Bedeutung neuerer Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung

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Bedeutung neuerer Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung
Facharbeit
Leistungskurs Pädagogik 12.2
Gymnasium Waldstraße
Antonia Hübers
Jahrgangsstufe 12.2
Hattingen
Facharbeit
im Fach Pädagogik
Bedeutung neuerer Forschungsergebnisse
aus der Hirnforschung für die
Elementarpädagogik
Verfasserin: Antonia Hübers
Kurslehrer: Dr. Lars Schmoll
Abgabetermin: 25. April 2007
1
Facharbeit
Leistungskurs Pädagogik 12.2
Antonia Hübers
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
3
2.
Physische Faktoren
4
2.1. Aufbau des Gehirns
4
2.2. Die Entwicklung des Gehirns
5
2.3. Kritische Phasen
8
2.4. Die Auswirkungen von Deprivation, Training und
2.5
3.
Übertraining
9
Gehirnhälftendominanz - Grundthesen
10
Emotionen und Lernen
12
3.1. Das limbische System
12
3.2. Das enterische Nervensystem
13
3.3. Bedeutung für Lernprozesse
14
4.
Bedeutung für die Elementarpädagogik
15
5.
Resumée: Auf den Anfang kommt es an
17
6.
Literaturverzeichnis
19
2
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1. Einleitung
Meine Arbeit wird von dem Erkenntnisinteresse geleitet, mein Wissen über die
Bedeutung der ersten Lebensjahre zu vertiefen und mir eine Meinung zur
aktuellen Diskussion um Bildung für Kinder von null bis sechs Jahren in
Kindertageseinrichtungen bilden zu können.
Durch die Auseinandersetzung mit den entwicklungspsychologischen Theorien
von Sigmund Freud, Erik Erikson und Jean Piaget im Pädagogikunterricht
wurde mir die prägende Bedeutung der ersten Lebensjahre bewusst. Meine
Neugier wurde geweckt und ich stellte mir die Frage, wie sich das Wissen
darüber in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Ich habe mich nun im
Rahmen dieses weiten Forschungsgebietes für die Darstellung wesentlicher
Erkenntnisse der Hirnforschung in dieser Facharbeit entschieden, weil diese
nicht nur aktuell sind, sondern die ersten Lebensjahre, aus einer anderen
Perspektive, nämlich der neurowissenschaftlichen, betrachten als die oben
genannten Theorien.
Wichtig ist es mir auch, die pädagogischen Konsequenzen, die sich aus diesem
Wissen ergeben, zu erörtern. Ich stelle mir die Frage, wie theoretische
Erkenntnisse Eingang finden in die pädagogische Praxis und konzentriere mich
im
Rahmen
dieser
Facharbeit
auf
die
Elementarpädagogik
und
die
professionelle Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Zu dieser Fragestellung trägt
die derzeitige Diskussion in den Medien bei, in der es darum geht, wie sinnvoll
Kindertagesstätten für Null- bis Dreijährige sind.
Desweiteren möchte ich in diesem Kontext noch auf die aktuelle ShellJugendstudie von Klaus Hurrelmann hinweisen1. Hurrelmann führt aus, dass die
Kindheit heute im Durchschnitt nur noch zehn Jahre dauert und immer kürzer
wird. Das bedeutet, dass das Kindheitsalter noch ernst zu nehmender ist, weil
sich in einer sehr kurzen Zeit sehr, sehr viel entscheidet. Auch daraus ergibt
sich die Frage für mich: Wie muss Erziehung und Bildung aussehen, damit allen
Kindern eine gute Zukunft gewährleistet ist und wann diese Erziehung und
Bildung stattfinden muss.
Ich frage mich auch, wie man die kurze Kindheitsphase am besten nutzt, um zu
verhindern, dass 20% der Jugendlichen chancenlos bleiben und als aggressiv
bis apathisch bezeichnet werden müssen, wie dies in der aktuellen ShellJugendstudie der Fall ist und in ähnlicher Weise in der PISA- Studie belegt
wurde. Ich hoffe in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Hirnforschung
1
Hurrelmann Klaus, Die 14. Shell-Jugendstudie, in: 15.europäischer Aus- und
Weiterbildungskongress, Westdeutscher Handwerkskammertag (Hrsg.), Düsseldorf, 2006, S.23
3
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und sich daraus ergebenden pädagogischen Implikationen Antworten auf meine
Fragen zu finden.
Die frühpädagogische Diskussion wurde durch die neuen Ergebnisse aus der
neurophysiologischen
Forschung
neu
angefacht.
Bildgebende
Untersuchungsmethoden, z.B. die Positron-Emissions-Tomographie waren die
Grundlage dafür.2
Der Hirnforscher Professor Dr. Wolf Singer sagt: „Ich übertreibe nicht, wenn ich
behaupte, dass ohne diese Rechenknechte der Versuch aussichtslos geblieben
wäre, die neuronalen Grundlagen höherer Hirnleistungen zu erklären.“3 Der
Fortschritt in der Computerentwicklung ermöglichte es den Hirnforschern das
Gehirn intensiver und besser zu untersuchen. Das ist auch der Ursprung für die
Erkenntnisse über die neuronalen Gefühlssysteme.
Zu Beginn meiner Arbeit befasse ich mich mit den körperlichen Faktoren und
deren Bedeutung für die Pädagogik. Dann beziehe ich mich auf Emotionen und
das Lernen. Zum Schluss der Arbeit erörtere ich die Bedeutung der erarbeiteten
Ergebnisse für die Elementarpädagogik.
2
Physische Faktoren
2.1
Der Aufbau des Gehirns
Den größten Teil unseres Gehirns bildet das Großhirn mit fast 90%. Das
Großhirn ist das Zentrum von Persönlichkeit, Wille und Bewusstsein. Es besteht
aus zwei Hälften, den Hemisphären, die spiegelgleich sind. Über einen
Nervenstrang, der Corpus callosum heißt, tauschen sie Informationen aus. Die
linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperhälfte und andersherum.
Darüber hinaus gibt es den Hirnstamm, der unser Gehirn mit dem Rückenmark
verbindet. Hier befindet sich der Selbsterhaltungstrieb und lebenswichtige
Funktionen wie Schlucken, Fortpflanzung, Herzschlag oder Atmen werden
automatisch gesteuert. Ebenfalls werden hier die Bewegungsabläufe und der
Gleichgewichtssinn kontrolliert.
Das Zwischenhirn, das neben dem Hirnstamm liegt, übernimmt ebenfalls
lebenswichtige Funktionen. Es ist die Schaltstation für den Hypothalamus, die
Hypophyse und den Thalamus. Der Hypothalamus ist dafür verantwortlich, dass
unser Körper ausgeglichen ist, dass bedeutet er steuert Maßnahmen wie
Schwitzen und Zittern oder Hunger und Durst. Die Hypophyse reguliert unseren
Stoffwechsel,
alle
Hormondrüsen
und
das
Wachstum
sowie
unser
Fortpflanzungs- und Sexualleben. Der dritte Teil des Zwischenhirns ist der
2
3
Vgl. Kasten Hartmut, Die Bedeutung der ersten Lebensjahre, S.57
Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S 31
4
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Thalamus. Hier werden unsere Sinneseindrücke von der Außenwelt mit den
Gefühlen verbunden. Es laufen viele Nervenleitungen aus den Sinnesorganen
zusammen.
Die 4 Millimeter dicke und mehrfach gefaltete Schicht, die das Gehirn umhüllt
wird Großhirnrinde genannt. Sie steuert das Sprechen und Denken.4
Die Aufnahme von Informationen und Reizen aus unser Außenwelt geschieht
über die Sinnesorgane wie Ohr, Haut, Auge, Nase und Zunge und den
Gleichgewichtssinn. Diese Informationen werden über die Nervenzellen, die
Neuronen, mit Hilfe von elektrischen Impulsen ins Gehirn übertragen.
Jede Nervenzelle verfügt über einen Sender und mehrere Empfänger mit denen
sie die Informationen, also die elektrische Impulse, von anderen Nervenzellen
aufnehmen kann. Die elektrischen Impulse werden in Form von chemischen
Botenstoffen, den Neurotransmittern, weitergeleitet.
Es sind nicht nur die Neuronen für den Informationsfluss zuständig, sondern
auch Gliazellen. Sie arbeiten jedoch nicht so schnell wie die Neuronen. Dieses
Zusammenwirken
von
Großhirn,
Großhirnrinde,
Neuronen,
Gliazellen,
Synapsen und Neuronen lässt darauf schließen, dass unser Gehirn ein
gigantisches Netzwerk ist. Jede Struktur des Gehirns von Mensch zu Mensch
ist anders. Kein Gehirn existiert zweimal.
Manfred Spitzer belegt dies mit einem Beispiel an Zwillingen. Wenn sie geboren
werden haben sie dieselbe Gehirnstruktur. Doch sie nehmen ihre Umwelt
unterschiedlich auf, sodass sich ihre Gehirne später nicht gleichen (vgl. Punkt
2.2).5 Bis zum zweiten Lebensmonat findet eine Ausbildung der Architektur des
Gehirns statt, die eine Grundlage für die weitere Entwicklung ist und sehr
veränderungsresistent gegenüber neuen Einflüssen. Diese nun vorhandene
Basis entwickelt sich dann bis zum achten Lebensjahr weiter. Zu diesem
Zeitpunkt ist dann die Entwicklung des Gehirns größtenteils abgeschlossen.
Jedoch finden in der Pubertät erneut Veränderungen statt, sie bestehen vor
allem
in
der
Abschwächung,
Löschung
oder
Verstärkung
bestimmter
Verbindungen. Das bedeutet, dass das was während der ersten Lebensjahre
bei der Gehirnentwicklung nicht geleistet wird, nicht nachholbar ist.
2.2
Die Entwicklung des Gehirns
Heute besteht die Annahme, dass sowohl die Gene, als auch die Umwelt die
Entwicklung des Gehirns beeinflussen. Nun stellt sich die Frage, in welchem
4
5
Vgl. Wehrmann Tim, Das Wunderorgan, in: Geowissen Nr. 38/2006 S.26/27
Manfred Spitzer, Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule, DVD
5
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Verhältnis die Gene und die Umwelt die Entwicklung des menschlichen Gehirns
beeinflussen: die Anlage-Umwelt-Debatte wird geführt.
Im Kontext dieser Diskussion äußert sich Singer6 folgendermaßen: Bei der
Entstehung des Embryos sind die Gene der Eizelle immer von der Umwelt
umgeben. Wenn die Umwelt Signale abgibt, findet das Auslesen der Gene statt.
Somit findet eine Entwicklung vom Ei zum Organismus statt. Das Ergebnis
dieser Entwicklung ist die Synthese neuer Eiweißmoleküle. Die Eiweißmoleküle
bewirken eine Strukturveränderung und das Auslesen weiterer Gene. Das
molekulare Milieu wird durch die Teilung, Differenzierung und durch den
Informationaustausch der Gene verändert. Dies führt zu verschiedenen
Genexpressionsmustern.
Danach findet ein Prozess statt, der zur Bildung neuerer und komplexerer
Strukturen führt. Jetzt sind besondere Zellen dazu fähig, bloß die Gene
auszulesen,
die
die
Synthese
der
Bausteine
steuern.
Das
ist
ein
charakteristisches Merkmal für die nun entstanden Nervenzellen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Entwicklungen der Zellen von der
Umwelt abhängig sind und von der Umgebung bestimmt und geprägt werden.
Die entstanden Nervenzellen eines Embryos bilden Dendriten und Axone, die
elektrische Signale empfangen und weiterleiten können, um mit anderen
Nervenzellen Kontakt aufzunehmen. Sie bilden lokale Geflechte, damit die
elektrisch aktiven Nervenzellen schnell Informationen austauschen können.
Diese elektrischen Signale, die zwei wichtige Funktionen erfüllen, sind für die
weitere Entwicklung des Nervensystems sehr wichtig.
Ihre erste Funktion ist, dass sie die Basis für informationsverarbeitende
Prozesse sind. Sie werden an den Kontaktstellen der Nervenzellen in
chemische
Signale
umgewandelt,
um
dann
von
den
nachfolgenden
Nervenzellen wieder in elektrische Signale umgewandelt zu werden und somit
für den Informationsaustausch mitverantwortlich zu sein.
Ihre zweite Funktion ist, dass sie auf die Genexpression einwirken. Damit ergibt
sich eine neue Möglichkeit für die Selbstorganisation.
Das Ergebnis ist die Möglichkeit den Informationsaustausch über eine große
Entfernung
zu
organisieren.
Die
Nervenzellen
organisieren
den
Informationsaustausch eigenaktiv. Diese selbst erzeugte Aktivität wird während
der Ausreifung der Sinnesfunktionen von Sinnesreizen modelliert.
Zu dem kommt, dass nun auch außerkörperliche Faktoren auf die
Strukturentwicklung einwirken können.
6
Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S.68-71
6
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Bei der Geburt ist das Nervensystem eines Menschen noch nicht fertig. Es sind
nur die nötigsten Grundlagen ausgebildet. Zu diesem Zeitpunkt bestehen die
wichtigsten Bereiche des Gehirns schon, jedoch sind sie noch nicht miteinander
verbunden.
Ein großer Fortschritt für die Gehirnentwicklung vollzieht sich dann bei der
Geburt: Der Selbstorganisationsprozess wird fortan von den Aktivitätsmustern
bestimmt. Nun können die Sinnesorgane des Babys alle Signale aus der
Umwelt aufnehmen und diese haben Einfluss auf die fortschreitende
Entwicklung des Gehirns.
Der Prozess des Aufbauen und Umbauens von Verbindungen der Nerven
dauert
an.
Besonders
die
Großhirnrinde
wird
von
Erfahrungen
und
Sinnessignalen geprägt. Genetische und nicht genetische Faktoren kooperieren
in einem untrennbaren Wechsel, was dazu führt das zwischen Angeborenem
und Erworbenen nicht direkt unterschieden werden kann.
Ein Beispiel, dass die nicht mögliche Unterscheidung belegt, kommt aus der
Medizin. Neugeborne litten an Augeninfektionen, die sie sich bei der Geburt
zuzogen. Nach kurzer Zeit erblindeten sie. Als die Medizin einen operatorischen
Eingriff möglich machte und die Sehfähigkeit wieder hergestellt werden konnte,
erwarteten die Mediziner, dass das Baby wieder sehen kann, da dem Gehirn ja
nichts
fehlte.
Jedoch
blieben
die
Patienten
blind.
Sie
hatten
zwar
funktionsfähige Augen, jedoch konnten sie mit den nun vorhandenen
Informationen nichts anfangen. Der Grund dafür ist, dass wenn nach der Geburt
bestimmte Signale zu den zugehörenden Entwicklungsphasen ausbleiben,
wichtige Verbindungen als nutzlos interpretiert und irreversibel gemacht
werden.7
Das sich entwickelnde Gehirn verfügt über Bewertungssysteme, die nur
ausgewählten Signalen gestatten, die Entwicklung zu beeinflussen und
überlässt es somit nicht dem Zufall, welche Signale aufgenommen werden.
Diese Bewertungssysteme prüfen welche Aktivitätsmuster Veränderungen der
Verschaltung bewirken dürfen. Sie sind determiniert und genetisch festgelegt.
Zudem gibt es noch einen weiteren Mechanismus, der dafür sorgt das nur
Sinnessignale, die das Resultat einer Interaktion mit der Umwelt sind, Einfluss
auf die Entwicklung nehmen dürfen. Hierbei hat der Organismus die Initiative,
das Selbermachen ist ausschlaggebend und für die Entwicklung unersetzbar.
Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass sich zum Zeitpunkt der
Geburt die meisten Neuronen an dem für sie bestimmten Ort befinden. Nun
beginnt Schritt für Schritt der synaptische Kontakt zu den Nachbarneuronen.
7
Vgl. Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S.70
7
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Von jetzt an spiegeln sich Umwelt- und Alltagserfahrungen in der Veränderung
des neuronalen Netzwerkes. Die Basis für die weitere Entwicklung wird, wie
schon in 2.1 erwähnt, in den ersten Lebensmonaten aufgebaut und in der
Pubertät finden kleine Veränderungen statt. Es entsteht eine für jeden
Menschen einmalige Struktur, die die Grundlage seiner Denk-, Wahrnehmungsund Lernprozesse bildet. Sie prägt ebenso die Persönlichkeit.
Alle Erfahrungen, die einem Kind in der frühen Kindheit ermöglicht werden, sind
ausschlaggebend für das Denkvermögen in seinem ganzen Leben. Erste
Erkenntnisse finden sich in den Arbeiten von Frederic Vester :„Jeder arbeitet in
seinem späteren Leben genau mit denselben Zellen, die er schon als Säugling
entwickelt hatte.“8
Ganz besonders wichtig ist, dass das Kind Erfahrungen selber machen muss,
es muss selbst handeln. Erzieher müssen sich von der Vorstellung
verabschieden, dem Kind etwas beibringen zu können. Jedoch ist das, was ein
Kind aus sich selbst machen kann, abhängig von den Möglichkeiten, die ihm
geboten werden. Dieser wichtige Aspekt soll in Punkt 4 weiter erörtert werden.
2.3
Kritische Phasen
Das Gehirn benötigt verschiedene Informationen aus der Umwelt, um in den
unterschiedlichen Phasen die Entwicklung zu optimieren, weil die Bereiche der
Hirnrinde sich unterschiedlich schnell entwickeln. Die Anregungen müssen zur
rechten Zeit kommen. So wird z.B. die Erstsprache von Kindern mühelos
erlernt, wenn sie während der ersten Lebensjahre, also im richtigen Zeitfenster
erfolgt. Die dann im Schulalter folgende Zweitsprache wird viel schwerer und
mit mehr Aufwand erlernt.9 Das Lernen ist jetzt unter der Kontrolle des
Bewusstseins. Die Zweitsprache erreicht somit nicht das Perfektionsniveau der
Erstsprache, deren Melodie und Akzent sich so intensiv und irreversibel
eingeprägt haben, dass sie den Menschen lebenslang begleiten.
Ein weiteres Beispiel sind die sensiblen Entwicklungsphasen für das Erlernen
motorischer Fähigkeiten, so sollte z.B. das Erlernen von Fahrradfahren in dem
dazu bestimmten Entwicklungsfenster stattfinden. Kindern fällt das Erlernen von
Fahrrad fahren deutlich leichter als Erwachsenen. Ebenso muss das Erlernen
von Musikinstrumenten früh stattfinden, wenn Perfektion erreicht werden will.
Schwer veränderbar sind geschlechtsspezifische und soziale Kompetenzen, die
früh in der Entwicklung eingeprägt wurden. Es ist von Kind zu Kind aufgrund der
8
9
Vester Frederic, Denken, Lernen, Vergessen, S.37
Vgl. Wolf Singer, Was kann ein Mensch wann lernen, S.71
8
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unterschiedlich schnellen Entwicklung des Gehirns und den verschiedenen
Genen unterschiedlich, wann welche kritische Phase stattfindet.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass es kritische Phasen gibt, in denen es
dem kindlichen Gehirn besonders leicht fällt, bestimmte Inhalte zu Erlernen.
Dazu ein Zitat von Wolf Singer : „Die Kleinen stellen stets die Fragen an die
Welt, die ihrer Entwicklung angemessen sind.“10
Das bedeutet, dass es wichtig ist, dass die Kinder in den sensiblen Phasen
genau die Angebote bekommen, die sie benötigen. Darüber hinaus müssen die
Anregungen von den Erziehern und der Umwelt zum rechten Zeitpunkt
kommen. So kann der Erzieher nur durch sorgfältiges Beobachten erkennen,
wonach die Kinder fragen und was sie benötigen. Selbst im Säuglingsalter
können Kinder durch Lachen, Weinen und andere Mimik deutlich machen, was
sie brauchen. Eine weitere Hilfe zur Optimierung der kritischen Phasen ist eine
anregende Umwelt, in der das Kind aus unterschiedlichen Angeboten wählen
kann.
2.4
Die Auswirkungen von Deprivation, Training und Übertraining
Wenn während den kritischen Phasen bestimmte Signale ausbleiben
schrumpfen die Nervenzellen und die Dendriten, die für die Kommunikation mit
anderen Zellen verantwortlich sind, bilden weniger Verzweigungen aus. Dazu
kommt, dass die Zahl der Synapsen die zwischen den Nervenzellen bestehen
stark abnehmen. Ebenso kann sich eine ungenutzte Fläche in der
Großhirnrinde verringern, da sie nicht gebraucht wird und somit überflüssig ist.
Durch intensives Training nehmen die Kontakte zwischen den Nervenzellen zu,
die zuständigen Areale dehnen sich aus und auf die trainierten Inhalte
spezialisieren sich die neuronalen Antworten. „Beim Lernen ändert sich die
Stärke einer synaptischen Verbindung, durch z.B. mehrfaches Wiederholen
einer bestimmten Handlung.“ sagt Manfred Spitzer aus neurowissenschaftlicher
Sicht.11 Dies bestätigt in ähnlicher Weise Frederic Vester: Informationen werden
gut verankert, wenn sie durch Wiederholung und durch emotionale Erlebnisse
das Ultrakurzzeit-, das Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis durchlaufen haben.12
Es ist jedoch nicht klar, ob durch das Training die strukturelle Komplexität über
die Norm hinaus gesteigert wird. Ebenso ist es unklar, ob eine fehlende
Verbindung genetisch bedingt oder durch Umwelteinflüsse ausgelöst wurde. Ein
Kind das z.B. mit fünf Jahren beginnt intensiv Geige zu spielen, kann durch das
intensive Training und durch die positiv bedingten Gene ein Genie im Geige
10
Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S.72
Spitzer Manfred, Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule, DVD
11
9
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spielen werden und das normale Maß weit überschreiten. Es kann jedoch auch
nur die Norm erreichen, weil die Gene nicht für das Erlernen des Geigenspiels
ausgelegt sind.
Im Gegensatz zum Training steht die Deprivation, die Zurückentwicklung
bestimmter Gehirnstrukturen durch den Entzug von Sinneswahrnehmungen.
Deprivation schränkt die optimale Ausbildung der Gehirnstrukturen ein.
„Übertraining und Deprivation gehen oft zusammen, weil Zeitfenster und
Lernfähigkeit begrenzt sind.“13 Beim Übertraining breiten Strukturen sich auf
Kosten anderer Flächen im Gehirn aus, z.B. wenn ein Kind Geige übt, kann es
nicht gleichzeitig lesen. Somit wird es gut Geige spielen können, aber dafür
nicht so gut lesen können.
Die Auseinandersetzung mit den Folgen von Übertraining und Deprivation legt
nahe, dass eine angemessene Erziehung darauf achtet , dass dem Kind
genügend Reize zum Lernen geboten werden, jedoch keine Reizüberflutung
stattfindet. Auch hier gilt wieder, dass das Rechte zur rechten Zeit kommen
muss. Kinder dürfen nicht mit Überangeboten überschüttet werden. Deprivation
muss vermieden werden. Entscheidend ist nicht was ehrgeizige Eltern wollen,
sondern eine Orientierung am Kind, um zu sehen, was das Kind mitbringt und
will.
2.5
Gehirnhälftendominanz– Grundthesen
Die linke und die rechte Gehirnhälfte denken unterschiedlich und übernehmen
verschiedene Aufgaben. Ebenso läuft der Wachstumsprozess der beiden
Gehirnhälften nicht synchron ab.
Jeder Mensch benutzt bei der Verarbeitung von Informationen beide
Gehirnhälften, jedoch wird eine von den beiden Gehirnhälften mehr benutzt.
Manche Menschen benutzen z.B. die rechte Hemisphäre mehr als die linke.
Demnach ist diese auch stärker ausgeprägt und verarbeitet den größten Teil
der Informationen zuerst. Zusammenfassend benutzten linkshirn –oder
rechtshirndominate Kinder also nicht nur die eine Hemisphäre, sondern
bevorzugen sie lediglich. Bei der Hemisphären Benutzung unterscheiden sich
drei Lerntypen. 14
Als visuelle Lerntypen werden Menschen bezeichnet, die sehr gut visualisieren
können und die Informationen in der rechten Hemisphäre verarbeiten.
Menschen, die Gehörtes in der linken Gehirnhälfte verarbeiten, werden als
auditive Lerntypen bezeichnet.
12
13
Vgl. Vester Frederic, Denken, Lernen, Vergessen, S.67
Singer Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen, S. 73
10
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Haptische Lerntypen lernen durch Erfahrungen. Barbara Vitale hat folgendes
herausgefunden: „Ich habe festgestellt, dass diese Menschen entweder
überwiegend rechtshemisphärisch sind oder ständig von der einen Gehirnhälfte
zur anderen wechseln.“15 Die rechte Hirnhälfte spielt bei dem Gefühlserleben
eine wichtigere Rolle als die Linke. In der rechten Gehirnhälfte liegen, aber
auch die sensorischen und motorischen Funktionen, die unsere linke
Körperhälfte
steuern.
Daher
ist
unsere
linke
Gesichtshälfte
oft
ausdrucksstärker.
Vermutungen ergeben, dass die stärker analytischen Fähigkeiten der linken
Gehirnhälfte durch die emotionalen Strukturen der rechten Gehirnhälfte ergänzt
werden. Dies bedeutet aber nicht, dass es eine Gefühlshälfte und eine
Verstandeshälfte gibt. Es sind immer beide Hemisphären mit der Verarbeitung
von Gefühlen beschäftigt, es treten dennoch Unterschiede zwischen den beiden
Hälften auf.
Die linke Gehirnhälfte denkt eher logisch, analysierend, planend, regelgeleitet,
gliedernd und organisierend. Darüber hinaus bevorzugt die linke Gehirnhälfte
die überschaubare Ordnung und speichert und organisiert Informationen. Sie
registriert Einzelheiten und verarbeitet sie nacheinander. Desweiteren denkt sie
linear und zielgerecht, zum Beispiel verknüpft sie Wörter nach grammatischen
Regeln.
Die rechte Gehirnhälfte denkt gefühlsmäßig, spontan, intuitiv, phantasievoll und
kreativ und im Gegensatz zu der linken Gehirnhälfte, die in Begriffen denkt,
denkt die Rechte in Bildern. Sie liebt das Neue, den Zufall sowie das
Ungeordnete und erfasst nicht wie die linke Hälfte die Einzelheiten, sondern das
Ganzheitliche.
Darüber
hinaus
denkt
sie unerwartet,
umkreisend
und
assoziierend, sie verbindet zum Beispiel Worte mit Bildern.
Das menschliche Gehirn behält etwa 10% der Informationen durch das Lesen.
20% behält es durch das Hören wie zum Beispiel lautes Lesen, Vorlesen lassen
oder durch Hörkassetten.
Durch Sehen behält der Mensch 30% des Wissens. Durch Sehen und Hören
werden 50% behalten und durch selber Sagen 80%. Am meisten Wissen
speichern Menschen, wenn sie etwas selber Tun, zum Beispiel durch
Schreiben, Zeichnen, Fühlen, Basteln, Handeln und Bewegung.16
Wichtig ist zu wissen, dass am besten gelernt wird, wenn beide Gehirnhälften
beteiligt sind. Dieses ganzheitlich arbeitende Gehirn braucht also auch
ganzheitliches Lernen.
14
15
Vgl. Meister Vitale Barbara, Lernen kann fantastisch sein, S.5/6
Meister Vitale Barbara, Lernen kann fantastisch sein, S.6
11
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Ganzheitliches Lernen bedeutet, dass die Kinder am Besten mit allen Sinnen
lernen, wobei beide Gehirnhälften aktiv sind. Das heißt Kinder sollen
Lernprozesse erleben, in denen sie mit Sehen, Hören, Sprechen, Riechen,
Schmecken, Bewegung und Fühlen lernen können. Es ist wenig effektiv, wenn
Kinder nur durch Sehen und Hören lernen, wie dies leider oft der Fall ist. Das
sollten besonders Erzieher und Lehrer berücksichtigen und bedenken, dass
Kinder in ihrer Ganzheit in die Schule und in den Kindergarten kommen, nicht
nur mit ihrem Kopf. Charmaine Liebertz meint dazu: „Manch einer würde am
liebsten nur den Kopf in die Schule schicken, aber bedenken sie bitte: immer
kommt das ganze Kind!“17
Darüber hinaus müssen Kinder eigene Erfahrungen und Entdeckungen
machen, sie müssen etwas tun, dass von ihnen ausgeht und wobei sie die
Initiative haben, nur so lernen die Kinder effektiv und mit Spaß. Entdecken,
Erforschen und Erfahren sollten am Anfang des ganzheitlichen Lernprozesses
stehen (vgl. Punkt 3.3). Somit sollten für die Kinder in den Einrichtungen
verschiedene Räume geschaffen werden, in denen sie mit Freude und Neugier
forschen können. Dies könnte z.B. eine Bastelecke, eine Werkstatt, ein Labor,
ein Atelier oder ein Spielgarten sein. Ebenso sollten den Kindern auch
geeignete Inhalte und Lernmittel angeboten werden, die sie verstehen und zu
gebrauchen wissen. Albert Einstein kam zu der Erkenntnis : „Alle Mittel bleiben
nur stumpfe Instrumente, wenn nicht ein lebendiger Geist, sie zu gebrauchen
versteht!“
18
Sinnvoll ist hier, wenn Erzieher Anregungen z.B. in Form von
Projekten geben.
3
Emotionen und Lernen
3.1
Das limbische System
Das limbische System ist die Hirnregion die für das Entstehen, Speichern und
Verarbeiten von Gefühlen im wesentlich verantwortlich ist, hier wird jedes
Ereignis mit Gefühlen verbunden. Es liegt zwischen den beiden Hälften des
Großhirns und ist mit diesen fest verbunden.
Sobald eine neue Nachricht in diese Gefühlszentrale gelangt wird sie direkt
geprüft, ob sie positiv oder negativ, wichtig oder unwichtig ist. Daher spielt das
limbische System beim Lernen eine große Rolle. Bestimmte Teile von ihm sind
für Lern- und Gedächtnisvorgänge verantwortlich. Es sortiert die unwichtigen
Nachrichten aus und verwirft sie.
16
Vgl. Liebertz Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, S.40
Liebertz, Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, S.41
18
Liebertz, Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, S.43
17
12
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Fünf Hinbereiche gehören zum limbischen System, die unser Gefühlsleben auf
verschiedene Weise beeinflussen.19
Der erste Hirnbereich ist der Thalamus. Er interpretiert unsere sinnliche
Wahrnehmung, wie Berührung, Schmerz und Temperatur, jedoch nicht den
Geruchssinn.
Der Hypothalamus ist der zweite Hirnbereiche und sorgt dafür, dass in
Notfällen, wie bei Wut oder Schmerz, der Geist den Körper kontrolliert.
Der Hippokampus verarbeitet und festigt alle Informationen von dem Thalamus
und dem Hypothalamus. Er leitet diese Informationen je nach Bedeutung ins
Lang-
oder
Kurzzeitgedächtnis
weiter.
Der
Basalganglion
steuert
die
feinmotorischen Abläufe unser Augen- und Gesichtsmuskulatur. Der letzte
Hirnbereich ist der Mandelkern. Dieser beschäftigt sich mit der Frage: „Ist die
Nachricht wichtig, positiv oder negativ?“20 Wird diese Frage bejaht, werden
sofort Krisenbotschaften ins ganze Gehirn geschickt. Diese Krisebotschaften
beeinflussen den Lernprozess ungemein.
Erfährt man zum Beispiel in der Kindheit ein negatives Lernerlebnis, wirkt dies
wie eine Blockade. Wenn zum Beispiel ein Kind in der Schule schlecht liest und
von anderen Kindern ausgelacht wird, kann dieses negative Lernerlebnis im
Erwachsenalter immer wieder auftreten. Diese Blockade kann nur mit Hilfe
einer positiven Erfahrung, die das Angsterlebnis auflöst, überwunden werden.
3.2
Das enterische Nervensystem
Es gibt nicht nur ein Gefühlszentrum, sondern das Zusammenspiel von
Darmsignalen und Signalen von des limbischen Systems lässt unsere Gefühle
entstehen.
Jeder Mensch besitzt sozusagen ein Bauchhirn bzw. ein enterisches
Nervensystem (ENS). Im Bauch steuern 100 Millionen Nervenzellen den
Magen, die Speiseröhre und den Dick- und Dünndarm. Darüber hinaus befindet
sich hier das Zentrum unserer Intention. Es hilft dem Gehirn bei Entscheidung,
indem es dem Gehirn signalisiert wann wir Kummer, Wut oder Angst haben. Im
Gehirn werden dann alle Daten und Reaktionen des Bauches gespeichert.21
Das Bauchhirn bringt wichtige Gefühle mit in das Zusammenfließen aller
Gefühle mit ein, welche sich wiederum positiv oder negativ auf das Lernen
auswirken.
19
20
Vgl. Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S. 32
Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S.31
13
Facharbeit
3.3
Leistungskurs Pädagogik 12.2
Antonia Hübers
Bedeutung für Lernprozesse
Fühlen, Denken und Lernen sind miteinander verbunden und beeinflussen sich
gegenseitig. Mit positiven Emotionen funktioniert die Intelligenz gut und ist
bereit sich neue Erfahrungen anzueignen. Wenn jedoch negative Erfahrungen
hinzu stoßen, unterbrechen diese den Prozess des Lernens. Es ist auch so,
dass positive Inhalte besser behalten werden, als negative. Diese, wie zum
Beispiel Angst und Depressionen, blockieren das Gedächtnis.
Es ist jedoch nicht so, dass Gefühle das Denken negativ beeinflussen. Es ist
sogar so, dass erst durch unsere Fähigkeit, Erfahrungen emotional zu
markieren, unser vernünftiges Denken entsteht.22
Darüber hinaus werden oft Erlebnisse, die mit starken Gefühlen verbunden sind
besser gespeichert, als welche die mit weniger Gefühlen verbunden sind. Zum
Beispiel kann sich fast jeder Mensch daran erinnern, was er am 11 September
2001 nachmittags getan hat. Jedoch weiß so gut wie niemand mehr, was er am
11. August 2006 getan hat. Dies hat auch Spitzer untersucht und kommt zu
demselben
Ergebnis:
„Wenn
Emotionen
im
Spiel
sind
ist
der
Speicherungseffekt höher.“23
Das bedeutet für die Pädagogik, dass Lernen mit positiven Emotionen
verbunden sein muss. Kinder müssen Spaß und Freude am Lernen haben,
damit sie effektiv lernen und das Gelernte gut abspeichern. Hierbei ist Lachen
ein ganz wichtiger Aspekt. Wer beim Lernen viel lacht, lernt mehr, da die
Informationen mit einem positiven Gefühl verbunden sind. Lachen und Lernen
sind sozusagen ein „Dreamteam“!
Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass Druck und Belastung beim Lernen
vermieden
werden,
denn
das
verhindert
die
Verknüpfung
der
Aktivierungsmuster. Ebenso tun es Mangel an Anregung und Mangel an
geeigneten Vorbildern. Angst und Depressionen dürfen beim effektiven Lernen
nicht auftreten, da sie eine enorme Blockade sind.
Ein weiterer Aspekt für eine positive Entwicklung ist eine gute Beziehung
zwischen Erzieher und Kind. Die Bindung an den Erzieher und das somit
entstandene Gefühl von Sicherheit ist die Grundlage für die Entwicklung des
Kindes. Die Sicherheit ist für das Lernen sehr wichtig. Nur so hat das Kind den
Mut etwas Neues zu entdecken. Das bedeutet für Erzieher, für das Kind ein
„sicherer Hafen“ sein zu müssen, von dem aus das Kind die Welt entdecken
und erforschen kann. Die Bindungspersonen müssen nicht die Eltern sein, es
können ebenso Erzieher oder Lehrer sein. Sie sollten auch alle ein Vorbild für
21
22
Liebertz Charmaine, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S.36
Liebertz Charmaine, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S39
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Facharbeit
Leistungskurs Pädagogik 12.2
Antonia Hübers
das Kind sein. Die Begeisterungsfähigkeit der Lehrperson ist sehr bedeutsam
für den Lernprozess. Der Hirnforscher Henning Scheich meint: „Vorbilder sind
für das noch unfertige Gehirn als Orientierung enorm wichtig. Und auch
Begeisterung wirkt disziplinierend, man will es dem Vorbild ja recht machen!“24
4.
Bedeutung für die Elementarpädagogik
Nun folgend möchte ich aufzeigen, inwieweit die hier dargestellten neueren
Erkenntnisse sich in der derzeitigen Elementarpädagogik wieder finden.Ich
gehe ein auf das aktuelle Bild vom Kind, Methoden und Inhalte im
Elementarbereich und sich daraus resultierenden Aufgaben von Erziehern.
Die Ergebnisse der Gehirnforschung fanden Eingang in die Arbeit des
Bildungsforschers Hans-Joachim Laewen2526, der zu folgendem Bild vom Kind
kommt: Mit der Geburt beginnt jedes Kind seine persönliche, subjektive Welt im
Gehirn zu konstruieren. Seine Sinnesorgane liefern ihm Material für seine
Konstruktion und zwar in der Form von elektronischen Signalen, die vom
Zentralsystem verarbeitet werden. Sie erhalten diese Signale , indem das Kind
sie mithilfe seiner Emotionen deutet und bewertet (Vgl. Punkt 3). Nur durch
eigene Aktivität kann das Kind sein Bild über die Bedeutung der Dinge
konstruieren. Dabei ist es kein Abbild der vorhandenen Welt, sondern eine
subjektive Neuschöpfung. Bildung ist immer Selbstbildung, die jedoch in einem
vorgebenden sozialen Rahmen stattfindet. Indem sich Kinder mit Erwachsenen
und
anderen
Kindern
austauschen,
objektivieren
sie
ihre
persönliche
Weltdeutung. Besonders um die Regeln des sozialen Umgangs miteinander
konstruieren zu können, brauchen Kinder andere Menschen. Kinder brauchen
besonders Kinder, damit sie Kontakt unter Gleichen haben und sie sich durch
Ausprobieren Wissen über sich selbst aneignen können. Dieser Prozess wird
als Kokonstruktion bezeichnet.
Die Grundlage für Bildung als Selbstbildung ist die wechselseitige Anerkennung
in Form von Bindungsbeziehungen, die jedes Kind aufbaut. Dabei sind Eltern
wichtige Bindungspersonen, es können jedoch auch die Erzieher im
Kindergarten sein. Laewen versteht unter Erziehung die Tätigkeit des
Erwachsenen und unter Bildung die Selbsttätigkeit des Kindes. Verknüpfen
kann man beides durch drei Formen:
•
Gestaltung der Umwelt des Kindes
•
Beantwortung und Erweiterung der Bildungsbewegungen des Kindes
23
Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung, S. 39
Charmaine Liebertz, Das Schatzbuch der Herzensbildung in S.38
25
Vgl. Hans-Joachim Laewen, Künstler, Forscher, Konstrukteure, S. 33-70
24
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Facharbeit
Leistungskurs Pädagogik 12.2
•
Antonia Hübers
die Zumutung von Bildungsthemen an das Kind
Auch Schäfer27 geht davon aus, das jedes Kind von Anfang an und mit hoher
Eigenmotivation sich aktiv tätig ein Bild von sich und der Welt aufbaut. Sowohl
Schäfer als auch Laewen stützen diese Annahme mit Erkenntnissen aus der
Hirnforschung, die zeigen das Kinder sozusagen über vorinstallierte Methoden
der Wahrnehmungsstrukturierung verfügen, die ihnen helfen ihr Weltbild zu
konstruieren (vgl. Punkt 2). Schäfer sagt28, dass wir unser Bild vom Kind ändern
müssen. Kinder sind nicht defizitär und Erwachsene müssen ihnen etwas
beibringen. Kinder sind von Anfang an fähig ihre Um- und Mitwelt zu erforschen
und Antworten auf ihre Fragen zu finden. Sie sind die Akteure ihrer Entwicklung
und brauchen dabei die Unterstützung der Erwachsenen, die an ihren Stärken
anknüpfen sollte. Erziehung muss sich am Kind und seinen Tätigkeiten
orientieren. Für ihn umfasst Bildung in den ersten drei Lebensjahren besonders
die Bildung der Sinne, der Fantasie, der Symbol- und Sprachwelt und der
zwischenmenschlichen Beziehungen. Bis zum sechsten Lebensjahr gewinnen
die Bereiche der ästhetischen Bildung, der Kultur und Sprache und der Natur
zunehmend an Bedeutung. Diese Gedanken fanden Eingang in die gültigen
Bildungsvereinbarungen NRW.29
Hier finden sich verbindliche Inhalte und Methoden für die Arbeit in
Kindertageseinrichtungen.
Inhaltlich
beziehen
sich
diese
auf
die
Bildungsbereiche Bewegung, Spielen, Gestalten und Medien, Sprache und
Natur und kulturelle Umwelt.
Methodisch wird ein Vorgehen favorisiert, das direkt von den Bedürfnissen des
Kindes ausgeht. Erzieher lernen professionelle Beobachtungsverfahren, um zu
erkennen, wo das Kind sich in seiner Entwicklung befindet, um dann
Anregungen, z.B. in Form von pädagogischen Angeboten und Projekten zu
erstellen, die dem Kind ein Lernen durch Handeln ermöglichen. Kinder sollen
auch an Planungen mitbeteiligt sein, um ihnen größtmögliche Aktivität zu
gewähren. Der Raum gilt als dritter Erzieher, d.h. die Gestaltung der Räume
ermöglicht dem Kind Erlebnisse und neue Erfahrungen. Im sozialen Miteinander
erhalten die Kinder Gelegenheit für Kokonstruktionen. Die Erzieherin ist in der
Rolle der Begleiterin des Kindes, die ihm durch o.g. pädagogisches Handeln
eine optimale Förderung durch Eigentätigkeit ermöglicht. In einer solchen
Einrichtung ist meines Erachtens ein hirngerechtes Lernen möglich. Es muss
26
Das hier dargestellte Bild vom Kind hat auch seine Grundlagen in Erkenntnissen der
Säuglingsforschung und Resilienzforschung, die hier jedoch nicht dargestellt werden können.
27
Vgl. Schäfer Gerd, Bildungsprozesse im Kindesalter, S.17-33
28
Vgl. Schäfer Gerd, Bildungsprozesse im Kindesalter, S.17-33
29
Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW (Hrsg), Bildunsvereinbarung
NRW, Düsseldorf, 2003
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Facharbeit
Leistungskurs Pädagogik 12.2
Antonia Hübers
jedoch bedacht werden, dass diese Idealvorstellungen sich nur verwirklichen
lassen,
wenn
strukturelle
Qualitätsaspekte
wie
Gruppengröße,
Betreuungsschlüssel und Qualifikationen der Fachkräfte stimmig sind.
5.
Resumée: Auf den Anfang kommt es an
Die neuen Erkenntnisse in der Hirnforschung belegen, die prägende Bedeutung
der frühen Kindheit und zeigen, dass wir Kinder individuell und ganzheitlich
fördern müssen, mit allen ihren Anlagen, Bedürfnissen, Interessen, ihren
Gefühlen und besonders mit allen Sinnen. Die passende, individuelle Anregung
muss zur rechten Zeit kommen, als Voraussetzung ist eine intensive
Beobachtung kindlichen Verhaltens notwendig.
Bezugnehmend auf die in der Einleitung erwähnte Chancenlosigkeit vieler
Jugendlicher heute und in der von der PISA- Studie belegten Bildungsmisere,
halte ich es vor dem Hintergrund, der in dieser Arbeit dargestellten
Erkenntnisse für absolut erforderlich der frühkindlichen Förderung einen viel
höhern Stellenwert einzuräumen. Je mehr neuronale Schaltungen wir im
kindlichen Hirn dann aktivieren, umso intensiver legen wir Grundlagen für ein
weitgehendes und vernetztes Denkvermögen im gesamten Leben
Eltern tragen für die Erziehung ihrer Kinder die vorrangige Verantwortung.
Einen von den Eltern übertragenden Erziehungs- und Bildungsauftrag erfüllen
die Tageseinrichtungen. Meiner Meinung nach sollte allen Eltern die Möglichkeit
gegeben werden, ihre Kinder von Anfang an in Kindertagesstätten zu geben,
damit diese optimal gefördert werden können. Eltern haben meist kein
professionelles Erziehungswissen, sie erziehen ihre Kinder häufig so, wie sie
selbst erzogen worden sind und wiederholen eventuell die gleichen Fehler.
Auch wissen Eltern oft nicht auf neue Anforderungen, wie sie sich z.B. aus der
Mediennutzung oder mangelnden Bewegungsmöglichkeiten ergeben, zu
reagieren. Kindertageseinrichtungen könnten auch Orte zur Weiterbildung der
Eltern sein.
Andererseits müssen Kindertagesstätten bedenken, dass Kinder Bindung als
Grundlage
der
Entwicklung
brauchen.
Erzieher
müssen
sich
als
Bindungspersonen zur Verfügung stellen. Eingewöhnungsphasen müssen
dementsprechend gestaltet werden. Zusammenarbeit und ständiger Austausch
zwischen
Eltern
und
Erziehern
ist
wichtig.
Darüberhinaus
brauchen
Kindertagesstätten gute personelle und räumliche Bedingungen, sowie kleine
Gruppen.
Der Umfang in dem Plätze in Kindertageseinrichtungen zur Verfügung stehen
und die qualitative Ausstattung der Einrichtungen ist abhängig von politischen
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Facharbeit
Leistungskurs Pädagogik 12.2
Antonia Hübers
Entscheidungen. Die aktuelle Entscheidung auf einen weiteren Ausbau des
Platzangebotes zu verzichten, sehe ich sehr kritisch, denn eine Förderung, die
in der frühen Kindheit versäumt wird, ist nicht nachholbar.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass das Anfertigen dieser Facharbeit
für mich sehr anspruchsvoll und zeitintensiv war. Besonders schwer fiel mir, die
komplexen theoretischen Ausführungen inhaltlich zu reduzieren und sprachlich
präzise zu formulieren. Doch denke ich, dass ich viel dazu gelernt habe und
dass es mir gut gelungen ist die Fragen, die ich mir eingangs gestellt habe zu
beantworten und mir ein komplexes Thema eigenständig zu bearbeiten.
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Leistungskurs Pädagogik 12.2
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Literaturverzeichnis
Hurrelmann Klaus, Die 14. Shell-Jugendstudie, in 15.europäischer Aus- und
Weiterbildungskongress, Westdeutscher Handwerkskammertag (Hrsg.), Düsseldorf,
2006, S.23
Wehrmann, Tim, Das Wunderorgan, in: Geowissen Nr. 38/2006 S.26/27
Hartmut Kasten, Die Bedeutung der ersten Lebensjahre, in Elementarpädagogik nach
PISA, hrsg. von Fthenakis, Wassilios E., Freiburg im Breisgau, 22003, S.57
Singer, Wolf, Was kann ein Mensch wann lernen?, in Elementarpädagogik nach PISA,
hrsg. von Fthenakis, Wassilios E., Freiburg im Breisgau, 22003, Seite 67-75
Laewen, Hans-Joachim, Was Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen
bedeuten können, in Forscher, Künstler, Konstrukteure, hrsg. von Laewen, HansJoachim; Andres, Beate, Berlin, 2002, Seite 33-70
Schäfer, Gerd, Bildungsprozesse im Kindesalter, München, 22001, S. 17-33
Vester, Frederic, Denken, Lernen, Vergessen, München, 261999
Liebertz, Charmaine, Das Schatzbuch ganzheitlichen Lernens, München,61999
Meister Vitale, Barbara, Lernen kann fantastisch sein, Berlin, 1988
Ministerium
für
Schule,
Jugend
und
Kinder
des
Landes
NRW(Hrsg.),
Bildungsvereinbarung NRW, Düsseldorf, 2003
Spitzer Manfred, 2006, Erfolgreich lernen in Kindergarten und Schule, Aufzeichnung
eines Vortrages vom 13. Juni 2005, Mülheim/Baden
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Erklärung
Ich erkläre, dass ich die Facharbeit ohne fremde Hilfe angefertigt habe und nur die im
Literaturverzeichnis angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.
25.April 2007 ………………………………………………………
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