Peer Gynt Materialmappe - Staatstheater Braunschweig
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Peer Gynt Materialmappe - Staatstheater Braunschweig
Staatstheater Braunschweig Spielzeit 2014 / 2015 Materialien Peer Gynt Oper von Werner Egk »Leben heißt – mit Trollen tief in Herz und Seele ringen. Dichten – Jüngstes Gericht halten über sein eigenes Ich« Henrik Ibsen Die Handlung _____________ Vorspiel Peter wird vom Vogt, seiner Frau und dem Schmied beobachtet, während er von der Welt jenseits seines Dorfs und von Macht träumt. Sie versuchen vergeblich, Peer mit der Nachricht von der Hochzeit von Ingrid, seiner früheren Freundin, mit dem Dummkopf Mads zu provozieren. Peer tut, was er will. I. Akt 1. Bild Peter ist als ungeladener Gast auf die Hochzeitsfeier gekommen. Als Peer tanzen möchte, wird er von allen Mädchen verhöhnt. Sein Hass auf die gegen ihn verschworene Dorfgemeinschaft wird durch Solveig abgelenkt, sie jedoch schrickt vor ihm zurück. Peer fängt daraufhin zu trinken an und verkündet seine Phantasie, Kaiser der Welt zu werden. Die vom Schmied aufgehetzten Gäste würden Peer gerne verprügeln, nur der naive Mads, und Solveig stehen außerhalb der aufgebrachten Menge. Als sich Solveig jedoch weigert, mit Peer zu tanzen, bedrängt und beleidigt er sie. Zwar entschuldigt er sich sofort, entführt dann aber Ingrid vor den Augen ihres Bräutigams. Peers Mutter Aase erscheint auf dem Fest, um ihren Sohn vor Angriffen zu schützen. Die Jagd nach Peer beginnt. 2. Bild Der Alte, der Herrscher über das Trollreich, und seine Tochter, die Rothaarige, erwarten Peer. Währenddessen sind Aase und Solveig auf der Suche nach ihm. Peer hat Ingrid längst satt und stößt sie von sich. Als sich daraufhin die Rothaarige Peer zeigt, wird er in ihren Bann gezogen. 3. Bild Der Alte verkündet seinen Untertanen, dass er Peer sein Reich und seine Tochter vermachen will. Um König zu werden, muss Peer aber seine Menschlichkeit verlieren. Als die Trolle ihm die Augen ritzen wollen, setzt sich Peer zur Wehr und ruft in höchster Not Solveigs Namen. Das Trollreich verschwindet. 4. Bild Solveig hat Peer gefunden und will für immer bei ihm bleiben. Durch sie fühlt Peer sich gegen alles Böse gefeit. Doch die Rothaarige präsentiert ihm ein hässliches Wesen, angeblich sein im Trollreich gezeugter Sohn. Peer flieht vor dieser Situation nach Amerika. Die Handlung _____________ II. Akt 5. Bild Peer ist zu Reichtum gekommen. Der korrupte Präsident der Republik, in deren Hafen Peer sein mit Gold beladenes Schiff ankert, will das Auslaufen des Schiffes verhindern, wird aber von Peer bestochen. Peer erzählt drei Kaufleuten von seinem Lebensziel, Kaiser der Welt zu werden. Diese beschließen, sein Schiff zu annektieren, das beim Auslaufen jedoch explodiert. Kurz darauf erteilt der Präsident Peer die erkaufte Auflauferlaubnis. 6. Bild Der verwüstete Peer sitzt in einer Kneipe und betrachtet ein Panoptikum von perversen Absonderlichkeiten. Der Alte, der Wirt der Kneipe, zerrt seine Tochter herbei. Ihre Reize tun zuerst ihre Wirkung: Peer meint durch sie den Sinn der Liebe erkannt zu haben. Der Alte triumphiert, denn Peer hat Solveig verraten. Bald jedoch kommt Peer auf die Spur der Rothaarigen und ihres Vaters und will in seine Heimat zurückkehren. III. Akt 7. Bild Drei Vögel, die nach dem Sinn des Lebens fragen, versperren Peer den Weg. Da tritt ihm ein Unbekannter entgegen und fordert Peers Leichnam. Peer muss erfahren, dass seine Mutter gestorben, der Hof versteigert und er selbst für tot erklärt sei. Verzweifelt bittet Peer den Unbekannten um Hilfe. Dieser nimmt ihn mit ins Trollreich. 8. Bild Peer steht bei dem Alten vor Gericht, der ihn doch noch zum Herrscher des Trollreiches gewinnen will. Zeugen sollen Peers Eignung beweisen. Ingrid, Mads und die drei Kaufleute belasten Peer, doch am schwersten wiegt die Anklage der Mutter. Der Alte und die Rothaarige triumphieren bereits, da bittet Aase dennoch für ihren Sohn. Eine Frist von einem Jahr muss Peer gewährt werden. In tiefer Verzweiflung verlässt Peer die Gerichtsstätte. 9. Bild Solveig wartet immer noch auf Peer. Peer und der Unbekannte hören sie, aber der Unbekannte versucht Solveigs Worte umzudeuten, doch Peer erkennt, dass ihre Liebe seine einzige Chance ist. Solveigs Antwort auf die Frage, wo Peer all die Zeit war, spricht ihn frei. Durch sie findet er Ruhe und sein Zuhause. Werner Egk _____________ Der Komponist Werner Egk Werner Egk wird am 17. Mai 1901 in Auchsesheim bei Donauwörth als drittes Kind des Lehrers Joseph Mayer geboren. 1921 beginnt er das Kompositions- und Dirigierstudium bei Carl Orff in München und sammelt erste Theatererfahrungen als Inspizient, Kulissenmaler und Leiter der Bühnenmusik, erste Kompositionen entstehen ab 1923. In Berlin kommt Egk in Kontakt mit Bertolt Brecht, Kurt Weill und anderen Künstlern der Zeit. Erstmals arbeitet er für den Rundfunk. 1936-1940 wird Egk zum Kapellmeister der Preußischen Oper Unter den Linden Berlin berufen. In diesen Jahren werden u.a. die Oper »Peer Gynt« und das Ballett »Joan von Zarissa« uraufgeführt. Es folgen zahlreiche von den Nationalsozialisten in Auftrag gegebene bzw. wohlwollend aufgenommene Kompositionen für Bühne, Film und Konzertsaal. Ab 1941 ist er vorwiegend als freischaffender Komponist tätig und wird zum Leiter der »Fachschaft Komponisten« in der STAGMA gewählt, die sich innerhalb der Reichsmusikkammer für Aufführungsrechte bemüht. In mehreren Prozessen nach 1945 wehrt sich Egk gegen die Stigmatisierung als Hofkomponist der Nazis, 19501953 wird er zum Rektor der Hochschule für Musik in West-Berlin und 1951 beginnt er eine dreijährige Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper München. 1953 bis 1963 folgen die Uraufführungen der Opern »Die chinesische Nachtigall«, »Der Revisor« als Auftragswerk der Schwetzinger Festspiele und »Die Verlobung in San Domingo«. 1969-1971 ist Egk Präsident des Deutschen Musikrates, 1972 erhält er die Auszeichnung zum Ehrenbürger der Stadt München und 1976 wird er zum Präsidenten der Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs ernannt. Egk stirbt am 10. Juli 1983 im Alter von 82 Jahren in Inning am Ammersee; auf eigenen Wunsch wird er auf dem städtischen Friedhof in Donauwörth beigesetzt. Entstehung _____________ Zur Entstehung des »Peer Gynt« von Werner Egk Am 1. November 1937 konnte ich mit der Niederschrift der Peer Gynt-Partitur beginnen. Die Arbeit wurde ein gutes Dutzendmal durch Blitzreisen nach Berlin für die Leitung der Aufführungen von »Carlos«, »Kitesch«, vor allem aber von »Mignon« unterbrochen. Die jeweils fertigen Teile meiner Partitur gingen sofort beim Verlag B. Schott's Söhne in Mainz in Druck, der Klavierauszug wurde gleichzeitig hergestellt und seitenweise an die Staatsoper geschickt, die mir und dem Verlag hart auf den Fersen blieb. Im Frühjahr 1938 liefen bereits die Vorbereitungen für die Uraufführung im November an: Regie - Bühnenbild - Kostüme - Besetzung. Wenn das neunte und letzte Bild bis zum 31. August fertig wurde, konnte die Uraufführung zum vorgesehenen Termin stattfinden. Die Partitur war am 1. September fertig, obwohl sich noch im Juni ein dicker Balken quer gelegt hatte. Ich erhielt mitten in der Arbeit am achten Bild folgendes Schreiben: Siusi, prov. di Bolzano, den 8. Juni 1938 An den Herrn Komponisten, Werner Egk Lochham, Post Planegg, Bayern. Geehrter Herr Komponist! Mit größtem Befremden sehe ich aus den Zeitungen, daß die Staatsoper die Uraufführung eines Opers ankündigen, ohne daß meine Einwilligung für die OperBearbeitung eingeholt worden ist. Durch Herrn Sigvard Abrahamsen, Berlin-Charlottenburg 2, Uhlandstraße 183, haben Sie seinerzeit meine Bedingungen für die Oper-Bearbeitung von »Peer Gynt* erhalten. Ich bitte Sie nun, einen diesbezüglichen Vertrag mit Herrn Abrahamsen bis zum 1. Juli 1938 abschließen zu wollen, da ich sonst gegen weitere Ankündigungen für diese Oper einschreiten müsse. Ich bin nicht gewillt, die Frist über den 1. Juli hinaus zu verlängern, auch bin ich nicht bereit, irgendwelche Änderungen bezüglich meiner Bedingungen vorzunehmen. hochachtungsvoll Bergliot Ibsen-Björnson Entstehung _____________ Bis zu diesem Brief hatte ich auf Grund einer irrigen Information von kompetenter Seite geglaubt, daß in Norwegen die dreißigjährige Schutzfrist Geltung habe und daß infolge dessen keinerlei Genehmigung für die Verwendung des Dramas von Ibsen nötig sei. Jetzt aber mußte ich zur Kenntnis nehmen, daß die norwegische Schutzfrist auf fünfzig Jahre verlängert worden war. Mit dem Anwalt, Herrn Abrahamsen, wollte ich nicht reden, weil er eine Diskussion der Bedingungen von vornherein abgelehnt hatte, also mußte ich mit der Familie selbst reden. Ich war bereit, die geforderte Summe zu bezahlen, nicht aber die geforderte Beteiligung an meinen Tantiemen. Frau Bergliot Ibsen, Tochter des Dichters Björnstjerne Björnson, Witwe Seiner Exzellenz, des Herrn Ministers Sigurd Ibsen und Schwiegermutter von Olaf Gulbransson war die Repräsentantin der Familie des großen Dichters. Sie lebte in Siusi, dem ehemaligen Seiss, das nach dem ersten Weltkrieg an Italien gefallen war. Es gelang mir in aller Eile eine zuverlässige und wirksame Empfehlung an ihren Bruder, einen entschiedenen und erbitterten Gegner der Naziherrschaft, den Regisseur und Schauspieler Björn Björnson zu bekommen. Er lebte während des Sommers in nächster Nähe seiner Schwester. Am Sonntag, den 19. Juni, fuhr ich mit Elisabeth in aller Herrgottsfrühe nach Siusi. Wir kamen dort um 10 Uhr vormittags an und meldeten uns schnurstracks bei Herrn Björnson. Er las meine Empfehlung mehrere Male sehr aufmerksam durch und fragte dann freundlich nach unserem Anliegen. Ich erklärte ihm meinen Fall und bat ihn um die Liebenswürdigkeit, mich bei seiner Schwester anzumelden. »Lieber Freund«, sagte er, »ich kann alles Mögliche für Sie tun, aber das kann ich nicht. Mein Haus liegt zwar nicht mehr als dreihundert Meter von dem ihrigen entfernt, aber ich habe diese Frau seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen.« In Wirklichkeit sagte er nicht »diese Frau«, sondern etwas Schlimmeres, das man im engsten Familienkreis zu sagen pflegt, wenn man andeuten will, daß sich das Denken eines Familienmitgliedes den normalen Maßstäben entzogen hat. Als er meine Verzweiflung sah, meinte er: »Gehen Sie ruhig ohne Anmeldung hinauf. Wenn Ihnen niemand das Parktor aufschließt, kommen Sie eben wieder herunter. Ihre Frau lassen Sie aber besser hier. Betreten Sie das Grundstück nur in Begleitung von Fräulein Lehmann. Diese dürre, alte Ziege ist Hausdame bei meiner Schwester und die einzige Person, welche mit ihren Bluthunden fertig wird.« Ich ging hinauf und läutete an dem großen eisernen Parktor. Lange Zeit blieb alles still, dann erschienen zuerst sechs kolossale Hunde und zuletzt Fräulein Lehmann, eine zarte alte Dame. Unter den interessierten Blicken der schweigsamen Bestien erklärte ich ihr mein Anliegen durch die Gitterstäbe des Tores. Sie sagte kurz: »Kommen Sie in einer Stunde wieder, jetzt schläft sie noch.« Entstehung _____________ Um zwölf kam ich wieder und wurde von Fräulein Lehmann eingelassen. Ich hielt mich dicht an sie wegen der Bluthunde, die uns stumm begleiteten, kam glücklich ins Haus und wurde in den ersten Stock geführt. Auf der Treppe fuhr meine Begleiterin plötzlich nervös zusammen und warf mir einen mißtrauisch prüfenden Blick zu, warum, verstand ich erst später. Ich folgte ihr in den Salon, sie ließ mich allein. Der Salon war vollgestopft mit vergilbten Photographien weltberühmter Dichter, Schauspieler und großartiger Persönlichkeiten. Verwelkte Lorbeerkränze mit verblaßten, ausgebleichten Schleifen bedeckten die Wände. Es war wie in einem Mausoleum. Plötzlich öffnete sich die Türe, und eine Erscheinung, eine Art Papst weiblichen Geschlechts, stand vor mir, in ein schimmerndes weißes Moireekleid gehüllt, mit einem enormen, mystisch leuchtenden Amethystkreuz auf der Brust und einem Glorienschein wunderschöner weißer Haare um das mächtige Haupt. Es war Frau Ibsen. Ihre Exzellenz eröffnete die Konversation: »Wissen Sie eigentlich, daß ich nicht nur Violine spiele, sondern auch singe? Wollen Sie mich singen hören?« Sie stürzte sich auf den Flügel, entriß ihm einige Akkorde und produzierte laute, metallisch hohe Töne mit einem Ausdruck, der in der Oper der Ankündigung unmittelbar bevorstehender Katastrophen dient. Sie kletterte im Fortissimo bis zum dreigestrichenen C und hielt es so lange aus, als wollte sie sagen: »Hier laßt uns Hütten bauen.« Als ihr endlich die Luft ausging, fragte sie fordernd: »Was sagen Sie dazu?« Was sollte ich sagen? Es war klar, daß von meiner Antwort viel für mich abhing, und so murmelte ich errötend: »Man kann sich eine überraschendere Verbindung von Kraft und Anmut in einer Stimme kaum vorstellen.« Anmut, das war sicher nicht das Richtige, aber es fiel mir nichts Passenderes ein. Frau Bergliot war tief befriedigt und bedauerte, daß sie sich mir gegenüber eines Rechtsanwalts bedient hatte, und lud mich zum Essen ein. Vorher durfte ich im Garten noch zwei Puppenhäuser besichtigen, die so groß waren, daß ihre Enkel in ihnen herumgehen konnten. Dann zeigte sie mir ihr Automobil, eine gewaltige Maschine, der sie 14 Tage vor meinem Besuch bei ihrer Ausfahrt aus Berlin zu einer unbeabsichtigten Fühlungnahme mit einer Straßenbahn verholfen hatte. »Ich bin mit diesem Wagen allein bis hierher gefahren. Und da sagt mein Fahrlehrer, ich könnte nicht Auto fahren, verstehen Sie das?« Ich verstand es nicht. Entstehung _____________ Ihre Äußerungen waren kraftvoll, dynamisch und verständlich. Besonders rückhaltlos sprach sie über die Presse im allgemeinen und über die norwegische Presse im besonderen: »Kaum hatte ich wieder einmal norwegischen Boden unter den Füßen, da fragten sie mich, was ich über Hitler denke. >Ich bewundere ihn nicht nur, ich liebe ihn!< Ja, das habe ich gesagt, Sie hätten erleben müssen, was dann losging!« Ich versuchte, endlich auf mein Anliegen zu kommen. Ich kam und kam nicht dazu, auch nicht während des ausgezeichneten Essens. Erst beim Kaffee konnte ich sie bitten, meinen Vorschlägen zuzustimmen, und erklärte ihr alles. Sie akzeptierte sofort und sagte: »Wenn ich gewußt hätte, daß sie so ein sympathischer junger Mann sind, hätte ich Herrn Abrahamsen gar nicht bemüht.« »Ihre Zustimmung freut mich ungemein, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür. Sie werden sicher verstehen, wenn ich Sie nach dem vorhergegangenen Briefwechsel um eine schriftliche Formulierung bitte.« »Das geht leider nicht so schnell, mein lieber junger Freund. Vorher muß ich noch mit meinem Mann sprechen.« Auf alles war ich gefaßt, aber nicht darauf, daß sich der schon seit zwanzig Jahren verewigte Staatsminister Sigurd Ibsen auch noch mit mir befassen sollte. Ich muß ziemlich dumm ausgesehen haben, als sich herausstellte, daß die eheliche Gemeinschaft über den Tod hinaus durch die Mitwirkung von Fräulein Lehmann aufrechterhalten wurde. Man benutzte dazu einen runden Tisch, ein auf Papierschnipselchen geschriebenes Alphabet und ein Weinglas. Die beiden Nekromantinnen saßen Abend für Abend im verdunkelten Mausoleum und unterrichteten Seine Excellenz über die Tagesereignisse, holten seinen Rat ein und nahmen seine Anordnungen entgegen. Soviel stand fest: Ohne Sigurd kam es zu keiner Aufführung meiner Oper. Jedenfalls nicht vor 1956, dem Jahr, in dem die Schutzfrist erlöschen würde. Mit dem Mute der Verzweiflung flehte ich meine Gastgeberin an, sie möge mir doch am selben Abend Gelegenheit geben, meinen Fall Seiner Excellenz persönlich vorzutragen. »Er spricht kein Wort, wenn außer mir und Fräulein Lehmann noch jemand im Raum ist. Es hat wirklich keinen Zweck, ich kann Ihnen aber versprechen, daß ich Ihnen die Entscheidung meines Mannes umgehend mitteilen werde.« Als sie sah, wie niedergeschmettert ich war, sagte sie: »Er ist ein guter Mensch!« Die Damen begleiteten midi zur Türe. Als Fräulein Lehmann auf der Treppe wieder zusammenfuhr, erklärte mir Frau Ibsen das Phänomen: »Mein Schwiegersohn Gulbransson hat unser liebes altes Fräulein Lehmann im Evakostüm gezeichnet. Ich habe die Zeichnung hier aufgehängt. Fräulein Lehmann fährt jedesmal zusammen, wenn sie vorbeigeht. Ihre Nerven sind nicht mehr die besten.« Ich konnte Fräulein Lehmann gut verstehen, die Zeichnung war sehr realistisch. Entstehung _____________ Nachdem ich die Bluthunde, eng an das Fräulein geschmiegt, hinter mich gebracht hatte, holte ich Elisabeth ab, dankte den gastfreien Björnsons und fuhr nach Hause. Noch in der gleichen Woche erhielt ich die Mitteilung, daß Frau Ibsen nicht vermocht hatte, ihren Mann dazu zu bewegen, meine Vorschläge anzunehmen. Wahrscheinlich hatte er auf einer magischen Leinwand in Walhall oder im Paradies den »Peer Gynt«- Film mit Hans Albers gesehen, den er das Jahr vorher erlaubt hatte. Unsere letzte Hoffnung war Tietjen. Er meinte nur: »Lassen Sie mich das ordnen.« Wie er es fertiggebracht hat, von der seligen Exzellenz einen tragbaren Kompromiß zu erreichen, habe ich nie erfahren. Am 31. Oktober fand die erste Orchesterprobe für die Premiere von »Peer Gynt« statt, die erste von insgesamt 13 Orchesterproben. Post festum habe ich mir geschworen, nie mehr als 13 Proben zu einer Premiere zu akzeptieren, sondern allenfalls 12 oder aber 14. Um die Zeit dieser ersten Orchesterprobe war »eine bedeutsame kulturelle Neueinrichtung ins Leben gerufen worden, die der Verständigung zwischen Kunstschaffenden und Kunstbetrachtern« dienen sollte, ein Einfall des Propagandaministers. Bei der ersten derartigen Pressekonferenz sprach Professor Arthur Kusterer über seine vom Deutschen Opernhaus in der Bismarckstraße angenommene neue Oper »Katharina«. Er bezeichnete »Einfachheit und Leichtverständlichkeit der musikalischen Sprache als oberstes Gesetz des Schaffenden«. Das hat er gut getroffen, geholfen hat es ihm nichts. »Werner Egk war«, die Presse hielt das ausdrücklich fest, »leider durch Krankheit verhindert.« Trotzdem entkam ich der aufgestellten kleinen Pressemühle nicht, in der jedes Mißverständnis zwischen Kunstbetrachtern und Kunstschaffenden zermahlen werden sollte. Am Mittwoch, den 3. November, mußte ich meinen Auftritt im »Haus der deutschen Presse« nachholen. Die Konferenz begann jedoch nicht mit dem Thema »Peer Gynt«-Oper, sondern mit Ausführungen über die aktuelle Entwicklung der Hausmusik. Sehr spannend war das nicht. Vor Beginn der Veranstaltung war der Saal wie elektrisch geladen, vertrug aber das viele Reden über Hausmusik so schlecht wie ein Paukenfell den Platzregen. Viele gähnten verstohlen, manche offen. Ich rieb mir den Nasenrücken und mahlte mit den Kiefern. Als die Musikerzieher endgültig aufhören mußten zu reden, weil auf ihren Vortrag hin keine einzige kleine Frage kam, war die Reihe an mir. Ich war gut disponiert und sprach ohne Manuskript frei von der Leber weg. Die Spannung stieg wieder an. Ich erzählte: Warum, trotz Grieg, und einiges über das Wie und das Was. Entstehung _____________ Dann kamen die Fragen. Da hatte ein Kunstbetrachter tatsächlich den Klavierauszug und selbst die Regie-Anweisungen gelesen. »Sie wollen die Trolle also nicht als Fabelwesen gelten lassen?« »Nein.« Das war ihm zu wenig: »Was mißfällt Ihnen an der traditionellen Darstellung der Trollwelt?« »Das Gewürge und Gewühle, das sich üblicherweise in den Schauspielaufführungen des ›Peer Gynt‹ um die Füße des Helden wickelt.« »Sie wollen also eine andere Impression?« »Nein, ich will eine andere Expression.« »Sie schreiben auf Seite 69 des Klavierauszuges, daß die Trolle die »erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit sind. Wo finden Sie diese Minderwertigkeit heute?« »Heute? Genau wie immer: überall, unten und oben.« »Wie sehen Sie zum Beispiel das Kostüm eines Obertrolls?« Ich wurde langsam wütend über seine zielstrebige Hinterfotzigkeit und sagte eiskalt: »Stecken Sie einen fetten Statisten in Generalshosen, ziehen Sie ihm ein Netzhemd über und dekorieren Sie das mit einer Menge Orden und Ehrenzeichen, dann haben Sie ein perfektes Kostüm!« »Bravo Egk«, kam es gedämpft, aber deutlich vernehmbar aus der Ecke, in der ich Herrn von der Nüll stehen sah. Der Frager war bedient. Alle dachten das Gleiche: »Hermann heesst er!« Die Presse berichtete neutral, der »Angriff« fand meinen speach ironisch und sarkastisch gewürzt. Das war nicht schlimm. Niemand, der mich verstanden hatte, konnte es wagen, das zuzugeben. Schon der Gedanke war strafbar. Ein unschätzbarer taktischer Vorteil für Subversive. Die Generalprobe am 22. November verlief eindrucksvoll. Die Chefredaktion der Berliner Illustrierten verständigte mich, daß fünf Seiten Photos von dieser sensationellen Aufführung erscheinen würden. Am Tage der Uraufführung, am Donnerstag, den 24. November, hatte »man« ihnen vier davon gestrichen. Nach der Generalprobe traf der Schweizer Musikkritiker Oboussier unsere Freundin Agathe von Tiedemann, die damalige Sekretärin Furtwänglers, auf dem Opernplatz und erzählte ihr, daß die Musikbetrachter gruppenweise, je nach Ausrichtung, die Köpfe zusammengesteckt hätten. Die einen fürchteten, das Ding könnte ins Auge gehen, die anderen hofften es. Einer meinte: »Mir egal, fällt mir doch im Traum nicht Entstehung _____________ ein, darüber zu schreiben. Ich setzte mich nicht in die Nesseln.« Ein zweiter: »Wir werden das Schwein schon schlachten.« Die Gerüchte schwirrten nur so durch die Wandelgänge: Egk hat die Oper gar nicht selbst geschrieben, sie stammt von dem Emigranten Krenek, der sich hinter dem Strohmann Egk versteckt. Klatsch. Ein Kunstbetrachter nahm die Sache von der heiteren Seite und amüsierte sich damit, die Texte zu verdrehen. In der Pause sang er statt: »Erklärt mir das Warum und Weil«: »Erklärt mir das Warum Kurt Weill.« Klatsch. »Das Stüde ist ein Schlüsselstück: Der Obertroll Göring, der Ziegenbock Goebbels und die Kuh La Jana!« Klatsch. Jeder weiß doch, daß der Name der bildschönen Tänzerin in Goebbels Katalog steht! (Leporello: Madamina, il catalogo e questo delle belle che ama il padron mio.) Der Ziegenbock favorisiert sie in letzter Zeit!« Alle fanden meinen »Peer Gynt« ein starkes Stück - oder »ein starkes Stück«. Die Premiere verlief ohne Zwischenfall. Nur im dritten Bild entrüstete sich eine Dame im Parkett über den Tanz der Kuh mit dem Ziegenbock: »Eine Kuh hat nichts in der Oper verloren!« »Wieso sind Sie dann hier?« konterte ein Nachbar. Höflich war das nicht, aber saftig genug, um den Berliner Klatsch zu nähren. Der Schlußapplaus steigerte sich bis zu der Anzahl von Vorhängen, welche die heute schon legendär gewordene »Zauberflöte« am gleichen Ort in der Inszenierung von Gustaf Gründgens und mit dem »Wunder Karajan« am Pult (von der Nüll in der BZ) erreichen konnte. Mehr kann man nicht verlangen. Ahlersmeyer, »unser Mathieu«, war und blieb als Sänger-Darsteller der Titelrolle unübertroffen. Als ihn das rothaarige Aas in der südamerikanischen Hafenkneipe lockte und lockte, sang er mit einer mitreißenden Verve ohnegleichen: »Dein Hähnchen bin ich, dein glückseliges, Pick mich, du kleine Henne, Ei sieh', wie gern ich renne . . . « Er war umwerfend als tollgewordenes Mannsbild, als titanischer Übergockel, erschütternd als Zurückgestoßener, Verschmähter, wie später auf dem Grunde des Elends. Seine Partner waren ebenbürtig: Tegetthoff, Rödin, Heidersbach. Nach dem Krieg war Rödin schon in die Kulissen der Ewigkeit abgegangen, aber ich hatte die Genugtuung, seiner Frau in Schweden noch einmal durch die Erinnerung an seine Leistung das Herz zu erfreuen. Frau Heidersbach traf ich um die gleiche Zeit in Stockholm anläßlich einer Aufführung des Balletts »Abraxas« an der Kgl. Oper. Wir feierten Wiedersehen, und sie war glücklich über den immer noch nachwirkenden Glanz ihrer Solveig. Anschließend an die Uraufführung fuhren wir nach Kopenhagen, genossen das fabelhafte Büffet auf der Fähre (bei uns wurde Görings »Kanonen statt Butter« schon groß geschrieben), genossen eine ausgezeichnete Aufführung der »Geigenmusik« Entstehung _____________ und ein trotz der Zeitumstände ungetrübtes Wiedersehen mit unserem Freund Knudage Rijsager, dem großen dänischen Komponisten. Am 3. Dezember waren wir wieder in Berlin, lasen zustimmende Briefe von Freunden und Fremden und wußten die folgenden Zeilen besonders zu schätzen: z. Z. Berlin, den 25-11-1938 Sehr geehrter Herr Werner Egk! Vor meiner Weiterreise nach Kopenhagen sende ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche anläßlich der Uraufführung Ihrer Oper »Peer Gynt«! Ich hatte die Gelegenheit, der Aufführung beizuwohnen, und ich habe sowohl Ihr Talent, Fantasie und Schöpfergeist bewundern müssen. Ich glaube, es ist Ihneyi gelungen, eine Musik etwa im Sinne Peer-Gynt-Ibsen zu schreiben. Die herzlichsten Grüße! Bergliot Ibsen Der verblichene Sigurd wird bei der nächsten Konversation via Lehmann zustimmend das Tischbein gehoben haben. Vielleicht aber war er auch unsichtbar mit Papa Henrik neben Bergliot in der Loge gesessen? Wer kann das wissen? Wir ruderten durch die inzwischen unmäßig angeschwollene Presseflut. Die skandinavische Presse war wider Erwarten uneingeschränkt positiv. Erstaunlich, ich hatte ihr literarisches Nationalheiligtum auf den Opernsockel gestellt und das ohne Unterstützung durch ihren musikalischen Nationalheiligen Edvard Grieg. Das Gros der deutschen Presse würdigte den Erfolg von Werk und Wiedergabe, dichtete und trachtete aber so, daß man von ihrer spaltenfüllenden Schreibe sagen konnte: »Das Unverfängliche, hier wird's Ereignis.« Nur Herr von der Nüll stellte in der BZ die Grundsatzfrage, ob es erlaubt sei, auf dem Theater auch die Nachtseiten der menschlichen Existenz darzustellen, und antwortete ohne Umschweife, es müsse erlaubt sein, weil nur die ganze Wahrheit Voraussetzung der Kunst sei. Im »Haus der deutschen Kunst« in München war das nicht erlaubt. Der Künstler Adolf Hitler hatte dort am Vorabend der Eröffnung der großen deutschen Kunstschau ein Bild von der Wand gerissen und in die Ecke gefeuert, weil es die Ludwigstraße bei Nacht zeigte: Regennasses Pflaster, matte Reflexe der Straßenlaternen, Häuserfassaden, die sich nach oben im Dunkel verlieren. Warum um Gottes willen? Er sagte es selbst: »Bei uns gibt es kein Dunkel, sondern nur den strahlenden, hellen Tag.« Das Lichte, Höhere, Erhabene, Erhebende, das war richtig. Von der Nüll bekam sein Plädoyer für die Darstellung der Nachtzeiten schlecht. Im Januar 1939 wurde er dafür an den Pressepranger gestellt. Man las in den »Nationalsozialistischen Monatsheften«, dem Organ »zur weltanschaulichen Entstehung _____________ Schulung und Ausrichtung der Partei«: »Immerhin hält der zuständige Musikbetrachter der BZ eine Linie, die bereits an mehreren hervorstechenden Beispielen verfolgt werden konnte. Ein durchgreifender Wandel wird hier unumgänglich sein!« Lieber, mutiger, töricht tapferer, lebensfroher Freund von der Nüll! Sie hatten dich schon lange aufs Korn genommen, im Januar hatten sie dich im Visier, bald nach Kriegsbeginn wurdest du als entbehrlich eingezogen und warst unter den ersten Opfern des Wahnsinns. Sie haben dich, wie sie selbst zu sagen pflegten, abgeschossen. Heute weiß kaum noch einer, woran du gestorben bist, ich aber vergesse es nicht. Es gab aber auch jemanden, dem die Oper »in die Nase gefahren« war. Wer hatte denn da so böse im »Angriff«, der Zeitung der »Deutschen Arbeitsfront«, geschrieben? Irgendein orthodoxer Parteischnüffler? Weit schlimmer: Es war der Referent der Musikprüfstelle im Propagandaministerium. Entsprechend sah sie aus, die Bilanz: Ich stank nach Bert Brecht, den sie verfemt und aus dem Lande gejagt hatten. Meine Musik stank nach »Verjudung«. Sie stank auch nach »Negermusik«. Ganz besonders stark und durchdringend stank sie nach der berüchtigten Systemzeit. Der Zeigefinger des Referenten zeigte auf »brechtisch anmutende Worte« in meinem Libretto, wies wiederholt hier auf Einflüsse Kurt Weills, des verhaßten jüdischen Komponisten der »Dreigroschenoper«, deutete lange auf Jazzeinflüsse, blieb auch bei dem Negerboxer stehen, den das Adlerauge des Referenten im sechsten Bild entdeckt hatte, und warnte vor der »zweiseelischen Ibsen-Oper mit Allüren aus der Schreckenskammer der System-Oper.« Das war alarmierend, und wir wurden nervös. Ein Zivilist in Begleitung eines Arbeitsdienstführers hatte die Staatsoper während der zweiten Vorstellung unter lautem Protest verlassen. Das bedeutete aber nichts, es war, wie sich herausstellte, nur der hoffnungslose Intendant Spring aus Köln. Daß aber zahlreiche, ganz offenbar interessierte Bühnen um keinen Preis dazu zu bewegen waren, einen Aufführungsvertrag abzuschließen, das bedeutete, daß sie Angst hatten. Angst wovor? Es gab kein ausdrückliches Verbot und kein offizielles »Unerwünscht«. Es gab im Gegenteil Versicherungen des Wohlwollens durch Leute, die wissen mußten, was unter der Decke gespielt wurde. Über dem Ganzen lag wie dichter Nebel ein ungreifbarer anonymer Widerstand. Endlich, am Sonnabend, dem 17. Dezember, erhielt ich einen Hinweis. Ein blasser bebrillter Herr, mir kaum dem Namen nach bekannt, meldete sich: »Ich bin Mitglied einer maßgebenden Gruppe von Kulturpolitikern. Wir tagen regelmäßig und bestimmen ›die Marschrichtung‹. Ich komme zu Ihnen, weil mir die Methode nicht Entstehung _____________ gefällt, mit der man Sie erledigen will. Übermorgen in der nächsten Aufführung des ›Peer Gynt‹ wird eine Einheit SA in Zivil, verteilt auf alle Platzkategorien, eine Kund gebung des ›gesunden Volksempfindens‹ veranstalten. Wenn Sie das nicht verhindern können, sind Sie erledigt. Ich bitte Sie um absolute Diskretion.« Ich dankte dem blassen Herrn für seine Mitteilung und rannte im Schrecken in die Oberwallstraße zu Tietjen. Außer Atem flehte ich ihn an, etwas zu unternehmen. Ich erinnerte ihn an das Staatsopernkonzert im Jahre 1934, in dem Alban Bergs unerwünschtes Werk »Fünf Stücke aus Lulu für den Konzertgebrauch« von Kleiber uraufgeführt wurde. Wie man sagte, unter dem Schutz von dreihundert Geheimpolizisten in Zivil. Damals wurde doch auch eine organisierte Kundgebung des »gesunden Volksempfindens« verhindert. »Nein«, sagte Tietjen, »diesmal werde ich nichts unternehmen.« »Aus welchem Grund, bitte?« Er antwortete nur mit zwei Sätzen: »Wir stehen unmittelbar vor einem Krieg, der verloren ist, bevor er begonnen wird. Sie und ich, wir beide werden nach dem Krieg eine starke Position haben, wenn sie uns jetzt herausschmeißen.« Ich war verzweifelt. In meiner Angst rief ich den blassen Herrn an und bluffte: »Am Montag werden dreihundert Geheimpolizisten im Haus unter den Linden wirksam für Ruhe sorgen.« Wir bedankten uns gegenseitig, dann wurde aufgelegt. Am Sonntag jagten Motorradstaffetten der SA durch Berlin und bliesen das Unternehmen Staatsoper ab. Nur ein paar SA Leute waren nicht erreichbar und fingen am Montag während meiner Aufführung an, Krach zu machen. Sie wurden niedergezischt. Als sie merkten, daß etwas nicht nach Plan gegangen war, blieben sie stumm. Hinterher war alles sehr komisch. Auch im Januar warteten wir vergeblich auf einen Vertragsabschluß mit einem der interessierten Opernhäusern. Dafür wurden in der Januar-Nummer der »NSMonatshefte« nicht nur von der Nüll, sondern auch ich an den Musikpranger gestellt. Ich war ein »schlimmerer Grenzfall als Strawinsky«. Mein Fall mußte »ganz anders beurteilt werden, wenn weitere Bühnen des Reiches die Neigung zeigen, diesen ›Peer Gynt‹ herauszubringen«. Das war eine unverhüllte Drohung. Wir konnten nicht mehr schlafen, fühlten uns wie in einen Kohlensack geschnürt, mit Bleiplatten auf der Brust. Wir dachten nach, was die anonymen Späher notiert haben konnten: Meine »unselige, pazifistische Weltanschauung« anläßlich der Konzertaufführung von »Furchtlosigkeit und Wohlwollen« mit Hermann Scherchen am Pult, den »kommunistischen Musikrummel«, in dem »der ganze Klüngel wieder einmal wunderschön beisammen« war, einschließlich Egk und Scherchen, das »Unheil«, das Arnold Schönberg in meiner musikalischen Sprache angerichtet hatte, die Entstehung _____________ »Wirkungen des Sowjetstern auf unser Kulturleben«, die ich begünstigt hatte - und das in den Spalten der Zeitschrift »Völkische Kultur« (1934-1936), schließlich die »Meistersingerparodie« in der »Zaubergeige« und »Schönberg und Strawinsky«, die mich »als Paten meiner Musik« in Köln kompromittiert hatten . . . Bisher hatte man immer nur Stinkbomben, drei Stück zu zwanzig Pfennig, geworfen. Auch durch Tietjens Bemerkung, der Krieg stehe vor der Tür, waren wir niedergeschmettert. Die »Geheime Reichssache«, die uns unter dem Datum des 17. August ins Haus geschneit war, kam uns wieder hoch, der Fragebogen mit den Rubriken »Wehrpaß«, »Zuständige Wehrersatzdienststelle«, »Tauglichkeitsgrad« und »Kriegsbeorderung«. Damals hatte mir Elisabeth einfach verboten, einem eventuellen Gestellungsbefehl Folge zu leisten. Ich glaubte nicht an diese Möglichkeit, aber sie sagte: »Wenn du in diesen Krieg gehst, sind wir geschiedene Leute.« Dabei blieb sie auch im Januar 1939, als es dann soweit war. Die Monate nach der glanzvollen Uraufführung waren ein Alpdruck. Werner Egk _____________ Der Fall Werner Egk Ein trauriges Beispiel für eine traurig kompromittierte Generation von Fred K. Prieberg, DIE ZEIT, 25. April 1969 07:00 Uhr Herr Professor Werner Egk, der berühmte Komponist, hatte kein Verständnis für den Zorn eines jungen Mannes; am 27. Februar erwirkte er eine Einstweilige Verfügung gegen den Carl Hanser-Verlag in München und gegen den in Amsterdam lebenden Komponisten Dr. Konrad Boehmer. In einem von Hanser publizierten Sammelband »Kritik / von wem / für wen / wie« hatte Boehmer behauptet, Egk sei »eine der übelsten Figuren nationalsozialistischer Musikpolitik« gewesen. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, berührt er doch in Jahrzehnten gewachsene und durch gesellschaftliches wie künstlerisches Renommee gefestigte Autorität. Die Anwälte des Verlages, verschreckt durch den Streitwert von 30 000 Mark, ließen sich auf einen Vergleich ein. Das Buch soll weiter verkauft werden – und sei es mit einem dicken, schwarzen Strich statt jener schlimmen Worte. Wußte Boehmer nicht, was er schrieb? Wer ihn als zwar hitzigen, aber klaren und reflektiven Geist kennt, weiß, daß er die Quellen studiert hat. Wenn er den Wahrheitsbeweis antreten soll, wird er das faszinierend-schillernde Bild einer Generation entwerfen, die sich – halb gezogen, halb hingesunken – von Politikern korrumpieren ließ. Darauf nämlich läuft Egks Biographie der Zeit von 1933 bis 1945 am Ende hinaus: Sie muß die Stationen des Erfolges nachzeichnen, den Höhenflug einer Karriere skizzieren, immer eingedenk der Tatsache, daß niemand im Dritten Reich Karriere machte, den die Nationalsozialisten nicht wollten. Sie muß Ausflüchte und Entschuldigungen werten, Motive durchschauen. Sie muß das Unverständnis der Jugend – Boehmer, Jahrgang 1941, zählt zu den glücklicherweise Zuspätgeborenen – angesichts der Behauptung formulieren, daß es möglich gewesen sein soll, antinationalsozialistisch gedacht und gehandelt und gleichwohl 40 000 Mark im Jahr verdient zu haben... so wie Egk. Egk war nicht Mitglied der NSDAP. Daher konnte er dem Gericht jenen Bescheid vorlegen, mit dem die Spruchkammer München-Land ihm am 17. Oktober 1947 bestätigt hatte, er sei nicht vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffen. Das Protokoll zeugt für die Fragwürdigkeit solcher Verfahren. Der »Persilschein« war alles, und so hörte die Kammer freundliche Worte von Heinrich Strobel, dem Herausgeber der Musikzeitschrift »Melos«, von dem Dirigenten Hans Rosbaud und anderen, darunter den Kollegen Erich Kloss, einst Dirigent des NS-Reichssinfonieorchesters, Fritz Büchtger, Schöpfer zweier Parteikantaten, Hans Sachse, der Reich und Führer damals ebenso eifrig besang, und Wilhelm Gutknecht, Landesleiter der Reichsmusikkammer, wiewohl er sich der Spruchkammer bescheiden als »Referent« vorstellte. Von Befangenheit keine Spur! Werner Egk _____________ Die Spruchrichter folgten dem Gesetz. Dennoch mahnten sie: »Jeder, der seine Leistung und seinen Namen dem Nationalsozialismus zur Verfügung stellte, hat damit eine Schuld auf sich geladen. Auch Egk kann dieser Vorwurf nicht erspart werden.« Es ist eben der Vorwurf, den Konrad Boehmer in weniger wohlgesetzten Worten erhob, und ihm, dem Journalisten der linksradikalen Zeitung »Vrij Nederland«, ist berechtigtes Interesse zuzubilligen – wie der ganzen Jugend, die wissen möchte, wie tapfer oder wie feige die Väter einmal waren. Feigheit steht nicht im Strafgesetzbuch. Boehmer, selber mit einem nationalsozialistischen Erzeuger behaftet, tritt natürlicherweise als Moralist auf. Er weiß, daß die tapferen Väter an ihrer Tapferkeit starben. Werner Egk war 1933 auf dem Weg nach oben, zu weit oben, als daß es ihn gelüstete, tapfer zu sein. In seinem Antrag gegen Boehmer und den Verlag heißt es freilich: »Er wurde nicht Mitglied der Reichsmusikkammer, weil er aus passivem Widerstand den Ariernachweis nicht erbracht hatte.« Richter sind keine Historiker. Sonst wüßten sie, daß jeder Komponist pauschal durch einen Fragebogen die vorläufige Mitgliedschaft der RMK erhielt. Der dann verlangte arische Nachweis zog sich hin, und selbst 1939 hatte nur ein Teil der Musikschaffenden ihn erbracht. Aber zu der Zeit war Egk als Staatsoperndirigent schon in der Reichstheaterkammer, und das genügte. Passiver Widerstand, der sich so dokumentieren ließe? Da sind die Artikel, die Egk für das Hetzblatt »Völkische Kultur« schrieb, darunter ein eilfertiges Lob auf Eichenauers berüchtigtes Buch »Musik und Rasse«, und das war kein Organ, das Antifaschisten auch nur ein Wort gegönnt hätte. Da sind die Verlautbarungen und Reden als Führer der Fachschaft Komponisten in der RMK, darunter die Ansprache bei den Kulturtagen der HJ 1942 in Salzburg: keine Huldigungen an Hitler, aber taktisch formuliertes Einerseitsandererseits, und zuweilen eine Erinnerung an die »neue Zeit«. Da fiel auch – im »Völkischen Beobachter« ausgerechnet – das Stichwort »Musik und Politik«, nämlich so: »Nach einem Gesundungsprozeß ..., der sich überall fühlbar anzeigt, hoffen wir auf die Vermählung einer idealen Politik mit einer realen Kunst, damit sich in unserm Leben alles dorthin wenden möge, woher es seine Kräfte zieht: zum Guten, Wahren, Gerechten und Schönen.« Klingt so die listig verschlüsselte Sprache des Widerstandes? Egks künstlerische Karriere – o ja, von kleinen Funktionären und niederen Dienststellen ab und an mißtrauisch betrachtet – spiegelt sich in seinem Werkverzeichnis. Aber einiges fehlt darin. Nicht die Opern, deren eine Hitler so gut gefiel, daß er dem Komponisten 1939 durch Goebbels einen mit 10 000 Mark dotierten Kompositionsauftrag zukommen ließ. Nicht die Orchesterstücke, von denen zwei im 6. Frankfurter Museumskonzert 1935 Werner Egk _____________ statt des »entarteten« Hindemith und eines 1943 beim 3. Konzert des Stabsmusikkorps des SS-Führungshauptamtes erklangen. Nicht die Vertonung von Klopstocks Hymne »Mein Vaterland« (1937), die im Dritten Reich eben nicht harmlos war und prompt in dem Goebbelschen Propagandafilm »Das deutsche Lied« ihre Rolle spielte. Nicht einmal die Musik zu dem Festspiel »Olympische Jugend«, ein Auftrag Hitlers für die Olympiade 1936, belohnt mit einer Goldmedaille. Der Historiker vermißt allerdings die Musik zu dem nationalen Mysterienspiel »Job der Deutsche« (1933), zu Weinhebers großdeutschem Weihespiel »Die hohen Zeichen« (1939) und namentlich zu dem Propagandastreifen »Blaue Jungs« (1941) mit dem schwungvoll-demagogischen »Marsch der deutschen Jugend« – und er rätselt, wie wohl ein überzeugter Anhänger Hitlers Regimetreue demonstrieren konnte, wenn schon ein Antifaschist sich so überzeugender Tarnung bediente. Und dann Egks Auslandsgastspiele. Etwa im besetzten Paris und in Prag. In der Presse stand damals, welchen Sinn sie hatten: Kulturpropaganda für NSGroßdeutschland und eine europäische Fronde gegen die »jüdisch-bolschewistische Weltpest«. Der Historiker weiß, daß kein Künstler der Kompromittierung durch das Regime entrinnen konnte, wenn er tätig sein und Erfolg haben wollte. Wer war so treuherzignaiv, zu glauben, er allein sei keine »Figur nationalsozialistischer Musikpolitik«? Die totale Lenkung nutzte jeden Künstler als Objekt. Seine Kunst war der Partei nützlich – oder sie wurde als »entartet« verboten und totgeschwiegen. Boehmers Attacke gegen einen Mythos hat gewiß vielerlei Ursachen. Egk ist ein mächtiger Mann. Er verabscheut junge Avantgardisten. Die Kürzung der Münchner Musica-Viva-Konzerte brachte er zuwege, indem er dem musikhistorisch ahnungslosen, aber den Etat bestimmenden Aufsichtsgremium ein »schlimmes« Werk von György Ligeti vorspielte. Er hätte dabei auf eine alte Begründung zurückgreifen können. »Ist die Ausscheidung aller jener Werke vollzogen, die auf keinen Fall aus einer inneren Beziehung zu den Triebkräften der Zeit entstanden sind, dann erst wird man zu den geeigneten Werken vorstoßen. Diese werden... beweisen, daß sie ebenso weit entfernt sind von den zergrübelten, resignierten, quälenden oder sentimental-erotischen Zuständen wie von einem künstlich gemachten ›dionysischen‹ Pathos eines vergangenen Gehirnmenschentums, als sie wieder beginnen, aus dem gesunden und harmonischen Ebenmaß von Körper, Seele und Geist zu wirken.« Also schrieb Egk 1936, und die Zeit, die er meinte, war Hitlers Zeit. Wir leben heute in einer anderen Epoche. Und wer wollte es Konrad Boehmer verdenken, daß ihm stellvertretend für seine Generation übel wird angesichts einer solchen Biographie? Eine Einstweilige Verfügung ist fürwahr ein zweischneidiges Ding. Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ erschienen in: Erika Fischer-Lichte/Barbara Gronau/Christel Weiler (Hrsg.): Global Ibsen. Performing Multiple Modernities, New York/London: Routledge, 2011, S. 176-187. Summary Werner Egk’s opera Peer Gynt premiered at the Berlin Staatsoper in November 1938. Seventy years later the composer and his opera’s relationship to the Nazi regime still remains unclear. Writings dealing with Egk and his Peer Gynt can be divided into two opposite camps. One argued that Egk’s intention was to criticize the Nazi regime by using so-called ‘Entartete Musik’ (degenerate music) for the troll world. Yet, it seems highly unlikely that the composer and conductor of an institution as prominent as the Berlin Staatsoper would have been in a position to openly criticize the Nazi regime as late as 1938. Indeed, the opposite camp saw Egk’s project as part of a general trend encouraged by the Nazi regime to maintain a clear racial distinction between good and evil and propagate the concept of the Nordic hero. This article does not aim to pass a definite verdict on whether Egk supported or opposed the Nazi regime. Instead, I wish to discuss whether and to what extent music is at all capable of conveying political meaning. My aim is to demonstrate the potential within Ibsen’s Peer Gynt and Egk’s musical setting of it, interpreted and/or applied in such diametrically opposed ways. **** “Now Peer Gynt … is a great play: a masterpiece of Norwegian literature, as Faust is a masterpiece of German literature … [L]ike Faust, again, it is full of scenes that haunt a composer and compel him to give them musical expression.”1 It was the critic and playwright George Bernard Shaw who was eager to experience the great musical potential of Ibsen’s play. But after having listened to the incidental music by Edvard Grieg, Shaw was anything but pleased. He was of the opinion that Grieg, “… being only a musical grasshopper in comparison with the musical giant of Bayreuth, … could only catch a few superficial points in the play instead of getting to the very heart and brain of it”.2 1 Shaw, George Bernard, “Bassetto’s uncle and Peer Gynt” (The Star, 16 March 1889), in (ed.: Dan H. Laurence) Shaw’s Music. The complete musical criticism in three volumes, London: The Bodley Head, 1981, vol. 1, 579. 2 Shaw, “Music for the theatre” (The World, 27 January 1892), ibid., vol. 2, 527. Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ It is possible that this dissatisfaction with the existing Peer Gynt composition led the protagonist of this article, the German composer and conductor Werner Egk (190183), to undertake a musical setting of Ibsen’s Peer Gynt. The result was an opera, which premiered at the Berlin Staatsoper in 1938. Whether Egk managed to capture the very “heart and brain” of Ibsen’s play is impossible to say. Instead I will focus on Egk’s own vision for Peer Gynt and its placement within the political climate at the time. **** “Werner Egk is among the most well-known and controversial figures of the musical life of National Socialist Germany.”3 During the Nazi dictatorship, he quickly built an impressive career as a conductor and composer. His first big success, Die Zaubergeige, adapted from Franz Graf von Pocci, premiered in Frankfurt am Main in 1935. It earned Egk the admiring support of the artistic director of the Preußisches Staatstheater, Heinz Tietjen, who commissioned him to compose a new opera for the Staatsoper - Peer Gynt. Evidently, Tietjen was not the only one impressed by Egk’s work. After attending a performance of Peer Gynt in 1939, Joseph Goebbels and Hitler expressed their appreciation, with the latter inviting Egk to his box in order to congratulate him on his opera.4 Egk had previously won a gold medal for his musical composition of the festival piece Olympische Jugend at the 1936 Olympic Games.5 In 1941 he composed the music for the UFA film Jungens, which included the “Marsch der Deutschen Jugend” (“March of the German Youth”), subsequently adopted by the ‘Hitlerjugend’ (Hitler Youth) with its chorus: “Onward! Onward! The flag waves before us! Greater Germany is the name of our proud ship; we stand upon her one and all!”6 3 “Werner Egk gehört zu den bekanntesten und umstrittensten Gestalten des NS-Musiklebens.” Englert, Uwe, Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches, Tübingen: A. Francke, 2001, 204. 4 Egk always contested this claim; cf. Walter, Michael, “Hitler in der Oper. Der ‘Führer’ und Werner Egks Peer Gynt”, ibid., Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919-1945, Stuttgart & Weimar: Metzler, 1995, 175; cf. Prieberg, Fred K., Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982, 320. 5 Egk, Werner, Die Zeit wartet nicht. Künstlerisches, Zeitgeschichtliches, Privates aus meinem Leben, München: Goldmann, 1981, 257-8. 6 “Fahren! Fahren wir! Die Fahne weht voran! Groß-Deutschland heißt unser stolzes Schiff, drauf steh’n wir Mann für Mann!“, Englert, op. cit., 205; cf. Prieberg, op. cit., 25. Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ Illustration 1: Werner Egk: “Marsch der Deutschen Jugend” (1941), in: Prieberg, F. K., Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch At the end of the war, Egk tried with considerable success to veil, distort, or reinterpret his involvement with the Nazi leaders. He was acquitted on his second appeal at his denazification trial and went on to rapidly rebuild a successful career in post-war Germany. He held the post of professor and director at the Hochschule für Musik (now Universität der Künste) in Berlin from 1950-3 and was awarded the Order of Merit of the Federal Republic of Germany, one of the highest honors awarded for special services rendered to the country. In view of the research available at the time, it seems evident that Egk was, in the words of Michael Kater, an “enigmatic opportunist.”7 **** But let us return to Peer Gynt. How did Werner Egk arrive at this particular choice for his opera commissioned by the Berlin Staatsoper? According to his presumably somewhat unreliable memoirs of 1973 (memory, as we know, can be selective and very creative), he was looking for material on the theme of the prodigal son.8 It seems much more likely, however, that, on being given the opportunity to create his first opera on the most important opera stage of the Third Reich, he wanted to jump on the bandwagon and cash in on the success of Ibsen, especially Peer Gynt. While the play’s popularity was not restricted to the National Socialist era, it was particularly well received during that time. Henrik Ibsen’s plays always played an important role on German stages. Between 1936 and 1940 - the period of the conception and first performances of Egk’s production - Peer Gynt was the most performed play of the Third Reich along with Hamlet.9 Of all the translations available in the Third Reich - including those by Ludwig Passarge, Christian Morgenstern, and Dietrich Eckart - Eckart’s translation was chosen most of the time.10 Dietrich Eckart wrote his version in 1911 to provide an alternative to the then widely used Morgenstern translation, which was too literal for his taste. Eckart’s new translation clearly dominated and dictated the Third Reich’s perceptions of Peer Gynt. Dietrich Eckart, Hitler’s mentor and friend, died nine years before 7 Kater, Michael H., “Werner Egk. The Enigmatic Opportunist”, in id., Composers of the Nazi Era, New York & Oxford: Oxford University Press, 2000. 8 Cf. Egk op. cit. 9 Englert, op. cit., 133. 10 Ibid., 136-7. Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ Hitler’s rise to power; however, he played a significant role in the formation of National Socialist ideology. Goebbels and Hitler called Eckart a “pioneer advocate of a clear and intellectually superior anti-Semitism.”11 Eckart’s version of Peer Gynt not only became the most performed play during the Third Reich; it was also the first choice when plays were selected for special National Socialist holidays such as the day of remembrance of the fallen at Feldherrnhalle (9 November), the day of Hitler’s rise to power (30 January) and, last but not least, the Führer’s birthday (20 April). Performances of Eckart’s Peer Gynt translation with Grieg’s music were staged for the leisure organization ‘Kraft durch Freude’ (Strength through Joy) (as was Egk’s opera). The 1936 production of Eckart’s translation was presented on a daily basis to 3.300 spectators at the Theater des Volkes, an official stage of the ‘Deutsche Arbeitsfront’ (German Labor Front),12 formerly known as Max Reinhardt’s Großes Schauspielhaus or Circus Schumann. Peer Gynt performances such as those presented at the Reichstheater-Festwoche (Reich’s Theater Festival) in 1934 were celebrated by the press for their ideological doctrines. A review in the Völkischer Beobachter brought these performances into direct association with the “Nordic character, selective breeding and racial hygiene” propagated by Alfred Rosenberg.13 The specific adaptation of literary material is always a prerequisite for political absorption. What was so remarkable about the Eckart translation in the context of the Third Reich’s ‘Peer Gynt climate’? Eckart produced a tendentious reinterpretation of the material, which in many ways arrived at the right time for National Socialist ideology. From the very beginning, Eckart considered Peer Gynt an exceptional genius.14 He emphasized the Nordic origins of Peer Gynt, calling him the “Heir to the Vikings.” To support his characterization of the superhuman genius in spite of many episodes to the contrary, Eckart inserted the negative episodes as if they were taking place in a dream world.15 Ibsen’s original passages were altered to highlight the conflicts between Peer and his surroundings.16 The racist undertone is also evident in numerous passages in the 11 “Vorkämpfer eines klaren und geistig überlegenen Antisemitismus.” Ibid., 138, footnote 61. Ibid., 190-1. 13 Völkischer Beobachter [Berliner Ausgabe], 31 May 1934, quoted in Englert, op. cit., 190. 14 Englert, op. cit., 68. 15 Ibid., 70. 16 Ibid., 75. 12 Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ translation, such as when Peer Gynt resists his transformation into a troll by arguing that he does not want to spend the rest of his life “with bulging lips.”17 In his recent study on Ibsen productions of the Third Reich, Magus und Rechenmeister: Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reichs, Uwe Englert clearly points out the tendency towards anti-Semitism in the troll scenes, already in stagings of the first decades of the twentieth century. The performance at the Königliches Schauspielhaus in Berlin in 1914 with Max Pohl in the role of the troll king, delivering his lines with a Yiddish accent and intonation, serves as a clear example here.18 **** While Werner Egk might not have used Eckart’s translation as the basis for his opera, instead choosing to write his own version “freely redesigned, based upon Ibsen,” he also never expressly distanced himself from that translation.19 In either case, we must assume that his opera would have been received within the framework of the prevalent ‘Peer Gynt climate’, which was dominated by Eckart’s version. Moreover, as Englert has pointed out, some blatant similarities between the two versions remain. Werner Egk’s version of the text reduced Ibsen’s original to three acts and nine scenes. Several scenes, such as the episodes in Cairo, and a number of characters such as “the tall crooked one” or “the thin one” are omitted completely. Egk also shifted the scenes with the vendors in Morocco to Central America. The desert scenes with Anitra were amalgamated into a single scene set in a Central American harbour bar with a female dancer identical to the daughter of the troll king. Egk cut many of the characters or merged them into one, thereby focusing on the conflict between the evil troll world (including, in a sense, the act set in Central America) and the good world of Solveig. This focus on the conflict, simplifying the plot into a clear distinction between good and evil, can already be found in the Eckart translation. Absent in Ibsen’s play, the antithetic nature of the characters is obvious in both Eckart and Egk. Alice N. Benston considers the absence of antagonistic structures to be a distinguishing mark of Ibsen’s work: “The antithetical pairing of character types that Ibsen used so prominently before … is absent here.”20 In contrast, Englert identifies 17 “mit hängender Lippe”; ibid., 76. Ibid., 80-2. 19 Cf. Schneider, Frank, “‘...nach langer Irrfahrt kehrst du dennoch heim...’. Werner Egks Peer Gynt. Ein musikalischer Fall zur Dialektik der Anpassung”, Beiträge zur Musikwissenschaft, 1986, vol. 28, 12. 20 Englert, op. cit., 209 and footnote 376, with reference to Benston, Alice N.: “Ambiguity, Discontinuity and Overlapping in Peer Gynt”, Modern Drama 2, 1984, vol. 27, 160. 18 Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ the following feature in the two translations: “In both versions, the polarized structure ultimately escalates into a competition between Peer and the trolls, with Peer as victor.”21 Egk himself wrote: “The end of my opera libretto signifies the final victory of the positive, and the definitive and devastating defeat of all that belongs to the world of the trolls - those driven by base desires, the low, the common and the negative.”22 Another similarity between the Egk and the Eckart version is the active role of Peer Gynt, culminating in his decision to go to Solveig and plead for forgiveness and salvation. Illustration 2: Werner Egk: “Peer Gynt”, Staatsoper Berlin (1938): Final Scene, in: 200 Jahre Staatsoper im Bild. Aus Anlaß des 200jährigen Jubiläums der Berliner Staatsoper hg. von Julius Kapp, Berlin 1942, 195. Peer Gynt’s desire and will to act was underlined by Egk himself in the article he wrote to introduce his opera: “Peer Gynt is not saved by Solveig; the act that allows him to escape the danger of sinking into a sea of vileness and meanness is his own act, and the decision which allows him to become human is his own decision …”23 Egk the librettist used simplification in order to intensify the conflict between good and evil, thus providing Egk the composer with the best conditions for working with musical contrasts. Traces of the influence of Egk’s musical role models Richard Strauss, Carl Orff, and Igor Stravinsky (to a lesser degree) are evident. In the very first scene, Egk clearly set the angelic Solveig apart from the crude wedding guests surrounding her in Haegstad. Egk contrasted the rhythmically heavy dance with high, sustained soprano tones in unison with the harp, celesta, flute, and glockenspiel.24 The sentimental exaggeration of Solveig culminated in the finale, which some critics deemed kitschy. It was a streamlined, folksy song in the style of a repetitive cradle song. Its soporific effect, however, was ruptured by two forceful outbursts in high b flats, potentially reawakening even the sleepiest of spectators. The final tones were dedicated to Solveig, transcending to other spheres, a willingly sacrificial woman and mother.25 However, the most controversial scenes even at the time and then later in the field of research referred to the troll world. 21 Englert, op. cit., 209-10. “Der Schluß meines Opernbuches bedeutet einen endgültigen Sieg des Positiven und eine endgültige und vernichtende Niederlage alles dessen, was zur Welt der Trolle, zur Welt des Niedrigen, Triebhaften, Gemeinen und Negativen gehört.” Egk, Werner, “Werner Egk über seinen ‘Peer Gynt’”, in Programmheft der Berliner Staatsoper zu Peer Gynt, 24 November 1938, 8; cf. Englert, op. cit., 210. 23 “Peer Gynt wird nicht von Solvejg erlöst, die Tat, durch die er der Gefahr entgeht, im Meer der Niedrigkeit und Gemeinheit unterzugehen, ist seine eigene Tat, und die Entscheidung, durch die er zum Menschen wird, ist seine eigene Entscheidung …” Egk, op. cit.,8; cf. Englert op. cit., 209. 24 Egk, Werner, Peer Gynt. Vocal score, Mainz: Schott, 1966 [1938], 10-2. 25 Ibid., 243-5. 22 Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ Illustration 3: Werner Egk: “Peer Gynt”, Staatsoper Berlin (1938): Halle des Alten, in: 200 Jahre Staatsoper im Bild. Aus Anlaß des 200jährigen Jubiläums der Berliner Staatsoper hg. von Julius Kapp, Berlin 1942, 195. Here Egk’s musical language was richly tinged by innuendo, falling back on music which was labeled ‘degenerate’ according to the 1938 doctrine. Egk quoted and parodied the musical entertainment of the 1920s: dances such as the Charleston and Tango,26 the song and ballad style of Kurt Weill,27 and Jazz devices such as the muted trumpet and saxophone licks, an indirect but unmistakable quote from Jacques Offenbach’s Cancan.28 When the troll king first entered with his daughter, Egk had the pair “accompanied by a muted trumpet in a drawn-out singsong, sliding around between a few tones, as if a Rabbi were preparing to sing the liturgy,” 29 a fitting description of singing in Jewish Synagogues in 1933: “the oriental pulling, stretching and sliding of the tones with melismas and the use of falsetto.”30 **** As this collage of forbidden and ‘degenerate’ music fades we are faced with the underlying problem of this opera. For the real question raised by the issue of the troll world is one which has kept research on Werner Egk alive until today. In an autobiography written in his later years, the composer conveniently sought to steer the answer in a particular direction. Who were the trolls meant to represent? Who was meant to be denounced with the help of the highly virtuosic and (judged by the style of the time) satirical music? In principle, critics agree that the music was intended as a denouncement; they don’t, however, agree on the question of who was being denounced. Egk and the well-meaning circles around him have tried to imply that the trolls represented the Nazi rulers and their supporters. In the sharpest of contrasts, the opposing party advocated the opinion that the opera and therefore its composer used the troll scenes to denounce - in complete conformity with the system - so-called ‘racially inferior’ people, specifically the Jews. The starting point is clear: Egk hid behind the mask of ‘degenerate’ music in order to denounce people who, in one of his stage directions, he himself called “frightening embodiments of human inferiority”.31 26 Cf. Walter op. cit., 178; Egk, op. cit., 142-3. Cf. Schneider, op. cit., 16. 28 Englert, op. cit., 212; cf. Toussaint, Ulrike, Studien zu den Opern Werner Egks, Mainz: Are Musik Verlag, 2005, 141-2; Egk, op. cit., 81, 83. 29 Schneider, op. cit., 15. 30 Prieberg, op. cit., 85; cf. Schneider, op. cit., 15; Egk, op. cit., 37-9. 31 “erschreckende Verkörperung menschlicher Minderwertigkeit”, Egk, op. cit., 69. 27 Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ Illustration 4: Werner Egk: “Peer Gynt”. Vocal score, Mainz: Schott, 1966 [1938], 69. According to Egk’s stage directions this group included “a crowd of pushy, pedantic people, dull-witted brutes, sadists and gangsters of all shades. They wear battered clothing, part bourgeois, part old, cast-off official outfits or shreds of uniforms.” Complicating the matter is the question of whether the composer was attacking the system with the very music it rejected, hoping that the system was not paying too close attention, or whether he was simply taking the system’s line to characterize and denounce the people it rejected as degenerates. A costume sketch of the troll king seems to give an iconographic clue as to how the artists working at the Frankfurt Opera House in 1940 interpreted the troll scenes: the troll king bears a yellow star on his jacket. Illustration 5: Werner Egk: “Peer Gynt”, Oper Frankfurt (1940): Der Alte; Production: Herbert Decker, Stage Design: Helmut Jürgens, Costume Design: Charlotte Vocke; in: Englert, U., Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches, Tübingen: A. Francke, 2001, ill. 19. Far from providing answers, however, this fact further obscures the matter; it is all too tempting to jump to conclusions when confronted with the costume sketches in Englert’s book. While the star is yellow, it is five-pointed and hence a pentagram - not a hexagram. Thus, it clearly refers to that occult sign whose magical properties are rooted in popular belief and are supposed to ward off evil. The pentagram is mentioned in Faust, for example. However, it is hard to shake off my first association of that sign with the yellow Star of David used during the Nazi regime to label someone as Jewish. As of November 1939, all Jews in German-occupied Poland had to wear the yellow Star of David; in the German Reich, however, this law was not passed until September 1941. **** Music, as a highly arbitrary system of signs, has the potential to be assigned all sorts of possible meanings and is therefore perfectly suited to be pressed into the service of diverse causes. That this could happen in a single play, indeed within a single Werner Egk’s Peer Gynt in Berlin 1938: Opera and Politics Clemens Risi __________________ scene, is highly unusual, if not unique. Here, the same music has been interpreted as serving two factions that could not be further removed from one another. In Egk’s case, the ideological framework of the National Socialist era gave rise to this peculiar situation. The entanglement of artists and their work in this ideological framework burdened not only the artists and their art, but continuously compels critics and researchers to take sides and strive to find clear and definite answers, allowing them to categorize political stances. Faced with the necessity to take part in this search for reasons, stances, and ideological involvements, it is crucial to avoid drawing premature conclusions which seem to present themselves. Instead, one must remember the existence of multiple histories, especially in such an ephemeral sphere as theatre, where as many different meanings may emerge out of a single performance as there are spectators watching it. Particularly in the case of Peer Gynt, the level of ambiguity makes researchers diligently return to the scene in an effort to find definitive answers. Ambiguity functions as a blank or gap which motivates them to dig deeper in an effort to fill it. It describes a never-ending circle or spiral that revolves around the same coordinates (in Egk’s case anti-Semitism, racism, and National Socialist critique) but will not come to a halt. ____________________________ 32 “eine Versammlung von Strebern, Pedanten, Beschränkten, Rohlingen, Sadisten und Gangsters aller Schattierungen. Sie tragen heruntergekommene menschliche Kleidung, zum Teil Bestandteile bürgerlicher Kleidung, zum Teil veraltete, abgelegte Amtstrachten oder Uniformstücke“, ibid. Bibliography _______________ Benston, A. N., “Ambiguity, Discontinuity and Overlapping in Peer Gynt”, Modern Drama 2, 1984, vol. 27, 157-173. Egk, W., Peer Gynt. Vocal score, Mainz: Schott, 1966 [1938]. —, “Werner Egk über seinen ‘Peer Gynt’”, Programmheft der Berliner Staatsoper zu Peer Gynt, 24 November 1938. —, Die Zeit wartet nicht. Künstlerisches, Zeitgeschichtliches, Privates aus meinem Leben, München: Goldmann, 1981. Englert, U., Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches, Tübingen: A. Francke, 2001. Kater, M. H., “Werner Egk. The Enigmatic Opportunist”, in id., Composers of the Nazi Era, New York & Oxford: Oxford University Press, 2000. (pages missing: 3-30). Prieberg, F. K., Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982. Shaw, G. B., “Bassetto’s uncle and Peer Gynt” (The Star, 16 March 1889), in (ed.? Dan H. Laurence) Shaw’s Music. The complete musical criticism in three volumes, London: The Bodley Head, I, 1981, 576-580. —, “Music for the theatre” (The World, 27 January 1892), in (ed.? Dan H. Laurence) Shaw’s Music. The complete musical criticism in three volumes, London: The Bodley Head, II, 1981, 521-527. Schneider, F., “‘...nach langer Irrfahrt kehrst du dennoch heim...’. Werner Egks Peer Gynt. Ein musikalischer Fall zur Dialektik der Anpassung”, Beiträge zur Musikwissenschaft, 1986, vol. 28, 10-17. Toussaint, U., Studien zu den Opern Werner Egks, Mainz: Are Musik Verlag, 2005. Walter, M., Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919-1945, Stuttgart & Weimar: Metzler, 1995. Illustrations _____________ Illustration 1 Illustration 2 Illustration 3 Illustration 4 Illustration 5 Märchen _____________ Per Gynt In alten Zeiten lebte in Kvam ein Schütze, der hieß Per Gynt. Er lag beständig droben im Gebirge und schoß dort Bären und Elche, denn damals gab es noch mehr Wälder auf dem Fjäll, und in ihnen hielt sich derartiges Getier auf. Einmal, spät im Herbst, nachdem das Vieh schon längst von den Bergweiden herabgetrieben war, wollte Per Gynt wieder einmal hinauf in den Fjäll. Außer drei Sennerinnen hatten schon alle Hirtenleute das Gebirge verlassen. Als Per Gynt die Hövringalm erreichte, wo er in einer Sennhütte übernachten wollte, war es schon so dunkel, daß er die Hand nicht vor sich sehen konnte. Da fingen die Hunde plötzlich zu bellen an, daß es ihm ganz unheimlich zumute wurde. Plötzlich stieß er mit dem Fuß an etwas an, und als er es anfaßte, war es kalt und groß und schlüpfrig, da er aber nicht vom Wege abgekommen zu sein meinte, konnte er sich gar nicht erklären, was das sein könnte; aber geheuer war es ihm nicht. »Wer ist denn das?« fragte Per Gynt, denn er merkte, daß es sich bewegte. »Ei, ich bin der Krumme«, lautete die Antwort. Damit war aber Per so klug wie vorher. Er ging nun daran entlang, »denn einmal muß ich doch daran vorbeikommen«, dachte er. Im Weitergehen stieß er plötzlich wieder an etwas, und als er es anfühlte, war es wieder kalt und groß und schlüpfrig. »Wer ist das?« fragte Per Gynt. »Ich bin der Krumme«, lautete die Antwort wieder. »Ei, ob du gerade oder krumm bist, du mußt mich doch weiterlassen«, sagte Per Gynt, denn er merkte, daß er im Kreise herumging und der Krumme sich um die Sennhütte herumgeschlängelt hatte. Bei diesen Worten schob sich der Krumme ein wenig auf die Seite, so daß Per Gynt an die Sennhütte hingelangen konnte. Als er hineinkam, war es da drinnen nicht heller als draußen; er stolperte und tastete an den Wänden umher, denn er wollte seine Flinte abstellen und seine Jagdtasche ablegen. Aber während er so suchend umhertappte, spürte er wieder das Kalte, Große und Schlüpfrige. »Wer ist das denn jetzt?« rief Per Gynt. »Ach, ich bin der große Krumme«, lautete die Antwort. Und wohin er auch faßte und wohin er den Fuß setzte, überall fühlte er den Ring des Krummen um sich gelegt. »Hier ist nicht gut sein«, dachte Per Gynt, »denn dieser Krumme ist draußen und drinnen, aber ich werde diesen Querkopf bald gerademachen.« Er nahm seine Flinte, ging wieder hinaus und tastete den Krummen entlang, bis er den Kopf fand. »Wer bist du denn eigentlich?« fragte er. »Ach, ich bin der große Krumme von Etnedal«, sagte der große Troll. Da machte Per Gynt kurzen Prozeß und schoß ihm drei Kugeln mitten durch den Kopf. »Schieß noch einmal« rief der Krumme. Aber Per Gynt wußte es besser, denn wenn er noch einmal geschossen hätte, wäre die Kugel auf ihn selbst zurückgeprallt. Als Märchen _____________ dies getan war, faßten Per Gynt und die Hunde fest zu und zogen den großen Troll aus der Hütte heraus, damit sie es sich in der Hütte bequem machen könnten. Währenddessen lachte und höhnte es von allen Bergen ringsum. »Per Gynt zog viel, aber die Hunde zogen mehr!« ertönte es. Am Morgen wollte Per Gynt hinaus auf die Jagd. Als er tief in den Fjäll hineinkam, sah er ein Mädchen, das Schafe und Ziegen über einen Berggipfel trieb. Als er aber den Gipfel erreicht hatte, war das Mädchen fort und die Tiere auch, und Per Gynt sah nichts als ein großes Rudel Bären. »Ich habe doch noch nie Bären in Rudeln beisammen gesehen«, dachte Per Gynt. Als er aber näher kam, waren alle bis auf einen verschwunden. Da klang es von einem Berge in der Nähe: »Nimm in acht den Eber dein, Per Gynt steht draußen mit dem Stutzen sein!« »Ach, dann geht es Per Gynt schlecht, nicht aber meinem Eber, denn er hat sich heute nicht gewaschen«, rief es aus dem Berge. Per Gynt wusch sich die Hände mit seinem eigenen Wasser und schoß den Bären tot. Im Berge erhob sich ein schallendes Gelächter. »Du hättest auf deinen Eber achtgeben sollen«, rief die eine Stimme. »Ich habe nicht daran gedacht, daß ei die Waschschüssel in den Hosen hat«, erwiderte die andere. Per Gynt zog dem Bären die Haut ab und vergrub den Körper im Geröll; aber den Kopf und das Fell nahm er mit. Auf dem Rückweg begegnete er einem Bergfuchs. »Sieh, mein Lämmchen, wie fett du bist!« rief es von einem Hügel her. »Seht nur, wie hoch Per Gynt den Stutzen trägt!« tönte es von einem anderen Hügel, als Per Gynt die Flinte zum Schießen an die Wange legte und den Fuchs erschoß. Er zog auch diesem den Balg ab und nahm ihn mit; und als er in der Sennhütte ankam, nagelte er die Köpfe mit aufgesperrten Rachen außen an die Wand. Darauf machte er Feuer und stellte einen Suppentopf darüber; aber es rauchte so fürchterlich, daß er kaum die Augen offenhalten konnte, und er mußte deshalb eine Luke aufmachen. Plötzlich kam ein Troll herbei und steckte seine Nase durch die Luke herein, aber die Nase war so lang, daß sie bis an den Herd reichte. »Hier kannst du sehen ein Riechehorn«, sagte er. »Hier kannst du schmecken ein Suppenkorn«, sagte Per Gynt und goß ihm den ganzen Topf Suppe über die Nase. Der Troll stürzte davon und jammerte laut; aber ringsum von allen Höhen lachte und spottete und rief es: »Gyri Suppenrüssel, Gyri Suppenrüssel!« Hierauf war eine Weile alles still; doch dauerte es nicht lange, da erhob sich draußen wieder Lärm und Getöse. Per Gynt sah hinaus, und da erblickte er einen mit Bären bespannten Wagen; der große Troll wurde aufgeladen, und dann ging es hinauf in den Fjäll mit ihm. Plötzlich wurde ein Eimer Wasser durch den Schornstein Märchen _____________ herabgegossen und erstickte das Feuer, und Per Gynt saß im Dunkeln. Da begann es in allen Ecken zu lachen und zu spotten, und eine Stimme sagte: »Jetzt wird es Per Gynt nicht besser gehen wie den Sennerinnen in der Val-hütte.« Per Gynt zündete das Feuer wieder an, rief seine Hunde herbei, verschloß die Sennhütte und ging weiter nach Norden bis zur Val-hütte, in der die drei Sennerinnen waren. Als er eine Strecke zurückgelegt hatte, sah er ein Feuer, als wenn die ganze Val-hütte in hellen Flammen stünde, und in demselben Augenblick stieß er auf ein Rudel Wölfe, von denen er einige niederschoß und die anderen erschlug. Als er die Val-hütte erreicht hatte, war es da stockfinster und weit und breit kein Brand zu sehen, aber es waren vier fremde Männer in der Hütte, die es auf die Sennerinnen abgesehen hatten; das waren vier Bergtrolle, die hießen Gust i Väre, Tron Valfjeldet, Kjöstöl Aabakken und Rolf Eld- förpungen. Gust i Väre stand vor der Tür und sollte Wache halten, während die anderen bei den Sennerinnen drinnen waren und zudringlich werden wollten. Per Gynt schoß auf Gust i Väre, verfehlte ihn aber, und da lief er davon. Als dann Per Gynt in die Stube kam, waren die Sennerinnen übel dran; zwei von ihnen waren ganz außer sich vor Schrecken und flehten zu Gott um Hilfe und Rettung, die dritte aber, die man die tolle Kari nannte, hatte keine Angst. Sie sagte, sie sollten nur kommen, sie hätte wirklich Lust, zu sehn, ob solche Kerle auch Schneid hätten. Als aber die Trolle merkten, daß Per Gynt im Zimmer war, fingen sie zu jammern an und sagten zu Eldförpungen, er solle Feuer machen. In demselben Augenblick fielen die Hunde über Kjöstöl Aabakken her und warfen ihn kopfüber auf den Herd, daß Asche und Funken nur so umherstoben. »Hast du meine Schlangen gesehen, Per Gynt?« fragte Tron Valfjeldet - so nannte er die Wölfe. »Ja, und nun sollst du denselben Weg gehen wie deine Schlangen!« rief Per Gynt und erschoß ihn. Dann schlug er Aabakken mit dem Flintenkolben tot; aber Eldförpungen war durch den Schornstein entflohen. Nachdem Per Gynt dies getan hatte, begleitete er die Sennerinnen nach ihrem Dorfe, denn sie trauten sich nicht länger in der Hütte zu bleiben. Als nun die Weihnachtszeit herankam, war Per Gynt wieder unterwegs. Er hatte von einem Hof auf Dovre gehört, wo sich am Christabend so viele Trolle einfanden, daß die Bewohner flüchten und auf anderen Höfen Unterkunft suchen mußten; dieses Gehöft wollte Per Gynt aufsuchen, denn er hatte Lust, diese Trolle zu sehen. Er zog zerrissene Kleider an, nahm einen zahmen Bären, der ihm gehörte, sowie einen Pfriemen, Pech und Draht mit. Als er den Hof erreicht hatte, ging er ins Haus hinein und bat um Obdach. »Gott steh uns bei!» sagte der Mann. »Wir können dir kein Obdach geben, wir müssen selbst den Hof verlassen, denn an jedem Heiligen Abend wimmelt es hier von Trollen.« Aber Per Gynt meinte, er werde das Haus schon von den Trollen säubern. Da hieß man ihn dableiben, und er bekam noch obendrein eine Schweinshaut. Darauf legte Märchen _____________ sich der Bär hinter den Herd, Per holte Pech, Pfriemen und Draht hervor und machte sich daran, aus der ganzen Schweinshaut einen einzigen großen Schuh zu machen. Als Schnürband zog er einen dicken Strick hindurch, so daß er den Schuh rundherum zuschnüren konnte, und überdies hatte er noch zwei Handspeichen bereit. Plötzlich kamen die Trolle auch schon mit Fiedeln und Spielleuten dahergezogen, und die einen tanzten, die andern aßen von dem Weihnachtsessen, das auf dem Tisch stand, einige brieten Speck, andere brieten Frösche und Kröten und ähnliches ekelhaftes Zeug - dieses Weihnachtsessen hatten sie selber mitgebracht. Inzwischen bemerkten einige den von Per Gynt verfertigten Schuh. Da er offenbar für einen großen Fuß bestimmt zu sein schien, wollten die Trolle ihn anprobieren, und als jeder von ihnen einen Fuß hineingestellt hatte, zog Per Gynt den Schuh zu, zwängte eine Speiche hinein und schnürte ihn so stark zu, daß alle miteinander in dem Schuh festsaßen. Aber jetzt streckte der Bär die Nase vor und schnupperte nach dem Braten. »Möchtest du Kuchen haben, mein weißes Kätzchen?« sagte einer der Trolle und warf dem Bären einen noch brennend heißen gebratenen Frosch in den Rachen. »Schlag los, Meister Petz!« rief Per Gynt. Da wurde der Bär so zornig, daß er auf die Trolle losfuhr und nach allen Seiten Hiebe austeilte und sie kratzte. Und Per Gynt schlug mit der anderen Speiche in den Haufen hinein, wie wenn er allen den Schädel einschlagen wollte. Da mußten die Trolle die Flucht ergreifen; Per Gynt aber blieb da und schmauste die ganze Weihnachtszeit über von dem Weihnachtsessen, und nun hörte man viele Jahre lang nichts mehr von den Trollen. Der Bauer aber hatte eine weiße Stute; da gab ihm Per Gynt den Rat, von dieser Stute Füllen aufzuziehen, diese dann in den Bergen herumstreifen und da Junge kriegen zu lassen. Nach vielen Jahren war die Weihnachtszeit wieder einmal vor der Tür. Der Bauer war im Walde und fällte Holz zum Feste. Da kam ein Troll herbei und rief ihm zu: »Hast du deine große weiße Katze noch?« »Ja, sie liegt daheim hinter dem Ofen«, sagte der Mann, »und sie hat sieben Junge bekommen, die noch viel größer und böser sind als sie selbst.« »Dann kommen wir nie mehr zu dir!« rief der Troll. Die Trollhochzeit Es war einmal in einem Sommer vor langer, langer Zeit, da zogen die Leute von Melbustad mit der Herde zur Alm. Aber sie waren noch nicht lange oben, da fingen die Tiere an so unruhig zu werden, daß es rein unmöglich war, sie in Ordnung zu halten. Zwar probierten viele Mädchen sie zu hüten, aber es wurde nicht besser, bis eine kam, die versprochen war, und der Versprach war kürzlich gefeiert worden. Da wurden sie auf einmal ruhig und waren ganz leicht zu hüten. Das Mädchen blieb allein oben, und hatte kein anderes Wesen bei sich als einen Hund. Als sie nun eines Nachmittags in der Hütte saß, da schien es ihr, als ob ihr Schatz käme und sich Märchen _____________ neben sie setzte und davon anfing, daß sie jetzt Hochzeit machen wollten. Aber sie blieb ganz still sitzen und gab keine Antwort; denn er kam ihr so wunderlich vor. Nach und nach kamen mehr und immer mehr Leute herein, und die begannen die Tische mit Silberzeug zu decken und Speisen aufzutragen, und die Brautjungfern brachten die Krone und den Schmuck und ein schönes Brautkleid, und das zogen sie ihr an, und die Krone setzten sie ihr auf, wie es damals Brauch war, und Ringe steckten sie ihr an die Finger. Es schien ihr auch, als ob sie alle die Leute kennte, die da waren; da waren die Frauen vom Dorf und die Mädchen, die mit ihr im gleichen Alter waren. Aber der Hund hatte wohl gemerkt, daß da etwas nicht geheuer war. Er rannte in langen Sätzen hinunter nach Melbustad und heulte und bellte ganz erbärmlich und ließ den Leuten keine Ruhe, bis man ihm folgte. Der Bursche, der ihr Liebster war, nahm seine Flinte und stieg hinauf auf die Alm; aber als er in die Nähe kam, da stand ringsherum eine Menge gesattelter Pferde. Er schlich sich an die Hütte und schaute durch einen Spalt in die Tür und sah, wie sie alle drin beisammensaßen. Es war ganz klar, daß das Trolle und Unterirdische waren, und deshalb feuerte er seine Büchse über das Dach ab. In dem Augenblick flog die Tür auf, und ein graues Garnknäuel, größer als das andere, schoß heraus und schnurrte ihm um die Beine. Als er hineinkam, da saß sie im vollen Brautstaat, und es fehlte nur noch ein Ring am kleinen Finger, so wäre sie fertig gewesen. »Aber um Himmels willen, was ist hier denn los?« fragte er, als er sich umsah. Alles Silberzeug stand noch auf dem Tisch, aber all die schönen Speisen waren zu Moos und Pilzen und Kuhmist und Kröten und Fröschen und derlei geworden. »Was bedeutet denn das alles?« sagte er. »Du sitzt ja da im Staat wie eine Braut?« »Wie kannst du nur fragen?« sagte das Mädchen. »Du hast ja selbst hier gesessen und von der Hochzeit gesprochen den ganzen Nachmittag!« »Nein, ich bin ja eben erst gekommen«, sagte er, »das muß wohl einer gewesen sein, der meine Gestalt angenommen hat.« Da kam sie auch allmählich wieder zu sich selbst, aber erst nach langer Zeit kam sie wieder ganz zu Verstand, und sie erzählte, daß sie steif und fest geglaubt habe, er selbst und die ganze Verwandtschaft und Bekanntschaft sei dagewesen. Er nahm sie gleich mit in das Dorf, und damit sie kein solches Teufelszeug mehr zu fürchten hätte, hielten sie Hochzeit, während sie noch den Brautstaat der Unterirdischen anhatte. Die Krone und der ganze Schmuck wurde in Melbustad aufgehängt und soll heutigentags noch dort hängen. Vor langen, lang en Jahren wohnten einmal zwei alte wohlhabende Leute auf einem Hof oben in Hadeland. Die hatten einen Sohn, der war Dragoner und ein großer hübscher Kerl. Im Gebirg hatten sie eine Alm, und die war nicht wie die meisten Sennhütten, sondern schön und solid gebaut und hatte sogar einen Schornstein und ein Dach und Fenster. Da oben wurde den ganzen Sommer gehaust, aber wenn sie im Herbst heimgezogen waren, so merkten die Holzhauer und Jäger und Fischer und Märchen _____________ wer sonst um diese Zeit im Wald zu tun hatte, daß das Bergvolk da sein Wesen trieb mit seiner Herde. Und bei denen war ein Mädchen, die war so wunderschön, wie sie niemals etwas Ähnliches gesehen hatten. Davon hatte der Sohn oft gehört, und in einem Herbst, als sie von der Alm schon zu Hause waren, da zog er seine volle Uniform an, sattelte sein Dienstpferd, steckte seine Pistolen in die Satteltasche, und so ritt er hinauf. Als er gegen die Alm zu kam, da brannte in der Sennhütte ein solches Feuer, daß es über alle Wege hinleuchtete, und da merkte er wohl, daß die Bergleute darin waren. Da band er sein Pferd an eine Tanne, nahm eine Pistole aus der Satteltasche und schlich an die Hütte heran und schaute durchs Fenster; darin saßen ein alter Mann und eine Frau, die waren ganz krumm und zusammengeschrumpft vor Alter und so unerhört häßlich, wie er nie etwas in seinem Leben gesehen hatte; aber es war auch ein Mädchen dabei, die war so wunderschön, daß er sich stracks in sie verliebte und meinte, er könne nicht leben ohne sie. Alle hatten Kuhschwänze und das schöne Mädchen auch. Er konnte sehen, daß sie eben erst gekommen waren, denn es war noch alles in Unordnung. Das Mädchen war dabei, den häßlichen Alten zu waschen, und die Frau machte Feuer unter dem großen Käsekessel am Herd. In dem Augenblick stieß der Dragoner die Tür auf und schoß gerade über den Kopf des Mädchens seine Pistole ab, so daß sie zu Boden taumelte. Aber da wurde sie auf einmal so häßlich, wie sie zuvor schön gewesen war, und eine Nase bekam sie, so lang wie ein Pistolenfutteral. »Jetzt kannst du sie nehmen, jetzt gehört sie dir«, sagte der alte Mann. Aber der Dragoner war wie festgewachsen; wo er stand, da stand er und konnte keinen Schritt tun, weder vor- noch rückwärts. Da fing der Alte an, das Mädchen zu waschen; und da wurde sie ein bißchen ansehnlicher: die Nase war nur noch halb so groß, und der häßliche Kuhschwanz wurde hinaufgebunden, aber schön war sie nicht, das hätte nur ein Lügner behaupten können. »Nun gehört sie dir, mein stolzer Dragoner, setz sie nun vor dich aufs Pferd und reite in die Stadt und halte Hochzeit mit ihr. Aber für uns kannst du in der kleinen Kammer im Backhaus decken, denn wir wollen nicht mit der übrigen Hochzeitsgesellschaft zusammen sein«, sagte das alte Scheusal, ihr Vater; »aber wenn der Teller umgeht, kannst du auch bei uns vorsprechen.« Er wagte nichts anderes zu tun und nahm sie mit vor sich auf das Pferd und richtete die Hochzeit her. Aber bevor sie zur Kirche gingen, bat die Braut eine von den Brautjungfern, sie möchte sich gut hinter sie stellen, damit niemand sehen könnte, wie ihr Schwanz abfiele, wenn der Priester ihre Hände zusammenlegte. Also wurde die Hochzeit gefeiert, und als der Teller umging, ging der Hochzeiter hinaus in die Kammer, wo für die alten Leute vom Berg gedeckt war. Diesmal sah er dort nichts, aber als die Hochzeitsgäste gegangen waren, lag so viel Gold und Silber da und ein solcher Haufen Geld, wie er noch nie beisammen gesehen hatte. Märchen _____________ Nun ging es lange Zeit schön und gut; jedesmal, wenn Gäste da waren, deckte die Frau für die alten Leute draußen in der Kammer, und jedesmal lag so viel Geld da, daß sie bald nicht mehr wußten, was sie damit anfangen sollten. Aber häßlich war sie und häßlich blieb sie, und er war ihrer herzlich überdrüssig. So konnte es nicht ausbleiben, daß er zuweilen böse war und ihr mit Schlägen und Püffen drohte. Einmal wollte er in die Stadt; und da es Herbst und schon gefroren war, so sollte das Pferd erst beschlagen werden. Also ging er in die Schmiede — denn er war selbst ein tüchtiger Schmied -, aber wie er es auch anstellte, so war das Hufeisen entweder zu groß oder zu klein und wollte durchaus nicht passen. Er hatte kein anderes Pferd zu Hause und mühte sich ab bis zum Mittag und bis in den Nachmittag hinein. »Wirst du denn niemals mit dem Beschlagen zu Streich kommen?« sagte die Frau. »Du bist schon kein sonderlich guter Mann, aber du bist noch ein viel schlechterer Schmied. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als daß ich selbst in die Schmiede gehe und das Pferd beschlage; dieses Eisen ist zu groß, das müßtest du kleiner machen, und dieses hier ist zu klein, das müßtest du größer machen.« Sie ging in die Schmiede, und das erste, was sie tat, daß sie das Hufeisen in beide Hände nahm und geradebog. »Da schau her«, sagte sie, »so mußt du es machen.« Damit bog sie es wieder zusammen, als ob es aus Blei wäre. »Jetzt halte das Bein her«, sagte sie, und das Hufeisen paßte so aufs Haar, daß der beste Schmied es nicht besser hätte machen können. »Du hast ja ganz gehörige Kräfte in den Fingern!« sagte der Mann und schaute sie an. »Meinst du?« gab sie zur Antwort. »Wie glaubst du denn, daß es mir gegangen wäre, wenn du solche Kräfte hättest? Aber ich hab dich viel zu lieb, als daß ich meine Kräfte gegen dich brauchen sollte«, sagte sie. Und von diesem Tag an war er der beste Ehemann. Ikarus _____________ Der Ikarus vom Lautertal Gustav Messmer und eine schwäbische Dorfgeschichte von Patricia Noll In dem 600-Seelen-Dorf Buttenhausen auf der schwäbischen Alb zaubert er so manch Einheimischen heute noch ein Lächeln ins Gesicht. Mit seinen Flugfahrrädern, die nach einem Sturz wieder eingesammelt wurden - Gustav Mesmer. Korbmacher, Künstler, Flugradbauer. Im Dorf hatte er es beileibe nicht immer leicht, wurde über 35 Jahre zu Unrecht in der Psychiatrie eingesperrt, landete im Altenheim, versuchte von dort aus seinen Traum vom Fliegen wahr zu machen - immer wieder. Und schaffte es schließlich mit seinem Werk bis zur Weltausstellung nach Sevilla. Eine späte Genugtuung in seinem Albdorf. Gustav Messmer, geboren im oberschwäbischen Altshausen 1903, dem Jahr, als den Gebrüdern Wright der erste Motorflug gelingt. Fast sechzig Jahre später, in seiner Autobiografie, "einer unbekannten Person", beschreibt er seine Ankunft poetisch: "Drei Jahre, 16 Tage waren vorüber, als die Brücke, die Schwelle ins 19. Jahrhundert überschritten gefeiert war, der Sylvester 1899, als ich, in wachlosem Geheimnis mehr, von Vater – Mutter und fünf Geschwister die Ankunft aus dem Mutterleibe mit voller Hoffnung, die große Familienbescherung erwartet war." Nur wenige glückliche Jahre sollten in den nächsten sechzig vor ihm liegen. Durch eine Krankheit verliert er den Anschluss in der Schule, der Erste Weltkrieg macht einen Schulabschluss undenkbar. "Wo die Schule versagt, geht das ganze Leben einen Nebenweg", schreibt Mesmer später. Nach einer Zeit in der Landwirtschaft entschließt sich Mesmer zum Eintritt ins Benediktinerkloster Beuron. Schon dort erfährt er sechs Jahre einen "religiösen Überschwang", alle "Himmelsherrlichkeit" zerfällt nach und nach, er kommt mit dem Klosterleben nicht zurecht und tritt aus. In Zweifeln. Aus Bruder Alexander wird wieder Gustav Mesmer. Der 17. März 1929 sollte das Leben des eigenbrötlerischen jungen Mannes für immer verändern. Holger Reile beschreibt diesen Schicksalstag in seinem Hörspiel "Gustav Mesmer - Ikarus vom Lautertal genannt": "An jenem Sonntag ging er zur evangelischen Pfarrkirche und störte die gerade stattfindende Konfirmationsfeier. In der vollbesetzten Kirche soll er mehrmals laut erklärt haben, dass hier nicht das Blut Christi ausgeteilt werde und sowieso alles Schwindel sei." Ikarus _____________ Man entsorgt den Sonderling. Mit der schnellen Diagnose "paranoide Schizophrenie" landet er in der geschlossenen Psychiatrie, in Bad Schussenried. 35 Jahre wird der gesunde junge Mann hinter dicken Mauern und Tag für Tag im Anstaltsgarten verbringen. Franz Xaver Ott liest aus der Biografie: "Innere Wehmut, das Abgeschlossensein. Ja merkte das Gott und kein Mensch mehr? Die Zeitspanne verschlummerte jede Hoffnung. Der Anstaltsgarten war von einer hohen Mauer umgeben, kein Blick ins Volkstreiben wäre möglich gewesen. Hohe eng gepflanzte Bäume füllten die Anlage wie ein Buchenwald. Die Patienten taumelten ganz nach ihrem Vermögen umher. Ich setzte mich meist in die Nischen oder auf den Sockel der Mauer und scheuchte meine Langeweile und das Leid durch kleine Beschäftigungen, Kiesel sortierend oder baute etwas mit Ästen und Grashalmen zusammen." Mesmer fängt an Flugfahrräder zu konstruieren, unermüdlich. Der Traum vom Fliegen - bei Gustav Mesmer ist er aus der Not geboren, anders kann er seinem Gefängnis nicht entkommen. Von den Ärzten erntet er nur Spott und Hohn. Doch der Traum Mesmers ist kein Wahn, der intelligente Mann kennt inzwischen moderne Flugzeuge. Aber darum geht es ihm nicht. Ein kleiner Flugverkehr schwebt ihm vor, von Dorf zu Dorf, nur mit Muskelkraft. Freiheit. Die findet er nach 35 Jahren das erste Mal im Dorf Buttenhausen, auf der schwäbischen Alb. 61 Jahre alt, kommt er dort 1964 in das diakonische Altenheim, erhält eine eigene kleine Werkstatt hinter dem Giftlager der Landwirtschaft. Freiheit und Anerkennung findet er, dafür herrschen hier gute Voraussetzungen. Die Kultur-Geschichte Buttenhausens kennt viele Außenseiter und prägt das etwas andere Alb-Dorf bis heute. "7. Juli 1787. Phillip Friedrich Freiherr von Liebenstein erlässt einen "Judenschutzbrief" und siedelt 25 jüdische Familien an. Für sie wird Buttenhausen biblische Verheißung: "Geh´Du aus Deinem Land, aus deinem Geschlecht, aus dem Haus Deines Vaters in das Land, das ich Dir zeigen werde." Eine reichsritterliche, freie Insel mitten in Württemberg. Schutz. Der ist nötig. In anderen Gemeinden sind sie nicht willkommen, die württembergische Ständeversammlung beschloss: "Alle sesshaften Juden auszuschaffen." Buttenhausen geht das nichts an." 1788 lebten in Buttenhausen 200 Christen und 14 Juden. Bald schon stellten sie mehr als die Hälfte der Dorfbevölkerung. Buttenhausen blühte auf, die Dorfherren und christlichen Nachbarn profitierten vom florierenden Handel, die Toleranz wuchs in diesem kulturellen Biotop. Man glich sich an. Das ehemals reichsfreie Buttenhausen blieb dadurch auch nach der Angliederung an das Herzogtum Württemberg: "anders". Eine Zigarrenfabrik, neueste Pariser Mode, später eine stattliche Realschule für beide Konfessionen, neue Pädagogik-Ansätze und ein Ikarus _____________ gemeinsamer Kindergarten - und das in einem 600 Seelen Dorf – das gab es sonst nirgends auf der Alb. 146 Jahre währte der Schutzbrief. Bis 1933." Gustav Mesmers Geschichte ist auch eine Geschichte der Einsamkeit. Seine Familie hatte die ganzen Jahre seine erflehte Entlassung aus der Psychiatrie abgelehnt. Niemand wollte mehr etwas von ihm wissen. Das ist kein Einzelschicksal. Auch viele der heutigen Bewohner des Landheims in Buttenhausen haben kaum Kontakt zur Außenwelt. Die weißen, schroffen Kalkfelsen im engen Taleinschnitt sind nur die sichtbaren Grenzen. "Das normale Leben betrifft dich nicht mehr", formulierte Mesmer. Dass das so wenig wie möglich passiert, dafür arbeitet Thomas Niethammer, seit gut zwei Jahren ist er der Leiter im Landheim Buttenhausen, Gustav Mesmer kannte er nicht mehr persönlich. Aber auch für ihn strahlt er noch heute Mut und Hoffnung aus. " "Sein Ziel war sicher net "I ben an Künstler", sondern sein Ziel war, Antworten fürs Leben zu finden. Und es wird ja berichtet, dass er mal gefragt wurde ob er mal geflogen sei? Dann sagt er "Ja, mal mit dem Hubschrauber, aber des war net des wirkliche Fliaga". Das finde ich sehr bemerkenswert, dass es ihm nicht ums wirklich fliegen ging, sondern eine Vision zu haben"." Die nahm bei Mesmer sehr klare Formen an - und hatte im Aufbau auf ein altes Damenfahrrad eine Spannweite von bis zu 10 Metern. Jeden Sonntag war der hagere, schmächtige Mann mit den blitzenden Augen und dem verschmitzten Lachen die Attraktion im Lautertal und steuerte seine schweren Flugobjekte ins Tal. Rudolf Schustereder, der heutige Ortsvorsteher, sah ihn einmal fliegen: " "In´d Lauter nei amol!" Für Schustereder, damals noch ein Kind, und die anderen gehörte Mesmer "irgendwie" dazu, an Kunst dachte niemand: "´S war immer luschtig, wenn er denn da runter gfahra isch, s´war immer sehenswert, also damals war´s mehr zur Volksbelustigung." Auch ein anderer kleiner Junge aus dem Nachbarort beobachtete Mesmers akrobatische Flugversuche, immer und immer wieder: "Als Kind hat mich das sehr fasziniert. Ich bin auch gerne mit seinen Flugfahrrädern gefahren, das durfte man dann nach einer gewissen Zeit, wenn man sein Vertrauen hatte."." Ikarus _____________ Heute, ist Stefan Hartmeier erwachsen, Fotodesigner, Inhaber einer Kommunikationsagentur und Vorstand der Gustav-Mesmer Stiftung. Mittendrin im Kunst- und Ausstellungsgeschäft organisieren er und seine Kollegen in den achtziger Jahren die ersten Ausstellungen. Recklinghausen, Ulm, Wien, Mannheim, Lausanne. Die Bleistiftzeichnungen und Aquarelle werden in Büchern über naive Kunst abgedruckt, Fernsehsender und Printmedien wie "stern" und "Die Zeit" widmen sich dem "knitzen" Älbler. Buttenhausen hat einen neuen berühmten Sohn. Aber er ist nicht der erste. Auch Theodor Rotschild wird in Buttenhausen geboren. Mit seinen Dorfgeschichten von der rauen Alb setzt der Schulmeister seiner Heimat ein Denkmal. in denen das Lautertal lebendig wird: ""Die Winter waren lang und schneereich in unsrem Tale. Eisige Kälte hielt lange Zeit an und schlug alles Leben in der Natur in Fesseln. Wir nützten die Zeit so gut als möglich. Jede schulfreie Stunde konnte man uns auf unseren einfachen Schlitten an den zahlreichen Bergabhängen sehen. Mit Blitzesschnelle fuhren wir talwärts. Das war ein Leben! Wir hätten mit keinem König tauschen mögen." Theodor Rothschild tauschte mit dem Leben eines Lehrers. 40 Jahre lang führte er das jüdische Waisenhaus in Esslingen. 1938 verbrennen SA Männer seine gesamte Bibliothek und misshandeln ihn schwer. Theodor Rothschild bleibt – bei seinen Kindern. 1942 wird er ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Was bleibt ist, neben dem Schrecken, das "Heimweh nach den Himmelsgärten meiner Kindheit". Theodor Rothschild stirbt am 10. Juli 1944 an Unterernährung und Lungenentzündung. Die Spuren des Holocaust: in Buttenhausen fehlte plötzlich über die Hälfte der Dorfbevölkerung. In den leerstehenden Häusern und dem Schloss Liebenstein entsteht ein Arbeitslager und eine Verwahranstalt der Hauptstadt Stuttgart. Trinker, sogenannte "gefallene Mädchen" und "Halbe Kräfte", wie die etwas zurückgebliebenen Insassen genannt werden, stellen jetzt das neue "Gegengewicht". Der Weg zur vielgepriesenen Toleranz war weit. Walter Ott damals Landwirt im Landheim und Gründer der jüdischen Geschichtssammlung, erinnert sich: "I bin a Fremder gwesa, ma hot Distanz ghalta, und wenn i in Wirtschaft bin, des war gfährlich, des war net so oifach"." Man hat sich in kleinen Schritten aneinander "rangeschafft", auch diesmal schweißt der kommerzielle Nutzen die dörfliche Notgemeinschaft zusammen. Das Landheim Buttenhausen wurde schnell der größte Arbeitgeber in der ganzen Gegend, und man Ikarus _____________ beißt selten die Hand, die gibt. Die Bewohner des Landheims, die heute gut die Hälfte der 600 Buttenhäuser Einwohner stellen, sind inzwischen akzeptiert, sogar im Kirchenrat vertreten und waren auch schon bei der Ortschaftsratswahl aufgestellt aber wurden nicht gewählt. Der heutige Ortsvorsteher versteht seine Gemeinde als "bunt" und fasst für den praktischen Gebrauch zusammen: " "Die sind net schlechter und net besser, die sind halt anders." Und "Die Anderen" kommen in Buttenhausen nicht nur aus dem Landheim. Ein buntes Künstlervolk scheint ebenfalls vom Geist Mesmers angezogen, oder ist es Zufall? Die Schwäbische Alb ist das "Alaska Deutschlands" und damit ein beliebter Platz für Aussteiger und Kreative, die sich noch ein Stück Freiheit sichern wollen - in dörflicher Enge. Wolfgang Stockburger machte seine ersten Gehversuche im ländlichen Raum als Zivildienstleistender im Landheim, lernte Gustav Mesmer kennen und schätzen und blieb. Der Töpfermeister mit eigener Werkstatt in der alten Schule am Ortsausgang von Buttenhausen hat seinen eigenen Traum. "Klar, wenn man als Künstler selbständig wird, geht das nicht ohne Traum. Und man hat izn nicht aufgegeben obwohl er immer härter wird jetzt. Der Überlebenskampf wird härter." Noch härter ist buchstäblich das Geschäft eines Künstlerkollegen auf der gegenüberliegenden Talseite, "Über dem Jordan", wie die ehemalige Judensiedlung jenseits der Lauter heute noch heißt. Dort, hoch oben wie ein Adlerhorst, hat der Steinbildhauer Franz Ludescher ein Künstlerhaus nach eigenem Entwurf gebaut. Achteckig, im Oktogon, rundherum verglast, mit Ausblick auf Wacholderheiden, mittendrin eine verglaste Domkuppel, die den Blick frei gibt auf die Wolken. Ludescher baute, biologisch, und - wie Mesmer - alles von Hand mit Holz Lehm und Glas und gegen etliche Widerstände. Auch das Warum verbindet ihn mit Gustav Mesmer. "I hab an Traum g´habt vomma runda Haus, des hab i in dr Bildhauerei g´habt, i bau au Steinkreise und deshalb musste das dort entstehen." Es ist wohl kein Zufall: Vor seinem Haus, steht eine seiner großen Skulpturen. Weißer Marmor. Ein Adler. Der Traum vom Fliegen wohnt noch in Buttenhausen. Und eine Schlüsselfigur der jungen deutschen Demokratie hat hier ihre Wurzeln: 1875 wird Matthias Erzberger in Buttenhausen geboren. Sein Vater ist Schneider und Postbote und Katholik, ärmliche Verhältnisse und seine Jugend in der liberalen Ikarus _____________ christlich-jüdischen Landgemeinde prägen ihn. Vor Arbeitern, Handwerkern und Bauern hält er hunderte von Vorträgen und hilft Ihnen sich in Vereinen zusammen zu schließen. In Mainz ist er Mitbegründer der christlichen Gewerkschaft. 1903 wird Erzberger als Vertreter des katholischen Zentrums in den Reichstag gewählt. 1918 leitet Erzberger jene Delegation, die in einem Eisenbahnwagen im Wald von Compiègne die Waffenstillstandserklärung unterzeichnet. Das ist das Ende des ersten Weltkriegs – und der Anfang der antirepublikanischen Hetze gegen Matthias Erzberger. "Unerträglich, undurchführbar, aber nicht unannehmbar" - mit diesen Worten befürwortet Erzberger 1919 den Versailler Friedensvertrag. Danach wird er Reichsfinanzminister und ordnet das Steuer- und Finanzwesen neu, schafft Strukturen, die bis heute Bestand haben. Erzberger war ein engagierter Streiter für die Demokratie und war bei den Gegnern der Weimarer Republik verhasst, 1921 sieht er seinen Tod voraus: "Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen". Am 26.August wird Matthias Erzberger bei einem Attentat im Schwarzwald erschossen." Nicht nur die deutsche Nachkriegsgeschichte, auch Buttenhausen hatte diesen berühmten Sohn lange vergessen. Erst seit 2004 erinnert ein Museum in seinem Geburtshaus an ihn. Auch Gustav Mesmer soll so einen festen Platz finden; die Pläne dazu sind fertig, müssen nur heraus aus der Schublade, dann soll der alte Kuhstall des Landheims Museum, Restaurant, Hofladen und Kunsttherapiezentrum in einem werden. Alles wird Stefan Hartmeier nicht zeigen können, über 100 Flugfahrräder hat er momentan auf einem Dachboden des Altenheims archiviert, dazu Musikinstrumente wie die Doppelhalsgeige, die Trompetengitarre und andere praktische Kuriositäten. "Eine Reihe von Sprungschuhen, die beim Abspringen und Landen sehr wichtig waren, die sind hier mit Federn ausgestattet, und diese Federn spannen sich ein, wenn man landet. Und man hat somit eine weichere Landung." Mit einfachstem, gebrauchtem Material konstruierte der Erfinder komplizierte Mechanismen - fernab jeder TÜV-Abnahme. Scharfe Ecken und Kanten aus dünnem Blech, verrostete Nägel, spitzer Draht. Es müssen immer viele Schutzengel mit Gustav Mesmer geflogen sein. Ernsthafte Verletzungen gab es nie, aber als er schon über 90 war, musste ihm der rechte Daumen amputiert werden. Blutvergiftung - sehr wahrscheinlich durch einen der rostigen Nägel. Seine Welt wird dadurch wieder kleiner, eine Welt, die er sich selbst geschaffen hatte. Heimleiter Thomas Niethammer betrachtet das als seine wahre Kunst: "Ihm ist es gelungen, sich einen Spielraum zu verschaffen, das können die wenigsten Ikarus _____________ Menschen, insbesondere psychisch kranke Menschen. Sie fühlen sich in die Ecke gedrängt. Und da wird der Spielraum, den man persönlich hat, immer kleiner." Gustav Mesmer konnte das aus eigenem Antrieb, den anderen hilft dabei in Buttenhausen die Kunsttherapeutin und Psychologin Sarah Boger. Und auf eine Diskussion, ob das nun Kunst sei oder nicht, lässt sich die kleine, quirlige Frau gar nicht erst ein. Denn wenn Sie von der Kunsttherapie redet, dann sowieso immer nur von den Künstlern und Künstlerinnen: "Ja, das mach ich bewusst, weil die Leute die malen sind ja nicht Patienten die malen, weil sie Patienten sind, sondern die malen ja, weil sie was ausdrücken wollen. Und deshalb finde ich den Ausdruck Künstler und Künstlerinnen berechtigt." (...) *) Kurz nachdem er nicht mehr schaffen, arbeiten, malen und schreiben konnte, ist Gustav Mesmer im Alter von 92 Jahren gestorben. "Kannst Du einmal fliegen, steig auf einen Hügel, steige in die Höhe Ach, wär dies für Dich so schön, so frei sein wie die Vögel, auch den letzten Raum der Erde zu passieren bei Sonnenschein wie blühender Natur Wenn ich schaukle durch die Lüfte, welch herrliches Gefühl, Unser Menschheitstraum ist nun erfüllet, es gibt jetzt nur noch Auferstehn. Der Luftraum ist noch frei für Dich, Erfinde Dir schnell ein paar Flügel. Frei sollen sie Dich heben, Du sollst durch die Lüfte schweben, Ach, wär das Dein Glück. "