(2012): Arbeitsverdichtung zeigt gefährliche Folgen. In
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(2012): Arbeitsverdichtung zeigt gefährliche Folgen. In
TITELTHEMA Arbeitsverdichtung zeigt gefährliche Folgen Pflege-Thermometer 2012. Steigende Fallzahlen, eine kritische Personalsituation und eine hohe fachliche Verantwortung der Pflegenden – die Arbeitsbedingungen in der Intensivpflege bleiben nicht folgenlos für Kliniken und Patienten. Das zeigt das Pflege-Thermometer 2012, das diesmal die Intensivstationen unter die Lupe genommen hat. Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der Gesamtstudie vorgestellt. Von Prof. Dr. Michael Isfort, Prof. Dr. Frank Weidner und Danny Gehlen Das Pflege-Thermometer 2012 Im Rahmen der Pflege-Thermometer-Reihe führte das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) Anfang 2012 zum sechsten Mal eine Befragung durch. Diesmal wurde die Situation der Pflege und Patientenversorgung auf Intensivstationen fokussiert. Grundlage dieser ersten Ergebnisdarstellung aus der Studie sind Daten von insgesamt 535 leitenden Intensivpflegenden aus Krankenhäusern der gesamten Bundesrepublik. Gefördert wurde die Studie von der B. Braun-Stiftung. Die vollständige Studie kann kostenlos von den Internetseiten des dip heruntergeladen werden. www.dip.de 1 PflegenIntensiv 3/12 Foto: iStockphoto TITELTHEMA I m Pflege-Thermometer 2012 wurden leitende Intensivpflegende zu unterschiedlichen Perspektiven der Versorgung auf deutschen Intensivstationen befragt. Insgesamt wurden 1 077 Kliniken mit Intensivstationen mit je zwei Fragebögen bestückt. Der Fragebogen umfasste sechs doppelseitig bedruckte Seiten mit einem erläuternden Anschreiben und insgesamt 38 Fragen beziehungsweise Fragekomplexen. Insgesamt wurden zirka 230 kodierte Variablen erhoben. Von 554 eingesendeten Fragebögen konnten nach der abschließenden Datenbereinigung 535 in die Auswertung einbezogen werden. Die Daten der Stationen sind bundesweit verteilt – sie sind jedoch nicht als repräsentatitv zu betrachten. So sind zum Beispiel in der Stichprobe die neuen Bundesländer oder die Anteile privater Krankenhausträger unterrepräsentiert. Die Stichprobe vereint Aussagen für 6 833 Intensivbettenplätze. In der Krankenhausstatis- tik des Bundes sind 24 886 Betten ausgewiesen. Versorgungsintensität hat zugenommen In den letzten Jahren sind steigende Fallzahlen von stationär behandelten Patienten im Krankenhaus sowie mehr intensivmedizinische Behandlungen zu verzeichnen. Die Daten aus der Krankenhausstatistik des Bundes zeigen für die allgemeinen Krankenhäuser im Jahr 2010 insgesamt 2 049 888 Behandlungsfälle mit intensivmedizinischer Versorgung. In der Summe wurden 24 886 Intensivbetten vorgehalten. Im Vergleich zu 2002 wurden 148 989 Patienten mehr versorgt. Der Bettenaufbau der Intensivstationen kann für die Berichtsjahre 2002 bis 2010 bundesweit mit 1 938 beziffert werden. Abbildung 1 zeigt, dass in diesem Zeitraum die Zahl der Behandlungsfälle mit Beatmung während des Intensivaufenthaltes um mehr als ein Viertel Hintergrund der Untersuchung Die intensivpflegerische Betreuung von Patientinnen und Patienten ist eine Schlüsselstelle in der Versorgung von Menschen im Krankenhaus. Die Kapazitäten und Versorgungsmöglichkeiten durch Pflegende sind entscheidend, wenn Schwersterkrankte intensivmedizinisch behandelt werden sollen und große Operationen vorgenommen werden, die eine Nachbeatmung erforderlich machen. Steigende Fallzahlen und die Zunahme an medizinischer Komplexität lassen sich nur stabilisieren, wenn die Einrichtungen über eine ausreichende Kapazität an qualifizierten Pflegenden verfügen. Studien, zum Beispiel aus der Schweiz, zeigen für die Vergangenheit auf, dass die Komplexität der Behandlungen zunimmt und sich ein anderes Spektrum bei den zu behandelnden Patienten ergibt (Jakob und Rothen 1997). Es bedarf einer systematischen und kontinuierlichen Beobachtung dieses wichtigen Versorgungsbereichs. In der Gesamtschau der Daten im Gesundheitswesen in Deutschland fällt jedoch auf, dass die Entwicklung auf den Intensivstationen nur unzureichend beobachtet und abgebildet wird. Konkrete Zahlen zu der Personalausstattung, zur Fachqualifikation der Beschäftigten und zu Versorgungsaspekten oder Veränderungen der Patienten fehlen gleichermaßen wie die im angloamerikanischen Raum üblichen Messungen der Patientensicherheit (Esparza et al. 2012, Aiken et al. 2011, Kane et al. 2007). Es sind nur vereinzelt systematische Ansätze einer Qualitätsdiskussion zu beobachten, die sich auf Fallstudien und -analysen stützen (Federhen und Lenzen 2010). Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse des Pflege-Thermometers als eine notwendige Ergänzung zu den bestehenden Daten zu verstehen und dienen der Vertiefung der fachlichen Diskussionen in Einrichtungen, Politik und Verbänden. gestiegen ist. Insgesamt sind 2010 insgesamt 76 000 mehr Patienten beatmungspflichtig behandelt worden als noch im Jahr 2002. Trotz einer Reduzierung der Krankenhäuser wurden mehr Patienten auf Intensivstationen versorgt und die Fallschwere der Patienten ist gestiegen (mehr beatmungspflichtige Personen). Es ist davon auszugehen, dass diese Zunahme an Versorgungsintensität auch steigende Herausforderungen an die pflegerische Versorgung stellt. Betreuungsrelation ist kritisch Die Leitungskräfte der 535 befragten Intensivstationen gaben an, dass überwiegend zwei beatmete Patienten oder drei nicht beatmete Patienten von einer Pflegekraft betreut werden. In der Zusammenführung (beatmete und/oder nicht beatmete) Patienten sind es 31,1 Prozent, die zwei Patienten betreuen, 27,1 Prozent, die 2,5 Patienten und 30,2 Prozent, die drei Patienten betreuen (Abb. 2). Die Betreuungsrelationen beziehen sich auf die Angaben zum Frühdienst. Das Pflege-Thermometer 2012 bestätigt damit die bisher vorliegenden Ergebnisse zur Betreuungsrelation in der Intensivpflege: Im Pflege-Thermometer 2009 gaben 31,5 Prozent der Intensivpflegenden an, dass sie insgesamt zwei Patienten pro Schicht verantwortlich betreuen, 48,2 Prozent betreuen drei Patienten und 11,4 Prozent sogar vier Patienten. Der Mittelwert lag bei drei Patienten (Isfort et al. 2010). Eine Differenzierung zwischen beatmeten und nicht beatmeten Patienten erfolgte in dieser Studie nicht. Eine internationale Weaningstudie (Rose et al. 2011) zeigte auf Basis von 460 Eingaben von Mitarbeitern (ohne Leitungsfunktion) aus deutschen Intensivstationen, dass die durch die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdienste und Fachkrankenpflege (DGF) ge- PflegenIntensiv 3/12 2 TITELTHEMA Intensivmedizinische Versorgung im Krankenhaus 2002 bis 2010 Abb. 2 30 26,83 % 20 12,36 % 8,84 % 7,84 % Prozent 10 0 2002 2003 2004 2005 -10 2006 2007 2008 2009 2010 -7,70 % darf es der Kontrolle, ob die Personalsituation eine risikofreie Behandlung über den gesamten Zeitraum gewährleistet. Es gilt auch zu prüfen, ob zum Beispiel begonnene Weaningversuche abends abgebrochen werden müssen, weil über die Nacht nicht ausreichend Personal zur Verfügung steht und die Versorgungskontinuität nicht gegeben ist. -20 -30 Behandlungsfälle mit Beatmung während intensivmedizinischer Versorgung Berechnungs-/Belegungstage in der intensivmedizinischen Versorgung Betten zur intensivmedizinischen Versorgung Behandlungsfälle in der intensivmedizinischen Versorgung Krankenhäuser mit Betten zur intensivmedizinischen Versorgung forderte Quote einer 1:1-Betreuung von beatmeten Patienten nur bei 7,8 Prozent der Befragten realisiert wurde. Der größte Teil der Intensivpflegenden (63,3 %) in dieser Stichprobe betreute zwei beatmete Patienten. Jede fünfte Pflegekraft (22 %) gab an, sogar drei invasiv beatmete Patienten zu versorgen (Isfort et al. 2011). Graf et al. befragten im Jahr 2010 insgesamt 454 Intensivstationen an einem Stichtag. Im Durchschnitt betreute eine Pflegekraft 2,7 Patienten (2,3 im Frühdienst, 2,6 am Nachmittag und 3,3 in der Nacht) (Graf et al. 2010). Die Auswertungen zeigen, dass im Frühdienst im Durchschnitt 5,0 Personen, im Spätdient 4,5, in der Nachtwache jedoch lediglich 3,7 Personen zur Verfügung stehen. Auch wenn dies Mittelwerte über eine breite Streuung sind, so verdeutlichen sie doch, dass die Betreuungsrelation über den Tag kontinuierlich weiter abnimmt. Dies verweist auf eine besondere Problematik, die in der Literatur aktuell als „Off-Peak-Nurse-Staffing“ bezeichnet wird (Eschiti und Hamilton 2011). Gerade in den Zeiten, in denen nicht das „Kerngeschäft“ auf der Station stattfin- Eine Umsetzung der Empfehlungen der DIVI und DGF zur Betreuungsrelation auf Intensivstationen erfolgte bislang nicht Zukünftig sind weiterführende Ausdifferenzierungen notwendig. Ein bislang nicht hinreichend untersuchtes Phänomen ist die Frage nach der Verteilung der Patienten auf unterschiedliche Räume (Boxen). Es gilt zu klären, wie häufig Pflegende bei der Patientenversorgung die Räume wechseln und wie häufig kritisch Kranke dabei ohne Beobachtung bleiben. Auch die Veränderungen der Betreuung über die Schichten sind zukünftig näher zu beleuchten. 3 PflegenIntensiv 3/12 det, sind deutlich schlechtere Betreuungsrelationen vorzufinden – gleichwohl sich die Betreuungsintensität der einzelnen Patienten oder deren Erkrankungsschwere nicht nachhaltig ändert. Dies wird hinsichtlich der potenziellen Patientenrisiken von Pflegenden als zunehmende Problematik identifiziert. In Anbetracht einer abnehmenden subjektiven Leistungsfähigkeit über die Nachtwachenzeit (Parthum und Staudigel 2012) be- Empfehlungen der DIVI und DGF nicht berücksichtigt Die Ergebnisse verdeutlichen, dass eine Umsetzung der Empfehlungen der Fachgesellschaften bislang nicht erfolgte. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) empfiehlt für die Intensivstationen für zwei Behandlungsplätze pro Schicht eine Pflegekraft (DIVI 2010). Die DGF hat in ihrer Berliner Erklärung aus dem Jahr 2007 eine Fachkraftquote (Zusatzqualifikation in der Anästhesie- und Intensivpflege) von 70 Prozent gefordert. Darüber hinaus werden Begrenzungen der Behandlungsquoten von zwei Patienten pro Pflegekraft für nicht beatmete und eine Eins-zu-eins-Betreuung für beatmete Patienten gefordert (Notz 2007). Die Diskussionen um eine angemessene Personalausstattung werden nicht nur national, sondern seit vielen Jahren auch international geführt. Ein Konsortium der führenden britischen Intensivpflegeorganisationen spricht sich dafür aus, dass im Minimum für einen beatmeten Patienten eine Pflegekraft zur Verfügung stehen sollte (British Association of Critical Care Nurses 2010). Personalausstattung und Arbeitsintensität Hinsichtlich der Ausstattung mit Personal insgesamt ergibt sich für die Stichprobe die folgende Auswertung: Im Durchschnitt teilen TITELTHEMA Betreuungsrelation auf Intensivstationen Nicht beatmete Patienten (n = 277) gültige % Ein Pflegender betreut 4 Patienten 1,0 Ein Pflegender betreut 3,5 Patienten 1,0 Abb. 2 Beatmete Patienten (n = 305) gültige % 10,5 9,4 45,8 Ein Pflegender betreut 3 Patienten 6,2 14,4 12,5 Ein Pflegender betreut 2,5 Patienten 17,0 Ein Pflegender betreut 2 Patienten 61,6 Ein Pflegender betreut 1,5 Patienten 0,4 Ein Pflegender betreut 1 Patienten 0,7 10,2 7,5 0 10 20 sich 32,4 Pflegende umgerechnet 26,6 Vollzeitstellen. Die Quote des fachweitergebildeten Personals liegt in der Stichprobe bei 42 Prozent (Abb. 2). Auch in diesem Bereich werden die Forderungen der DGF (70 %) nicht erreicht. Dies kann auch ein Rekrutierungsproblem sein. Die Anzahl der in der Stichprobe offenen Stellen liegt bei 477,7 was für den Intensivbereich einem prozentualen Anteil von 3,5 Prozent entspricht. Dies liegt nah an den Ergebnissen anderer Studien. Im Krankenhaus-Barometer 2011 wird für den Intensivpflegebereich davon ausgegangen, dass zirka fünf Prozent der Stellen vakant sind (Janßen und Blum 2011). Die kritischen Aspekte der Personalsituation zeigen sich auch bei den Einschätzungsfragen zu Entwicklungen im Vergleich zum Vorjahr. So beobachteten 58 Prozent zustimmend (trifft voll zu/trifft eher zu), dass im Vergleich zum Vorjahr mehr Patienten auf der Station behandelt wurden. Ein hoher Wert der Veränderung innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums verweist auf eine besondere Entwicklung. 28,1 Prozent berichteten, dass parallel ein Personalaufbau stattgefunden habe. Dem gegenüber stehen 18,4 Prozent, die einen Personalabbau erfuhren. 30 40 50 60 70 80 90 100 Es kann demnach nicht von einem flächendeckenden Aufbau und einer Anpassung an die Steigerungen der Arbeitsintensität generell ausgegangen werden. 61,2 Prozent gaben daher an, dass die Arbeitsbelastung zwischen 2010 und 2011 gestiegen sei. Dies bleibt bei den Beschäftigten nicht ohne Wirkung. 30,8 Prozent der Befragten stimmten zu, dass die Fluktuation von Pflegenden gegenüber dem Vorjahr zugenommen habe. Die Fluktuation ist auch der Ausdruck eines Wettbewerbs zwischen den Einrichtungen um Experten. 203 Leitungen gaben an, dass Mitarbeiter von ihnen gezielt von anderen Kliniken angesprochen wurden und Abwerbeversuche bestehen. Weitere wichtige Aspekte zur Personalsituation sind, dass 47,9 Prozent zustimmten, dass die Anzahl der Kollegen, die in Teilzeit arbeiten wollen, angestiegen sei (Abb. 4). An den genannten Aspekten zeigt sich insgesamt deutlich das Bild einer Arbeitsverdichtung für die Pflegenden, das auch bei der Rekrutierung nicht folgenlos bleibt. Die Akquisition stellt ein Problem dar. 58,7 Prozent gaben an, dass der Aufwand, examinierte Pflegende für die Arbeit auf der ICU zu gewinnen, gestiegen sei und somit sind es auch 41,9 Prozent, die beobachteten, dass eine offene und zu besetzende Stelle über längere Zeit (12 Wochen) nicht besetzt werden konnte. Entlastungsindikatoren zeigen sich nur geringfügig ausgeprägt. Immerhin jede fünfte (20 %) Leitungskraft berichtete, dass Zeitarbeitskräfte eingesetzt wurden, um einen kurzfristigen Mehrbedarf zu decken. 31,1 Prozent berichteten, dass ein gravierender Personalmangel dadurch ausgeglichen werden konnte, dass durch eine Ausweitung der Arbeitszeiten bei Teilzeitbeschäftigten eine Kompensation erfolgte. Die belastende Versorgungssituation und als bedenklich einzustufende Personalsituation aber bleibt für die Kliniken intern und auch für die Patienten nicht ohne Folgen. 23 Prozent der Leitungen berichteten, dass es aufgrund der Belastungssituation verstärkt zu Personalausstattung der Intensivstationen Abb. 3 Mittelwert Summe n = 535 gültige fehlende Antwort Antwort Über welche Pflegepersonalausstattung verfügt Ihre ICU? (Planstellen für Gesundheitsund Krankenpflegende in Vollzeitkräften) 26,6 13 663,4 513 22 Anzahl der Gesundheits- und Krankenpflegenden insgesamt auf der Station 32,4 16 898 521 14 Anzahl der Gesundheits- und Krankenpflegenden mit abgeschlossener Intensivfachweiterbildung insgesamt auf der Station 13,9 7 113 513 22 Aktuell offene Planstellen, für Gesundheitsund Krankenpflegende (in Vollzeitkräften) die besetzt werden sollen 1,0 477,7 476 59 PflegenIntensiv 3/12 4 TITELTHEMA „Abmeldungen“ der Intensivstation im Vergleich zum Vorjahr gekommen sei. 14,6 Prozent gaben an, dass in ihren Krankenhäusern 2011 aufgrund eines Personalmangels im Pflegebereich verstärkt Operationen verschoben werden mussten. Einschätzungen zur Personalsituation Abb. 4 Trifft voll zu Trifft eher zu Trifft eher nicht zu Trifft gar nicht zu Keine Angabe Fehlend Die Anzahl der Kollegen, die in Teilzeit arbeiten wollen, hat sich im Jahr 2011 gegenüber dem Jahr 2010 erhöht 17,4 Um einen kurzfristigen Mehrbedarf an Pflegenden zu decken, setzten wir im Jahr 2011 auch Zeitarbeitskräfte ein 28,8 12,9 7,1 Im Jahr 2011 ist der Aufwand, examinierte Pflegende für die ICU zu gewinnen, gegenüber dem Jahr 2010 gestiegen 20,0 7,5 31,0 21,9 15,5 0 20 21,9 73,8 27,7 Seit Anfang 2011 sind offene und zu besetzende Stellen über längere Zeit (über 12 Wochen) nicht besetzt worden Aufgrund von Personalmangel musste die Station im Jahr 2011 gegenüber dem Jahr 2010 häufiger abgemeldet werden 30,5 18,3 16,3 24,7 30,8 25,2 49,2 40 60 80 Rolle der Pflege bei der Therapieführung Nur Ärzte Nur Pflegende Wer entscheidet, ob ein Patient umintubiert werden muss? 78,2 24,2 72,0 Wer extubiert den Patienten? 40,1 Wer entscheidet, ob ein Patient extubiert werden kann? 40,0 34,0 Wer entscheidet, dass ein Patient für ein Weaning bereit ist? 7,2 6,6 57,5 72,1 15,6 Wer bewertet die Auswirkungen der maschinellen Beatmung auf den Patienten? 15,4 5,5 Wer legt die anfänglichen Beatmungseinstellungen fest? 52,6 58,3 22,6 Wer passt gegebenenfalls die Einstellungen der maschinellen Beatmung an? 8,2 75,7 77,6 41,4 0 PflegenIntensiv 3/12 60,3 17,3 Wer entscheidet, welche Weaningmethode zur Entwöhnung vom Respirator angewendet wird? 5 Keine Angabe 36,9 Wer entscheidet, ob eine Schmerzmitteldosierung bei dem Patienten erhöht werden muss? 100 Abb. 5 Ärzte und Pflegende gemeinsam Wer entscheidet, ob eine höhere Sedierung bei einem Patienten durchgeführt werden muss? 5,8 20 53,3 40 60 80 100 Hohe fachliche Verantwortung der Pflegenden Alle Bereiche der Beatmungssteuerung und der Beatmungstherapie werden überwiegend gemeinschaftlich von Ärzten und Pflegenden entschieden. Ersteinstellungen der Geräte, Extubation oder die Entscheidung zur Umintubation sind stärker ärztlich geprägt als die Änderungen der Einstellungen bei laufender Beatmung. Pflegende auf Intensivstationen sind sich der hohen Eigenverantwortlichkeit bewusst. Auf einer Skala von 1 bis 10 sollten sie den Mitbestimmungsgrad in der Patientenversorgung einschätzen. 64,1 Prozent der befragten Leitungen schätzten diesen mit sieben Punkten oder höher ein. Abbildung 5 verdeutlicht die herausragende Rolle, die Pflegende bei der Therapieführung von Patienten einnehmen. Die eigenverantwortliche Übernahme der Regulierung der Insulingabe (85,8 %), die kurzzeitige Regulierung von Katecholaminen (84,7 %) oder der Sedierung (90,8 %) zeigen die hohe Selbstständigkeit der Pflegenden auf Intensivstationen (Abb. 6). Für die Übernahme dieser Leistungen ist ein profundes Hintergrundwissen entscheidend, um die Folgen der Regulierung abschätzen zu können. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer ausreichenden Anzahl an Fachpflegenden, um entsprechende fachliche Standards umzusetzen, begründet. Diese hohen Werte verdeutlichen auch, dass die klinische Realität eine andere ist, als sie sich aus Positionspapieren erahnen lässt. Hier werden delegationsfähige TITELTHEMA Leistungen durch Pflegende als „Einzelfälle“ deklariert oder therapeutische Maßnahmen und medikamentöse Maßnahmen für die Pflege ausgeschlossen (Marburger Bund 2009). Diese Diskussionen sind aus der berufsständischen Perspektive zu verstehen, sie ignorieren aber eine seit Jahren gelebte Realität im Versorgungsalltag Die Übernahme der Leistungen folgt keinesfalls einem Selbstzweck – sie dient der Stabilisierung und Fortführung der medizinisch-pflegerischen Therapie. Die Übernahme von medizinischen Entscheidungen und Leistungen durch Pflegende auf Intensivstationen ist offenbar notwendig, um den Betrieb der Stationen aufrechterhalten zu können. Graf et al. berichteten in ihrer Studie, dass zirka 60 Prozent der Intensivstationen über keine kontinuierliche Anwesenheit eines Arztes über 24 Stunden verfügen (on-call physician presence) (Graf et al. 2010). Den Arzt bei jeder kurzzeitigen Unruhe, einer Abweichung in erhobenen Werten oder bei Instabilität eines Patienten zu rufen und auf eine therapeutische Maßnahme zu warten, ist im klinischen Alltag weder möglich noch sinnvoll. Die Übernahme (auch der medikamentösen Therapiesteuerung) ist ohne die Fachpflegenden offensichtlich nicht zu stabilisieren. Sie lässt sich nicht ohne eine nachhaltige Veränderung der Besetzung der Stationen mit Ärzten erzielen. Diese klinische Realität wird insgesamt noch zu wenig diskutiert und bedarf auch der erweiterten haftungsrechtlichen Diskussion gegenüber den Beschäftigten (Böhme und Müller-Wolff 2012). Ein aktueller Blick in die Arbeit der Intensivpflegenden zeigt, in welch großem Umfang eine interdisziplinäre Arbeit in den Kliniken verbreitet ist. Die Arbeit auf den Intensivstationen ist längst eine Begegnung auf Augenhöhe, wenn es um klinische Einschätzung und auch um klinische Ent- scheidungen bei der Patientenversorgung geht. Patientensicherheit ist teilweise gefährdet Die personelle Besetzung und die hohe Arbeitsbelastung in der Intensivpflege sind für die Patienten mit erhöhten Risiken verbunden. Nur 21,5 Prozent der befragten Leitungskräfte stimmten der Aussage zu, dass in jeder Schicht eine ausreichende Anzahl an examinierten Pflegenden anwesend ist, um eine sichere Patientenversorgung zu gewährleisten. Jede Fünfte (20,1 %) gab an, dass das nicht oder gar nicht zutrifft. In Abbildung 7 sind die Punkte der Kategorien zusammengefasst, die nach Aussagen der befragten Leitungen „selten“, „häufiger“ oder sogar „oft“ innerhalb der letzten sieben Arbeitstage beobachtet wurden. Ausgeschlossen wurden somit nur die Angaben, die eine vollständige Patientensicherheit aus Verbraucherschutzperspektive garantieren können („nie“). Die hier beschriebenen Mängel sind gravierender Art. Sie verweisen auf strukturelle Schwierigkeiten bei der Versorgungssicherheit. Dabei dominieren nicht ausschließlich Aspekte der Patientenbetreuung (emotionale Begleitung). Fast gleichrangig werden Schwierigkeiten bei der Mobilisation, bei freiheitseinschränkenden Maßnahmen und Mängel bei der Beobachtung desorientierter Patienten beobachtet. Auch behandlungspflegerische Maßnahmen (Verbandswechsel und Autonome Durchführung von Maßnahmen durch die Pflege Abb. 6 Welche der folgenden Maßnahmen werden von Pflegenden auf Ihrer ICU autonom und ohne vorherige Absprache mit einem Arzt eingeleitet und durchgeführt? (%) Durchführung als notwendig erachteter Laboruntersuchungen (z. B. …) 86,4 Legen eines Blasenverweilkatheters 82,2 „Freispülen“ eines Blasenverweilkatheters 82,1 Verbandswechsel bei ZVK 97,2 Legen einer neuen Verweilkanüle 48,8 30,3 Erhöhung des Peep bei Beatmung Kurzzeitige Regulierung kardiowirksamer Medikamente (z. B. Katecholamine) 84,7 Kurzzeitige Regulierung der Sedierung 90,8 Spülen eines Ports mit NaCl zur Vermeidung von Katheterokklusionen 44,9 Kurzzeitige Regulierung der Insulingabe (Perfusor) 85,8 Umlagerung des Patienten in Bauchlage 29,5 Anpassung der O2-Beimischung bei Dauerbeatmung 61,7 Anpassung der O2-Beimischung vor dem Absaugen 94,4 Gabe von leichten Schmerzmitteln (z. B. Paracetamol) 46,9 Gabe von Flüssigkeit in Form von Infusionen (NaCl) 38,9 Endotracheales Absaugen 99,4 0 20 40 60 PflegenIntensiv 3/12 80 100 6 TITELTHEMA Nur 21,5 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass in jeder Schicht ausreichend examinierte Pflegende anwesend sind, um eine sichere Patientenversorgung zu gewährleisten Beobachtete Mängel in der Patientenversorgung Abb. 7 Wie oft ist es in den letzten sieben Arbeitstagen auf der ICU vorgekommen, dass … auftraten? Mängel bei Händehygiene 73,1 Mängel bei Desinfektionsmaßnahmen 67,2 Mängel bei Verbandswechseln 59,1 Folgenloser Medikationsfehler 56,3 Mängel bei Ganzkörperpflege 43,4 56,6 Mängel bei Mundpflege Mängel bei Unterstützung der Nahrungsaufnahme 64,7 Medikationsfehler mit Folgen (z. B. Hypoglykämie) 34,8 Vermeidbare freiheitseinschränkende Maßnahmen 85,6 Mängel bei Überwachung desorientierter Patienten 78,8 Mängel bei Tubuspflege 46,2 Mängel bei zeitnaher Reaktion auf Alarm bei … 53,0 Mängel bei emotionaler Begleitung (z. B. Ängste) 89,9 Mobilisationmängel 85,0 Mängel bei Patientenlagerungen 70,8 0 20 40 60 80 Vermeidbare Zwischenfälle auf der ICU 100 Abb. 8 Auf unserer ICU ist es im Jahr 2011 (seit dem 1.1.2011) zu folgenden kritischen Zwischenfällen gekommen, die bei einer besseren Personalausstattung mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten vermieden werden können (Angabe in %) Entfernen eines venösen Zugangs (Viggo) durch einen Patienten 62,1 Entfernen einer Redondrainage durch einen Patienten 35,3 Entfernen eines Wundverbandes durch einen Patienten 53,5 Sturz eines unruhigen Patienten aus dem Bett (ohne gravierende Sturzfolgen) 50,5 Entfernen eines zentralvenösen Katheters durch einen Patienten 59,8 Entfernen eines geblockten Blasenverweilkatheters durch einen Patienten 56,1 Extubation durch einen Patienten während des Weaning 36,4 0 7 PflegenIntensiv 3/12 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Mängel bei der Tubuspflege) werden nicht ausgeschlossen. Gravierend erscheint darüber hinaus auch die Stabilisierung der Händehygiene, was angesichts zahlreicher Meldungen über zunehmende Infektionen bedenklich ist. Auch wenn sich in der differenzierten Betrachtung bei allen Aspekten primär hohe Werte für die Antwortkategorie „selten“ ergeben, so sind die Beobachtungen in der Summe dennoch kritisch zu reflektieren. 20 Prozent der Befragten äußerten zum Beispiel, dass Probleme bei der Nahrungsaufnahme häufig oder oft auftreten. Ein weiterer Aspekt der Patientensicherheit ist die Frage nach vermeidbaren Zwischenfällen auf der Intensivstation, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer besseren Personalausstattung hätten vermieden werden können (Abb. 8). Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass venöse Zugänge oder Wundverbände durch den Patienten entfernt wurden. Auch Stürze aus dem Bett wurden von mehr als 50 Prozent beobachtet. Gravierend erscheint auch die Aussage, dass 56,1 Prozent angaben, dass geblockte Blasenverweilkatheter durch den Patienten entfernt wurden. 59,8 Prozent beobachteten, dass Patienten sich zentralvenöse Zugänge entfernten. Diese kritischen Zwischenfälle stellen keine Einzelfälle dar – sie sind auf strukturelle Schwierigkeiten in der Besetzung der Stationen zurückzuführen, die eine umfassende Beobachtung und kontinuierliche Begleitung der Patienten nicht ermöglichen. Angesichts der geringen Anzahl an Stationen, die die von den Fachorganisationen geforderten Betreuungsrelationen umsetzen, ist die Konsequenz, die dies nach sich zieht, in den öffentlichen Fokus zu bringen. Die beschriebenen Problematiken bleiben bislang in Deutschland meist unerkannt, da keine kontinuierlichen Daten erhoben werden, die diese Risiken systematisch erhe- TITELTHEMA ben und in den Zusammenhang zur Personalausstattung stellen. Pflege-Thermometer stützt geforderte Betreuungsquoten In diesen ersten Ergebnisauswertungen konnte aufgezeigt werden, dass die Intensivpflege in den Krankenhäusern in den letzten Jahren ein erhebliches Wachstum bei der Patientenversorgung erlebte. Inwieweit dies mit einem Zuwachs an Personal einherging, lässt sich nicht eindeutig klären. Es bestehen aktuell nachhaltige Probleme bei der Rekrutierung notwendigen Personals für diesen Bereich, und offene Stellen sind vorhanden. Eindrucksvoll zeigt sich, dass die Pflegenden eine Therapiesteuerung und auch Therapieentscheidung in Kooperation mit den Ärzten und auch selbstständig ausführen. Sie sind die Garanten für eine funktionierende Versorgung, regulieren zeitnah kritische Zustände und reagieren auf klinische Veränderungen beim Patienten. Hinsichtlich einzelner Problematiken der Patientensicherheit ergibt sich ein konsistentes Bild. Nur etwa jede fünfte Leitung schätzte die Schichtbesetzungen so ein, dass eine Sicherheit der Patienten zu jedem Zeitpunkt gegeben ist. Die geringen Relationen führen zu vielfältigen Problemen und auch zu Folgen, die aus Sicht der Leitungen vermeidbar erscheinen. Die Forderungen nach der Umsetzung nationaler und international geforderter Betreuungsquoten werden auf Basis der Ergebnisse der Studie nachhaltig gestützt. Deutsches Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) (Hg.) (2010): Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen. Kurzversion, zuletzt geprüft am 18.05.2012. Eschiti, V.; Hamilton, P. (2011): Off-Peak Nurse Staffing. Critical-Care Nurses Speak. In: Dimensions in Critical Care Nursing 30 (1), 62–69 Esparza, S. J.; Zoller, J. S.; White, A. W.; Highfield, M. E. F. (2012): Nurse staffing and skill mix patterns: Are there differences in outcomes? In: Journal of Healthcare Risk Management 31 (3), 14–23 Federhen, S.; Lenzen, S. 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