschen zu uns selbst zu gelangen.
Das Menschenrecht der Gleichheit ist zu verstehen
als Protest gegen die Entrechtung Benachteiligter und
Diskriminierter. Ihm entspricht eine Pädagogik der Offenheit für Heterogenität.
3.
Die neue Konvention ruft auf zu einer Kommunikation
und Kommunion, in der Menschen mit Beeinträchtigungen als Menschen geachtet werden und sich nicht
mehr behindert vorkommen. Zu ihr gehört eine in der
Solidarität mit den Schwächeren gründende Heilpädagogik; gehalten wird sie von der Anerkennung
der Menschlichkeit des anderen Menschen, von der
schöpferischen Achtung des Anderen, die sich mit
meiner Selbstachtung verbindet, von den Gefühlskräften der Empathie und dem Erleben der gegenseitigen
Achtung.
Community Care bedeutet mehr als das Zusammenwohnen in einem Stadtteil oder in einer Gemeinde.
Dieses Konzept drückt eine Philosophie der gleichen
Würde jedes Menschen aus, der Anerkennung von
Verschiedenheit, der Solidarität in der Gemeinschaft
und der Vielfalt von Lebensformen. Eingebunden in
soziale Netzwerke wird die Unterstützung der Menschen mit Beeinträchtigung von allgemein zugänglichen Diensten und von sich mutig engagierenden
Menschen aus der Nachbarschaft und in der Region
geleistet.
4.
Im Blick auf das Leben der Kinder in einem Kinderhaus (Casa dei Bambini) spricht Maria Montessori von
einer Ordnung, die sich von innen heraus erweitert
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
wie eine Schöpfung. Die Kinder und die ErzieherInnen
ernten die „Früchte des geistigen Lebens“: Barmherzigkeit, Fröhlichkeit, Geduld, Wohlwollen, Güte. „Sie
erwerben Tugend, weil sie die Geduld üben ... Milde,
indem sie den Befehl, dem Wunsch anderer willfahren – Güte, weil sie weder Neid noch Wetteifer empfinden, wenn sie sich am Hut anderer erfreuen; sie
tun das Gute in der Fröhlichkeit, im Frieden und sind
im höchsten Maße und auf wunderbare Weise arbeitsam“ (Maria Montessori, Die Entdeckung des Kindes,
neu herausgegeben, eingeleitet und textkritisch bearbeitet von Harald Ludwig, in: Maria Montessori – Gesammelte Werke, herausgegeben von Harald Ludwig,
Band 1, Freiburg 2010, S. 370).
5.
Einer „Pädagogik der Inklusion“ ist eine genauere begriffliche Erklärung dessen abzuverlangen, was die
Zusammengehörigkeit, das erhoffte Miteinander stiften soll. Georg Feuser hat, ein Wort Martin Bubers
abwandelnd, entgegen jeder Missachtung und Bevormundung das freundliche Sich-Einlassen auf einen
Dialog als grundlegendes Ethos vorgeschlagen, die
wechselseitige Achtung, eine anregende und herausfordernde Begegnung, in der der Mensch zu jenem
Ich wird, dessen Du ich ihm bin. Solch eine „Ermöglichungspädagogik“ (Monika Seifert) entspricht den
Grundgedanken der Behindertenrechtskonvention.
6.
Inklusion stellt nicht nur eine pädagogische Konstruktion, einen pädagogischen Aufruf dar, sondern ist
zu verstehen als grundgebende Aufgabe der Gesellschaft insgesamt, die weder von der Sonderpädagogik noch von der Allgemeinen Pädagogik allein bewältigt werden kann. Inklusion als Menschenrecht fordert
das Einbezogensein von Menschen mit Behinderungen als in ihrer Unterschiedenheit gleich geachtete
Mitglieder in die Gesellschaft und betrachtet zudem
auch weitergehende Ausprägungen von Heterogenität. Inklusion stellt die noch zu konkretisierende und
zu lebende Vision einer Gesellschaft dar, die es in
Anerkennung der rechtlichen Gleichheit und freundlichen Unterschiedenheit der Menschen erst gar nicht
zu Ausgrenzungsprozeduren kommen lässt. Damit ist
jenes Ethos der Inklusion angedeutet, das auch auf
der politischen und der rechtlichen Ebene erst noch
zu verwirklichen ist.
7.
In dem Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan
für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung
wird der Fortgang von einem aussondernden zu einem integrativen Hilfeangebot deutlich. Ausgehend
von internationalen Entwicklungen hat sich auch in
Deutschland die „Idee der integrativen Erziehung“
durchgesetzt, wobei als menschenrechtliche und gesetzliche Rahmen unter anderem erwähnt werden die
Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte
des Kindes (1989), die Erklärung der Weltkonferenz
über die Erziehung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in Salamanca (1994) und in der deutschen
Gesetzgebung das Sozialgesetzbuch IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen).
Auch der Bildungs- und Erziehungsplan spricht sich
dafür aus, dass Kinder mit (drohender) Behinderung
gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung in Tageseinrichtungen gebildet, erzogen und betreut werden.
Dieser gemeinsame Prozess wird hineingenommen
in einen übergreifenden Prozess der Förderung voller Teilhabe der Kinder mit Behinderungen und ihrer
Familien an dem gesellschaftlichen Leben. Über die
Zusammenarbeit der Tageseinrichtung mit Fachdiensten sollen eine die individuellen Bedürfnisse befriedigende Förderung und Unterstützung sichergestellt
werden, wozu auch gehört, dass die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in Kindertageseinrichtungen eine gemeinsame „Integrationsphilosophie“ hervorbringen.
8.
In Art. 11 des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes wird ebenfalls von einer integrativen Bildungs- und Erziehungsarbeit in Kindertageseinrichtungen gesprochen. Kinder mit Behinderung
und solche, die von einer Behinderung bedroht sind,
sollen nach Möglichkeit gemeinsam mit Kindern ohne
Behinderung betreut und gefördert werden, um ihnen
eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben zu ermöglichen. Das pädagogische Personal
habe die besonderen Bedürfnisse von Kindern mit
Behinderung und von Kindern mit drohender Behinderung bei seiner pädagogischen Arbeit zu berücksichtigen. In der Kommentierung wird hier nicht auf
menschenrechtliche Erklärungen Bezug genommen,
sondern auf § 2 Abs. 1 SGB IX, wonach als behindert alle Personen gelten, deren körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate
von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von daher beeinträchtigt ist. Als Leitprinzipien
der Zusammenarbeit bei der Bildung, Erziehung und
Betreuung von Kindern mit (drohender) Behinderung
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 33
Schwerpunkt: Von der Integration zur Inklusion
werden die soziale Inklusion und der Vorrang präventiver Maßnahmen statuiert, ohne dass auch nur
im Mindesten ein Bezug hergestellt würde zu der
heilpädagogischen Diskussion. Auch werden Unterscheidungen zwischen dem Begriff der Inklusion und
dem der sozialen Inklusion nicht einmal angedeutet.
Mitmenschlichkeit und gegenseitiges Lernen voneinander sollen als Bildungsziele in integrativen Kindertageseinrichtungen eine hervorragende Rolle spielen.
Forderungen der Kinderkommission im Deutschen Bundestag
Im Januar 2011 hat die Kinderkommission im Deutschen Bundestag eine Stellungnahme zum Thema „Kinder mit Behinderung/Inklusion“ vorgelegt. Darin sind für die inklusive Bildung u. a. folgende Forderungen
formuliert:
l „die Umsetzung des „Indexes für Inklusion“, d. h. Förderung des Dreiklangs – inklusive Kultur entfalten,
Leitlinien etablieren, Praxis entwickeln;
l zu beachten, dass Inklusion nicht erst in der Schule, sondern bereits in der Krippe und der Kindertageseinrichtung beginnt;
l dass jedes Kind Anspruch auf Aufnahme in die zuständige allgemeine Schule hat und damit für diese
Kinder „Sonderwege“ überflüssig werden;
l dass jedem Kind an seiner Schule die nötige individuelle Unterstützung zur Verfügung gestellt wird;
l Fortbildung, Begleitung und Unterstützung zur Umsetzung des inklusiven Bildungsanspruchs für Schulen und Lehrkräfte;
l Anpassung der Lehramtsstudiengänge an die Anforderungen inklusiver Bildung;
l Vernetzung aller Beteiligten;
l Barrierefreiheit bei allen Neu- und Umbauten.“
Die Stellungnahme steht als Download auf der Homepage des Bundestages zur Verfügung:
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a13/kiko/Empfehlungen_und_Stellungnahmen/17-08_
Stellungnahme_Kinder_mit_Behinderungen.pdf
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 34
Aus Ministerien und Politik
Novellierung des BayKiBiG – Wie es jetzt weitergeht
Seit 2005 gilt das Bayerische Kinderbildungs- und
-betreuungsgesetz (BayKiBiG). In diesem Jahr wird
der Bayerische Landtag über die dringend erforderliche Novellierung des Gesetzes entscheiden: Am 1.
Januar 2012 soll dann das neue BayKiBiG in Kraft
treten.
Eckpunkte des Ministerrats
Im September 2010 hatte es eine erste Anhörung im
Landtag gegeben, in der Gabriele Stengel die Forderungen des Bayerischen Landesverbandes vorgetragen hat.
• die Teilhabe von Kindern mit Behinderung gestärkt,
Inzwischen gab es weitere Termine, um das Gesetz
und die Änderungen zu diskutieren. Auf eine Anfrage des Verbandes hin hat Ministerialrat Hans-Jürgen
Dunkl vom Bayerischen Sozialministerium freundlicherweise den vorgesehenen Zeitplan für die Gesetzesnovellierung bis zum Inkrafttreten kurz in einem
Schreiben skizziert, das wir auf den folgenden Seiten
abdrucken dürfen.
Stellungnahme des katholischen Bereichs
zur ­Novellierung
Der katholische Bereich in Bayern hat zu Beginn des
Jahres eine gemeinsame „Stellungnahme zur Novellierung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG)“ verabschiedet. Wir
freuen uns, dass auch die bayerischen Bischöfe auf
der Freisinger Bischofskonferenz im März 2011 diese
Stellungnahme zustimmend zur Kenntnis genommen
und damit unterstrichen haben, welche Bedeutung sie
dem Thema einer qualifizierten Bildung, Erziehung
und Betreuung von Kindern zuschreiben. Die vollständige Stellungnahme lesen Sie in der Rubrik „Aus dem
Fachverband“ auf S. 41ff.
Am 1. März tagte der Ministerrat und legte die Eckpunkte der Novellierung fest. Laut einer Mitteilung
des Ministeriums sollen danach:
• „die Verwaltungsabläufe optimiert,
• die Attraktivität der Tagespflege gesteigert
• der ländliche Raum unterstützt und
• die Bedingungen zur Zusammenarbeit von Schule
undJugendhilfe für die Bereitstellung von Ganztagsange boten für Schulkinder verbessert werden.“
Kann die Fachwelt mitreden?
Vor dem Hintergrund dieser Eckpunkte hat das Sozialministerium unseren Verband sowie Vertreter der
anderen Verbände am 29. März 2011 ins Ministerium
zu einem „offiziellen Anhörungsgespräch“ eingeladen,
um „einen ersten Arbeitsentwurf des Änderungsgesetzes“ zu besprechen. Für die Fachberaterinnen und
Fachberater aus ganz Bayern hat das Ministerium im
April drei regionale „Praktiker-Workshops“ angesetzt,
um „bei der Umsetzung dieser Eckpunkte in Gesetzesform die Erfahrungen der Praxis vor Ort angemessen berücksichtigen zu können.“
Über die Ergebnisse dieser Termine werden wir Sie
selbstverständlich auf dem Laufenden halten.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 35
Aus Ministerien & Politik
Online-gestützes Abrechnungsverfahren
In unserer Anfrage an das Ministerium haben wir
auch um Auskunft über den Zeitplan für das onlinegestützte Abrechnungsverfahren gebeten und nach
den Konsequenzen für Träger gefragt, die sich nicht
am Verfahren beteiligen. In neuer Eindeutigkeit lautet
die Antwort hierzu: „Die kindbezogene Förderung wird
künftig nur noch auf Basis von KiBiG.web ausbezahlt.“
Das Schreiben im Wortlaut lesen Sie im Folgenden.
Bayerisches Staatsministerium für
Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
Name
Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung,
Familie und Frauen - 80792 München
Stefanie Fürbas
Telefon
Bayerischer Landesverband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V.
z.H. Susanne Körber
24.02.2011
Telefax
089 1261-181195
E-Mail
per E-Mail:
[email protected]
Ihre Zeichen, Ihre Nachricht vom
089 1261-1195
[email protected]
Unser Zeichen, Unsere Nachricht vom
Bitte bei Antwort angeben
Datum
11.03.2011
Anfrage zur Novellierung des BayKiBiG und zum online-gestützten Abrechnungsverfahren
Sehr geehrte Frau Körber,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 24. Februar 2011. Ihre Fragen möchte ich wie folgt
beantworten:
1. Wie sieht der Zeitplan für die Novellierung des BayKiBiG aus? Wann beginnt
das Gesetzgebungsverfahren, wann finden Anhörungen statt und wann wird
das neue Gesetz in Kraft treten?
Am 1. März 2011 wurden Eckpunkte zur Ministerratsvorlage im Ministerrat verabschiedet und Frau Staatsministerin Haderthauer beauftragt, einen Gesetzesentwurf zu erarbeiten. Es ist geplant, die Verbände und die Praxis bereits in
dieser ersten Phase einzubinden bzw. zu beteiligen. Die Staatsregierung wird
den Gesetzentwurf voraussichtlich im 3. Quartal im Landtag einbringen. Das
eigentliche Gesetzgebungsverfahren findet dann in der zweiten Jahreshälfte
statt. Für den Tag des Inkrafttretens ist der 1. Januar 2012 vorgesehen.
Dienstgebäude
Winzererstraße 9
80797 München
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 36
Öffentliche Verkehrsmittel
U2
Josephsplatz
154
Infanteriestraße Süd
(StadtBus)
20, 21 Lothstraße
Telefon Vermittlung
089 1261-01
Telefax
089 1261-1122
E-Mail
[email protected]
Internet
www.stmas.bayern.de
Aus Ministerien und Politik
-2-
2. Welcher Zeitplan ist für das online-gestützte Abrechnungsverfahren, das ja erstmals für die
Endabrechnung des Kindergartenjahres 2010/2011 zur Anwendung kommen soll, vorgesehen?
Das online-gestützte Verfahren (KiBiG.web) hat das dezentrale Verfahren mit den ExcelTabellen abgelöst. Die monatliche Ist-Daten-Erfassung und Kontrolle erfolgt bereits über das
KiBiG.web. Die Träger, die die Ist-Datenerfassung mittels einer Verwaltungssoftware (z.B.
Adebis-Kita) durchführen, können die Daten aus der Software über eine Schnittstelle auf einfache Weise in das KiBiG.web übertragen.
Die kommende Beantragung und Bewilligung der Abschlagszahlungen für das Jahr
2011/2012 wird ausschließlich über das KiBiG.web abgewickelt. Gleiches gilt für die Endabrechnung des laufenden Bewilligungsjahres 2010/2011.
3. Ist es möglich, sich an diesem Verfahren nicht zu beteiligen, bzw. welche Konsequenzen hat
es, wenn sich ein Träger nicht daran beteiligt?
Die kindbezogene Förderung wird künftig nur noch auf Basis von KiBiG.web ausbezahlt. Die
Teilnahme an diesem Verfahren wird Fördervoraussetzung. Es liegt daher im Interesse aller
Träger und Gemeinden, sich schnellstmöglich mit dem neuen Programm vertraut zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Jürgen Dunkl
Ministerialrat
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 37
Aus Ministerien & Politik
Pauschalvertrag ermöglicht kostenfreie
Liedkopien in Kitas
Nun hat die langwierige Debatte um das Kopieren
von Noten und Liedtexten in Kindertageseinrichtungen ein gutes Ende gefunden: Ein Pauschalvertrag ermöglicht den Kitas in Bayern künftig das
Vervielfältigen von Noten und Liedtexten für den
Gebrauch in der Einrichtung und zur Weitergabe an
die Eltern. Am 13. April haben Familienstaatssekretär Markus Sackmann, Dr. Uwe Brandl, Präsident
des Bayerischen Gemeindetages, Rainer Knäusl
vom Vorstand des Bayerischen Städtetags, Johannes Reile vom Bayerischen Landkreistag sowie
Georg Oeller vom Vorstand der GEMA und Christian Krauß, der Geschäftsführer der VG Musikedition, den Vertrag im Sozialministerium unterzeichnet.
Mit dieser Lösung müssen Kindertageseinrichtungen nun keine Einzellizenzverträge mehr abschließen. Über Details der Einigung informiert der 107.
Newsletter des Bayerischen Staatsministeriums für
Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen auf
der Homepage des Ministeriums: http://www.stmas.bayern.de/kinderbetreuung/newsletter/stmas-baykitag-107.htm
„Elternchance ist Kinderchance“ – neues Fortbildungsprogramm des Bundes
Faire Chancen für Kinder sind eng mit der frühen Förderung durch die Eltern
verknüpft.
Deshalb will das Bundes Bundesfamilienministerium 4.000 Fachkräfte aus der Familienbildung mit
dem Programm „Elternchance ist Kinderchance“ zu so genannten „Elternbegleiterinnen und Elternbegleitern“ fortbilden, um Eltern in Bildungsbelangen beratend zu unterstützen. Die Elternbegleiter
sollen aktiv auf Eltern, insbesondere aus bildungsfernen Familien, zugehen, sie für die Bedürfnisse
ihrer Kinder sensibilisieren und über passende Angebote informieren. Das Programm richtet sich insbesondere auch an Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen und Familienzentren.
Hier der Link zur Internetseite des Programms „Elternchance ist Kinderchance“: http://www.bmfsfj.de/
BMFSFJ/elternchance.de
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 38
Aus Kirche und Caritas
Monsignore
Bernhard Piendl
wird neuer
­Landescaritasdirektor
Zum 31. Dezember 2011 endet die Amtszeit von Landescaritasdirektor Prälat Karl-Heinz Zerrle. Die Mitgliederversammlung des Landescaritasverbandes hat
am 31. Januar 2011 Monsignore Bernhard Piendl, den
langjährigen Direktor des Caritasverbandes für die Diözese Regensburg, zum neuen Landescaritasdirektor
gewählt. In ihrer Sitzung am 23. März 2011 hat die
Freisinger Bischofskonferenz ihre Zustimmung zu
dieser Wahl erteilt. Monsignore Piendl wird damit ab
1. Januar 2012 die Nachfolge von Prälat Karl-Heinz
Zerrle antreten, der seit zwölf Jahren an der Spitze
des bayerischen Landescaritasverbandes steht. Mit
dem Ausscheiden von Prälat Zerrle ist auch ein Wechsel an der Spitze des Bayerischen Landesverbandes
katholischer Tageseinrichtungen für Kinder verbunden. Bei der Mitgliederversammlung am 18. Mai 2011
wurde Monsignore Piendl zum Vorsitzenden des Vorstandes des Verbandes gewählt.
Spirituelle Begleitung für
­Kita-Mitarbeiter
Die Erzdiözese München und Freising hat die bundesweit erste Fachstelle für die spirituelle Begleitung
von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen eingerichtet. Ab September wird die Religionspädagogin und Gemeindereferentin Margot Eder
Erzieherinnen und Erzieher, Kinderpfleger und Heilpädagogen mit eigens für die Fachkräfte konzipierten
Angeboten dabei unterstützen, Kinder in ihrer religiösen Entwicklung zu fördern und zu begleiten. Interessierte erreichen Margot Eder unter Tel. 089/21371433 oder per E-Mail: [email protected]
Akutmappe: Sterben, Tod und
Trauer in der Kita
Die Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern
Augsburg, das Kindergartenpastoral der Diözese
Augsburg und die Kontaktstelle Trauerbegleitung der
Diözese Augsburg haben eine Akutmappe: „Sterben,
Tod und Trauer in der Kita. Erzieher/-innen begleiten
kompetent“ herausgegeben. Die Ringmappe ist zum
Preis von 18,00 Euro zzgl. 5,50 Euro Versandkosten
zu beziehen bei:
Bischöfliches Seelsorgeamt
Kindergartenpastoral
Kappelberg 1, 86150 Augsburg
Tel. 0821/3152-281
Fax 0821/3152-464
E-Mail: [email protected]
Handreichung
„Sinn, Werte und Religion“
Wie im bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan
gibt es auch im baden-württembergischen Orientierungsplan einen Bildungsbereich, der sich mit dem
Thema „Sinn, Werte und Religion“ befasst. Unter diesem Titel haben nun die vier Kirchen und ihre Trägerverbände eine Handreichung für Kindertageseinrichtungen veröffentlicht. Herausgeber sind die Diözese
Rottenburg-Stuttgart, die Erzdiözese Freiburg, die
Evangelische Landeskirche in Baden, die Evangelische Landeskirche in Württemberg, der Caritasverband der Erzdiözese Freiburg, das Diakonische Werk
Baden, der Evangelische Landesverband – Tageseinrichtungen für Kinder in Württemberg und der Landesverband Katholischer Kindertagesstätten der Diözese
Rottenburg-Stuttgart. Die Handreichung ist zu bestellen über: www.service.elk-wue.de/handreichung
„Kinder singen ihren Glauben“
Unter diesem Motto wollen die Deutschen Bischöfe
alle unterstützen, die an einem Austausch zwischen
musikalischer und katechetischer Arbeit in Gemeinde, Kita und Schule, zwischen Glaubenlernen und
Singenlernen arbeiten. Dazu wurde eine Homepage
eingerichtet, auf der nach und nach Materialien für die
Praxis eingestellt werden. Hier findet sich auch eine
Broschüre der Liturgiekommission der Deutschen
Bischöfe zum Projekt: http://www.pueri-cantores.de/
kinder-singen-ihren-glauben.html
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 39
Aus Kirche und Caritas
Neue Homepage zu
­Arbeitssicherheit und
­Gesundheitsschutz in der
­katholischen Kirche
Der Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) hat
eine neue Homepage zum Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz eingerichtet, die sich an
Haupt- und Ehrenamtliche wendet und zahlreiche
Informationen, Materialien, Links und Kontaktadressen bietet. Ein Bereich ist den Kindertagesstätten gewidmet. Hier geht es u. a. um die Gesundheit von Erzieher/innen oder das sichere Bauen
von Kitas. Hier der Link: http://www.arbeitsschutzkath-kirche.de/einrichtungen/kindertagesstaette/
Studie zur religiösen und
interreligiösen Bildung in
Kindergärten
Religiöse Themen und Fragen sind im Alltag von
Kindertageseinrichtungen „hoch präsent“. Zu diesem Ergebnis kommt eine Anfang Mai vorgestellte
Studie der religionspädagogischen Lehrstühle der
theologischen Fakultäten der Universität Tübingen
und des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften GESIS. Eine Mehrheit der Erzieherinnen sei für
eine religiöse Begleitung und interreligiöse Bildung
der Kinder offen, doch fühlen sie sich dafür häufig
unzureichend aus- und fortgebildet und unterstützt.
Im Rahmen der bundesweit angelegten Studie wurden im Vorjahr Erzieherinnen in konfessionellen und
nichtkonfessionellen Einrichtungen befragt. Derzeit
werden die Interviews mit den Eltern ausgewertet.
Hier der Link zur Pressemeldung auf der Homepage
der katholischen Kirche in Deutschland: http://www.
katholisch.de/Nachricht.aspx?NId=6378
Religionspädagogische
Jahrestagung „Kinder neu
sehen – Gott entdecken“ im
Oktober 2011
„Kinder neu sehen – Gott entdecken? Religionspädagogisches Handeln mit Kindern von null bis drei
Jahren“ – zu diesem Thema findet vom 17. bis 19.
Oktober in der Katholischen Akademie in Freiburg die
Religionspädagogische Jahrestagung des KTK-Bundesverbandes statt. Ausgangspunkt ist, so die AnMitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 40
kündigung, die zentrale Aussage der christlich-jüdischen Religion, dass der Mensch und insbesondere
das Kind Ebenbild Gottes ist. Zu den Referentinnen
und Referenten gehören u.a. Pia Theresia Franke,
Fachreferentin und stellvertretende Geschäftsführerin
des Landesverbandes, und Prof. Dr. Frieder Harz,
emeritierter Professor für Religionspädagogik an der
Evangelischen Hochschule Nürnberg.
Nähere Hinweise, das Programm und die Anmeldung finden Sie hier: http://www.ktk-bundesverband.
de/11686.html
Aus dem Fachverband
Stellungnahme zur Novellierung des BayKiBiG
Wir freuen uns, dass die bayerischen (Erz-)Bischöfe
diese Stellungnahme in der Freisinger Bischofskonferenz am 23./24. März zur Kenntnis genommen und
damit verdeutlicht haben, dass sie einer qualitativ
hochwertigen Kindertagesbetreuung große Bedeutung beimessen. Lesen Sie im Folgenden die Stellungnahme im Wortlaut:
B 53180
In einer Stellungnahme zur Novellierung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes
(BayKiBiG) hat der katholische Bereich in Bayern zentrale Forderungen formuliert, darunter die Erweiterung
der kindbezogenen Förderung um qualitäts-, einrichtungs- und standortbezogene Komponenten und die
Erhöhung des Basiswerts.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 41
Aus dem Fachverband
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 42
Aus dem Fachverband
Am 29. März hat das Bayerische Staatsministerium
für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
zu einem „offiziellen Anhörungsgespräch“ eingeladen, bei dem Geschäftsführerin Gabriele Stengel
den Verband vertreten hat. Hier wurden die vom Ministerrat am 1. März beschlossenen Eckpunkte zur
Novellierung des BayKiBiG vorgestellt. Im April veranstaltete das Ministerium zudem in Regensburg,
München und Würzburg drei regionale „PraktikerWorkshops“ für Fachberaterinnen und Fachberater.
Über die Ergebnisse aus diesen Gesprächen wird das
Ministerium den Ministerrat schriftlich informieren.
Zum weiteren Zeitplan für die Gesetzesänderung s.
das Schreiben von Ministerialrat Hans-Jürgen Dunkl
auf S. 36.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 43
Aus dem Fachverband
Herzlich willkommen im Verband!
Als neue Mitglieder dürfen wir im Verband die drei
neuen Regionalverbünde der Erzdiözese München
und Freising begrüßen:
l Kita-Regionalverbund Freising
l Kita-Regionalverbund Ottobrunn
l Kita-Regionalverbund Ebersberg mit Vaterstetten
Zu den Regionalverbünden gehören durchschnittlich
zwölf Kindertageseinrichtungen; insgesamt sind es 36
Einrichtungen von der Kinderkrippe bis zum Hort, die
sich zuvor in der Trägerschaft von zwanzig Pfarreien
befanden. Die Regionalverbünde entstanden im Rahmen des Pilotprojektes „Zukunft Pfarrkindergärten“
der Erzdiözese München und Freising und haben die
Trägerschaft der Einrichtungen zum 1. Januar 2011
übernommen.
Bundespräsident trifft W
­ ertebündnis Bayern
Im Rahmen seines Antrittsbesuchs in Bayern traf
Bundespräsident Christian Wulff am 22. Februar 2011
die Partner des Wertebündnisses Bayern im Rahmen
eines Staatsempfangs im Antiquarium der Münchner
Residenz. Der Landesverband gehört diesem Bündnis an und wurde von Pia Theresia Franke, der stellvertretenden Geschäftsführerin des Verbandes, vertreten.
Personalia
Abschied in den Ruhestand
Neu im Team
Zum 1. Februar 2011 verabschiedete sich Charlotte
Slechta in den Ruhestand. Frau Slechta war lange
Jahre in der Geschäftsstelle tätig und hatte hier u.
a. den Aufgabenbereich der Finanzverwaltung übernommen. Wir danken Frau Slechta sehr herzlich für
die engagierte Arbeit und wünschen ihr für den Ruhestand Glück und Gottes Segen!
Seit 1. Februar verstärkt Dr. Susanne Körber das
Team der Geschäftsstelle als Mitarbeiterin für die
Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes. Die Germanistin mit Zusatzqualifikation zur Akademischen
PR-Beraterin ist seit über zehn Jahren in der Öffentlichkeitsarbeit mit den Schwerpunkten Soziales, Bildung und Kultur tätig.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 44
Aus dem Fachverband
Überarbeitet und neu:
Bildungs- und
Betreuungs­vertrag,
KiTa-Ordnung & Co.
Nun ist die Überarbeitung und Aktualisierung der
Dokumente abgeschlossen: Der Bayerische Landesverband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder hat den Bildungs- und Betreuungsvertrag, die
KiTa-Ordnung sowie die Anlagen dazu (vor allem in
rechtlicher Hinsicht) überarbeitet, aktualisiert und um
eine Reihe von Dokumenten ergänzt. Damit kann der
Verband seinen Mitgliedern und anderen interessierten Einrichtungen nun ein umfassendes Paket vom
Anmeldebogen, über den grundlegenden Bildungsund Betreuungsvertrag bis hin zur Vereinbarung zur
Medikamentenverabreichung anbieten. Die Unterlagen sind auch über den Button „Shop“ auf der Homepage des Verbandes zu bestellen (www.blv-kita.de).
Die unseren Mitgliedern angeschlossenen Einrichtungen erhalten einen kostenlosen Mustersatz mit dem
neuen Bildungs- und Betreuungsvertrag, der KiTaOrdnung und allen anderen Anlagen.
Grundlage für die Überarbeitung waren die Unterlagen, wie sie in der Erzdiözese München und Freising verwendet werden. Hierfür bedanken wir uns
nochmals herzlich für die freundliche Unterstützung
bei Herrn Oberrechtsrat i. K. Helmut Kniele. Unser
herzlicher Dank geht auch an Eva Reichert-Garschhammer vom Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP),
die die von ihr erstellten Textdokumente durchgesehen und aktualisiert hat.
Das neue Paket umfasst folgende Dokumente:
KiTa-Ordnung
Kitaordung_Broschüre_Endversion_03.2011.indd 1
07.04.11 08:07
l Anlage 8: Einwilligung zum Informationsgespräch
mit der vorherigen Kindertageseinrichtung
l Anlage 9: Einwilligung zum Fachdialog zwischen
Kindertageseinrichtung und Schule
l Anlage 9a: Einwilligung zur Zusammenarbeit mit
der Grundschule
l Anlage 10: Einwilligung zur Zusammenarbeit mit
den Fachdiensten
l Bildungs- und Betreuungsvertrag
l Anlage 11: Einwilligung zu Aufnahmen für Zwecke
der Öffentlichkeitsarbeit
l Anlage 1: Buchungsvereinbarung
l Anlage 12: Medikamentenverabreichung
l Anlage 2: Elternbeitragsvereinbarung
l Anlage 13: Erklärung mitarbeitender Eltern zur
Wahrung des Betriebs- und Sozialgeheimnisses
l Anmeldebogen
l Anlage 3: Persönliche Angaben des Kindes und
der Eltern
l Anlage 4: Merkblatt zur Belehrung der Eltern
­gemäß § 34 Absatz 5 Satz 2
Infektionsschutzgesetz (IfSG)
l Anlage 5: Merkblatt zur Mitwirkung bei der
­Einhaltung der Lebensmittelhygiene-Verordnung
(LMHV)
l Anlage 6: KiTa-Ordnung (Broschüre)
l [Anlage7: Die pädagogische Konzeption Ihrer
Einrichtung]
l Anlage A zur Ordnung der Kindertageseinrichtung.
Elternbeiträge
Bei Abschluss eines Bildungs- und Betreuungsvertrages sind die Anlagen 1 mit 6 verbindliche Bestandteile dieses Vertrages. Die Verwendung der anderen
Anlagen empfehlen wir bei entsprechendem Bedarf.
Die Anlage A zur Ordnung der Kindertageseinrichtung
dient zur Festsetzung der Elternbeiträge durch den
Vorstand der Kirchenverwaltung.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 45
Fort- und Weiterbildung 2011
Leitung - Personalentwicklung - Qualitätsmanagement
Termin:
15.07.2011 und
ein zweiter Tag
(Termin wird vereinbart)
Referentin:
Pia Theresia Franke,
München
Tagungsstätte:
Geschäftsstelle
des Bayerischen
Landesverbandes
Maistraße 5
80337 München
Zielgruppe:
Leiter/innen und pädagogische Fachkräfte in Elternzeit oder Sonderurlaub oder im ersten
Halbjahr des Wiedereinstiegs
Kursgebühr:
mit Mittagessen und
Kaffee €110,00
Kursnummer:
19-2011
„Ich komme wieder!“
Fortbildung zum beruflichen Wiedereinstieg
NacheinerberuflichenAuszeit(ElternzeitoderSonderurlaub) kehren Sie demnächst wieder in Ihr Arbeitsfeld
der Kindertageseinrichtung zurück und möchten sich
sowohlpersönlich,alsauchfachlichundpraktischauf
diesen wichtigen Schritt vorbereiten.
DabeiistfürSiedieeigeneStandortbestimmung(persönlicheSituation,individuellesKompetenzprofil,eigene Entwicklungsziele und Schritte der Umsetzung) mit
den zentralen Fragen: „Was kann ich? Was will ich?
und Was brauche ich?“ ebenso wichtig, wie eine Aktualisierung ihres fachlichen und inhaltlichen Wissens im
Bereich der frühen Bildung.
DieVeranstaltunggreiftverschiedeneThemenrundum
denberuflichenWiedereinstiegaufundbietetdamiteine hilfreiche Unterstützung im Prozess der Neuorientierung.DieInhalteundMethodensindsoaufeinander
abgestimmt, dass sowohl das fachliche Grundwissen
aktualisiert und aufgefrischt, als auch eigene Kompetenzenerweitertundvertieftwerdenkönnen.
Ziel:
Vorbereitung des Wiedereinstieges, Aktualisierung von
Wissen und Austausch von Erfahrungen
Inhalte:
„„ Veränderungen in der Kindertagesbetreuung:
BEP und BayKiBiG
„„ Neue Anforderungen durch den Bildungsplan:
- Bild vom Kind
- Verständnis von Bildung
- Bildungsbereiche
- Schlüsselprozesse
„„ Geänderte Rolle der Erzieherin
„„ Vorbereitung auf den Wiedereinstieg
„„ Individuelle Einarbeitungsplanung als Chance
für den Wiedereinstieg
Veranstalter: Bayerischer Landesverband katholischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V.
Maistraße 5, 80337 München
Tel.089/530725-0,Fax089/530725-25,E-mail:[email protected]
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 46
45
Für Sie notiert
Neue Handreichung zur Arbeit
mit Kindern unter drei Jahren
Das Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) hat eine
neue Handreichung „Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in den ersten drei Lebensjahren“ herausgebracht. Die „Handreichung zum Bayerischen
Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung“, so der Untertitel,
ist im Verlag das netz erschienen und kann über den
Buchhandel zum Preis von 9,90 Euro bezogen und
von der Homepage des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, heruntergeladen werden (http://www.stmas.bayern.de/kinderbetreuung/bep/bisdrei.htm).
Vertreter der beiden christlichen Kirchen sahen sich
allerdings veranlasst, gegenüber dem Ministerium
und dem IFP das Fehlen des Themas „Religiöse Erziehung“ zu beklagen. Da dieser Bildungsbereich des
Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplans in der
Publikation offenbar übersehen wurde, haben sie ihre
Unterstützung bei der entsprechenden Überarbeitung
des Bandes angeboten
Neue WiFF-Expertisen
erschienen
Auf der Homepage der Weiterbildungsinitiative stehen
eine Reihe neuer Expertisen, insbesondere zum Thema Sprache und Elementardidaktik, zur Verfügung:
Jörg Maywald (2011): Kindeswohlgefährdung. Die
Rolle der Kindertageseinrichtung – Anforderungen
an Fachkräfte, hrsg. vom Deutschen Jugendinstitut,
München
(http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/WiFF_Expertise_8_Maywald_Internet.pdf)
Helga Andresen (2011): Erzählen und Rollenspiel von Kindern zwischen drei und sechs Jahren, hrsg. vom Deutschen Jugendinstitut, München
http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/
WiFF_Expertise_10_Andresen_Internet.pdf
Iris Füssenich (2011): Vom Sprechen zur
Schrift. Was Erwachsene über den Erwerb der
Schrift im Elementarbereich wissen sollten,
hrsg. vom Deutschen Jugendinstitut, München
http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/
WiFF_Expertise_9_Fuessenich_Internet_01.pdf
Gudula List: Spracherwerb und die Ausbildung kognitiver und sozialer Kompetenzen. Folgerungen für die
Entwicklungsförderungen
http://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/
alle-publikationen/details/artikel/spracherwerb-unddie-ausbildung-kognitiver-und-sozialer-kompetenze
html
Monika Rothweiler/Tobias Ruberg: Der Erwerb des
Deutschen bei Kindern mit nichtdeutscher Erstsprache. Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren
http://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/
alle-publikationen/details/artikel/der-erwerb-des-deutschen-bei-kindern-mit-nichtdeutscher-erstsprache.
html
Elmar Drieschner: Bindung und kognitive Entwicklung
– ein zusammenspiel. Ergebnisse der Bindungsforschung für eine frühpädagogische Beziehungsdidaktik
http://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/
alle-publikationen/details/artikel/bindung-und-kognitive-entwicklung-ein-zusammenspiel.html
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 47
Für Sie notiert
DVD „Natur-Wissen schaffen –
Bildungsqualität im
­Elementarbereich stärken“
Das Projekt „Natur-Wissen schaffen“ soll Erzieherinnen und Erzieher dabei unterstützen, die Bildungsbereiche Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und
Medien in der pädagogischen Arbeit umzusetzen. Unter Leitung von Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis
hat ein Team an der Universität Bremen in Kooperation mit 25 Einrichtungen in ganz Deutschland Handreichungen zu den Bildungsbereichen und zur Dokumentation von Bildungsprozessen erarbeitet. Nun ist
eine DVD erschienen, die das Projekt, die Handreichungen und Beispiele aus der Praxis vorstellt. Hier
können Sie die DVD online bestellen: http://www.
natur-wissen-schaffen.de/dvd/index.php
DVD „Natur-Wissen schaffen –
Bildungsqualität im
­Elementarbereich stärken“
Das Projekt „Natur-Wissen schaffen“ soll Erzieherinnen und Erzieher dabei unterstützen, die Bildungsbereiche Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und
Medien in der pädagogischen Arbeit umzusetzen. Unter Leitung von Prof. Dr. mult. Wassilios E. Fthenakis
hat ein Team an der Universität Bremen in Kooperation mit 25 Einrichtungen in ganz Deutschland Handreichungen zu den Bildungsbereichen und zur Dokumentation von Bildungsprozessen erarbeitet. Nun ist
eine DVD erschienen, die das Projekt, die Handreichungen und Beispiele aus der Praxis vorstellt. Hier
können Sie die DVD online bestellen: http://www.
natur-wissen-schaffen.de/dvd/index.ph
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 48
Statistik: Personalschlüssel in
Kindertageseinrichtungen
Das Statistische Bundesamt hat die Personalschlüs­
sel in deutschen Kindertageseinrichtungen zum Stich­
tag 1. März 2010 untersucht. Die Darstellung „Der
Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen. Methodische Grundlage und aktuelle Ergebnisse“ ist als
pdf-Datei abrufbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/
Statistik: Nur 3,5 % der
­pädagogischen Fachkräfte in
Kitas sind männlich
Auch wenn es in den letzten drei Jahren mehr wurden: Nach wie vor arbeiten nur vergleichsweise wenige Männer in der Kindertagesbetreuung. Im März
2010 waren nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 15.400 Männer in einer Kita
oder als Tagesvater tätig. Gegenüber März 2007 be­deutet das zwar eine Steigerung um 39 %, doch beträgt der Anteil der männlichen pädagogischen Fachkräfte in Kitas damit nach wie vor nur 3,5 %. Am stärks­ten sind Männer in der Kindertagesbetreuung der
­
Stadtstaaten Hamburg (9,4 %) und Bremen (9,1 %)
vertreten. Hier der Link zum Statistischen Bundesamt (Destatis): http://www.destatis.de/jetspeed/portal/
cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/zdw/2011/
PD11__015__p002,templateId=renderPrint.psml
Für Sie notiert
SpardaZukunftspreis „Bildung
für Kinder“
Die SpardaStiftung Nürnberg schreibt den mit
10.000,00 Euro dotierten SpardaZukunftspreis „Bildung für Kinder“ aus. Gesucht werden beispielhafte,
innovative, „starke“ Projekte. Bis zum 31. Juli 2011
können sich Einrichtungen mit ihren Projekten bewerben. Einzige Teilnahmevoraussetzung: Die Bewerbung muss aus dem Raum Nordbayern stammen.
Nähere Informationen zum Preis, zur Jury und der
Bewerbung finden Sie hier: https://www.sparda-n.de/
stiftung/stiftung_zukunftspreis_preis.php
Credit Points der Hochschule
Regensburg für Erzieherinnen In Regensburg können Erzieherinnen und Erzieher erstmals in Bayern in einer Weiterbildung Credit
Points erwerben, die bei einem eventuellen Studium
angerechnet werden. Caritasdirektor Bernhard Piendl und Hochschulpräsident Prof. Dr. Josef Eckstein
unterzeichneten Ende April eine entsprechende Vereinbarung. Demnach erhalten Absolventinnen und
Absolventen der auf zwei Jahre angelegten Weiterbildung „Qualifizierte/r Leiter/in“ der Caritas Regensburg
künftig neben dem Zertifikat auch 15 Credit Points. An
der Hochschule Regensburg wird pro Semester der
Erwerb von 30 Punkten verlangt. Caritasdirektor Piendl begrüßt die neue Zusammenarbeit ausdrücklich,
denn es gehe darum, das Schubladendenken in der
Bildungsarbeit aufzubrechen und beste Voraussetzungen für die zukünftigen Fachleute im sozialen Bereich
zu schaffen.
Jugend- und Familienministerkonferenz empfiehlt Berufsbezeichnung „Kindheitspädagogin/Kindheitspädagoge“
Die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK)
hat Berufsbezeichnung „staatlich anerkannte Kindheitspädagogin/staatlich anerkannter Kindheitspädagoge“ für akademisch ausgebildetes Fachpersonal
für Kindertageseinrichtungen empfohlen. Diese Berufsbezeichnung sei Ausdruck einer Fachlichkeit, die
dem Fachkräftegebot in der Kinder- und Jugendhilfe
entspreche, so die JFMK. Sie folgt damit einem Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und
Erziehung in der Kindheit. Mit der Empfehlung der
JFMK werde verdeutlicht, dass die Absolventen der
Studiengänge zur frühen Bildung und Erziehung eine
eigenständige Qualifikation erreicht hätten, so die
Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft. Die
Länder seien nun aufgefordert, über die Studiengänge die Möglichkeit der Verleihung der Berufsbezeichnung umzusetzen. Träger hätten nun noch deutlicher
die Chance, weitere Schritte hin zu multiprofessionellen Teams in Kindertageseinrichtungen umzusetzen.
TNS Emnid-Umfrage:
Familienvater als Alleinverdiener ist ein Auslaufmodell
Für 60 Prozent der Deutschen ist der Vater als Alleinverdiener in der Familie ein Auslaufmodell. Das
zeigt eine repräsentative Umfrage, die TNS Emnid im
Auftrag der Expertenkommission Familie der Bertelsmann Stiftung im März 2011 durchgeführt hat. In immer mehr Haushalten müssen beide Partner verdienen, um den Lebensunterhalt zu sichern. 95 Prozent
der Befragten halten zusätzliche Betreuungsangebote für notwendig, damit insbesondere Alleinerziehende mehr Zeit für eine Berufstätigkeit haben. Die
Expertenkommission Familie hat auf Grundlage der
Umfrage Forderungen unter dem Titel „Innovationen
für eine familienfreundliche Gesellschaft“ formuliert.
Kommissionsmitglied und Direktor des Deutschen Jugendinstituts Prof. Dr. Thomas Rauschenbach spricht
sich darin für eine Männerquote für pädagogische Berufe wie Lehrer und Erzieher aus. „Zugleich sollten die
für das Betreuungsgeld geplanten Mittel besser in die
Quantität und Qualität des Betreuungssystems investiert werden“, so Rauschenbach weiter (Innovationen
für eine familienfreundliche Gesellschaft, S. 32).
Hier der Link zur Pressemitteilung mit weiteren Ergebnissen der Umfrage:
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/
SID-0DF502E2-D3BF57FA/bst/hs.xsl/nachrichten_107027.htm
Dort stehen auch andere Dokumente als pfd-Downloads zur Verfügung, u.a. die Forderungen der Expertenkommission Familie „Innovationen für eine familienfreundliche Gesellschaft“.
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 49
Für Sie notiert
Projekt „Landschaft
schmeckt“: Erzieherinnen als
Ernährungs-Botschafter
Richtig essen ist aktiver Umweltschutz: Deshalb unterstützt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU)
das Projekt „Landschaft schmeckt“ der Sarah Wiener Stiftung. Das Projekt will Erzieherinnen und
Erzieher an Fachschulen für gesunde Ernährung
sensibilisieren und sie über nachhaltige Lebensmittelproduktion, Produktwahl und Energieverbrauch
informieren, damit sie als „Ernährungs-Botschafter“
in ihren Einrichtungen aktiv werden können. Denn
über die Vermittlung von Wissen über nachhaltigen
Konsum werde ein wichtiger Beitrag geleistet, die
Biodiversität zu erhalten. Neben Fortbildungsveranstaltungen gehört auch die Entwicklung eines Handbuchs für Erzieherinnen und Erzieher zum Projekt.
Weitere Hinweise zum Projekt auf der Homepage der
Deutschen Bundesstiftung Umwelt: http://www.dbu.
de/123artikel31547_335.html
Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2011 für Morris
Gleitzman
Für seinen Roman „Einmal“ erhält der australische
Autor Morris Gleitzman den mit 5.000,00 Euro dotierten Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis
2011 der Deutschen Bischofskonferenz. Das Buch
ist der erste Band einer Trilogie über eine Kinderfreundschaft in finsterer Zeit: Der neunjährige Felix
lebt 1942 in einem katholischen Waisenhaus, wohin
ihn seine Eltern, jüdische Buchhändler, gebracht haben. Denn er soll gut versorgt sein in diesen Zeiten,
die nicht leicht sind. Wie schwer sie sind, ahnt Felix,
als Männer mit seltsamen Armbinden ins Waisenhaus kommen und dort Bücher verbrennen. Er reißt
aus, um seine Eltern zu warnen. Unterwegs trifft er
die kleine Zelda, deren Familie ermordet wurde. Von
nun an sind die beiden gemeinsam unterwegs auf
einer dramatischen Odyssee durch das von den Nationalsozialisten beherrschte und terrorisierte Polen.
Dabei wird „der in seiner staunenden Weltsicht unerschütterliche Felix Kraft seiner Geschichten zum Hoffnungsträger, der in einer in sich zusammenbrechenden
Welt das letzte Stück Glauben an ein Heilwerden verkörpert – selbst über jenen Zeitpunkt hinaus, an dem
Mitglieder-Info • Ausgabe 1/2011 • Seite 50
auch der kindliche Ich-Erzähler angesichts des Grauens der Ereignisse keine Worte mehr zu finden vermag“, so Bischof Gebhardt Fürst, der Vorsitzende der
Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, in seiner Ansprache zur Preisübergabe.
Der von Uwe-Michael Gutzschhahn übersetzte Roman
„Einmal“ von Morris Gleitzman wird für Kinder ab 11
Jahren empfohlen. Er ist im Carlsen Verlag erschienen.
Druckerei: bitte oben Adressfeld, wie üblich
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Kompetenz in
Sachen Kita:
www.blv-kita.de
B 53180
www.blv-kita.de
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