Die Altanschließerproblematik im Land Brandenburg Ulf RISKA
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Die Altanschließerproblematik im Land Brandenburg Ulf RISKA
RECHT & GESETZ Wasserrecht Ulf RISKA Die Altanschließerproblematik im Land Brandenburg Änderungen des KAG Brandenburg sollten Rechtssicherheit bei der Beitragsveranlagung von „Altanschließern“ schaffen. Eine Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 hat überrascht. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Foto: fotolia/Kuegi D ie Kommunalabgabengesetze der Länder räumen den Aufgabenträgern der Wasserver- und Abwasserentsorgung die Möglichkeit ein, Beiträge, d. h. einmalige Geldleistungen, für einen gebotenen wirtschaftlichen Vorteil zu erheben. Gegenstand der Beitragserhebung sind Investitionen in die öffentlichen Trinkwasserver- und Abwasserentsorgungsanlagen, insbesondere Kläranlagen, Pumpstationen und Kanäle bzw. Wasserwerke, Druckerhöhungsstationen und Trinkwasserleitungen. Rechtsgrundlage für die Erhebung dieser öffentlichen Abgaben sind Satzungen nach dem Kommunalabgabengesetz (KAG), welches auch eine Wahlmöglichkeit zwischen beitrags- und/oder gebührenfinanzierten Modellen zur Investitionsrefinanzierung vorsieht. Auslöser der dargestellten Rechtsentwicklung sind die so genannten Altanschließer und deren beitragsrechtliche Veranlagung. Unter Altanschließern werden die zum Zeit- 26 Bild 1 punkt der deutschen Wiedervereinigung am 3. 10. 1990 an die Anlagen der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung angeschlossenen Grundstücke in den neuen Bundesländern verstanden. Allerdings hat der brandenburgische Gesetzgeber in § 18 KAG Bbg. auch klargestellt, dass mit den Beiträgen keine Investitionen vor 1990, d. h. u. a. in DDR-Anlagen refinanziert werden sollen. Die Rechtsentwicklung bis zum Jahr 2012 Bereits im Jahr 2000 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg in seiner Entscheidung vom 8. 6. 2000 /1/ festgestellt, dass sich eine Beitragssatzung Rückwirkung auf den Zeitpunkt bemessen lassen muss, zu dem die erste veröffentlichte Beitragssatzung in Kraft treten sollte. Auf die Wirksamkeit der Satzung sollte es danach nicht ankommen. Ausschlaggebend war einzig der Wille des satzungsgebenden Organs. Als Folge dieser obergerichtlichen Ent- scheidung war es den Aufgabenträgern nicht mehr möglich, Beiträge von den Altanschließern zu erheben, da diese zwischenzeitlich vor dem Hintergrund der 4-jährigen Festsetzungsverjährungsfrist nach § 12 (1) Nr. 4 KAG Bbg. i.V.m. § 169 ff der Abgabenordnung verjährt waren. Der brandenburgische Gesetzgeber änderte daraufhin mit der Fassung vom 17. 12. 2003 /2/ das KAG und stellte im neuen § 8 Absatz 7 Satz 2 KAG Bbg. klar, dass für den Beginn der Festsetzungsfrist das Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung maßgeblich ist. So sollte es den Aufgabenträgern ermöglicht werden, Beiträge erheben zu können, ohne dass dem Verjährungsprobleme entgegenstehen, wenn bisher keine wirksame Satzung vorlag. Mit seinen Entscheidungen vom 12. 12. 2007 /3/ hielt das Oberverwaltungsgericht Berlin/ Brandenburg an seiner Rechtsprechung klarstellend fest, dass Beiträge, so denn eine wirksame Satzung zum Zeitpunkt der KAG Änderung von 2003 nicht vorlag, auch noch nicht verjährt sind. Dies hätte aber auch zur Folge gehabt, dass die Aufgabenträger innerhalb eines Jahres bis zum Ablauf des Jahres 2008 alle offenen Beitragsfälle satzungsgemäß hätten veranlagen müssen. Dies betrifft Alt- und Neuanschließer, bei denen Verjährung droht, gleichermaßen – eine angesichts des zeitlichen und sachlichen Aufwandes schier unlösbare Aufgabe. Der brandenburgische Gesetzgeber reagierte mit einer erneuten KAG Änderung vom 2. 10. 2008 /4/, nach der eine Verjährung der Beitragsforderungen gemäß § 12 (3a) KAG Bbg. nicht vor dem 31. 12. 2011 eintritt, eine wirksame Satzung vorausgesetzt. Nach einer Abfrage bei den Aufgabenträgern im Jahr 2009 stehen den bisher erhobenen Beiträgen bei der Abwasserentsorgung über 1.100 Mio. € ein von Altanschließern noch erhebbares Beitragsaufkommen von geschätzten 320 Mio. € gegenüber. Bei der Wasserversorgung beträgt das erhebbare Beitragsaufkommen 100 Mio. € /5/. Diese möglichen Einnahmen sollten per Gesetz gesichert und damit Einnahmeausfälle vermieden werden. Letztlich investierten die über 80 brandenburgischen Aufgabenträger ab 1990 kreditfinanziert erheblich in die Modernisierung der Wasserwirtschaft, um die strengen bundes- und europarechtlichen Anforderungen an die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung umzusetzen und haben einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Infrastruktur geleistet. Diese Investitionen können abzüglich der Fördermittel u. a. auch über Beiträge refinanziert werden. Heute hat das Land Brandenburg die in der EU-Kommunalabwasserrichtlinie vorgegebenen Anforderungen – insbesondere was die fristgemäße Er richtung von Kanalisationen und 6/2013 Wasserrecht die Ausstattung von Kläranlagen betrifft – im Wesentlichen umgesetzt. Das Land und die Europäische Kommission haben diese Arbeit zwischen 1991 und 2010 laut „Lagebericht 2011 zur Kommunalen Abwasserbeseitigung“ im Land Brandenburg finanziell mit rund 1,003 Mrd. Euro gefördert. in das Gesetz zu implementieren, innerhalb derer Verjährung eintritt. Dem bayrischen Gesetzgeber wurde bis zum 1. 4. 2014 Zeit gegeben, die Gesetzeslage dieser Rechtsauffassung anzupassen. Die Entscheidung des BVerfG Wenn dieser Beitrag originär die Rechtslage in Brandenburg zum Gegenstand hat, betreffen die Rechtsfolgen der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung alle Bundesländer gleichermaßen. Festzustellen ist zunächst, dass das KAG Bbg. in vollem Umfang weiterhin Gültigkeit hat, ebenso die auf dem KAG beruhenden Beitragssatzungen. Die besagte zeitliche Obergrenze ist in das Gesetz aufzunehmen. Interessant ist jedoch in Brandenburg, dass sowohl seitens des OVG Berlin/Brandenburg als auch des Landesverfassungsgerichtes Brandenburg /7/ die Änderungen des KAG zur Verjährungsproblematik keinen verfassungsrechtlichen Bedenken vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes begegnete. Umso mehr überraschte die zitierte Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht. Der politische Druck seitens der betroffenen Beitragspflichtigen ist enorm. Insbesondere der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) und der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) wehrt sich im Interesse seiner Mitglieder vehement gegen die Beitragsveranlagung der Altanschließer. Auf bringen sollen die Beiträge private Grund stückseigentümer, Wohnungsbaugesellschaften, Gewerbetreibende und Industr ieunter nehmen sowie auch die Kommunen. Landesweit sind etwa 100.000 Beitragspflichtige betroffen. Für die Wohnungsunternehmen beispielsweise bedeuten die Beitragszahlungen erhebliche Liquiditäts- und Finanzierungsprobleme, da die Anschlussbeiträge nicht auf deren Mieter umgelegt werden können. In seinem Beschluss vom 5. 3. 2013 /6/ hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) umfassend mit Fragen der Verjährung von öffentlich-rechtlichen Beitragsforderungen befasst. Dem lag ein Rechtsstreit aus Bayern zu Grunde. Für den Fall der Ungültigkeit einer Satzung ist im bayrischen KAG geregelt, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist. Konsequenz ist demnach, dass mangels rechtswirksamer Satzung auch Jahre oder gar Jahrzehnte nach der Anschlussmöglichkeit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt. Eine zeitliche Grenze besteht nach der Gesetzeslage in Bayern nicht. Das BVerfG hatte ausgeführt, dass die Schaffung eines angemessenen Ausgleiches zwischen den Interessen der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen zur Refinanzierung öffentlicher Einrichtungen einerseits und dem Interesse des Beitragspflichtigen andererseits, darüber Kenntnis zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu Beiträgen herangezogen wird, Sinn und Zweck der Verjährungsregelungen ist. Wenn allerdings auf unbestimmte Zeit Beitragspflichten entstehen können, wird diesem Gesetzesanliegen nicht mehr entsprochen. Offen gelassen hat das BVerfG jedoch, wie lang die Frist zwischen der Entstehung des wirtschaftlichen Vorteils und der Geltendmachung auf der Grundlage einer wirksamen Satzung sein darf. Dem entschiedenen Sachverhalt lag ein Zeitraum von 12 Jahren zu Grunde. Verfassungsrechtlich sei es daher geboten eine zeitliche Obergrenze 6/2013 Rechtsfolgen für das Land Brandenburg Die bisherigen KAG Novellierungen und die Beitragserhebungen der Aufgabenträger haben daher zu einer Welle des Protestes in Brandenburg geführt. Dieser drückt sich insbesondere in einer hohen Zahl von Widersprüchen gegen die erlassenen Beitragsbescheide aus. So liegt die Widerspruchsquote z. T. weit über 50 %. In der Folge ist eine Klageflut bei den Verwaltungsgerichten mit einer langen Prozessdauer zu erwarten. Wirtschaftspolitisch wird aus mehreren politischen Richtungen die Veranlagung der Altanschließer als Investitionshemmnis gesehen, während demgegenüber eine quasi „Enteignung“ der Zweckverbände und sonstigen Aufgabenträger für den Fall des Ausschlusses der Veranlagung strikt abgelehnt wird. Lösungsansätze zur Änderung des KAG Das Innenministerium Brandenburg hat in der Sitzung des Innenausschusses am 11. 4. 2013 das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ausgewertet. Fraktionsübergreifend wurde darüber Einigkeit erzielt, schnellstmöglich Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger aber auch für die Gemeinden und Zweckverbände zu schaffen. Dazu soll das KAG ergänzt werden. Auszugehen ist von dem klaren Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes an den Landesgesetzgeber. Dieser soll sicherstellen, dass der Abgabenschuldner aufgrund gesetzlicher Regelungen Klarheit hat, wann er mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen hat und damit der Vorteilsausgleich nicht unbegrenzt nach Eintritt der Vorteilslage erfolgen kann. Dabei ist das Interesse des einzelnen Abgabeschuldners an Klarheit über seine Inanspruchnahme zu berücksichtigen. Andererseits sind die Interessen des kommunalen Aufgabenträgers und anderer Abgabenschuldner an der Abgabenerhebung zu beachten. wwt-online.de 27 RECHT & GESETZ Wasserrecht Ca. 1 Mrd. Euro wurden nach 1990 in die Modernisierung der Abwasserinfrastruktur im Land Brandenburg investiert Nach dem nunmehrigen Vorschlag der Landesregierung Brandenburg soll die zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich regelmäßig 15 Jahre betragen und mit dem Ende des Jahres beginnen, in dem die Vorteilslage eintritt. Unter Berücksichtigung der Sondersituation im Land Brandenburg nach der deutschen Einheit sollte der Fristablauf jedoch 10 Jahre – also bis zum 3. Oktober 2010 – gehemmt sein. Zudem sollte der Gesetzgeber in § 12 (4) KAG Bbg. klarstellen, dass bei der erstmaligen Herstellung von Trink- und Abwasseranlagen die Festsetzungsfrist spätestens mit Beendigung der Maßnahme zu laufen beginnt. Mit der Verjährungsfrist von 15 Jahren orientiert sich die brandenburgische Landesregierung an der gesetzlichen Verjährungshöchstfrist aus dem Zivilrecht. Die 10-jährige Hemmung wird mit den erst zu schaffenden Strukturen der Aufgabenträger in den neuen Bundesländern ab 1990 begründet. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Landtag Brandenburg voraussichtlich noch vor der Sommerpause hierzu positioniert und die unterschiedlichen politischen Forderungen, u. a. auch auf Zulassung von allerdings im Abgabenrecht problematischen Musterverfahren, in eine den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechende Gesetzesfassung bringt. Zudem dürfte auch eine Verjährungsfrist von 15 Jahren viele Aufgabenträger in zeitliche Bedrängnis bringen. Eine Umfrage des Ministeriums des Innern bei den Kommunalaufsichtsbehörden im November 2012 hat ergeben, dass von den insgesamt 97 Aufgabenträgern, die den Investitionsaufwand 28 für ihre zentrale Abwasseranlage mindestens teilweise über Beiträge refinanzieren, 43 Aufgabenträgern die Beitragserhebung zu einem nicht unerheblichen Teil noch nicht abgeschlossen hatten; für weitere 8 Aufgabenträgern kann dies ebenfalls zutreffen. Von den insgesamt 43 Aufgabenträgern, die den Investitionsaufwand für ihre zentrale Trinkwasseranlage mindestens teilweise über Beiträge refinanzieren, hatten 19 Aufgabenträger die Beitragserhebung zu einem nicht unerheblichen Teil noch nicht abgeschlossen; für weitere 5 Aufgabenträger kann dies ebenfalls zutreffen /8/. Quo vadis? Die Frage nach den Auswirkungen, wenn eine KAG Änderung entsprechend dem Vorschlag der Landesregierung Brandenburg nicht beschlossen wird, lässt sich nur spekulativ beantworten. Zum einen dürften noch ausstehende Beitragserhebungen von Altanschließern vor dem Hintergrund des bereits in den frühen 1990er Jahren geschaffenen Vorteils unmöglich werden. Nicht unerwähnt bleiben darf aber auch der Umstand, dass ebenso Grundstücke, die erst nach dem 3. 10. 1990, mithin in den 90er Jahren angeschlossen wurden, ebenso den Konsequenzen des BVerfG-Urteils unterfallen. Sollte verfassungsrechtlich eine Veranlagung der vorgenannten Beitragspflichtigen nicht mehr möglich sein, gebietet der Gleichbehandlungsgrundsatz in logischer Konsequenz differenzierte Gebühren, da eine Gruppe von Gebührenzahlern Beiträge geleistet hat, eine andere nicht. Eben diese Gleichbehandlung von Alt- und Neuanschlie- Bild 2 ßern hat das OVG Berlin/Brandenburg gefordert /4/. LINK ZUM URTEIL: www.bundesverfassungsgericht.de L I T E R AT U R /1/ OVG Berlin/Brandenburg, 2 D 29.98 vom 8. 6. 2000 /2/ Änderung Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg vom 17. 12. 2003, Artikel 5. In: GVBl.I/03, Nr. 16, S. 294, 295 /3/ OVG Berlin/Brandenburg, 9 B 44.06 und 9 B 45.06 vom 12. 12. 2007 /4/ Änderung Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg vom 02. 10. 2008, Artikel 1. In: GVBl.I/08, Nr. 13, S. 218 /5/ LT Information 4/148 /6/ Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2457/08, Beschluss vom 5. 3. 2013 /7/ Landesverfassungsgericht, VfGBbg 46/11, Beschluss vom 21. 9. 2012 /8/ Gesetzentwurf der Landesregierung Brandenburg vom 8. 5. 2013 K O N TA K T Wasserverband Lausitz Betriebsführungs GmbH Ass.jur. Ulf Riska Steindamm 51/53 | 01868 Senftenberg E-Mail: [email protected] www.wal-betrieb.de Der Autor ist zugleich Vorsitzender des Arbeitskreises Landeswasserrecht Berlin/Brandenburg des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., Berlin. 6/2013