Ausgabe 17/98 750iL / Vergleichstest

Transcrição

Ausgabe 17/98 750iL / Vergleichstest
Brüderlein fein
Wer baut die bessere Luxuslimousine: Rolls-Royce und damit der
momentane Eigentümer Volkswagen oder doch der
DOPPELTEST
Rolls-Royce Silver Seraph
zukünftige Rolls-Royce-Besitzer BMW? Obwohl der neue
gegen BMW 750i L
Silver Seraph und der 750i L vom gleichen BMW-V12
angetrieben werden, bleiben sie ungleiche Brüder.
ie Gleichmacherei im AnD
triebsbereich ist diskret getarnt. Zwar sind die beiden Ansaugluftsammler in Form und
Material identisch, aber der
zweite Blick offenbart ähnlich
feine Unterschiede wie zwischen den Kessler-Zwillingen.
Unter der Motorhaube des
750i L werden die Längsrippen
der Leichtmetall-Sammler von
den Lettern BMW unterbrochen, und auf der Abdeckblende
prangt das weiß-blaue Propeller-Wappen. Der Rolls-Royce
verzichtet auf jede Kennzeichnung der Luftsammler und leistet sich eine
elegantere Blende mit
zwei dezenten Typenhinweisen: „Silver Seraph“
und ein schlichter, nichtsdestotrotz triumphierender Buchstabe „V“.
Dies könnte unter
Technikern zwar als Hinweis auf das 5,4 Liter-V12Triebwerk aus bayerischem Motoradel hinweisen, bedeutet in
Wahrheit aber Victory. Denn im
trickreichen Gezerre um Namensrechte und Teilelieferungen gibt es über den beiden
Klassensiegern Volkswagen und
BMW einen Gesamtsieger: den
eben als „all-new motor car for
the next millennium“ vorgestellten Silver Seraph.
Damit bleibt dem Seraph –
eigentlich Seraphin, ein alttestamentarischer Engel – erspart,
eine Schimäre zwischen den
Zeiten zu werden. Als neues
Produkt ist er ohnehin so real,
daß er keine Vergleiche zu
scheuen braucht, schon gar
nicht diesen.
An der Ausgangssituation
„Stil gegen High Tech“ hat sich
durch die V12-Verbindung wenig geändert. Der Rolls-Royce
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Freundliche Begegnung: Die Frage nach der besten
Luxuslimousine wird innerhalb der Verwandtschaft geklärt
17/1998
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Zwei Luxus-Konzepte, aber nur ein Triebwerk
Fahrzeugtyp
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17/1998
Motorbauart/Zylinderzahl
Hubraum
cm3
Leistung
kW (PS)
bei 1/min
max. Drehm.
Nm bei 1/min
Leergewicht/Zuladung
kg
Länge x Breite
mm
x Höhe
Gepäckraum
L/VDA
Testwagenbereifung
Kraftübertragung
FOTOS: H.D. SEUFERT
ist mit 444 000 Mark eine mittelgroße Eigentumswohnung
teurer als der BMW. Da beide
über den gleichen Antrieb
verfügen, muß der Unterschied von 264 000 Mark
im Detail liegen.
Zum Beispiel in der Verarbeitung der natürlichen Rohstoffe. Die Holzverkleidungen
im Rolls-Royce erinnern an
Sherwood Forest, jene im
BMW an die Furnierabteilung
einer Möbelfabrik. In den Walnußholz-Furnieren des Silver
Seraph stecken 150 Stunden
Handarbeit, die elf ConnollyRindslederhäute sind mit doppelter Naht verarbeitet.
Dafür gibt es im harten Berufsalltag einer Limousine keine Pluspunkte, wohl aber für
das bessere Raumangebot vorne und einen beinahe göttlichen
Sitzkomfort auf den Vordersitzen. Bei 444 000 Mark darf
man sich aber darüber mokieren, daß ausgerechnet in der
5,39 Meter langen ChauffeursLimousine Silver Seraph der
Fußraum im Fond etwas eingeschränkt ist.
Außerdem könnten großserienerfahrene Fondpassagiere
eine Kleinigkeit aus dem Siebener vermissen: die serienmäßige Sitzheizung vielleicht oder
die optionale elektrische Verstellmöglichkeit für Lehne und
Nackenstütze.
Ebenso schockierend endet
ein kleiner Qualitäts-Check zugunsten bayerischer Gründlichkeit. Der Kofferraumdeckel des
Silver Seraph schabt beim Öffnen und Schließen über die
Chromeinfassung der Heckscheibe, und die vielgerühmten
knöcheltiefen Wilton-Teppiche
fusseln wie alte Badematten.
Trotz vieler gleicher Bauteile im Bereich Antrieb, Klimatisierung und Heizung leisten sich die beiden LuxusCharaktere immer wieder spezifische Unterschiede. Die Antriebseinheit samt adaptiver
Fünfstufenautomatik wirkt im
750i L so gut wie perfekt.
Im Silver Seraph mindert
eine Schallbrücke bei höheren
Drehzahlen die engelsgleiche
Ruhe im Motorraum, und der
Automatik fehlt das manuelle
BMW hat die Nase vorn: Der Silver Seraph regelt bei Tempo
225 automatisch ab, der 750i L erst bei 250 km/h
Der 5,4 Liter-V12 trägt im BMW 750i L dezente bayerische Tracht: Firmenwappen und
Schriftzug zieren Motorblende und Ansaugtrakte
Holz in der Hütte:
hochglänzendes Nußbaum-Wurzelholz
serienmäßig im BMW
Schaltprogramm. Der Automatik-Wählhebel an der Lenksäule allerdings läßt sich bedienen,
ohne eine Hand vom Lenkrad
nehmen zu müssen. Das Schaltprogramm der ZF-Automatik
verwöhnt mit wahrhaft fließenden Übergängen, und der
Wählhebel fällt wie von Engelshand geführt in die jeweilige Fahrstufe.
Adel verzichtet: Im Rolls-Royce wird der 5,4 Liter-V12 nur
vom Typenschriftzug und einem V-Emblem gekrönt
BMW
750i L
V/12
5379
240 (326)
5000
490 bei 3900
2076/494
5124 x 1862
x 1425
500
Michelin MXX3
235/50 ZR 18
255/45 ZR 18
FünfstufenAutomatikgetriebe
Hinterradantrieb
Rolls-Royce
Silver Seraph
V/12
5379
240 (326)
5000
490 bei 3900
2339/413
5390 x 1930
x 1515
374
Goodyear Eagle GA
235/65 R 16 V
235/65 R 16 V
FünfstufenAutomatikgetriebe
Hinterradantrieb
5,7
7,7
17,0
30,0
27,9
250
5,9
8,0
18,3
36,0
28,7
225
37,8 (10,2)
43,3 (8,9)
15,9
11,0/19,7
11,5
Superbenzin
19,7
10,4
13,8
41,5 (9,3)
42,9 (9,0)
17,3
13,2/24,4
13,2
Superbenzin
25,4
12,8
17,4
62
75
63
76
113,0/112,0
121,8/117,2
99,2/96,8
110,9/108,2
62,1/61,8
47,0/45,0
57,5/56,7
49,0/46,0
648,–
2628,–
1850,–
7366,–
648,–
2628,–
2369,–
24 700,–
1021,–
1614,–
180 000,–
p/p/p
1260,–
6400,–4)
2050,–
p
1208,–
1945,–
444 000,–
p/–/–
2415,–3)
13 350,–
3365,–
5000,–
Beschleunigung
s
0 – 80 km/h
0 – 100 km/h
0 – 160 km/h
0 – 200 km/h
1 km mit steh. Start
Höchstgeschw.
km/h
Bremsweg (Verzögerung)
aus 100 km/h kalt m (m/s2)
aus 100 km/h warm m (m/s2)
Testverbrauch
L/100 km
minimal/maximal
Normrunde
ECE-Verbrauch
L/100 km
Stadt
über Land
Gesamt
Innengeräusch
dB(A)
bei 100 km/h
bei 200 km/h
Fahrversuche leer/belad. km/h
Slalom 36 m
ISO-Wedeltest
VDA-Ausweichgasse
Einfahrgeschwindigkeit
Ausfahrgeschwindigkeit
Preise und Kosten
Steuer
DM
Haftpflicht
DM
1)
DM
Teilkasko
2)
Vollkasko
DM
Unterhaltskosten im Monat
bei 15 000 km/Jahr
DM
bei 30 000 km/Jahr
DM
Grundpreis
DM
Airbag/Sidebag/Kopfbag vorn
elektronische Einparkhilfe
Navigationssystem
Schiebedach elektr. bet.
Sonnenschutzrollo hinten
p = Serie; – = nicht lieferbar; 1) ohne SB; 2) mit 300 Mark SB; 3) nur nach hinten
wirkend; 4) inkl. Bordcomputer und TV
Im Rolls-Royce
wird Leder nicht
verarbeitet, sondern zelebriert
Über lange Bodenwellen
fließt, ja fliegt der Seraph, als
hätte Emily die ihren und Seraphin seine sechs Flügel ausgebreitet. Noch besserer Fahrkomfort ist da kaum vorstellbar, auch nicht im 26,6 Zentimeter kürzeren BMW 750i mit
der Zusatzbezeichnung L. Enttäuschend dagegen das Unvermögen, mit dem sich die Ka-
rosserie des Rolls-Royce über
kurze Bodenunebenheiten und
bei Langsamfahrt schüttelt.
Die nahezu lautlose Borduhr und gedämpfte Konversation im Fond sind deswegen
nicht zu hören, weil die A-Säule des Seraph ab Tempo 120 im
Wind zu pfeifen beginnt wie
Otto Rehhagel an der Außenlinie, also nicht unbedingt
17/1998
73
High Tech geht vor Luxus
Fahrzeugtyp
(Maximalpunktzahl in Klammern)
BMW
750i L
Rolls-Royce
Silver
Seraph
14
15
11
9
15
25
89
15
14
10
9
18
19
85
23
10
19
15
9
18
94
21
9
20
13
10
14
87
20
10
24
15
17
7
93
19
10
25
13
14
6
87
29
14
15
17
8
10
93
26
13
14
16
8
9
86
20
10
8
10
10
26
10
94
463
17
8
8
9
9
20
8
79
424
40
10
10
3
5
5
73
32
10
10
3
5
5
65
30
5
10
8
17
70
13
10
5
7
14
49
606
538
Karosserie
Raumangebot vorn (15)
Raumangebot hinten (15)
Kofferraum/Zuladung (15)
Bedienung/Funktionalität (10)
Ausstattung (20)
Qualität (25)
SUMME (100)
Fahrkomfort
Am Ende bietet der BMW auch noch mehr Kofferraumvolumen, der schwer
chromverzierte Rolls-Royce transportiert dagegen mehr Flair und Eleganz
gentlemanlike. Fahrkomfort ist demnach mehr
eine Domäne des bayerischen Aufsteigers.
Der Silver Seraph ist
handlicher als sein Vorgänger Silver Spirit, der
BMW mit langem Radstand nicht ganz so agil
wie die kürzere SiebenerVersion – wer von beiden
bietet dem Fahrer, der
auch ein bezahlter Chauffeur sein kann, mehr
Vergnügen?
Der lediglich 263 Kilogramm weniger schwere BMW fühlt sich etwas handlicher an. Der
Die Kathedrale der
Seraph wirkt – gemessen
Pracht: Rolls-Konsole
an seinen Dimensionen
aus Walnuß-Holz
und dem Gewicht von
2339 Kilogramm – weder
besonders
unhandlich
noch schwerfällig, sondern einfach betulicher.
Dabei reagiert die
Lenkung fast genauso
wie im BMW, lediglich
eine etwas weniger exakte Rückmeldung kostet
einen ganzen Punkt –
wie auch die höhere
Niveau-Unterschied bei
Wind-Empfindlichkeit.
den Rädern: der Rolls
Und diese letzte Konsebevorzugt Ballon-Reifen quenz, den Stil und die
Klasse mit adäquater
Technik zu umrahmen, läßt den
Silver Seraph Punkt um Punkt
zurückfallen.
Die Bremsen – gut, aber
nicht ganz so gut wie jene des
BMW. Das Gurtschloß am Fahrersitz rastet schwergängig und
nach lästiger Fummelei ein. Im
BMW werden die Gurte der
hinteren Sitzbank bequem von
innen nach außen geführt. Side74
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bags und mehr elektronische
Fahrhilfen als ABS und ASC
fehlen im Rolls-Royce. Statt eines Regensensors für die Wischer gibt es als Extra vier
Schirme mit Halterung am Kofferraumdeckel für 570 Mark.
So steht es nach den Kapiteln Karosserie, Fahrkomfort,
Antrieb, Fahreigenschaften und
Sicherheit 463 zu 424 Punkte
für den BMW – achtbar und ehrenwert für ein britisches Auto,
das dem Stil verpflichtet ist und
moderne Technik mitunter als
lästige Verpflichtung empfand.
Im Kapitel Kosten verliert
der Silver Seraph den Anschluß
an die moderne Kosten-Nutzen-Gesellschaft. Der BMW
750i L ist die günstigere Investition – wenn sich ein Luxusartikel nach seinem Nutzwert
berechnen läßt. Allerdings wird
ein BMW 750i L im wirklichen
Leben meist über Abschreibung
oder Leasing finanziert.
Ein Rolls-Royce dagegen
gilt im Kreise seiner treuesten
Klientel als Anschaffung fürs
Leben, die man sich deswegen
leisten kann, weil man die alten
Tweed-Sakkos und Schuhe gerne länger aufträgt. Selbstverständlich wird jeder RollsRoyce-Besitzer mit jedem
Lohnsteuerzahler darin übereinstimmen, daß sein Automobil
unbezahlbar sei – in Sachen Luxus, Stil, Komfort und Image.
So steht der BMW 750i L
nur als Technik- und KostenSieger fest. Der V12 dagegen
hat zweimal gewonnen. Er
treibt nicht nur die bessere
Luxuslimousine an, sondern
auch die stilvollere.
Eckhard Eybl
Federung leer (25)
Federung beladen (10)
Sitze vorn (20)
Sitze hinten (15)
Klimatisierung (10)
Innengeräusch (20)
SUMME (100)
Antrieb
Laufkultur (20)
Leistungscharakteristik (10)
Getriebe (25)
Beschl./Höchstgeschw. (15)
Testverbrauch (20)
Reichweite (10)
SUMME (100)
Fahreigenschaften
Fahrverhalten leer (30)
Fahrverhalten beladen (15)
Lenkung (15)
Handlichkeit (20)
Traktion/Wintertauglichkeit (10)
Geradeauslauf/Windempf. (10)
SUMME (100)
Sicherheit
Bremsen/Verzög. kalt leer (20)
Bremsen/Verzög. kalt bel. (10)
Bremsen/Verzög. warm bel. (10)
Bremsen-Dosierbarkeit (10)
Gurtsystem (10)
Sicherheitsausstattung (30)
Sicht/Licht (10)
SUMME (100)
Eigenschaftswertung (500)
Umwelt
Normverbrauch/CO2-Emiss. (50)
Schadstoffeinstufung (15)
Außengeräusch (10)
Verkehrsfläche (5)
Produktion (10)
Entsorgung/Recycling (10)
SUMME (100)
Kosten
Preis (30)
Wiederverkauf (15)
Festkosten (20)
Wartung/Reparat./Garantie (15)
Kraftstoffkosten (20)
SUMME (100)
Gesamtwertung (700)
Weitere Informationen und Testberichte über
die Vergleichstestkandidaten und ihre Konkurrenten der
Luxusklasse im Bestellservice ab Seite 124