288 Rezensionen und Neuerscheinungen gestellte Verzeichnis

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288 Rezensionen und Neuerscheinungen gestellte Verzeichnis
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Rezensionen und Neuerscheinungen
gestellte Verzeichnis ermöglicht eine
rasche Orientierung auf den Flurnamen­
bestand der einzelnen Orte und über das
ge­samte Material.
Hier konnte nur ein kleiner Einblick in
das vielgestaltige Namengut des Rigi­
gebietes vermittelt werden. Die Vielzahl
an für den Namenforscher, den Dialektologen und den an volksnahem Sprachgut
Interessierten bedeutsamen Namen ist
bei jedem Nachschlagen ohne eine von
der Verfasserin vorgegebene Auswertung des Materials neu zu entdecken.
Horst Naumann, Grimma
Duden – Die wunderbare Welt der Namen von Rosa und Volker Kohlheim.
Mannheim u. a.: Duden-Verlag 2009,
120 S.
Mit ihrem Duden-Lesebuch unternehmen Rosa und Volker Kohlheim einen
für breite Kreise bestimmten „Gang
durch Merkwürdiges und Kurioses im
Bereich der Vor- und Familiennamen“
(6), für den sie anthroponomastische
Sachverhalte ausgewählt haben, die sowohl von historischem als auch von aktuellem Interesse sind. Dass sie dabei
nicht ausschließlich einheimische Per­
sonennamen behandeln, sondern – wo
immer möglich – den Blick auch auf
fremde Sprachen und Länder richten,
gehört zu den vielen Vorzügen dieses
inhaltsreichen Büchleins.
Die Wanderung durch die Welt der
Anthroponymie beginnt – als Aufhänger
immer gut geeignet – mit den berühmten Worten, die Goethe dem jungen Dr.
Faust am Ende seiner Antwort auf die
sogenannte Gretchenfrage in den Mund
legt: Name sei „Schall und Rauch“. In-
dem diese Ansicht in Zweifel gezogen
wird, kommen eingangs uralte philosophische und mythische Auffassungen
zur Sprache (der unaussprechliche Name Gottes, Name und Zauber, Namen
als Beschwörungsformeln, Nomen est
omen usw.), die es gestatten, charakteristische Sinngruppen bzw. thematische
Felder und anderes mehr vorzuführen
(7 ff.): Heldentum, Tapferkeit und Stärke
in Jungen-, Anmut, Reinheit und Schönheit in Mädchennamen; Namen christlich-frommen Inhalts. Von besonderem
Interesse ist die an Popularität gewinnende Sitte, englische Familiennamen
als Vornamen zu vergeben, die Entstehung von „Unisex-Namen“ (Glenn, Leslie
u. Ä.), die Vielzahl fremdsprachiger Entsprechungen traditioneller Vornamen
(zumeist sog. Heiligennamen), ihrer
Koseformen und Aussprache: Johannes,
Margarete, Franz, Elisabeth, Heinrich und
viele andere.
In einem eigenen Kapitel (39 – 61) werden besonders ungewöhnliche Namen
vorgestellt, wie sie – weithin allerdings
Randerscheinung – vergeben wurden,
wenn Eltern Kinder zum „Aushängeschild ihrer politischen Überzeugung“
machen (politische Namen der Art Garibaldina, Comunardo, Marxina, Energija,
Hitlerine, Marklena), besonderen Ereignisse zum Zeitpunkt der Geburt (Ereignisnamen wie Millennia, Eklips, Luft­
hansa) oder ihrem Status als Prominente
Ausdruck verleihen wollten: Fifi Trixi­
belle und Peaches Honeyblossom heißen
Töchter von Paula Yates und Bob Geldof,
Wilson Gonzalez und Jimi Blue die Söhne
Uwe Ochsenknechts. Indem er seine
Tochter ( ! ) Winnetou nannte, bekannte
sich der Schriftsteller Carl Zuckmayer zu
seinem Kollegen Karl May. Logischerweise schließen sich an die zahlreichen
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Rezensionen und Neuerscheinungen
Beispiele nicht-alltäglicher Vornamen
solche elterlichen Eskapaden an, die von
den Standesämtern abgelehnt wurden:
Satan, Störenfried, Perestroika, Rosenherz,
Crazy Horse, Puschkin, Rumpelstilzchen
und vieles Absurde mehr.
Demgegenüber konstatieren die Autoren eine – bisweilen unter Anrufung
höchster Instanzen erzwungene – großzügiger werdende Rechtsprechung, so
dass Namen wie Birkenfeld, Godot, Ju­das,
November, Pumuckl usw., v. a. aber deutsche und anderssprachige Ausdrücke
aus dem allgemeinen Wortschatz (Baby,
Biene, Love, Mädchen, Rainbow, Sonne,
Sunshine; Alpha, Jazz, Knabe, Power usw.)
letztlich doch eingetragen wurden. Dass
es ein „Recht zur Namenserfindung“
gibt und Formen wie Samandu, Gala­xina und Jaspia standesamtlich akzeptiert wurden, dürfte weniger bekannt
sein. Das reichhaltige Material kurioser
Rufnamen außerhalb Deutschlands, z. B.
in den Niederlanden (Esprit, Vogue, Diesel etc.) und in Brasilien (Chevrolet, Má­
quina usw.), oder auch die gewaltigen
Unter­schiede hinsichtlich der Anzahl
pro Person vergebener Vornamen bestätigt eindrucksvoll, wie stark die Auf­
fas­sungen im Namenrecht international
di­vergieren.
Die zweite Hälfte ihrer Publikation
widmen Rosa und Volker Kohlheim
„Streifzüge [n] durch die Familien­
namen­welt“ (62–117 ). Angesichts der
schätzungsweise mehr als eine halbe
Million unterschiedlicher deutscher Fa­miliennamen geht es auch hier vornehmlich darum, einige interessante
bzw. kuriose Aspekte auszuwählen,
die weitgehend mit dem hohen Alter
dieser Namenart und den sprachlichen
Ver­änderungen zusammenhängen, wie
sie im Laufe der Jahrhunderte statt-
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ge­funden haben. Hier werden Bildungen
wie Pfoten­hauer, Frauenschläger, Hornaff,
Reh­­tanz oder Wohlrab, Frommholz, Hack­
bart(h), Ballschuh auf ihre etymologischen Ursprünge zurückgeführt und Fa­miliennamen wie Gesche, Künne, Tilgner
u. a. aus altdeutschen Frauennamen erklärt. Einprägsame Beispiele aus dem
Bereich der Übernamen geben Einblick
in die mittelalterliche Mentalität (Hebenstreit, Bösewetter, Süßkind, Schlotterer, Fraß,
Frühauf u. v. m.), und mit Formen wie
Molitor (is) bzw. Mylius, Agricola, Faber,
Sartor oder Vulpius, Canis bzw. Clausius,
Heinzius wird den Einflüssen des Humanismus nachgegangen.1
In kühner thematischer Wendung –
bei einem auf Interessantes orientierten
Lesebuch nicht ungewöhnlich – werden
anschließend Familiennamen aufgeführt,
die bis auf wenige Einzelfälle zufällig
und rein formal im Deutschen und Türkischen übereinstimmen (Türk, Sultan,
Kaplan, Kurt, Asal, Kalender u. a.), sodann
kommen die USA und Veränderungen
ins Blickfeld, wie sie Namen deutscher
Einwanderer durch Aufzeichnung nach
dem Gehör, (ortho)graphische Adap­
tion und (partielle) Übersetzung sowie
Umdeutung erfahren haben: Yuengling,
1 Bei der Übersetzung von Schwarzerdt, wohl
Schwarzer mit sekundärem -t, ins Griechische als Melanchthon ,schwarz ‘ + ,Erde‘ durch
Reuchlin – darüber besteht weithin Konsens
– handelt es sich um eine Fehletymologie.
Vgl. z. B. Schwarz, Ernst, Deutsche Namenforschung. I. Ruf- und Familiennamen. Göttingen
1949, 170; Kalverkämper, Hartwig, Namen
im Sprachaustausch: Namenübersetzung. In:
Eichler, Ernst u. a. (Hgg.), Namenforschung.
Ein internationales Handbuch zur Onomastik.
2. Teilband. Berlin / New York 1996 (HSK 11/ 2),
1018 –1025, hier 1021 f.
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Shvartz, Steinway für Steinweg, Silknitter
aus Seidensticker usw. 2
Herkunftsnamen des Typs ,Auf der
Brücken‘ und münsterländische Formen
wie Große Beckmann erscheinen im Zusammenhang mit Ungetümen der Art
Wolfeschlegelsteinhausenbergerdorff oder,
im Gegensatz dazu, deutsch Aa, flämisch
O u. dgl. m. unter den Beispielen für auffällig lange und kurze Namen (93 – 95).
Es folgen (amerikanische und schwe­­­­di­
sche) Beispiele kreativer Namenkombinationen als Ausdruck der Gleichberechtigung der Frau (Kowal + Burns zu Kolburn u. Ä. [95]), wohingegen die Autoren
in dem Abschnitt „Namen bestimmen
dein Leben!“ (96 –100) auf die widersprüchlichen Ergebnisse zu sprechen
kommen, die Psychologen zum Zusammenhang von Namen und Persönlichkeit
vorgelegt haben.
Die im Laufe der Lektüre gewonnene
Einsicht, dass Eigennamen normaler­
weise auf Wörter des Allgemeinwortschatzes zurückgehen, wird gegen Ende
des Büchleins dahingehend erweitert,
dass auf konträrem Wege auch „Wörter
aus Namen“ (101–117 ) entstehen können. Immer erläutert durch die sach­lichen Hintergründe der Namengebung,
dienen den Verfassern neben bekannten Beispielen wie Boykott, Kneippkur,
Schrebergarten, Draisine, Fällen wie Boeuf
Stro­ganoff, Fürst-Pückler-Eis, Bismarck­
hering, Sachertorte usw. usf. oder Fach2 Bei der Behandlung der Anlehnung deutscher
Familiennamen auf -thaler an die amerikanische Währungseinheit (Kirchthaler zu Cash­dollar
usw., 93) hätte der Hinweis auf die Herkunft
von dollar aus dem Deutschen (Joachimsthaler
[Guldengroschen], nach dem Namen einer im
erzgebirgischen Joachimsthal [heute Jáchymov]
geprägten Münze) eine unaufwendige, dennoch vertiefte Sicht auf die Entlehnungs- und
Adaptionsprozesse ermöglicht.
Rezensionen und Neuerscheinungen
termini wie Volt, Watt und Ampere nicht
zuletzt zahlreiche Bezeichnungen für
Blumen, z. B. Bergenie, Fuchsie, Hortensie,
dazu, den Vorgang der Deonymisierung anschaulich zu beleuchten. – Den
Abschluss des lehrreichen Ausflugs
in die wunderbare und kuriose Welt
der Namen bilden Betrachtungen zur
übertragenen Bedeutung von Namen
(„Suppenkasper und Miesepeter: Vornamen in scherzhaften und abfälligen
Ausdrücken“, 110 –115) und zu Namen
in phraseologischen Wendungen („Zur
Minna machen: Namen in Redensarten“,
115 –117) . Hier findet der Leser zahl­
reiche Belege für den Typ ,Heulsuse‘ 3,
dazu Bildungen wie Heinzelmännchen,
Filmfritze, Nickel 4, Hemdenmatz, Tante3 Die semantischen Beziehungen zwischen
Rufnamen und verbalem Erstglied klärt Bergmann, Gunter, Zur Theorie der Wortbildungsregeln (Der Typ „Heulsuse“). In: Deutsch
als Fremdsprache 8 (1971) 104 –108, auch in:
Debus, Friedhelm; Seibicke, Wilfried (Hgg.),
Reader zur Namenkunde II. Anthroponymie.
Hildesheim u. a. 1993 (Germanistische Linguistik 115 –118), 533 – 539.
4 Die von Wolfgang Pfeifer et al. (Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. H–P. Berlin
1989, 1168) behauptete und auf Friedrich Kluge (Etymologisches Wörterbuch der deutschen
Sprache, z. B. in der 21. Auflage. Berlin/New
York 1975, 510; dann auch in der 23., erwei­
terten Auflage. Bearb. von Elmar Seebold.
1999, 588) zurückgehende e r z ­g e ­b i r g i s c h b e r g m ä n n i s c h e Herkunft des Wortes Kupfernickel ,Arsennickel‘ (zu Nickel ,Kobold‘), aus
dessen schwedischem Pendant kopparnickel der
Name des Metalls 1754 von dem Mine­ralogen
Cronstedt durch Kürzung gebildet wurde,
ist nicht zu beweisen. Kupfer­nickel fehlt bei
Agricola und wohl auch bei Mathe­sius. (Eine
Bemerkung von Herbert Wolf [ Die Sprache
des Johannes Mathesius. Köln / Wien 1969,
158]) zum „mdt. Ursprung“ entsprechender „Bergmannswörter“ bleibt un­klar und
ohne Nachweise. Das für Fragen die­ser Art
wichtige und äußerst informative „Neue[s]
Rezensionen und Neuerscheinungen
Emma-Laden, Drückeberger, Schlaumeier –
auch Verben wie uzen – oder Ausdrücke
der Art ungläubiger Thomas; Hannemann,
geh du voran!; wissen, wo Barthel den Most
holt usw. – Das drei Seiten umfassende
Literaturverzeichnis (118 –120) mit einer beachtlichen Anzahl internationaler
Titel bietet dem Interessenten vielerlei
Möglich­keiten, sich tiefer in die Problematik einzuarbeiten.
Aus den reichen Erfahrungen ihrer
Forschungsarbeit und der souveränen
Kenntnis der einschlägigen Fachliteratur
schöpfend, gelingt es Rosa und Volker
Kohlheim vorzüglich, die ausgewählten
Sachverhalte interessant und weithin sogar spannend aufzubereiten. So ist ein
faktenreiches, lebendig geschrie­benes
und deshalb überaus lesenswertes Büchlein entstanden, das nicht zuletzt wegen
seines attraktiven Layouts auch dem
Fachmann durchaus Vergnügen bereiten wird. Alles in allem: populärwissenschaftliche Literatur im besten Sinne des
Wortes.
Volkmar Hellfritzsch, Stollberg
und wohleingerichtete[s] Mineral- und Bergwercks-Lexikon. Andere und viel­vermehrtere
Ausgabe. Chemnitz 1741, des Mi­­ne­rophilius
Freibergensis [ J. C. Zeisig], gibt keine Hinweise. Nach Pfeifer u. a. ist Kupfer­nickel 1725
belegt. Hans Lüschen (Die Namen der Steine. Das Mineralreich im Spiegel der Sprache.
Thun 2 1979, 260 f. und 104) weist koppar­nickel
in einem schwedischen Mineralogiebuch von
Urban Hjärne bereits für 1694 nach und
schreibt, einleuchtend: „Der Name ergab sich
aus der Fachsprache der Erzprobie­rer, an die
sich die Mineralchemiker an­schlossen.“
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Eichler, Ernst (Hg.), Onomastica Slavogermanica XXV. Redaktion: Gundhild Winkler. Leipzig: Verlag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
2008 (Abhandlungen der Sächs. Akademie der Wissenschaften zu Leipzig: Philologisch-historische Klasse 80/5), 430 S.
Wie von den Bänden der Reihe seit
jeher gewohnt, bietet auch der vorliegende Band von Internationalität und
Aktualität geprägte Ergebnisse onomastischer Forschung aus dem Bereich
des deutsch-slawischen Kontaktgebiets.
Angeführt wird der Reigen von vierzehn
Bei­trägen bekannter Namenforscher
durch Peter Anreiter, der in seiner
bewährten materialreichen und übersichtlich-schematischen Darstellungsweise den slawischen Nasalvokalen im
Namengut Osttirols Regeln und Aussagen über die Eindeutschung slawischer Ortsnamen abringt (7–16). Ernst
Eichler vergleicht Ortsnamen Sachsens und Nordböhmens, um der Frage
nach „tschechischen Sprachspuren“ im
sorbischen Siedlungsgebiet nachzu­
gehen (17–23). Seine Beschäftigung mit
schwierigen ostmitteldeutschen Ortsnamen setzt Karlheinz Hengst in Untersuchungen zu Schedewitz und Zschocken
sowie Remsa und Remse fort (24 – 50),
wobei auch für Schedewitz und Zscho­
cken ins Tschechische weisende Spuren
aufgedeckt werden. In einem weiteren
Beitrag hinterfragt derselbe Verfasser
die bisher akzeptierte slawische Etymologie von tschechisch Cheb und weist mit
Bedacht auf ein mögliches germanischslawisches Kontaktszenario hin (51– 57 ).
Auf Umfrageergebnisse aus dem Ar­chiv des Deutschen Sprachatlasses als
Zeugnis deutsch-polnischen Sprachkontakts macht Małgorzata Iżykowska