wunderbare tage in der norMandie
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wunderbare tage in der norMandie
KINO interview Wunderbare Tage in der Normandie Drei Generationen auf der Suche nach persönlichem Glück Zu Ende ist alles erst am Schluss Frankreich 2014 Regie: Jean-Paul Rouve Mit: Michel Blanc, Annie Cordy, Mathieu Spinosi, Chantal Lauby u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 96 Minuten Start: 26.3.2015 Fotos: © Neue Visionen A us dem Kinosessel reißt der Film uns nicht. Wir biegen uns nicht vor Lachen, haben keine thrillernden Adrenalinstöße, bangen und fiebern nicht mit, wenden uns nicht ein einziges Mal wegen unerträglicher Szenen ab, klatschen am Ende nicht laut Beifall. Wir sitzen, schauen, staunen – und merken am Ende, dass der Film etwas bewegt, etwas verändert hat, dass seine leisen Botschaften angekommen sind. Das wir über das, was wir gerade gesehen haben, wirklich nachdenken – als wär’s ein Stück von uns: Die eigentlich alltägliche Geschichte, die der Film erzählt, besteht aus vielen Geschichten, die uns seltsam vertraut sind. Doch nicht etwa, weil wir sie schon einmal im Kino gesehen haben. Sondern im wirklichen Leben erlebt so ähnlich jedenfalls. Es beginnt mit einer Beerdigung: Romains Großvater ist gestorben; in der Eile zwischen Uni und Job rennt der Literaturstudent aber zum falschen Friedhof und er kommt verspätet auf dem richtigen an. Hier erntet er eisige und kritische Blicke – und die geflüsterte Zusicherung der 85-jährigen Witwe, dass „Opa bestimmt nicht sauer“ sei. Denn er selbst „war auch nie da, wo man ihn erwartete“. Schon hier wird die besondere Beziehung zwischen Großmutter Madeleine und ihrem Enkel deutlich: augenzwinkernd, kumpelhaft, auf gleicher Augenhöhe. Diese von großer Zuneigung geprägte Beziehung, dieses gegenseitige Ernstnehmen wird zum tragenden Element für die beiden – und eigentlich für 58 CHILLI MÄRZ 2015 die ganze Familie, die sich gerade in einer uneingestandenen Midlife-Crisis unentschlossen um sich selbst bewegt. Denn als Madeleine, die nach dem Tod ihres Mannes allein in ihrer Wohnung lebt, eines Tages stürzt und von ihren Söhnen in ein Pflegeheim gesteckt wird, ist es Romain, der in ihr nicht den bedauernswerten Pflegefall, sondern den lebensfrohen Menschen sieht. Der mit ihr lästert, lacht, scherzt und ganz normale Ausflüge unternimmt. Und als sie, nachdem sie erfahren hat, dass ihre Söhne ohne ihr Wissen ihre Wohnung verkauft haben, einfach aus Paris abhaut, ist er es, dem sie eine kryptische Karte schreibt. Er braucht nicht lange, um sie zu finden – in der Normandie, in dem Dorf ihrer Kindheit. Sie verbringen wunderbare Tage, sprechen über das Leben, die Familie, alles. Dort findet die alte Frau zu sich selbst zurück – und der junge Mann zu seiner Liebe. Die dann ihrerseits auf dem falschen Friedhof nach der richtigen Beerdigung sucht, der zweiten des Films, an seinem Ende. Der Film gehört nicht zu denen, deren banale Alltagsgeschichten durch skurrile Elemente, satirische Überzeichnung, aktions- und temporeiche Einlagen oder derbe Szenen zu Kinohits werden. All das hat er gar nicht nötig. Er wirkt durch seine Heiterkeit, seine unausgesprochene Toleranz für kleine menschliche Unzulänglichkeiten, seine wohldosierte Melancholie, seine überraschenden Wendungen – und eine brillante Annie Cordy als Madeleine, der Großmutter auf dem Weg zur Selbstständigkeit. Erika Weisser KINO FILMTIPPS Das ewige Leben Die Reise zum sichersten Ort der Erde Baden-Württemberg von oben Österreich/Deutschland 2014 Regie: Wolfgang Murnberger Mit: Josef Hader, Tobias Moretti, Nora von Waldstätten u.a. Verleih: Majestic Start: 19.3.2015 Schweiz 2013 Regie: Edgar Hagen Dokumentarfilm mit Charles McCombie, Ju Wang, Russsell Jim u.a. Verleih: w-film Start: 19.3.2015 Deutschland 2014 Regie: Peter Bardehle, Julia Zantl Dokumentarfilm mit der Stimme von Nina Hoss Verleih: Kinostar Start: 26.3.2015 Pechschwarzer Humor Kein Ort – nirgends Des Kuckucks Ruf Der Brenner hat schon bessere Tage gesehen. Abgebrannt ist er, arbeits- und völlig mittellos. Er hockt im Arbeitsamt in Wien – zwischen traurigen Gestalten, die dort auf die Stütze warten. Brenner geht freilich leer aus: Zu lange war er nicht versichert, zu lange ohne feste Anstellung. Außerdem hat er Vermögen – Grundbesitz in Form des Häuschens seiner Eltern in Graz. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als nach 30 Jahren dorthin zurückzukehren. Und sich mit der Katze, die sich eingenistet hat, das Dosenfleisch zu teilen, das er sich gerade noch leisten kann. Bald kommen alte Bekannte vorbei, alte Rechnungen werden aufgemacht, alte Geheimnisse aufgerollt. In der Konfrontation mit seinen Jugendfreunden, seiner Jugendliebe und seiner großen Jugendsünde kommt der Brenner ein paar Dingen auf die Spur – und findet Tote. Und erwacht selbst irgendwann in einer Grazer Klinik aus dem Koma – mit einem Kopfschuss. Ein kauzig unterhaltsamer Film, dem es an Bosheiten und pechschwarzem anarchistischem Humor nicht mangelt. „Wer ein Haus baut, darf die Toilette nicht vergessen“, sagt Ju Wang. Er ist Direktor des staatlichen chinesischen Endlagerprogramms für radioaktiven Müll aus der Atomindustrie. In der Wüste Gobi sucht er nach diesem Klo – einem Ort, an dem die strahlende Hinterlassenschaft der bald 58 Kernreaktoren Chinas sicher und für Menschen und andere Lebewesen unerreichbar eingelagert werden kann. Für hunderttausende von Jahren. Ob er fündig wird, ist ungewiss. Ungewiss ist auch der Verbleib der derzeit existierenden atomaren Abfälle von mehr als 350.000 Tonnen, zu denen jährlich 10.000 Tonnen hinzukommen. Brennstäbe und andere brisante Teile aus Reaktoren werden von Zwischenlager zu Zwischenlager transportiert – niemand will sie haben. Doch noch in diesem Jahr müssen die EU-Länder und die Schweiz konkrete Pläne für ihre endgültige Entsorgung vorlegen. Regisseur Edgar Hagen hat sich auf die Reise zu den nennenswerten Atommüll-Endlagerprojekten der Welt gemacht. Den sichersten Ort der Erde hat er indessen nicht gefunden. … schallt gleich zu Beginn des Films aus dem Wald neben dem Rapsfeld, über das der Flieger hinwegschwebt. Er ist später noch einmal zu vernehmen: Beim Flug über den nördlichen Schwarzwald, wenn die Rede davon ist, dass vor wenig mehr als 100 Jahren jedes dritte Uhrwerk der Welt in dieser Gegend gefertigt wurde. Doch zunächst folgen wir dem Lauf des Neckars, erfahren, dass in Stuttgart Pferdestärken schon immer eine Rolle spielten, sehen, wo einst die Vertreter des Homo Heidelbergensis gelebt haben und hören, welchen Reichtum Neckar und Rhein den Städten Mannheim und Ludwigshafen gebracht haben. Dann geht der Flug rheinaufwärts – über Karlsruhe, den Mummelsee, über Taubergießen und Kaiserstuhl in Richtung Freiburg. Und hier ist plötzlich ein Lied zu hören, das vor 40 Jahren viel gesungen wurde: auf dem besetzten Bauplatz für das geplante Kernkraftwerk in Wyhl. Froh, dass es beim Plan blieb, fliegen wir weiter zum Bodensee, ins Donautal und an andere Orte. Die Kino-Reise lohnt sich. Die echte auch. ewei ewei ewei Kino Filmtipps Verfehlung Elser Grigris’ Glück Deutschland 2014 Regie: Gerd Schneider Mit: Sebastian Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat u.a. Verleih: Camino Start: 26.3.2015 Deutschland 2014 Regie: Oliver Hirschbiegel Mit: Christian Friedel, Katharina Schüttler, Burghart Klaußner u.a. Verleih: NFP Start: 2.4.2015 Tschad, Frankreich 2013 Regie: Mahamat Saleh Haroun Mit: Souleymane Démé, Cyril Gueï, Anaïs Monory, Marius Yelolo u.a. Verleih: temperclayfilm Start: 8.4.2015 Hinter der Fassade Kein Tyrannenmord Tänzer der Nacht Sie sind beste Freunde, seit ihrer gemeinsamen Studienzeit, aus der alle drei als katholische Priester hervorgegangen sind. Gefängnisseelsorger ist der eine, der andere hat sich einen Platz an der Sonne der Kirchenverwaltung gesichert, und der dritte ist Gemeindepfarrer. Sein Schwerpunkt: Jugendarbeit. Eines Tages landet der Dritte in der Institution des Ersten; einer seiner Schützlinge behauptet, von ihm sexuell missbraucht worden zu sein. Die beiden anderen wollen nicht glauben, dass ihr Freund das, was ihm vorgeworfen wird, wirklich getan hat. Sie setzen sich für eine Haftverschonung ein – aus unterschiedlichen Gründen: Während der Gefängnispfarrer nicht an der menschlichen Integrität des Kollegen zweifelt, geht es dem Amtspriester in erster Linie um Schadensbegrenzung für die Kirche. Als sich der Verdacht erhärtet, kommt es denn auch zu ganz verschiedenen Reaktionen – und zum Zerwürfnis. Ohne eindimensional zu wirken, zeichnet Gerd Schneider, der selbst Pfarrer werden wollte, ein starkes und beklemmendes Psychodrama. „Ich bin ein freier Mensch gewesen, in all meinen Entscheidungen.“ Diese Antwort gibt Georg Elser den beiden Uniformierten, die ihn im Reichssicherheitshauptamt verhören. Kripo-Chef ist der eine, Gestapo-Chef der andere. Sie bezweifeln, dass ein einzelner Mensch über genügend Entschlossenheit und Weitsicht verfügt, um ein Attentat von diesem Ausmaß zu planen und durchzuführen: Tags zuvor ist der junge Schreiner aus dem schwäbischen Königsbronn bei dem Versuch, in die Schweiz zu gelangen, verhaftet worden. Er hatte Gegenstände bei sich, die darauf hinwiesen, dass er mit der Bombe zu tun hatte, die am 9. November 1939 im Münchner Hofbräukeller im Rednerpult detonierte – 13 Minuten, nachdem Adolf Hitler dieses verlassen hatte. Ihm hatte Elsers Anschlag gegolten. Ein Jahr lang hatte er ihn vorbereitet, ohne jemandem davon zu erzählen. Und so kann er die quälenden Fragen nach den Drahtziehern gar nicht beantworten: Es gibt keine. Ein überzeugendes Lehrstück über Zivilcourage und Freiheitsliebe. Eigentlich heißt Grigris ganz anders. Doch Grigris bedeutet Glücksbringer – und das gefällt ihm. Er lebt in N'Djamena, der Hauptstadt des Tschad, und sein Alltag ist nicht eben leicht. Zwar ist er ein begnadeter Tänzer, doch wegen seines verkümmerten linken Beins findet er keine Anstellung in einem Tanztheater. So tingelt er nachts durch die Clubs der Stadt, um mit seinen großartigen Tanzeinlagen ein paar Groschen zu verdienen. Tagsüber arbeitet er mit seinem Stiefvater in dessen kleinem Fotoladen mit Näherei, aber das bringt nicht viel ein. Dennoch ist er zufrieden. Bis der Stiefvater schwer erkrankt und das Geld nicht für Krankenhaus und Medikamente reicht. Der junge Mann heuert bei einer Benzinschmugglerbande an. Als er versucht, deren Boss übers Ohr zu hauen, bringt er sich und seine Freundin in größte Gefahr. Der Film erzählt vom Überleben in einer Gesellschaft, in der trotz aller Härte ein bisschen Solidarität möglich ist.Von einem in sich zerrissenen afrikanischen Land, das sein Gleichgewicht in der Verbindung von Tradition Moderne finden könnte. ewei ewei ewei DVD Neuerscheinungen The Riot Club Großbritannien 2014 Regie: Lone Scherfig Mit: Sam Claflin, Max Irons u.a. Vertrieb: prokino Laufzeit: 103 Minuten Preis: ca. 14 Euro Rheingold – Gesichter eines Flusses Zwei Tage, eine Nacht Deutschland 2014 Regie: Peter Bardehle, Lena Leonhardt Doku mit der Stimme von Ben Becker Vertrieb: Senator Home Entertainment Laufzeit: 87 Minuten Preis: ca. 14 Euro Frankreich 2014 Regie: Jean-Pierre & Luc Dardenne Mit: Marion Cotillard u.a. Vertrieb: alamode Laufzeit: 91 Minuten Preis: ca. 15 Euro Reiche Jungs SechslandfluSS Gefühlsachterbahn Jedes Jahr werden zwei Studienanfänger in den legendenumwobenen Riot-Club der Oxford University aufgenommen. Nur zehn von über 20.000 Studenten gehören diesem geradezu geheimbündlerischen elitären Zirkel an – nur männliche, natürlich. Gehört man zu den Auserwählten und übersteht die ekelhaften Aufnahmerituale unbeschadet, darf man sich zu den Mächtigen von morgen zählen. Sofern man aufgrund seiner Familie nicht sowieso schon dazu gehört. Und das ist meistens der Fall: Im Club tummelt sich der saufende Nachwuchs des privilegierten Geldadels, und diese Burschen sind an Standesdünkel, Arroganz und Machtgier kaum zu überbieten. Und an Menschenverachtung und Widerwärtigkeit. Bei ihrem traditionellen Semesteranfangs-Dinner kommt es zum Streit; Rivalität, Missgunst und Herrenmentalität entladen sich in blinder Zerstörungswut. Ein ebenso packender wie abstoßender Film, der einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der wohlgeordneten Anständigkeit der herrschenden Upper Class wirft. Zum Fürchten. Wer die beiden Bergbäche sieht, die teils als gemütliche Rinnsale dahingluckern, teils als wilde Wasserfälle zu Tal stürzen, glaubt zunächst nicht, dass es sich um die Zuflüsse der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt handelt. Doch irgendwann treffen sie zusammen und setzen ihren Weg in einem einzigen Wasserlauf fort: als Rhein. Der Weg führt durch sechs Länder; zwei Wochen ist das Wasser von seinen Quellen in den Schweizer Alpen bis zur Mündung in die Holländische Nordsee unterwegs – auf verschlungenen Pfaden, auf kurvenreicher Strecke, auf fast kerzengeraden Prachtstraßen. Es ist ein besonderes Erlebnis, diesen sagenumwobenen und immer wieder schwer umkämpften Strom von oben zu sehen, aus der Vogelperspektive, die die beiden Filmemacher einnahmen, als sie seinem Lauf durch Natur- aber auch Kultur- und Industrielandschaften folgten. Entstanden sind fantastische Bilder mit vielen Informationen über Geschichte und Gegenwart eines gewaltigen Naturereignisses, das nicht nur Menschen und ihre Städte, sondern auch Völker verbindet. Wegen einer Depression konnte Sandra längere Zeit nicht arbeiten. Gerade, als sie sich dazu wieder halbwegs in der Lage fühlt, gibt es einen unerwarteten Rückschlag: Ihr Chef will ihren Arbeitsplatz einsparen und hat ihren Kollegen mitgeteilt, dass die jährliche Prämie sonst nicht ausbezahlt werden kann. Sie beschließt, die anderen aufzusuchen und dazu zu bewegen, bei der anstehenden Abstimmung ihretwegen auf den Bonus zu verzichten. Dafür hat sie gerade ein Wochenende. Der Weg ist beschwerlich, entmutigend, ja, entwürdigend; sie verliert immer wieder die Kraft, gerät an ihre Grenzen, gibt aber nicht auf. Denn sie findet auch Solidarität, trifft auf Kollegen, die bereit sind, sie zu unterstützen. Und obwohl bis zuletzt ungewiss bleibt, wie das Votum ausfällt, geht Sandra am Ende gestärkt aus ihrer Odyssee hervor. Ein ebenso unsentimentales wie ergreifendes Lehrstück über aufrechten Gang, Mut und Offenheit. Marion Cotillard glänzt mit einer exzellenten Darstellung der Gefühlsachterbahn, mit der die fragile Heldin zu kämpfen hat. ewei ewei ewei 3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „The Riot Club“ 3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Rheingold“ 3 DVDs zu gewinnen! Teilnahme über www.chilli-freiburg.de – Stichwort: „Zwei Tage, Eine Nacht“