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Sport
Montag, 29. Dezember 2014
Nummer 299
Die Luft wird dünner in der ersten Reihe
Schach: Beim 31. Böblinger Open im Hotel Mercure lassen die Großmeister reihenweise Federn – Favoritenschreck aus China
Genau 295 Teilnehmer haben den Weg ins
Hotel Mercure zum 31. Schach-Open
gefunden. Erleichtert stellte Veranstalter SC
Böblingen fest, dass der Wintereinbruch
nicht schon am 26. Dezember gekommen
war, was für manchen die pünktliche
Anreise unmöglich gemacht hätte, sondern
einen halben Tag später.
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Hintergrund
31. Böblinger Schach-Open
Stand nach der vierten Runde: 1. Oliver
Mihok (SF 1903 Berlin) 4,0 Punkte, 2. Vitaly
Kunin (Freibauer Mörlenbach), 3. Nikita
Meskovs (SG Spyer-Schwegenheim), 4. Jinshi Bai (Chaoyue Chess Club), 5. Vadim Shiskin (Ukraine), 6. Felix Graf (SG Trier), 7. Artem Smirnov (Russland), 8. Matthias Dann
(SF 1903 Berlin), 9. Lukas Winterberg (SC
Heimbach-Weis), 10. Jonas Lampert (Hamburger SK) alle 3,5, 31. Branimir Vujic, 34.
Thanh Kien Tran (beide SC Böblingen), 39.
Ferdinand Petzelberger (VfL Sindelfingen)
alle 2,5, 54. Moritz Reck (TSV Schönaich), 55.
Konstantin Konson (SV Böblingen), 75.
Nikola Petkovic (VfL Sindelfingen) alle 2,0.
Von Hans-Peter Remmler
BÖBLINGEN. Bis auf den kurzfristig unentschuldigt fehlenden russischen Mitfavoriten
und Großmeister (GM) Stanislav Novikov,
Nummer drei der Setzliste, war das Feld
komplett.
In Runde eins entledigte sich der engere
Favoritenkreis wie üblich fast unfallfrei seiner Pflichtaufgaben. Nur der Internationale
Meister (IM) Matthias Dann, in der Bundesliga für Berlin aktiv, musste gegen Thomas
Heinig vom Landesligisten SF Oeffingen
einen halben Punkt abgeben. Großmeister
Zigurds Lanka entkam diesem Schicksal gerade noch: Gegen Konstantin Egorov, einen
20-jährigen Amateur aus Russland, wollte
er, wie er hinterher meinte, ein für sein
Jugendtraining verwendbares, besonders
lehrreiches Matt konstruieren. „Und ein
bisschen für die Galerie spielen.“ Aber am
Ende seiner Kombination sprang kein Matt
heraus, sondern die Erkenntnis, dass er die
inzwischen wieder viel komplizierter gewordene Partie noch ein zweites Mal gewinnen
musste, was ihm nach einigen Abenteuern
auch gelang.
Schon in Runde zwei hatte Lanka weniger
Glück. Max Arnold vom Spitzenbrett des
Verbandsligisten SF Dornstetten-Pfalzgrafenweiler, eroberte gegen Lettlands Meistertrainer einen wertvollen „Großmeisterskalp“ und sicherte sich für Runde drei
einen weiteren Platz an den vorderen Brettern. Aufhorchen ließ auch Moritz Reck vom
Oberliganachbarn aus Schönaich mit seinem Sieg gegen den Internationalen Meister
Amadeus Eisenbeiser (BG Buchen, 2. Bundesliga Süd).
In Runde drei wurde dann auch in der
ersten Reihe von Brett eins bis fünf die Luft
merklich dünner. Das musste unter anderem
Turnierfavorit Peter Prohaszka aus Ungarn
anerkennen, der gegen IM Marco Baldauf
vom Zweitligisten aus Pang-Rosenheim seine ersten halben Punkt abgab. Vitali Kunin
und Arik Braun wurden ihrer Favoritenrolle
Schwerer Stand für die Nummer eins der Setzliste, Großmeister Peter Prohaszka aus Ungarn (links), dafür ein spitzbübisches Grinsen bei Favoritenschreck Jinshi Bai (rechts), dem 15-jährigen Chinesen
KRZ-Fotos: Simone Ruchay-Chiodi
gerecht: Ersterer gegen Christopher Noe aus
Eppingen, Letzterer gegen Josef Gheng, der
inzwischen schon fast zum Inventar des
Böblinger Turniers gehört. An Tisch vier
entwickelte sich eine lebhafte Partie zwischen dem Böblinger Branimir Vujic und
GM Vadim Shishkin (Ukraine), der Nummer
vier der Setzliste. In dem hochspannenden
Endspiel hatte Vujic zwischenzeitlich sogar
bessere Chancen. „Wenn er mir ein Remis
angeboten hätte, hätte ich abgelehnt“, so
Branimir bei der Nachbetrachtung an der
Hotelbar. Materiell stand es gleich, aber Vujics verbundene Freibauern auf der a- und
b-Linie sahen deutlich gefährlicher aus als
die Bauernmacht des Ukrainers am anderen
Flügel. Allerdings war der Bauernaufmarsch Shishkins auch mit allerlei Mattideen verbunden. So geriet Vujic in die
Defensive, Shishkin dafür in prekäre Zeitnot. Am Ende waren sämtliche Bauern vom
Brett verschwunden, aber auch der weiße
Springer, und übrig blieb ein Lehrbuchend-
spiel mit Turm und Läufer gegen Turm. Das
bedeutet zwar theoretisch ein Remis, bietet
in der Praxis aber für die stärkere Seite gute
Gewinnchancen. Die stärkere Seite war in
diesem Fall Shishkin, und der stellte seine
Gewinnversuche erst ein, als seine Uhr auf
eine Restzeit von einer Sekunde heruntergetickt war. Ein hochverdientes Remis für Vujic!
Runde vier brachte zwar noch keine Entscheidungen, aber immerhin erste Weichenstellungen in Richtung Turniersieg. An den
Spitzenbrettern ging es ans Eingemachte,
überall wurde verbissen bis zum Ende der
fünften Stunde gekämpft. An Tisch eins entkam der lettische IM Meskovs (in der 2. Liga
für die SG Speyer-Schwegenheim aktiv)
gegen Vitali Kunin mit knapper Not ins
Remis, Arik Braun musste an Tisch zwei
gegen Oliver Mihok aus Ungarn eine Niederlage einstecken. An Tisch drei teilten die
Internationalen Meister Artem Smirnov
(Russland) und Felix Graf aus Trier den
Punkt, der ukrainische GM Shishkin setzte
sich gegen den Heidelberger IM Oswald
Gschnitzer an Brett fünf durch.
Dem 15-jährigen Jinshi Bai fehlt
nicht viel zum Großmeister-Titel
Ein möglicherweise wichtiges Kapitel in
der Geschichte dieses Turniers wurde an
Tisch vier geschrieben. Der erst 15-jährige,
in Europa bislang kaum bekannte chinesische IM Jinshi Bai spielte gegen Turnierfavorit Peter Prohaska aus Ungarn. Und dieser Kampf dauerte sprichwörtlich bis zur
letzten Sekunde. Prohaska kam mit den
schwarzen Steinen gut aus der Eröffnung
und verdichtete nach und nach seinen Vorteil, sodass die zahlreichen Zuschauer die
Hoffnungen für den Jungstar aus dem Reich
der Mitte schwinden sahen. Aber Jinshi Bai,
der seine Gegner in den ersten drei Runden
souverän abgeräumt hatte, wusste sich auch
in schwieriger Lage zu wehren. Das Turm-
endspiel, in dem zunächst jeder Spieler fünf
Bauern besaß, allerdings ziemlich asymmetrisch auf dem Brett verteilt, verteidigte er
mit beeindruckender Ruhe. Sein Gegner ließ
nichts unversucht, um ihn doch noch zu
überlisten, wohl auch, weil er in der Runde
zuvor bereits einen halben Punkt abgegeben
hatte. Prohaska zockte immer weiter, bis
seine Uhr nur noch sechs Sekunden anzeigte
– die des Chinesen immerhin noch eine
knappe Minute. Erst dann reklamierte der
Ungar remis, nach kurzer Klärung mit den
Schiedsrichtern Jens Wolter und Holger
Bergmann war die Punkteteilung amtlich.
Jinshi Bai ist zwar mit seinen 15 Jahren
schon IM, aber sehr wahrscheinlich nicht
mehr lange. Innerhalb von nur drei Monaten
hat der Junge drei Großmeisternormen erspielt: Die erste holte er mit Platz neun bei
der Junioren-WM in der Türkei im Oktober,
die zweite beim London Chess Classic Anfang Dezember, die dritte ebenfalls in London bei einem Open-Turnier unmittelbar
danach. Bei beiden Turnieren in Englands
Metropole reichte es für ihn dazu jeweils
zum geteilten Turniersieg. Nun fehlt ihm
zum GM-Titel, abgesehen von der formellen
Ernennung durch den Weltschachverband
FIDE, nur noch eine Elo-Ratingzahl von
2500. Das sollte Formsache sein. Wenn er so
weiterspielt, kann er diese Grenze schon
beim Böblinger Open überschreiten. Eine
große Bereicherung für das internationale
Flair des Böblinger Open ist Jinshi Bai, der
von seiner Mutter begleitet wird, allemal.
Im B-Turnier sind Jakob Luft vom SC
Botnang und Marc Gibicar von der SV Böblingen noch verlustpunktfrei und treten in
Runde fünf demzufolge gegeneinander an.
Das C-Turnier wird von einem Quartett mit
3,5 Punkten angeführt. Tom Alferi und Soykan Sanoglu, beide von der SV Böblingen,
Ilja Velkov (VfL Sindelfingen) Luisa Besthorn aus Besigheim haben im Moment die
besten Chancen auf den Turniersieg (alle
Ergebnisse unter www.boeblinger-open.de).