Björn Kunter Belarus: Do No Harm

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Björn Kunter Belarus: Do No Harm
Björn Kunter
Belarus: Do No Harm
Forderungen an externe Demokratieförderung
Ausländische Förderer haben in Belarus die Entstehung einer PseudoOpposition unterstützt. Diese orientiert sich nicht an den Bedürfnissen
der Bevölkerung, sondern an den Ideen der Geldgeber. Fehlende Wirkungsanalysen, hierarchische Entscheidungsmechanismen und die Orientierung an Pseudoerfolgen haben die Opposition der Bevölkerung entfremdet. Dies ist eine Ursache für das Scheitern des demokratischen
Aufbruchs. Demokratieförderung von außen bedarf eines bescheideneren, sorgfältigen und selbstreflexiven Stils, um nachhaltige Wirkungen zu
erzielen. Außerdem sollten Lehren aus der gewaltfreien Aktion stärker
berücksichtigt werden.
Ende• der 1990er Jahre erschütterte das Do No Harm-Projekt die Fachwelt.1 Mary B.
Anderson zeigte, daß humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit in Konfliktgebieten die Kriegstreiber unterstützen können und die Bemühungen um Frieden
indirekt oder direkt konterkarieren können. Hatte zuvor die Kritik an der Ineffizienz
in der Entwicklungszusammenarbeit den Kriterien wie Nachhaltigkeit und der eigenen Trägerschaft (ownership) Auftrieb gegeben, wurde nun die Effektivität der Hilfe
an sich in Frage gestellt. Das löste eine Lawine von Evaluationen aus, die seither alle
Entwicklungsprogramme betreffen. Friedens- und Entwicklungsorganisationen entwickelten Verhaltensregeln.2 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) machte Konfliktsensitivität zum Kriterium seiner
gesamten Entwicklungsarbeit.3
An den Geldgebern für eine Demokratisierung in Belarus sind diese Debatten offensichtlich vorbeigegangen. Dies ist bedauerlich und schadet dem eigentlichen Ziel. Es
fehlt an öffentlich zugänglichen und qualifizierten Wirkungsanalysen bisheriger Programme. Negative Effekte der ausländischen Hilfe werden allenfalls hinter vorgehaltener Hand diskutiert, obwohl sie vor Ort unübersehbar sind. Verhaltensregeln für
———
•
Björn Kunter (1970), Geschäftsführer des Bunds für Soziale Verteidigung e.V., Minden,
1998 bis 2005 Redakteur der Belarus-News; 2002 bis 2005 Koordinator des Förderprogramms Belarus der Bundesregierung
1
Mary B. Anderson: Do No Harm: How Aid Can Support Peace – or War. Boulder 1999. –
Siehe auch <www.cdainc.com/dnh/>.
2
International Alert: Code of Conduct. Conflict Transformation Work. London 1998.
3
BMZ: Übersektorales Konzept zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, 2005;
<www.bmz.de/de/themen/dokumente/krisenpraevention.pdf>.
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Geldgeber, um die schlimmsten Schäden zu vermeiden, werden hingegen nicht mal
diskutiert.
Die Idee, Demokratisierung zu fördern, spielte in der klassischen Entwicklungszusammenarbeit und der traditionellen Außenpolitik lange Zeit eine untergeordnete
Rolle. In der Entwicklungszusammenarbeit stand die Armutsbekämpfung im Vordergrund. Dazu kamen der Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen und – noch nicht sehr
lange – die Förderung der Zivilgesellschaft. Dies geschah jedoch stets in Abstimmung
mit der entsprechenden Regierung. Demokratisierung gegen den Willen des betreffenden Staates zu fördern, war mit den Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit kaum möglich. Wenn überhaupt, war dies vor allem Anliegen nichtstaatlicher
Gruppen.
Die Idee einer Demokratisierung gegen den Willen bestehender Regierungen hat mit
der neuen „moralischen Politik“ der Weltgemeinschaft an Aufschwung gewonnen,
nach der diese bei Genoziden und anderen groben Verstößen gegen die Menschenrechte eine „Verpflichtung zum Beschützen“ habe und der Schutz der Menschen höher zu bewerten sei als die Integrität des Staates. Im Falle von Belarus kommt hinzu,
daß Demokratisierung anfangs im Einklang mit den Zielen dieses Staates stand, der
sich in der Pariser Erklärung der KSZE 1990 zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
bekannt und zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet hatte. Entsprechend war
die OSZE in Belarus einer der wichtigsten internationalen Akteure bei der Transformation der belarussischen Gesellschaft, ehe das Lukašėnka-Regime ihre Aktivitäten
2001 einschränkte.4 Zusätzlichen Schub erhielt die Idee der Demokratisierung schließlich mit dem Wechsel der US-amerikanischen Außenpolitik, als Präsident Bush zeitgleich mit dem Angriff auf den Irak eine weltweite Demokratisierungsinitiative ausrief. Nach den „bunten Revolutionen“ in Serbien, Georgien und der Ukraine verstärkte sich der Erwartungsdruck an die Opposition, auch in Belarus den Regimewechsel
herbeizuführen.
Spätestens nach den Präsidentschaftswahlen im März 2006 in Belarus kam der Siegeszug der gewaltfreien Revolutionen jedoch zum Halt und das obwohl westliche
Förderer die belarussische Opposition, anders als in Azerbajdžan,5 seit Jahren systematisch und substantiell unterstützt hatten. Oder sollte die belarussische Revolution
gerade wegen der westlichen Förderung gescheitert sein?
Die Pseudo-Opposition
Seit seinem Machtantritt hat Aljaksandr Lukašėnka Belarus in eine Diktatur verwandelt. Schritt für Schritt wurden alle politisch relevanten Bereiche der Gesellschaft der
Kontrolle des Regimes unterworfen. Nach der Gleichschaltung des Staatsapparats,
dem verfassungswidrigen Referendum von 1996 und der Einführung der präsidialen
Vertikale wurden nichtstaatliche Organisationen entweder von staatlichen Institutio———
4
Hans-Georg Wieck: Demokratieförderung in der Sackgasse. Europa versagt in Belarus, in:
OSTEUROPA, 9/2006, S. 57–72.
5
Das Scheitern der bunten Revolution in Azerbajdžan wurde mit der restriktiven westlichen
Förderung der Opposition erklärt, da die Regierung eine westlich ausgerichtete Pipeline- und
Militärpolitik verfolge. Exemplarisch: Revolutionen. Eine Gebrauchsanleitung, TVDokumentation. Frankreich 2006, Regie: Tania Rakhmanova, in: Arte, 12.7.2006.
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nen übernommen oder in unbedeutende Nischen abgedrängt.6 Dabei greift der Staat
nur in den seltensten Fällen auf offene Verbote zurück. Unbequeme NGOs werden
mit formalen Begründungen aufgelöst, Zeitungen durch Verleumdungsklagen in den
Bankrott getrieben, Verbände gleichgeschaltet.7 Wer sich diesem Druck nicht beugt,
muß mit Entlassungen, Kriminalisierung und Gefängnisstrafen rechnen. Dagegen
scheinen grobschlächtige Formen des Terrors und der Ausschaltung kritischer Stimmen wie 1999 und 2000, als mehrere Angehörige der Opposition beseitigt wurden
oder unter ominösen Umständen ums Leben kamen, nicht mehr angewendet zu werden.8
In diesem politischen Umfeld kann ausländische Hilfe immer nur ein Versuch sein,
staatlichen Druck auszugleichen und faire Bedingungen herzustellen. Ein Grundproblem der belarussischen Opposition ist jedoch ihre Abhängigkeit von ausländischen
Geldgebern. Im Gegensatz zur Ukraine, in der Oligarchen eine aktive Rolle in der
Politik spielen, Parteien und Medien unterstützen, spielen einheimische Finanziers in
Belarus kaum eine Rolle. So kann der einzige relevante belarussische Finanzier, der
Unternehmer Vasilij Leonov, vielleicht einige hunderttausend Euro in oppositionelle
Tätigkeiten investieren, während die USA mit dem Belarus Democracy Act zweistellige Millionenbeträge zur Unterstützung bereitstellen.9 Auch wenn davon ein Großteil
in ausländischen Händen verblieb und der Rest weit gestreut wurde, dürften während
des Wahlkampfes um die Präsidentschaft noch etliche Millionen Dollar direkt bei den
Parteien der belarussischen Koalition 10 Plus zur Unterstützung von Aljaksandr Lu———
6
Einen Überblick bietet das OSTEUROPA-Länderheft: Astrid Sahm, Manfred Sapper, Volker
Weichsel (Hg.): Konturen und Kontraste. Belarus sucht sein Gesicht. Berlin 2004 [=
OSTEUROPA, 2/2004]. – David Marples: Diktatur statt Ökologie. Krisenmanagement in Lukašėnkas Belarus, in: Astrid Sahm, Manfred Sapper, Volker Weichsel (Hg.): Tschernobyl.
Vermächtnis und Verpflichtung. Berlin 2006 [= OSTEUROPA, 4/2006], S. 117–129. – Zum
Referendum: Astrid Sahm: Schleichender Staatsstreich in Belarus. Hintergründe und Konsequenzen des Verfassungsreferendums im November 1996, in: OSTEUROPA, 5/1997, S. 475–
487.
7
2002 wurde die Leitung der Föderation der Gewerkschaften ausgetauscht. Der unabhängige
Verband belarussischer Studenten mußte mit dem staatlichen Belarussischen Republikanischen Jugendverband fusionieren. 2005 führte der Versuch, den Verband der Polen in Belarus zu übernehmen, zu einer Spaltung dieser Organisation. Auch die oppositionelle Belarussische Partei der Kommunisten wurde Opfer eines Übernahmeversuchs, als der Staat einen
Vereinigungsparteitag mit der staatstragenden Kommunistischen Partei von Belarus inszenierte. Vgl. Astrid Sahm: Verstaatlichung der Gewerkschaften? In Belarus-News, 18/2002,
S. 7. – Astrid Sahm: Neuer Gewerkschaftschef im Amt bestätigt, in: Belarus-News, 19/2002,
S. 8. – Marjana Dunzewa: Der Jugendverband im Dienst der Exekutive“, ebd. S. 9–11. –
Alexej Kriwolap: Konflikte um die polnische Minderheit, in Belarus-News, 29/2005, S. 4–5.
– Martin Schön: „Oppositionelle Kommunisten vor dem Aus“, in: Belarus-Perspektiven,
34/2006, S. 9.
8
Markus Wehner: Die Verschwundenen von Minsk. Gab es eine Todesschwadron in Weißrußland, in: OSTEUROPA, 8/2001, S. 968–975.
9
Im Entwurf des Belarus Democracy Act von 2003 waren bis zu 40 Millionen US-Dollar für
zwei Haushaltsjahre vorgesehen. Bei der Verabschiedung im Oktober 2004 wurde keine
Summe festgelegt; <http://www.house.gov/chrissmith/laws/HR854.htm>. Im Entwurf für
den Belarus Democracy Reauthorization Act sind für die Haushaltsjahre 2007/08 40 Millionen Dollar für die Förderung der Opposition in Belarus und 15 Millionen Dollar für Radiound Fernsehausstrahlungen nach Belarus vorgesehen. Belapan, 19.92006;
<http://belapan.by/en/news/50008.html>.
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kašėnkas Gegenkandidaten Aljaksandr Milinkevič gelandet sein. Auch der andere
Kandidat, Aljaksandr Kosulin, konnte kaum belarussische Mittel einwerben.
Die daraus resultierende Abhängigkeit der Opposition ist existenziell, insbesondere da
der Kreis von Geldgebern für politische Parteien und Bewegungen, im Vergleich zu
Nichtregierungsorganisationen relativ klein ist. Eine Handvoll US-amerikanischer
Stiftungen unter Koordination der United States Agency for international Development (USAID), ergänzt nur durch kleinere Beträge europäischer Regierungen, dominieren den Markt. Bei dieser Dominanz ist die Gefahr groß, daß Anregungen der
Geldgeber als Befehle mißverstanden werden oder die ausländischen Akteure die
Strategie der Opposition diktieren können. So läßt sich heute nicht mehr nachvollziehen, von wem die Idee einer vereinigten Opposition gegen Lukašėnka ursprünglich
ausging. Doch war deutlich zu erkennen, daß USAID andere Aktivitäten nicht unterstützt hätte, ein Ausscheren aus der Koalition für die jeweilige Gruppe also den Zugang zu den wichtigsten Ressourcen verschließen würde. Gefährlicher noch als eine
mögliche Dominanz der Ausländer bei der Entwicklung der Oppositionsstrategie ist
jedoch, daß das politische Schicksal der Oppositionspolitiker weniger von ihrer Anerkennung in der Bevölkerung als vom Eindruck beim Geldgeber abhängt. Da die
Geldgeber zudem die Arbeit der Opposition nur schlecht kontrollieren können, ist in
den letzten Jahren der Schein wichtiger geworden als das Sein. Anstatt tatsächlich mit
der Bevölkerung Oppositionsarbeit zu leisten, tun Oppositionelle zu häufig nur so, als
ob sie arbeiten würden.
Während die Oppositionsspitzen durch Europa und die USA reisen und Unterstützung
für ihre Politik einwerben, gelingt es der Opposition vor Ort nicht, dauerhafte Beziehungen zur Bevölkerung herzustellen. Parteileitungen akquirieren bei Stiftungen
Mittel für neue Kampagnen und beauftragen ihre Unterabteilungen, diese umzusetzen.
Damit sind diese Untergliederungen strukturell überfordert. Die Aktivisten bewegen
sich fast nur in den eigenen Kreisen und lassen sich in Seminaren für immer neue
Kampagnen mit identischen Inhalten schulen. Flugblätter und Zeitungen stapeln sich
in den Parteizentralen, bis sie entsorgt werden, um Platz für neues Material zu schaffen. Viele Kampagnen finden nur noch im Internet oder als Ankündigung der Parteioberen statt, ohne jemals umgesetzt zu werden. Die Opposition degeneriert so zu
einer virtuellen Opposition.
Die hier beschriebenen Zustände sind weder neu noch geheim. Doch wieso fließen die
Gelder immer noch? Hierfür gibt es viele Gründe:
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Die staatliche Repression bietet gute Entschuldigungen. Denn je stärker und
brutaler das Regime in der Öffentlichkeit dargestellt wird, um so mehr steigt
das Verständnis für die schwache Durchführung von Projekten und nichterreichte Ziele.
Die Projektpartner haben kein Interesse an Evaluationen. Ausländische Programmleiter und belarussische Durchführende haben gemeinsame Interessen.
Sie wollen Erfolge (oder wenigstens gute Entschuldigungen, falls sie ausbleiben), und sie wollen neue Projekte durchführen. Daher haben sie ein gemeinsames Interesse an einer guten Präsentation der inländischen Partner.
Schwächen werden im Zweifelsfall eher verdeckt oder als Problem präsen-
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tiert, das mit dem nächsten Projekt, durch neue Schulungen etc., behoben
werden wird.
Die Geldgeber haben nur eingeschränktes Interesse an Belarus. Außenpolitisch ist das Land zu unwichtig und Rußland zu wichtig, als daß BelarusProgramme in den Außenministerien und parlamentarischen Gremien politisches Gewicht entfalten könnten. Entwicklungsministerien und einschlägige
Gremien konzentrieren sich auf traditionelle Empfängerländer oder solche,
in denen sie ihre erprobten Instrumente mit Zustimmung der Regierungen
einsetzen können. Wichtiger als die Resultate in Belarus ist den Geldgebern
im Normalfall die Aufrechterhaltung des guten Scheins gegenüber ihren inländischen Pressure Groups aus Parlamentariern und Lobbyisten aus Stiftungen oder NGOs.
Es fehlt an Kontrollmechanismen. Vom Ausland aus Projekte zu evaluieren,
ist immer problematisch. In Belarus wird dies zusätzlich erschwert, da die
meisten Vertretungen ausländischer Stiftungen inzwischen verboten wurden
und deren Repräsentanten Einreiseverbote erhalten haben. Da das belarussische Regime inzwischen oppositionelle Tätigkeit unterschiedlicher Form und
deren Finanzierung verbietet, entsteht das Dilemma, daß viele Informationen
strafrechtliche Relevanz haben (können) und zum Schutz der lokalen Partner
nicht übermittelt werden können. Übliche Kontrollmechanismen wie etwa
Quittungen durch belarussische Finanzbehörden überprüfen zu lassen, kommen insofern nicht in Betracht. Mitunter erhalten Geldgeber, die etwa den
Druck von Material unterstützt haben, das hunderttausendfach verteilt worden sein soll, nur eine leicht zu fälschende Quittung und ein Belegexemplar,
ohne zu wissen, ob das Material wirklich gedruckt, an die Gruppen gegeben,
von diesen verteilt und von der Bevölkerung gelesen wurde – von der Wirkung ganz zu schweigen.
Es gibt hingegen eine Reihe intelligenter Kontrollinstrumente, um die Wirksamkeit
von Programmen zur Unterstützung der Opposition zu evaluieren. So läßt sich die
Verteilung und Wirkung von Materialien durch telefonische Befragungen und andere
Elemente zuverlässig nachweisen. Unabhängige Meinungsforschungsinstitute können
beauftragt werden, die Popularität verteilter Materialien und oppositioneller Ideen zu
beobachten. Die beteiligten Gruppen sollten darin unterstützt werden, eigene Wirkungen zu erfassen und Selbstkontrollen einzuführen. Bei Evaluationen durch externe
Gutachter sollten die lokalen Partner auch über die Ergebnisse informiert werden.
Positive Ergebnisse sollten gewürdigt, aber negative auch besprochen werden, um
Mißstände erklären und beheben zu können.
Probleme des Ressourcentransfers
Die Kontrolle soll an dieser Stelle nicht überbetont werden. Korruption stellt zwar
tatsächlich einen zentralen Vorwurf der staatlichen Propaganda gegen die Opposition
dar. Auch täten die Geldgeber gut daran, materielle Verführungen zu reduzieren.
Doch auch ohne Diebstahl oder Unterschlagung trägt die derzeitige Förderpraxis zur
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Entfremdung zwischen Opposition und Bevölkerung bei. Denn die Honorare für
NGO-Mitarbeiter und politische Aktivisten sind schon jetzt so hoch, daß die Bevölkerung mindestens Neid empfindet und in der Regel Korruption auch dann vermutet,
wenn „nur“ die regulären Einkommen gezahlt werden. So zahlte die Soros-Stiftung
Anfang der 1990er Jahre selbst Mitarbeitern, die über keine andere Qualifikation
verfügten als Englisch zu sprechen, Honorare, welche die landesüblichen Gehälter
von Professoren, Parlamentsabgeordneten oder in Wirtschaftsunternehmen bei weitem überstiegen. Soros war kein Einzelfall und auch heute noch liegen die Gehälter
bei NGOs und Oppositionsparteien meist über belarussischen Gehältern für vergleichbare Tätigkeiten. Infolge dessen sind viele Vertreter oppositioneller Parteien
keine Graswurzelaktivisten, sondern gehören zu den Besserverdienenden, denen Lukašėnka seinen „bescheidenen Lebensstil“ gegenüberstellt.
Neben dem negativen Image in der Bevölkerung führen die ausländischen Gelder
auch zu einer Verzerrung der „Marktpreise“ für politische Tätigkeiten. So erhielten
die Sammler von Unterschriften für die Präsidentschaftskandidaten Kozulin und Milinkevič je nach Gebiet zwischen 50 Cent und einem US-Dollar pro Unterschrift.
Unterschriften zu sammeln, Flugblätter und Zeitungen zu verteilen oder an Seminaren
und Schulungen teilzunehmen, sind jedoch typischerweise freiwillige Tätigkeiten
politischer Aktivisten. Wenn diese bezahlt werden, gefährdet dies zum einen die
Nachhaltigkeit des politischen Engagements, wenn die Gelder eines Tages nicht mehr
fließen und keine Freiwilligen da sind. Zum anderen entwertet es das politische Engagement in den Augen der Bevölkerung, die natürlich wahrnimmt, ob ihr Freiwillige
oder bezahlte Kräfte gegenüberstehen. Wer von bezahlten Kräften für die politische
Arbeit geworben wird, mag zwar eher bereit sein sich zu engagieren, aber nur solange
er ebenfalls bezahlt wird. Die Größe und Stabilität einer politischen Bewegung wäre
dann begrenzt auf das Volumen der bereitstehenden Ressourcen. Last but not least
beeinträchtigt es auch die Arbeit derjenigen oppositionellen Gruppen, die solche Honorare nicht zahlen können oder wollen.
Probleme ethischer Implikationen
Die Erfahrungen aus dem Do No Harm-Projekt lehren uns, auf die ethischen Implikationen auswärtiger Hilfe zu achten. Welche Werte werden transportiert, wenn wir so
handeln, wie wir handeln? Ist unsere Hilfe und die Art unserer Hilfeleistung demokratisch, oder widerspricht sie den angestrebten Zielen? Auch hier lassen sich am Beispiel der Demokratieförderung in Belarus Werte und Umgangsformen benennen, die
einer effektiven Demokratisierung im Wege stehen.
Wer zahlt, bestimmt
Alle wichtigen strategischen Entscheidungen der vereinigten Opposition der letzten
Jahre entstanden in enger Absprache mit den (zumeist amerikanischen) Geldgebern.
Was sich gut anhört, läuft darauf hinaus, daß sich nur die Strategien durchsetzen
konnten, welche die Zustimmung der Geldgeber fanden. Sobald eine Strategie wie die
Wahl eines gemeinsamen Kandidaten oder der Versuch einer „bunten Revolution“
von den Geldgebern akzeptiert oder von ihnen gar initiiert wurde, werden konkurrie-
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rende Ideen und Gruppen nicht mehr gefördert. Entsprechend setzen sich in der belarussischen Opposition die Gruppen durch, die den besten Kontakt zu den Geldgebern
aufbauen können.
Die Opposition ist hilflos
Angesichts fehlender Erfolge läßt sich die Bereitstellung weiterer Mittel vor allem mit
den Opfern der Repression begründen. Die Berichterstattung über die Opfer in ausländischen Medien wird so zu einer entscheidenden Ressource für die Opposition und
die ausländischen Programmleiter. Dadurch werden die existierenden Möglichkeiten
der Opposition, sich gegen Machtwillkür zu wehren, systematisch übersehen, auch
weil sie nicht in das Bild von der „letzten Diktatur Europas“ passen. De facto ist die
Opposition jedoch nicht so hilflos. So gelang es den Anwälten der Vitebsker Stadtratsabgeordneten Olga Karač vor Gericht, das Recht auf die Verteilung unabhängiger
Informationen durchzusetzen, beschlagnahmte Flugblätter wieder zurückzuerhalten,
Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte einzuleiten und die Wiedereinstellung
entlassener Aktivisten einzuklagen.10
Die Opposition kann nichts
Der Verzicht, die Wirkung der geförderten Programme zu überprüfen, hilft nicht nur,
mögliche Schwachstellen zu verdecken. Es führt auch dazu, die Stärken und kleinen
Erfolge der Opposition nicht wahrzunehmen. So hat sich das Bild einer Opposition
verfestigt, die von Niederlage zu Niederlage schreitet und über zehn Prozent Unterstützung in der Bevölkerung nicht hinauskommt. Obwohl die ausländischen Förderer
daran mitverantwortlich sind, wird die Verantwortung allein der belarussischen Opposition angelastet. Daher übernehmen Ausländer zunehmend die strategische Initiative. Mit der Förderung von Radiosendern und Fernsehstationen rund um Belarus hat
die EU Instrumente geschaffen, um über die Köpfe der Opposition auf die öffentliche
Meinung in Belarus einwirken zu können. Die politische Wirkung des Projektes ist
äußerst gering.11 Sarkastisch ließe sich kommentieren, daß die europäischen Staaten
damit zumindest ein millionenschweres Alibiprojekt haben, das den Willen der EU
unterstreicht, die Demokratisierung in Belarus zu fördern, wenig diplomatische Reibungsfläche bietet und fast ganz ohne die Opposition in Belarus auskommt.
———
10
Nach einer Übersicht der 68 Gerichtsverfahren zwischen Oktober 2005 und Juni 2006 von
und gegen Aktivisten von Naš Dom (Unser Haus) wurde die Hälfte dieser Verfahren gewonnen; <www.nash-dom.info>.
11
Olga Karač führt an, daß in der Sowjetunion unabhängige Nachrichten eine Kostbarkeit
waren, für die sich die Menschen abends vor ihre Kurzwellenempfänger setzten, um Radio
Svoboda zu hören. Heute interessieren sich gerade mal 0,3 Prozent der belarussischen Wähler für Radio Svoboda. Der polnische Sender Radio Razzia stellte vor einigen Jahren sein
Programm aus mangelndem Interesse der Hörer sogar ganz ein. Die belarussische Bevölkerung hat über Internet durchaus Zugang zu unabhängigen Informationen, nutzt diese aber
kaum. Das ganze Projekt gehe am Bedarf der Belarussen vorbei und sei nicht mehr als ein
großes Grab für Fördergelder, die aus politischem Aktionismus verschwendet würden; Olga
Karatsch: Es fehlen nicht die Sender, nur die Hörer, in: Belarus-News, 30/2005, S. 3.
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Demokratieförderung konzentriert sich auf Regimewechsel
Die ausländische Hilfe fließt vor allem im Vorfeld von Präsidentschaftswahlen nach
Belarus. In dieser Zeit gibt es tendenziell unbegrenzte Mittel, die jedoch nach den
Wahlen relativ schnell versiegen.
Effizienz ist wichtiger als die innerparteiliche Demokratie
Die Kontakte zwischen Geldgebern und Parteien sind üblicherweise auf einen kleinen
Kreis von Personen beschränkt. Eine Handvoll Parteiführer und leitende Kader reisen
ins Ausland und organisieren über notwendigerweise geheime Kanäle die Geldflüsse
in die Parteien. Dadurch werden die hierarchischen Strukturen der belarussischen
Parteien stabilisiert und die innerparteiliche Demokratie geschwächt, weil wichtige
Entscheidungen nicht parteiöffentlich, sondern hinter verschlossenen Türen getroffen
werden.
Zudem fällt auf, daß die geförderten politischen Kampagnen meistens nach militärisch-bürokratischem Muster mit langen hierarchischen Befehlsketten von oben nach
unten organisiert wurden, was die ohnehin zentralistischen, auf Minsk fixierten Parteistrukturen festigt. Förderprogramme, die den Austausch und gegenseitige Besuche
von Aktiven aus verschiedenen Regionen fördern, sind die Ausnahme. Obwohl interregionale Mobilität in Belarus billig und leicht zu organisieren wäre, unterstützten die
ausländischen Geldgeber den Aufbau einer oppositionellen Vertikale, die der vielgeschmähten präsidialen Vertikale nur allzu ähnlich sieht.
Das Desaster der farbigen Revolution in Belarus
Vor den Präsidentschaftswahlen 2006 gewann die ausländische Förderung noch einmal an Schwung, nachdem mit den bunten Revolutionen in Georgien und der Ukraine
ein neues Muster entstanden war, das eine „Gebrauchsanleitung für Revolutionen“ zu
sein schien und schnelle Erfolge versprach. Diese „Gebrauchsanleitung“ bezog sich
zu großen Teilen auf die Arbeiten von Gene Sharp, der seit den 1960er Jahren Beispiele gewaltfreier Aktionen aus Befreiungsbewegungen gesammelt und systematisiert hatte, um politische Akteure von der Kraft der Gewaltfreiheit zu überzeugen und
so eine Alternative zur gewaltsamen Auseinandersetzung zu schaffen.12 Bei dem Versuch, diese Lehren aus der gewaltfreien Aktion umzusetzen, zeigten sich in Belarus
jedoch erhebliche Mängel – wie zuvor in Serbien, Georgien und der Ukraine.
Gewaltfreier Widerstand und externe Demokratieförderung
Zwischen gewaltfreiem Widerstand von unten und externer Demokratieförderung
besteht ein Spannungsverhältnis. Die gewaltfreie Methodik wurde in asymmetrischen
———
12
Gene Sharp: The Politics of Nonviolent Action. Boston 1973. – Gene Sharp: From Dictatorship to Democracy. Boston 1993. Dieses Buch liegt in 21 Sprachen vor, auch in Russisch
und Belarussisch; <www.aeinstein.org/organizations98ce.html>. Einen ähnlichen Ansatz
wie Gene Sharp verfolgen Peter Ackerman, Jack DuVall: A Force More Powerful: A Century of Nonviolent Conflict. New York 2000.
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Konflikten entwickelt, um die Schwachen zu stärken. Viel spricht dafür, daß gerade
die offensichtliche Schwäche der Akteure und ihre Bereitschaft, persönliche Nachteile
und Leiden in Kauf zu nehmen eine Stärke des gewaltfreien Ansatzes ist, wahrscheinlich weil den Akteuren dadurch moralische Integrität und Vertrauenswürdigkeit unterstellt wird. Wird hinter den oppositionellen Akteuren dagegen eine starke ausländische Unterstützung vermutet, geht dieser Moment verloren.
Der Einfluß externer Förderung wurde überschätzt
Bei der Analyse der Orangen Revolution in der Ukraine wurde darauf hingewiesen,
daß der Einfluß der ausländischen Förderung und der NGOs bei weitem weniger
entscheidend für den Erfolg des Umsturzes war als vielmehr innere Stärken der Oppositionsbewegung wie starke Parteien, inländische Finanzierung und relativ freie
Medien.13 Einer bunten Revolution in Belarus wurden daher keine Erfolgschancen
eingeräumt. Oppositionelle Akteure in und außerhalb von Belarus ließen sich davon
jedoch nicht beirren, sondern vertrauten in ihrer Strategie augenscheinlich auf die
eigenen Allmachtsphantasien.
Einseitige Fokussierung auf Macht reicht nicht aus
Gene Sharps Methodensammlung zielt fast ausschließlich auf die Machtdimension
gewaltfreier Auseinandersetzungen: repressive Macht des politischen Gegners ins
Leere laufen zu lassen, diese auszugleichen oder gegen den Aggressor zurückschlagen
zu lassen. Stellan Vinthagen kritisiert diesen Ansatz als zu eindimensional. Neben der
Machtdimension ginge es bei gewaltfreien Kämpfen auch darum, positive Institutionen aufzubauen, eine positive Utopie zu vermitteln und Dialoge mit dem politischen
Gegner zu führen.14 Gewaltfreie Transformation umfaßt mehr Aspekte, als in den
„bunten Revolutionen“ umgesetzt wurden. Auch in Georgien und der Ukraine fehlten
diese Aspekte weitgehend. Bis heute hat der Regimewechsel keine nachhaltige Demokratisierung nach sich gezogen.
Gewaltfreiheit braucht partizipative und dezentrale Führung
Die oppositionelle Vertikale in Belarus läuft der klassischen Organisation gewaltfreien Widerstands zuwider. Einerseits ist die Eigenverantwortung der Akteure Teil des
emanzipativen Programms und bildet die Grundlage für eine zukünftige demokrati———
13
Vicken Cheterian: Rezeptur für die zweite Revolution. Was aus den Demokratiebewegungen
in Osteuropa und Zentralasien zu lernen wäre, in: Le Monde diplomatique (Berlin), Oktober
2005, S. 8–9. – Yura Chavusov: Revolution in Belarus: Only a civil one. Belarus-Analyses
der Pontis Foundation. Bratislava 2006;
<www.dbg-online.org/doku/literatur/Chavusov_Feduta.pdf>. – Florian Strasser: Zivilgesellschaftliche Einflüsse auf die Orange Revolution. Die gewaltlose Massenbewegung und die
ukrainische Wahlkrise 2004. Stuttgart 2006.
14
Gewaltfreiheit ist ein ganzheitliches Konzept. Die Blockade von Castor-Transporten und der
Ausbau regenerativer Energien sind zwei Seiten einer Medaille. Die belarussische Opposition scheiterte daran, eine positive Utopie nicht aufgezeigt zu haben; vgl. den Vortrag von
Stellan Vinthagen: Nonviolent Action as Social Practice Vortrag am Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung, Hamburg, 7.10.2006.
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sche Teilhabe. Andererseits kann so die Verwundbarkeit der Bewegung reduziert
werden. In Belarus konnte jedoch die gesamte Bewegung enthauptet werden, als in
der Woche vor den Wahlen fast der gesamte Stab Milinkevičs unter fadenscheinigen
Vorwänden verhaftet wurde. So gelang es der hierarchischen Organisation nicht, die
Engagierten an der Basis einzubinden und auf Aktionen vorzubereiten. Eine offene
Kommunikations- und Entscheidungsfindungsstruktur, wie sie Sprecherinnen- und
Sprecherräte der gewaltfreien Bewegung darstellen, die es erlaubt hätte, spontane
Sympathisanten einzubeziehen, fehlte vollständig.
Neue Wege der Demokratisierungsförderung in Belarus
Die Bilanz des Wechselspiels zwischen oppositionellen Parteien in Belarus und ihren
ausländischen Förderern ist nach über zehn Jahren äußerst bescheiden. Der Ruf der
Opposition hat sich in der Bevölkerung in den letzten Jahren weiter verschlechtert.
Selbst die ausländischen Zauberlehrlinge haben kaum noch Zutrauen in ihre belarussischen Partner und auch die Einheit der Opposition, einst mit direkter Unterstützung
der OSZE entstanden, zeigt nach dem revolutionären Abenteuer Risse.
Die ausländischen Förderer sind an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Doch was
könnten sie anders machen? In der EU werden – vom Alibiprojekt der Radiostationen
abgesehen – durchaus erste Schritte in die richtige Richtung unternommen:
1.
2.
3.
Nachdem die EU-Mittel jahrelang durch fehlende Genehmigungen der belarussischen staatlichen Stellen blockiert waren, werden nun immer mehr Mittel für den Einsatz in Belarus freigegeben, indem sie an ausländische Partner
oder auch an offiziell nicht zugelassene Organisationen in Belarus ausgezahlt
werden. Das Modell, das sich in der Förderung sozialer und ökologischer
Projekte bewährt hat, ermöglicht nun, zumindest halbwegs offiziell in Belarus tätig zu sein, da alle Fragen der Zulassung individuell von den belarussischen Partnern gelöst oder in der Kooperation mit ihren ausländischen Partnern umgangen werden können.
Mit der Umwidmung der Mittel zugunsten von relativ kleinteiligen Programmen zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten gewinnt die
EU zugleich eine Vielzahl kleinerer lokaler Partner für ihre Arbeit und macht
sich unabhängig von Parteien und dem offiziellen Status der NGOs, die in
Belarus unter staatlichen Druck geraten und vielfach verboten worden waren. Bei Kleinprojekten von bis zu 5000 Euro kann die EU nun eher auch mit
nichtregistrierten Gruppen zusammenarbeiten. Problematisch ist jedoch, daß
die EU-Kommission bisher keine Strukturen entwickelt hat, um verantwortungsvoll mit kleinen Partnern zu kooperieren und die sinnvolle Verwendung
der Mittel zu überprüfen.
Um die Diskontinuität und Sprunghaftigkeit der EU-Förderung, den ständigen Wechsel von EU-Ansprechpartnern und die Unübersichtlichkeit der EUStrukturen für die belarussischen Partner zu beenden und die EU zum strategischen Umgang mit Belarus und ähnlichen Staaten zu befähigen, hat HansGeorg Wieck vorgeschlagen, einen europäischen Belarus-Beauftragten ein-
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zusetzen.15 Gleichzeitig entwickelten EU-Parlamentarier die Idee, eine Europäische Stiftung für Demokratisierung zu gründen.16 Unklar ist zur Zeit noch,
welches dieser Modelle sich durchsetzen kann oder ob es (nur) zu einer Neuausrichtung der bisherigen TACIS-Strukturen kommt. Auf alle Fälle ist zu
begrüßen, daß die Geberseite kontinuierlich arbeitende Institutionen einrichten will.
Insgesamt aber zeigen sich die EU, die Nachbarstaaten und auch die USamerikanischen Förderer vor allem ratlos. Nach Jahren des Scheiterns ist keine neue
Strategie, kein Masterplan zur Demokratisierung von Belarus mehr zu erkennen. Dies
wiegt umso schwerer, als die rußländische Politik mehr und mehr Elemente des belarussischen Herrschaftssystems übernimmt und die Rede von der letzten Diktatur Europas bald überholt sein könnte. Die Ratlosigkeit der Geldgeber könnte aber auch eine
Chance sein, wenn diese der belarussischen Opposition die Zeit und Ressourcen gibt,
sich neu zu organisieren und eine eigenständige Strategie zu entwickeln.17 Diese Phase birgt aber auch die große Gefahr, daß sich die Förderer nun zurücklehnen und sich
bis auf Alibiprojekte aus der direkten Förderung in Belarus zurückziehen. Dies wäre
der falsche Schritt. Statt dessen ist es dringend notwendig, die Art der Förderung zu
überarbeiten.
Neuer Stil der Demokratieförderung
Aus dem Do No Harm-Projekt können wir lernen: „Entscheidend sind die Details:
Was, warum, wer, von wem, wann, wo und wie“.18 Entsprechend kommt es bei einer
Neuausrichtung der Belarus-Politik vor allem auf eine Änderung des Stils an.
Wirkungen prüfen und belohnen
Dazu ist es notwendig, die Wirkungen gegenwärtiger Projekte zu überprüfen und in
die Planung zukünftiger einzubeziehen. Diese Aufgabe muß vor allem von den belarussischen Partnern geleistet werden. Dann sollte eine belarussische Expertise aufgebaut werden, um Projekte von außen zu evaluieren und zu beraten. Erst an dritter
Stelle käme eventuell die Kontrolle durch ausländische Experten. Um den belarussischen Partnern diese Notwendigkeit glaubhaft zu vermitteln, sollten die ausländischen
Förderer ihr eigenes Handeln daran ausrichten.
En passent könnte so der letztlich von außen nicht kontrollierbare Bereich finanzieller
Ausgaben deutlich verkleinert werden. Es ist nicht notwendig, daß ausländische
Geldgeber kontrollieren, ob jedes Seminar in der belarussischen Provinz auch tatsäch———
15
Wieck, Demokratieförderung [Fn. 4], hier S. 71.
16
David French, Roel von Meijenfeldt: A European Foundation for Partnership through Democracy, 2006; <www.nimd.org/upload/eurodemofoundation.doc>. – Markus Meckel: A
European Foundation for Democracy, in: Joerg Forbrig, David J. Marples, Pavol Demeš:
Prospects of Democracy in Belarus. Washington D.C. 2006, S. 164–169.
17
Alexander Feduta: Why the West is Losing the Belarus Battle? Belarus-Analyses, Pontis
Foundation. Bratislava 2006; <www.dbg-online.org/doku/literatur/Chavusov_Feduta.pdf>.
18
The Seven Lessons of Do No Harm; <http://www.cdainc.com/dnh/the_seven_lessons.php>.
46
Björn Kunter
lich stattgefunden hat. Notwendig ist jedoch, daß die Mitglieder der belarussischen
politischen Parteien das Gefühl zurückgewinnen, daß Gelder ordnungsgemäß ausgeben werden, indem ein klarer Geist der Kontrolle spürbar wird. Dieser sollte jedoch
kein „Geist des Mißtrauens“ sein. Aber erst wenn Wirkungen wahrgenommen und
überprüfbar werden, kann das Vertrauen entstehen, um den lokalen Partnern Vertrauensvorschüsse und freie Hand für die Durchführung zu geben. Selbst bedingungsloses
Vertrauen läßt sich mit Wirkungskontrollen in Eintracht bringen, indem etwa Preisgelder für erfolgreich durchgeführte Projekte vergeben werden. Statt Geld für tolle
Ankündigungen de facto unkonditioniert zu vergeben, könnte so der Nachweis von
Wirkungen mit unkonditionierten Zuwendungen belohnt werden.
Die belarussischen Partner in ihrer Entwicklung ernstnehmen
Damit sich die belarussischen Partner zu effizienten, eigenständigen und demokratischen Oppositionsgruppen entwickeln können, muß die Abhängigkeit von einzelnen
Geldgebern deutlich reduziert werden. Solange keine inländischen Ressourcen zur
Verfügung stehen, um die politische Arbeit zu fördern, sollten die belarussischen
Gruppen ermuntert werden, auf möglichst viele unterschiedliche ausländische Geldgeber zurückzugreifen. Wichtiger noch ist, daß der Zugang zu Geldgebern möglichst
vielen einzelnen Akteuren ermöglicht wird, um den Mißbrauch in innerparteilichen
Machtkämpfen zu verhindern und gleichzeitig auch die Ausschaltung durch gezielte
Zugriffe des Staates zu erschweren.
Inhaltliche Eingriffe in innerparteiliche Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse verbieten sich, doch ausländische Projektpartner sollten darauf achten, daß die
angewandten Verfahren demokratischen Gesichtspunkten genügen, und die demokratische Qualität innerer Entscheidungsfindung regelmäßig beobachten und in ihre
Wertungen miteinbeziehen.
Ausländische Geldgeber sollten die „oppositionelle Vertikale“ aufweichen, indem sie
systematisch Kontakte zu regionalen Entscheidungsträgern aufbauen und die Zentrale
unterstützen, Verantwortung an die regionalen Untergliederungen abzutreten. Die
regionale und personelle Delegation von Verantwortung und Einbindung lokaler und
regionaler Akteure in Entscheidungsprozesse sollten Ziele der Organisationsentwicklung werden.
Den Kontakt zur belarussischen Bevölkerung stärken
Die belarussische Regierung verlangt ihrer Bevölkerung Belastungen ab, die über
kurz oder lang den Widerstand der Bevölkerung hervorrufen könnten. Die populistische Lukašėnka-Diktatur hält sich bislang an der Macht. Da sie die Massenmedien
kontrolliert, kann sie eigene Defizite vertuschen und immer neue ökonomische Fortschritte verkünden, Mängel als „normal und unvermeidlich“ darstellen („in den anderen GUS-Ländern ist alles noch schlimmer“) und den Kampf gegen innere und äußere
Feinde inszenieren (unfähige Bürokraten, die Amerikaner, der Westen und Rußland,
zuletzt die Opposition).
Die Opposition hat ebenfalls erkannt, daß sie mit „Demokratie und Freiheit“ keine
Mehrheiten erreichen kann und spricht seit Jahren davon, Themen wie Kommunale
Belarus: Do No Harm
47
Wohnungswirtschaft und Arbeitsverträge anzugehen, hat diesen Ankündigungen
jedoch keine Taten folgen lassen.
Ausländische Förderprogramme sollten ihre thematischen Schwerpunkte stärker an
den Bedürfnissen der Bevölkerung ausrichten, wie sie zum Beispiel in Meinungsumfragen regelmäßig zuverlässig erhoben werden.19 Zudem sollten sie die oppositionellen Gruppen ermuntern und befähigen, Kontakte mit der Bevölkerung aufzunehmen,
diese einzubinden (Öffentliche Entwicklungsveranstaltungen, Befragungen) und zu
aktivieren (Protestpostkarten, Bürgereingaben und Bürgerbeschwerden).
Protest und Selbstheilungskräfte der Belarussischen Gesellschaft stärken
Ohne Ablenkung durch „Revolutionen“ gewinnen in Belarus konfliktträchtige soziale
Themen wie Wohnungsmangel, steigende Heizkosten, Akte staatlicher Willkür und
Korruption wieder an Aufmerksamkeit. In derartigen Konflikten sind die Bürger eher
bereit, ihre Rechte gegenüber dem Staat in die eigene Hand zu nehmen und die staatliche Bürokratie unter Druck zu setzen. Diese sozialen Konflikte stellen momentan
die größte Bedrohung für das Regime dar. Sie sind zugleich auch die größte Hoffnung
auf eine nachhaltige Demokratisierung und Entwicklung eines Rechtsstaates in Belarus. Dieser Protest ist echt und dem Staat gelingt es immer weniger, die Akteure als
Berufsoppositionelle und ausländische Agenten zu diffamieren. In solchen Konflikten
kann es dann sogar in Belarus diskriminierten religiösen Minderheiten gelingen, ihre
Rechte einzuklagen und die Behörden zu zwingen, die eigenen Gesetze zu befolgen.20
Keine Spekulation auf kurzfristige Erfolge
Sich auf den Regimewechsel zu konzentrieren, ist legitim für die belarussische Opposition, außenstehenden Förderern einer Demokratisierung darf dies jedoch nicht genügen. Ein Zusammenbruch des Regimes ist zwar nicht auszuschließen und mag neue
Spielräume schaffen. Angesichts der Entwicklung in Nachbarstaaten wie Rußland und
der eingeschränkten Integrationskraft der Europäischen Union wird aber auch eine
Nachfolgeregierung mit großer Wahrscheinlichkeit den Weg imitierter Demokratie
fortsetzen. Die an Demokratisierung interessierten Akteure haben einen langen Weg
vor sich, auf dem sie Schritt für Schritt Räume für Bürgerbeteiligung schaffen, Aktivisten besser vor Repression schützen und viele Partner erst noch gewinnen müssen.
Ausländische Geldgeber wären daher gut beraten, ihre Programme nicht auf einen
Regimewechsel, sondern auf nachhaltige Demokratisierung auszurichten.
———
19
Trotz erheblicher Bedrängnis durch den Staat sind die angesehenen unabhängigen Meinungsforschungsinstitute wie das Unabhängige Institut für sozioökonomische und politische
Studien, <www.iiseps.org> oder NOVAK <www.novak.by>, noch in Belarus tätig.
20
Hundert Mitglieder der New Life Church in Minsk waren in einen Hungerstreik getreten, um
die Enteignung ihres Kirchengebäudes zu verhindern. Am 4.11.2006 revidierte das Verfassungsgericht die Enteignungsurteile;
<http://naviny.by/rubrics/inter/2006/11/05/ic_news_259_261639/>.
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Björn Kunter
Verhaltensregeln für ausländische Demokratieförderung
Ausländische Geldgeber haben in der Vergangenheit ihren Einfluß soweit überschätzt, daß sie und ihre belarussischen Partner den eigenen Machtphantasien mitunter selbst zum Opfer gefallen sind. Es reicht jedoch nicht aus, einfach mehr Realismus
zu fordern. Externe Demokratisierung, in der die einheimischen Akteure zu Handlangern degradiert werden und keine eigene Kraft besitzen, ist zum Scheitern verurteilt.
Ausländische Förderer sollten sich selbst enge Grenzen setzen. Es bedarf dringend der
Diskussion eines Verhaltenskodex für ausländische Demokratisierungshilfe. Was darf
ausländische Hilfe leisten und was sollte sie lieber lassen? Wie können Abhängigkeiten minimiert und schädliche Nebenwirkungen vermieden werden? Wie müssen Programme ausgeführt werden, damit sie nachhaltig zum Empowerment der inländischen
Akteure beitragen?
Es wäre zu wünschen, daß die derzeitige Unsicherheit und Enttäuschung über den
Stand und die Akteure der Demokratisierung in Belarus weder zum Rückzug der
Förderer führen noch durch einen neuen Masterplan verdeckt werden. Zur Demokratisierung sind schon zu viele große Worte gesprochen und Pläne gesponnen worden.
Erforderlich ist ein neuer Stil der ausländischen Demokratieförderung. Erforderlich
sind mehr Sorgfalt, mehr Kontinuität, mehr Partner in Belarus, vor allem aber mehr
Bescheidenheit.