Aktuelle Rechtsprechung Ausländerrecht
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Aktuelle Rechtsprechung Ausländerrecht
LANDESANWALTSCHAFT BAYERN Landesanwältin Saager-Frei Aktuelle Rechtsprechung Ausländerrecht (April 2010 bis Dezember 2012) Alle Paragrafen ohne Gesetzesangabe beziehen sich auf das Aufenthaltsgesetz. Alle Entscheidungen sind in juris veröffentlicht, soweit nichts anderes vermerkt ist. 1. Regelerteilungsvoraussetzungen, Sperrwirkungen 1.1 BVerwG 16.11.10, 1 C 17.09: kein visumfreier Ehegattennachzug nach falschen Angaben für Besuchsvisum, Kurzaufenthalt in Dänemark zur Eheschließung kein nachhaltiges Gebrauchmachen von unionsrechtlichem Freizügigkeitsrecht Dem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen steht ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den sog. Rückkehrerfällen nur dann zu, wenn der deutsche Staatsangehörige von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht nachhaltig Gebrauch gemacht hat. Dafür reicht ein Kurzaufenthalt zum Zweck der Eheschließung in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Dänemark) nicht aus. Welches Visum als das erforderliche Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird. Die Voraussetzungen eines Anspruchs des Ehegatten eines Deutschen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV liegen nicht vor, wenn er durch falsche Angaben im Schengen-Visum-Verfahren den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 1 verwirklicht hat. 1.2 BVerwG 16.11.10, 1 C 21.09: gesicherter Unterhalt für Kernfamilie bei Familiennachzug; Verhältnis von § 5 Abs. 1 Nr. 2 und § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist im Sinne von § 2 Abs. 3 nicht schon dann gesichert, wenn der Ausländer mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken könnte, er für seinen Ehepartner und seine Kinder aber auf Leistungen nach dem Zweiten Teil des Sozialgesetzbuches (SGB II) angewiesen ist. Für die Berechnung, ob ein Anspruch auf öffentliche Leistungen besteht, gelten grundsätzlich die sozialrechtlichen Regelungen über die Bedarfsgemeinschaft. Soweit bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis Ausweisungsgründe vorliegen, die sich auf Straftaten des Ausländers beziehen, wird die allgemeine Erteilungs... -2voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 durch die Sonderregelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 verdrängt. 1.3 BVerwG 11.1.11, 1 C 23.09: Dänemarkehe Einreise im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV ist die letzte Einreise in die Bundesrepublik Deutschland. Für die Beurteilung, wann die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV entstanden sind, ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das zentrale, den Aufenthaltszweck kennzeichnende Merkmal der jeweiligen Anspruchsnorm (hier: Eheschließung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) erfüllt worden ist. 1.4 BVerwG 16.8.11, 1 C 12.10: Niederlassungserlaubnis, Ausnahme vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung bei Leistungsbezug wegen Bedarfsgemeinschaft mit deutschen Familienangehörigen bei möglicher Deckung des Eigenbedarfs durch Erwerbseinkommen Ist der Ausländer nur deshalb auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) angewiesen, weil er mit seinen deutschen Familienangehörigen in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, könnte er aber mit seinem Erwerbseinkommen seinen eigenen Bedarf decken, so ist bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 zu machen. 1.5 BVerwG 16.8.11, 1 C 4.10: Niederlassungserlaubnis, Sicherung des Lebensunterhalts bei SGB II-Leistungen an Bedarfsgemeinschaft Bei der Beurteilung, ob der Lebensunterhalt eines erwerbsfähigen Ausländers im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 gesichert ist, ist darauf abzustellen, ob der Ausländer nach Erteilung der Niederlassungserlaubnis seinen Lebensunterhalt voraussichtlich ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel im Sinne von § 2 Abs. 3, d.h. insbesondere ohne Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, bestreiten kann. Für die Berechnung, ob er voraussichtlich einen Anspruch auf derartige Leistungen hat, gelten grundsätzlich die sozialrechtlichen Regelungen über die Bedarfsgemeinschaft (im Anschluss an U. v. 16.11.2010 –vgl. oben). 1.7 BVerwG 14.2.12, 1 C 7.11: Befristung von Amts wegen bei generalpräventiver Ausweisung „verwurzelter“ Ausländer Eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung muss zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit in ihren Wirkungen zugleich von Amts wegen befristet werden. Fehlt es an einer solchen Befristung, kann der Ausländer diese im Rechtsstreit um die Ausweisung mit dem im Klagebegehren als minus enthaltenen hilfsweisen Verpflichtungsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung erstreiten. ... -3Die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist nach Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 vom 22.11.2011 auch hinsichtlich der Dauer der Befristung gerichtlich voll überprüfbar. 1.8 BVerwG 16.2.12, 1 B 22.11: § 10 Abs. 3 Satz 3 nur bei strikten Rechtsansprüchen anwendbar Die Ausnahmeregelung in § 10 Abs. 3 Satz 3 erfasst nur strikte Rechtsansprüche auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben und bei denen alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Frage, ob ein Anspruch aufgrund einer Soll-Regelung überhaupt für eine Ausnahme nach § 10 Abs. 3 Satz 3 genügt, bleibt offen. 1.9 BVerwG 22.5.12, 1 C 6.11: Lebensunterhaltssicherung bei Niederlassungserlaubnis; assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 Ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1, 2. Spiegelstrich ARB 180 rechtfertigt es für sich genommen nicht, bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 abzusehen (im Anschluss an U. v. 16.8.2011, 1 C 12.10 – vgl. oben). 1.10 OVG Berlin 17.1.11, OVG 11 S 51.10: kein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis ohne vorherige Durchführung eines Visumverfahrens; ehemaliger Asylbewerber Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Auch Ausländer, die als Asylbewerber ohne Visum eingereist sind, deren Asylantrag aber erfolglos geblieben ist, müssen eine asylunabhängige Aufenthaltserlaubnis einholen, wenn sie nicht aus andren Gründen hiervon befreit sind oder die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einholen dürfen. 1.11 BayVGH 27.06.11, 10 B 10.1976: Sperrwirkung bei offensichtlich unbegründetem Asylantrag; Durchbrechung der Sperrwirkung (verneint) Einem rechtskräftig ausgewiesenen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde und der über keinen gültigen Pass verfügt, kann auch bei Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Tochter wegen § 10 Abs. 3 Satz 2 keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 erteilt werden. ... -41.12 VGH BW 14.09.11, 11 S 2438/11: unerlaubte visumfreie Einsreise, Aufenthaltsdauer von mehr als 3 Monaten beabsichtigt Ein Staatsangehöriger eines in der Liste in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 vom 15.03.2001) aufgeführten Drittlands, der von der Visumspflicht für einen Aufenthalt, der insgesamt drei Monate nicht übersteigt, befreit ist, reist unerlaubt ein, wenn er schon bei der Einreise über die Außengrenze der Europäischen Union die Absicht hat, länger als drei Monate im Geltungsbereich der Verordnung zu bleiben (hier: Kindernachzug). 1.13 VGH BW 20.09.12, 11 S 1608/12: Unzumutbarkeit der Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens bei Pflegebedürftigkeit des Ehegatten Wenn wegen verbleibender, nicht ausräumbarer Unsicherheiten hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts keine abschließende Klarheit zum Bestehen eines Anspruchs im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 gewonnen werden kann, kann vorläufiger Rechtsschutz nicht gewährt werden. Zweifel müssen hier regelmäßig zu Lasten des betroffenen Ausländers gehen. Krankheit oder Pflegebedürftigkeit des Ehegatten, die zur Folge haben, dass dieser in höherem Maße als im Regelfall einer ehelichen Lebensgemeinschaft auf den persönlichen Beistand seines Ehegatten angewiesen ist, machen regelmäßig eine Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2. Es kommt nicht darauf an, ob die Beistandsleistungen von anderen Personen erbracht werden können. 1.14 BayVGH 16.11.12, 10 CS 12.803: Lebensunterhalt mit 15 000 Euro nicht gesichert Ein auf ein Sperrkonto eingezahlter Geldbetrag i.H.v. 15.000 € ist – auch neben geringfügigen Renteneinkünften i.H.v. 80 € pro Monat – nicht geeignet, die dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Krankenversicherungsschutz gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 zu belegen 2. AE für Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Studium 2.1 BayVGH 26.05.11, 19 BV 11.174: Aufenthaltserlaubnis für Zwecke des Studiums , Studienfachwechsel nach Exmatrikulation § 16 Abs. 2 Satz 1 will lediglich verhindern, dass die Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken als Vehikel für eine unkontrollierte Einwanderung aus anderen Motiven missbraucht wird. Die Regelung kann deshalb einem – auch späteren – Studienfachwechsel nicht entgegen gehalten werden, wenn der in Nr. 16.2.5 Satz 3 AVV-AufenthG vorgesehene Rahmen einer Gesamtaufenthaltsdauer von 10 Jahren nicht überschritten wird und das bisherige Studium ernsthaft (wenngleich letztlich er- ... -5folglos) betrieben wurde. In diesen Fällen kann den persönlichen Belangen des betroffenen Ausländers, überhaupt einen Studienabschluss zu erreichen, der Vorrang vor den mit § 16 Abs. 2 Satz 1 verfolgten Interessen gebühren. 2.2 HessVGH 23.7.12, 19 BV 11.174: Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums Die nach § 16 Abs. 1 Satz 5, 2. Halbsatz erforderliche prognostische Beurteilung, ob der für einen erfolgreichen Studienabschluss voraussichtlich benötigte Zeitraum angemessen ist, ist eine Rechtsentscheidung, die in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die unter Nr. 16.2.7 AVV-AufenthG genannte Zehnjahresfrist für das Erreichen des Ausbildungszieles stellt keine jedem ausländischen Studenten für einen erfolgreichen Abschluss des Studiums eingeräumte Regelfrist dar. Der Zeitpunkt des erfolgreichen Abschlusses eines Studiums richtet sich nach der jeweiligen Studien- und Prüfungsordnung für den Studiengang, für den die Aufenthaltserlaubnis erteilt ist. Für die Beurteilung der Angemessenheit der benötigten Zeit für den als erreichbar angesehenen Studienerfolg sind auf der Basis der durchschnittlichen Studiendauer an der betreffenden Hochschule in dem jeweiligen Studiengang alle Umstände des konkreten Einzelfalles maßgeblich, wozu insbesondere die bisherigen Studienleistungen und der dafür aufgewendete Zeitbedarf sowie das erkennbare Bemühen gehören, den Abschluss des Studiums in einem überschaubaren Zeitraum zu erreichen. 3. Humanitäre Aufenthaltsrechte, Altfallregelung 3.1 BVerwG 30.03.10, 1 C 6.09: Fiktionszeit bei § 26 Abs. 4 nicht anrechenbar Besteht kein Anspruch auf Verlängerung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis, kann die Zeit der Fiktionswirkung des Verlängerungsantrags nach § 81 Abs. 4 nicht auf die für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 erforderliche Zeit des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis seit sieben Jahren angerechnet werden. 3.2 BVerwG 26.10.10, 1 C 18.09: Zumutbare Mitwirkungshandlungen Fordert die Ausländerbehörde einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer auf, eine ihm zumutbare Mitwirkungshandlung zur Beseitigung eines Ausreisehindernisses vorzunehmen (hier: einen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers zu unterschreiben), und verweigert der Ausländer diese Mitwirkung, dann behindert er vorsätzlich behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne von § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 (wie Urteil vom 10. November 2009, 1 C 19.08). § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 setzt nicht voraus, dass eine behördliche Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung bereits konkret eingeleitet worden war. ... -63.3 BVerwG 26.10.10, 1 C 19.09: Bezüge zu einer terroristischen Organisation Den beiden negativen Tatbestandsmerkmalen in dem Ausschlussgrund des § 104a Abs. 1 Nr. 5 kommt jeweils eigenständige Bedeutung zu. Unterhält ein Ausländer zu führenden Mitgliedern einer terroristischen Organisation Kontakte, die eine gewisse Intensität aufweisen, und weiß er um die Einbindung der Personen in die terroristische Organisation oder müsste er dies wissen, spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass er Bezüge zu dieser terroristischen Organisation im Sinne des § 104a Abs. 1 Satz1 1 Nr. 5 Alt. 1 hat. Bestanden derartige Verbindungen in der Vergangenheit und konnte der Ausländer die Vermutung nicht widerlegen, wirkt dieser Sachverhalt in die Gegenwart fort, solange es an einer glaubhaften Distanzierung des Ausländers von der Organisation und ihrer terroristischen Zielsetzung fehlt. 3.4 BVerwG 11.01.11, 1 C 22.09: Aufenthaltserlaubnis eines minderjährigen Kindes nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Der Anspruch eines minderjährigen Kindes, das mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebt, auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 ist ein von der Aufenthaltserlaubnis der Altern bzw. eines Elternteils abhängiges Aufenthaltsrecht. 3.5 BVerwG 19.04.11, 1 C 3.10: Verschulden gem. § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 Ein Ausreisehindernis ist auch dann im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 vom Ausländer verschuldet, wenn es auf einem in der Vergangenheit liegenden Fehlverhalten beruht. Es widerspricht Sinn und Zweck einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5, einen Ausländer, der sich den Aufenthalt in Deutschland von vornherein erschlichen und durch Täuschung weiter langfristig gesichert hat, dadurch zu privilegieren, dass man nach Aufdeckung der Täuschung seinen Aufenthalt erneut legalisiert und ihm damit die Perspektive eines Daueraufenthalts eröffnet. 3.6 BVerwG 17.08.11, 1 C 19.10: humanitärer Aufenthaltszweck; Kumulation von Aufenthaltstiteln Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 kann nicht zusammen mit oder zusätzlich zu einem anderen Aufenthaltstitel erteilt werden, da der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 voraussetzt, dass der Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist. Diese Voraussetzung entfällt jedoch mit der Erteilung u.a. einer ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis. Die humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 ist subsidiär. 3.7 BVerwG 13.09.11, 1 C 17.10: Sieben-Jahres-Frist des§ 26 Ab. 4 Auf den für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 erforderlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis seit sieben Jahren ist die Aufenthaltszeit des ... -7Asylverfahrens, das der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangen ist, nach § 26 Abs. 4 Satz 3 auch dann anzurechnen, wenn zwischen dem Abschluss des Asylverfahrens und der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis der Aufenthalt des Ausländers über einen längeren Zeitraum nur geduldet war. Die Ausländerbehörde kann im Rahmen des ihr bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 eröffneten Ermessens mit Blick auf die Gesamtumstände des Falles eine gewisse Mindestzeit des Besitzes eines Aufenthaltstitels verlangen und die Gründe für eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach Abschluss des Asylverfahrens berücksichtigen. 3.8 BVerwG 15.11.11, 1 C 21.10: jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion; Verwaltungspraxis Eine Anordnung des Bundesministeriums des Innern nach § 23 Abs. 2 über die Aufnahme bestimmter Ausländergruppen begründet für die von ihr begünstigten Ausländer keine unmittelbaren Ansprüche auf Erteilung einer Aufnahmezusage. Es besteht lediglich ein Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der vom Bundesministerium des Innern gebilligten praktischen Anwendung der Anordnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Verwaltungspraxis stellt bezüglich der Abstammung von einem jüdischen Elternteil auf dessen jüdische Nationalität ab, die jüdische Nationalität eines Großelternteils genügt nicht. 3.9 BVerwG 22.3.12, 1 C 3.11: jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, kein flüchtlingsgleiches Abschiebungsverbot Mit der Neuregelung des § 23 Abs. 2 wollte der Gesetzgeber die zukünftige Rechtsstellung auch der vor dem 01.01.2005 aufgenommenen jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion abschließend neu ausgestalten. Die Rechtsstellung jüdischer Emigranten sollte von den sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergebenden Rechtsfolgen abgekoppelt und in Zukunft rein aufenthaltsrechtlich ausgestaltet werden, sodass sich jüdische Emigranten jedenfalls seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes allein aufgrund der Aufnahme nicht auf das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot (Refoulement-Verbot) berufen können. 3.10 BayVGH 09.5.11, 19 B 10.2384: Wohnsitzauflage bei Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Der Wohnsitzauflage zur Aufenthaltserlaubnis eines Sozialhilfe beziehenden Ausländers, bei dem nach nationalem Recht ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 festgestellt worden ist, stehen die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG Qualifikationsrichtlinie (EGRL 83/2004) nicht entgegen. ... -83.11 BayVGH 15.6.11, 19 B 10.2539: Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung; Erforderlichkeit einer auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung (verneint) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 ist zwingend zu versagen, wenn einer der in § 25 Abs. 3 Satz 2 aufgeführten Ausschlussgründe vorliegt (hier: wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat, § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b). Beim Eingreifen der Ausschlussklauseln des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. a –c ist daneben keine auf den Einzelfall erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich. Das Vorliegen von Ausschlusstatbeständen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 lit a – d stellt einen atypischen Fall dar, der zum Abweichen vom Regelfall des § 25 Abs. 5 Satz 2 führt. Bei der behördlichen Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist die gesetzgeberische Entscheidung, das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung als zwingenden Ausschlussgrund auszugestalten, zu berücksichtigen. 3.12 OVG Bremen 28.6.11, 1 A 141/11: Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers der zweiten Generation Der Aufenthaltsbeendigung eines in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Ausländers kann Art. 8 EMRK entgegen stehen. Die Schrankenprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK verlangt eine umfassende Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls. Dass der Aufenthalt des betreffenden Ausländers in der Vergangenheit geduldet war, macht diese Prüfung nicht entbehrlich. 4. Aufenthaltsrechte wegen Ehe und Familie 4.1 BVerwG 22.6.11, 1 C 5.10: Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis; eigenständiges Aufenthaltsrecht Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kommt in aller Regel nur in Betracht, wenn der Verlängerungsantrag vor Ablauf ihrer Geltungsdauer gestellt worden ist. Der allgemeine aufenthaltsrechtliche Grundsatz, dass die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis einen (noch) wirksamen Aufenthaltstitel und demzufolge einen vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag voraussetzt, gilt auch für das ehegattenunabhängige Aufenthaltsrecht gemäß § 31 Abs. 1. Zeiträume vor der Antragstellung bei der Ausländerbehörde werden von der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 nicht erfasst. § 31 sanktioniert die verfahrensrechtliche Säumnis durch einen materiellen Rechtsverlust, denn die Regelung schliesst im Falle verspäteter Antragstellung eine Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus. Diese Folge ist jedenfalls nicht unverhältnismäßig und unzumutbar, wenn der Betreffende die verspätete Antragstellung zu vertreten hat. ... -94.2 BVerwG 22.6.11, 1 C 11.10: Zulässige Inländerdiskriminierung im Ehegattennachzug Die URL findet keine Anwendung auf Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Daher steht dem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen, der von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu. Etwas anderes gilt in den sog. Rückkehrerfällen (vgl. BVerwG v. 16.10.2011, 1 C 17.09). 4.3 BVerwG 4.9.12, 1 C 12.12: Einschränkung des Spracherfordernisses beim Nachzug zu Deutschen; keine Verweisung eines Deutschen auf Führung der Ehe im Ausland Die in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 getroffene Regelung zum Spracherfordernis ist auf den Ehegattennachzug zu Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 nur entsprechend anzuwenden. Die verfassungskonforme Auslegung des § 28 Abs. 1 Satz 5 gebietet es, von diesem Erfordernis vor der Einreise abzusehen, wenn Bemühungen um den Spracherwerb im Einzelfall nicht möglich, nicht zumutbar oder innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich sind. Dies enthebt nicht von Bemühungen zum Spracherwerb nach der Einreise. Ein deutscher Staatsangehöriger darf grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden, seine Ehe im Ausland zu führen. Das Grundrecht des Art. 11 GG gewährt ihm - anders als einem Ausländer - das Recht zum Aufenthalt in Deutschland. Dies gilt gleichermaßen für den Ehegattennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen, der eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt. 4.4 BVerwG 29.11.12, 10 C 11.12: Anerkennung von ausländischen Sorgerechtsentscheidungen; Verstoß gegen den ordre public bei fehlender Anhörung des Kindes Der verfahrensrechtliche ordre public im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG verlangt grundsätzlich, dass jedenfalls Jugendliche vor Erlass einer Sorgerechtsentscheidung persönlich angehört werden. Eine Sorgerechtsentscheidung, die in einem Verfahrenzustande gekommen ist, das den ordre public verletzt, kann trotzdem ausnahmsweise anerkannt werden, wenn die Nichtanerkennung das Kindeswohl gefährdet. Ein Visumantrag nach § 6 Abs. 3 i.V. m. § 32 Abs. 2 muss vor Vollendung des 18. Lebensjahres gestellt werden. Eine Antragstellung vor Volleindung des 16. Lebensjahres ist unschädlich. ... - 10 4.5 HessVGH 21.9.11, 3 B 1693/11: eheunabhängiges Aufenthaltsrecht, maßgeblicher Zeitpunkt der Entscheidung bei Rechtsänderung Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage für die Entscheidung über ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht ist nach der Neufassung des § 31 Abs. 1 zum 1.07.2011 zumindest in den Fällen, in denen sowohl Antragstellung als auch das erste - gedachte - Verlängerungsjahr vor Inkrafttreten der Neufassung von § 31 Abs. 1 liegen, der Zeitpunkt der Beantragung des Aufenthaltstitels. 4.6 OVG Berlin 10.11.11, OVG 2 B 11.10: Erteilung eines Visums zur Begründung einer gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft mit einem Deutschen Nach ausländischem Recht geschlossene Lebenspartnerschaften fallen nach verbreiteter Auffassung nur dann unter den Begriff der „Lebenspartnerschaft“, wenn sie nicht nur durch einen staatlichen Akt anerkannt sind, sondern in ihrer konkreten Ausgestaltung der deutschen Lebenspartnerschaft im Wesentlichen entsprechen. 4.7 OVG RhPf 18.4.2012, 7 A 10112/12: Lebens- und Erziehungsgemeinschaft eines drittstaatsangehörigen Ausländers mit seinem Kind und dessen Mutter, wenn diese zugleich Mutter eines Kindes ist, das die deutsche Staatsangehörigkeit und damit den Unionsbürgerstatus besitzt Besteht eine von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen einem drittstaatsangehörigen Ausländer und seinem minderjährigen Kind, so kann er dann nicht darauf verwiesen werden, diese Lebensgemeinschaft mit seinem Kind und dessen Mutter im Drittstaat fortzusetzen, wenn beide zwar ebenfalls Staatsangehörige dieses Drittstaates sind, die Mutter seines Kindes aber ferner Mutter eines anderen minderjährigen Kindes ist, das - auch - die deutsche Staatsangehörigkeit und damit zugleich den Unionsbürgerstatus besitzt. Letzterem steht nämlich aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zu. Außerdem könnte es, wenn es mit seiner Mutter in den Drittstaat ausreisen muss, den Kernbestand der Rechte nicht mehr in Anspruch nehmen, die ihm die Unionsbürgerschaft verleiht (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 8. März 2011 - C-34/09 - "Ruiz Zambrano"). 4.8 BayVGH 18.9.12, 19 CS 12.1370: Eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten; Dreijährige Ehebestandszeit; Neuregelung des § 31 Abs. 1 ab 01.07.2011 ohne Übergangsregelung Für die Frage, ob die Neuregelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 auch auf Altfälle anwendbar ist, ist nicht auf den Trennungszeitpunkt der Ehegatten abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt des Ablaufs der bisherigen Aufenthaltserlaubnis. Vertrauensschutzgesichtspunkte können allenfalls dann eine Rolle spielen, wenn die (bis 30.06.2011 erforderliche) zweijährige Ehebestandszeit erfüllt ist, danach die ... - 11 Trennung erfolgt und der Verlängerungsantrag bei der Behörde bereits vor der Rechtsänderung gestellt wurde (vgl. auch HessVGH v. 21.09.11). 4.9 VGH BW 9.10.12, 11 S 1843/12: eigenständiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten; Anwendbarkeit der Neuregelung vom 01.07.2011 Ist die im Bundesgebiet rechtmäßig geführte eheliche Lebensgemeinschaft nach zweijähriger Dauer noch vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 aufgehoben, der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als eigenständige Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten jedoch erst danach gestellt worden, ist für einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die ab dem 01.07.2011 geltende Gesetzesfassung maßgebend. 5. Rücknahme/Widerruf/Erlöschen einer AE/NE 5.1 BVerwG 13.4.10, 1 C 10.09: Ermessensausübung bei Rücknahme oder Widerruf eines Aufenthaltstitels Auch wenn ein Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 erfüllt, steht dies der Rücknahme oder dem Widerruf seines Aufenthaltstitels nach Wegfall der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht von vornherein entgegen. Vielmehr ist dieser Umstand bei der Ausübung des Rücknahme- oder Widerrufsermessens zu berücksichtigen. 5.2 BVerwG 17.1.12, 1 C 1.11: Kein Erlöschen eines Aufenthaltstitels durch erzwungene Ausreise (hier: Auslieferung) Der Begriff der Ausreise in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 erfasst nicht staatlich erzwungene bzw. veranlasste Ausreisen. Regelungszweck der beiden Erlöschenstatbestände ist es, die Aufenthaltstitel in den Fällen zum Erlöschen zu bringen, in denen das Verhalten des Ausländers typischerweise den Schluss rechtfertigt, dass er von seinem Aufenthaltsrecht keinen Gebrauch mehr machen will. Anderes gilt für eine privat erzwungene Ausreise. 5.3 BVerwG 11.12.12, 1 C 15.11: Erlöschen des Aufenthaltstitels bei mehrjährigem Auslandsaufenthalt (hier: Hochschulstudium) Auslandsaufenthalte führen nicht zum Erlöschen des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 6, wenn sie nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen; maßgeblich sind die objektiven Umstände des Falles. Ein Ausländer, der außerhalb Deutschlands nicht nur einen begrenzten Teil seiner Ausbildung absolviert, sondern ein vollständiges Hochschulstudium, verlässt das Land aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund. ... - 12 - 6. Ausweisung/Ausweisungsgründe 6.1 BVerwG 16.11.10, 1 C 20.09: Bezug von Sozialhilfe als Ausweisungsgrund Der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 6 erfasst nicht den Bezug von Leistungen nach dem SGB II. 6.2 BVerwG 07.12.10, 1 B 24.10: PKK als Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt Die Frage, ob es sich bei der PKK um eine Vereinigung im Sinn des § 54 Nr. 5 handelt, die den Terrorismus unterstützt, zielt nicht auf eine Rechtsfrage, sondern betrifft primär die den Tatsachengerichten vorbehaltenen Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Die Aufnahme einer Organisation auf die vom Rat der Europäischen Union angenommene List der Terrororganisationen erlaubt die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist. 6.3 BVerwG 25.10.11, 1 C 13.10: Ausweisung, „Tablighi Jamaat“ keine Vereinigung i.S.d. § 54 Nr. 5, Unterstützungsbegriff im Aufenthaltsrecht Bei dem Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 muss zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Für die erforderliche individuelle Unterstützung einer solchen Vereinigung durch den einzelnen Ausländer genügt es dagegen, dass Tatsachen eine entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Ob eine Vereinigung den Terrorismus im Sinne von § 54 Nr. 5 unterstützt, ist unabhängig von der strafrechtlichen Auslegung von § 129a StGB zu bestimmen. Der Begriff der Unterstützung umfasst auch die Sympathiewerbung. Eine Unterstützung des Terrorismus durch die Vereinigung setzt voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtete sind. Ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus. 6.4 BVerwG 14.2.12, 1 C 7.11: schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und Generalprävention, Verwurzelung; Befristung der generalpräventiven Ausweisung von Amts wegen Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 können bei strafrechtlichen Verurteilungen ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn von dem Ausländer selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, wegen der besonderen Schwere der Straftat aber ein dringendes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung generalpräventiv andere Ausländer von der Begehung ver- ... - 13 gleichbarer Straftaten abzuhalten (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung). Dies gilt grundsätzlich auch bei in Deutschland verwurzelten Ausländern. Eine allein generalpräventiv begründete Ausweisung muss zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit in ihren Wirkungen zugleich von Amts wegen befristet werden. Fehlt es an einer solchen Befristung kann der Ausländer diese im Rechtsstreit um die Ausweisung mit dem im Klagebegehren als minus enthaltenen hilfsweisen Verpflichtungsantrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung erstreiten. 6.5 BVerwG 22. 5.12, 1 C 8.11: Aufenthaltserlaubnis für anerkannten Flüchtling wegen Unterstützung des KONGRA-GEL fraglich Für die Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 2 gilt der Versagungsgrund des § 5 Abs. 4. Die Qualifikationsrichtlinie gebietet allerdings eine Einschränkung. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber einem Flüchtling steht nur dann im Einklang mit Unikonsrecht, wenn er aufgrund seines Verhaltens aus schwerwiegenden Gründen als Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmelandes anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht beabsichtigt ist. 6.6 BVerwG 10.7.12, 1 C 19.12: Anspruch auf Befristung zugleich mit Erlass der Ausweisung; keine Anwendung des Vier-Augen-Prinzips auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger Das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene Vier-Augen-Prinzip ist auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die nach Aufhebung der Richtlinie zum 30. April 2006 erlassen wurden, nicht aufgrund der Stand-StillKlauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP anzuwenden. Seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22.11.2011 haben Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 genannte Wirkungen (Einreise- und Aufenthaltsverbot, Titelerteilungssperre) befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im U. v. 14.02.2012 - BVerwG 1 C 7.11). 6.7 BVerwG 4.10.12, 1 C 13.11: Rückwirkende Aufhebung einer ursprünglich rechtmäßigen Ausweisung Auch eine ursprünglich rechtmäßige und allein wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage (hier: Wegfall der Wiederholungsgefahr) rechtswidrig gewordene Ausweisung eines Ausländers ist im Anfechtungsprozess mit Wirkung ex tunc aufzuheben. Im Rahmen seiner Ausführungen zur (durchgreifenden) Verfahrensrüge, bekräftigt das BVerwG seine Rechtsprechung zur Frage der Einholung von Sachverständigengutachten. ... - 14 Bei der im Ausweisungsverfahren eines strafrechtlich verurteilten Ausländers gebotenen Gefahrenprognose bewegt sich danach das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände – etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen – nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zu Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann. 6.8 BVerwG 13.12.12, 1 C 20.11: Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Straftäter Auch ein durch das Assoziationsrecht privilegierter türkischer Staatsnagehöriger darf dann ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Bei der hinsichtlich einer konkreten Wiederholungsgefahr anzustellenden Gefahrenprognose sind die Verwaltungsgerichte nicht an die Einschätzung der Strafgerichte bei deren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gebunden. Hinweis: Zu dieser Entscheidung liegt bislang nur eine Pressemitteilung vor. 6.9 VGH BW 15.4.11, 11 S 189/11: Generalpräventive Ausweisung wegen einer besonders schwerwiegenden Straftat Ein türkischer Staatsangehöriger, der das Bundesgebiet verlässt, um für einen nicht überschaubaren Zeitraum der ihm hier drohenden Strafverfolgung zu entgehen, verliert seine Rechte aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Ob Art. 16 Abs. 4 der UBRL dem entgegenstehen könnte, bleibt im vorliegenden Fall offen, weil die UBRL zum Zeitpunkt der Ausreise noch nicht in Kraft getreten war. Die generalpräventive Ausweisung eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der zweiten Generation nach § 53 kann auch nach dem Inkrafttreten des EUReformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 mit Art. 8 EMRK in Einklang stehen, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat begangen worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet (hier bejaht für schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität). Hinweis: Die Entscheidung ist rechtskräftig durch Urteil des BVerwG v. 13.12.2012 (Az.: 1 C 20.11, vgl. oben). Ausweislich der bislang lediglich vorliegenden Presseerklärung, wurde aber die assoziationsrechtliche Privilegierung des Klägers angenommen. Die Ausländerbehörde wurde verpflichtet, das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot auf neun Jahre zu befristen. ... - 15 6.10 VGH BW 20.10.11, 11 S 1929/11: zwingende Ausweisung, Verhältnismäßigkeitsprüfung Auch eine zwingende Ausweisung nach § 53 ist auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK hin zu überprüfen. Liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor, ist im Rahmen der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK erforderlichen Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls (nur) eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Eine Ermessensentscheidung ist von der Ausländerbehörde nicht zu treffen. 6.11 BayVGH 4.7.11, 19 B 10.1631: Verbrauch des generalpräventiven Ausweisungszwecks Die Fiktion des Fortbestehens des Aufenthaltstitels gemäß § 81 Abs. 4 steht dem Besitz der Aufenthaltserlaubnis nach § 56 Abs.1 Satz 1 Nr.2 nicht gleich. Da seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung bei allen Ausländern einheitlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist, ist auch zu berücksichtigen, ob die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Ziele erreicht sind. 6.12 VGH BW 16.4.12, 11 S 4/12: Ausweisungsschutz aufenthaltsberechtigter türkischer Staatsnagehöriger durch EG-Richtlinien Die Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) ist auch auf solche Sachverhalte anzuwenden, in denen eine Ausweisungsverfügung schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist (Art. 20 Abs. 1 RFRF wirksam verfügt worden war (im Anschluss an EuGH, U. v. 30.11.2009- C-357/09 (Kadzoev), U. v. 28.04.2011 – C-61/11 (El Dridi)). Hinweis: Die Entscheidung ist rechtskräftig durch Urteil des BVerwG vom 13.12.2012 (Az.: 1 C 14.12). Dazu existiert bislang nur eine Pressemitteilung. 6.13 VGH BW 16.5.12, 11 S 2328/11: Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, Befristung einer nicht allein generalpräventiv begründeten Ausweisung Die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings darf nur unter den Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 oder denjenigen des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) erfolgen. Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG lässt eine Ausweisung aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung i.S.v. Art. 24 Abs. 1 QRL setzen bei einer Unterstützung des internationalen Terrorismus keine herausragenden Handlungen von außergewöhnlicher Gefährlichkeit voraus; vielmehr können auch nicht besonders hervorgehobene Beiträge eines Sympathisanten genügen, wenn sie sich durch ein hohes Maß an Kontinuität auszeichnen und damit nachhaltig das Umfeld der terroristischen Organisation prägen und beeinflussen. ... - 16 Auch unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 und vom 10.07.2012 - 1 C 9.11) ist über die Befristung einer nicht allein generalpräventiv begründeten Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3, die gegenüber der Ausweisung eine eigenständige Regelung im Sine des § 35 VwVfG darstellt, nur auf Antrag zu entscheiden. Dieser Antrag ist eine nicht nachholbare Sachurteilsvoraussetzung der Verpflichtungsklage auf Befristung. 6.14 BayVGH 17.7.12, 19 B 12.417: Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger (Vier-Augen-Prinzip, materielle Voraussetzungen der Ausweisung) Aufgrund der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 (Ziebell) ist die Unanwendbarkeit des Vier-Augen-Prinzips (Art. 9 Abs. 1 RL 64/221) in den Fällen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, in denen die (durch die Unionsbürgerrichtlinie aufgehobene) Richtlinie 64/221 nicht mehr maßgebend ist, "acte clair". Die materiellen Voraussetzungen für eine Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger haben sich nicht dadurch geändert, dass nun Art. 12 RL 2003/109 anstelle Art. 3 RL 64/221 den unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bildet. Hinweis: Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (Nichtzulassungsbeschwerde anhängig). 6.15 BayVGH 22.10.12, 19 CS 12.1890: Ausweisung nach § 54 Nr. 5; Unterstützung der PKK/ KONGRA GEL Die wiederholte Teilnahme an PKK-nahen Veranstaltungen (Feiern anlässlich des Gründungstages der PKK, Geburtstages von A. Öcalan, Newroz-Fest und Demonstrationen) ist eine Tatsache, die die Schlussfolgerung zulässt, dass ein Ausländer die PKK/ KONGRA GEL unterstützt, wenn diese Veranstaltungen geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen im politischen Umfeld zu stärken. Auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, können das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne von § 54 Nr. 5 erfüllen. Für die Verwirklichung des Tatbestandes kommt es weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist, noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre. 6.16 VGH BW 5.12.12, 11 S 739/12: Befristung der Sperrwirkungen einer Ausweisung; Befristung „auf Null“ ohne vorherige Ausreise Die Sperrwirkungen der Ausweisung können in Ausnahmefällen auch in der Weise zu befristen sein, dass der Fristlauf nicht von einer vorherigen Ausreise abhängig gemacht wird (Fortentwicklung von BVerwGE 110, 140, BVerwGE 129, 226 und Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -). ... - 17 Ein solcher Ausnahmefall ist u.a. bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen gegeben. 7. FreizügG/EU, Unionsbürgerrichtlinie, EG-Vertrag 7.1 EuGH 23.11.10, C – 145/09 (Tsakouridis): Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gem. Art. 28 Abs. 3 URL Ob sich ein Unionsbürger in den letzten zehn Jahren i.S.d. Art. 28 Abs. 3 lit. a UBRL im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, ist im Einzelfall danach zu beurteilen, ob einzelne Abwesenheiten des Betroffenen bedeuten, dass sich der Mittelpunkt seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert hat. Der Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" kann auch die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität umfassen. Es ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob das Verhalten des Betroffenen unter die Tatbestände der UBRL fällt. 7.2 EuGH 8.3.11, C–34/11 (Zambrano): Europarechtliches Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Elternteils, dessen minderjähriges Kind Unionsbürger ist Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, zum einen den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern und ihm zum anderen eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehren würde. 7.3 EuGH 5.5.11, C–434/09 (McCarthy): Familiennachzug zu inländischen Doppelstaatlern Art. 3 Abs. 1 der UBRL ist dahin auszulegen, dass diese Richtlinie auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar ist. Art. 21 AEUV ist auf einen Unionsbürger, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der sich stets in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, nicht anwendbar, sofern die Situation dieses Bürgers nicht von der Anwendung von Maßnahmen eines Mitgliedstaats begleitet ist, die bewirkten, dass ihm der tatsächliche Genuss des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt oder die Aus- ... - 18 übung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert würde. 7.4 EuGH 15.11.11, C–256/11 (Dereci): Europarechtliches Aufenthaltsrecht der Ehegatten von Inländern Das Unionsrecht und insbesondere dessen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. 7.5 EuGH 21.12.11, C - 424/10 u. C – 425/10 (Ziolkowski u.a.): Recht auf Daueraufenthalt Art. 16 Abs. 1 der UBRL ist so auszulegen, dass ein Unionsbürger, der im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eine Aufenthaltszeit von über fünf Jahren nur aufgrund des nationalen Rechts dieses Staates zurückgelegt hat, nicht so betrachtet werden kann, als habe er das Recht auf Daueraufenthalt nach dieser Bestimmung erworben, wenn er während dieser Aufenthaltszeit die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht erfüllt hat. Für die Zwecke des Erwerbs des Rechts auf Daueraufenthalt gemäß Art. 16 Abs. 1 UBRL sind Aufenthaltszeiten eines Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat vor dem Beitritt dieses Drittstaats zur Europäischen Union in Ermangelung spezifischer Bestimmungen in der Beitrittsakte zu berücksichtigen, soweit sie im Einklang mit den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie zurückgelegt wurden. 7.6 EuGH 22.5.12, C–348/09 (Pietro Infusino): Ausweisung von Unionsbürgern aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit (sexueller Missbrauch und Vergewaltigung) Art. 28 Abs. 3 a) UBRL ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabschnitt 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegendengesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen gem. Art. 28 Abs. 3 UBRL eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonderes schwerwiegende Merkmale aufweist. Jede Ausweisung setzt voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allge- ... - 19 meinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten. Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, hat er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des betroffenen im Hoheitsgebiet dieses Staates, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seien soziale und kulturelle Integration in diesem Staat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. 7.7 BVerwG 22.6.11, 1 C 11.10: Ehegattennachzug zu Deutschen; unionsrechtliches Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger Dem drittstaatsangehörigen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen, der von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, steht kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy). 7.8 BayVGH 1.7.11, 10 B 10.2690: Verlustfeststellung wegen gegenwärtiger Gefährdung der öffentlichen Ordnung; tschechische Diebin Bei einer Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU muss aus dem gesamten bisherigen Verhalten des Betroffenen der Schluss gezogen werden können, dass auch in Zukunft entsprechend schwerwiegende Straftaten und damit weitere schwere Störungen der öffentlichen Ordnung zu erwarten sind. Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei den abgeurteilten Straftaten um eine erhebliche strafrechtliche Delinquenz handelt, kann man sich auch an der Einstufung eines derartigen Verhaltens durch den Gesetzgeber als Regelausweisungstatbestand orientieren. 7.9 VGH BW 7.12.11, 11 S 897/11:Aus der Unionsbürgerschaft des Kindes abgeleitetes Aufenthaltsrecht eines drittstaatsangehörigen Elternteils Für einen drittstaatsangehörigen Elternteil eines minderjährigen Kindes, welches Unionsbürger ist, ist nur dann - nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Zambrano aus der Unionsbürgerschaft des Kindes ein Aufenthaltsrecht abzuleiten, wenn das betreffende Unionsbürgerkind andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste. Dies ist nicht der Fall, wenn das Kind zusammen mit dem anderen Elternteil im Unionsgebiet bleiben kann (im Anschluss an die Urteile des EuGH vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci). 7.10 BayVGH 21.12.11, 10 B 11.182: Ausweisungsschutz von Unionsbürgern ... - 20 § 6 FreizügG/EU und Art. 28 der UBRL enthalten ein dreistufiges, am Maß der Integration des Betroffenen orientiertes System aufeinander aufbauender Schutzstufen bei Ausweisungen. Für das Erreichen der höchsten Schutzstufe genügt daher ein rein tatsächlicher Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. Aufnahmemitgliedstaat von zehn Jahren - unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit - nicht. Vielmehr muss zuvor das Recht auf Daueraufenthalt erlangt worden sein. 8. ARB, andere Assoziationsabkommen 8.1 EuGH 22.12.10, C–303/08 (Bozkurt): Fortbestehen des asszoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach Scheidung Das einmal erworbene Recht auf Aufenthalt nach Art. 7 ARB 1/80 erlischt nicht durch Scheidung. Es stellt keinen Rechtsmissbrauch dar, sich auch dann auf das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 zu berufen, wenn der Betreffende sich nach Entstehung des Rechts einer schwerwiegenden Gewalttat gegen seine Ehefrau schuldig gemacht hat, von der er das Aufenthaltsrecht abgeleitet hat. Die Verschärfung einer nach dem 01.12.1980 eingeführten ausländerrechtlichen Bestimmung, die aber gleichwohl eine Erleichterung der am 01.12.1980 geltenden Bestimmung bedeutet, stellt trotzdem eine neue Beschränkung im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 dar und ist somit auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar. 8.2 EuGH 16.6.11, C - 484/07(Pehlivan): Aufenthaltsrecht verheirateter Kinder türkischer Arbeitnehmer; Heirat vor Ablauf der Drei-Jahres Frist des Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass - diese Vorschrift einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Familienangehöriger eines bereits dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehörenden türkischen Wanderarbeitnehmers, dem ordnungsgemäß die Genehmigung erteilt worden war, zu Letzterem zu ziehen, die nach dieser Vorschrift im Rahmen der Familienzusammenführung vorgesehenen Rechte allein deshalb, weil er nach Eintritt der Volljährigkeit geheiratet hat, verliert, obwohl er während der ersten drei Jahre seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat bei diesem Arbeitnehmer wohnen bleibt; - ein türkischer Staatsangehöriger, der wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens unter die genannte Vorschrift fällt, ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage dieser Vorschrift geltend machen kann, auch wenn er vor Ablauf der in dem genannten Abs. 1 erster Gedankenstrich vorgesehenen dreijährigen Frist geheiratet hat, sofern er während dieser gesamten Zeit tatsächlich mit dem türkischen Wanderarbeitnehmer zusammenwohnt, durch den er im Rahmen der Familienzusammenführung in diesen Mitgliedstaat einreisen durfte. ... - 21 8.3 EuGH 29.9.11, C – 187/10 (Unal): Widerruf der Aufenthaltserlaubnis eines gem. Art. 6 ARB 1/80 assoziationsberechtigten türkischen Arbeitnehmers Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass er die zuständigen nationalen Behörden daran hindert, die Aufenthaltserlaubnis eines türkischen Arbeitnehmers rückwirkend auf den Zeitpunkt zu widerrufen, von dem an der im nationalen Recht vorgesehene Grund für ihre Erteilung nicht mehr besteht, wenn der Arbeitnehmer keine Täuschung begangen hat und der Widerruf nach Ablauf des in Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich genannten Zeitraums von einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung erfolgt. 8.4 EuGH 8.12.11, C–371/08 (Nural Ziebell): Ausweisungsschutz assoziationsberechtigter türkischer Arbeitnehmern Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass der den türkischen Staatsangehörigen durch diese Vorschrift gewährte Ausweisungsschutz nicht denselben Umfang aufweist wie der Schutz, den die Unionsbürger nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a URL genießen, so dass die für Unionsbürger geltende Regelung des Ausweisungsschutzes nicht entsprechend auf türkische Staatsangehörige angewandt werden kann, um die Bedeutung und die Tragweite dieser Vorschrift zu bestimmen; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hindert nicht, dass eine auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützte Ausweisungsmaßnahme gegen einen türkischen Staatsangehörigen getroffen wird, der eine Rechtsposition nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 besitzt, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Es obliegt dem vorlegenden Gericht, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte der Situation des betreffenden türkischen Staatsangehörigen zu prüfen, ob eine solche Maßnahme im Ausgangsverfahren rechtlich zulässig ist. 8.5 EuGH 29.3.12, C–7/10 u. C-9/10 (Kahveci und Inan): Doppelte Staatsangehörigkeit hindert nicht Bestand des Assoziationsrechts Art. 7 ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass die Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, sich weiterhin auf diese Bestimmung berufen können, wenn dieser Arbeitnehmer die Staatsangehörigkeit des Aufnahmemitgliedstaats erhalten hat und gleichzeitig die türkische Staatsangehörigkeit beibehält. 8.6 EuGH 19.7.12, C–7/10 u. C-451/11 (Natthaya Dülger): Aufenthaltsrecht der aus einem Drittstaat stammenden Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers Art. 7 Abs. 1 ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass sich ein Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der Staatsangehöriger eines anderen Drittlands als der ... - 22 Türkei ist, im Aufnahmemitgliedstaat auf die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechte berufen kann, wenn alle anderen darin vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. 8.7 BVerwG 19.4.2012, 1 C 10.11:Assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht für türkische Arbeitnehmer bei geringfügiger Beschäftigung Auch ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mit einer geringen Wochenarbeitszeit kann türkischen Arbeitnehmern ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln. Nach unionsrechtlicher Auslegung ist jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen ausübt und hierfür eine Vergütung erhält. Dabei bleiben Tätigkeiten außer Betracht, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Hinweis: Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich hier der Rechtsprechung des EuGH an (U. v. 04.02.2010, Rs. C-1/09 „Genc“). 8.8 BVerwG 22.5.12, 1 C 6.11: Anforderungen an Aufenthaltserlaubnis bei assoziationsrechtlichem Daueraufenthaltsrecht Eine Aufenthaltserlaubnis, die ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 bescheinigt, muss eine Gültigkeitsdauer von wenigstens fünf Jahren aufweisen. Außerdem muss sie eindeutig erkennen lassen, dass ihr ein assoziationsrechtliches Daueraufenthaltsrecht zu Grunde liegt. Die bisher übliche Form und Bescheinigung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 genügt den Anforderungen des Assoziationsrechts nicht. 8.9 BVerwG 10.7.12, 1 C 19.12: Anspruch auf Befristung zugleich mit Erlass der Ausweisung; keine Anwendung des Vier-Augen-Prinzips auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger Das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene Vier-Augen-Prinzip ist auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die nach Aufhebung der Richtlinie zum 30. April 2006 erlassen wurden, nicht aufgrund der Stand-StillKlauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP anzuwenden. 8.10 VGH BW 10.2.12, 11 S 1361/11: Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger; Vier-Augen-Prinzip Das "Vier-Augen-Prinzip" des Art. 9 Abs. 1 RL 64/221/EWG ist nach dessen Aufhebung durch die URL auch auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht mehr anzuwenden. ... - 23 Die in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten materiellen unionsrechtlichen Grundsätze zum Ausweisungsschutz assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger gelten auch nach der jüngsten Entscheidung in der Sache Ziebell (Urteil vom 08.12.2011 - Rs C-371/08) unverändert weiter. Eine andere Sicht ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der EuGH im Urteil in der Sache Ziebell in der Antwort auf die Vorlagefrage davon spricht, dass die Ausweisung "unerlässlich" sein muss. Vielmehr wird mit dieser Formel nur mit anderen Worten der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelte Grundsatz zum Ausdruck gebracht, wonach die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinn) vorzunehmen ist. 8.11 VGH BW 7.3.12, 11 S 3269/11: Fehlendes Grundinteresse der Gemeinschaft bei Strafaussetzung zur Bewährung Ein nach Maßgabe der Schwere der drohenden Rechtsgutsverletzung gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist mit Unions- bzw. Assoziationsrecht nicht zu vereinbaren (dagegen mittlerweile BVerwG, U. v. 10.07.12, Az.: 1 C 19.12). Eine rechtskräftige strafgerichtliche Aussetzung eines Strafrestes ist nach unionsbzw. assoziationsrechtlichen Maßstäben einer Ausweisung zugrunde zu legen, wenn sie auf einer sachverständigen Begutachtung beruht mit der Folge, dass eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, regelmäßig nicht mehr angenommen werden kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Aussetzung offenkundig fehlerhaft oder überholt ist. Hinweis: Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt (Az.: 1 C 10.12). Das BVerwG hat am 13.12.2012 in einem anderen Verfahren (Az. 1 C 20.11) entschieden, dass die Verwaltungsgerichte bei der Gefahrenprognose nicht an die Einschätzung der Strafgerichte bei deren Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gebunden sind. 8.12 BayVGH 17.7.12, 19 B 12.417: Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger; Vier-Augen-Prinzip Aufgrund der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 (Ziebell) ist die Unanwendbarkeit des Vier-Augen-Prinzips (Art. 9 Abs. 1 RL 64/221) in den Fällen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, in denen die (durch die Unionsbürgerrichtlinie aufgehobene) Richtlinie 64/221 nicht mehr maßgebend ist, "acte clair". Die materiellen Voraussetzungen für eine Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger haben sich nicht dadurch geändert, dass nun Art. 12 RL 2003/109 anstelle Art. 3 RL 64/221 den unionsrechtlichen Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 bildet. Hinweis: Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig (Nichtzulassungsbeschwerde anhängig). ... - 24 - 9. Andere EU-Richtlinien/Verordnungen 9.1 VGH BW 10.2.12, 11 S 1361/11: Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) Anders als eine Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung stellt die Ausweisung keine Rückführungsentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie dar. Hinweis: Der VGH BW bestätigt damit seine Senatsrechtsprechung in den Urteilen vom 07.12.11 (11 S 897/11) und vom 04.05.11 (11 S 207/11). 10. Prozessuales; sonstige Rechtsgebiete 10.1 BVerwG 13.4.10, 1 C 10.09: Beurteilungszeitpunkt bei Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis Bei der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheids, durch den eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zurückgenommen oder widerrufen wird, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts zugrunde zu legen. 10.2 BVerwG 11.1.11, 1 C 22.09: Aufenthaltserlaubnis auf Probe als eigenständiger Streitgegenstand Das Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach § 104a Abs. 1 Satz 1 stellt gegenüber sonstigen Ansprüchen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes einen abtrennbaren eigenständigen Streitgegenstand dar. 10.3 BVerwG 22.6.11, 1 C 11.10: eheliche Lebensgemeinschaft, Beweislast Der ausländische Ehegatte, der ein nationales Visum zum Familiennachzug begehrt, trägt im Falle der Nichterweislichkeit des Vorliegens einer Schein- oder Zweckehe die materielle Beweislast für die gemäß § 27 Abs. 1 bedeutsame Absicht, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu führen (wie Urteil vom 30. März 2010 BVerwG 1 C 7.09). ... - 25 10.4 BVerwG 13.12.11, 1 C 14.10: erstmalige Ermessensausübung während des gerichtlichen Verfahrens gegen eine Ausweisung § 114 Satz 2 VwGO schließt es im Rechtsstreit um die Ausweisung eines Ausländers nicht aus, eine behördliche Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren zu treffen und zur gerichtlichen Prüfung zu stellen, wenn sich aufgrund neuer Umstände die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt. Bei der Nachholung einer behördlichen Ermessensentscheidung, aber auch allgemein bei der Ergänzung von behördlichen Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren muss die Behörde klar und eindeutig zu erkennen geben, mit welcher Begründung sie den angefochtenen Bescheid nunmehr aufrechterhält. 10.5 BVerwG 22.3.12, 1 C 3.11: Beurteilungszeitpunkt bei Überprüfung einer Abschiebungsandrohung Für die gerichtliche Beurteilung einer Abschiebungsandrohung ist jedenfalls dann, wenn der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder noch nicht freiwillig ausgereist ist, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich. 10.6 BVerwG 22.3.12, 1 C 5.11: Zuständigkeit für Befristungsentscheidung Eine Annexzuständigkeit der eine Abschiebung anordnenden Ausländerbehörde für eine spätere Entscheidung über die Befristung ihrer Wirkungen nach § 11 Abs. 1 besteht nicht. Für die Entscheidung über einen Antrag auf Befristung der Wirkungen einer Abschiebung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 sind grundsätzlich die Ausländerbehörden des Bundeslandes zuständig, in dem der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte (entsprechende Anwendung der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG des Bundes übereinstimmenden Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder). Die Zuständigkeit nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet besteht auch dann fort, wenn der Ausländer seinen gewöhnlichen Aufenthalt nunmehr im Ausland genommen hat. 10.7 BVerwG 16.10.12, 10 C 6.12: Haftung für Kosten der Abschiebung; Rechtsverletzung durch die Kosten auslösende Amtshandlung Ein Ausländer und der ihn unerlaubt beschäftigende Arbeitgeber haften für die Kosten einer Abschiebung nach § 66 Abs. 4 nur, wenn die Kosten auslösenden Amtshandlungen den Ausländer nicht in seinen Rechten verletzen. Bei unselbständigen Amtshandlungen, die nicht in die Rechte des Ausländers eingreifen, ist von der Erhebung der Kosten lediglich nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG abzusehen. Die Kostenschuldner des § 66 sind nach § 67 Abs. 3 Satz 1 zu einer Erstattung der entstandenen Abschiebungskosten in tatsächlicher Höhe verpflichtet. Die Möglichkeit einer Reduzierung der Kostenschuld aus Verhältnismäßigkeitsgründen ist dem Vollstreckungsverfahren vorbehalten. ... - 26 - 10.8 BVerwG 29.11.12, 10 C 11.12: Visum zum Kindernachzug, Streitgegenstand Das auf Erteilung eines Visums zum Kindernachzug gerichtete begehren bildet einen einheitlichen Streitgegenstand. Die einzelnen Anspruchsgrundlagen des § 32 Abs. 1 bis 4 stehen zueinander in Anspruchsnormenkonkurrenz. 10.9 BayVGH 06.4.11, 19 BV 10.304: Festsetzungsverjährung bei Abschiebungskosten Für die Festsetzungsverjährung bezüglich der Kosten einer Abschiebung gilt (ergänzend) die vierjährige Verjährungsfrist des § 20 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwKostG. Die in § 83 Abs. 4 Satz 3 AuslG und § 70 Abs. 1 geregelte sechsjährige Frist ab Fälligkeit bezieht sich nur auf die Zahlungsverjährung, nicht aber auf die Festsetzungsverjährung (ebenso: HessVGH, U. v. 13.06.2012, 5 A 2371/11). 10.10 HessVGH 21. 9.11, 3 B 1693/11: eheunabhängiges Aufenthaltsrecht, maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt bei Rechtsänderung Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage für die Entscheidung über ein eheunabhängiges Aufenthaltsrecht ist nach der Neufassung des § 31 Abs. 1 zum 1. Juli 2011 zumindest in den Fällen, in denen sowohl Antragstellung als auch das erste - gedachte - Verlängerungsjahr vor Inkrafttreten der Neufassung von § 31 Abs. 1 liegen, der Zeitpunkt der Beantragung des Aufenthaltstitels. 10.11 OVG Nds 1.8.12, 8 LA 137/11: Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis Eine Aufenthaltserlaubnis ist kein Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG. Ein etwaiges Vertrauen des von der Rücknahme Betroffenen in den Bestand der Aufenthaltserlaubnis steht einer Rücknahme nach § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG nicht als tatbestandlicher Ausschlussgrund im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG entgegen, sondern ist als ein Gesichtspunkt bei der nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. 10.12 VGH BW 9.10.12, 11 S 1843/12: Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs 5 VwGO Auch wenn das Gericht eine komplexe Frage des materiellen Rechts im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorläufig zu Lasten des Antragstellers beantwortet, kann bei einer ober- bzw. höchstrichterlich nicht abschließend geklärten Fragestellung (hier: Anwendung der Alt- oder Neufassung des § 31) nach dem Umständen des Einzelfalles seinem Interesse an einem vorläufigen Verbleiben im Bundesgebiet der Vorrang eingeräumt werden.