Bedeutung neuerer Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung
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Bedeutung neuerer Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung
Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Gymnasium Waldstraße Antonia Hübers Jahrgangsstufe 12.2 Hattingen Facharbeit im Fach Pädagogik Bedeutung neuerer Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung für die Elementarpädagogik Verfasserin: Antonia Hübers Kurslehrer: Dr. Lars Schmoll Abgabetermin: 25. April 2007 1 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Physische Faktoren 4 2.1. Aufbau des Gehirns 4 2.2. Die Entwicklung des Gehirns 5 2.3. Kritische Phasen 8 2.4. Die Auswirkungen von Deprivation, Training und 2.5 3. Übertraining 9 Gehirnhälftendominanz - Grundthesen 10 Emotionen und Lernen 12 3.1. Das limbische System 12 3.2. Das enterische Nervensystem 13 3.3. Bedeutung für Lernprozesse 14 4. Bedeutung für die Elementarpädagogik 15 5. Resumée: Auf den Anfang kommt es an 17 6. Literaturverzeichnis 19 2 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers 1. Einleitung Meine Arbeit wird von dem Erkenntnisinteresse geleitet, mein Wissen über die Bedeutung der ersten Lebensjahre zu vertiefen und mir eine Meinung zur aktuellen Diskussion um Bildung für Kinder von null bis sechs Jahren in Kindertageseinrichtungen bilden zu können. Durch die Auseinandersetzung mit den entwicklungspsychologischen Theorien von Sigmund Freud, Erik Erikson und Jean Piaget im Pädagogikunterricht wurde mir die prägende Bedeutung der ersten Lebensjahre bewusst. Meine Neugier wurde geweckt und ich stellte mir die Frage, wie sich das Wissen darüber in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Ich habe mich nun im Rahmen dieses weiten Forschungsgebietes für die Darstellung wesentlicher Erkenntnisse der Hirnforschung in dieser Facharbeit entschieden, weil diese nicht nur aktuell sind, sondern die ersten Lebensjahre, aus einer anderen Perspektive, nämlich der neurowissenschaftlichen, betrachten als die oben genannten Theorien. Wichtig ist es mir auch, die pädagogischen Konsequenzen, die sich aus diesem Wissen ergeben, zu erörtern. Ich stelle mir die Frage, wie theoretische Erkenntnisse Eingang finden in die pädagogische Praxis und konzentriere mich im Rahmen dieser Facharbeit auf die Elementarpädagogik und die professionelle Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Zu dieser Fragestellung trägt die derzeitige Diskussion in den Medien bei, in der es darum geht, wie sinnvoll Kindertagesstätten für Null- bis Dreijährige sind. Desweiteren möchte ich in diesem Kontext noch auf die aktuelle ShellJugendstudie von Klaus Hurrelmann hinweisen1. Hurrelmann führt aus, dass die Kindheit heute im Durchschnitt nur noch zehn Jahre dauert und immer kürzer wird. Das bedeutet, dass das Kindheitsalter noch ernst zu nehmender ist, weil sich in einer sehr kurzen Zeit sehr, sehr viel entscheidet. Auch daraus ergibt sich die Frage für mich: Wie muss Erziehung und Bildung aussehen, damit allen Kindern eine gute Zukunft gewährleistet ist und wann diese Erziehung und Bildung stattfinden muss. Ich frage mich auch, wie man die kurze Kindheitsphase am besten nutzt, um zu verhindern, dass 20% der Jugendlichen chancenlos bleiben und als aggressiv bis apathisch bezeichnet werden müssen, wie dies in der aktuellen ShellJugendstudie der Fall ist und in ähnlicher Weise in der PISA- Studie belegt wurde. Ich hoffe in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Hirnforschung 1 Hurrelmann Klaus, Die 14. Shell-Jugendstudie, in: 15.europäischer Aus- und Weiterbildungskongress, Westdeutscher Handwerkskammertag (Hrsg.), Düsseldorf, 2006, S.23 3 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers und sich daraus ergebenden pädagogischen Implikationen Antworten auf meine Fragen zu finden. Die frühpädagogische Diskussion wurde durch die neuen Ergebnisse aus der neurophysiologischen Forschung neu angefacht. Bildgebende Untersuchungsmethoden, z.B. die Positron-Emissions-Tomographie waren die Grundlage dafür.2 Der Hirnforscher Professor Dr. Wolf Singer sagt: „Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass ohne diese Rechenknechte der Versuch aussichtslos geblieben wäre, die neuronalen Grundlagen höherer Hirnleistungen zu erklären.“3 Der Fortschritt in der Computerentwicklung ermöglichte es den Hirnforschern das Gehirn intensiver und besser zu untersuchen. Das ist auch der Ursprung für die Erkenntnisse über die neuronalen Gefühlssysteme. Zu Beginn meiner Arbeit befasse ich mich mit den körperlichen Faktoren und deren Bedeutung für die Pädagogik. Dann beziehe ich mich auf Emotionen und das Lernen. Zum Schluss der Arbeit erörtere ich die Bedeutung der erarbeiteten Ergebnisse für die Elementarpädagogik. 2 Physische Faktoren 2.1 Der Aufbau des Gehirns Den größten Teil unseres Gehirns bildet das Großhirn mit fast 90%. Das Großhirn ist das Zentrum von Persönlichkeit, Wille und Bewusstsein. Es besteht aus zwei Hälften, den Hemisphären, die spiegelgleich sind. Über einen Nervenstrang, der Corpus callosum heißt, tauschen sie Informationen aus. Die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperhälfte und andersherum. Darüber hinaus gibt es den Hirnstamm, der unser Gehirn mit dem Rückenmark verbindet. Hier befindet sich der Selbsterhaltungstrieb und lebenswichtige Funktionen wie Schlucken, Fortpflanzung, Herzschlag oder Atmen werden automatisch gesteuert. Ebenfalls werden hier die Bewegungsabläufe und der Gleichgewichtssinn kontrolliert. Das Zwischenhirn, das neben dem Hirnstamm liegt, übernimmt ebenfalls lebenswichtige Funktionen. Es ist die Schaltstation für den Hypothalamus, die Hypophyse und den Thalamus. Der Hypothalamus ist dafür verantwortlich, dass unser Körper ausgeglichen ist, dass bedeutet er steuert Maßnahmen wie Schwitzen und Zittern oder Hunger und Durst. Die Hypophyse reguliert unseren Stoffwechsel, alle Hormondrüsen und das Wachstum sowie unser Fortpflanzungs- und Sexualleben. Der dritte Teil des Zwischenhirns ist der 2 3 Vgl. Kasten Hartmut, Die Bedeutung der ersten Lebensjahre, S.57 Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S 31 4 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Thalamus. Hier werden unsere Sinneseindrücke von der Außenwelt mit den Gefühlen verbunden. Es laufen viele Nervenleitungen aus den Sinnesorganen zusammen. Die 4 Millimeter dicke und mehrfach gefaltete Schicht, die das Gehirn umhüllt wird Großhirnrinde genannt. Sie steuert das Sprechen und Denken.4 Die Aufnahme von Informationen und Reizen aus unser Außenwelt geschieht über die Sinnesorgane wie Ohr, Haut, Auge, Nase und Zunge und den Gleichgewichtssinn. Diese Informationen werden über die Nervenzellen, die Neuronen, mit Hilfe von elektrischen Impulsen ins Gehirn übertragen. Jede Nervenzelle verfügt über einen Sender und mehrere Empfänger mit denen sie die Informationen, also die elektrische Impulse, von anderen Nervenzellen aufnehmen kann. Die elektrischen Impulse werden in Form von chemischen Botenstoffen, den Neurotransmittern, weitergeleitet. Es sind nicht nur die Neuronen für den Informationsfluss zuständig, sondern auch Gliazellen. Sie arbeiten jedoch nicht so schnell wie die Neuronen. Dieses Zusammenwirken von Großhirn, Großhirnrinde, Neuronen, Gliazellen, Synapsen und Neuronen lässt darauf schließen, dass unser Gehirn ein gigantisches Netzwerk ist. Jede Struktur des Gehirns von Mensch zu Mensch ist anders. Kein Gehirn existiert zweimal. Manfred Spitzer belegt dies mit einem Beispiel an Zwillingen. Wenn sie geboren werden haben sie dieselbe Gehirnstruktur. Doch sie nehmen ihre Umwelt unterschiedlich auf, sodass sich ihre Gehirne später nicht gleichen (vgl. Punkt 2.2).5 Bis zum zweiten Lebensmonat findet eine Ausbildung der Architektur des Gehirns statt, die eine Grundlage für die weitere Entwicklung ist und sehr veränderungsresistent gegenüber neuen Einflüssen. Diese nun vorhandene Basis entwickelt sich dann bis zum achten Lebensjahr weiter. Zu diesem Zeitpunkt ist dann die Entwicklung des Gehirns größtenteils abgeschlossen. Jedoch finden in der Pubertät erneut Veränderungen statt, sie bestehen vor allem in der Abschwächung, Löschung oder Verstärkung bestimmter Verbindungen. Das bedeutet, dass das was während der ersten Lebensjahre bei der Gehirnentwicklung nicht geleistet wird, nicht nachholbar ist. 2.2 Die Entwicklung des Gehirns Heute besteht die Annahme, dass sowohl die Gene, als auch die Umwelt die Entwicklung des Gehirns beeinflussen. Nun stellt sich die Frage, in welchem 4 5 Vgl. Wehrmann Tim, Das Wunderorgan, in: Geowissen Nr. 38/2006 S.26/27 Manfred Spitzer, Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule, DVD 5 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Verhältnis die Gene und die Umwelt die Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinflussen: die Anlage-Umwelt-Debatte wird geführt. Im Kontext dieser Diskussion äußert sich Singer6 folgendermaßen: Bei der Entstehung des Embryos sind die Gene der Eizelle immer von der Umwelt umgeben. Wenn die Umwelt Signale abgibt, findet das Auslesen der Gene statt. Somit findet eine Entwicklung vom Ei zum Organismus statt. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist die Synthese neuer Eiweißmoleküle. Die Eiweißmoleküle bewirken eine Strukturveränderung und das Auslesen weiterer Gene. Das molekulare Milieu wird durch die Teilung, Differenzierung und durch den Informationaustausch der Gene verändert. Dies führt zu verschiedenen Genexpressionsmustern. Danach findet ein Prozess statt, der zur Bildung neuerer und komplexerer Strukturen führt. Jetzt sind besondere Zellen dazu fähig, bloß die Gene auszulesen, die die Synthese der Bausteine steuern. Das ist ein charakteristisches Merkmal für die nun entstanden Nervenzellen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Entwicklungen der Zellen von der Umwelt abhängig sind und von der Umgebung bestimmt und geprägt werden. Die entstanden Nervenzellen eines Embryos bilden Dendriten und Axone, die elektrische Signale empfangen und weiterleiten können, um mit anderen Nervenzellen Kontakt aufzunehmen. Sie bilden lokale Geflechte, damit die elektrisch aktiven Nervenzellen schnell Informationen austauschen können. Diese elektrischen Signale, die zwei wichtige Funktionen erfüllen, sind für die weitere Entwicklung des Nervensystems sehr wichtig. Ihre erste Funktion ist, dass sie die Basis für informationsverarbeitende Prozesse sind. Sie werden an den Kontaktstellen der Nervenzellen in chemische Signale umgewandelt, um dann von den nachfolgenden Nervenzellen wieder in elektrische Signale umgewandelt zu werden und somit für den Informationsaustausch mitverantwortlich zu sein. Ihre zweite Funktion ist, dass sie auf die Genexpression einwirken. Damit ergibt sich eine neue Möglichkeit für die Selbstorganisation. Das Ergebnis ist die Möglichkeit den Informationsaustausch über eine große Entfernung zu organisieren. Die Nervenzellen organisieren den Informationsaustausch eigenaktiv. Diese selbst erzeugte Aktivität wird während der Ausreifung der Sinnesfunktionen von Sinnesreizen modelliert. Zu dem kommt, dass nun auch außerkörperliche Faktoren auf die Strukturentwicklung einwirken können. 6 Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S.68-71 6 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Bei der Geburt ist das Nervensystem eines Menschen noch nicht fertig. Es sind nur die nötigsten Grundlagen ausgebildet. Zu diesem Zeitpunkt bestehen die wichtigsten Bereiche des Gehirns schon, jedoch sind sie noch nicht miteinander verbunden. Ein großer Fortschritt für die Gehirnentwicklung vollzieht sich dann bei der Geburt: Der Selbstorganisationsprozess wird fortan von den Aktivitätsmustern bestimmt. Nun können die Sinnesorgane des Babys alle Signale aus der Umwelt aufnehmen und diese haben Einfluss auf die fortschreitende Entwicklung des Gehirns. Der Prozess des Aufbauen und Umbauens von Verbindungen der Nerven dauert an. Besonders die Großhirnrinde wird von Erfahrungen und Sinnessignalen geprägt. Genetische und nicht genetische Faktoren kooperieren in einem untrennbaren Wechsel, was dazu führt das zwischen Angeborenem und Erworbenen nicht direkt unterschieden werden kann. Ein Beispiel, dass die nicht mögliche Unterscheidung belegt, kommt aus der Medizin. Neugeborne litten an Augeninfektionen, die sie sich bei der Geburt zuzogen. Nach kurzer Zeit erblindeten sie. Als die Medizin einen operatorischen Eingriff möglich machte und die Sehfähigkeit wieder hergestellt werden konnte, erwarteten die Mediziner, dass das Baby wieder sehen kann, da dem Gehirn ja nichts fehlte. Jedoch blieben die Patienten blind. Sie hatten zwar funktionsfähige Augen, jedoch konnten sie mit den nun vorhandenen Informationen nichts anfangen. Der Grund dafür ist, dass wenn nach der Geburt bestimmte Signale zu den zugehörenden Entwicklungsphasen ausbleiben, wichtige Verbindungen als nutzlos interpretiert und irreversibel gemacht werden.7 Das sich entwickelnde Gehirn verfügt über Bewertungssysteme, die nur ausgewählten Signalen gestatten, die Entwicklung zu beeinflussen und überlässt es somit nicht dem Zufall, welche Signale aufgenommen werden. Diese Bewertungssysteme prüfen welche Aktivitätsmuster Veränderungen der Verschaltung bewirken dürfen. Sie sind determiniert und genetisch festgelegt. Zudem gibt es noch einen weiteren Mechanismus, der dafür sorgt das nur Sinnessignale, die das Resultat einer Interaktion mit der Umwelt sind, Einfluss auf die Entwicklung nehmen dürfen. Hierbei hat der Organismus die Initiative, das Selbermachen ist ausschlaggebend und für die Entwicklung unersetzbar. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass sich zum Zeitpunkt der Geburt die meisten Neuronen an dem für sie bestimmten Ort befinden. Nun beginnt Schritt für Schritt der synaptische Kontakt zu den Nachbarneuronen. 7 Vgl. Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S.70 7 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Von jetzt an spiegeln sich Umwelt- und Alltagserfahrungen in der Veränderung des neuronalen Netzwerkes. Die Basis für die weitere Entwicklung wird, wie schon in 2.1 erwähnt, in den ersten Lebensmonaten aufgebaut und in der Pubertät finden kleine Veränderungen statt. Es entsteht eine für jeden Menschen einmalige Struktur, die die Grundlage seiner Denk-, Wahrnehmungsund Lernprozesse bildet. Sie prägt ebenso die Persönlichkeit. Alle Erfahrungen, die einem Kind in der frühen Kindheit ermöglicht werden, sind ausschlaggebend für das Denkvermögen in seinem ganzen Leben. Erste Erkenntnisse finden sich in den Arbeiten von Frederic Vester :„Jeder arbeitet in seinem späteren Leben genau mit denselben Zellen, die er schon als Säugling entwickelt hatte.“8 Ganz besonders wichtig ist, dass das Kind Erfahrungen selber machen muss, es muss selbst handeln. Erzieher müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dem Kind etwas beibringen zu können. Jedoch ist das, was ein Kind aus sich selbst machen kann, abhängig von den Möglichkeiten, die ihm geboten werden. Dieser wichtige Aspekt soll in Punkt 4 weiter erörtert werden. 2.3 Kritische Phasen Das Gehirn benötigt verschiedene Informationen aus der Umwelt, um in den unterschiedlichen Phasen die Entwicklung zu optimieren, weil die Bereiche der Hirnrinde sich unterschiedlich schnell entwickeln. Die Anregungen müssen zur rechten Zeit kommen. So wird z.B. die Erstsprache von Kindern mühelos erlernt, wenn sie während der ersten Lebensjahre, also im richtigen Zeitfenster erfolgt. Die dann im Schulalter folgende Zweitsprache wird viel schwerer und mit mehr Aufwand erlernt.9 Das Lernen ist jetzt unter der Kontrolle des Bewusstseins. Die Zweitsprache erreicht somit nicht das Perfektionsniveau der Erstsprache, deren Melodie und Akzent sich so intensiv und irreversibel eingeprägt haben, dass sie den Menschen lebenslang begleiten. Ein weiteres Beispiel sind die sensiblen Entwicklungsphasen für das Erlernen motorischer Fähigkeiten, so sollte z.B. das Erlernen von Fahrradfahren in dem dazu bestimmten Entwicklungsfenster stattfinden. Kindern fällt das Erlernen von Fahrrad fahren deutlich leichter als Erwachsenen. Ebenso muss das Erlernen von Musikinstrumenten früh stattfinden, wenn Perfektion erreicht werden will. Schwer veränderbar sind geschlechtsspezifische und soziale Kompetenzen, die früh in der Entwicklung eingeprägt wurden. Es ist von Kind zu Kind aufgrund der 8 9 Vester Frederic, Denken, Lernen, Vergessen, S.37 Vgl. Wolf Singer, Was kann ein Mensch wann lernen, S.71 8 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers unterschiedlich schnellen Entwicklung des Gehirns und den verschiedenen Genen unterschiedlich, wann welche kritische Phase stattfindet. Zusammenfassend ist zu sagen, dass es kritische Phasen gibt, in denen es dem kindlichen Gehirn besonders leicht fällt, bestimmte Inhalte zu Erlernen. Dazu ein Zitat von Wolf Singer : „Die Kleinen stellen stets die Fragen an die Welt, die ihrer Entwicklung angemessen sind.“10 Das bedeutet, dass es wichtig ist, dass die Kinder in den sensiblen Phasen genau die Angebote bekommen, die sie benötigen. Darüber hinaus müssen die Anregungen von den Erziehern und der Umwelt zum rechten Zeitpunkt kommen. So kann der Erzieher nur durch sorgfältiges Beobachten erkennen, wonach die Kinder fragen und was sie benötigen. Selbst im Säuglingsalter können Kinder durch Lachen, Weinen und andere Mimik deutlich machen, was sie brauchen. Eine weitere Hilfe zur Optimierung der kritischen Phasen ist eine anregende Umwelt, in der das Kind aus unterschiedlichen Angeboten wählen kann. 2.4 Die Auswirkungen von Deprivation, Training und Übertraining Wenn während den kritischen Phasen bestimmte Signale ausbleiben schrumpfen die Nervenzellen und die Dendriten, die für die Kommunikation mit anderen Zellen verantwortlich sind, bilden weniger Verzweigungen aus. Dazu kommt, dass die Zahl der Synapsen die zwischen den Nervenzellen bestehen stark abnehmen. Ebenso kann sich eine ungenutzte Fläche in der Großhirnrinde verringern, da sie nicht gebraucht wird und somit überflüssig ist. Durch intensives Training nehmen die Kontakte zwischen den Nervenzellen zu, die zuständigen Areale dehnen sich aus und auf die trainierten Inhalte spezialisieren sich die neuronalen Antworten. „Beim Lernen ändert sich die Stärke einer synaptischen Verbindung, durch z.B. mehrfaches Wiederholen einer bestimmten Handlung.“ sagt Manfred Spitzer aus neurowissenschaftlicher Sicht.11 Dies bestätigt in ähnlicher Weise Frederic Vester: Informationen werden gut verankert, wenn sie durch Wiederholung und durch emotionale Erlebnisse das Ultrakurzzeit-, das Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis durchlaufen haben.12 Es ist jedoch nicht klar, ob durch das Training die strukturelle Komplexität über die Norm hinaus gesteigert wird. Ebenso ist es unklar, ob eine fehlende Verbindung genetisch bedingt oder durch Umwelteinflüsse ausgelöst wurde. Ein Kind das z.B. mit fünf Jahren beginnt intensiv Geige zu spielen, kann durch das intensive Training und durch die positiv bedingten Gene ein Genie im Geige 10 Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S.72 Spitzer Manfred, Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule, DVD 11 9 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers spielen werden und das normale Maß weit überschreiten. Es kann jedoch auch nur die Norm erreichen, weil die Gene nicht für das Erlernen des Geigenspiels ausgelegt sind. Im Gegensatz zum Training steht die Deprivation, die Zurückentwicklung bestimmter Gehirnstrukturen durch den Entzug von Sinneswahrnehmungen. Deprivation schränkt die optimale Ausbildung der Gehirnstrukturen ein. „Übertraining und Deprivation gehen oft zusammen, weil Zeitfenster und Lernfähigkeit begrenzt sind.“13 Beim Übertraining breiten Strukturen sich auf Kosten anderer Flächen im Gehirn aus, z.B. wenn ein Kind Geige übt, kann es nicht gleichzeitig lesen. Somit wird es gut Geige spielen können, aber dafür nicht so gut lesen können. Die Auseinandersetzung mit den Folgen von Übertraining und Deprivation legt nahe, dass eine angemessene Erziehung darauf achtet , dass dem Kind genügend Reize zum Lernen geboten werden, jedoch keine Reizüberflutung stattfindet. Auch hier gilt wieder, dass das Rechte zur rechten Zeit kommen muss. Kinder dürfen nicht mit Überangeboten überschüttet werden. Deprivation muss vermieden werden. Entscheidend ist nicht was ehrgeizige Eltern wollen, sondern eine Orientierung am Kind, um zu sehen, was das Kind mitbringt und will. 2.5 Gehirnhälftendominanz– Grundthesen Die linke und die rechte Gehirnhälfte denken unterschiedlich und übernehmen verschiedene Aufgaben. Ebenso läuft der Wachstumsprozess der beiden Gehirnhälften nicht synchron ab. Jeder Mensch benutzt bei der Verarbeitung von Informationen beide Gehirnhälften, jedoch wird eine von den beiden Gehirnhälften mehr benutzt. Manche Menschen benutzen z.B. die rechte Hemisphäre mehr als die linke. Demnach ist diese auch stärker ausgeprägt und verarbeitet den größten Teil der Informationen zuerst. Zusammenfassend benutzten linkshirn –oder rechtshirndominate Kinder also nicht nur die eine Hemisphäre, sondern bevorzugen sie lediglich. Bei der Hemisphären Benutzung unterscheiden sich drei Lerntypen. 14 Als visuelle Lerntypen werden Menschen bezeichnet, die sehr gut visualisieren können und die Informationen in der rechten Hemisphäre verarbeiten. Menschen, die Gehörtes in der linken Gehirnhälfte verarbeiten, werden als auditive Lerntypen bezeichnet. 12 13 Vgl. Vester Frederic, Denken, Lernen, Vergessen, S.67 Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S. 73 10 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Haptische Lerntypen lernen durch Erfahrungen. Barbara Vitale hat folgendes herausgefunden: „Ich habe festgestellt, dass diese Menschen entweder überwiegend rechtshemisphärisch sind oder ständig von der einen Gehirnhälfte zur anderen wechseln.“15 Die rechte Hirnhälfte spielt bei dem Gefühlserleben eine wichtigere Rolle als die Linke. In der rechten Gehirnhälfte liegen, aber auch die sensorischen und motorischen Funktionen, die unsere linke Körperhälfte steuern. Daher ist unsere linke Gesichtshälfte oft ausdrucksstärker. Vermutungen ergeben, dass die stärker analytischen Fähigkeiten der linken Gehirnhälfte durch die emotionalen Strukturen der rechten Gehirnhälfte ergänzt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass es eine Gefühlshälfte und eine Verstandeshälfte gibt. Es sind immer beide Hemisphären mit der Verarbeitung von Gefühlen beschäftigt, es treten dennoch Unterschiede zwischen den beiden Hälften auf. Die linke Gehirnhälfte denkt eher logisch, analysierend, planend, regelgeleitet, gliedernd und organisierend. Darüber hinaus bevorzugt die linke Gehirnhälfte die überschaubare Ordnung und speichert und organisiert Informationen. Sie registriert Einzelheiten und verarbeitet sie nacheinander. Desweiteren denkt sie linear und zielgerecht, zum Beispiel verknüpft sie Wörter nach grammatischen Regeln. Die rechte Gehirnhälfte denkt gefühlsmäßig, spontan, intuitiv, phantasievoll und kreativ und im Gegensatz zu der linken Gehirnhälfte, die in Begriffen denkt, denkt die Rechte in Bildern. Sie liebt das Neue, den Zufall sowie das Ungeordnete und erfasst nicht wie die linke Hälfte die Einzelheiten, sondern das Ganzheitliche. Darüber hinaus denkt sie unerwartet, umkreisend und assoziierend, sie verbindet zum Beispiel Worte mit Bildern. Das menschliche Gehirn behält etwa 10% der Informationen durch das Lesen. 20% behält es durch das Hören wie zum Beispiel lautes Lesen, Vorlesen lassen oder durch Hörkassetten. Durch Sehen behält der Mensch 30% des Wissens. Durch Sehen und Hören werden 50% behalten und durch selber Sagen 80%. Am meisten Wissen speichern Menschen, wenn sie etwas selber Tun, zum Beispiel durch Schreiben, Zeichnen, Fühlen, Basteln, Handeln und Bewegung.16 Wichtig ist zu wissen, dass am besten gelernt wird, wenn beide Gehirnhälften beteiligt sind. Dieses ganzheitlich arbeitende Gehirn braucht also auch ganzheitliches Lernen. 14 15 Vgl. Meister Vitale Barbara, Lernen kann fantastisch sein, S.5/6 Meister Vitale Barbara, Lernen kann fantastisch sein, S.6 11 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Ganzheitliches Lernen bedeutet, dass die Kinder am Besten mit allen Sinnen lernen, wobei beide Gehirnhälften aktiv sind. Das heißt Kinder sollen Lernprozesse erleben, in denen sie mit Sehen, Hören, Sprechen, Riechen, Schmecken, Bewegung und Fühlen lernen können. Es ist wenig effektiv, wenn Kinder nur durch Sehen und Hören lernen, wie dies leider oft der Fall ist. Das sollten besonders Erzieher und Lehrer berücksichtigen und bedenken, dass Kinder in ihrer Ganzheit in die Schule und in den Kindergarten kommen, nicht nur mit ihrem Kopf. Charmaine Liebertz meint dazu: „Manch einer würde am liebsten nur den Kopf in die Schule schicken, aber bedenken sie bitte: immer kommt das ganze Kind!“17 Darüber hinaus müssen Kinder eigene Erfahrungen und Entdeckungen machen, sie müssen etwas tun, dass von ihnen ausgeht und wobei sie die Initiative haben, nur so lernen die Kinder effektiv und mit Spaß. Entdecken, Erforschen und Erfahren sollten am Anfang des ganzheitlichen Lernprozesses stehen (vgl. Punkt 3.3). Somit sollten für die Kinder in den Einrichtungen verschiedene Räume geschaffen werden, in denen sie mit Freude und Neugier forschen können. Dies könnte z.B. eine Bastelecke, eine Werkstatt, ein Labor, ein Atelier oder ein Spielgarten sein. Ebenso sollten den Kindern auch geeignete Inhalte und Lernmittel angeboten werden, die sie verstehen und zu gebrauchen wissen. Albert Einstein kam zu der Erkenntnis : „Alle Mittel bleiben nur stumpfe Instrumente, wenn nicht ein lebendiger Geist, sie zu gebrauchen versteht!“ 18 Sinnvoll ist hier, wenn Erzieher Anregungen z.B. in Form von Projekten geben. 3 Emotionen und Lernen 3.1 Das limbische System Das limbische System ist die Hirnregion die für das Entstehen, Speichern und Verarbeiten von Gefühlen im wesentlich verantwortlich ist, hier wird jedes Ereignis mit Gefühlen verbunden. Es liegt zwischen den beiden Hälften des Großhirns und ist mit diesen fest verbunden. Sobald eine neue Nachricht in diese Gefühlszentrale gelangt wird sie direkt geprüft, ob sie positiv oder negativ, wichtig oder unwichtig ist. Daher spielt das limbische System beim Lernen eine große Rolle. Bestimmte Teile von ihm sind für Lern- und Gedächtnisvorgänge verantwortlich. Es sortiert die unwichtigen Nachrichten aus und verwirft sie. 16 Vgl. Liebertz Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, S.40 Liebertz, Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, S.41 18 Liebertz, Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, S.43 17 12 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Fünf Hinbereiche gehören zum limbischen System, die unser Gefühlsleben auf verschiedene Weise beeinflussen.19 Der erste Hirnbereich ist der Thalamus. Er interpretiert unsere sinnliche Wahrnehmung, wie Berührung, Schmerz und Temperatur, jedoch nicht den Geruchssinn. Der Hypothalamus ist der zweite Hirnbereiche und sorgt dafür, dass in Notfällen, wie bei Wut oder Schmerz, der Geist den Körper kontrolliert. Der Hippokampus verarbeitet und festigt alle Informationen von dem Thalamus und dem Hypothalamus. Er leitet diese Informationen je nach Bedeutung ins Lang- oder Kurzzeitgedächtnis weiter. Der Basalganglion steuert die feinmotorischen Abläufe unser Augen- und Gesichtsmuskulatur. Der letzte Hirnbereich ist der Mandelkern. Dieser beschäftigt sich mit der Frage: „Ist die Nachricht wichtig, positiv oder negativ?“20 Wird diese Frage bejaht, werden sofort Krisenbotschaften ins ganze Gehirn geschickt. Diese Krisebotschaften beeinflussen den Lernprozess ungemein. Erfährt man zum Beispiel in der Kindheit ein negatives Lernerlebnis, wirkt dies wie eine Blockade. Wenn zum Beispiel ein Kind in der Schule schlecht liest und von anderen Kindern ausgelacht wird, kann dieses negative Lernerlebnis im Erwachsenalter immer wieder auftreten. Diese Blockade kann nur mit Hilfe einer positiven Erfahrung, die das Angsterlebnis auflöst, überwunden werden. 3.2 Das enterische Nervensystem Es gibt nicht nur ein Gefühlszentrum, sondern das Zusammenspiel von Darmsignalen und Signalen von des limbischen Systems lässt unsere Gefühle entstehen. Jeder Mensch besitzt sozusagen ein Bauchhirn bzw. ein enterisches Nervensystem (ENS). Im Bauch steuern 100 Millionen Nervenzellen den Magen, die Speiseröhre und den Dick- und Dünndarm. Darüber hinaus befindet sich hier das Zentrum unserer Intention. Es hilft dem Gehirn bei Entscheidung, indem es dem Gehirn signalisiert wann wir Kummer, Wut oder Angst haben. Im Gehirn werden dann alle Daten und Reaktionen des Bauches gespeichert.21 Das Bauchhirn bringt wichtige Gefühle mit in das Zusammenfließen aller Gefühle mit ein, welche sich wiederum positiv oder negativ auf das Lernen auswirken. 19 20 Vgl. Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S. 32 Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S.31 13 Facharbeit 3.3 Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Bedeutung für Lernprozesse Fühlen, Denken und Lernen sind miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Mit positiven Emotionen funktioniert die Intelligenz gut und ist bereit sich neue Erfahrungen anzueignen. Wenn jedoch negative Erfahrungen hinzu stoßen, unterbrechen diese den Prozess des Lernens. Es ist auch so, dass positive Inhalte besser behalten werden, als negative. Diese, wie zum Beispiel Angst und Depressionen, blockieren das Gedächtnis. Es ist jedoch nicht so, dass Gefühle das Denken negativ beeinflussen. Es ist sogar so, dass erst durch unsere Fähigkeit, Erfahrungen emotional zu markieren, unser vernünftiges Denken entsteht.22 Darüber hinaus werden oft Erlebnisse, die mit starken Gefühlen verbunden sind besser gespeichert, als welche die mit weniger Gefühlen verbunden sind. Zum Beispiel kann sich fast jeder Mensch daran erinnern, was er am 11 September 2001 nachmittags getan hat. Jedoch weiß so gut wie niemand mehr, was er am 11. August 2006 getan hat. Dies hat auch Spitzer untersucht und kommt zu demselben Ergebnis: „Wenn Emotionen im Spiel sind ist der Speicherungseffekt höher.“23 Das bedeutet für die Pädagogik, dass Lernen mit positiven Emotionen verbunden sein muss. Kinder müssen Spaß und Freude am Lernen haben, damit sie effektiv lernen und das Gelernte gut abspeichern. Hierbei ist Lachen ein ganz wichtiger Aspekt. Wer beim Lernen viel lacht, lernt mehr, da die Informationen mit einem positiven Gefühl verbunden sind. Lachen und Lernen sind sozusagen ein „Dreamteam“! Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass Druck und Belastung beim Lernen vermieden werden, denn das verhindert die Verknüpfung der Aktivierungsmuster. Ebenso tun es Mangel an Anregung und Mangel an geeigneten Vorbildern. Angst und Depressionen dürfen beim effektiven Lernen nicht auftreten, da sie eine enorme Blockade sind. Ein weiterer Aspekt für eine positive Entwicklung ist eine gute Beziehung zwischen Erzieher und Kind. Die Bindung an den Erzieher und das somit entstandene Gefühl von Sicherheit ist die Grundlage für die Entwicklung des Kindes. Die Sicherheit ist für das Lernen sehr wichtig. Nur so hat das Kind den Mut etwas Neues zu entdecken. Das bedeutet für Erzieher, für das Kind ein „sicherer Hafen“ sein zu müssen, von dem aus das Kind die Welt entdecken und erforschen kann. Die Bindungspersonen müssen nicht die Eltern sein, es können ebenso Erzieher oder Lehrer sein. Sie sollten auch alle ein Vorbild für 21 22 Liebertz Charmaine, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S.36 Liebertz Charmaine, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S39 14 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers das Kind sein. Die Begeisterungsfähigkeit der Lehrperson ist sehr bedeutsam für den Lernprozess. Der Hirnforscher Henning Scheich meint: „Vorbilder sind für das noch unfertige Gehirn als Orientierung enorm wichtig. Und auch Begeisterung wirkt disziplinierend, man will es dem Vorbild ja recht machen!“24 4. Bedeutung für die Elementarpädagogik Nun folgend möchte ich aufzeigen, inwieweit die hier dargestellten neueren Erkenntnisse sich in der derzeitigen Elementarpädagogik wieder finden.Ich gehe ein auf das aktuelle Bild vom Kind, Methoden und Inhalte im Elementarbereich und sich daraus resultierenden Aufgaben von Erziehern. Die Ergebnisse der Gehirnforschung fanden Eingang in die Arbeit des Bildungsforschers Hans-Joachim Laewen2526, der zu folgendem Bild vom Kind kommt: Mit der Geburt beginnt jedes Kind seine persönliche, subjektive Welt im Gehirn zu konstruieren. Seine Sinnesorgane liefern ihm Material für seine Konstruktion und zwar in der Form von elektronischen Signalen, die vom Zentralsystem verarbeitet werden. Sie erhalten diese Signale , indem das Kind sie mithilfe seiner Emotionen deutet und bewertet (Vgl. Punkt 3). Nur durch eigene Aktivität kann das Kind sein Bild über die Bedeutung der Dinge konstruieren. Dabei ist es kein Abbild der vorhandenen Welt, sondern eine subjektive Neuschöpfung. Bildung ist immer Selbstbildung, die jedoch in einem vorgebenden sozialen Rahmen stattfindet. Indem sich Kinder mit Erwachsenen und anderen Kindern austauschen, objektivieren sie ihre persönliche Weltdeutung. Besonders um die Regeln des sozialen Umgangs miteinander konstruieren zu können, brauchen Kinder andere Menschen. Kinder brauchen besonders Kinder, damit sie Kontakt unter Gleichen haben und sie sich durch Ausprobieren Wissen über sich selbst aneignen können. Dieser Prozess wird als Kokonstruktion bezeichnet. Die Grundlage für Bildung als Selbstbildung ist die wechselseitige Anerkennung in Form von Bindungsbeziehungen, die jedes Kind aufbaut. Dabei sind Eltern wichtige Bindungspersonen, es können jedoch auch die Erzieher im Kindergarten sein. Laewen versteht unter Erziehung die Tätigkeit des Erwachsenen und unter Bildung die Selbsttätigkeit des Kindes. Verknüpfen kann man beides durch drei Formen: • Gestaltung der Umwelt des Kindes • Beantwortung und Erweiterung der Bildungsbewegungen des Kindes 23 Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S. 39 Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung in S.38 25 Vgl. Hans-Joachim Laewen, Künstler, Forscher, Konstrukteure, S. 33-70 24 15 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 • Antonia Hübers die Zumutung von Bildungsthemen an das Kind Auch Schäfer27 geht davon aus, das jedes Kind von Anfang an und mit hoher Eigenmotivation sich aktiv tätig ein Bild von sich und der Welt aufbaut. Sowohl Schäfer als auch Laewen stützen diese Annahme mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung, die zeigen das Kinder sozusagen über vorinstallierte Methoden der Wahrnehmungsstrukturierung verfügen, die ihnen helfen ihr Weltbild zu konstruieren (vgl. Punkt 2). Schäfer sagt28, dass wir unser Bild vom Kind ändern müssen. Kinder sind nicht defizitär und Erwachsene müssen ihnen etwas beibringen. Kinder sind von Anfang an fähig ihre Um- und Mitwelt zu erforschen und Antworten auf ihre Fragen zu finden. Sie sind die Akteure ihrer Entwicklung und brauchen dabei die Unterstützung der Erwachsenen, die an ihren Stärken anknüpfen sollte. Erziehung muss sich am Kind und seinen Tätigkeiten orientieren. Für ihn umfasst Bildung in den ersten drei Lebensjahren besonders die Bildung der Sinne, der Fantasie, der Symbol- und Sprachwelt und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Bis zum sechsten Lebensjahr gewinnen die Bereiche der ästhetischen Bildung, der Kultur und Sprache und der Natur zunehmend an Bedeutung. Diese Gedanken fanden Eingang in die gültigen Bildungsvereinbarungen NRW.29 Hier finden sich verbindliche Inhalte und Methoden für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Inhaltlich beziehen sich diese auf die Bildungsbereiche Bewegung, Spielen, Gestalten und Medien, Sprache und Natur und kulturelle Umwelt. Methodisch wird ein Vorgehen favorisiert, das direkt von den Bedürfnissen des Kindes ausgeht. Erzieher lernen professionelle Beobachtungsverfahren, um zu erkennen, wo das Kind sich in seiner Entwicklung befindet, um dann Anregungen, z.B. in Form von pädagogischen Angeboten und Projekten zu erstellen, die dem Kind ein Lernen durch Handeln ermöglichen. Kinder sollen auch an Planungen mitbeteiligt sein, um ihnen größtmögliche Aktivität zu gewähren. Der Raum gilt als dritter Erzieher, d.h. die Gestaltung der Räume ermöglicht dem Kind Erlebnisse und neue Erfahrungen. Im sozialen Miteinander erhalten die Kinder Gelegenheit für Kokonstruktionen. Die Erzieherin ist in der Rolle der Begleiterin des Kindes, die ihm durch o.g. pädagogisches Handeln eine optimale Förderung durch Eigentätigkeit ermöglicht. In einer solchen Einrichtung ist meines Erachtens ein hirngerechtes Lernen möglich. Es muss 26 Das hier dargestellte Bild vom Kind hat auch seine Grundlagen in Erkenntnissen der Säuglingsforschung und Resilienzforschung, die hier jedoch nicht dargestellt werden können. 27 Vgl. Schäfer Gerd, Bildungsprozesse im Kindesalter, S.17-33 28 Vgl. Schäfer Gerd, Bildungsprozesse im Kindesalter, S.17-33 29 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW (Hrsg), Bildunsvereinbarung NRW, Düsseldorf, 2003 16 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers jedoch bedacht werden, dass diese Idealvorstellungen sich nur verwirklichen lassen, wenn strukturelle Qualitätsaspekte wie Gruppengröße, Betreuungsschlüssel und Qualifikationen der Fachkräfte stimmig sind. 5. Resumée: Auf den Anfang kommt es an Die neuen Erkenntnisse in der Hirnforschung belegen, die prägende Bedeutung der frühen Kindheit und zeigen, dass wir Kinder individuell und ganzheitlich fördern müssen, mit allen ihren Anlagen, Bedürfnissen, Interessen, ihren Gefühlen und besonders mit allen Sinnen. Die passende, individuelle Anregung muss zur rechten Zeit kommen, als Voraussetzung ist eine intensive Beobachtung kindlichen Verhaltens notwendig. Bezugnehmend auf die in der Einleitung erwähnte Chancenlosigkeit vieler Jugendlicher heute und in der von der PISA- Studie belegten Bildungsmisere, halte ich es vor dem Hintergrund, der in dieser Arbeit dargestellten Erkenntnisse für absolut erforderlich der frühkindlichen Förderung einen viel höhern Stellenwert einzuräumen. Je mehr neuronale Schaltungen wir im kindlichen Hirn dann aktivieren, umso intensiver legen wir Grundlagen für ein weitgehendes und vernetztes Denkvermögen im gesamten Leben Eltern tragen für die Erziehung ihrer Kinder die vorrangige Verantwortung. Einen von den Eltern übertragenden Erziehungs- und Bildungsauftrag erfüllen die Tageseinrichtungen. Meiner Meinung nach sollte allen Eltern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Kinder von Anfang an in Kindertagesstätten zu geben, damit diese optimal gefördert werden können. Eltern haben meist kein professionelles Erziehungswissen, sie erziehen ihre Kinder häufig so, wie sie selbst erzogen worden sind und wiederholen eventuell die gleichen Fehler. Auch wissen Eltern oft nicht auf neue Anforderungen, wie sie sich z.B. aus der Mediennutzung oder mangelnden Bewegungsmöglichkeiten ergeben, zu reagieren. Kindertageseinrichtungen könnten auch Orte zur Weiterbildung der Eltern sein. Andererseits müssen Kindertagesstätten bedenken, dass Kinder Bindung als Grundlage der Entwicklung brauchen. Erzieher müssen sich als Bindungspersonen zur Verfügung stellen. Eingewöhnungsphasen müssen dementsprechend gestaltet werden. Zusammenarbeit und ständiger Austausch zwischen Eltern und Erziehern ist wichtig. Darüberhinaus brauchen Kindertagesstätten gute personelle und räumliche Bedingungen, sowie kleine Gruppen. Der Umfang in dem Plätze in Kindertageseinrichtungen zur Verfügung stehen und die qualitative Ausstattung der Einrichtungen ist abhängig von politischen 17 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Entscheidungen. Die aktuelle Entscheidung auf einen weiteren Ausbau des Platzangebotes zu verzichten, sehe ich sehr kritisch, denn eine Förderung, die in der frühen Kindheit versäumt wird, ist nicht nachholbar. Abschließend möchte ich noch sagen, dass das Anfertigen dieser Facharbeit für mich sehr anspruchsvoll und zeitintensiv war. Besonders schwer fiel mir, die komplexen theoretischen Ausführungen inhaltlich zu reduzieren und sprachlich präzise zu formulieren. Doch denke ich, dass ich viel dazu gelernt habe und dass es mir gut gelungen ist die Fragen, die ich mir eingangs gestellt habe zu beantworten und mir ein komplexes Thema eigenständig zu bearbeiten. 18 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Literaturverzeichnis Hurrelmann Klaus, Die 14. Shell-Jugendstudie, in 15.europäischer Aus- und Weiterbildungskongress, Westdeutscher Handwerkskammertag (Hrsg.), Düsseldorf, 2006, S.23 Wehrmann, Tim, Das Wunderorgan, in: Geowissen Nr. 38/2006 S.26/27 Hartmut Kasten, Die Bedeutung der ersten Lebensjahre, in Elementarpädagogik nach PISA, hrsg. von Fthenakis, Wassilios E., Freiburg im Breisgau, 22003, S.57 Singer, Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen?, in Elementarpädagogik nach PISA, hrsg. von Fthenakis, Wassilios E., Freiburg im Breisgau, 22003, Seite 67-75 Laewen, Hans-Joachim, Was Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen bedeuten können, in Forscher, Künstler, Konstrukteure, hrsg. von Laewen, HansJoachim; Andres, Beate, Berlin, 2002, Seite 33-70 Schäfer, Gerd, Bildungsprozesse im Kindesalter, München, 22001, S. 17-33 Vester, Frederic, Denken, Lernen, Vergessen, München, 261999 Liebertz, Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, München,61999 Meister Vitale, Barbara, Lernen kann fantastisch sein, Berlin, 1988 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW(Hrsg.), Bildungsvereinbarung NRW, Düsseldorf, 2003 Spitzer Manfred, 2006, Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule, Aufzeichnung eines Vortrages vom 13. Juni 2005, Mülheim/Baden 19 Facharbeit Leistungskurs Pädagogik 12.2 Antonia Hübers Erklärung Ich erkläre, dass ich die Facharbeit ohne fremde Hilfe angefertigt habe und nur die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. 25.April 2007 ……………………………………………………… 20