Gedichte und Prosatexte PDF - Forum Gesundheit und Medizin
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Gedichte und Prosatexte PDF - Forum Gesundheit und Medizin
DESHALB LEBEN WIR Vom Sinn des Lebens und vom Glück, ein Mensch zu sein Freitag, 18. März 2016 Kunsthaus Zürich, Auditorium / Grosser Vortragssaal Deshalb leben wir – Vom Glück, ein Mensch zu sein Lesung von Gedichten und Prosatexten im Wechsel mit Musik Textzusammenstellung und Lesung: Jacqueline Sonego Mettner Musik: Philip Urner, Oboe; Christiane Werffeli, Klavier ___________________________________________________________________________ ÜBERSICHT Musik I Rose Ausländer, Du freust dich Mascha Kaléko, Sozusagen grundlos vergnügt Hilde Domin, Bitte Musik II Elfriede Gerstl, Wer ist denn schon Dagmar Nick, Hybris Hermann Hesse, Manchmal Joseph von Eichendorff, Wünschelrute Musik III Wolf Erlbruch, Die grosse Frage Musik IV Hilde Domin, Mindestutopie Kurt Marti, ganz werden Hilde Domin, Postulat (Teil 3 des Gedichts „Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“) Kurt Marti, Lobpreis Musik V Friedericke Mayröcker, Was brauchst du? Mercedes Sosa, Gracias a la vida, in deutscher Übersetzung Rose Ausländer, Nicht fertig werden Rose Ausländer, Mai Musik VI Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 1 TEXTE Du freust dich Akazienbäume in Blüte Amseln Schmetterlinge liedersingende Kinder Du freust dich über den Duft der Narzissen hörst den Atem des Lebens in deinem Atem. Rose Ausländer Sozusagen grundlos vergnügt Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit. Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, Wenn Heckenrosen und Holunder blühen. - Dass Amseln flöten und dass Immen summen. Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen. Dass rote Luftballons ins Blaue steigen. Dass Spatzen schwatzen, Und dass Fische schweigen. Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht Und dass die Sonne täglich neu aufgeht. Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter, Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter, Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn. Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn! Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem, dass ich bin. In mir ist alles aufgeräumt und heiter: Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt. An solchen Tagen erklettert man die Leiter, Die von der Erde in den Himmel führt. Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben, - Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben. Mascha Kaléko Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 2 Bitte Wir werden eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut. Der Wunsch nach der Landschaft diesseits der Tränengrenze taugt nicht, der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht. Es taugt die Bitte, dass bei Sonnenaufgang die Taube den Zweig vom Ölbaum bringe. Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei, dass noch die Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden. Und dass wir aus der Flut, dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem / zu uns selbst / entlassen werden. Hilde Domin Musik II Wer ist denn schon Wer ist denn schon bei sich wer ist denn schon zu hause wer ist denn schon zu hause bei sich wer ist denn schon zu hause wenn er bei sich ist wer ist denn schon bei sich wenn er zu hause ist wer ist denn schon bei sich wenn er zu haus bei sich ist wer denn Elfriede Gerstl Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 3 Hybris Wir sind nicht mehr die gleichen. Uns ätzte das Leben leer. Es gibt keine mystischen Zeichen, es gibt kein Geheimnis mehr. Wir treiben durch luftlose Räume erloschenen Angesichts. Die Nächte verweigern uns Träume, die Sterne sagen uns nichts. Wir haben den Himmel zertrümmert. Das Weltall umklammert uns kalt. Der Tod lässt uns unbekümmert. Wir haben Gewalt. Dagmar Nick Manchmal Manchmal scheint uns alles falsch und traurig, Wenn wir schwach und müd in Schmerzen liegen, Jede Regung will zur Trauer werden, Jede Freude hat gebrochne Flügel, Und wir lauschen sehnlich in die Weiten Ob von dorther neue Freude käme. Aber keine Freude kommt, kein Schicksal Je von aussen uns. Ins eigene Wesen Müssen wir, vorsichtige Gärtner, lauschen, Bis von dort mit Blumenangesichtern Neue Freuden wachsen, neue Kräfte. Hermann Hesse Wünschelrute „Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.“ Josef von Eichendorff Musik III Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 4 Wolf Erlbruch, Die grosse Frage (Ein Buch für Kinder und Erwachsene mit ganz verschiedenen Antworten auf die grosse Frage: Wozu bin ich da? / Warum bin ich da?) zum Beispiel: sagt der Blinde: um zu vertrauen bist du da Musik IV Mindestutopie Nicht im Stich lassen, sich nicht und andere nicht, das ist die Mindestutopie, ohne die es sich nicht lohnt, Mensch zu sein. Hilde Domin ganz werden elend wer rafft halb nur wer hortet ganz erst wer teilt Kurt Marti, in: gottgerneklein, gedichte, radius-verlag, Stuttgart 1995 Postulat Ich will einen Streifen Papier / so gross wie ich / ein Meter sechzig darauf ein Gedicht das schreit / sowie einer vorübergeht schreit in schwarzen Buchstaben das etwas Unmögliches verlangt Zivilcourage zum Beispiel / diesen Mut den kein Tier hat Mit-Schmerz zum Beispiel / Solidarität statt Herde Fremd-Worte / heimisch zu machen im Tun Mensch / Tier das Zivilcourage hat / Mensch / Tier das den Mit-Schmerz kennt Tier / das Gedichte schreibt / Gedicht / das Unmögliches verlangt von jedem der vorbeigeht / dringend / unabweisbar / als rufe es "Trink Coca-Cola" Hilde Domin Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 5 lobpreis der ohne ende: er beendet! der nie begann: er schafft beginn! der nicht bedeutet: er schenkt bedeutung! der ohne notwendigkeit: er wendet not! Kurt Marti Musik V Was brauchst du was brauchst du? einen Baum ein Haus zu ermessen wie gross wie klein das Leben als Mensch wie gross wie klein wenn du aufblickst zur Krone dich verlierst in grüner üppiger Schönheit wie gross wie klein bedenkst du wie kurz dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus keines für dich allein nur einen Winkel im Dach zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund die Gestirne das Gras die Blume den Himmel Friederike Mayröcker GRACIAS A LA VIDA (Mercedes Sosa) SONGTEXT ÜBERSETZUNG Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Es gab mir zwei Sterne* die, wenn ich sie öffne, Mich perfekt Schwarz von Weiß unterscheiden lassen Und am hohen Firmament die Sterne erkennen lassen Und in der Menge den Mann, den ich liebe Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Es gab mir das Gehör, durch dessen Bandbreite mir Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 6 Nachts der Gesang der Grillen und tags der der Kanarienvögel eingeht Hämmer, Turbinen, Hundegebell und Wolkenbrüche Und die zärtliche Stimme meines Liebsten Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Es schenkte mir den Klang und das Alphabet, Mit dem ich Worte denken und äußern kann, wie Mutter, Freund, Bruder Und das Licht, das den Pfad der Seele dessen erleuchtet, Den ich liebe. Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Es gab mir den Gang meiner müden Füße Mit denen ich Städte und Pfützen durchschritt Strände und Wüsten, Gebirge und Ebenen Und dein Haus, deine Straße und deinen Hof Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Es gab mir das Herz, das mir höher schlägt, Wenn ich die Früchte des menschlichen Gehirns betrachte, Wenn ich das Gute sehe, so weit weg vom Schlechten, Wenn ich auf den Grund deiner klaren Augen sehe Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Es gab mir das Lachen und es gab mir das Weinen So kann ich das Glück vom Leid unterscheiden Die beiden Stoffe, die mein Lied formen Und euer Gesang ist der gleiche Gesang Wie der Gesang aller mein eigener Gesang ist. Danke an das Leben, das mir so viel geschenkt hat. Mercedes Sosa Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 7 Nicht fertig werden Die Herzschläge nicht zählen Delphine tanzen lassen Länder aufstöbern Aus Worten Welten rufen horchen was Bach zu sagen hat Tolstoi bewundern sich freuen trauern höher leben tiefer leben noch und noch Nicht fertig werden Rose Ausländer Mai Mit Maiglöckchen läutet das junge Jahr seinen Duft Der Flieder erwacht aus Liebe zur Sonne Bäume erfinden wieder ihr Laub und führen Gespräche Wolken umarmen die Erde mit silbernem Wasser da wächst alles besser Schön ist's im Heu zu träumen dem Glück der Vögel zu lauschen Es ist Zeit sich zu freuen an atmenden Farben zu trauen dem blühenden Wunder Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 8 Ja es ist Zeit sich zu öffnen allen ein Freund zu sein das Leben zu rühmen. Rose Ausländer (1901-1988) Musik VI Forum Gesundheit und Medizin PF 425, CH − 8706 Meilen ZH, +41 44 980 32 21 9