Heft 5

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Heft 5
NR. 5 | 2015
BLICK PUNKTE
MENSCH
GESELLSCHAFT
Gesunde Qualität –
Gesundheitsversorgung auf dem Prüfstand
SICHERHEIT
Inhaltsverzeichnis
VERSORGUNG
Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
„Gesunde“ Qualität –
Gesundheitsversorgung auf dem Prüfstand
Seite 04
OPTIMIERUNG
Prof. Dr. med. Franz Fogt
Prof. Dr. med. Axel Wellmann, Celle
„Gesunde“ Qualität –
Qualitätsverbesserung als Alleinstellungsmerkmal
im Krankenhausbereich
Seite 09
SICHERUNG
Dr. Timm Genett
Qualität im Gesundheitswesen –
Die Sicht der PKV
Seite 12
Impressum
Herausgeber
SDK-Stiftung
der Süddeutschen Krankenversicherung a.G.
Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach
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Redaktion
Süddeutsche Krankenversicherung a.G.
Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Druck
Knöller Druck, Stuttgart
Gestaltung, Satz
Wohlgemuth & Company, Stuttgart
Bildnachweise
S. 01: Thinkstock
ISSN
2197-8980
02
Liebe Leserinnen
und Leser,
das neueste Heft der SDK-Stiftungspublikation „BLICK-
Beispiel in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen – und
PUNKTE | mensch:gesellschaft:sicherheit“ bereitet
nicht zuletzt erheblichen Mut, ein bereits hochausgebildetes
als Begleitheft des SDK-Symposiums das zu Jahresbeginn
und erfolgreiches Gesundheitssystem immer weiter nach
2015 von Fachleuten in Bad Cannstatt diskutierte Thema
vorne zu bringen. Die Politik geht erste kritische Bereiche
„Gesunde Qualität – Gesundheitsversorgung auf dem Prüf-
an, beispielsweise mit dem neuen Qualitätsbegriff in der
stand“ für Sie auf.
Pflege. Und auch der PKV-Verband, dessen Geschäftsführer
Dr. Timm Genett einen Beitrag dieses Heftes beigesteuert
Bei der mittlerweile sechsten Auflage des Symposiums
hat, ist in Sachen Qualität aktiv. Die dort geplante Stiftung
der SDK-Stiftung stellten die Referenten die Qualitätsfrage
soll durch gesundheitliche Aufklärung Patienten stärken und
ganz bewusst auch provokativ. Unser oftmals eher ober-
deren Kompetenz und Selbstbestimmung fördern.
flächlicher Blick auf das deutsche Gesundheitssystem und
die Versorgungssituation für Patienten in Deutschland lässt
Den Rahmen des Heftes bildet der Leitartikel von Prof. Dr.
die Lage für uns Deutsche rosig erscheinen. Das deutsche
Brüggenjürgen, Leiter des SDK-Instituts für Gesundheits-
Gesundheitssystem ist zweifellos eines der besten der
ökonomie. Die übrigen Autoren leisten ihren Beitrag für ein
Welt. Trotzdem gibt es die eine oder andere Stelle, an der
facettenreiches Bild unterschiedlichster Qualitätsfragen in
die Qualitätsfrage kritisch ins Spiel kommt und noch Räu-
ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern.
me für Verbesserungen bestehen. Man denke nur an das
Stichwort Krankenhaushygiene oder den Pflegebereich.
Gewinnen Sie neue Erkenntnisse und spannende Sicht-
In Deutschland erkranken nach Angaben des Bundesge-
weisen beim Lesen.
sundheitsministeriums jährlich 400.000-600.000 Menschen an Krankenhausinfektionen. Von ihnen sterben gar
Ihr
10.000-15.000. Über seine Erfahrungen mit genau dieser
Problematik am US-amerikanischen Universitätsklinikum in
Pennylvania berichten in unserem Heft beispielsweise Prof.
Dr. Franz Fogt und Prof. Dr. Axel Wellmann.
Klaus Henkel
Kuratoriumsvorsitzender SDK-Stiftung
Qualitätsstandards zu definieren ist zweifellos schwierig
und fordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Fachkenntnissen, fundierte Einblicke in die Alltagsrealität – zum
03
VERSORGUNG
„Gesunde“ Qualität –
Gesundheitsversorgung auf dem Prüfstand
von Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
Eine 99,9-prozentige Fehlerfreiheit bedeutet: wenigstens 20.000 falsche Verschreibungen pro Jahr, eine Stunde pro Monat verschmutztes Trinkwasser oder 300 fehlerhafte chirurgische Eingriffe in Deutschland pro Woche! Qualitätssicherung auf diesem
Niveau wäre sicherlich nicht anzustreben – Vermeidung und Verbesserung der Situation
durch Qualitätsmanagement schon. Qualität ist insbesondere auch Fehlerfreiheit. Die Beseitigung von vermeidbaren Fehlern ist daher
auch ein Kernansatz der Qualitätsverbesserung, um Patienten vor unnötigen, fehlerhaften und
schlecht erbrachten Leistungen zu schützen. (1) Schon Hippokrates lehrte diesen fehlervermeidenden, „primum nihil nocere“ Ansatz: Wenn schon nicht erfolgreich behandelt werden kann, dann
sollte der Heiler doch zumindest dem Patienten nicht schaden!
Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
Seit Dezember 2008 leitet Prof. Dr. Bernd
Brüggenjürgen den SDK-Stiftungslehrstuhl
für Gesundheitsökonomie an der SteinbeisHochschule Berlin.
Trotz jahrzehntelangen Bemühungen zur Fehlervermeidung und Qualitätsverbesserung treten dennoch sowohl im Krankenhaus als auch im ambulanten Bereich immer wieder vermeidbare Qualitätsprobleme auf: In Deutschland geht das Bundesgesundheitsministerium z.B. von insgesamt
400.000 bis 600.000 Patienten aus, die jedes Jahr durch medizinische Behandlungen Infektionen
bekommen – und von bis zu 15.000 Toten. 1.500 bis 4.500 Todesfälle dieser Krankenhausinfektionen in Deutschland wären vermeidbar. (2)
Bei allen qualitätsverbessernden Interventionen muß hinterfragt werden, wie kann ich Qualität
definieren und dann wie handeln, um eine bessere Qualität zu erreichen? Diese Frage ist nicht neu
und wurde in früheren Hochkulturen mitunter recht prägnant beantwortet. Die erste überlieferte
Qualitätssicherungsregel und darin integrierte Entlohnung bzw. negative Sanktionierung stammt
aus der Rechtssammlung des König Hammurapi von Babylon (1810 -1750 v.Chr.). (3)
„Wenn ein Arzt einem Bürger eine schwere Wunde mit einem Operationsmesser beibringt und den
Bürger heilt, oder wenn er die Schläfe eines Bürgers mit dem Operationsmesser und das Auge des
Bürgers erhält, so soll er zehn Scheqel Silber erhalten.
Wenn ein Arzt einem Bürger eine schwer Wunde mit einem Operationsmesser beibringt und den
Tod des Bürgers verursacht oder wenn er die Schläfe eines Bürgers mit dem Operationsmesser
öffnet und das Auge des Bürgers zerstört, soll man ihm eine Hand abhacken.“
Durch Qualitätsinitiativen in der Wirtschaft in den 1960er Jahren befördert beteiligten sich auch
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im Gesundheitswesen zunehmend Staat, Wissenschaft und insbeson-
Qualitätssicherung ist die einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung
dere in den USA dann auch die Wirtschaft an der Qualitätsdiskussion.
durch Personen, die nicht in der Einheit (z.B. Station) beschäftigt sind.
Der Gesetzgeber regulierte Rahmenbedingungen, die vormals allein und
„kollegial“ von Ärzten geregelt wurden. In den USA wurde diese Phase
Die Qualität wird meisten in der Trias von Struktur-, Prozess- und
1990 zunehmend von einer marktwirtschaftlichen Kontrolle abgelöst. Die
Ergebnisqualität analysiert. (8) Häufig findet sich in Ergänzung der
Diskussion und intensive Verfolgung von Qualitätsproblemen ist dann
ersteren Komponenten die Konzeptqualität. Diese Aufteilung hat sich
insbesondere durch die Veröffentlichung der Studie „To err ist human“
für eine strukturierte Analyse bewährt. So kann man z.B. beobachten,
1999 befördert worden. (4)
dass individuelle Entscheidungen (korrekte oder falsche) sehr stark
von den institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen
Die Einschätzung, welche Verfahren gut oder schlecht waren, wurde auch
geprägt sind. Eine Analyse von Medikationskomplikationen in einer
in Deutschland zunächst von Seiten der Ärzte getroffen. So hat z.B. in
der größten US-Beobachtungstudien zu diesem Thema zeigte, dass
Deutschland der Deutsche Ärztetag schon 1924 erste Richtlinien zur Quali-
Medikationsfehler und in deren Folge Patientenschäden in weit stär-
tätssicherung verabschiedet. In Deutschland wurden Maßnahmen zur Quali-
kerem Maße auf schlechte Systemstrukturen zurückgehen als durch
tätssicherung erstmals 1989 im Sozialgesetzbuch (SGB V) erwähnt. Analoge
individuelle Mängel bedingt waren. Hierzu zählten insbesondere feh-
Anforderungen finden sich für die Pflege und Rehabilitation. Mittlerweile
lende Patientendokumentation, nicht ausreichende Informationswei-
müssen alle medizinischen Leistungserbringer ein internes Qualitätsma-
tergabe und durch fehlende Richtlinien bedingte Dosierungsfehler. (9)
nagement führen und Ärzte eine Fortbildungspflicht erfüllen. Zudem sind z.B.
Krankenhäuser verpflichtet an externen Qualitätsvergleichen teilzunehmen.
Entscheidend sind die Erkennung und der Umgang mit Fehlern. Hier findet sich in den USA eine im Vergleich zu Deutschland längere Beschäfti-
_„ Gesunde“ Qualität: Die Begriffe
gung mit dem Mangement von Fehlern. Treten Fehler auf, führt letztend-
Ausgehend von der in der Wirtschaft üblichen Definition, dass Qualität
lich auch das amerikanische Rechtssystem zu einer intensiven ggf. hoch
die Fähigkeit eines Produktes ist, den gestellten Anforderungen ge-
strafbewehrten Verfolgung. Daher ist ein starker Anreiz gegeben, Fehler
recht zu werden, sind im Gesundheitswesen aufgrund des schwierig
zu erkennen und zu vermeiden. Allerdings führt die Angst der Amerikaner
zu definierenden Gutes Gesundheit erweiterte Definition gebräuchlich:
vor solchen Klagen dazu, dass sie eine zunehmend defensivere Medizin
„Quality is the extent to which health services for individuals and popu-
betreiben als deutsche Ärzte. (10) Laut Gigerenzer würde der Arzt dem
lations increase the likelihood of desired health outcomes and are consi-
Patienten also nicht mehr das Beste raten, sondern etwas, was ihn selbst
stent with current professional knowledge”. (5 ) Geraedts versteht unter
vor dem Patienten schützt. (10)
Qualität, dass Patienten sicher behandelt werden, Erkrankungsfolgen
und frühe Mortalität verhindert sowie Lebensqualität und Zufriedenheit
_N utzen Qualitätsmanagement
aufrechterhalten werden. (6)
Die Zahl der Verfahren zur Qualitätsverbesserung in der ambulanten
Fehler sind Teil jedes Qualitätsproblems und werden definiert als eine
und stationären Versorgung ist kaum noch überschaubar. Zudem
Handlung oder ein Unterlassen, bei dem eine Abweichung vom Plan, ein
mangelt es auch an einer grundlegenden einheitlichen Definition von
falscher Plan oder kein Plan vorliegt. Ob daraus ein Schaden entsteht
Qualität im Gesundheitswesen. Noch weniger ausgeprägt ist das Wis-
wie z.B. ein unerwünschtes Ereignis, ist für die Definition des Fehlers
sen, an welchem sinnvollen Ziel die Maßnahmen abgeglichen werden
zunächst irrelevant. (7)
sollen und wie die Qualität überhaupt verbessert werden kann.(11)
Äußerst unangenehm wird es, wenn man strukturiert nach einem wis-
Qualitätssicherung (QS) umfasst alle Maßnahmen, die sicherstellen,
senschaftlichen Beleg für die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der
dass ein Produkt den definierten Anforderungen gerecht wird. Unter
qualitätssichernden Maßnahmen fragt. Ist die Existenz eines QM Hand-
Qualitätsmanagement (QM) werden somit alle auf die festgelegte
buch schon eine Garantie für eine bessere Diagnostik und Therapie?
Qualität abgestimmten und koordinierten Aktivitäten zur Leitung und
Führt die Dokumentation von Leistungen zwangsläufig zu einer Verbes-
Steuerung einer Organisation verstanden. Internes Qualitätsmanage-
serung der Behandlung?
ment ist die Sicherung und Verbesserung der Qualität und Definition
So fand sich in einem systematischen Review zur Frage des Nutzens
durch die Mitarbeiter der Einheit selber („Qualität nach Maß“). Externe
von Qualitätsprogrammen im Krankenhaus auf Basis von 18 ausgewähl-
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ten Arbeiten keine Studie, die in Deutschland
einen kausaler Zusammenhang zwischen QM/
QS-Programmen und einem relevanten Nutzen für die verbesserte Behandlungsqualität
von Patienten im Krankenhaussektor zeigen
konnte. Die 3065 potentiell relevanten Artikel
zeigten fast ausschließlich inkonsistente oder
unzureichend valide Ergebnisse ohne eindeutig
dings die diagnostischen Ergebnisse mit den
vertrauenswürdigen Personen. (15) Die Qualität
Informationen aus Krebsregistern verbunden
deutscher Krankenhäuser wird derzeit allerdings
_G esunde Qualität
werden und zudem noch eine Risikoadjustie-
laut einer KPMG Studie durch die strukturierten
Daher stellt sich die Frage, welche Maßnah-
rung erfolgen. Dies wird aber selbst in Erpro-
Qualitätsberichte gemäß § 137 SGB V auch als
men zur Sicherung bzw. Verbesserung von
bungsregelungen nicht durchgeführt. (14)
nicht für den Patienten nachvollziehbar gemes-
positive oder negative Effekte. (12)
hoffentlich zuvor definierter Qualität sind
sen. (18) So wird denn für Deutschland auf Basis
dann eigentlich „gesund“ im Sinne von sinn-
_Was Patienten wissen wollen
einer Krankenhausstichprobe berichtet, dass es
voll und wirtschaftlich?
Die Rolle des Patienten hat sich über die letz-
keinen statistisch nachweisbaren Zusammen-
ten Jahrzehnte von einer im Wortsinne „ertra-
hang zwischen der in den strukturierten Quali-
_Prüfstand//Transparenz
genden“ zu einer „partizipativen“ Rolle weiter-
tätsberichten erfassten Qualität und der von den
Die aktuelle Qualitätsdiskussion wird stark
entwickelt. Patienten haben heute ein Recht auf
Patienten eingeschätzten Qualität gibt. (18)
geprägt von der Forderung nach mehr Trans-
Beteiligung, Respekt und Information und kön-
parenz. So fordert die Patientenvertreterin im
nen und sollen dies auch einfordern. Interessant
_Überprüfbarkeit von Qualität
Bundesausschuss, dass Patienten ein Anrecht
ist allerdings, dass Patienten weniger Interesse
Neben der Definition von Qualität ist auch
haben zu wissen, wo es gute und schlechte
an harten Qualitätsendpunkten wie Mortalität
die Ent wicklung und Verwendung von Qua-
Ärzte gibt. Allerdings kommt es ihrer Ansicht
und Komplikationsraten zeigen als vielmehr an
litätsindikatoren zur Überprüfung der zuvor
nach trotz freier Arzt- und Krankenhauswahl
Ausstattungsmerkmalen hinsichtlich der Pro-
definierten Ziele anspruchsvoll und sollte
noch nicht zum vielbeschworenen Wettbewerb.
zessqualität und der Beurteilung der erreichten
nicht zu einer unnötigen Mehrbelastung der
„Das liegt daran, dass gute und schlechte Leis-
Patientenzufriedenheit. (15)
Akteure führen.
tungen bislang höchstens eingeschränkt sicht-
In Rehabilitationseinrichtungen waren analog
Allerdings wird erst in letzter Zeit wissenschaft-
bar sind.“ (13)
Zuwendung, Information und individuelle Be-
lich belastbar der Frage nach der Aussagekraft
So gaben im Gesundheitsmonitor der Ber-
handlung wichtigstes Qualitätsmerkmal. (16)
und des Dokumentationsaufwandes von Quali-
telsmann-Stiftung nur 45 Prozent der Be-
Grande und Romppel zeigten, dass die dia-
tätsindikatoren nachgegangen. So zeigte eine
fragten an, sich über Qualität informieren zu
gnostische Ausstattung, die Fachrichtung der
Studie über Aufwand und Nutzen der externen
können.(13) Allerdings nutzten, bzw. lasen
Ärzte, die Qualifikation des Chefarztes und die
Qualitätssicherung
z.B. in einer Facharzt-Praxis von 2700 Pati-
erreichten Ergebnisse hinsichtlich Wiederher-
Dresden, dass die QS-relevanten Leistungs-
enten nur 50 den Qualitätsbericht. Anderer-
stellung der Leistungsfähigkeit und Verbesse-
bereiche im Zeitraum 2003 bis 2011 von acht
seits fragten Patienten, die eine Koloskopie
rung des körperlichen Zustandes aus Patien-
auf 16 erhöht wurden und die jährliche Anzahl
planten, durchaus direkt nach der Komplika-
tensicht am wichtigsten waren. (17) Daher ist
an Bögen von 1300 auf 7900 gestiegen waren.
tionsrate dieser Praxis. (14)
es nicht verwunderlich, dass die traditionelle
Nur neun Bögen waren von auffälliger Behand-
Die (langfristige) Ergebnisqualität ist schwer zu
Qualitätsberichterstattung kaum Relevanz zu
lungsqualität, wobei dies überwiegend Doku-
erfassen, daher wird in der ambulanten Versor-
haben scheint. Qualitätsberichte werden z.B.
mentationsfehlern geschuldet war. Dokumenta-
gung überweigend versucht, die Strukturquali-
von Patienten kaum für die Auswahl deutscher
tionsfehler – eigentlich nicht Teil des eigentlich
tät zu überprüfen. Für die Mammografie wäre
Kliniken genutzt. Hier sind die wichtigsten Aus-
medizinischen Problems – sind erstaunlicher-
z.B. ein idealer Ergebnisparameter die Rate
wahlkriterien anekdotische Fallberichte in den
weise 2011 zusätzlich zum Qualitätsproblem
korrekter Befundungen. Dafür müssten aller-
Medien und Empfehlungen von bekannten und
ernannt worden. Hierfür benötigten dann 16
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am
Universitätsklinikum
Mitarbeiter bei acht bis 15 Arbeitstage insgesamt 1426 Tage pro Jahr! (20) Wie problematisch die
Leistungen verbessert werden. (22)
Umsetzung von Qualitätsindikatoren sein kann zeigt die Einführung der Pflegenoten: Die derzeitigen
Aber hängt der Geschäftserfolg wirklich von
Bewertungen sagen kaum etwas über die tatsächliche Pflegequalität aussagen. Die überwiegend
der Qualität ab und ist diese einheitlich defi-
sehr guten Noten haben keine Aussagekraft für den Verbraucher, vielmehr verstärken sie den Ein-
niert? Zumindest aktuelle Studien lassen daran
fluss pflegeferner Kriterien auf die Gesamtnote und begünstigen den Ausgleich von Pflegemängeln
zweifeln: Laut KPMG wird weder die Qualität in
durch guten Service. (21) Sie gelten sowohl aus Sicht der Pflege als auch der Politik als gescheitert
deutschen Krankenhäusern verlässlich ermittelt,
und die Abschaffung bzw. Neuausrichtung als gesichert. Die problematische Einführung ist insbe-
noch wird sie ausreichend vergütet und infolge
sondere vor dem Hintergrund verfügbarer Nationaler Expertenstandards in der Pflege seit dem Jahr
gibt es auch keinen statistisch nachweisbaren
2000 erstaunlich. Allerdings werden international verbreitete Leitlinien in Deutschland bisher kaum
Zusammenhang zwischen der Qualität und dem
genutzt. (22)
wirtschaftlichen Erfolg deutscher Krankenhäu-
Auch die Inhaltliche Aussagekraft der medizinischen Qualitätsmessung im Krankenhaus ist nicht
ser. (18) Die Patientensicherheit (und damit die
zufriedenstellend: Mit den derzeit üblichen Indikatoren aus 17 Leistungsbereichen werden nach
Vermeidung von Fehlern) wird dabei nur dann
Angaben des AQUA-Institutes nur rund 20 Prozent der Krankenhausleistungen erfasst. Zudem sind
wichtig sein, wenn sie sich auch in den ökono-
viele der Indikatoren nur bedingt einsetzbar. Manipulationen seien durch Weglassen möglich und
mischen Zahlen des Krankenhauses ausdrückt.
viele Erhebungsmerkmale von der Interpretation des Erfassers abhängig. Eine entscheidende Be-
(10)
grenzung liegt im Entlassungszeitpunkt, da standardisierte Aussagen zur Sterblichkeit ohne poststationäre Informationen nicht möglich sind. Somit bleibt die Gesamtbeurteilung ganzer Kliniken
Andererseits wird immer wieder postuliert, dass
problematisch. (23)
auch aus Marketing-Sicht, die Nutzung von Qualitätsdaten für die freiwillige Außendarstellung
In Deutschland zeigt sich mehr noch als in anderen europäischen Länder das Problem der Tren-
hilfreich sei und dass Öffentlichkeit, Politik und
nung von ambulant und stationär. Hier stellen sich aber selbst in den erst 2010 eingeführten Er-
Krankenkassen zunehmend die Veröffentlichung
probungs-Maßnahmen zur sektorübergreifenden QS Umsetzungsprobleme in einem vorher nicht
aussagekräftiger und möglichst krankheitsspezi-
geahnten Ausmaß. So sind die Dokumentation und die Maßnahmen derart verschieden, dass Pro-
fischer Ergebnisdaten verlangen und es wird der
zesse nicht verglichen, geschweige denn reibungslos laufen. (24)
Wunsch der Verbraucher nach einem ,,Ranking‘‘
Nochmals, die Vielzahl der derzeit verfügbaren Qualitätskriterien bestärkt die unangenehme Annah-
oder nach „Testnoten‘‘ vermutet. (23) Die bisher
me, dass es leichter ist eben diese zu formulieren als diese relevant für den Patienten und seine
genannten Untersuchungen zeigen allerdings,
geundheitliche Ziele auch im täglichen Alltag umzusetzen und danach dann auch die Handlungsab-
dass diese Informationen nur sehr vorsichtig
läufe zu steuern.
und zurückhaltend benutzt werden und jeder aus
persönlicher Erfahrung eher den Informationen
_Qualität im DRG Zeitalter
nahestehender Personen vertraut.
Das deutsche Pauschalen-basierte DRG System setzt derart starke finanzielle Leistungsanreize, dass
kommerziell attraktive Prozeduren, wie z.B. die Knieendoprothetik oder die Perkutane Koronarinterven-
Noch einen Schritt weiter als z.B. Ranking-Infor-
tion, in Deutschland fast doppelt so häufig durchgeführt werden wie in vergleichbaren europäischen
mation gehen die Überlegungen zur Steuerung
Ländern. Allerdings sind weiterhin Todesfälle bei diesen überwiegend als Wahleingriff durchgeführten
der Vergütung in Abhängigkeit von der Qualität
Interventionen zu beobachten. (25) Gegebenenfalls wird hier die auschließliche Anwendung der DRGs
der Behandlungsergebnisse im Sinne eines
als Erstattungsystematik, die international einmalig ist, zunehmend problematisch und schießt über das
„Pay for Performance“ (P4P) oder „Value-Based
sinnvolle Ziel einer Effizienzsteigerung in Richtung einer reinen Profitoptimierung hinaus. (26)
Purchasing“. Langfristige Evaluationsergebnisse
Dennoch verbleibt bei engagierten Ärzten möglicherweise gerade wegen des als sehr kommerzialisiert
lassen allerdings noch vermuten, dass insbe-
wahrgenommenen Klinikumfelds ein Interesse an der „Sicherung‘‘ bzw. fortlaufenden Überwachung
sondere „Poor Performer“ nicht reagieren und
ihrer eigenen Qualität. Das Interesse an der Messung und Verbesserung abrechnungstechnisch rele-
die positiven Wirkungen gering ausgeprägt sind.
vanter Ergebnisqualität ist offensichtlich ohne Frage auch aus Sicht der Krankenhausträger gegeben.
Zudem sind die Effekte nicht anhaltend und
Auch die Pflege hat ein hohes Interesse an einer intensiven Weiterentwicklung der nationalen pflege-
unterscheiden sich je nach Erkrankung. (27)
rischen Qualitätssicherung in den verschiedenen Sektoren. Hier bleibt laut Elsbernd die (Pflege-)Bildung
Zu P4P äußert sich auch der neue Leiter des
zentraler Schlüssel zur Pflegequalität. Allerdings muss parallel das Vergütungssystem von pflegerischen
IQTiG sehr vorsichtig, da Anreize immer die Ge-
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fahr bergen, nicht das zu bewirken, wofür sie eigentlich gedacht waren.
Wird die Vergütung zu früh an unerprobte Qualitätsindikatoren gekoppelt,
drohen Fehlanreize. Daher sollte erst mittels Benchmarking, Feedback und
Edukation ein echtes Qualitätsbewußtsein geschaffen werden, was dann
von einer Veröffentlichung von Ergebnissen gefolgt werden könnte. Erst
danach sei ein P4P zu erwägen. (28)
_Weniger ist mehr
Verschiedenste Verfahren zur Qualitätsicherung werden von unterschiedlichen Organisationen angewandt, die zwar vom Deutschen Akkreditierungsrat und der Trägergemeinschaft für Akkreditierung geprüft wurden,
die allerdings fast durchweg nur kontrollieren, ob verschiedene Verfahren
wie Berichterstattung, Zertifizierung, internes QM eingeführt werden oder
nicht. (11)
Da grundsätzlich (noch) nicht belegt ist, dass Versorgungsqualität durch
qualitätsfördernde Verfahren patientenrelevant verbessert werden kann,
geschweige denn welche, sollte immer wieder kritisch hinterfragt werden,
ob wirklich dem Patienten geholfen wird oder Leistungen nur vordergründig qualitätsgesichert legitimiert werden. Hier ist eine konsequente Ausrichtung insbesondere am langfristigen Patientennutzen zu fordern. Jeder
vermiedene Fehler und möglicherweise entstandene Schaden ist hier ein
Gewinn.
Gesundheit als Gut entsteht erst im Prozess zwischen Gesundheitsberufen und Patienten. Dies trifft umsomehr zu, wenn alle an dem Prozess
Beteiligten konstruktiv zusammenarbeiten. Wenn allerdings das komplexe
Konstrukt Gesundheit aus kommerziellen Erwägungen auf einige zwar gut
mit Kennzahlen zu überprüfende, für den Patienten aber weniger relevante Teilaspekte reduziert wird, ist zu befürchten, dass QM zunehmend
ein teures, überflüssiges und für den Patienten (und vermutlich auch für
die am Patientenwohl interessierten Therapeuten) wirkungsloses Ritual
wird. Hier sollte frühzeitig wie bei dem aktuellen Beispiel der Pflegenoten
kritisch hinterfragt und gehandelt werden.
Es ist zu hoffen, dass der derzeit eingebrachte Gesetzentwurf zur Krankenhausreform, diese Problematik aufgreift und ggf. sowohl auch ein
„Weniger“ an Indikatoren ermöglicht als auch eine eigenständige Orientierung der Häuser am Patientenwohl. Vermutlich undenkbar ist angesichts
einer zunehmenden Kommerzialisierung eine Rückkehr von Verantwortung
z.B. im Sinne von regional verwalteten sektorübergreifenden Budgets, nicht
zuletzt auch aufgrund der kommerziell orientierten Qualitätssicherungsindustrie. Die finanziellen Mittel sind und bleiben begrenzt. Zeigen Teile der
Messungen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung keinen Nutzen, sollten
diese Gelder besser direkt der Beseitigung des Personalmangels zugeführt
werden, um neben dem hohen technischen Niveau unseres Gesundheitsystems auch die menschliche Wärme als heilenden Faktor zu sichern.
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28.Veit C. P4P ante portas. Gesundheitswirtschaft 2013;7:3.
OPTIMIERUNG
„Gesunde“ Qualität –
Qualitätsverbesserung als Alleinstellungsmerkmal
im Krankenhausbereich
von Prof Dr. med. Franz Fogt und Prof. Dr. med. Axel Wellmann
Die Öffentlichkeit wird dank aktueller Schlagzeilen mehr und mehr über die Schwachstellen der medizinischen Versorgung aufgeklärt und zeigt sich schockiert über einzelne
medizinische Skandale aber auch besorgt über Defizite im Bereich der Patientensicherheit. Im Vergleich zu amerikanischen Modellen scheint im Bereich deutscher Krankenhäuser die öffentliche Selbstdarstellung durch Qualitätsverbesserung nicht an der
Tagesordnung zu sein. Qualitätsverbesserung ist erst selten Baustein eines Imagekonzeptes im deutschen Krankenhausmarkt.
Aktives Qualitätsmanagement in Bereichen, auf die ein Krankenhaus spezialisiert ist, mit ernsthaften Qualitätsverbesserungen im Bereich von Schwachstellen müssen angegangen werden und
die Ergebnisse als Erfolgsleistungen sollten dann auch veröffentlicht werden. Dann können
Prof. Dr. Franz Fogt
Professor und Leiter der Pathologie des
Penn Presbyterian Medical Center der
Universität von Pennsylvania
solche Daten verwendet werden, um sich auf zukünftige Gesetzeslagen vorzubereiten, bessere
Versicherungsverträge auszuhandeln und sich als Spitzenreiter am Markt gegenüber Mitbewerbern zu platzieren.
Natürlich sind Qualität an sich, die Anwendung innovativer Technologie und zuverlässige medizinische Versorgung, Voraussetzung für qualitativ hochwertige Behandlungsergebnisse. Dies wird
von Interessengruppen, Patienten, Kostenträger, Kommune, und Politik vorausgesetzt und stellt
an sich keine Qualitätsverbesserung dar. Zurzeit herrscht eine zwiespältige Situation zwischen
Dienstleister (Krankenhaus) und Kostenträger (Versicherung). Einerseits werden Krankheitsbilder
über das DRG System abgerechnet, auf der anderen Seite ermöglicht eine Änderung in der Morbiditätskodierung im Laufe des Krankenhausaufenthalts eine Aufstockung der Bezüge auch dann,
wenn eine qualitätsbedingte Komplikation aufgetreten ist. In den Vereinigten Staaten ist dies seit
langem nicht mehr erlaubt, und es ist vorherzusehen, dass dies in Deutschland auf lange Sicht
auch nicht haltbar sein wird. Darüber hinaus hat sich in den Vereinigten Staaten ein System
entwickelt, in dem Qualitätsmerkmale veröffentlicht werden, die sich in einem Rankingsystem die
allgemeine Qualität in den Krankenhäusern niederschlägt. Qualitätsmerkmale wurden, im Sinne
der pay-for-performance Initiative, bis vor wenigen Jahren noch mit Bonuszahlungen belohnt.
_Weiterführende Links
Prof. Dr. Axel Wellmann
Leiter des Pathologischen Instituts Celle
und Professor an der Medizinischen
Hochschule Hannover
Zur Liste der Qualitätsmerkmale:
http://www.jointcommission.org/assets/1/18/ACCOUNTABILITY_
MEASURES_List_2014.pdf
09
Dies hat sich zwischenzeitlich so geändert, dass nun Strafabschläge einbehalten werden, wenn die
Aus der Entwicklung dieser Parameter lassen
Qualitätsmerkmale nicht nachgewiesen werden.
sich die Veränderungen von Qualitätsmerkma-
Druck auf die Krankenhaussysteme sind auch in Deutschland über kurz oder lang zu erwarten. Unter
len darlegen, die hoffentlich zur Qualitätsver-
diesen Umständen würde sich eine aktive Rolle der Krankenhäuser wohl in Bezug auf bestehenden
besserung geführt haben. Dies wiederum kann
Konkurrenzdruck erheblich lohnen. Wenn auch in bisherigen jährlichen Qualitätsberichten der Kran-
in ökonomische Vorteile und Brandingvorteile
kenhäuser bestimmte Qualitätsmerkmale diskutiert wurden, so fehlen bei vielen, wenn nicht bei den
umgesetzt werden.
meisten, genaue Zahlenangaben und Trendangaben über den Verlauf von mehreren Jahren. Viele der
veröffentlichten Zahlen sind Qualitäts- Messungen aber keine Qualitätsverbesserungen.
_E inführung von Qualitätsverbesserung
_Was kann man messen?
Auch das ambitionierteste Programm wird mit
Um Daten zu erhalten, die messbare Qualitätsverbesserungen zur Folge haben, sollten patienten-
kleinen Schritten anfangen müssen um sich an
bezogene Daten erhoben werden, die ein Patientenmanagement aber auch eine Qualitätsdoku-
eine neue Philosophie der Patientensicherheit
mentation und Veröffentlichung in Imagekampagnen ermöglichen (vergleiche Tafel 1).
zu gewöhnen. In unserem Krankenhaus in Philadelphia wurden zwei initiale Programme ein-
Tafel 1: Vergleichbare Datenerhebung
Daten
Patientenbezogene
Genaue Datenerhebung
Risikofaktoren vor der Datenerhebung abklären
Zeitrahmen bestimmen
geführt. In einem Fall wurden über einen langen Zeitraum Blaseninfektionen bei Patienten
mit Blasenkathetern beobachtet. Zwischen Juli
2011 – Juli 2012 wurde diese in neun Prozent
per 1000 Patiententage beobachtet.
Diese
Zahl lag über der nationalen Benchmark. Dazu
Definition von Outcome-Daten
Mortalität, Morbidität, Infektion, KH-Tage
kommt, dass die Abteilung in diesem Zeitraum
in 13 konsekutiven Monaten nicht einen vollen
Definition woher die Daten
kommen
Bestimmte Stationen: ICU
Bestimmte Krankheitsbilder: Oberschenkelhals, nicht traumatisch, Alter >65<95
Erhebung von Daten bei denen N genügend groß ist
Monat infektionsfrei war.
Im zweiten Fall wurden erhöhte Sepsisraten
bei zentralvenösen Zugängen beobachtet. Hier
Welche Patienten
Einfluss/Ausschlusskriteria
beobachteten wir ebenfalls erhöhte Fallzahlen,
die jeweils mit erheblichen Kosten verbunden
waren.
In beiden Situationen wurden individuelle Kran-
Wichtig sind die genaue Datenerhebung auf der Basis von vorher genau definierten Risikofaktoren
kenstationen gewählt, in denen das Qualitäts-
(z. B. Komorbidität, Trauma versus elective Behandlung, Alter usw.). Ebenso wichtig ist die Defini-
programm eingeführt werden sollte. In einem
tion des Zeitraumes der Datenerhebung, die über den Krankenhausaufenthalt hinausgehen kann
ersten Schritt wurden alle Abläufe, die mit
(Mobilität nach einer Woche, Wiederaufnahme in einem Krankenhaus mit gleichem Krankheitsbild
dem Legen der jeweiligen Katheter verbunden
innerhalb von 14 Tagen, Medikamenteneinnahme, usw). Um sicherzugehen, dass gleichwertige
waren, aufgezeichnet. Dies begann mit der
Daten verwendet werden, ist es oft von Vorteil nur bestimmte Funktionseinheiten im Krankenhaus-
Indikationsstellung und endete mit dem Ent-
betrieb zu beobachten (z. B. Intensivstation oder Aufwachstation).
fernen der Katheter. Jeder Arbeitsschritt wurde
Solche Messungen führen sehr schnell zu folgenden Parametern:
erfasst und aufgezeichnet. Im Anschluss wurde
zu einem Vergleich der Behandlungserfolge innerhalb der Institution und mit anderen Institutionen
ein best-of-practice Plan entworfen und die Ar-
(external benchmarking). Dabei werden durchaus auch individuelle Daten zeigen, ob -innerhalb
beitskräfte wurden auf diese neuen Verfahren
einer Institution - Individuen bessere oder schlechtere Behandlungserfolge als andere aufzeigen
ausgebildet (Indikation, Antisepsis, Katheter-
Vergleich mit den vorjährigen Daten (sind die Ergebnisse besser/schlechter als im Vorjahr?)
versorgung, spezielle Pflaster, Diskussion bei
Gibt es Evidenz, dass die Behandlung unter dem Standard liegt?
der Visite etc.). Dabei ist zu beachten, dass
Gibt es Evidenz, dass Patienten Schaden erleiden (Blasenkatheterinfektion, Pneumonie,
Dekubitus etc.)?
10
eine horizontale (flache) Hierarchie gebildet
wird. Auch wenn der Chefarzt selbst sich nicht
an den best-of-practice Plan hält, hat jedes Teammitglied die Pflicht, die
Monatliche Berichterstattung, Abteilung/Administration
Einhaltung des Modus (auch durch den Chefarzt) zu fordern. Die tägliche
Zeitnahe Trainingsvisiten, wenn Auffälligkeiten beobachtet werden
Datenerhebung und der zeitnahe Review der Daten durch den Chief-Safety Officer (ärztliche Funktion) erlaubt sofortiges Eingreifen, wenn er-
Bei einem Kostenanteil von 830-1007 $ pro Fall, konnten insgesamt
höhte Fallzahlen (peaks) beobachtet werden. In solchen Fällen wird das
erhebliche Ersparnisse zur Abschlussrechnung beitragen (J Hosp Med.
Team, bestmöglich am selben Tag, zusammengerufen, und der spezielle
2013 Sep; 8(9): 519–522).
Fall Schritt für Schritt durchgegangen, um mögliche Fehlerquellen aufzudecken. Auch hier ist wichtig, dass nicht eine Person als schuldig
Ähnliche Ergebnisse wurden bei zentralvenösen Zugängen erreicht.
versagt, sondern das System hat versagt und wird reguliert. Wenn eine
Nach der Einführung neuer Protokolle wurden im Zeitraum zwischen
Fehlerquelle aufgedeckt ist, wird diese in einer Root-Cause-Analyse
2008 und 2011 etwa 550 Fälle von Sepsis vermieden. Die Kosten
nachverfolgt, üblicherweise mit fünf tiefergehenden „Warum”-Fragen.
zur Behandlung von Katheter-assoziierter Sepsis belaufen sich zwi-
Tafel 2: B
eispiel der täglichen Eintragung von Daten in das Qualitätsmanagement Programm
Callculation Detail for Jul-14
3.50%
Sepsis - ICU Observec Mortality Rate
3.00%
2.50%
Sepsis - ICU Observec
Numerator:
Cenominator:
Rate:
Mortality Rate
Z
310
2.26%
Prev FY:
FYTD:
1.77%
1.99%
2.00%
1.50%
1.00%
0.50%
0.00%
Jul-14
Aug-14
Sep-14
Oct-14
Nov-14
Dec-14
Jan-15
Feb-15
Mar-15
Apr-15
May-15
Jun-15 Previous
Fisical
Year
FYTD
As Of: PMC (11/10/14)
Durch diese Prozessmechanismen können Fehlerquellen schnell beseiti-
schen 19 633 $ und 28 508 $ pro Fall (Pediatr Crit Care Med. 2010
gt und die Programme erfolgreich weitergeführt werden.
Sep;11(5):579-87; Crit Care Med. 2006 Aug;34(8):2084-9). Die Kostenersparnis durch Fehlervermeidung übertraf bei weitem den Kosten-
_Review der Daten
aufwand um das Programm zu etablieren.
Nach Einführung von zielgerichteten Datenerhebungen werden jetzt in
Philadelphia die Daten zeitnah gemessen, analysiert und transparent
_Zusammenfassung
gemacht. In unserem Krankenhaussystem werden Daten täglich erho-
Qualitätsverbesserung ist den Patienten geschuldet und stellt sich
ben und in ein Qualitätssystem eingegeben, das von Chief-Safety Of-
nicht als Gegeneinander von Versicherungen versus Heilberufe dar.
ficer (ärztliche Funktion) täglich durchgesehen wird. Die Daten werden
Erfolgreiche Qualitätsverbesserung erlaubt allen Parteien ökonomisch
monatlich dem Medical Executive Committee vorgelegt (Siehe Tafel 2)
vorteilhafte Verträge auszuhandeln (z.B. Bonuszahlungen versus Einbehaltungen).
_Ergebnisse
In den Fällen von Blasenkatheterinfektionen konnten wir die Fallzahlen
Qualitätsverbesserung ist eine der wenigen Möglichkeiten im Kranken-
im Jahr 2013 auf 0 Prozent senken. Die folgenden Parameter werden
hausmarkt Alleinstellungsmerkmale herauszubilden, sowohl gegenüber
weiterhin aufrechterhalten
Mitbewerbern, gegenüber der Konkurrenz, Öffentlichkeit und gegenüber
Patienten. Qualitätsverbesserung ist eine Möglichkeit signifikante ökon-
Wöchentliche Visiten mit Katheterprotokoll
mIsche Vorteile zu erwirtschaften, durch Fehlervermeidung, erhöhten
Zeitnahe Kommunikation mit allen Beteiligten
Patientenzulauf und um öffentliche Förderungen zu erhalten. 11
SICHERUNG
Qualität im Gesundheitswesen –
Die Sicht der PKV
von Dr. Timm Genett
Wer von Qualität im Gesundheitswesen spricht, artikuliert in der Regel einen normativen Rahmen für mehrere Dimensionen der medizinischen Versorgung zugleich:
Die medizinische Versorgung soll sich am objektiven Bedarf des Patienten orientieren. Über-,
Fehl- und Unterversorgung sind schwere Verstöße nicht nur gegen die medizinische Ethik,
sondern zugleich auch Indikatoren eines Mangels medizinischer Qualität.
Qualität in der Versorgung meint auch den effizienten Gebrauch der medizinischen Ressourcen
und kann somit durch die Vermeidung von Übermaß und Überflüssigem auch wirtschaftlich
aus Sicht der Kostenträger bzw. Beitragszahler sein. Ökonomie und Qualität geraten indes in
Dr. Timm Genett
Geschäftsführer und Leiter der Abteilung
Politik beim Verband der Privaten
Krankenversicherung e.V. (PKV)
Widerspruch, wenn Umsatzmaximierungsinteressen den Einsatz von Behandlungsressourcen
diktieren, sei es in Form der Versagung und Rationierung von notwendigen Leistungen, sei es
in Form von medizinisch nicht induzierten Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit.
Teilhabe am medizinischen Fortschritt in Diagnostik und Therapie ist ein weiterer zentraler
Eckpfeiler einer qualitativ hochwertigen Versorgung, insofern die dabei gewährten Innovationen dem Patienten einen Zusatznutzen gewähren.
Die medizinische Versorgung soll gleichzeitig auch die subjektiven Bedürfnisse des Patienten
berücksichtigen und ein Höchstmaß an Lebensqualität auch während sowie nach der Therapie
ermöglichen.
Die Versorgung soll immer auf dem verfügbaren Stand des medizinischen Wissens erfolgen – durch ein fachlich qualifiziertes Personal und unter Einsatz moderner Techniken und Geräte.
Das optimale Zusammenspiel dieser Dimensionen sollen in der Versorgungspraxis bewährte
Behandlungsabläufe sichern – mit dem Ziel, die finale Dimension medizinischer Qualität mit
möglichst hoher Wahrscheinlichkeit zu erreichen: die erfolgreiche Heilbehandlung.
_Ein catch-all-Begriff des Versorgungssystems
Die Verwirklichung von Qualität in diesem umfassenden Sinn ist letztlich ein dauerhaftes Projekt,
eine nie endende Aufgabe jedes Gesundheitswesens, seiner Akteure und Institutionen sowie eine
wesentliche Triebfeder gesundheitspolitischer Reformvorschläge. Wer von Qualität redet, tut dies
meist im Bewusstsein von Qualitätsmängeln. So entzündet sich die gesundheitspolitische Qualitätsdebatte regelmäßig an Tendenzen zur Überversorgung insbesondere bei planbaren Eingriffen
(Bypässe; Knie-TEP etc.). Von der weit verbreiteten Erkenntnis bestehender Mängel führt indes
12
nur ein langer, steiniger Weg zur Problemlösung: die Komplexität me-
empirisch nachweisbar die beste Qualität ist. Ein ehrgeiziges Ziel, das
dizinischer Qualitätssicherung ist Folge ihrer Multidimensionalität, die
nach Einschätzung vieler maßgeblich beteiligter Akteure nur in einem
auch in der gängigen Unterscheidung von Strukturqualität (z.B. Aus- und
langjährigen Näherungsverfahren erreichbar ist. Zum gegenwärtigen
Weiterbildung von Behandelnden; Geräteausstattung), Prozessqualität
Zeitpunkt indes beeindruckt die gesetzliche Qualitätssicherung vor allem
(z.B. Entlassmanagement) und Ergebnisqualität (z.B. Hörvermögen bei
durch das Volumen an Daten: Der AQUA-Qualitätsreport 2013 umfasst
Hörgeräteversorgung) zum Ausdruck kommt. Neben den Handlungse-
30 Leistungsbereiche, 434 Qualitätsindikatoren – insgesamt 3,2 Mio.
benen sind auch die Instrumente der Qualitätssicherung Gegenstand in-
Datensätze. Dem Bericht zufolge weisen nur vierzig der 434 Indikatoren
tensiver Debatten und Forschung, wie beispielsweise das in der Umset-
eine signifikante Verbesserung auf (9 %), 17 eine signifikante Ver-
zung höchst anspruchsvolle Projekt einer qualitätsbasierten selektiven
schlechterung. 346 Indikatoren sind bezüglich des Vorjahresergebnisses
Leistungssteuerung durch Kostenträger zeigt: „pay for performance“.
unverändert. Angesichts dieser Ergebnisse spottet so mancher, dass das
Messen allein die Qualität offensichtlich nicht verbessert. Dieser Spott
Da Qualität letztlich gleichermaßen Maßstab, Ressource wie Ziel der
darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Transparenz von
medizinischen Heilbehandlung sein muss, da sich an jeder Station des
Qualität und Qualitätsdefiziten die Bedingung der Möglichkeit von Qua-
Behandlungsprozesses neue Qualitätsfragen stellen, nimmt es nicht
litätsverbesserungen ist.
wunder, dass Qualität zum Schlüsselbegriff unseres Gesundheitssystems
Die gesetzliche Qualitätssicherung ist primär ein Instrument der Gesetz-
avanciert ist. Davon zeugt nicht zuletzt seine Omnipräsenz im Koalitions-
lichen Krankenversicherung (GKV) – im gemeinsamen Versorgungssystem
vertrag. Diese Omnipräsenz dokumentiert einerseits eine gesundheitspo-
freilich mit Ausstrahlungseffekten auch auf die Privatversicherten. Über die
litische Heilserwartung, andererseits prägen die vielen konkreten Maß-
entsprechenden Krankenhauszuschläge finanzieren die Privatversicherten
nahmen des Koalitionsvertrages tatsächlich die gesundheitspolitische
sowohl das IQTIG als auch das für die Nutzenbewertung von Innovationen
Agenda dieser Wahlperiode: von der Gründung eines neuen Qualitätsin-
zuständige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswe-
stituts bis zur geplanten Einführung von Ergebnisqualitätvergütungsele-
sen (IQWIG) mit. Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) ist
menten im Krankenhaus.
auch an der Entwicklung der Inhalte des IQTIG zu beteiligen. In die Datensammlung der gesetzlichen Qualitätssicherung sind die Privatversicherten
_Gesetzliche Qualitätssicherung
indes nicht vollständig einbezogen. Der Datenschutz in Deutschland führt
Das neue Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen,
dazu, dass die Daten der Privatversicherten nur bei Krankenhausbehand-
kurz IQTIG, fängt nicht bei null an, sondern setzt im Rahmen der gesetz-
lungen – also im Kontext der externen stationären Qualitätssicherung –
lichen Qualitätssicherung die Arbeit des bis dato zuständigen AQUA-In-
erhoben werden dürfen. Sie dürfen dagegen nicht sektorenübergreifend
stitutes fort. Gesetzliche Qualitätssicherung ist ein Mehrebenensystem,
(ambulant und stationär) erhoben werden. Auch stationäre Folgebehand-
dessen Kern eine umfassende Richtlinienkompetenz des Gemeinsamen
lungen zu einem stationären Aufenthalt dürfen nicht als „Follow-up“ re-
Bundesausschusses ist: er erlässt Richtlinien für Plankrankenhäuser
gistriert werden. Die nur partiell mögliche Datenerhebung von Privatversi-
und Vertragsärzte grundsätzlich für alle Patienten, in denen u.a. ver-
cherten im Rahmen der gesetzlichen Qualitätssicherung ist sachlich nicht
pflichtende Maßnahmen der einrichtungsinternen, einrichtungsübergrei-
zu begründen, zumal dies auf ein unterschiedliches Datenschutzbedürfnis
fenden und, wenn möglich, sektorenübergreifenden Qualitätssicherung
je nach Versichertenstatus hinausliefe. Sie wäre rechtlich leicht zugunsten
und konkrete Mindestanforderungen an die Struktur-, Prozess- und
einer Vollerhebung zu korrigieren, wofür es aber bislang keine politische
Ergebnisqualität festgelegt werden (§ 137 SGB V). Aufgabe des alten
Mehrheit gegeben hat. Bei realistischer Betrachtung wäre für das Gesamt-
wie des neuen Qualitätsinstitutes ist es, die Rohdaten der stationären
system durch die vollständige Einbeziehung der Privatversicherten freilich
und ambulanten Versorgung zu aggregieren und zu interpretieren, gute
kaum etwas gewonnen: die gesetzliche Qualitätssicherung dürfte mit 100
von schlechter Behandlungsqualität zu unterscheiden, die Entwicklung
Prozent der möglichen Daten kaum besser funktionieren als mit den der-
der medizinischen Versorgung anhand von Qualitätsindikatoren zu
zeitigen Lücken. Zusätzliche Qualitätsimpulse entstehen im Systemwett-
messen und Rückschlüsse auf erfolgreiche oder weniger erfolgreiche
bewerb von GKV und PKV vielmehr dadurch, dass die PKV sich auf ihre
Behandlungspfade zu erlangen. Am Horizont dieser gesetzlichen Qua-
Systemspezifika besinnt und alternative Pfade zur Förderung der medizi-
litätssicherung steht das Ziel, die Versorgung dorthin zu steuern, wo
nischen Qualität ausbaut.
13
_Systemwettbewerb steht für Vielfalt auch
in der Qualitätssicherung
Privatversicherte können sich auch vom Arzt ihrer Wahl ambulant im
Das deutsche Gesundheitssystem verdankt sein im internationalen Ver-
PKV ist die „sprechende Medizin“, die infolge der höheren Honorierung
gleich herausragendes Versorgungsniveau nicht zuletzt einem für die
auf Basis der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) mehr Raum einnimmt
deutsche Sozialgeschichte typischen Strukturmerkmal: dem Nebenei-
als in der GKV. Sprechende Medizin ist ein wichtiger Schlüssel für eine
nander von sozialstaatlichen und privatwirtschaftlichen Säulen der sozia-
an den individuellen Bedürfnissen orientierte Therapieentscheidung, was
len Sicherung. Das duale Krankenversicherungssystem von gesetzlichen
wiederum die Therapietreue erhöht. Die größere Therapiefreiheit in der
Kassen und privaten Versicherungen bei einem gemeinsamen Versor-
PKV führt dazu, dass auch innovative Diagnose- und Behandlungsme-
gungssystem impliziert viele Gemeinsamkeiten, da GKV wie PKV in erster
thoden unabhängig von der Zulassung durch den Gemeinsamen Bundes-
Linie Sicherungssysteme für den Schadensfall mit der charakteristischen
ausschuss finanziert werden. Dieser Innovationsvorsprung hat wiederum
Solidarität der Gesunden mit den Kranken sind. Es gibt aber auch große
Ausstrahlungseffekte auf die Versorgung der gesetzlich Versicherten, da
Unterschiede, die dem Systemwettbewerb in einem gemeinsamen Ver-
Unterschiede in einem gemeinsamen Versorgungssystem transparent
sorgungssystem fortlaufend Impulse geben: so in der unterschiedlichen
und begründungspflichtig sind – mit der Folge, dass innovative Diagno-
Systematik der Beitragsbemessung und im Leistungsrecht, insbesondere
se- und Behandlungsmethoden, die sich in der PKV bewähren, schließ-
im jeweils systemspezifischen Zugang zu Leistungen: die GKV stellt ihren
lich in der Regel auch in der GKV zur ambulanten Zulassung kommen. Im
Versicherten die Versorgung nach dem Sachleistungsprinzip bereit und
stationären Bereich sind neue Behandlungsmethoden in der Regel sofort
verfügt dabei über Steuerungs- und Kontrollkompetenzen. Ganz anders
Teil der Versorgung in beiden Versicherungssystemen – die Anschaffung
die PKV: der private Versicherungsvertrag garantiert dem Versicherten
neuer minimalinvasiver, d.h. schonender und häufig teurer Verfahren
eine umfassende Wahlfreiheit der Leistungsanbieter sowie Therapiefrei-
erfolgt aber meistens nur, wenn eine Refinanzierung über – höhere –
heiten im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit sowie die anschlie-
Privatpatientenhonorare sichergestellt ist.
Krankenhaus behandeln lassen. Ein wesentlicher Qualitätsaspekt in der
ßende Kostenerstattung für diese Leistungen durch die PKV.
_Freiheitliche Qualitätssicherung in der PKV heute
_Ausblick: ein Beitrag zur kommunikativen
Qualitätssicherung
Ein PKV-spezifischer Beitrag zur Qualitätssicherung muss sich vor die-
Den ausgeprägten Freiheiten in der Privatmedizin entspricht – je nach
sem Hintergrund auch an den umfangreichen Rechten der Versicherten
Sichtweise – das Glück bzw. die Zumutung eines hohen Maßes an Eigen-
bei der Wahl einer Therapie oder eines Arztes orientieren. Zur freien Arzt-
verantwortung. Der Patient entscheidet eigenverantwortlich und stimmt
wahl gehört auch das Recht, jederzeit, auch während einer laufenden
über die Qualität des Arztes mit den Füßen ab. Systematisch wie logisch
Behandlung, weitere Ärzte des Vertrauens zur Beratung hinzuzuzie-
laufen Freiheit und Eigenverantwortung aber ins Leere, wenn ihnen die
hen. Es bestehen keine Überweisungs- oder Ermächtigungsvorbehalte.
Kompetenz fehlt. Es muss daher ein Kernanliegen der PKV sein, die
14
Patientenkompetenz und somit auch die sprechende Medizin zu stärken,
heitsinformationen nach wissenschaftlichen Kriterien – vorzugsweise der
indem ihr erstens als unverzichtbaren Bestandteil des Behandlungspro-
evidenzbasierten Medizin – ist freilich nur der erste Schritt. Zugleich muss
zesses ausreichend Zeit gegeben wird und indem sie zweitens von einem
das Gesundheitswissen auch laienverständlich und nach Zielgruppen dif-
Instrument der unilateralen Erläuterung von Entscheidungen qua ärztli-
ferenziert kommuniziert werden, um die Patienten auch zu erreichen und
cher Autorität zu einem Ort der partnerschaftlichen Therapieentschei-
damit ihre Selbstverantwortungsfähigkeit zu erhöhen. In diesem Sinne hat
dung von Arzt und Patient wird. Dieser Ansatz weist zugleich über die
die Kooperationsplattform gesundheitsziele.de die Stärkung der gesund-
PKV hinaus und würde einer zentralen Erkenntnis der Gesundheitswis-
heitlichen Kompetenz und Patientensouveränität als nationales Gesund-
senschaften entgegenkommen: diese betonen nämlich in notwendiger
heitsziel entwickelt.Der PKV-Verband will in diesem Kontext einen Beitrag
Ergänzung zu dem datenbasierten und steuerungsorientierten Ansatz der
zur Stärkung der Patientenkompetenz, zum Abbau der Informationsasym-
gesetzlichen Qualitätssicherung immer stärker den Bedarf an kommu-
metrien zwischen Arzt und Patient und zur kommunikativen Qualitätssiche-
nikativer Qualitätssicherung. Kommunikative Qualitätssicherung in der
rung in der medizinischen Versorgung leisten und hat hierzu im Februar
medizinischen Versorgung zielt auf das Leitmotiv des „shared decision
2015 die gemeinnützige Stiftung Gesundheitswissen gegründet. Die Stif-
making“. Wenn nämlich der Patient zum Mitgestalter seiner Gesundheit
tung soll Ende 2015, wenn die nötigen Vorarbeiten abgeschlossen sind,
wird, wird er sich viel stärker mit dem eingeschlagenen Behandlungs-
an die Öffentlichkeit gehen. Das der stiftungsrechtlichen Anerkennung
pfad identifizieren, was zu einer erhöhten Therapietreue führe. Zugleich
zugrundeliegende Konzept enthält als Stiftungszweck die Förderung von
bietet die partizipative Entscheidungsfindung allein die Möglichkeit, dass
Wissenschaft und Forschung sowie die Förderung des öffentlichen Ge-
das ärztliche Fachwissen und die unterschiedlichen Therapieoptionen
sundheitswesens. Dieser Zweck wird durch die Bereitstellung von Patien-
zum Gegenstand des Arzt-Patienten-Gesprächs werden und damit in
teninformationen realisiert werden, die unabhängig, wissenschaftsbasiert,
unmittelbarer Rückkopplung mit den individuellen Bedürfnissen des Pa-
qualitätsgesichert, laienverständlich und praxistauglich sind. Entsprechend
tienten erörtert werden können.
wird es Aufgabe der Stiftung sein, Informationen und Entscheidungshilfen über Behandlungspfade, innovative Therapien und Diagnostik auf dem
Die Bedingung der Möglichkeit einer solchen Partizipationskultur ist frei-
Stand internationaler Erkenntnisse zu erstellen, die zunächst über ein
lich die Erhöhung der Patientenkompetenz. Studien belegen, dass einer-
Webportal, sukzessive aber auch über weitere geeignete kommunikative
seits über die Hälfte der Patienten die Sprechstunde nach dem Modell der
Formate öffentlich gemacht werden. Als gemeinnützige Stiftung steht die
partizipativen Entscheidungsfindung gestalten wollen, andererseits aber
Stiftung Gesundheitswissen für die Unabhängigkeit der Informationen von
das Gesundheitswissen in Deutschland im internationalen Vergleich un-
Interessen. Garant der Unabhängigkeit ist die Verpflichtung auf internatio-
terentwickelt ist. Dem erkennbaren Bedarf an Informationen für Patienten
nal anerkannte wissenschaftliche Methoden, die gleichzeitig ein Garant für
steht derzeit zwar eine Vielzahl an bestehenden Angeboten gegenüber. Da-
die größtmögliche Transparenz sind.
bei fällt vor allem der Mangel an unabhängigen, qualitätsgesicherten und
laienverständlichen Patienteninformationen auf. Online recherchierbare
Die Informationen der Stiftung ermöglichen den Patienten informierte
Informationen sind oft widersprüchlich oder sogar unrichtig bzw. mit einer
Entscheidungen, wodurch Selbstbestimmung und Wahlfreiheit gestärkt
manipulativen Absicht (etwa Verkaufsförderung) verbunden. In der Regel
werden. Ein Eingriff in das Arzt-Patienten-Verhältnis findet nicht statt,
ist nicht erkennbar, ob die Informationen dem international anerkannten
denn der Arzt hat nach wie vor die Freiheit, eine Therapie seiner Wahl
Stand des Wissens entsprechen. Vor diesem Hintergrund hat auch der
vorzuschlagen; der Patient hat weiterhin die Freiheit, sich für oder gegen
Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheits-
eine Therapie zu entscheiden, ohne dass dies sanktioniert würde.
wesen in seinem jüngsten Gutachten den Bedarf nach einer unabhängigen
Der Transfer medizinischer Evidenz zum Patienten ist ein anspruchs-
Plattform für Gesundheitswissen formuliert. Die Optimierung von Gesund-
volles Ziel, zumal die Mittel der Kommunikation dabei je nach Zielgruppe
differenziert werden müssen. So mancher sieht aber im „sauberen Wis-
_Weiterführende Links
sen“ die wichtigste Ressource für die Gesundheit im 21. Jahrhundert
– vergleichbar dem medizinischen Fortschritt dank „sauberen Wassers“
Zur Kooperationsplattform
gesundheitsziele.de
im 19. Jahrhundert (J.A. Muir Gray). Dieses Bild darf freilich nicht als
Auftrag zur Etablierung einer neuen Orthodoxie missverstanden werden.
Worum es vielmehr geht, ist die Förderung eines reflektierten Umgangs
mit Wahrscheinlichkeiten – bei Patienten wie auch bei Ärzten. 15
Vielseitiges Engagement in wichtigen
Bereichen der Gesellschaft –
Die SDK-Stiftung
Die SDK-Stiftung wurde 2007 gegründet.
Brüggenjürgen ist im Vorstand des Deutschen
Der Stifterverband für die Deutsche Wis-
Verbandes für Gesundheitswissenschaften und
senschaft
SDK-Stiftung
Public Health und im erweiterten Vorstand der
treuhänderisch. Sie fördert das Gesund-
verwaltet
die
Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsöko-
heitswesen, Wissenschaft und Forschung,
nomie.
Umweltschutz, Kunst und Kultur, Bildung
und Erziehung sowie mildtätige Zwecke.
Einmal jährlich veranstaltet die SDK-Stiftung
in Zusammenarbeit mit dem SDK-Institut für
Beim SDK-Symposium 2015 diskutierten
Experten vor über 150 Teilnehmern über das
Thema „Qualität“.
Aktuell unterstützt sie die Hilfsorganisation
Gesundheitsökonomie das SDK-Symposium.
„Ärzte der Welt“ und die Benefiz-Radveran-
Bei der Tagesveranstaltung kommen Experten
staltung „Tour Ginkgo“ der Christiane Eichen-
aus dem Gesundheitswesen zu Wort und be-
hofer-Stiftung.
leuchten aktuelle Themen aus Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik.
Der SDK-Stiftungslehrstuhl für Gesundheitsökonomie wurde zum 1. Dezember 2008 an der Steinbeis-Hochschule Berlin eingerichtet. Die Steinbeis-Hochschule ist eine der größten deutschen
Hochschulen für postgraduale Masterstudiengänge. Lehrstuhlinhaber ist Prof. Dr. Bernd
Brüggenjürgen. Als Mediziner und Gesundheitsökonom verfügt er über langjährige Erfahrung
ISSN 2197-8980
als Berater im Gesundheitswesen.
BLICK PUNKTE
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in Deutschland?
Vom Ausbrennen
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Gerüchte und Realitäten in der Versorgung privat
Krankenversicherter
Psychische Erkrankungen in Unternehmen und wie
Arbeitgeber helfen können.
01| 2013
Zwei-Klassen-Medizin
in Deutschland?
02| 2014
Vom Ausbrennen
bedroht!
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„ Pflegefall Zukunft – sind
wir reif für die Pflege?“
03| 2014
Pflegefall Zukunft – sind
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04| 2014
Individualisierte Medizin –
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zukünftiger Patientenbehandlung.