Teilhabe gestalten – Engagement fördern - Friedrich-Ebert

Transcrição

Teilhabe gestalten – Engagement fördern - Friedrich-Ebert
Teilhabe gestalten –
Engagement fördern
Publikation zur Veranstaltungsreihe
„Wege zu einem stärkeren
gesellschaftlichen Zusammenhalt“
P ROJ
ROJEK
EKT
Forum Berlin
GESELLSCHAFTLICHE
F T L I C H E INTEGRATION
I MPR E S S U M
Herausgegeben
von der Friedrich-Ebert-Stiftung
Franziska Richter, Forum Berlin
© 2008 by Friedrich-Ebert-Stiftung
Forum Berlin
Hiroshimastr. 17
10785 Berlin
Text: Dr. Angela Borgwardt
Redaktion:
Franziska Richter
Dr. Angela Borgwardt
Titelfotos:
dpa Picture Alliance
Heike Wächter
Fotografien von
1. Fachtagung: Joachim Liebe
2. Fachtagung: Peter Himsel
3. Fachtagung: Marc-Steffen Unger
4. Fachtagung: Michael Herrmann
5. Fachtagung: Robert Máté
Layout: Pellens Kommunikationsdesign, Bonn
Druck: Wagemann Medien GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-89892-946-2
Teilhabe gestalten –
Engagement fördern
Publikation zur Veranstaltungsreihe
„Wege zu einem stärkeren
gesellschaftlichen Zusammenhalt“
Projekt „Gesellschaftliche Integration“
Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin
4
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Inhalt
Vorwort
Franziska Richter
1
Politische und zivilgesellschaftliche Teilhabe
8
10
Engagement und Partizipation
Dr. Angela Borgwardt
10
„Agieren statt resignieren!
Wege zu stärkerem Engagement in unserer Gesellschaft“
14
Wir entscheiden – Demokratie ist mehr als wählen gehen
Dr. Harald Klimenta
14
Armut – soziale Ausgrenzung – Partizipation:
Politische Teilhabe aus dem gesellschaftlichen „Abseits“?
Dr. Dietrich Engels
18
Wie kann politisches und zivilgesellschaftliches Engagement
gefördert werden?
Podiumsdiskussion
mit
Dr. Dietrich Engels
Eric Feise
Elke Ferner, MdB
Burgunde Grosse
Susanne Huth
29
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
2
5
Teilhabe am Arbeitsmarkt
43
Wandel der Arbeitswelt und Arbeitsmarktreformen
Dr. Angela Borgwardt
43
„Arbeiten um zu leben – leben um zu arbeiten?
Instrumente und Modelle von Arbeit und Beschäftigung“
50
Welche neuen Instrumente und Modelle werden eingesetzt,
um die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu fördern?
Podiumsdiskussion
50
mit
Gabi van Dyk
Sylvia Kühnel
Dr. Rolf Schmachtenberg
PD Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
„Aufschwung in Deutschland – für alle?
Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik“
71
Zwei Jahre nach der Arbeitsmarktreform: Bilanz und politische
Handlungsfelder für Ost- und Westdeutschland
Andrea Wicklein, MdB
71
Die Vermittlungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt und das Zusammenspiel
der Akteure: Schwierigkeiten, Chancen und Visionen
Podiumsdiskussion
mit
Rudolf Anzinger
Achim Battenberg
Cordula Hartrampf-Hirschberg
Reiner Rabe
Andrea Wicklein, MdB
80
6
3
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Ökonomische Teilhabe
99
Materielle Mitarbeiterbeteiligung
Dr. Angela Borgwardt
99
„Die (Wieder)Entdeckung der Mitarbeiterbeteiligung.
Kapitalbeteiligung und Belegschaftsaktie – Wege zu stärkerer
ökonomischer Teilhabe?“
108
Mitarbeiterbeteiligung – gesellschaftspolitische Notwendigkeiten
und rechtlicher Handlungsbedarf
Prof. Dr. Karl-Georg Loritz
108
Wie kann ökonomische Teilhabe durch Kapitalbeteiligung
gestärkt werden?
Podiumsdiskussion
mit
Joachim Elsholz
Michael Lezius
Prof. Dr. Karl-Georg Loritz
Ludwig Stiegler, MdB
120
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
4
7
Gesellschaftliche Teilhabe
146
Zukunftskonzepte in der Diskussion –
das bedingungslose Grundeinkommen
Dr. Angela Borgwardt
146
„Sozial und gerecht?!
Bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgergeld und
Grundsicherung in der Debatte“
151
Für eine bedarfsorientierte Grundsicherung
Rolf Stöckel, MdB
151
Grundeinkommen und Gerechtigkeit –
Ein Plädoyer für mehr soziale Demokratie
Prof. Dr. Michael Opielka
155
Zugang zum Erwerbsleben und soziale Gerechtigkeit –
statt Stilllegungsprämien für Arbeitslose
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
168
Welches Modell fördert gesellschaftliche Teilhabe am besten?
Podiumsdiskussion
172
mit
Ralph Boes
Elke Ferner, MdB
Prof. Dr. Michael Opielka
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
Prof. Dr. Emmerich Talos
5
Personenverzeichnis
194
8
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Vorwort
Franziska Richter
Referentin des Projekts
„Gesellschaftliche Integration“
Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin
Im Rahmen des Projektes „Gesellschaftliche Integration“ befasst sich das Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung
mit den zentralen Herausforderungen,
vor die uns die gegenwärtigen Umbrüche in unserer Gesellschaft stellen,
wie beispielsweise die Auswirkungen
demografischer Entwicklung und zunehmender Migration, aber auch die
Folgen des Wandels der Arbeitswelt für
Individuum und Gesellschaft. Besonders fokussiert werden die neuen Spannungsfelder sozialer Ungleichheit, die
zu gravierenden Konflikten führen können und die Gefahr einer dauerhaft
„gespaltenen Gesellschaft“ bergen. Im
Mittelpunkt des Projekts steht daher
die Frage, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden kann und
welche Reformimpulse und Handlungsperspektiven dazu erforderlich sind.
Der Begriff der „Teilhabe“ steht
dabei im Zentrum unserer Arbeit. Gesellschaftliche Integration ist nur dann
zu erreichen, wenn möglichst alle Bürgerinnen und Bürger Teilhabe an Bildung und Ausbildung, an Arbeit und
Beschäftigung, an den Systemen sozialer
Sicherung und an sozialen Netzwerken
haben. Teilhabe beinhaltet auch politische Partizipation: die aktive Beteiligung durch politisches und bürgerschaftliches Engagement. Jeder Bürger
und jede Bürgerin sollten seinen bzw.
ihren Beitrag zur gesellschaftlichen
Integration leisten und leisten können.
Dem Staat kommt dabei die Aufgabe
zu, durch Gestaltung entsprechender
Rahmenbedingungen Chancen zur
Teilhabe für alle zu gewährleisten und
etwaige Zugangsbarrieren abzubauen.
Welche Handlungsstrategien gegen
soziale Ausgrenzung und Armut wirksam sein können, um für alle Bürgerinnen und Bürger politische, ökonomische
und gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen, ist gesellschaftspolitisch von
großer Bedeutung. Dies hat nicht zuletzt
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der 3. Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung von 2008 deutlich
gemacht.
Ein wesentliches Ziel des Projekts
„Gesellschaftliche Integration“ besteht
darin, Wege zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzuzeigen: Welche Reformimpulse und Handlungskonzepte führen Deutschland in
eine soziale, demokratische und nachhaltige Zukunft? In Konferenzen, Tagungen, Dialogforen und Fachgesprächen diskutieren Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und aus der Praxis diese Fragestellung und entwerfen Konzepte und
Lösungsansätze für eine stärkere soziale
Gerechtigkeit.
Die vorliegende Publikation will
der gegenwärtigen Debatte um mehr
Chancengerechtigkeit, Teilhabe und
Verwirklichungschancen neue Impulse
geben und sie nachhaltig anregen. So
sind in der Broschüre die Ergebnisse
von fünf Fachtagungen zusammengefasst, die 2007 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Wege zu einem stärkeren
gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu
folgenden gesellschaftspolitisch brisanten Themen durchgeführt wurden:
• Integration durch Partizipation
„Agieren statt resignieren! Wege zu
stärkerem Engagement in unserer
Gesellschaft“ (30. März 2007)
• Integration durch Arbeit
„Arbeiten um zu leben – leben um
zu arbeiten? Instrumente und Mo-
9
delle von Arbeit und Beschäftigung“
(21. März 2007)
„Aufschwung in Deutschland – für
alle? Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik“ (26. Juni 2007)
• Integration durch Beteiligung
Die (Wieder)Entdeckung der Mitarbeiterbeteiligung. Kapitalbeteiligung und Belegschaftsaktie – Wege
zu stärkerer ökonomischer Teilhabe?“ (10. Mai 2007)
• Integration und Gesellschaft
„Sozial und gerecht?! Grundeinkommen, Bürgergeld und Grundsicherung in der Debatte“ (10. Oktober 2007)
Neben der Dokumentation der Vorträge
und Diskussionsverläufe der jeweiligen
Fachtagungen wird am Beginn jedes
Kapitels der übergreifende Kontext des
Themas skizziert. Dabei werden auch
wichtige Fragen und Argumentationslinien der öffentlichen Debatte vorgestellt.
Unser herzlicher Dank geht an alle
Beteiligten dieses Projektes, die mit
ihren fundierten Beiträgen und ihrem
großen Engagement zum Gelingen der
Fachtagungen und dieser Broschüre
beigetragen haben. Auch allen Gästen
sei gedankt, die sich in die Diskussionen eingebracht und mit ihren Fragen
und Anregungen den offenen und
kreativ-konstruktiven Dialog bereichert
haben, dem sich das Forum Berlin der
Friedrich-Ebert-Stiftung in seiner Arbeit
verpflichtet fühlt.
10
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
1
Politische und zivilgesellschaftliche Teilhabe
Engagement und Partizipation
Dr. Angela Borgwardt, Politologin
Politische Beteiligung und bürgerschaftliches Engagement1 sind Aus-
• die Übernahme öffentlicher Funktionen oder Ämter.
druck der Partizipation der Bürgerin-
Auch zunächst „politikfern“ erschei-
nen und Bürger – und somit ihrer
nende Beteiligungsformen prägen das
Mitwirkung und Teilhabe am politi-
öffentliche Leben und sind grundle-
schen, sozialen und kulturellen Leben.
gendes Element der sozialen Verfasst-
Erst aktive Partizipation legitimiert eine
heit einer Gesellschaft:
Demokratie und erfüllt sie mit gesell-
• informelles soziales und kulturelles
schaftlichem Leben.
Neben der Beteiligung an Wahlen –
als formalisierte und punktuelle Form
der politischen Mitwirkung – bietet eine
funktionierende Demokratie zahlreiche
aktivere Möglichkeiten der Partizipa-
Engagement, z.B. in der Krankenpflege oder in Kultureinrichtungen,
• Mitwirkung in Vereinen, Verbänden
und Kirchen,
• Mitarbeit in Nachbarschaftsinitiativen und Selbsthilfegruppen.
tion, vor allem
Die Partizipation der Bevölkerung
• langfristiges Engagement in poli-
stärkt den sozialen Zusammenhalt einer
tischen Organisationen, z.B. in Par-
Gesellschaft. Mangelnde Partizipation
teien, Gewerkschaften, NGOs,
hingegen führt zu fehlenden Einfluss-
• kurzfristige Beteiligung an Bürger-
und Gestaltungsmöglichkeiten der Bür-
initiativen, Projekten und politischen
gerinnen und Bürger, sie verringert ihre
Aktionen (z.B. Demonstrationen,
soziale Zugehörigkeit und erzeugt Aus-
Unterschriftensammlungen),
grenzungs- und Ohnmachtsgefühle.
1 „Bürgergesellschaftliches Engagement“ bezeichnet das politische, soziale und kulturelle Engagement
von Bürgerinnen und Bürgern, die sich in einer Demokratie selbst organisieren, zwischen Staat, Markt
und Privatsphäre im öffentlichen Raum agieren und für gemeinsame Ziele eintreten. Ihre Tätigkeiten
sind freiwillig bzw. ehrenamtlich und durch eine Verantwortung für das Gemeinwohl gekennzeichnet.
Vgl. dazu den Bericht der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“,
Bundestags-Drucksache 14/8900, Berlin 2002.
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11
Insofern kann das Ausmaß der Partizi-
tiven, zeitlich befristete Projekte und
pation von Einzelnen oder gesellschaft-
Aktionen.3 Insbesondere die jüngere
lichen Gruppen als Gradmesser ihrer
Generation bevorzugt spontane, flexib-
sozialen Integration bzw. Ausgrenzung
le und informelle Formen der politi-
gelten. Die Möglichkeiten, politisch zu
schen Partizipation, die zeitlich und
partizipieren und am gesellschaftlichen
thematisch begrenztes Engagement er-
Leben teilzuhaben, sind vielfältig ab-
möglichen.4
gestuft, kein Entweder-oder von „Inklusion“ und „Exklusion.“2
Das bürgerschaftliche, freiwillige
und ehrenamtliche Engagement5 ist
In den letzten beiden Jahrzehnten
in den letzten Jahren tendenziell ge-
hat sich in Deutschland das politische
stiegen. Ein Drittel der Bürgerinnen und
Engagement der Bürgerinnen und Bür-
Bürger engagiert sich längerfristig frei-
ger verändert: Das in Umfragen bekun-
willig, im Sinne einer regelmäßig prak-
dete politische Interesse und die Wahl-
tizierten Tätigkeit, ein weiteres Drittel
beteiligung ist gesunken, die Mitwir-
beteiligt sich sporadisch, ohne kontinu-
kung in „klassischen“ etablierten In-
ierlich Aufgaben zu übernehmen. Ins-
teressenorganisationen und Verbänden
gesamt sind etwa 70 Prozent der Bevöl-
deutlich zurückgegangen; besonders
kerung (ab 14 Jahre) im weiteren Sinne
stark zeigt sich diese Tendenz im „Mit-
„gemeinschaftsaktiv“, d.h. in Vereinen,
gliederschwund“ der Gewerkschaften
Organisationen und anderen Gruppen
und
Parteien.
des öffentlichen Lebens engagiert. Der
Gleichzeitig haben nicht institutiona-
mit Abstand größte Sektor freiwilligen
lisierte Formen des politischen Engage-
Engagements ist „Sport und Bewegung“,
ments zugenommen, wie Bürgerinitia-
gefolgt von „Schule und Kindergarten“,
großen
politischen
2 Darauf verweist z. B. Martin Kronauer: Inklusion – Exklusion: ein Klärungsversuch. Vortrag auf dem
10. Forum Weiterbildung des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, Bonn, 8.10.2007. Im Internet unter: www.die-bonn.de/doks/kronauer0701.pdf.
3 Vgl. Statistisches Bundesamt (Hg.) in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung (WZB) und dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen, Mannheim (ZUMA):
Datenreport 2006. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2006.
4 Vgl. Shell-Jugendstudien 2002 und 2006.
5 Basierend auf der Definition der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“:
Bürgerschaftliches Engagement ist freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn gerichtet, gemeinwohlorientiert, findet im öffentlichen Raum statt und wird in der Regel gemeinschaftlich bzw. kooperativ ausgeübt. Die Bürgerinnen und Bürger übernehmen freiwillig bzw. ehrenamtlich Aufgaben, Ämter und
Arbeiten und damit gesellschaftliche Verantwortung für das Gemeinwesen und öffentliche Belange.
12
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an dritter Stelle stehen „Kirche und
Religion“ und „Kultur und Musik“.
6
und nicht Erwerbstätige. Die Bedeutung der Bildung für die Wahrneh-
Sowohl bei der politischen Beteili-
mung von Partizipationschancen
gung wie beim bürgerschaftlichen En-
wird in Zukunft vermutlich weiter
gagement haben sich die Formen der
steigen.
Partizipation verlagert: weg von etab-
• Das bürgerschaftliche Engagement
lierten traditionellen Großorganisatio-
steigt mit der sozialen Einbindung
nen hin zu kleinen, befristeten Orga-
einer Person, mit der Stärke der Kir-
nisations- und Aktionsformen.
chenbindung und mit einer sozialen
Hinsichtlich der politischen und
gesellschaftlichen Partizipation zeigen
7
und öffentlich engagierten Werthaltung.
sich soziale Unterschiede:
Eine besonders geringe Partizipation ist
• Einkommensarme Bevölkerungsgrup-
bei Bevölkerungsgruppen mit niedri-
pen engagieren sich deutlich weniger
gem Einkommen, geringer Bildung, bei
als einkommensstarke – das betrifft
Menschen mit Migrationshintergrund
die politische Beteiligung wie auch
und längerfristig Arbeitslosen festzu-
das freiwillige Engagement. Im un-
stellen. Migrantinnen und Migranten
tersten Einkommensbereich ist das
sind im öffentlichen Leben der Auf-
Engagement am schwächsten ausge-
nahmegesellschaft unterrepräsentiert,
prägt.
haben aber ausgeprägte Bindungen
• Personen mit höheren Bildungsab-
innerhalb interner sozialer Netze, z.B.
schlüssen sind häufiger politisch und
in Migrantenvereinen und -communi-
gesellschaftlich engagiert: Beamte,
ties.
höhere Angestellte und Selbstständige
Die dauerhaft geringe Partizipation
weisen höhere Engagementquoten
gesellschaftlicher Gruppen kann zu
auf als Arbeiter, einfache Angestellte
sozialen Ausgrenzungsprozessen führen
6 Die Ergebnisse beziehen sich auf den Freiwilligensurvey, der die umfassendste quantitative Untersuchung
zum bürgerschaftlichen, freiwilligen Engagement in Deutschland darstellt. Die repräsentativen Umfragen
werden vom Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest Sozialforschung seit 1999 im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt (inzwischen zwei Befragungswellen 1999 und 2004). Vgl. Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004.
Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement, München
2005.
7 Vgl. Bundesregierung (Hg.): Lebenslagen in Deutschland. Der Zweite Armuts- und Reichtumsbericht,
Berlin 2005, S. 187ff.
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und birgt somit die Gefahr einer „ge8
13
tionen schwindet und Legitimations-
spaltenen Gesellschaft“ . Eine solche
verluste des politischen Systems ent-
Entwicklung könnte schwerwiegende
stehen.
Folgen haben, da Partizipation, gesell-
In der öffentlichen Debatte steht
schaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe
deshalb die Frage im Mittelpunkt, wie
die sozialen Grundlagen einer demo-
die politischen und gesellschaftlichen
kratischen Gesellschaft darstellen. Es
Partizipationsangebote verbessert wer-
besteht die Gefahr, dass sich gering
den können: Was kann getan werden,
beteiligte Bevölkerungsgruppen vom
um allen Bürgerinnen und Bürgern die
Staat und der bestehenden Gesell-
gleichen Möglichkeiten für selbst orga-
schaftsordnung abkehren, das Vertrau-
nisierte Mitgestaltung, politische und
en in politische Akteure und Institu-
gesellschaftliche Teilhabe zu eröffnen?
8 Vgl. Norbert Brömme/Hermann Strasser: Gespaltene Bürgergesellschaft? Die ungleichen Folgen des
Strukturwandels von Engagement und Partizipation. Aus Politik und Zeitgeschichte B25-26/2001,
S. 6–14.
14
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„Agieren statt resignieren!
Wege zu stärkerem Engagement in unserer Gesellschaft“
Wir entscheiden –
Demokratie ist mehr als
wählen gehen
Dr. Harald Klimenta
Autor und Mitglied des wissenschaftlichen
Beirats von Attac
Dr. Harald Klimenta berichtete in sei-
Politik auf dem Weg zu einer kritischen
nem Vortrag über seine Erfahrungen bei
Zivilgesellschaft.
Attac. Er versteht sich als „Bewegungs-
Klimenta verdeutlichte, dass sich bei
arbeiter“, der versucht, Menschen zu
der Attac-Bewegung vor allem gebildete
politischer Mitarbeit und Gestaltung
Menschen mit einem positiven Welt-
außerhalb der Parlamente und der Par-
bild engagieren. Das tragende Rückgrat
teien zu motivieren, also Mut zu zivil-
seien Bildungseliten in Lebensverhält-
gesellschaftlichem
zu
nissen, die den Aktiven als hinreichend
machen. Klimenta informierte über
Engagement
gesichert erscheinen. Dagegen seien
Attac und die Akteure, die sich in dieser
sozial benachteiligte Menschen kaum
Bewegung hauptsächlich engagieren.
bei Attac aktiv, was Klimenta darauf
Er beschäftigte sich aber auch mit der
zurückführte, dass ihre Kapazitäten von
Frage, welche Akteure und Strukturen
den Erfordernissen der physischen und
wirkungsvolles politisches Engagement
psychischen Lebensbewältigung er-
grundsätzlich braucht und wie Men-
schöpft sind. Menschen, die in Armut
schen dauerhaft zum politischen Enga-
oder prekären Verhältnissen leben,
gement motiviert werden können. Am
beteiligten sich nur punktuell bei öf-
Schluss skizzierte er die Aufgaben der
fentlichen Aktivitäten, wie es z.B. bei
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den Protesten gegen die Hartz IV-Reformen der Fall war.
Entscheidende Impulse gehen nach
15
Politische Bewegungen und Initiativen brauchen nach Klimenta zudem
eine tragfähige, verständliche Vision –
Klimentas Auffassung von einzelnen
vor allem eine positive Vision von einer
Persönlichkeiten aus: Konkrete Bürger-
zukünftig anderen Realität. Dieses posi-
initiativen entstünden oft durch das
tive Weltbild müsse von der Hoffnung
Engagement einer einzelnen Person, die
bzw. der Überzeugung getragen sein,
den Mut hat, ihre Meinung deutlich zu
etwas zum Besseren verändern zu kön-
sagen und zugleich dazu fähig ist, Pro-
nen.
test zu organisieren. Aber auch in Bezug
Wirksamkeit und Erfolge ergeben
auf kontinuierliches Engagement habe
sich nach Klimentas Ansicht letztlich
sich bei Attac gezeigt, dass Regional-
nur durch langfristiges Engagement.
gruppen dann am ehesten weiter beste-
Kurzfristiges Engagement wirke meist
hen und wachsen, wenn gebildete Ak-
nur wie ein Strohfeuer, das sogar kon-
tive mit koordinativen Fähigkeiten und
traproduktive Auswirkungen haben
Ausstrahlung die Engagierten zusam-
könne und keine nachhaltigen Erfolge
menhalten. Fehle solch ein „integratives
nach sich ziehe. Er stellte die These in
Alpha-Tierchen“, würden diese Grup-
den Raum, dass Engagement, das nur
pen häufig wieder einschlafen oder
aus eigener Betroffenheit resultiert (wie
stagnieren.
z.B. bei den Hartz IV-Protesten), nur
Notwendig sei auch eine Basis in der
selten dauerhaft sei – und daher in sei-
Bevölkerung. Leider fehle es häufig an
nen Wirkungen äußerst beschränkt
einem politischen Bewusstsein der Bür-
bleibe.
gerinnen und Bürger, die Gesellschaft
Ein wichtiges Ziel ist für Klimenta,
oft nur noch als Familie oder als Freun-
den Menschen prinzipiell Mut zum
deskreis wahrnehmen, jedoch weniger
Engagement zu machen. Den Bürge-
als Nachbarschaft oder als Kommune.
rinnen und Bürgern müsse vermittelt
Damit eine „kritische Zivilgesellschaft“
werden, dass sie mit Engagement etwas
lebendig werden könne, müssten die
erreichen können und dass Politik und
Menschen jedoch erkennen, dass sie in
Gesellschaft prinzipiell änderbar sind.
einer Gemeinschaft leben und auch ein
Dies gelte insbesondere für die sozial
„Wir“ sind; sie müssten lernen, „mit
benachteiligten Bürger, die meist nicht
hoher Lautstärke wenige Themen ge-
daran glauben, dass Veränderungen
meinsam zu orchestrieren“, dann könn-
möglich sind.
ten sie auch etwas bewegen.
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F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Gut zu mobilisieren seien bereits
len, sich in die Gemeinschaft einzu-
politisierte Menschen, die das Bedürfnis
bringen, müsse eine neue Balance ge-
haben, angesichts wahrgenommener
funden werden zwischen individualis-
Mängel die Politik zu verbessern. Die
tischen bzw. egoistischen Interessen
Partizipation politikferner Gruppen
einerseits und Gemeinwohlinteressen
kann nach Klimentas Auffassung nur
andererseits.
dann erreicht werden, wenn diese
Von entscheidender Bedeutung ist
spüren, dass sie wirklich eingebunden
für Klimenta, mit den Bürgerinnen und
werden und mitgestalten können.
Bürgern zu sprechen und sie zu infor-
Grundsätzlich könnten die Menschen
mieren. Attac arbeitet in diesem Bereich
für jedes Thema zum Engagement mo-
mit einer Vielfalt an Mitteln, um die
bilisiert werden, doch sei die Fokussie-
Menschen für politische Themen zu
rung auf ein bestimmtes Thema von
interessieren: Dazu gehören Bildungs-
Vorteil. Konkrete Themen und kreative
veranstaltungen, Infostände, Seminar-
Aktionen würden den Einstieg erleich-
reihen und Sommerschulen, aber auch
tern bzw. die Bereitschaft zum Enga-
gemeinsame Aktionen mit Koopera-
gement steigern. Dagegen sei die Mo-
tionspartnern. So schließen sich z.B.
bilisierung bei abstrakten Themen viel
Attac-Gruppen mit Vereinen vor Ort
schwieriger.
zusammen und führen gemeinsame
Günstig wirke sich auch die regio-
Veranstaltungen durch, um dafür zu
nale Nähe eines Themas aus. Ein guter
werben, sich für bestimmte Themen
Weg sei es, die Menschen über kom-
einzusetzen. Der Appell, sich politisch
munale Fragen zu erreichen, für ein
zu engagieren, müsse möglichst breit
Thema in ihrem Umfeld zu aktivieren.
nach außen getragen werden.
So könnte am Beginn eines politischen
Dauerhaftes Engagement braucht
Engagements z.B. ein Bürgerprotest
aber unverzichtbar Erfolgserlebnisse, so
gegen die geplante Schließung eines
Klimenta: „Um Menschen zu langfris-
Schwimmbads stehen. Klimenta be-
tigem politischen Engagement zu mo-
trachtet Nachbarschaften, Stadtteile
tivieren, müssen sie Erfolge sehen – um
und Regionen als wichtige Orte politi-
viele Menschen zu politischer Partizi-
scher Partizipation, in denen aufgrund
pation zu bewegen, müssen sie an Er-
persönlicher Nähe Verantwortungsbe-
folge glauben.“
wusstsein besser gedeihen kann. Wenn
Deshalb sei es wichtig, sich zunächst
Menschen dazu motiviert werden sol-
nur kleine, erreichbare Ziele zu setzen,
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17
damit die Engagierten durch Erfolge
Stadtteilebene – ansetzen, vor allem
ermutigt werden. Für Attac sei es auf
durch die Förderung direktdemokrati-
regionaler Ebene schon ein Erfolg, kon-
scher Elemente und eine ausreichende
krete Privatisierungsvorhaben zu ver-
Finanzierung der Kommunen.
hindern oder kleine Veränderungen in
Politik müsse insgesamt stärker in-
Unternehmen durchzusetzen, wie z.B.
tegrativ ausgerichtet sein und Rand-
die Aufnahme von Transfair-Produk-
gruppen bzw. sozial Benachteiligte oder
ten ins Warenangebot.
Ausgegrenzte eingliedern. Wichtig sei
Vor welchen Aufgaben steht die
Politik?
deshalb eine Politik, die auf sozialen
Ausgleich setzt, z.B. durch die Einfüh-
Klimenta betrachtet es als unbedingt
rung von Mindestlöhnen und eine
notwendig, dass die Bürgerinnen und
Umkehr des Trends kurzfristiger Arbeits-
Bürger von der Politik wirklich ernst
verträge. Im Bereich politischen Enga-
genommen werden: Wenn Partizipa-
gements spiele die allgemeine Sozial-
tionsmodelle oder Bürgerentscheide
politik eine wichtige Rolle.
durchgeführt werden, dann müssten
In der Wertevermittlung sei gezielt
die artikulierten Meinungen auch tat-
darauf hinzuwirken, dass demokrati-
sächlich berücksichtigt werden; Ein-
sche Werte, die Verantwortung für an-
wände und Anregungen aus Bürger-
dere Menschen und politische Partizi-
beteiligungsverfahren dürften nicht –
pation im Vordergrund stehen – und
wie so oft bei Bebauungsvorhaben –
nicht Werte, die sich an Konsum, Kon-
einfach übergangen werden. Die Politik
kurrenzdenken, Eigennutz und indivi-
müsse ihre Wertschätzung demokra-
dueller „Freiheit von allen Verpflich-
tischer Kultur deutlicher zeigen und das
tungen“ orientieren.
Engagement der Bevölkerung mit Ein-
Klimenta ist davon überzeugt, dass
fluss- und Gestaltungsmöglichkeiten
sich politisches Engagement zukünftig
belohnen.
immer weniger in Parteien und Gewerk-
Da in den Kommunen die Bürge-
schaften abspielen wird, sondern zu-
rinnen und Bürger die Erfolge ihres
nehmend gerade dort, wo im konkreten
Mitgestaltens unmittelbar erleben kön-
Fall etwas passieren muss – darauf müs-
nen, müsse die Politik auf regionaler
se sich die Politik einstellen.
und kommunaler Ebene – auch auf
18
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Armut – soziale Ausgrenzung –
Partizipation: Politische Teilhabe
aus dem gesellschaftlichen
„Abseits“?
Dr. Dietrich Engels
Geschäftsführer des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, Köln
In meinem heutigen Vortrag möchte
materiellen Mitteln, um den Lebens-
ich drei Fragen behandeln:
unterhalt zu bestreiten. Dabei handelt
• Welche unterschiedlichen Perspekti-
es sich um einen „absoluten Armutsbe-
ven auf „Armut“ und „Ausgrenzung“
griff“, da der minimale Lebensstandard
gibt es?
in einem absoluten Geldbetrag benannt
• Wie sieht es mit den faktischen Chancen politischer Teilhabe aus?
• Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich daraus?
werden kann.
Im zweiten Ansatz ist Armut Ausdruck sozialer Ungleichheit. Armut wird
im Verhältnis zur gesellschaftlichen
Mitte oder zur gesellschaftlich akzeptablen Lebensweise definiert. Es geht
I. Armut und Ausgrenzung in
unterschiedlicher Perspektive
hier um „relative Armut“, weil sie in
Beziehung zu etwas gefasst wird. Arm
ist nach dieser Definition jeder, der we-
Was heißt eigentlich „Armut“ und „so-
niger als 60 Prozent des Durchschnitts-
ziale Ausgrenzung“? Es können min-
einkommens zur Verfügung hat.
destens drei Ansätze zur Definition
Im dritten Ansatz wird nicht nur
unterschieden werden, die meiner
materielle Armut betrachtet, sondern
Meinung nach jedoch zusammenge-
der Aspekt der sozialen Ausgrenzung in
hören bzw. integriert zu sehen sind.
den Mittelpunkt gestellt, die Exklusion.
Im ersten Ansatz bedeutet Armut
Armut ist demnach verbunden mit einer
„unterer Lebensstandard“. Armut ist
Ausgrenzung aus verschiedenen gesell-
gekennzeichnet durch einen Mangel an
schaftlichen Bereichen, wie dem Bil-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
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dungs- und dem Beschäftigungssystem,
Daraus ergeben sich dann bestimmte
einem hinreichenden Lebensstandard,
Durchschnittsbeträge.
einer guten Gesundheitsversorgung
Wie viele Menschen in Deutschland
oder einer guten Wohnqualität.
müssen von solchen Leistungen der
Im Folgenden werde ich nun die
Mindestsicherung leben?
verschiedenen Auffassungen von Armut
7,1 Millionen Menschen beziehen
und sozialer Ausgrenzung auf die Situa-
Leistungen nach dem SGB II, also Ar-
tion in Deutschland beziehen.
beitslosengeld II oder das entsprechen-
In Deutschland gibt es in Bezug auf
de Sozialgeld für Familienangehörige
den materiellen Lebensunterhalt ein
– auch bekannt unter dem Stichwort
System der Mindestsicherung. Dazu
„Hartz IV“. Sie stellen den größten Teil
gehören das Arbeitslosengeld II, die
der Leistungsbezieher. 540.000 Men-
Sozialhilfe und die Grundsicherung im
schen erhalten Sozialhilfeleistungen,
Alter und bei Erwerbsminderung. Die
davon 80.000 die frühere Sozialhilfe
Mindestsicherung umfasst bestimmte
und 460.000 die Grundsicherung im
Regelleistungen pro Person sowie die
Alter und bei Erwerbsminderung. Ins-
Übernahme der Miete und Heizkosten.
gesamt leben also 7,6 Millionen bzw.
Durchschnittlicher Bedarf an Leistungen der Mindestsicherung (SGB II, SGB XII)
Deutschland (Stand: 1. Januar 2007)
Typ der Bedarfsgemeinschaft
Regelsätze
Mehrbedarf
Kaltmiete
Heizkosten
Alleinlebende/r
345
/
272
56
673
Ehepaar ohne Kind
622
/
356
76
1.054
844
1.066
1.288
/
/
/
420
474
533
85
87
102
1.349
1.627
1.923
124
124
356
420
76
85
1.108
1.457
Ehepaar mit Kindern
einem Kind
zwei Kindern
drei Kindern
Alleinerziehende/r mit
einem Kind unter 7 J.
zwei Kindern, 7 u. 14 J.
552
828
Summe
€/Monat
20
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
9,4 Prozent der deutschen Bevölkerung
auf diesem Grundsicherungsniveau.
Wie groß ist dabei der Anteil der Bürger/innen mit Migrationshintergrund?
Von „relativer Armut“ wird gesprochen, wenn weniger als 60 Prozent des
Medianeinkommens erreicht wird. Wie
wird dieser Betrag berechnet? Betrach-
Der Anteil der Migrantinnen und
tet werden die Einkommensbezieher
Migranten an der deutschen Bevölke-
nach der Höhe ihres äquivalenzgewich-
rung beträgt 8,8 Prozent, doch 18,8
teten Nettoeinkommens. Das „Median-
Prozent bei den Beziehern der Grundsi-
einkommen“ ist das Einkommen, das
cherung für Arbeitsuchende, hier liegt
genau in der Mitte liegt; in Deutschland
ihr Anteil also 10 Prozentpunkte höher.
beträgt es 1.250 Euro pro Person – das
In der Sozialhilfe und auch insgesamt
heißt, 50 Prozent der Bevölkerung ver-
sind 19 Prozent der Bezieher von Min-
dienen mehr und 50 Prozent weniger.
destsicherungsleistungen Migranten
60 Prozent von diesen 1.250 Euro sind
und Migrantinnen, sie sind in diesem
750 Euro – dieser Betrag markiert die
Bereich deutlich überrepräsentiert. In
Armutsgrenze: Alle, die weniger als 750
Deutschland ist etwa jeder zehnte Ein-
Euro im Monat zur Verfügung haben,
wohner, aber jeder fünfte Migrant auf
leben demnach in relativer Armut. In
Mindestsicherungsleistungen angewie-
Deutschland sind das insgesamt 13
sen. Soweit zum absoluten Armutsbe-
Prozent der Bevölkerung, wobei sich die
griff.
in Deutschland lebenden Migranten
Armut in Deutschland
Bezieher von Leistungen der Mindestsicherung in Privathaushalten am Jahresende 2005
darunter Ausländer
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
Arbeitslosengeld II
Sozialgeld
Sozialhilfe (SGB XII)
Hilfe zum Lebensunterhalt
Grundsicherung im Alter/Erwerbsminderung
Empfänger insgesamt
Anteil an der Bevölkerung in PHH
7.100.647
5.224.494
1.876.153
1.334.533
981.919
352.614
18,8%
18,8%
18,8%
542.376
80.650
461.726
103.295
16.130
87.165
19,0%
20,0%
18,9%
7.643.023
9,4%
1.437.828
19,7%
18,8%
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
21
Einkommensverteilung und Armutsgrenze
Äquivalenzgewichtetes Netto-Haushaltseinkommen pro Person, Deutschland 2005
1.250 €
50% der Bevölkerung
750 €
12,9% der Bevölkerung
23% der ausländ. Bev.
60% des Medianeinkommens
Median
ISG 2006 Quelle: SOEP 2005, Berechnungen des ISG
häufiger in dieser Lebenslage befinden,
eine Erwerbstätigkeit erreichbar, wenn
hier sind es sogar 23 Prozent.
man nicht über entsprechendes Ver-
Wie schon bei der absoluten Armut
mögen verfügt. Eine Erwerbstätigkeit
zeigt sich also auch bei der relativen
mit entsprechenden Verdienstmöglich-
Armut eine sehr viel stärkere Betroffen-
keiten setzt jedoch wiederum eine ge-
heit der Migrantinnen und Migranten.
wisse Qualifizierung und berufliche
Nun zum dritten Armutskonzept, in
Bildung voraus sowie eine physische
dem die Ausgrenzung aus einzelnen
und mentale Leistungsfähigkeit, die
sozialen Bereichen betrachtet wird. Die
durch einen guten Gesundheitszustand
Grundidee ist, dass man einen gewissen
unterstützt wird.
materiellen Lebensstandard braucht,
Wenn man aus irgendwelchen Grün-
um sich zum Beispiel eine bestimmte
den den Zugang zu einem dieser Be-
Wohnqualität oder die Teilhabe an
reiche nicht schafft, diese Zugangskri-
Kultur leisten zu können. Dieser Le-
terien also nicht erfüllt, dann ist man
bensstandard ist eigentlich nur durch
ausgegrenzt – zunächst einmal aus
22
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Armut als materielle und nicht-materielle Ausgrenzung (soziale Exklusion)
Voraussetzungen sozialer Inklusion
Bildung
Gesundheit
Beschäftigung
Qualifizierung,
berufliche Bildung
physische und mentale
Leistungsfähigkeit
Kapital
Transfers
monetärer Einkommen
Bereich
Wohnqualität
Partizipation
Lebensstandard
Wohnen,
Umwelt
Freizeit
Kultur
einem bestimmten gesellschaftlichen
gesellschaftliche Ausgrenzung, eine
Bereich. Das ist noch nicht allzu tra-
problematische Exklusion wird.
gisch, da es Möglichkeiten gibt, diesen
Mangel auszugleichen. Wenn man aber
Wie haben sich Exklusion und Inklusion in Deutschland entwickelt?
aus zentralen gesellschaftlichen Berei-
Einerseits hat „Hartz IV“ für die
chen ausgegrenzt ist, indem man den
klassischen Sozialhilfeempfänger eine
Zugang grundsätzlich nicht schafft –
Verbesserung gebracht, da sie nun
z.B. die Zugangskriterien zum System
gleichberechtigt in Arbeitsvermittlung
der Beschäftigung nicht erfüllt – dann
und Qualifizierung aufgenommen sind.
hat das gravierende Auswirkungen. Die
Andererseits ist längerfristig abzusehen,
Folge kann dann sein, dass aus einer
dass Geringqualifizierte kaum Chan-
mehrfachen Ausgrenzung eine gesamt-
cen auf reguläre Beschäftigung haben.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
23
Schon seit Jahrzehnten ist die Nachfra-
selbst für Menschen, die es schwer ha-
ge nach gering qualifizierten Arbeits-
ben, eine Stelle auf dem Arbeitsmarkt
kräften rückläufig, was sich künftig
zu bekommen.
weiter fortsetzen wird. Dennoch würde
ich bei dieser Personengruppe nicht
von „Ausgegrenzten“ oder von „abge-
II. Chancen der politischen Teilhabe
hängtem Prekariat“ sprechen, da es in
unserer Gesellschaft weiterhin Syste-
Hier schließt sich die Frage nach den
me gibt, die diese Menschen relativ gut
Chancen der politischen Teilhabe an.
einbeziehen. So sind das Bildungssys-
Angesichts der Gefahr einer dauerhaf-
tem und das Gesundheitssystem, aber
ten Ausgrenzung ist es sehr wichtig,
auch die Mindestsicherung allgemein
aktiv zu werden und sich in verschie-
zugänglich. Im Vergleich zu anderen
denen gesellschaftlichen Bereichen zu
Gesellschaften, wie beispielsweise in
engagieren. Doch welche Chancen be-
den USA, ist bei uns eine recht gut funk-
stehen tatsächlich, an der gesellschaft-
tionierende Inklusion vorhanden –
lichen Gestaltung mitzuwirken?
Einkommenslage und politische Partizipation
Mitgliedschaft in...
Politischer Partei
4%
3%
4%
Gewerkschaft
UmweltschutzOrganisation
Insgesamt
7%
1%
unter Armutsrisikogrenze
15%
17%
über Armutsrisikogrenze
5%
5%
Beteiligung an...
Unterschriftensammlung
45%
Demonstration
18%
17%
18%
Bürgerinitiative
17%
ISG 2004 Quelle: Allbus 2000
23%
24%
53%
55%
24
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Bei Mitgliedschaften in einer poli-
monstrationen, Bürgerinitiativen oder
tischen Partei zeigt sich zunächst kein
anderen politischen Aktivitäten – über-
großer Unterschied: Mitglied in einer
all zeigt sich das gleiche Bild: Menschen,
Partei sind 3 Prozent der Menschen
die von Armut betroffen sind oder ein
unter der Armutsrisikogrenze und 4
hohes Armutsrisiko haben, beteiligen
Prozent der Menschen über der Ar-
sich auch an diesen Formen der poli-
mutsrisikogrenze.
tischen Partizipation weniger.
Bei Gewerkschaften ist der Unter-
Betrachten wir die Parteimitglied-
schied sehr viel deutlicher. Insgesamt
schaft noch einmal näher – hier haben
sind 15 Prozent der Bevölkerung Mit-
wir ja zunächst angenommen, dass der
glieder der Gewerkschaft, aber nur 7
Unterschied zwischen Einkommens-
Prozent der Einkommensarmen.
starken und -armen sehr gering ist.
Ob es um die Mitgliedschaft in einer
Unterteilt man die Bevölkerung in
Umweltschutzorganisation geht, um
fünf Einkommensgruppen (fünf Quin-
die Beteiligung an Spontanaktivitäten
tile bzw. Fünftel), dann zeigt sich: Das
wie Unterschriftensammlungen, De-
oberste Quintil in der Einkommens-
Parteimitgliedschaft nach Einkommensschichtung
1. Quintil
2. Quintil
3. Quintil
3,0%
2,2%
2,7%
4. Quintil
4,8%
5. Quintil
Insgesamt
6,7%
3,9%
Mitglied einer Partei
ISG 2004 Quelle: Allbus 2000
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
25
verteilung, also die 20 Prozent der Be-
Umweltschutzorganisationen, die Mit-
völkerung mit hohem Einkommen,
gliedschaft in einer politischen Partei
engagieren sich mehr als doppelt so
lag bei null Prozent.
stark wie einkommensarme Personen
In allen Bereichen zeigte sich eine
(unterstes Quintil) und können sich
geringere politische Partizipation der
somit mit ihren Interessen am ehesten
Migranten und Migrantinnen.
durchsetzen. Diese Schlussfolgerung ist
meines Erachtens sehr wichtig.
Eine Anmerkung zur Datenbasis:
Die Zahlen stammen aus der ALLBUS-
Vergleicht man nun die politische
Statistik, die auf der Befragung von 3.000
Partizipation der Bürgerinnen und Bür-
Personen basiert; es handelt sich somit
ger mit Migrationshintergrund und
um eine relativ kleine Stichprobe, so-
der deutschen Bevölkerung, so werden
dass gewisse Gruppen möglicherweise
gravierende Unterschiede deutlich.
unterrepräsentiert sind. Wenn es also
Bei der untersuchten Personen-
heißt: „Null Prozent“ der Migranten
gruppe zeigte sich: Migranten und
sind Mitglied in einer politischen Par-
Migrantinnen waren erheblich seltener
tei, dann kann das auch 0,3 oder 0,4
Mitglieder von Gewerkschaften oder
Prozent heißen.
Herkunft und politische Partizipation
Mitgliedschaft in...
Politischer Partei
0%
4%
4%
Gewerkschaft
UmweltschutzOrganisation
Insgesamt
9%
Bürgerinitiative
ISG 2007 Quelle: Allbus 2000
mit Migrationshintergrund
5%
5%
3%
Beteiligung an...
Unterschriftensammlung
Demonstration
deutsch
15%
15%
25%
10%
12%
18%
18%
23%
24%
53%
55%
26
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Zudem sagt diese Zahl auch nichts
zent von ihnen engagieren sich, hinge-
allgemein über das Engagement von
gen 34 Prozent der Menschen, die über
Migranten und Migrantinnen aus: So
der Armutsgrenze leben. Aber auch
wird hier z.B. nicht die Beteiligung in
zwischen Deutschen und Migranten
türkischen Vereinen erfasst, die zum
besteht hier ein ganz klarer Unter-
Teil immens hoch ist. Unter dem Aspekt
schied: Offenbar ist die Mitwirkung an
der Integration bzw. Partizipation ist
gesellschaftlicher Gestaltung sehr un-
aber sehr umstritten, inwieweit dieses
gleich.
große Engagement in türkischen Ver-
Bei der regelmäßigen Mitwirkung in
einen in die Gesamtgesellschaft hinein
Sport-, Hobby- oder Freizeitclubs sind
wirksam ist.
die Ergebnisse ähnlich: Personen unter
Betrachten wir das bürgerschaftliche
der Armutsrisikogrenze sind deutlich
Engagement. Insgesamt sind 33 Prozent
weniger engagiert als andere. In Nach-
der Bevölkerung engagiert. Doch bei
barschaftsvereinen und -gruppen ist der
den Bürger/innen, die unter der Armuts-
Unterschied zwar gering, aber auch
grenze leben, zeigen sich hier unter-
hier bestätigt sich die durchgängige
durchschnittliche Werte: Nur 24 Pro-
Tendenz.
Bürgerschaftliches Engagement nach Einkommensschichtung
insgesamt
unter Armutsrisikogrenze
33,0%
24,8%
über Armutsrisikogrenze
34,2%
Deutsche
Migranten
ISG 2004 Quelle: Allbus 2002
37,0%
23,0%
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
27
Mitwirkung in Freizeitgruppen und Nachbarschaft
Anteil regelmäßige
Mitwirkung unter der
Armutsrisikogrenze
Anteil regelmäßige
Mitwirkung über der
Armutsrisikogrenze
regelmäßige Mitwirkung in...
Sport-, Hobby-, Freizeitclub
39,1%
47,3%
Nachbarschaftsverein, -gruppe
10,9%
12,2%
Form der sozialen Einbindung
Quelle: Allbus 2002, Berechnungen des ISG
Weitere Indizien ergeben sich aus
Untersuchungen über das Engagement
und die im weiteren Gespräch noch
diskutiert werden könnten:
von Jugendlichen, also zum Beispiel bei
Die Ergebnisse sind deutlich – doch
der Bereitschaft zu einem freiwilligen
was kann man tun, um das Resignieren
sozialen oder ökologischen Jahr. So hat
zu verhindern und das Agieren zu un-
eine Evaluationsstudie des ISG (2006)
terstützen?
ergeben, dass Hauptschüler und Mi-
• Von entscheidender Bedeutung ist
granten in diesem Bereich deutlich
eine wirkungsvolle Prävention gegen
unterrepräsentiert sind; es sind weitge-
die „Abwärtsspirale“. Es ist außer-
hend Gymnasiasten und Realschüler,
ordentlich wichtig, eine frühzeitige
die diese Möglichkeiten nutzen.
Einbindung in gesellschaftliche Mit-
Auch bei der Altersgruppe der Seni-
gestaltung und politische Teilhabe zu
oren sind Arbeiter und einfache Ange-
erreichen. Dabei kann in allen mög-
stellte sowie Migranten unterrepräsen-
lichen Bereichen wie Sport, Kultur,
tiert; dies ergab sich aufgrund der
Wohnung, Bildung angesetzt wer-
Evaluation des Projekts „Seniortrainer
den.
– junge Alte, die sich engagieren“. Das
• Gezielte Engagementförderung: So-
gleiche Ergebnis gilt für das freiwillige
weit Engagement von politischer
Engagement insgesamt.
oder staatlicher Seite auch finanziell
Schließen möchte ich mit einigen
gefördert wird – wie z.B. das frei-
Punkten, die mir wichtig erscheinen
willige soziale Jahr oder Modellpro-
28
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
jekte –, gibt es auch die Möglichkeit,
• In der Armutsforschung und in der
inhaltlich Einfluss zu nehmen. Hier
Armutsberichterstattung ist es von
wäre eine entsprechende Steuerung
großer Bedeutung, nicht nur den
wichtig, um auf eine bessere Ein-
materiellen Aspekt der Armut zu
bindung sozial benachteiligter und
berücksichtigen, sondern sich an
bildungsferner Gruppen gezielt hin-
einem umfassenden Verständnis von
zuwirken.
sozialer Inklusion zu orientieren, das
• Politik-
Interessenvertretung
heißt: alle Aspekte im Blick zu haben,
sollte auf konkrete Anlässe bezogen
und
insbesondere die Ausgrenzung aus
sein und nicht von „oben“ organisiert
bzw. die aktive Einbeziehung von
werden.
Menschen in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Wie kann politisches und zivilgesellschaftliches Engagement
gefördert werden?
Podiumsdiskussion
mit
Dr. Dietrich Engels
Geschäftsführer des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik,
Köln
Eric Feise
Leiter des gEMiDe, Modellprojekt zur Förderung des gesellschaftlichen
Engagements von MigrantInnen und eingebürgerten Deutschen durch
ehrenamtliche Tätigkeit, Hannover
Elke Ferner, MdB
Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
Burgunde Grosse
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bezirk Berlin-Brandenburg, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Susanne Huth
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), INBAS Sozialforschung GmbH, Frankfurt am Main
Moderation: Ferdos Forudastan
Freie Journalistin, Köln
29
30
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Wie können Menschen zu mehr
Engagement motiviert werden?
aktiv und wissenschaftliche Mitarbeiterin der INBAS-Sozialforschung in
Frankfurt am Main, wies darauf hin,
Für Dr. Dietrich Engels lassen sich die
dass die Motivation, sich zu beteiligen,
Menschen nicht mit Appellen zum
in jedem Engagementbereich sehr un-
Engagement bewegen. Vielmehr sollte
terschiedlich ist. Sie bezog sich dabei
bei den konkreten Interessen und im
auf Ergebnisse des Freiwilligensurveys,
Umfeld der jeweiligen Zielgruppe an-
bei dem über eine repräsentative Um-
gesetzt werden. Der Weg zum Engage-
frage Daten zum bürgerschaftlichen
ment führe oft über direkte Anlässe,
Engagement in Deutschland erhoben
z. B. über die Unzufriedenheit von
wurden. Menschen können demnach
Bürgern über einen Mangel in ihrem
durchaus zum Engagement bewegt
Wohngebiet. Anhand eines gemein-
werden, wenn die gesellschaftlichen
samen Themas könnten sie dann mit
Bedingungen entsprechend gestaltet
vereinten Kräften daran arbeiten, ein
sind. Für viele Aktive sei Spaß und Ge-
konkretes Ziel zu erreichen. Der Ver-
selligkeit beim Engagement sehr wich-
such, sich alleine für eine Sache zu
tig, deutlich sei aber auch der Wunsch,
engagieren, führe dagegen häufig in
Anerkennung für diese Tätigkeit zu
die Resignation.
erhalten.
Die Moderatorin Ferdos Forudastan
Huth stimmte Engels zu, dass viele
erinnerte in diesem Zusammenhang
Bürgerinnen und Bürger sich vor allem
daran, dass Engagement nicht nur we-
dann engagieren, wenn ihre eigenen
gen des Einsatzes für eine bestimmte
Interessen unmittelbar berührt sind,
Sache, sondern auch für den Betroffe-
insbesondere im Wohnumfeld. Ent-
nen wichtig sei. So könne z.B. ein Er-
sprechend sind die größten Wachstums-
werbsloser dadurch einen Schritt vom
bereiche des Engagements gegenwärtig
Rand in die Mitte der Gesellschaft tun
Schule, Kindergarten, Jugend- und Er-
und seine Chance auf einen Job erhö-
wachsenenbildung; hier engagieren sich
hen, weil er über seine Tätigkeit Leute
zunehmend mehr Bürgerinnen und
kennenlernt und in ein soziales Netz-
Bürger. Eine wichtige Ursache dafür ist
werk hineinwächst, das bei der Job-
nach Huth die niedrige Einstiegsschwel-
suche hilfreich sein kann.
le: Man wird schneller und persönlicher
Susanne Huth, im Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
angesprochen und zum Mitmachen
aktiviert.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
31
Die Bereiche mit dem stärksten
wird. Im Idealfall sollen sich dabei auch
Engagement sind nach wie vor Sport
Freundschaften zwischen Migranten
und Bewegung, Freizeit und Gesellig-
und Deutschen entwickeln. Vermittelt
keit, auch Kultur und Musik, die Kirchen
werden vorrangig soziale und karitative
und der soziale Bereich. Doch kann
Tätigkeiten, z.B. regelmäßige Besuche
diese Form des freiwilligen Engagements
einer Migrantin bei einem alten kranken
auch Brücke zu politischem Engage-
Deutschen in einem Pflegeheim, um
ment sein, das z.B. Fragen der Armut
den sich sonst niemand kümmert. Zu-
oder Umwelt betrifft?
nehmend wichtiger wird dabei aber
Nach Auffassung von Susanne Huth
auch der Sport- und Bildungsbereich;
sind diese Brücken zwar vorhanden,
so arbeiten immer mehr Migrantin-
doch es zeige sich kein eindeutiger Zu-
nen und Migranten ehrenamtlich als
sammenhang. Zudem sei Engagement
Übungsleiter/innen in Sportvereinen.
häufig an bestimmte Lebensphasen
Der Wille, sich zu engagieren, ent-
gekoppelt, das heißt z. B., dass mit der
steht nach Feises Erfahrungen vor allem
Einschulung eines Kindes die Beteili-
aus dem Bedürfnis der Menschen, sozial
gung der Eltern im Kindergarten in der
wahrgenommen und anerkannt zu
Regel zu Ende ist.
werden. Die Mehrzahl der Engagierten
(fast 90 Prozent) stammen aus Familien
von Arbeitsmigranten aus dem tür-
Wie hoch ist die Partizipation von
Migrantinnen und Migranten?
kischsprachigem Raum, die zwar seit 30
Jahren in Deutschland arbeiten, aber
nur wenig Zugang zu den Aktivitäten
Eric Feise sprach über seine Erfahrun-
der deutschen Gesellschaft bekommen
gen bei gEMiDe in Hannover – einem
haben. Diese Menschen würden einfach
Modellprojekt, das ehrenamtliches
mehr an der Gesellschaft teilhaben
gesellschaftliches Engagement von
wollen – und ehrenamtliches Engage-
Migrantinnen und Migranten und
ment sei ein Schritt in diese Richtung.
eingebürgerten Deutschen fördern will.
Wie die Ausführungen von Feise
Erklärtes Ziel ist eine bessere gesell-
deutlich machten, zeigt sich beim eh-
schaftliche Integration der Bürgerinnen
renamtlichen Engagement von Mi-
und Bürger mit Migrationshintergrund,
granten jedoch eine gravierende Ge-
indem ehrenamtliche Arbeit als Brücke
schlechterdifferenz. So engagieren sich
in die deutsche Gesellschaft genutzt
im Modellprojekt gEMiDe fast aus-
32
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
schließlich Frauen: 95 Prozent der im
terschiede stellte Huth aber bei der Art
Verein Engagierten sind Migrantinnen,
des Engagements fest: Migrantinnen
fast alle von ihnen stammen aus dem
und Migranten engagieren sich über-
türkischsprachigen Raum. Offenbar
wiegend in informellen Beteiligungs-
engagieren sich Frauen viel häufiger
formen und in Migrantenselbstorgani-
und spontaner als Männer, die sich trotz
sationen. Dabei handelt es sich häufig
erster Ansätze noch stark zurückhalten.
um lokale Verwandtschafts- und Nach-
Ein zentraler Punkt ist nach Feise jedoch
barschaftsnetzwerke, die auf dem Prin-
die Erkenntnis, dass Engagement nicht
zip „Hilfe auf Gegenseitigkeit“ bzw.
nur den anderen, sondern auch einem
Selbsthilfestrukturen aufgebaut sind
selbst Vorteile bringt.
und meist abgeschottet im Verborge-
Das gesellschaftspolitische Enga-
nen bleiben.
gement von Migrantinnen und Migran-
Susanne Huth wies wie Dietrich
ten wurde von der Sozialforscherin
Engels darauf hin, dass es in der For-
Susanne Huth wissenschaftlich unter-
schung umstritten sei, ob diese infor-
sucht. Zunächst verwies Huth auf die
mellen Formen des Engagements zur
Vielfalt von Migrantengruppen; ent-
gesellschaftlichen Integration oder eher
sprechend spiegelten sich bei Migranten
zur Desintegration von Migrantinnen
und ihrem Engagementverhalten auch
und Migranten beitragen.
soziokulturelle und materielle Hinter-
Burgunde Grosse, arbeitsmarktpoli-
gründe wider. Eindeutig habe sich ein
tische Sprecherin der SPD-Fraktion im
Zusammenhang von sozialen Ungleich-
Berliner Abgeordnetenhaus und Ge-
heiten und Beteiligungschancen ge-
werkschaftssekretärin für den Bezirk
zeigt. Entscheidend sei also nicht der
Berlin-Brandenburg, bestätigte aus ih-
Migrationshintergrund als solcher, son-
rer Erfahrung die grundsätzlich große
dern die Problematik, dass sich bei
Engagementbereitschaft von Migran-
vielen Migranten zahlreiche soziale
tinnen und Migranten. So seien in den
Ungleichheiten konzentrieren. Schließ-
Gewerkschaften und Betriebsräten viele
lich gäbe es auch viele gut integrierte
von ihnen – überwiegend türkische
und anerkannte Migranten, die z.B. in
Männer – sehr engagiert. Mit dem Ver-
der Kommunalpolitik als Stadträte
lust ihres Arbeitsplatzes würde dann
oder in Vereinen tätig sind.
aber in der Regel auch die Mitgliedschaft
Demnach seien Migranten zunächst
gekündigt, so dass Migranten in den
einmal genauso stark oder wenig enga-
Erwerbslosengruppen der Gewerkschaf-
giert wie Nicht-Migranten. Große Un-
ten kaum mehr vertreten sind.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Warum sinkt die politische
Beteiligung in Parteien und
Gewerkschaften?
33
noch das Schlimmste verhindern könnten. Als Beispiel nannte sie den Öffentlichen Dienst in Berlin: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten nach
Ferdos Forudastan bezog sich auf ein
Abschluss des sog. Solidarpakts zu-
Ergebnis in Engels Vortrag: Demnach
gunsten der Arbeitsplatzsicherung auf
sind einkommensschwache Personen
Einkommen verzichten. In den unteren
seltener Gewerkschaftsmitglied als ein-
Einkommensgruppen gibt es nun zahl-
kommensstärkere Personen. Aber auch
reiche „Aufstocker“, die aufgrund ihres
insgesamt würden die Gewerkschaften
geringen Einkommens zusätzlich zu
über Mitgliederverluste klagen. Wie sei
ihrem Lohn Sozialleistungen erhalten.
diese Entwicklung zu erklären? Gerade
Daraufhin seien viele – besonders in
bei denjenigen, die nur wenig haben,
den unteren Einkommensbereichen –
müsste der Antrieb doch viel stärker
aus der Gewerkschaft ausgetreten, da
sein, sich gemeinsam für die eigenen
sie sich in ihren Interessen nicht mehr
Interessen zu engagieren.
vertreten sahen. Diese Menschen seien
Burgunde Grosse stimmte dem zu:
offensichtlich zu dem Schluss gekom-
Natürlich sollte eine schwierige Lebens-
men, dass die Gewerkschaften sowieso
situation eigentlich Antrieb zum Enga-
nichts mehr für sie erreichen können.
gement sein. Ein großes Hindernis sieht
Angesichts veränderter Verhältnisse
sie aber in den knappen Finanzen der
auf dem Arbeitsmarkt haben die Ge-
Betroffenen. Wenn man im Alltag mit
werkschaften nach Grosses Auffassung
jedem Euro rechnen müsse, dann wolle
aber keine andere Wahl: Sie müssen
man sich den Mitgliedsbeitrag der
bereit sein, bei Tarifverhandlungen
Gewerkschaften, der ein Prozent des
Kompromisse zu schließen. Die Men-
Bruttoeinkommens betrage, meist spa-
schen hätten sich daran gewöhnt, dass
ren.
die Gewerkschaften bei Verhandlungen
Geldknappheit sei aber sicher nicht
immer mehr Lohn erstreiten konnten,
der einzige Grund für den Mitglieder-
was inzwischen aber nicht mehr mög-
schwund der Gewerkschaften. Eine
lich sei. Die vorrangige Aufgabe der
andere wichtige Ursache sei Resigna-
Gewerkschaften bestehe nun darin, die
tion. Grosse verwies auf die schwierige
Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen
Lage der Gewerkschaften, die nicht
und Arbeitnehmer zu sichern. Den
mehr wie in den vergangenen Jahr-
Menschen müsse vermittelt werden,
zehnten viel verteilen, sondern nur
dass sie nur etwas erreichen können,
34
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
wenn sie sich für ihre Interessen und
Arbeitnehmerrechte engagieren.
Wichtig sei die Erkenntnis, dass sich
politisches Engagement nicht nur auf
Doch die wirtschaftliche Entwick-
bundes- oder landespolitischer Ebene
lung hat nach Auffassung von Burgun-
abspiele, sondern auch auf kommunaler
de Grosse ein strukturelles Problem mit
Ebene vor Ort, wo sich schon viele
sich gebracht, das sie am Beispiel Berlin
Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich
erläuterte: Früher gab es hier viele Groß-
engagieren. Politik habe die Aufgabe,
betriebe, die gewerkschaftlich sehr gut
für verschiedene Gruppen der Bevölke-
organisiert waren. Durch den wirtschaft-
rung einen fairen Interessensausgleich
lichen Strukturwandel sind aber in der
zu schaffen. Dieser Kern von Politik
Berliner Region viele große Unterneh-
zeigt sich nach Ferners Auffassung auf
men verschwunden, heute dominieren
der kommunalen Ebene häufig viel
kleinere und mittlere Betriebe, in denen
deutlicher als auf Bundesebene, da z.B.
die Menschen traditionell weniger ge-
in den Stadträten viele Entscheidungen
werkschaftlich organisiert sind. Viele
einvernehmlich erfolgen. In den Kom-
hätten nun Angst, als Gewerkschafts-
munen gehe es in der Regel nicht um
mitglied schneller ihren Arbeitsplatz zu
die Durchsetzung parteipolitischer In-
verlieren, wenn der Arbeitgeber von
teressen, sondern um einen vernünf-
ihrem Engagement erfährt.
tigen Ausgleich verschiedener Interes-
Ferdos Forudastan wollte wissen,
sen.
wie die Parteien auf die in der Bevöl-
Einen wichtigen Grund für das sin-
kerung weit verbreitete Ansicht reagie-
kende Engagement in politischen Par-
ren wollen, dass die Politiker sowieso
teien sieht Elke Ferner vor allem in der
„ihren Stiefel durchziehen“, ganz egal,
Diskrepanz zwischen den Ankündigun-
wofür und wie viel man sich engagiert.
gen der Politiker und ihren tatsächli-
Viele Bürger würden doch denken, dass
chen Handlungen in der praktischen
sich die Politik ohnehin nicht von ih-
Politik. Dadurch hätten die Menschen
ren politischen Willenserklärungen
häufig den Eindruck, die Politiker wür-
beeinflussen lasse.
den ihre Versprechen nicht einhalten.
Elke Ferner, Stellvertretende Vorsit-
Bei diesem Vorwurf werde allerdings
zende der SPD-Bundestagsfraktion, wies
häufig übersehen, dass in bestimmten
zunächst auf zwei wesentliche Barrieren
politischen Konstellationen (wie Koa-
hin, sich politisch bzw. gesellschafts-
litionen) ohne Kompromisse keine
politisch zu engagieren: Mangel an
Mehrheiten gebildet werden können.
Geld und Mangel an Bildung.
Politische Entscheidungen seien meist
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
35
Ausdruck eines komplizierten Aushand-
nur wenig Neuzugänge von Jüngeren.
lungsprozesses, der den Bürgerinnen
Auf diese Entwicklung müssten die
und Bürgern sehr schwer zu vermitteln
großen Parteien mit einer aktiveren
sei.
Anwerbepolitik reagieren. Lange Zeit
Elke Ferner wollte das Phänomen
hätten in der SPD „Komm-Strukturen“
rückläufigen Engagements allerdings
dominiert, bei denen man sich darauf
nicht auf politische Parteien reduziert
verlassen habe, dass Menschen von sich
sehen, da es bei allen großen Organisa-
aus in die SPD kommen. Zudem seien
tionen feststellbar sei. Dass Menschen
neue Mitglieder in den gewachsenen
immer weniger bereit seien, sich außer-
Arbeitsstrukturen der Partei häufig nicht
halb ihrer unmittelbaren Interessen-
dazu ermutigt worden, sich voll einzu-
lage zu engagieren, hätte die unter-
bringen. Diese Mechanismen sind nach
schiedlichsten Gründe – ob es nun an
Ferners Auffassung unbedingt aufzu-
den angesprochenen Barrieren durch
brechen. Die Partei müsse sich attrak-
mangelnde Bildung oder Finanzen
tive Angebote überlegen, wie auf die
liege, an ungünstigen Arbeitszeiten oder
Menschen besser zugegangen werden
Zeitmangel aufgrund anderer Betäti-
kann, wo sie unmittelbaren Zugang zu
gungen.
Themen haben, von denen sie selbst
Doch welche Veränderungen in den
betroffen sind. Elke Ferner sieht ein
letzten Jahren könnten dazu geführt
mögliches Vorbild bei der Arbeitsge-
haben, dass es für viele Menschen so
meinschaft der Jungsozialisten, die eine
unattraktiv geworden ist, sich in Par-
offene Arbeitsweise praktizieren und
teien – insbesondere in der SPD – zu
die Möglichkeit der Mitarbeit auch
engagieren? Ein wichtiger Grund liegt
Nicht-SPD-Mitgliedern eröffnen.
nach Elke Ferner darin, dass die Bun-
Erfahrungen in den letzten Jahren
despolitik der SPD in den letzten Jahren
hätten gezeigt, dass sich viele – und
nicht von allen Parteimitgliedern mit-
besonders junge Menschen – lieber in
getragen wurde. Eine wesentliche Ursa-
konkreten, zeitlich überschaubaren
che sieht sie aber auch in innerpartei-
Projekten engagieren möchten, weni-
lichen strukturellen Veränderungspro-
ger in den üblichen Strukturen von
zessen. So seien die Abgänge von Mit-
Parteien und Großorganisationen. Eine
gliedern größtenteils eine Folge der
wichtige Ursache dieser Entwicklung
Altersstruktur, was sich bei der Union
liege sicher darin, dass die verschie-
ebenfalls zeige: Viele Mitglieder schei-
denen Lebensphasen heute schneller
den aus Altersgründen aus und es gibt
ablaufen bzw. die Biografien einem
36
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
größeren Wandel der Lebenssituation
individuellen Interessen und Gemein-
ausgesetzt sind.
wohlinteressen sei für Engagement
Gute Ansätze von Bürgerengage-
entscheidend, sondern das persönliche
ment sieht Elke Ferner im kommunal-
Interesse an einem konkreten Pro-
politischen Bereich, wenn bei der
blem.
Stadtviertelgestaltung die Wohnbevöl-
Ferdos Forudastan hakte nach:
kerung an der Konzeptentwicklung
Müsse man von den „kleinen Dingen“,
direkt beteiligt wird. Erfolgreich seien
von denen man unmittelbar betroffen
aber auch Netzwerke zu Frauen- und
ist – z.B. dem Kampf gegen die Müll-
Friedensthemen. In solchen Zusam-
verbrennungsanlage vor der eigenen
menhängen funktioniere der Austausch
Haustür – nicht einen Sprung machen
und die Zusammenarbeit häufig viel
zu abstrakteren politischen Themen,
besser als bei der manchmal etwas her-
z.B. Armut in der Dritten Welt?
metischen Arbeitsweise in einer Partei,
Betroffenheit bedeutet nach Engels
wo oft viel zu lange in einer „abge-
aber nicht, nur die „kleinen Dinge vor
schotteten Gruppe sein Süppchen ge-
der Haustür“ im Blick zu haben. Ent-
kocht“ werde.
scheidend sei vielmehr das Gefühl, von
Dr. Dietrich Engels verwies darauf,
einem Problem berührt zu sein. Die
dass politische Parteien in der Vergan-
Unterscheidung zwischen „kleinen“
genheit einen anderen gesellschaft-
unmittelbaren und „großen“ allgemei-
lichen Stellenwert und eine andere
nen Problemen erscheine ihm wenig
soziale Bedeutung hatten: Als attraktive
sinnvoll, da sich auch aus einer solida-
Organisationen verkörperten sie eine
rischen Betroffenheit mit den Armen
politische Haltung; die Parteizugehö-
dieser Welt Engagement entzünden
rigkeit wirkte auch als soziales State-
könne. Man müsse aber ein konkretes
ment und Statussymbol. Der neue Trend
Ziel vor Augen haben, etwas, wofür
sei aber eher, sich für bestimmte The-
man bereit sei zu kämpfen – in der
men zu interessieren und zu engagie-
Regel habe heute das Inhaltlich-Kon-
ren.
krete mehr Bedeutung für Engage-
Engels widersprach der häufig vertretenen Auffassung, das rückläufige
ment als reine Organisationszugehörigkeit.
Engagement sei auf einen heute stärker
Susanne Huth machte darauf auf-
verbreiteten Egoismus zurückzuführen.
merksam, dass das Engagement in
Nicht die Unterscheidung zwischen
Deutschland in den letzten fünf Jah-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
37
ren nicht zurückgegangen ist, sondern
Ansprache muss gefunden, welche Be-
vielmehr andere Formen gefunden hat:
teiligungsformen müssen angeboten
So hat die langfristige Bindung an for-
werden? Gute Antworten im Kleinen
melle Organisationen im klassischen
gäbe es ja schon, wie das Projekt
Ehrenamt zwar nachgelassen, doch sind
gEMiDe zeige.
dafür andere Beteiligungsformen hin-
Nach Huth wird es entscheidend
zugekommen, die ihre Wurzeln über-
sein, bestehende „Komm-Strukturen“
wiegend in den Bürgerbewegungen der
zu beenden und „Hingeh-Strukturen“
70er Jahre haben. Diese neuen Betei-
zu entwickeln und zu etablieren: Man
ligungsformen zeichnen sich dadurch
muss gewissermaßen „ins Feld gehen“,
aus, dass aus konkreten Anlässen Pro-
Leute ansprechen und sie an ihren
jekte und Initiativen entstehen und das
Bedürfnissen „abholen“. Damit bestä-
Engagement zeitlich begrenzt ist. Die
tigte sie auch die Auffassung Elke Fer-
Beteiligungslandschaft und die mög-
ners.
lichen Engagementformen seien eben
Als positive Beispiele guter Akti-
– wie die Gesamtgesellschaft auch –
vierung nannte sie bereits praktizierte
pluraler geworden. Entsprechend wür-
Beteiligungsformen in den Stadtquar-
de das Engagement in vielen traditio-
tieren (z. B. im Programm „Soziale
nellen Bereichen zurückgehen, z. B. bei
Stadt“). Hier werden beteiligungsferne
der Freiwilligen Feuerwehr. Hier wür-
Schichten angesprochen, um sie zum
den schon Überlegungen angestellt,
Engagement für Themen zu motivi-
wie neue Personengruppen, vor allem
eren, von denen sie unmittelbar betrof-
Migranten oder Frauen, für eine ehren-
fen sind. Wie Klimenta betonte auch
amtliche Tätigkeit gewonnen werden
Huth die große Bedeutung von klein-
könnten. Um neue Personengruppen
schrittigen Erfolgen: Mitgestaltungs-
zu erschließen, ist nach Auffassung von
möglichkeiten im persönlichen Wohn-
Susanne Huth deshalb die Frage wichtig,
umfeld lassen sich direkt erfahren und
welche sozio-kulturellen Milieus in
zeigen dem „Neu-Engagierten“, dass
den Parteien und Gewerkschaften bis-
Partizipation nicht nur möglich ist,
her dominierten und wie sie sich für
sondern sich auch lohnt.
neue Milieus öffnen könnten: Welche
38
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Diskussion mit dem Publikum
Welche Ursachen hat der
Mitgliederschwund in Parteien
und Gewerkschaften?
• Einige Teilnehmer sahen einen wesentlichen Grund in der Art und
Weise, wie Politiker sich und ihre
Politik in der Öffentlichkeit präsentieren; insbesondere die Sprache der
Politiker trage zu oft floskelhafte oder
inhumane Züge (z. B. die Bezeichnung
von Arbeitnehmern als „Humankapital“). Außerdem würden die von
Parteien und Gewerkschaften vertretenen Positionen häufig wenig glaubwürdig und authentisch wirken.
• Als weiterer Grund wurde genannt,
dass sich größere Teile der Stammklientel in den Reformen und Kompromissen der aktuellen Politik nicht
mehr wiederfinden könnten. Insbesondere der Mitgliederschwund in der
SPD sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Partei in der Großen
Koalition ihre Positionen nicht mehr
durchsetzen könne. Viele SPD-Mitglieder würden sich dadurch nicht
mehr in ihren Interessen und Überzeugungen vertreten sehen.
Elke Ferner erklärte aufgrund der Erfahrungen in ihrem Wahlkreis, dass
weniger jene Mitglieder die SPD verlassen haben, die negativ von den Arbeitsmarktreformen betroffen waren,
sondern eher jene aus der „Mitte der
Gesellschaft“, die mit der politischen
Richtung insgesamt nicht mehr einverstanden gewesen seien.
Burgunde Grosse bestätigte diesen
Befund: Viele langjährige SPD-Mitglieder hätten ihren Austritt damit
begründet, dass die SPD nicht mehr
„ihre Partei“ sei – sie lehnten die Bun-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
despolitik der SPD ab und vermissten
insgesamt die soziale Komponente in
der SPD-Politik.
• Die Bedeutung ökonomischer Erwägungen für eine Mitgliedschaft
wurde im Publikum als eher gering
eingeschätzt. Auf jeden Fall sollten
bei den Mitgliedsbeiträgen angemessene Regelungen – z.B. je nach finanziellen Umständen gestaffelte Beitragssätze – ermöglicht werden.
• Das sinkende Engagement in Gewerkschaften wurde auch auf die Angst
von Arbeitnehmern in kleinen und
mittleren Betrieben zurückgeführt:
Wer aufgrund seiner Gewerkschaftsmitgliedschaft persönliche Nachteile
im Betrieb bis hin zum Arbeitsplatzverlust befürchten müsse, scheue davor zurück, sich für seine Interessen
in organisierter Form einzusetzen.
Burgunde Grosse bestätigte, dass viele
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
aus Angst vor Entlassung gar nicht erst
in eine Gewerkschaft eintreten. Die
Politik könne dagegen wenig tun, außer
darüber zu informieren, welche Sicherungen zum Schutz von engagierten
Menschen vor ungerechtfertigten Nachteilen bestehen. Allerdings würden viele
Arbeitgeber in den letzten Jahren verstärkt versuchen, den Einzug der Gewerkschaften in ihre Betriebe zu verhindern.
39
Das rückläufige Engagement in Parteien könnte nach Ansicht von Susanne
Huth eine Folge des Politiker- und Parteienfrusts in der Bevölkerung sein. Sie
wies aber auch darauf hin, dass politisches Engagement nur einen kleinen
Bereich des gesamtgesellschaftlichen
Engagements ausmacht. In den großen
Engagementbereichen seien keine gravierenden Veränderungen feststellbar.
Neue Chancen der Beteiligung würden
aber nicht nur von politischem Engagement im engeren Sinn, sondern von
allen Engagementbereichen ausgehen
(z.B. im Sport). Dabei zeige sich ein
Kreislauf: Je höher die Bildung, desto
stärker ist die Beteiligung; je stärker die
Beteiligung, desto größer ist die Chance, Leute kennenzulernen und Kompetenzen zu erwerben; je umfangreicher
die Ressourcen an sozialen Kontakten
und Kompetenzen, desto höher ist die
Beteiligung und desto besser sind die
Gestaltungsmöglichkeiten.
Mit welcher Ansprache können
Menschen zum Engagement
bewegt werden?
• Die geringe Beteiligung der sozial
Schwachen wurde in der Diskussion
als fataler Widerspruch gekennzeichnet: Gerade Globalisierungsverlierer
und Leidtragende sozialer Einschnitte würden sich immer weniger enga-
40
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
gieren, obwohl diese Personengruppe
Susanne Huth bestätigte die große
doch eigentlich angespornt sein
Bedeutung des Respekts und der per-
sollte, sich für bessere Verhältnisse
sönlichen Ansprache – dagegen würden
oder zumindest für ihre eigenen In-
allgemeine Appelle, sich zu engagieren,
teressen einzusetzen.
meist keinen Erfolg bringen. Dies gelte
• Um Menschen zum Engagement zu
nicht nur bei Migrantinnen und Mig-
motivieren, wurde in mehreren Wort-
ranten, sondern z. B. auch bei Menschen
beiträgen die Bedeutung einer ge-
in Armut oder prekären Lebenssituatio-
zielten Ansprache der verschiedenen
nen, denen häufig keine Wertschätzung
Bevölkerungsgruppen hervorgeho-
entgegengebracht werde. Man müsse
ben, wie z.B. der Migranten, Senioren
den Menschen vermitteln, dass sie über
oder Jugendlichen. In der Praxis seien
ihre Beteiligung auch soziale Anerken-
die eingesetzten Methoden häufig
nung erreichen können.
ungeeignet und die Sprache, z.B. von
Burgunde Grosse erläuterte, dass die
Parteiprogrammen, für junge Leute
Gewerkschaften in den letzten Jahren
oder Migranten faktisch unverständ-
die Form der Ansprache der Mitglieder-
lich.
werbung schon geändert hätten. Man
wähle nun eine direktere Ansprache in
Auch Eric Feise betonte, wie wichtig
den Betrieben und setze auch früher an,
die Form der Ansprache ist. So könne
um schon Berufsschüler oder Studenten
man z.B. Migrantinnen und Migranten
für die Arbeit der Gewerkschaften zu
mit Briefen so gut wie gar nicht errei-
sensibilisieren. Zunehmend wichtiger
chen. Stattdessen müsse man auf ihre
sei auch die Erwerbslosenarbeit der
anderen kulturellen Umgangsformen
Gewerkschaften. Im Kern müsse es für
eingehen: sich Zeit nehmen und das
die Gewerkschaften darum gehen, den
persönliche Gespräch suchen. Unver-
Menschen stärker zu vermitteln, was in
zichtbar sei eine „Kultur der Ansprache“,
gemeinsamer Anstrengung erreicht
die den Migranten signalisiert, dass ihr
werden kann.
Gegenüber ihnen mit Wertschätzung
Elke Ferner sieht einen wesentlichen
und Respekt begegnet. Man dürfe hier
Grund für das geringe Engagement der
also keine rein funktionelle Beziehung
sozial Schwachen darin, dass sie ihre
sehen, sondern es ginge um eine ehrli-
Kräfte für die Bewältigung der alltäg-
che Wertschätzung dieser Menschen.
lichen Probleme einsetzen müssen und
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
41
z.B. nicht wissen, wie sie die nächste
eine gute Ausbildung und eine siche-
Klassenfahrt ihres Kindes oder den
re Beamtenstelle in Deutschland gut
neuen Kühlschrank finanzieren kön-
integriert, weshalb er sich auch in-
nen. Für diese Menschen sei es oft am
tensiv gesellschaftlich und politisch
wichtigsten, mit der eigenen Situation
engagieren könne – so habe er einen
zurechtzukommen.
Verein gegründet, der Kulturaus-
Für Dietrich Engels ist besonders das
tausch und Armutsbekämpfung in
Schichtenspezifische des Engagements
seinem Heimatland zum Ziel hat.
ein Problem: Insgesamt engagieren sich
Viele Migranten fühlten sich aber
zwar 33 Prozent der Bevölkerung, doch
aufgrund der Sprache, ihres Aussehens
sei das Engagement jedoch faktisch
oder allgemeiner Vorbehalte von den
größtenteils eine Sache des (Bildungs-)
politischen Parteien und der Gesell-
Bürgertums geblieben. Zahlreiche Bar-
schaft ausgegrenzt – mit der Folge,
rieren würden dazu führen, dass Men-
sich für diese Gesellschaft auch nicht
schen, die gerne mitmachen möch-
engagieren zu wollen.
ten, sich letztlich nicht trauen. Des-
• Auch wurde darauf hingewiesen, dass
halb gehe es vorrangig darum, eine so-
Einzelaktionen engagierter Bürgerin-
ziale Durchlässigkeit des Engagements
nen und Bürger nur selten die not-
zu erreichen. Wie man dieses Ziel errei-
wendige Unterstützung der zustän-
chen könnte, wäre am besten in der
digen Politiker vor Ort erhielten und
Praxis, z.B. durch ein Modellprojekt,
dadurch die Motivation zum Enga-
herauszufinden.
gement erheblich sinke.
Dr. Harald Klimenta betonte noch ein-
Was wirkt sich auf die Bereitschaft
zum Engagement förderlich aus?
mal die große Bedeutung von Erfolgen,
die engagierte Menschen als Ergebnis
ihrer Aktivitäten sehen müssten. Rea-
• Ein Teilnehmer mit Migrationshin-
lisierbare Ziele und gemeinsame Ak-
tergrund bestätigte den von Dietrich
tionen seien entscheidend, um etwas
Engels dargestellten Zusammenhang
zu erreichen und nachhaltig Erfolg zu
von gutem Einkommen und Bildung
haben. Einzelaktionen könnten – wenn
einerseits und verstärktem Engage-
überhaupt – nur winzige Veränderungen
ment andererseits. Er fühle sich durch
nach sich ziehen.
42
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
• Da partizipatives Verhalten früh er-
und Gewerkschaften hänge auch damit
lernt werde, müssten Kinder und
zusammen, dass sich Engagement heu-
Jugendliche möglichst frühzeitig, also
te zunehmend in anderen Formen äu-
schon in der Kita, beteiligt werden,
ßere. Wie Susanne Huth ausgeführt
was aber bisher noch viel zu wenig
habe, sei der Gesamtumfang des En-
geschehe. Man müsse sich z.B. fra-
gagements in Deutschland in etwa
gen: Welche demokratischen Werte
gleich geblieben und steige in manchen
können schon in der Kita vermittelt,
Bereichen sogar an. Die Bereitschaft,
welche
etwas zu tun, sei also nach wie vor
partizipativen
Strukturen
praktiziert werden? Nur so entstehe
vorhanden.
Demokratieverständnis und die not-
Ein wesentlicher Aspekt ist nach
wendige Grundlage für Partizipation.
Engels jedoch, dass politische oder soziale Bewegungen – wie z. B. Antiatom-
Susanne Huth bestätigte, dass Partizi-
und Friedensbewegung – in ihrer Ent-
pation schon früh erlernt wird. Unter-
stehungs- und Anfangszeit immer einen
suchungen hätten gezeigt, dass Men-
relativ hohen Mobilisierungsgrad auf-
schen, die bereits in ihrer Jugend en-
weisen. Etablierte Organisationen müss-
gagiert waren, sich auch eher als Er-
ten es dagegen schaffen, die Menschen
wachsene engagieren. Dieser Zusam-
zum dauerhaften Engagement oder zur
menhang zeige sich auch im spezifi-
Mitgliedschaft zu motivieren: Wenn
schen Engagementverhalten der Mi-
Bewegungen längere Zeit bestehen wol-
grantinnen und Migranten, die z.B. die
lten, sei es notwendig, die anfängliche
deutsche Form der „Vereinsmeierei“ aus
Begeisterung in kontinuierliches län-
ihren Heimatländern häufig nicht ken-
gerfristiges Engagement zu überführen.
nen und auch keinen Zugang dazu
Dazu gehöre, die Begeisterung auf kon-
finden, weil sie die Vereine in Deutsch-
krete Themen zu fokussieren. Auch
land als „geschlossene Gesellschaften“
sollte die adäquate Ansprache gewählt
empfinden.
werden, um Einzelne in gemeinschaft-
Für Dr. Dietrich Engels ist es wichtig,
liche Formen des Engagements nach-
Engagement zu fördern, doch er kann
haltig einzubinden. Von zentraler Be-
keine Hinweise darauf erkennen, dass
deutung ist nach Engels aber, die Bar-
sich die Menschen grundsätzlich weni-
rieren des Engagements abzubauen,
ger engagieren wollen als früher. Die
damit diejenigen, die mitmachen wol-
rückläufige Mitgliedschaft in Parteien
len, auch mitmachen können.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
2
43
Teilhabe am Arbeitsmarkt
Wandel der Arbeitswelt und Arbeitsmarktreformen
Dr. Angela Borgwardt, Politologin
In Deutschland vollzieht sich wie in
Auch die traditionellen Arbeitsverhält-
vielen anderen Industrieländern auf-
nisse und Arbeitszeiten verändern sich:
grund
wissenschaftlich-techni-
Vollzeiterwerbstätigkeit und versiche-
schen Fortschritts, der Globalisierung
des
rungspflichtige Beschäftigungen gehen
und der demografischen Entwicklung
zurück, zeitlich befristete Arbeitsver-
ein grundlegender sozialer Wandel, der
hältnisse und Nebentätigkeiten nehmen
zu tiefgreifenden Veränderungen in der
zu, die Arbeitszeiten werden flexibler
Arbeitswelt führt. Im Zuge der Heraus-
(z.B. Gleitzeit, Arbeitszeitkonten) und
bildung einer Dienstleistungs- und
durch neue Modelle ergänzt (z.B. Teil-
Wissensgesellschaft verändert sich die
zeitmodelle wie Job-Sharing). Für die
Arbeitsnachfrage und Tätigkeitsland-
Beschäftigten löst sich dadurch der ge-
schaft: Berufe sterben aus oder verlieren
regelte Arbeits- und Lebensrhythmus
an Bedeutung, was zu einem Abbau an
mit festen Zeiteinteilungen (Arbeit –
Arbeitsplätzen führt, etwa in der Indus-
Freizeit, Ausbildung – Arbeit – Rente)
trie und Landwirtschaft, viele Berufe
tendenziell auf, die berufliche Normal-
erfordern neue Qualifikationen, z.B.
biografie wird zunehmend seltener.
durch notwendige Computerkennt-
Gefordert sind nun mehr Flexibilität
nisse. Zugleich entstehen neue Berufe,
und Mobilität in Arbeit und Beruf.
Tätigkeiten und Branchen, insbeson-
Auch der klassische Arbeitsbegriff, der
dere im wachsenden Dienstleistungs-
bisher an eine bestimmte Form der
und
Erwerbsarbeit gekoppelt war, wandelt
Kommunikationssektor,
durch
Forschung, Entwicklung und Anwen-
sich grundlegend.
dung neuer Technologien oder durch
Durch die Folgen des sozialen und
die steigende Bedeutung einzelner Be-
wirtschaftlichen Wandels haben sich
reiche, wie des Umwelt- und Klima-
strukturelle Probleme herausgebildet,
schutzes. Am Arbeitsmarkt fordert die-
die in ihrem Zusammenwirken zu einer
se Entwicklung von den Beschäftigten
Krise am deutschen Arbeitsmarkt füh-
andere und erhöhte Qualifikationen.
ren. Wesentliche Kennzeichen sind
44
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
hohe Unterbeschäftigung, eine Verfes-
mente entwickelt. Umfassende Vor-
tigung und ungleiche Verteilung der
schläge zur Umgestaltung des Arbeits-
Arbeitslosigkeit mit einem relativ hohen
markts – darunter auch beschäfti-
Anteil von Langzeitarbeitslosen, volks-
gungspolitische Maßnahmen – entwi-
wirtschaftliche Wachstumsschwäche
ckelte die sogenannte Hartz-Kommis-
und mangelnde Beschäftigungsdyna-
sion, eine von der rot-grünen Bundes-
mik.
regierung eingesetzte Expertenrunde.
Aus diesen Problemen ergibt sich
Die Reformvorschläge umfasste ein
für den Staat die längerfristige Aufgabe,
Bündel verschiedener Maßnahmen, die
durch politische Maßnahmen die Be-
in einzelne Gesetze aufgeteilt wurden
schäftigungsprobleme auf dem Arbeits-
(Hartz I bis Hartz IV) und zwischen 2003
markt zu lösen. Wesentliche Ziele der
bis 2005 schrittweise in Kraft traten.
Arbeitsmarktpolitik sind deshalb die
Ein
wesentliches
Element
der
Bekämpfung von struktureller Arbeits-
Hartz-IV-Reformen war die Zusammen-
losigkeit bzw. die Sicherung und Ver-
legung der früheren Arbeitslosenhilfe
besserung der Beschäftigungsmöglich-
und Sozialhilfe zur sogenannten Grund-
keiten, die Erschließung neuer Beschäf-
sicherung für Arbeitsuchende, dem
tigungsbereiche sowie die Förderung
Arbeitslosengeld II (ALG II). Der Regel-
des Wirtschaftswachstums. Auch geht
satz betrug bei Einführung 345 Euro für
es um eine bessere Abstimmung von
alleinstehende bedürftige Arbeitslose
vorhandenem Arbeitsangebot (Qualifi-
zuzüglich Wohngeld. Die Grundsiche-
zierung der Erwerbspersonen) mit der
rung für Arbeitsuchende ist eine ein-
veränderten Arbeitsnachfrage (offene
heitliche Leistung für alle erwerbsfähi-
Stellen). Dazu gehören Fortbildungs-
gen Personen, die der staatlichen Hilfe
und Umschulungsmaßnahmen, Ar-
bedürfen, weil sie entweder keine Er-
beitsmarkt- und Berufsforschung, Be-
werbsarbeit haben oder ihr Arbeitsein-
rufsberatung, Arbeitsvermittlung, be-
kommen nicht ausreicht. Neben Geld-
sondere staatliche Förderung für be-
leistungen umfasst die Grundsiche-
stimmte Personengruppen wie Lang-
rung auch Eingliederungsmaßnahmen
zeitarbeitslose oder Jugendliche (z.B.
in den Arbeitsmarkt wie Berufsberatung
Lohnzuschüsse, spezielle Eingliede-
und Weiterbildungsmaßnahmen und
rungshilfen, Sonderprogramme).
die direkte Förderung von Beschäfti-
Als Reaktion auf die anhaltende
gung. Für diese Leistungen sind – je
Massenarbeitslosigkeit wurden in den
nach Wohnort – entweder die Agentur
letzten Jahren zahlreiche neue Instru-
für Arbeit, die Kommune (Optionskom-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
45
mune) oder eine der neu gegründeten
tungsbezug,
Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) zustän-
pflichten des Arbeitsuchenden, Leis-
dig.1
tungskürzung als Sanktion.
Die Arbeitsmarktreformen seit 2005
verfolgen drei Schwerpunkte2:
stärkere
Mitwirkungs-
Die Neuausrichtung der aktiven
Arbeitsmarktpolitik entsprechend der
Im Zuge einer Flexibilisierung des
„Hartz-Reformen“ umfasst auch die
Arbeitsmarkts werden verstärkt neue
Schaffung neuer Instrumente, wie den
Beschäftigungsformen gefördert, wie
Einbezug von privaten Anbietern bei
Minijobs, Leiharbeit, befristete Beschäf-
der Arbeitsvermittlung sowie eine Neu-
tigung. Zugleich wird Selbstständigkeit
organisation der Bundesagentur für
bzw. Existenzgründung durch Zuschüs-
Arbeit. Ziel ist eine verbesserte Betreu-
se und Wegfall einiger Regeln erleichtert.
ung der Arbeitslosen, insbesondere
Auf diese Weise soll die Einstiegsschwel-
durch gezieltere Maßnahmen und in-
le für Arbeitsuchende in manchen Be-
dividuell ausgerichtete Beratung, um
reichen des Arbeitsmarktes verringert
z.B. falsche Strategien bei der Arbeits-
und eine Brücke zu regulären Beschäf-
suche aufzudecken und offene Stellen
tigungen geschlagen werden.
schneller an geeignete Bewerber ver-
Für Erwerbslose sollen höhere Ar-
mitteln zu können.
beitsanreize geschaffen werden, indem
Arbeitsmarktreformen werden zwar
die staatlichen Unterstützungsleistun-
als dringend notwendig begrüßt, sto-
gen (Sozialleistungen, ALG II) knapp
ßen aber auch auf Kritik. Kontrovers
gehalten und mit bestimmten Forde-
wird die Effektivität der Reformen dis-
rungen verbunden werden. Dazu gehö-
kutiert bzw. inwieweit sie zu den ge-
ren niedrigere „Zumutbarkeitskriterien“
wünschten Ergebnissen führen. Welche
zur Annahme einer Arbeit (z.B. Wohn-
Erfolge und Defizite zeigen sich durch
ort- und Berufswechsel, geringer be-
Erfahrungen mit den bisher prakti-
zahlte Beschäftigung), strengere An-
zierten Modellen?
spruchsvoraussetzungen für den Leis-
1
2
Ausführliche Informationen auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit:
http://www.bmas.de/coremedia/generator/22438/uebersichtsseite__arbeitsmarktreform.html.
Vgl. Dr. Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg,
Impulsvortrag zum Thema: „Vernachlässigte Potenziale? – Arbeit und Beschäftigung“. In: FriedrichEbert-Stiftung, Forum Berlin (Hg.): Dokumentation der Auftaktveranstaltung zum Projekt „Gesellschaftliche Integration“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin: „Fällt die Gesellschaft auseinander? Herausforderungen für die Politik“ am 28. September 2006, Berlin 2007, S. 74–78.
46
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Auch stellt sich die Frage, welche
tiger arbeiten. Zahlreiche dieser Ko-
neuen arbeitsmarktpolitischen Instru-
operationen bewegen sich im klas-
mente besonders geeignet sind, um
sischen, personenorientierten Bereich
Erwerbslose wieder in den Arbeitsmarkt
der Arbeitsförderung: Mit Beratungs-,
zu integrieren. Verschiedene Ansätze
Trainings- und Qualifizierungsmaßnah-
stehen derzeit in der öffentlichen Dis-
men zielen sie einerseits auf bessere
kussion.
Berufschancen des Einzelnen und an-
Die Ausrichtung der neuen Instru-
dererseits auf die Besetzung offener
mente hängt ganz entscheidend von
Stellen mit optimal geeigneten Bewer-
der Sichtweise auf das Problem ab: Ist
bern. Einige der neuen privaten Agen-
Erwerbslosigkeit vor allem eine Folge
turen und Netzwerke nehmen für sich
von Qualifikations- und Flexibilitäts-
aber auch in Anspruch, dass ihre He-
defiziten der Arbeitsuchenden? Oder
rangehensweise auf einer ganz anderen
handelt es sich vorrangig um struktu-
Haltung gegenüber dem „betroffenen
relle Probleme einer hoch entwickelten
Subjekt“ beruht: Der Arbeitsuchende
Volkswirtschaft, der aufgrund von stei-
wird nicht mehr als defizitär, weil „ar-
gender Produktivität allmählich „die
beitslos“, sondern als Anbieter mit
Arbeit ausgeht“?
Potenzialen gesehen; nicht die Verwal-
Eine Möglichkeit zur Bewältigung
tung und Reglementierung eines Pro-
der Krise am Arbeitsmarkt wird in neu-
blemfalls, sondern die Entwicklung
en Formen der Zusammenarbeit zwi-
individueller Stärken soll im Fokus
schen privaten und staatlichen Arbeits-
stehen. An die Stelle sanktionsbedrohter
vermittlungsagenturen gesehen. Diese
Vorladung des Leistungsempfängers
Arbeitsteilung bei der Bekämpfung
und amtlicher Zuweisung von ange-
von Arbeitslosigkeit ist auch Ausdruck
ordneten Maßnahmen steht eine Ein-
eines veränderten Verständnisses staat-
ladung zu individueller Beratung und
licher Aufgaben: Mit der Einbeziehung
Unterstützung, die den Charakter einer
privater Unternehmen ist meist die
Dienstleistung haben soll.
Hoffnung verbunden, dass sie im Ein-
Befürworter betonen die neuen
zelfall flexibler und damit individuell
Möglichkeiten, die durch eine Kombi-
angemessener reagieren können, dass
nation unterschiedlicher Kompetenzen
sie durch Konkurrenz innovative Lö-
von Staat und Privaten entstehen. Bei
sungswege entwickeln und durch bes-
der Arbeitsvermittlung könne zielori-
sere Effektivität insgesamt kostengüns-
entierter sowohl auf den Bedarf des
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
47
Arbeitsmarktes als auch auf die Wünsche
schaft als auch für den Einzelnen mit
und Fähigkeiten des Arbeitsuchenden
sich bringe. Hier setzen Maßnahmen
eingegangen werden.
wie Bürgerarbeit und Ein-Euro-Jobs
Kritiker sehen diese Entwicklung oft
an.
als Teil einer bedenklichen Tendenz,
So wurden bereits in Sachsen-Anhalt
dass der Staat immer mehr Kernauf-
und Thüringen Pilotprojekte Bürger-
gaben abgibt und sich aus seiner sozia-
arbeit gemeinsam mit der Bundes-
len Verantwortung zurückzieht. Auch
agentur für Arbeit durchgeführt.3 Das
wird generell bezweifelt, dass das struk-
Konzept der Bürgerarbeit basiert auf
turelle Problem der Arbeitslosigkeit
dem Gedanken, dass die Entlohnung
durch eine bessere Qualifizierung und
gesellschaftlich sinnvoller Aktivität
Potenzialentwicklung von Arbeitsu-
vernünftiger ist als die Alimentierung
chenden grundsätzlich gelöst werden
passiver Arbeitslosigkeit. Die Bezahlung
kann: Da der Arbeitsmarkt nicht genug
ist kaum höher als der Hartz IV-Satz,
offene Stellen bereitstellt, finde letzt-
doch geht es dabei auch nicht um klas-
lich nur ein Verdrängungswettbewerb
sische Erwerbsarbeit. Ziel soll vielmehr
von Arbeitskräften und damit eine In-
sein, Langzeitarbeitslosen durch ge-
dividualisierung des eigentlich gesamt-
meinnützige Tätigkeiten eine sozial-
gesellschaftlichen Problems statt.
versicherungspflichtige Beschäftigung
Ein anderer Ansatz geht davon aus,
und zugleich eine Aufgabe zu geben, so
dass in der Gesellschaft ausreichender
dass sie sich von der Gesellschaft wieder
Bedarf an Arbeitsleistung besteht, aber
gebraucht fühlen können. Das zugrun-
unter den gegenwärtigen Marktbedin-
de liegende Prinzip lautet: Keine Leis-
gungen nicht nachgefragt wird. So-
tung ohne Gegenleistung. Die „Bürger-
lange die Lücke zwischen Angebot und
arbeiterinnen“ und „Bürgerarbeiter“
Nachfrage von Arbeitskräften auf dem
säubern z.B. öffentliche Parks oder
Arbeitsmarkt nicht geschlossen ist,
kümmern sich um Menschen in Pfle-
sollte sie deshalb mit gesellschaftlich
geheimen. Sie übernehmen Tätigkei-
sinnvollen Tätigkeiten gefüllt werden
ten, die zwar im öffentlichen Interesse
– was sowohl Vorteile für die Gesell-
liegen, von der Kommune aber nicht
3
Zu ersten wissenschaftlichen Ergebnissen der Modellversuche vgl. Christine Heinz/Christine Hense/
Susanne Koch/Christopher Osiander/Christian Sprenger: Modellversuch Bürgerarbeit. Zwischen
Workfare und Sozialem Arbeitsmarkt. IAB-Forschungsbericht 14/2007.
48
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
zu einem normalen Lohnniveau finan-
Wer einen ihm zugewiesenen Ein-Euro-
ziert werden können. Wichtig ist dabei,
Job ohne wichtigen Grund nicht auf-
dass diese Jobs nicht zur Billig-Konkur-
nimmt oder fortführt, dem können die
renz für Beschäftigungen im ersten
staatlichen Unterstützungsleistungen
Arbeitsmarkt werden dürfen (z. B. keine
für drei Monate gekürzt werden. Als
Übernahme pflegerischer Leistungen).
zumutbare Arbeit gilt jede legale, nicht
Ein weiteres zentrales arbeitsmarkt-
sittenwidrige Arbeit, die der Betreffen-
politisches Instrument nach den Hartz
de ausüben kann. Sie muss jedoch zu-
IV-Reformen sind Ein-Euro-Jobs, soge-
sätzlich sein und in öffentlichem In-
nannte Arbeitsgelegenheiten mit Mehr-
teresse liegen – es darf sich also nicht
aufwandsentschädigung (nach § 16 Abs.
um eine bezahlte normale Lohnarbeit
3 SGB II). Seit ihrer Einführung 2005
handeln, die reguläre Stellen anderer
haben sie sich zur quantitativ größten
Beschäftigter ersetzen könnte.
Maßnahme der aktiven Arbeitsmarkt-
Viele Gegner kritisieren an Modellen
politik im Sozialgesetzbuch II entwi-
der Bürgerarbeit und an Ein-Euro-Jobs
ckelt. 2007 wurden mehr als 750.000
einen entwürdigenden Arbeitszwang.
neue Förderungen begonnen. Ein-Eu-
Angesichts des massiven Mangels an
ro-Jobs sind vorwiegend für Langzeit-
Arbeitsplätzen bestehe zudem die Ge-
arbeitslose gedacht, die auf absehbare
fahr, dass selbst gut ausgebildete Ar-
Zeit wenig Chancen haben, eine regu-
beitsuchende dauerhaft in unqualifi-
läre Beschäftigung zu finden. Bei einem
zierte Beschäftigungen gedrängt wer-
Ein-Euro-Job entsteht kein reguläres
den, die ihre bestehenden, aber nicht
Arbeitsverhältnis, es wird kein Arbeits-
ausgeübten Qualifikationen entwerten.
entgelt oder Lohn, sondern zusätzlich
Kritiker wenden zudem ein, dass die
zu ALG II eine „Mehraufwandsentschä-
flächendeckende Einführung solcher
digung“ (MAE) von ein bis zwei Euro
Instrumente
pro Stunde bezahlt. Nach dem Willen
massive Verdrängungseffekte auf dem
des Gesetzgebers soll es sich dabei um
ersten Arbeitsmarkt auslösen könnte
gemeinnützige Tätigkeiten handeln.
und somit das Gegenteil des Ge-
Die Beschäftigungsdauer kann zwölf
wünschten erreicht werde.
durch
Lohn-Dumping
Monate umfassen, in der Regel liegt sie
Befürworter sehen in solchen Maß-
bei sechs Monaten. Meistens handelt
nahmen einen guten Weg, die Beschäf-
es sich um eine Teilzeitarbeit mit 20
tigungschancen von Arbeitslosen – ins-
bis maximal 30 Stunden pro Woche.
besondere Langzeitsarbeitslosen – er-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
49
heblich zu steigern. Auch wenn sich die
sammenhang von Erwerbsarbeit und
Integrationswirkungen nicht in jedem
Einkommen aufgelöst wird. In den
Einzelfall und erst mittelfristig ergeben
Fokus der öffentlichen Debatte ist in
könnten, werde den Langzeitarbeits-
letzter Zeit verstärkt das Konzept des
losen wieder gesellschaftliche Teilhabe
bedingungslosen Grundeinkommens
und persönliche Befriedigung ermög-
gerückt, das sehr kontrovers diskutiert
licht: Dauerhaft vom Arbeitsmarkt Aus-
wird. Jeder Bürger bzw. jede Bürgerin
gegrenzte leben oft passiv und zurück-
soll vom Staat ohne Bedingungen ein
gezogen ohne Hoffnung auf soziale
festes monatliches Einkommen zur
Anerkennung; mit Bürgerarbeit und
Deckung der Grundbedürfnisse erhal-
Ein-Euro-Jobs sollen sie wieder aktiviert
ten. Wer über mehr Geld verfügen will,
und ins gesellschaftliche Leben inte-
kann es sich über Erwerbsarbeit verdie-
griert werden. Hinzu kommen Vorteile
nen. Hier scheint die Einlösung eines
für die Kommunen durch die Ergeb-
alten Menschheitstraums versprochen
nisse der zusätzlich geleisteten Arbeit.
zu werden: Vom „Joch der Arbeit“ be-
Weitaus radikaler gehen Konzepte
freit kann der Mensch sein Leben – ohne
vor, die das bestehende Sozialsystem
materielle Not und Existenzängste –
und die Arbeitsgesellschaft so grund-
ganz nach seinen persönlichen Vorstel-
sätzlich umbauen wollen, dass der Zu-
lungen und Überzeugungen gestalten.
50
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Arbeiten um zu leben – leben um zu arbeiten?
Instrumente und Modelle von Arbeit und Beschäftigung
Welche neuen Instrumente und Modelle werden eingesetzt,
um die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu fördern?
Podiumsdiskussion
mit
Gabi van Dyk
Mitgesellschafterin „jobkontakt GmbH“ (z. Zt. der Veranstaltung),
Vorstand„Lebensunternehmer eG“
Sylvia Kühnel
Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur
für Arbeit, Projektgruppe Bürgerarbeit, Halle (Saale)
Dr. Rolf Schmachtenberg
Leiter der Unterabteilung Arbeitsförderung, Arbeitslosenversicherung,
Grundsicherung für Arbeitsuchende und Arbeitsmarktstatistik,
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin
PD Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Hochschullehrer an der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt am Main, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Moderation: Peter Laudenbach
Freier Autor Wirtschaftsmagazin „brand eins“, Berlin
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Bedingungsloses
Grundeinkommen – ein
zukunftsfähiges Konzept?
51
wichtige Dimensionen: finanzielle Mittel, ausreichende Bildung sowie eine
sinnvolle, gesellschaftlich anerkannte
Beschäftigung. Sein Plädoyer für ein
Moderator Peter Laudenbach vom
solches Grundeinkommen will er aber
Wirtschaftsmagazin „brand eins“ eröff-
nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung
nete die Diskussion mit der Frage, ob
der aktiven Arbeitsmarktpolitik ver-
das bedingungslose Grundeinkommen
standen wissen.
eine sinnvolle Alternative zu den beste-
Das bedingungslose Grundeinkom-
henden sozialstaatlichen Grundsiche-
men skizzierte Strengmann-Kuhn als
rungsmodellen in Deutschland sein
eine Art Vorschuss des Staates, der je-
könnte.
weils am Ende eines Jahres – je nach
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Leistungsfähigkeit – steuerlich verrech-
sieht darin durchaus eine vernünftige
net wird: Vielverdiener müssen das
Alternative zum gegenwärtigen So-
Geld dann zusammen mit den Steuern
zialversicherungssystem. Die vielfäl-
komplett zurückzahlen, Geringverdie-
tigen Konzepte eines bedingungslosen
ner zahlen nur einen Teil und Einkom-
Grundeinkommens basierten jenseits
menslose überhaupt nichts zurück. Auf
aller Unterschiede auf der Kernidee,
diese Weise sei für jeden Menschen in
dass jeder Mensch ein Recht auf Teilha-
sämtlichen Lebenslagen eine stabile
be an der Gesellschaft habe; um aber
Grundsicherung
überhaupt am gesellschaftlichen Leben
durch eine gesicherte Lebensplanung
partizipieren zu können, müsse er über
mit erheblich größerer Selbstbestim-
ein bestimmtes Einkommen verfügen.
mung möglich werde als bisher. Es gehe
Und die einfachste Möglichkeit dieser
also nicht darum, das gesamte jetzige
Grundabsicherung sei eben ein monat-
Sozialsystem zu ersetzen, sondern mit
liches festes Einkommen, das jeder
einem Grundeinkommen einen festen
Mensch vom Staat erhält: als gesetz-
Boden der Existenzsicherung zu schaf-
liches Anrecht und ohne irgendeine
fen. Hier sieht Strengmann-Kuhn einen
Bedingung. Dadurch könne niemand
entscheidenden Unterschied zu den
mehr durch das soziale Netz fallen und
Hartz IV-Regelungen, bei denen viele
die gesellschaftliche Teilhabe der Men-
Menschen das Gefühl hätten, ihnen
schen sei gesichert. Teilhabe umfasst
werde der Boden unter den Füßen weg-
nach Strengmann-Kuhn drei gleich
gezogen.
gewährleistet,
wo-
52
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Ein wesentliches Ziel des bedin-
mut“: So kann davon ausgegangen
gungslosen Grundeinkommens ist nach
werden, dass etwa zwei Millionen Er-
seiner Auffassung, den Menschen ein
werbstätige mit berechtigtem Anspruch
stärker selbstbestimmtes Arbeiten zu
ihre Leistungen nicht beantragen. Für
ermöglichen. Gesellschaftlich notwen-
all diese Menschen, die in prekären
dige Arbeit sei insgesamt genug vor-
oder manifesten finanziellen Notla-
handen. Da sich die Arbeitswelt und
gen leben, würde ein bedingungsloses
das Wesen der Erwerbsarbeit jedoch
Grundeinkommen eine sichere finan-
strukturell verändert hätten und auch
zielle Grundlage schaffen. Strengmann-
weiter verändern würden, müsse man
Kuhn erinnerte daran, dass alle Men-
die soziale Sicherung so konzipieren,
schen eine bestimmte Menge Geld
dass die Menschen die sozial notwendi-
zum Leben bräuchten – und es sei doch
ge Arbeit auch ergreifen können. Denn
kaum möglich bzw. äußerst zweifel-
ein großer Nachteil des gegenwärtigen
haft, Menschen von diesem Existenz-
Systems liegt für ihn im grundsätzli-
minimum unter Androhung von Sank-
chen Ausschluss bestimmter Personen-
tionen bzw. durch die Kürzung von
gruppen von Transferleistungen, wie
Transferleistungen auszuschließen.
z.B. Studierende, die trotz überschrit-
Dr. Rolf Schmachtenberg vom Bun-
tener Regelstudienzeit einen Zweitstu-
desministerium für Arbeit und Soziales
diengang absolvieren möchten, oder
verwies zunächst darauf, dass Streng-
Eltern, die sich lieber um ihre Kinder
mann-Kuhns Modell von den üblichen
kümmern statt erwerbstätig zu sein.
Konzepten
eines
bedingungslosen
Auch angesichts der Ergebnisse des
Grundeinkommens abweicht, da es auf
zweiten Armuts- und Reichtumsberichts
einem Ansatz aktiver Teilhabe beruht
hält Strengmann-Kuhn die Einführung
und
eines bedingungslosen Grundeinkom-
Maßnahmen vorsieht. Die meisten
mens für den richtigen Weg: 2007 be-
Verfechter würden jedoch eine einfache
zogen in Deutschland etwa fünf Mil-
Form dieses Modells vertreten, das sich
lionen Menschen ALG II, zehn Millio-
vom Ziel der gesellschaftlichen Teil-
nen Menschen zählten als arm und
habe weit entferne. Und dann sei doch
ungefähr eine Million Erwerbstätige
fraglich, ob es wirklich vorrangig um
benötigten wegen ihres unzureichen-
ein selbstbestimmtes Leben geht – er
den Erwerbseinkommens zusätzliche
befürchte vielmehr, dass einige dieser
Transferleistungen vom Staat. Hinzu
Konzepte auch darauf abzielten, in der
kommt dann noch die „verdeckte Ar-
Volkswirtschaft aus Sicht der Arbeit-
weitere
arbeitsmarktpolitische
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
53
geber „nicht mehr verwendbare Men-
berücksichtigt wird: Angehörige einer
schen zum Billigtarif abzuschieben“.
solchen Bedarfsgemeinschaft erhalten
Entscheidend sei doch die grund-
demnach entsprechend weniger bzw.
sätzliche Frage, in welcher Gesellschaft
gar keine sozialstaatliche Hilfe, da sie
wir eigentlich leben wollen, welches
wie gemeinsam lebende Ehepaare be-
Selbstbild wir von uns und unserem
handelt werden, die zu gegenseitiger
Zusammenleben haben. Gegenwärtig
Hilfeleistung verpflichtet sind.
dominiere in unserer Gesellschaft die
Ein Problem sei dabei, dass bei Be-
Grundeinstellung, dass wir in Aus-
darfsgemeinschaften aus mehreren
tauschbeziehungen leben, nach einem
Erwachsenen mit ihren Kindern die
Prinzip von Geben und Nehmen. An
finanziellen Lasten sehr ungleich zwi-
diesem Prinzip sei auch die – im Zuge
schen Verheirateten und Unverheira-
der Hartz-Reformen eingeführte –
teten geregelt sind. Während z. B.
„Grundsicherung für Arbeitsuchende“
verheiratete Paare mit hohem Einkom-
(ALG II) ausgerichtet: Das Recht jedes
men eines Partners vom Ehegatten-
Menschen auf soziale Teilhabe wird
splitting stark profitieren, können Ehe-
mit Pflichten verbunden und an Be-
paare mit zwei niedrigen Einkommen
dingungen geknüpft. Daraus folgten
daraus keine Vorteile ziehen. Anderer-
Regelungen, die in gesetzeskonformer
seits stehen sie aber bei der Berechnung
Vorgehensweise durchgesetzt werden
von Sozialleistungen schlechter da als
müssten. Problematisch sei dabei aller-
nichteheliche Partnerschaften, soweit
dings, dass viele dieser Regelungen auf
diesen keine Bedarfsgemeinschaft nach-
Voraussetzungen aufbauen, die sehr
zuweisen ist. Daher ergebe sich eine
genau betrachtet werden müssen.
schwierige Gemengelage. Um soziale
Schmachtenberg demonstrierte die-
Ungerechtigkeiten zu vermeiden, müs-
se Problematik am Beispiel der soge-
se man sich auf die Stellung der Ehe im
nannten „Bedarfsgemeinschaft“. Die-
Grundgesetz beziehen, sonst gelte: Wer
sem Konstrukt liegt die Annahme zu-
heiratet (und damit Verantwortung für
grunde, dass Personen, die mit einem
den Partner übernimmt) hat das Nach-
Lebenspartner oder Verwandten in ei-
sehen – es sei denn, er verdient relativ
nem Haushalt leben, sich in Notlagen
viel, so dass er vom Ehegattensplitting
gegenseitig materiell unterstützen und
massiv profitiert.
ihren Lebensunterhaltsbedarf gemein-
Zahlreiche ähnliche Probleme wären
sam decken, was bei der Berechnung
noch zu nennen. Schmachtenberg ver-
einer erforderlichen Grundsicherung
wies auf die Komplexität des Systems
54
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
staatlicher Transferleistungen sowie auf
rung der Grundsicherung für Arbeit-
die Tatsache, dass viele der darin ent-
suchende, also in 2005, eindeutig ihr
haltenen Regelungen und Bedingun-
Maximum erreicht: Nie seien in Summe
gen hinterfragt werden müssten. Wohl
mehr Sozialleistungen an diese Perso-
deshalb erscheine auch vielen Bürge-
nengruppe ausgezahlt worden als in
rinnen und Bürgern das Bürgergeld
diesem Jahr. Die Tatsache, dass Perso-
bzw. Grundeinkommen sehr attraktiv,
nen ihnen zustehende Leistungen trotz
weil es als einfaches „Bierdeckelkon-
bestehenden Anspruchs nicht beantra-
zept“ schnell zu erklären und leicht zu
gen, komme inzwischen seltener vor
verstehen sei. Doch diese Konzepte
als im alten System; insoweit habe die
staatlicher Grundsicherung seien in der
Einführung der Grundsicherung für
Regel zwar einfach strukturiert, aber
Arbeitsuchende zum Abbau verschämter
deshalb noch lange nicht dazu geeig-
Armut beigetragen, sinnvolle Abhilfe
net, eine bessere gesellschaftliche Inte-
könnten darüber hinaus nur bessere
gration zu erreichen.
Informationen und Aufklärung über
Nach Auffassung von Schmachten-
dieses Thema schaffen. Dagegen be-
berg ist das bedingungslose Grundein-
trachte er es als großes Problem, dass
kommen keine angemessene Antwort
gegenwärtig so viele Menschen trotz
auf die problematischen Folgen des
Vollzeitbeschäftigung zusätzliche Hil-
Strukturwandels der Arbeitswelt. Viel-
feleistungen in Anspruch nehmen
mehr sieht er bei den Befürwortern eine
müssten. Da stimme etwas Grundsätz-
Art „Ausweichreaktion“, da sie sich sei-
liches nicht.
nes Erachtens den bestehenden zentra-
Sanktionen bei der Verteilung von
len Verteilungskonflikten in der Gesell-
Sozialleistungen hält Schmachtenberg
schaft nicht stellen. Er plädierte für eine
für unverzichtbar, um eine dauerhafte
grundlegende Lösung der Konflikte,
Integration in den Arbeitsmarkt zu si-
statt ihre Auswirkungen durch Alimen-
chern: Die zuständigen Fallmanager
tierung zu entschärfen.
und Arbeitsvermittler vor Ort würden
Zu Strengmann-Kuhns Ausführun-
immer wieder die Bedeutung von Sank-
gen über das Ausmaß der Armut in
tionsdrohungen bestätigen, ohne die
Deutschland merkte Schmachtenberg
bei bestimmten Personengruppen kei-
an: Auch wenn die relative Armut in
nerlei Verhaltensänderungen herbei-
den letzten Jahren gestiegen sei, hätten
geführt werden könnten.
die Transferleistungen für Erwerbsfähi-
Schmachtenberg wies zudem darauf
ge in Deutschland im Jahr der Einfüh-
hin, dass die Verschärfungen im Sank-
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55
tionenrecht zum 1. Januar 2007 von
und damit einer grundsätzlichen Pro-
der Mehrheit des Bundestages – auch
blemlösung näherkommen.
auf Drängen der Länder – eingeführt
Natürlich sei das der schwierigere,
wurde und somit nun politische Wirk-
weil differenziertere Weg. Viel einfacher
lichkeit sei. Er erinnerte daran, dass
sei da doch die Forderung, allen ein
solche Entscheidungen in einer parla-
bisschen Geld zu geben. Oft würde
mentarischen Demokratie von poli-
gegen Konzepte eines bedingungslosen
tischen Mehrheiten getroffen werden,
Grundeinkommens das Finanzierungs-
die aus Wahlen hervorgegangen sind.
problem als „Totschlagargument“ ein-
Anschließend betonte er den wich-
gesetzt. Er dagegen halte ein – allerdings
tigen Stellenwert arbeitsmarktpoliti-
– niedriges Grundeinkommen durch-
scher Maßnahmen: Noch diskutiere
aus für finanzierbar. Die viel wichtigere
man in Deutschland viel zu wenig die
und letztlich entscheidende Frage sei
entscheidenden Faktoren zur Schaf-
doch, ob eine auf bedingungslosem
fung von mehr Beschäftigung, z.B. die
Grundeinkommen beruhende Gesell-
Zinsentwicklung oder die Einkommens-
schaft mit ihren sozialen Implikatio-
entwicklung aus Vermögen bzw. die
nen überhaupt anstrebenswert sei. Er
benachteiligte Position derer, die für
jedenfalls sei fest davon überzeugt, dass
Investitionen Kredite aufnehmen. Auch
die Mehrheit der Deutschen eine solche
seien die Investitionen in eine zu-
Gesellschaft nicht wolle – und zwar aus
kunftsfähige Infrastruktur – z.B. in
gutem Grund.
Bildung und Kindergärten – noch viel
Dagegen hält Gabi van Dyk das
zu gering. Über solche Maßnahmen
Grundeinkommen vor allem aus zwei
könnte man Beschäftigung schaffen
Gründen für ein sehr gutes sozialpoli-
56
tisches Instrument: Erstens wäre dadurch die Stigmatisierung großer Bevölkerungsgruppen (als ALG II- oder Lei-
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Modellprojekt Bürgerarbeit –
ein Weg zu mehr gesellschaftlicher
Teilhabe?
stungsempfänger) beseitigt. Und zweitens könnte der bürokratische Aufwand
Sylvia Kühnel, Mitarbeiterin der Bun-
zur Verwaltung der Transferleistungen
desagentur für Arbeit in der Regional-
massiv abgebaut werden, z.B. durch
direktion Sachsen-Anhalt-Thüringen,
den Wegfall der Bedürftigkeitsprüfun-
stellte das Modellprojekt Bürgerarbeit
gen und der komplizierten Errechnung
vor. Mit dieser Maßnahme soll ein
von Versicherungsleistungen. In der
neuer Weg beschritten werden, um
Folge könnte in den öffentlichen Insti-
Langzeitarbeitslose wieder in Beschäf-
tutionen ein großes Kräftepotenzial
tigung zu bringen. Bürgerarbeit ist dabei
freigesetzt werden, das dann verstärkt
ausschließlich für jene Arbeitslosen
für die Begleitung der verschiedenen
gedacht, für die auf dem gegenwärtigen
Gruppen in den Arbeitsmarkt eingesetzt
Arbeitsmarkt keine bzw. nur äußerst
werden könnte. Allerdings ergänzte sie,
geringe Vermittlungschancen bestehen.
dass ein bedingungsloses Grundein-
In Kühnels Zuständigkeitsbereich – den
kommen erst dann die gewünschten
Ländern Sachsen-Anhalt und Thürin-
positiven Auswirkungen haben könne,
gen – liegt der Anteil dieser schwer
wenn die nächste Generation mit einem
Vermittelbaren unter den Arbeitslosen
neuen Weltbild und einer anderen
mittlerweile deutlich über 40 Prozent.
Vorstellung von Arbeit herangewachsen
Da der Markt dieses Problem offensicht-
ist. So stelle sich die Frage nach der
lich nicht mehr lösen könne, werde nun
Bedeutung von Arbeit doch ganz
nach neuen Mitteln und Wegen ge-
anders, wenn bereits im frühen Kindes-
sucht.
alter über Erziehung, Bildung und Ak-
Das Pilotprojekt beruht auf der
tivierung eine individuelle Talentför-
Grundüberzeugung, dass die Bezahlung
derung betrieben worden sei. Arbeit
von Arbeit sinnvoller ist als die Finan-
werde dann nicht nur über Geld, son-
zierung von Arbeitslosigkeit. Kühnel
dern auch über Sinnhaftigkeit defi-
verdeutlichte die gegenwärtige proble-
niert.
matische Ausgangssituation, in der
Langzeitarbeitslose oft vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind und
in einen Teufelskreis der Untätigkeit ge-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
57
raten: Aufgrund der Transferleistungen
hin direkt eine Beschäftigung vermittelt
haben sie zwar genügend Geld zum
werden – rund 20 Prozent der Projekt-
Leben, sind aber zu Hause ohne gesell-
teilnehmer konnten sofort eine Arbeit
schaftlich sinnvolle Tätigkeit häufig
aufnehmen –, anderen, deren Arbeits-
sozial isoliert, was zahlreiche Folgepro-
marktnähe grundsätzlich noch gegeben
bleme mit sich bringe, wie z.B. Demo-
ist, wird zunächst eine Weiterqualifi-
tivation und Sinnkrisen bis hin zu ge-
kation oder Trainingsmaßnahme er-
sundheitlichen Problemen sowie dem
möglicht. Nur die „Arbeitsmarktfer-
Verlust von Qualifikationen und Fer-
nen“, also Arbeitslose, für die auch mit-
tigkeiten. Als großes Problem betrachtet
telfristig keine Beschäftigungschance
Kühnel dabei die Weitergabe dieser
erkennbar wird, erhalten ein Angebot
Passivität in den Familienverbänden,
für Bürgerarbeit. Ihnen wird eine ge-
indem viele Heranwachsende den Zu-
meinnützige Beschäftigung vermittelt,
stand der Arbeitslosigkeit quasi als
die allerdings auf keinen Fall mit dem
Normalzustand erlernen: Kinder leisten
ersten Arbeitsmarkt konkurrieren darf.
dann auch in der Schule nichts mehr,
Bei diesem Angebot werden die beruf-
weil sie wissen, dass sie am Ende wie
liche Vorgeschichte, die persönlichen
ihre Eltern dennoch genügend Geld
Kompetenzen und die Leistungsfähig-
zum Leben bekommen werden.
keit der Betreffenden berücksichtigt; so
Ausgehend von dieser Problemlage
ist z.B. nicht jeder dazu geeignet, im
wurde das System der Bürgerarbeit
sozialen Bereich für alte Menschen oder
konzipiert: Jeder Arbeitslose wird zu-
Behinderte tätig zu sein. Die Vermit-
nächst von der zuständigen Arbeits-
telten arbeiten dann wöchentlich etwa
1
agentur ARGE zu Gesprächen einge-
30 Stunden in Teilzeit, damit sie sich
laden, um eine individuelle Standort-
auch weiterhin auf dem ersten Arbeits-
bestimmung durchzuführen. Dazu ge-
markt bewerben können. Das Besondere
hört z.B. die Erfassung der bisherigen
dabei ist, dass es sich um eine sozial-
beruflichen Erfahrungen des Arbeitsu-
versicherungspflichtige Beschäftigung
chenden, seiner erworbenen Kompe-
mit Arbeitsvertrag handelt. Das Ein-
tenzen und bereits gestarteten Bewer-
kommen liegt bei durchschnittlich 800
bungsaktivitäten. Einigen kann darauf-
Euro, was einem Stundensatz von etwa
1
ARGE: Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur und der Kommune, um Arbeitslose nach SGB II in
Jobcentern oder Leistungszentren zu betreuen.
58
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
sechs Euro entspricht.2 Kühnel berich-
ren und sich darin selbst verwirklichen,
tete, dass die Möglichkeit, „arbeiten zu
sie möchten von der Gesellschaft nicht
gehen“, vielen Menschen wieder Selbst-
nur nehmen, sondern auch geben.
bewusstsein und einen großen Motiva-
Durch diese ersten Erfahrungen mit
tionsschub gegeben habe. Und dies sei
dem Modell der Bürgerarbeit sah Dr.
auch das Hauptziel des Projekts: Die
Strengmann-Kuhn die Argumentation
Menschen sollen durch Arbeit wieder
der Grundeinkommensbefürworter
das Gefühl bekommen, etwas wert zu
bestärkt. Ähnliches höre man auch aus
sein und sich aktiv in die Gesellschaft
anderen Bundesländern und regiona-
integrieren zu können. Kühnel berich-
len Arbeitsagenturen. Man könne an
tete weiter, dass sich nur etwa zwei
diesem Beispiel sehr gut sehen, dass die
Prozent der Betroffenen dem Angebot
Menschen grundsätzlich zur Arbeit
der Bürgerarbeit total verweigerten – in
motiviert sind.
diesen Fällen hätte man dann allerdings auch mit Sanktionen – sprich: der
Kürzung von Transferleistungen – reagieren müssen. Insgesamt hätten die
bisherigen Erfahrungen aber gezeigt,
dass Bürgerarbeit sehr gut angenommen
Kooperation von privaten
und öffentlichen Trägern –
neue Chancen zur
Arbeitsmarktintegration?
werde und die Menschen motiviert
seien. Deshalb könne sie auch mit gro-
Gabi van Dyk, bei der Firma „Jobkon-
ßer Wahrscheinlichkeit sagen, dass die
takt“ im Projekt „Vermittlungswerk“
Mehrheit der Langzeitarbeitslosen ein
tätig, schilderte Erfahrungen aus der
bedingungsloses Grundeinkommen
privaten Arbeitsvermittlung. Ein Projekt
zwar begrüßen würde, aber dennoch
von Jobkontakt zielt darauf ab, Lang-
weiterhin arbeiten wolle, was Kühnel
zeitarbeitslose über das Instrument der
folgendermaßen begründete: Die meis-
Zeitarbeit wieder in den ersten Arbeits-
ten Menschen möchten etwas leisten,
markt zu integrieren. Van Dyk betonte,
über ihre Arbeit Wertschätzung erfah-
dass dieses Instrument nicht für alle
2
Gegenwärtig wird das Projekt aus Mitteln für die Arbeitsmarktpolitik der Agenturen für Arbeit und
ARGEn sowie aus Mitteln des ESF (Europäischer Sozialfonds) des Landes Sachsen-Anhalt finanziert.
Für die Zukunft ist geplant, die Finanzierung über zwei Quellen sicherzustellen: Mittel für die aktive
Arbeitsmarktförderung sollen mit Mitteln der passiven Leistungen für die Sicherung des Lebensunterhalts (ALG I und II, Kosten für Unterkunft und Heizung) kombiniert werden.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
59
Zielgruppen geeignet ist, da die Be-
nen, werde er auch in der Lage sein,
darfe in den Berufssparten jeweils sehr
seine Potenziale zu entfalten und seine
unterschiedlich seien. Grundsätzlich
Ziele zu erreichen. Bei der ganzen De-
müsse für jede Gruppe das passende
batte über die richtigen arbeitsmarkt-
Instrument bzw. Projekt gefunden wer-
politischen Instrumente dürfe man
den.
niemals vergessen, dass es dabei um
In der Öffentlichkeit werde viel über
die richtigen arbeitsmarktpolitischen
Menschen gehe, die eine aktive individuelle Begleitung bräuchten.
Instrumente debattiert, wie die Men-
Van Dyk hob hervor, dass – bei allen
schen wieder in Beschäftigung gebracht
Unterschieden in den Arbeitsansätzen
werden können – ob mit Mindestein-
– eine enge Kooperation zwischen der
kommen, Kombilöhnen, Grundein-
Firma Jobkontakt und der Arbeit der
kommen oder Bürgerarbeit. All diese
ARGEn bestehe. Bei der Zusammenar-
Konzepte führen ihrer Ansicht nach
beit in konkreten Projekten könnten
aber nicht weiter, wenn man bei der
die unterschiedlichen Kompetenzen
Entwicklung konkreter Projekte nicht
genutzt werden. Erklärtes Ziel ist es,
den betroffenen Menschen in den Mit-
die Arbeitsmarktchancen einer ganzen
telpunkt stellt.
Region zu verbessern, indem Kompe-
Genau dies sei der Fall beim Netz3
tenzen gebündelt und gemeinsame
werk „Lebensunternehmer eG“ , in dem
Projektangebote von öffentlichen und
van Dyk ebenfalls aktiv ist. Die Philo-
privaten Jobagenturen generiert wer-
sophie dieser Initiative stelle den Men-
den.
schen ins Zentrum und basiere auf
Wichtig bei der Arbeit von Jobkon-
einem grundsätzlich positiven Men-
takt ist, dass in den ersten Beratungs-
schenbild, das auf der Annahme basie-
gesprächen nicht die berufliche Vergan-
re, dass der Mensch von Natur aus gut
genheit thematisiert wird, um zu ver-
sei. Wenn man ihm also dabei helfe,
meiden, dass sich die Arbeitsuchenden
seine Talente und Fähigkeiten zu erken-
immer wieder mit ihrem bisherigen
3
Die Genossenschaft „Lebensunternehmer eG“ wurde im Oktober 2006 in Berlin von Repräsentanten
verschiedener Bildungseinrichtungen, Unternehmen und Verbände gegründet. Die damit verbundene
weltweite „Initiative Lebensunternehmer“ verfolgt das Ziel, das vorhandene Bildungssystem, das in
dieser Perspektive auf die Vermittlung von Wissen ausgerichtet ist, durch ein Kompetenzen-Bildungssystem zu ergänzen. „Lebensunternehmer eG“ bietet Trainings- und Ausbildungsprogramme an, in
denen die Menschen Schlüsselkompetenzen erwerben können, die ihnen dabei helfen sollen, zu
„Unternehmern ihrer eigenen Potenziale“ zu werden.
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F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Scheitern konfrontiert sehen. Im Rah-
Funktion, Tätigkeit oder Orientierung
men dieser Vermittlungscoach-Metho-
habe. Auf dieser Grundlage könne man
de lautet die erste Frage: Wenn Sie alle
dann gemeinsam mit Wirtschaftspart-
Wünsche frei hätten, wo würden Sie
nern nach einer Aktivität suchen, bei
sich in fünf Jahren sehen – und wo
der verschiedene Instrumente gebün-
sehen Sie Möglichkeiten, diese Wün-
delt werden und die sich frei finanziert
sche zu realisieren? Van Dyk erläuterte,
entwickeln darf – unabhängig von fes-
dass man über diese Frage dann auto-
ten Strukturen, aber unter Einbindung
matisch über die Bearbeitung der „Stol-
bestehender Möglichkeiten, z.B. der
persteine“ zu denkbaren Möglichkeiten
Sozialgesetzgebung. Dies sei deshalb so
komme, diese Hindernisse zu überwin-
wichtig, weil sich dadurch eine unbe-
den und seine Ziele zu erreichen: Was
grenzte Gestaltungsfähigkeit ergebe und
kann man konkret dafür tun, um eine
gleichzeitig jeder mit ins Boot kommen
Arbeit zu finden, die einem wirklich
könne, der sich aktiv beteiligen möchte.
Spaß macht? Nach dieser Methode
Moderator Peter Laudenbach ver-
kommt der Hilfesuchende schrittweise
wies auf wichtige Unterschiede in
von der Wunschvorstellung zur Akti-
Selbstverständnis und Vorgehensweise
vität, um sein Ziel zu verfolgen; das
von öffentlichen und privaten Arbeits-
kann eine Selbstständigkeit sein oder
agenturen. Private Arbeitsvermittler,
ein Arbeitsplatz auf dem ersten Ar-
wie z.B. die „Job-City-Points“ der „Le-
beitsmarkt, eine Zeitarbeit oder eine
bensunternehmer“, hätten ein ganz
Cluster-Arbeit in verschiedenen Tätig-
anderes Bild von ihrer Tätigkeit und
keiten.
ihrem Gegenüber: Es gehe um mögliche,
Ein großer Vorteil für das Projekt sei
nachgefragte Dienstleistungen, die der
es, so van Dyk, dass der Bundesverband
Betroffene auf dem (Arbeits-)Markt
Wirtschaftsförderung und Außenwirt-
anbieten könnte. Er werde nicht als
schaft dieses Konzept mittrage und
Arbeitsloser unter Androhung von
Social Sponsoring über Wirtschafts-
Leistungsentzug in ein Amt bestellt,
unternehmen stattfinde. Inzwischen
sondern wende sich als Kunde an ein
hätten sehr viele Unternehmen erkannt,
Beratungsgeschäft mit dem Anliegen,
wie unglaublich wichtig es sei, „am
Hilfestellung bei seiner Integration in
Menschen zu bleiben“ – ob es sich nun
den Arbeitsmarkt zu bekommen. Lau-
um einen Beschäftigten handle oder
denbach verdeutlichte die Differenz
um einen Menschen, der gerade keine
zwischen den früheren Arbeitsämtern,
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
61
die in bürokratischen Verfahren offene
Einführung der zugelassenen kommu-
Stellen zuteilten, und diesen neuen Ver-
nalen Träger. Die dadurch entstande-
mittlungsunternehmen, die den Kun-
nen, neuen Strukturen seien allerdings
den durch aktive Leistungen, wie z.B.
noch lange nicht konsolidiert. So gäbe
Coachingmethoden, auf dem Weg in
es z.B. in den Arbeitsgemeinschaften
die Arbeit unterstützen möchten. Wer-
(ARGEn) selbst einen hohen Anteil an
den hier also die Mechanismen des
befristet Beschäftigten mit unklarer
Marktes und des Wohlfahrtsstaates
beruflicher Perspektive, was teilweise
produktiv miteinander verbunden?
zu Motivationseinbußen der Mitarbei-
Dr. Rolf Schmachtenberg begrüßte
ter und mangelnder Kontinuität der
diese jetzt möglich gewordene Zusam-
Arbeit führe. Auch bestehe bei vielen
menarbeit von privaten und staatlichen
dieser Mitarbeiter noch erheblicher
Trägern. Mit den Arbeitsmarktrefor-
fachlicher Qualifizierungsbedarf, z.B.
men seien erhebliche Veränderungen
beim Fallmanagement. Das Feld der
in der Verwaltung einhergegangen, ganz
privaten Anbieter könne sich bundes-
tiefgreifend seien sie im Bereich der
weit aber durchaus unterschiedlich
„Grundsicherung für Arbeitsuchende“
entwickeln; eine Einschränkung oder
ausgefallen – und zwar durch die Bil-
Normierung durch Gesetze und Ver-
dung der gemeinsamen Verwaltung von
ordnungen sei nicht geplant. Bewusst
Kommune und Agentur für Arbeit (Ar-
habe man eine sogenannte Deckungs-
beitsgemeinschaften) sowie durch
fähigkeit zwischen den Mitteln für
62
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Personal und den Mitteln für die Be-
feld in einer Stadt. Die jeweilige Per-
auftragung Dritter eingerichtet, um zu
sonengruppe wird dann in ihren beruf-
ermöglichen, dass einerseits gutes ei-
lichen und sozialen Belangen durch
genes Personal bei den ARGEn aufge-
einen Dritten betreut, wobei die Pro-
baut wird und andererseits relativ viele
zessergebnisse regelmäßig zu den An-
Dienstleistungen an Dritte vergeben
sprechpartnern in der ARGE rückge-
werden können.
koppelt werden. Solche Wege seien jetzt
Allerdings wäre es nach Auffassung
möglich und könnten sich noch weiter
von Schmachtenberg besser, wenn die
entwickeln. In diesem Bereich sei der
ARGEn Aufträge an Dritte über längere
gesetzliche Rahmen noch lange nicht
Zeiträume vergeben würden. Bisher
ausgeschöpft.
wurden häufig nur kleinere Aufträge
Dahinter stehe das Ziel, bei der
erteilt, was offensichtlich viele Schnitt-
Vermittlung von Erwerbslosen in den
stellenprobleme mit sich brachte. So
Arbeitsmarkt personenbezogene Dienst-
wurden in einer Phase des „Profiling“
leistungen von hoher Qualität auch in
bestimmte Teilunterstützungsleistun-
neuen Formen zu erbringen: insbeson-
gen – z.B. Beratungsgespräche mit den
dere durch die Weiterentwicklung der
Betroffenen – an Dritte vergeben. Die
neuen Verwaltungsformen, indem die
Ergebnisse dieser Phase seien dann zwar
Kompetenzen von Kommunen und
dokumentiert worden, doch die Mit-
Agenturen gebündelt werden. Aller-
arbeiter der weiter betreuenden Job-
dings würden in der Praxis noch zu oft
center hätten sie aus Zeitgründen häufig
sehr verschiedene Verwaltungskulturen
nicht gelesen. Aufgrund dieser schlech-
aufeinandertreffen, was zu Konflikten
ten Erfahrungen sollte die Auftragsver-
und ineffektiven Strukturen führen
gabe an Dritte künftig größere Zeit-
könne. Tatsächlich sei es eine große
räume umfassen.
Managementherausforderung, die be-
Die Bundesagentur arbeite bereits
trächtliche Lücke zwischen Theorie und
daran, die Kooperation mit Dritten zu
Praxis zu schließen. Schmachtenberg
verbessern und diese auch langfristiger
hält diese Probleme aber für überwind-
zu gestalten. So wurden für bestimmte
bar, zumal an der Beseitigung der De-
Zielgruppen gemeinsam Maßnahmen
fizite und Hindernisse intensiv gear-
entwickelt und durchgeführt, z.B. für
beitet werde. Natürlich müsse aber
Menschen mit Migrationshintergrund
immer berücksichtigt werden, dass bei
in einem bestimmten Alter und Berufs-
all diesen Maßnahmen auch auf die
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
63
Ausgaben für die öffentliche Hand ge-
fachlichen Weiterqualifizierung oder
achtet wird. Schmachtenberg verwies
an einem Training zur Stärkung ihres
auf ein Spannungsfeld: Die Dienstleis-
Selbstwertgefühls.
tungen müssen qualitativ hochwertiger
Dagegen wiederholte Dr. Schmach-
erbracht werden als früher und zugleich
tenberg noch einmal die grundsätzliche
sind bei der Verwendung öffentlicher
Bedeutung von Sanktionsmöglich-
Gelder bestimmte haushaltstechnische
keiten, ohne die sich manche Arbeits-
Regeln einzuhalten, die einen wirt-
losen – insbesondere in der Gruppe der
schaftlichen Mitteileinsatz sicherstellen
unter 25-Jährigen – einfach nicht ak-
sollen.
tivieren ließen.
Auch van Dyk sieht ein grundsätzliches Problem darin, dass viele der
Sind Sanktionen ein sinnvolles
Instrument, um Teilhabe am
Arbeitsmarkt zu erreichen?
Langzeitarbeitslosen häufig demotiviert
und lethargisch seien; in diesen Fällen
sei zur Aktivierung manchmal auch
Zwang notwendig. Dies müsse nicht
Dr. Strengmann-Kuhn kritisierte die
unbedingt eine finanzielle Sanktionie-
Sanktionsdrohungen im gegenwärtigen
rung sein, wie sie an einem Beispiel
System: Wer nicht bereit ist, die von der
erläuterte: Manche Projekte von Job-
Arbeitsagentur vorgesehenen Maßnah-
kontakt seien als Coachingprozess an-
men zu ergreifen, muss grundsätzlich
gelegt, bei dem sich die involvierten
mit Leistungskürzungen rechnen. Oft
Menschen gegenseitig betreuen und
genug seien diese Maßnahmen aber
reglementieren. Wenn z.B. eine Person
nicht auf den jeweiligen Einzelfall zu-
eine Zielvereinbarung nicht einhält
geschnitten und deshalb dann auch
und auf Dauer nicht aktiv wird, kann
wenig sinnvoll. Die Planung von Maß-
daraus folgen, dass sie an einer Maß-
nahmen und die Sanktionierung ihrer
nahme bzw. an einem Projekt nicht
Ablehnung müsse viel differenzierter
mehr teilnehmen darf. Zusätzlich kann
und fallspezifischer erfolgen: So bräuch-
dieser Ausschluss auch noch mit finan-
ten manche Empfänger von Transfer-
ziellen Sanktionen verbunden werden
leistungen z.B. gar keine Arbeitsvermitt-
oder zu Handlungsempfehlungen wie
lung, weil sie als bereits Erwerbstätige
z.B. Sucht- oder Schuldnerberatung
nur ergänzende Leistungen beziehen,
führen. Ganz wesentlich sei, Erwerbs-
andere hätten vielleicht Bedarf an einer
lose immer in einem aktiven Modus zu
64
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
halten, damit sie nicht untätig zu Hau-
öffentliches Geld aus Steuermitteln
se sitzen und der Gefahr massiver psy-
und Versicherungsbeiträgen – und jeder
chischer Probleme ausgesetzt sind.
Beschäftigte, der in diese Kassen ein-
Aufgrund der sehr unterschiedlichen,
zahlt, habe doch ein berechtigtes In-
individuellen Problemlagen brauche es
teresse an einer zweckentsprechenden
aber eine große Vielfalt an Aktivierungs-
Verwendung dieses Geldes. Sanktionie-
und Sanktionierungsmaßnahmen.
rung ist nach Kühnels Auffassung des-
Sylvia Kühnel stimmte van Dyk zu,
halb keine Drohung, sondern nur eine
dass nur eine differenzierte Vorgehens-
Möglichkeit, um die wirtschaftliche und
weise Erfolg versprechend sein kann.
sinnvolle Verwendung der von der
Auch die Arbeitsgruppen der Bundes-
Gesamtgesellschaft zu Verfügung ge-
agentur für Arbeit würden bereits für
stellten Mittel zu gewährleisten. Und
besondere Problemfälle die Methode
wer sich konsequent weigert, seinen
eines individuellen Fallmanagements
Beitrag für die Gesellschaft zu leisten,
einsetzen.
der müsse dann auch hinnehmen, dass
Schwierigkeiten habe sie allerdings
er finanzielle Einbußen hat oder z.B.
mit dem Begriff der Drohung im Zu-
nur einen Lebensmittelgutschein er-
sammenhang mit Sanktionierungs-
hält.
möglichkeiten. Schließlich gehe es um
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
65
Diskussion mit dem Publikum
Werden bei den Arbeitsmarktreformen
fangreichen Evaluationsberichte mit
wissenschaftliche Erkenntnisse ausrei-
Empfehlungen nicht gebührend be-
chend berücksichtigt?
achtet worden?
• Ein Teilnehmer verwies auf die zahl-
Dr. Rolf Schmachtenberg nannte für die
reichen Modellversuche, die seit
genannten Diskrepanzen zwei wesent-
vielen Jahren in Deutschland durch-
liche Gründe:
geführt werden und neue Formen der
Erstens sei es bis Anfang dieses Jahr-
Arbeitsmarktpolitik erproben, z.B.
zehnts politischer Konsens gewesen,
„MoZArT – Neue Strukturen für Jobs“
dass die Bundesagentur für Arbeit – wie
oder die Beschäftigungsförderung in
die anderen öffentlichen Verwaltungen
Kommunen. Auch habe es schon
– Personal abbauen muss, unabhängig
einige Jahre vor der Hartz-Gesetzge-
von der Höhe der Arbeitslosigkeit. Zu-
bung umfangreiche Erfahrungen mit
sätzliches Personal sei daher anfangs
der Zusammenlegung von Arbeitslo-
schlichtweg nicht durchsetzbar gewe-
sen- und Sozialhilfe gegeben. Eben-
sen. Diese Entwicklung sei im Verlauf
falls sei bekannt gewesen, dass für
der Reformen stufenweise und teilwei-
individuelles Fallmanagement eine
se etwas abrupt geändert worden. We-
ausreichende Ausstattung mit quali-
sentliche Ursache sei die Auseinander-
fiziertem Personal unabdingbar ist.
setzung zwischen verschiedenen poli-
Warum seien also bei der Umsetzung
tischen Interessen: Auf der einen Seite
der Arbeitsmarktreformen die um-
stehe die Forderung, öffentliche Ver-
66
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
waltung bzw. staatliche Aufgaben mög-
manchmal tausende Arbeitsplätze
lichst klein zu halten und Steuern zu
durch Betriebsschließungen und Per-
sparen, auf der anderen Seite sehe man
sonalabbau im Öffentlichen Dienst
die Notwendigkeit einer Aufstockung
verloren. Indem man diese Entwick-
der Ressourcen. Angesichts dieser kom-
lungen zuließe bzw. ihnen nichts
plizierten Aushandlungsprozesse gehe
Wirkungsvolles entgegensetze, pro-
es hier deshalb häufig nur schrittweise
duziere man die Langzeitarbeitslosen
voran.
von morgen.
Zweitens bestehe in Deutschland
historisch bedingt ein hoch komplexes,
Rolf Schmachtenberg stimmte prinzi-
föderales System, das die Verwaltungs-
piell zu, dass noch viel zu wenig über
kompetenzen zwischen Bund, Länder
strukturelle Fragen des Arbeitsmarktes
und Kommunen aufteilt. Dies habe eine
diskutiert werde, z.B. in welchen Be-
sehr komplizierte Verwaltungsstruktur
reichen Arbeitsplätze entstehen und in
zur Folge, in der aufgrund komplexer
welchen sie wegfallen. Es sei dringend
Abstimmungsprozesse nicht alle Emp-
nötig, diese Prozesse auf dem Arbeits-
fehlungen eins zu eins umgesetzt wer-
markt genauer zu analysieren und zu
den könnten. Jede Gruppe versuche,
diskutieren. Er nannte dazu einige
ihre Interessen durchzusetzen und am
Stichpunkte: die zunehmende Alterung
Ende komme ein Kompromiss heraus.
der Gesellschaft infolge des demografischen Wandels, den wachsenden
Wird in der öffentlichen Debatte die
Dienstleistungssektor sowie die teil-
strukturelle Dimension der Arbeitslo-
weise sehr schlecht bezahlten Tätig-
sigkeit vernachlässigt?
keiten im Pflegebereich, die gesellschaftlich zwar eine zunehmend wichtige
• Kritisiert wurde die Individualisie-
Rolle spielen, aber aufgrund geringer
rung des Problems der Arbeitslosig-
Entlohnung häufig nur noch von Aus-
keit: Bei der Thematisierung und
ländern übernommen werden.
Bekämpfung
von
Arbeitslosigkeit
würden vorrangig Individuen und
Wo werden Defizite der gegenwärtigen
ihre Probleme in den Blick genom-
Arbeitsmarktreformen gesehen?
men, nicht jedoch die strukturellen
Defizite. Ausgeblendet würden dabei
• Es wurde die Auffassung vertreten,
die Ursachen der Langzeitarbeitslo-
dass die Leistung ALG II im Rahmen
sigkeit. Täglich gingen hunderte,
der Grundsicherung für Arbeitsu-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
67
chende genauso wenig aktivierende
Entscheidungen sowie eine Frage der
Funktionen habe wie das bedingungs-
Mittel, die für diesen Bereich zur Ver-
lose Grundeinkommen. Über beide
fügung stehen.
Systeme seien die Menschen zwar
grundgesichert, aber letztlich ruhiggestellt.
• Aus dem Publikum kam der Hinweis,
dass die grundsätzliche Arbeitsbereitschaft der Menschen sich auch
Auch Schmachtenberg betrachtet die
darin gezeigt habe, dass sie sich um
Aktivierung noch als unzureichend.
die Ein-Euro-Jobs regelrecht gerissen
Allerdings wies er darauf hin, dass es
hätten. Ein Problem liege aber in der
2006 im SGB II schon 3,1 Millionen
niedrigen Integrationsquote der Ein-
Abgänge aus der Arbeitslosigkeit ge-
Euro-Jobs: Nur sehr wenige Menschen
geben hat – mehr als Zugänge! – und
hätten über diesen Weg eine Beschäf-
davon konnten 26 Prozent eine regu-
tigung im ersten Arbeitsmarkt ge-
läre Beschäftigung antreten. Das seien
funden, obwohl dies doch das we-
schon erste Erfolge, auch wenn hier
sentliche Integrationsinstrument des
natürlich noch mehr passieren müsse.
SGB II sei.
• Ein Teilnehmer meinte, die Zusam-
Schmachtenberg widersprach: Nach
menlegung von Arbeitslosenhilfe und
Auffassung des Bundesministeriums sei
Sozialhilfe sei im Prinzip zu befür-
das Instrument des Ein-Euro-Jobs gera-
worten, weil die Sozialhilfeempfän-
de nicht als Integrationsmaßnahme in
ger nun auch in den Genuss von
den ersten Arbeitsmarkt gedacht, son-
Vermittlungsbemühungen kommen.
dern als Ultima Ratio, wenn keine realen
Zu kritisieren sei jedoch die damit
Vermittlungsmöglichkeiten mehr gese-
verbundene reale Absenkung der Re-
hen werden. Genauso stehe das auch
gelleistungen.
im Gesetz. Geringe Eingliederungsquoten von Zusatzjobs dieser Art seien
Schmachtenberg erläuterte, dass der
innerhalb des Gesamtkonzepts durch-
Regelsatz für die Existenzsicherung ei-
aus konsistent. Werde hingegen eine
nerseits auf eine bestimmte Weise
Integrationsstrategie verfolgt, dann sei
festgelegt werde – mit Hilfe von Stati-
nicht ein Zusatzjob das Mittel der Wahl,
stiken und wissenschaftlichen Verfah-
sondern eher eine Qualifizierung, ein
ren. Andererseits sei die Höhe des Re-
Training, ein Praktikum oder eine kon-
gelsatzes aber auch Ergebnis politischer
krete Vermittlungshilfe.
68
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
• Es wurde darauf hingewiesen, dass in
erhafte Integration in den Arbeits-
einem Gutachten des Wissenschaft-
markt könne mit diesem Instrument
lichen Beirats vom Bundesministeri-
also nicht erreicht werden. So müsse
um für Wirtschaft und Technologie
der Eindruck entstehen, es gehe den
vom Juni 2002 in Vorbereitung zu
Arbeitsämtern vor allem um eine
Hartz IV schon empfohlen worden
Schönung der Arbeitslosenstatistik
sei, die Sozialleistungen abzusenken.
bzw. eine Erhöhung ihrer Leistungs-
Diese Empfehlung habe die Politik
bilanz, indem die Menschen als ver-
dann mit den Arbeitsmarktreformen
mittelt gelten.
bzw. den Hartz IV-Gesetzen umgesetzt.
Die Erfassung der Vermittlungsdauer
sei tatsächlich lange Zeit ein Datenpro-
Schmachtenberg betonte, dass Politiker
blem gewesen, so Rolf Schmachtenberg.
keine Erfüllungsgehilfen der Wirt-
Bisher fehlten die langlaufenden Daten
schaftsexperten sind, sondern ihre
zu Erwerbsverläufen, doch inzwischen
Entscheidungen in eigener Verantwor-
habe die Bundesagentur für Arbeit eine
tung treffen. So habe z.B. der Sachver-
entsprechende Datensammlung in an-
ständigenrat im letzten Herbst erneut
onymisierter Form aufgebaut. Deshalb
vorgeschlagen, die Sozialleistungen um
könne jetzt auch die Langzeitwirkung
30 Prozent zu senken – und die Politik
von Qualifizierungsmaßnahmen gemes-
habe diese Empfehlung des hochran-
sen werden, wodurch sich bereits gezeigt
gigen Gremiums nicht umgesetzt.
habe, dass Weiterbildung perspekti-
• Ein Teilnehmer vertrat die Ansicht,
bietet, um wieder in den Arbeitsmarkt
visch in der Regel sehr gute Chancen
dass Zeitarbeit die Probleme am Ar-
hineinzukommen.
beitsmarkt nicht dauerhaft lösen
könne. Die befristet Beschäftigten,
die von Zeitarbeitsfirmen an Unternehmen vermittelt werden, müssten
Skandinavische Länder:
Vorbild für Deutschland?
sich mit großem Aufwand für einen
kurzen Zeitraum einarbeiten, um
• In einer Wortmeldung wurde die
danach wieder arbeitslos zu sein.
Vorbildwirkung der skandinavischen
Darunter leide nicht nur die Motiva-
Länder betont: So sei man z.B. in
tion der Betroffenen, sondern auch
Dänemark in Bezug auf die Bekämp-
die Effektivität der Arbeit. Eine dau-
fung von Arbeitslosigkeit wesentlich
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
69
erfolgreicher als in Deutschland.
Ein wichtiges Ziel der Arbeitsmarktre-
Könnten hier nicht geeignete Modelle
formen in den letzten Jahren sei durch-
für Deutschland gefunden werden?
aus auch eine stärkere Steuerfinanzierung gewesen: Im Jahr 2002 wurden
Dr. Strengmann-Kuhn schickte voraus,
die Ausgaben für Erwerbsfähige (Ar-
als Ökonom ein großer Anhänger der
beitslosengeld und -hilfe, Sozialhilfe
skandinavischen Politik zu sein und
einschließlich Wohngeld) noch zu 62
erläuterte, warum skandinavische Mo-
Prozent von den Beitragszahlern fi-
delle aus seiner Sicht arbeitsmarktpoli-
nanziert. Dagegen waren es 2007 – bei
tisch erfolgreicher sind. Er nannte drei
etwa gleichbleibender Ausgabenhöhe
Hauptursachen: Erstens sei die Staats-
– nur noch 43 Prozent. Durch diese
quote insgesamt deutlich höher als in
Umschichtung von Beitragsfinanzie-
Deutschland, was dazu führe, dass we-
rung zur Steuerfinanzierung konnte eine
sentlich mehr finanzielle Ressourcen
Senkung der Arbeitslosenbeiträge um
sowohl für Bildung als auch für ein
ein Drittel erreicht werden. Schmach-
höheres Niveau sozialer Sicherung zur
tenberg machte aber auch darauf auf-
Verfügung stehen. Zweitens werde die
merksam, dass eine stärkere Steuerfi-
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik klein-
nanzierung mit anderen Regeln ver-
räumiger organisiert, so dass Maßnah-
bunden ist: Beitragsfinanzierte Syste-
men zielgenauer umgesetzt werden
me hätten durchaus ihre Vorteile, z.B.
können. Drittens werde der Sozialstaat
Eigentumsschutz und Zumutbarkeits-
steuerfinanziert.
regeln. Schmachtenberg befürwortet
Dr. Rolf Schmachtenberg stimmte zu,
zwar eine stärkere Steuerfinanzierung,
dass in vielen anderen europäischen
warnt aber davor, ausschließlich darauf
Staaten unter ähnlichen Rahmenbe-
zu setzen. Letztlich müsse man in jedem
dingungen eine höhere Erwerbsbetei-
politischen Handlungsfeld – z.B. auch
ligung erreicht wird. Allerdings sei bei
im Gesundheitsbereich – die richtige
den meisten dieser Länder bemerkens-
Mischung zwischen Beitrags- und Steu-
wert, dass sie immer eine irgendwie
erfinanzierung finden. Schmachten-
stillgelegte Reserve an Arbeitskräften
berg skizzierte den Zusammenhang
aufweisen, z. B. eine große Personen-
zwischen den Veränderungen am Ar-
gruppe in Erwerbsunfähigkeit oder im
beitsmarkt und der hohen strukturel-
Vorruhestand. Dadurch veränderten
len Arbeitslosigkeit: Einerseits finden
sich in den Statistiken die Prozent-
massive Umschichtungen von Arbeits-
punkte ganz entscheidend und die
plätzen statt, gleichzeitig stehen dem
Modelle würden ein wenig schillernd.
Arbeitsmarkt mehr Erwerbstätige als
70
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
in den 1970er-Jahren zur Verfügung.
dazu beitragen, das Problem der Arbeits-
Im Vergleich der OECD-Staaten hat
losigkeit zu lösen.
Deutschland einen relativ hohen An-
Nach Dr. Strengmann-Kuhn kann
teil an gewerblicher Wirtschaft und
das Problem der strukturellen Arbeits-
produziert viele Exportgüter. Im Zuge
losigkeit nicht allein durch eine Stei-
der Veränderungen auf dem Arbeits-
gerung des Erwerbsarbeitsvolumens
markt sind aber auch zahlreiche neue
erreicht werden. In Deutschland sei
Produkte und Dienstleistungen ent-
heute nicht nur die Arbeitslosen-, son-
standen, sodass nach Schmachtenbergs
dern auch die Erwerbstätigenquote
Auffassung die Erwerbsbeteiligung ins-
insgesamt höher als zu Zeiten der Voll-
gesamt nicht zurückgehen müsste.
beschäftigung Ende der 1960er-/Anfang der 1970er-Jahre. Deshalb hält er
es für notwendig, alle möglichen Arten
Kann Arbeitslosigkeit durch
Arbeitszeitverkürzung reduziert
werden?
der Arbeitsumverteilung vorzunehmen:
Dazu gehörten nicht nur eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, sondern
auch vielfältige Möglichkeiten von
• Angesprochen wurden auch Rationa-
Sabbat-Jahren, Teilzeitarbeit, Aussetzen
lisierung und Automatisierung als
wegen Familienarbeit oder Weiterbil-
zentrale Ursachen der Massenarbeits-
dung usw. Da es sehr wichtig sei, für
losigkeit – eine Entwicklung, die sich
diesen Weg eine soziale Sicherung zu
vermutlich weiter fortsetzen werde.
schaffen, plädiere er für ein bedin-
Angesichts dessen wurde die Frage
gungsloses Grundeinkommen, wodurch
gestellt, ob nicht eine Umverteilung
eine soziale Sicherung in allen Lebens-
der Arbeit durch Arbeitszeitverkür-
lagen gelingen könne und der Arbeits-
zung sinnvoll wäre.
markt entlastet werde. Zusätzlich zu
einer guten makroökonomischen Poli-
Dazu merkte Dr. Schmachtenberg an,
tik, die auf eine Ausdehnung des Er-
dass Arbeitszeitverkürzung über Jahr-
werbsarbeitsvolumens zielt, sei die
hunderte – von 1800 bis 1980 mit Un-
Einführung
terbrechungen in den Kriegsjahren – ein
Grundeinkommens ein notwendiger
langjähriger Trend war, der in den 80er
Weg, um endlich dahin zu kommen,
Jahren gestoppt wurde. Möglicherweise
dass diejenigen, die arbeiten wollen,
könnte Arbeitszeitverkürzung aber auch
auch arbeiten können.
des
bedingungslosen
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
71
Aufschwung in Deutschland – für alle?
Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik
Zwei Jahre nach der
Arbeitsmarktreform: Bilanz und
politische Handlungsfelder für
Ost- und Westdeutschland
Andrea Wicklein, MdB
Vorsitzende der Arbeitsgruppe
Aufbau Ost der SPD-Bundestagsfraktion
Wenn wir heute über aktuelle Anfor-
tungswillen mit einzubringen – für ihre
derungen an die Arbeitsmarktpolitik
Existenzsicherung, aber auch für die
diskutieren wollen, ist zunächst eine
Entwicklung unserer Gesellschaft.
Positionsbestimmung notwendig.
Unser Land wird auf Dauer nur dann
Arbeitsmarktpolitik findet statt in
wettbewerbsfähig sein, wenn es uns
einer Welt, die sich rasant verändert.
gemeinsam gelingt, das Potenzial jedes
Die Globalisierung ist Realität. Der
Einzelnen durch geeignete Rahmenbe-
deutsche Arbeitsmarkt ist den globalen
dingungen freizusetzen. Dieses überge-
Kräften des internationalen Wettbe-
ordnete Ziel müssen wir im Auge haben,
werbs ausgesetzt. Heute reicht es nicht
wenn wir zukünftige Handlungsfelder
mehr aus, auf die Veränderungen zu
der Arbeitsmarktpolitik definieren.
reagieren, sondern es geht darum, Umstrukturierungsprozesse aktiv zu ge-
Wie sieht der heutige Arbeitsmarkt
aus? Vor welcher Situation stehen wir?
stalten und neue Perspektiven zu ent-
Die Arbeitslosigkeit in Ost und West
wickeln. Neue Perspektiven für die
ist seit einem Jahr enorm gesunken. Nur
Menschen in den Regionen, die ein An-
noch 3,8 Millionen Menschen waren
recht darauf haben, ihre Arbeitskraft,
im Mai 2007 arbeitslos. Das ist eine
ihre Kompetenz und ihren Gestal-
positive Bilanz.
72
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Wenn man aber genauer hinsieht,
sprechen komme, werde ich einen
ergibt sich im Vergleich der Regionen
kurzen Blick in die Vergangenheit wer-
immer noch ein sehr differenziertes
fen.
Bild. Im Schnitt ist die Arbeitslosen-
Ich kann mich noch sehr gut daran
quote im Osten mit 15,2 Prozent nach
erinnern, wie angespannt die Stimmung
wie vor mehr als doppelt so hoch wie
im Deutschen Bundestag – ganz beson-
im Westen, wo sie 7,5 Prozent beträgt.
ders in unserer SPD-Bundestagsfrak-
Besonders auffällig ist die unterschied-
tion – war, als Gerhard Schröder am
liche Entwicklung der Kurzzeit- und
14. März 2003 seine Regierungserklä-
der Langzeitarbeitslosigkeit. Die Zahl
rung zur Agenda 2010 hielt. Uns war
der Kurzzeitarbeitslosen sank in Ost
bewusst, dass mit dieser Erklärung der
wie in West um mehr als 20 Prozent.
radikalste Reformprozess in der Ge-
Bei den Langzeitarbeitslosen im Osten
schichte der Bundesrepublik Deutsch-
ist der Aufschwung aber noch nicht
land eingeleitet werden sollte.
angekommen. Ihre Zahl sank lediglich
Nicht ohne Grund hatte Gerhard
um 8 Prozent. Rund 40 Prozent der
Schröder für seine Regierungserklärung
Langzeitarbeitslosen im Osten sind seit
den Titel „Mut zur Veränderung“ ge-
mehr als fünf Jahren keiner sozialver-
wählt. Er sagte damals: „Wir müssen
sicherungspflichtigen Beschäftigung
den Mut aufbringen, uns und unserem
mehr nachgegangen. Von den 100 Re-
Land jetzt die Veränderungen zuzumu-
gionen mit einer Arbeitslosigkeit von
ten, die notwendig sind, um es wieder
über 15 Prozent befinden sich 90 in den
an die Spitze der wirtschaftlichen und
neuen Bundesländern und 10 in den
sozialen Entwicklung in Europa zu füh-
alten Bundesländern. Die Arbeitslosen-
ren. Wir werden Leistungen des Staates
quoten gehen teilweise bis weit über
kürzen, Eigenverantwortung fördern
die 20-Prozent-Marke, wenn man die
und mehr Eigenleistungen von den
Uckermark oder die Stadt Görlitz be-
Einzelnen fordern müssen. Arbeit und
trachtet. Nach wie vor gibt es Regionen
Wirtschaft sind das Herzstück unserer
mit einer verfestigten Langzeitarbeits-
Reform-Agenda. Eine dynamisch wach-
losigkeit. Das gilt für Ost und West
sende Wirtschaft und eine hohe Be-
gleichermaßen. Soweit die derzeitige
schäftigungsquote sind die Voraus-
Bestandsaufnahme.
setzungen für einen guten Sozialstaat
Bevor ich auf die heutigen Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik zu
und für eine funktionierende soziale
Marktwirtschaft.“
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
73
Diese Kernaussage von Schröder
investitionen, Forschungs- und Ent-
hatte damals Gültigkeit, hat heute Gül-
wicklungsvorhaben und in den Ausbau
tigkeit und wird auch in Zukunft seine
von Betreuungsangeboten. Wir schaffen
Gültigkeit haben: Arbeitsmarktpolitik
dadurch Investitionsanreize in privaten
braucht eine vernünftige Wirtschafts-
Haushalten, bei der Instandsetzung und
politik. Denn nachhaltige Arbeitsmarkt-
energetischen Gebäudesanierung.
politik funktioniert nur dort, wo die
Von Bedeutung war zudem die um-
Rahmenbedingungen für wirtschaftli-
fassende Reform des Systems der Ar-
ches Wachstum gegeben sind.
beitsvermittlung, das vorher zu den am
Deshalb war es richtig und notwen-
wenigsten entwickelten in Europa zähl-
dig, die Arbeitsmarktreformen in ein
te. Über viele Jahrzehnte war über die
Gesamtpaket von Maßnahmen einzu-
Schwachstellen diskutiert worden, ohne
betten, welche die Rahmenbedingun-
die vorhandenen Fehler zu korrigieren.
gen für mehr Wachstum und Beschäf-
Die damalige Bundesanstalt für Arbeit
tigung verbessern konnten.
kam ihrem Kerngeschäft, der Vermitt-
Dazu gehörte eine umfassende
lung von Menschen in Arbeit, nicht
Steuerreform, im Einkommens- und
ausreichend nach. Vor der Reform war
auch im Unternehmenssteuerbereich.
ein Vermittler für bis zu 800 Arbeit-
Die Unternehmen, die in Deutschland
suchende zuständig. Mehr als die Ar-
produzieren und hier Arbeit schaffen,
beitslosigkeit zu verwalten, war unter
sollten gestärkt werden. Zahlreiche
diesen Voraussetzungen nicht möglich
kleine und mittelständische Unter-
– erst recht keine individuelle Betreu-
nehmen wurden bei der Körperschafts-
ung. Viele Firmen haben freie Stellen
und Gewerbesteuer spürbar entlastet.
nicht mehr gemeldet, weil sie das Ver-
Dazu gehörte die Mittelstandsoffen-
trauen in die Arbeitsämter verloren
sive der Bundesregierung, mit der un-
hatten. Tatsächlich liefen die Qualifi-
nötige Bürokratie abgebaut wurde, und
zierungsmaßnahmen der Arbeitsämter
das zweite Mittelstandsentlastungsge-
oft am Bedarf vorbei. Die Betroffenen
setz, was Entlastungen von rund 11 Mio.
gerieten in unsinnige Qualifizierungs-
Euro im Jahr brachte.
schleifen, ohne damit ihre Chancen
Wichtig war aber auch das 25-Mil-
auf einen Job verbessern zu können. Es
liarden-Euro-Programm, das kräftige
gab keine Vernetzung zwischen Schu-
Impulse auf den Binnenmarkt aus-
len, Arbeitsämtern und Unternehmen
strahlt. Dieses Geld fließt in Verkehrs-
in den Regionen. Eine Umfrage unter
74
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Schülern am Chemiestandort Schwarz-
zubauen. Vor allem wollten wir errei-
heide ergab beispielsweise, dass die
chen, dass die Betroffenen schneller
meisten nicht einmal die dort ansäs-
und kompetenter in Arbeit vermittelt
sigen Firmen kannten. Von den Job-
oder qualifiziert werden, einen einheit-
möglichkeiten ganz zu schweigen. Das
lichen Zugang zu Beratung, Vermitt-
ist teilweise auch heute noch so.
lung und Förderleistungen erhalten
Das
ineffiziente
Nebeneinander
sowie vorrangig Eingliederungsleis-
zweier Leistungen und zweier Systeme
tungen statt Transferleistungen bekom-
in Form der Arbeitslosenhilfe und der
men.
Sozialhilfe musste beendet werden. Et-
Ein weiteres Ziel war, dass vor allem
wa eine Million Sozialhilfeempfänger
Jugendlichen Arbeitslosigkeit erspart
waren zuvor von den arbeitsmarkt-
bleibt. Jeder Jugendliche sollte einen
politischen Maßnahmen ausgegrenzt
Arbeitsplatz, einen Ausbildungsplatz,
gewesen. Dieser Zustand war nicht mehr
ein Qualifizierungsangebot oder zu-
akzeptabel.
mindest eine Arbeitsgelegenheit er-
Die SPD hat mit den Hartz-Gesetzen
die wohl schwierigste Reform auf dem
Gebiet der Arbeitsmarkpolitik auf den
Weg gebracht. Bei aller Kritik und bei
halten.
Seit dem Beginn der Arbeitsmarktreformen hat sich viel getan.
Die Bundesagentur für Arbeit wurde
allem Widerstand war diese Reform
modernisiert, Job-Center flächende-
notwendig und richtig. Uns ging es
ckend eingerichtet und alle relevanten
unter dem Leitprinzip „Fördern und
Dienstleistungen unter einem Dach
Fordern“ im Kern darum, bessere Vo-
zusammengefasst.
raussetzungen für eine rasche Vermittlung in Arbeit zu schaffen.
Mit dem „Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“
Die Service- und Vermittlungs-
(Hartz IV) haben wir Arbeitslosenhilfe
qualität der Arbeitsämter sollte durch
und Sozialhilfe zu einer einheitlichen
strukturelle Veränderungen wesentlich
Grundsicherung für Arbeitsuchende
verbessert, überflüssige Bürokratie und
zusammengeführt.
verkrustete Strukturen abgebaut wer-
Die Vermittlungsaktivitäten wurden
den. Ziel war es, die Bundesagentur für
intensiviert. Kamen vor der Reform bis
Arbeit zu einem modernen Dienstleis-
zu 800 Arbeitsuchende auf einen Ver-
ter – nicht nur für Arbeitsuchende,
mittler, so sind es jetzt etwa 150, im
sondern auch für Unternehmen – aus-
Bereich der langzeitarbeitslosen Ju-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
75
gendlichen sogar nur 75. Eine indivi-
men richtig waren und wir insgesamt
duelle, passgerechte Vermittlung ist jetzt
auf dem richtigen Weg sind. Meine
grundsätzlich möglich.
Wahrnehmung ist, dass verloren gegan-
Mit den Arbeitsmarktreformen er-
genes Vertrauen allmählich zurück-
hielten die Regionen mehr Freiraum
kehrt: Vertrauen der Menschen in ihre
und Verantwortung. Durch die Zusam-
Zukunft und in die Leistungsfähigkeit
menführung der kommunalen Kom-
unserer Gesellschaft.
petenz vor Ort und der Kompetenz der
Die Auftragsbücher vieler Unter-
Bundesagentur wurden die Weichen für
nehmen sind voll. Das Wachstum in
eine am Bedarf orientierte Vermittlung
Deutschland liegt weit über 2 Prozent
gestellt und optimale Bedingungen für
und in den neuen Ländern seit langem
die individuelle Betreuung der Lang-
mit 3 Prozent über dem Gesamtdurch-
zeitarbeitslosen geschaffen.
schnitt. Das verarbeitende Gewerbe als
Die Umstellung verlief nicht rei-
Motor des Aufschwungs verzeichnet in
bungslos und auch heute verstehen wir
Ost und West hohe Zuwachsraten. Der
die Reformen noch als lernenden Pro-
Export entwickelt sich weiter positiv.
zess, in dem wir uns nicht davor scheu-
Die Situation im Baugewerbe hat sich
en, Anpassungen vorzunehmen, wo
deutlich verbessert.
Gesetze nicht funktionieren.
Wir spüren anhand vieler Indikatoren in Ost und West, dass die Refor-
Diese insgesamt positive Entwicklung spiegelt sich in der aktuellen Arbeitsmarktstatistik wider.
76
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
In vielen Regionen, in denen der
Die Große Koalition verfolgt konse-
Aufschwung bereits greift, zeigt sich
quent die Linie:
bereits das Phänomen, dass Fachkräfte
• investieren
in spezifischen Branchen fehlen. Das
• sanieren
Spektrum reicht dabei vom Kraftfahrer
• reformieren.
für die Logistikbranche, über den
Diesen breiten Ansatz müssen wir auch
Schweißer im Maschinenbau bis hin
verfolgen, denn die Herausforderungen
zum Fachmann für Luft- und Raum-
sind unvermindert groß. Wenn wir
fahrttechnik.
Wohlstand, Wachstum und Arbeit so-
An anderen Regionen geht der Auf-
wie soziale Sicherheit in Deutschland
schwung bisher noch vorbei. Dabei
dauerhaft sichern wollen, müssen wir
handelt es sich um die sogenannten
den Wandel gestalten. Globalisierung,
strukturschwachen Regionen, die von
demografischer Wandel, Klimaschutz
Langzeitarbeitslosigkeit und Abwan-
und technologische Veränderungen
derung ganz besonders betroffen sind.
sind nur einige Stichworte für die ge-
Darüber hinaus gibt es trotz Auf-
waltigen Herausforderungen, vor denen
schwung und drohendem Fachkräfte-
wir stehen. Doch wir müssen nicht
mangel in ganz Deutschland Menschen,
davor zurückschrecken. Denn das Leben
bei denen multiple Vermittlungshemm-
ist ein Prozess von Veränderungen und
nisse bestehen und die deshalb in ab-
es liegt an uns, wie wir diesen Prozess
sehbarer Zeit nicht in den ersten Ar-
gestalten wollen. Auf jeden Fall ist es
beitsmarkt integriert werden können.
wichtig, die Weichen in die richtige
Die Zahl der Betroffenen liegt schät-
Richtung zu stellen.
zungsweise bei 400.000.
Deutschland muss seinen weltwei-
Dies ist nicht nur eine bittere Wahr-
ten Ruf als Hochleistungsland be-
heit, sondern erscheint regelrecht ab-
haupten. Das erreichen wir nur durch
surd angesichts des Umstandes, dass es
Qualität. Zentrale Voraussetzungen für
gleichzeitig eine Vielzahl von gesell-
Qualität sind Bildung, Qualifizierung,
schaftlich notwendigen Tätigkeiten
Forschung, Innovation, Kreativität,
gibt, die aufgrund knapper Kassen der
Fleiß, Ausdauer und Teamfähigkeit.
öffentlichen Hand nicht erledigt wer-
Diese Aspekte werden im Ausland auch
den können.
klar als unsere Stärken erkannt. Nach
Welche Anforderungen ergeben sich
daraus für die Arbeitsmarktpolitik?
wie vor wird Deutschland als einer der
attraktivsten Standorte in Europa an-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
77
gesehen. Weltweit liegen nur die USA
schluss, einen guten Abschluss und da-
und China vor uns.
nach ein ordentliches Ausbildungsange-
Besondere Standortvorteile Deutschlands sind:
bot.
Wir wollen, dass keine jungen Men-
• die Infrastruktur
schen mehr von der Schulbank in die
• die Attraktivität des Binnenmarktes
Arbeitslosigkeit gehen. Der Ausbil-
• die Qualität von Forschung und Ent-
dungspakt wurde bis 2010 verlängert.
wicklung und
• die gute Ausbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die Bundesregierung finanziert 40.000
Plätze für Einstiegsqualifizierungen, um
junge Leute für eine Ausbildung fit zu
Dies sind nach wie vor unsere Erfolgs-
machen. Mit einem Qualifizierungs-
faktoren, die jedoch weiter ausgebaut
kombilohn wollen wir unter 25-Jähri-
werden müssen. Wer morgen ernten
gen eine Chance geben, doch noch den
will, muss heute säen: Wir müssen heu-
Einstieg ins Berufsleben zu schaffen.
te in die Zukunftsfähigkeit investieren.
Etwa 40 Prozent eines Jahrgangs
Von großer Bedeutung sind deshalb
werden als Studierende an den Univer-
Investitionen in Forschung und Ent-
sitäten benötigt, um für die Herausfor-
wicklung, Bildung und Qualifizierung.
derungen von morgen gerüstet zu sein.
Wir haben uns in Europa verpflich-
Den Fachkräftemangel hatte ich bereits
tet, ab 2010 jährlich 3 Prozent des
angesprochen. Und wir müssen uns
Bruttoinlandsproduktes für Forschung
darüber klar werden, dass die vorhan-
und Entwicklung auszugeben: 1 Pro-
dene Arbeit in erster Linie von Men-
zent der Staat und 2 Prozent die Wirt-
schen getan werden sollte, die in
schaft. Das heißt: Gewinne in die Ar-
Deutschland leben.
beitsplätze von morgen stecken.
Angesichts
des
demografischen
Auch der Ausbau der Kinderbetreu-
Wandels werden wir erst recht darauf
ungseinrichtungen muss zügig umge-
angewiesen sein, die Kompetenz der
setzt werden. Hier müssen wir gemein-
Älteren in den Betrieben zu halten. Hier
sam mit den Ländern noch mehr an
sind rechtzeitige und umfassende Qua-
Tempo zulegen.
lifizierungsmaßnahmen notwendig.
Die Quoten der Schulabbrecher müs-
Ausgelernt hat heute niemand mehr.
sen deutlich gesenkt werden. Im Bil-
Wir können uns nicht damit abfin-
dungssystem darf niemand mehr durch
den, dass Menschen, die arbeiten wol-
den Rost fallen. Jeder braucht einen Ab-
len, aufs Abstellgleis geschoben wer-
78
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
den. Wir müssen auch für diejenigen
chen Politikfelder miteinander ver-
intelligente Lösungen entwickeln, die
zahnt werden. Es gilt, vorhandene
derzeit keine oder nur geringe Chancen
Stärken zu identifizieren und gezielt
auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
zu fördern. Ein positives Beispiel ist
Zum Abschluss möchte ich noch
einige Thesen formulieren:
Arbeitsmarktpolitik kann dort er-
die Unterstützung des Strukturwandels des bayerischen Landkreises
Cham mit Fördermitteln aus der
folgreich sein, wo eine zielgerichtete
Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe
Standortpolitik in den Regionen selbst
„Verbesserung der Regionalen Wirt-
betrieben wird.
schaftsstruktur“. Auch die Stand-
1. Jede Region hat ihre Potenziale. In
ortentscheidungen großer Unter-
den ländlichen Regionen kann dies
nehmen – von BMW und DHL für
der Tourismus, aber auch die Pro-
Leipzig, von VW und DaimlerChrys-
duktion von Energie, Kraftstoffen
ler für Teltow-Fläming – waren kein
und Bioprodukten sein. In der Be-
Zufall, sondern Ergebnisse einer
reitstellung und Verarbeitung von
klugen Standortpolitik in den Re-
Biomasse liegen noch ungeahnte
gionen selbst.
Möglichkeiten. Das Spektrum reicht
4. Regionale Netzwerke zwischen Schu-
von der Erforschung über den An-
len, Unternehmen und Arbeitsagen-
lagenbau bis hin zum Produkt und
turen müssen ausgebaut werden, um
dessen Vermarktung.
die regionale Berufsberatung zu
2. Arbeitsmarktpolitik muss sich in
verbessern und Jobperspektiven in
regionale Entwicklungsstrategien
der Region aufzuzeigen. Gute An-
einordnen. Die Erfahrungen zeigen,
sätze sind z.B. das Zentrum Aus-
dass sich dort Erfolge einstellen, wo
und Weiterbildung Ludwigsfelde
Qualifizierungen von Arbeitsuchen-
(ZAL) oder Unterrichtstage in der
den am Bedarf der Unternehmen
Praxis (UTP).
oder am Bedarf von zu erwartenden
5. Die Instrumente der Arbeitsmarkt-
Ansiedlungen ausgerichtet werden,
politik müssen so flexibel handhab-
wie z.B. beim gerade entstehenden
bar sein, dass sie auf die spezifischen
Flughafen Berlin-Brandenburg In-
Anforderungen in den Regionen
ternational (BBI).
passen.
3. Für eine erfolgreiche Arbeitsmarkt-
6. Für diejenigen, die auf dem ersten
politik müssen die unterschiedli-
Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
79
keine Chance haben, brauchen wir
sozialversicherungspflichtige Be-
ergänzende Programme und neue
schäftigung zu fördern. Hier sollten
Initiativen auf dem Arbeitsmarkt. Es
Bund, Länder und Kommunen ge-
gibt drei große Programme zur Be-
meinsam geeignete Konzepte ent-
kämpfung von Langzeitarbeitslo-
wickeln.
sigkeit, die die Bundesregierung auf
Der wesentliche Punkt ist: Die Ent-
den Weg gebracht hat: die „Ini-
wicklungen der Globalisierung und die
tiative 50 plus“, das Programm
damit einhergehenden rasanten Ver-
„JobPerspektive“, das darauf zielt,
änderungen am Arbeitsmarkt erfordern
100.000 Langzeitarbeitslosen in Ost
eine hohe Leistungsbereitschaft und
und West mit besonderen Vermitt-
Flexibilität der Menschen. In Ost-
lungshemmnissen neue Perspekti-
deutschland, aber auch in vielen Re-
ven auf dem Arbeitsmarkt zu eröff-
gionen der alten Länder, fanden und
nen, und auch spezielle Programme
finden dramatische Umstrukturierungs-
für Jugendliche, z.B. der Ausbau von
prozesse statt. Diese Veränderungen
ausbildungsbegleitenden Hilfen.
aktiv zu gestalten und die Menschen
7. In strukturschwachen Regionen mit
darauf vorzubereiten, ist auch eine
einer überdurchschnittlich hohen
Aufgabe von aktiver, vorausschauender
Arbeitslosigkeit (über 15 Prozent)
Arbeitsmarktpolitik. Unser gemein-
brauchen wir öffentlich geförderte
sames Ziel muss es deshalb sein, dass
Arbeitsplätze für zusätzliche, im
jeder, der arbeiten kann und will, dazu
öffentlichen Interesse liegende Ar-
auch die Möglichkeit erhält. Es gibt
beiten bei den Kommunen. Statt
viele Beispiele, dass dies funktionie-
passive Leistungen zu finanzieren,
ren kann.
muss es darum gehen, sinnvolle,
80
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Die Vermittlungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt und das
Zusammenspiel der Akteure: Schwierigkeiten, Chancen und Visionen
Podiumsdiskussion
mit
Rudolf Anzinger
Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(z. Zt. der Veranstaltung), Berlin
Achim Battenberg
Geschäftsführer VHS Ennepe-Ruhr-Kreis Süd
Cordula Hartrampf-Hirschberg
Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit, Chemnitz
Reiner Rabe
Geschäftsführer, Zentrum Aus- und Weiterbildung Ludwigsfelde (ZAL)
Andrea Wicklein, MdB
Vorsitzende der Arbeitsgruppe Aufbau Ost der
SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
Moderation: Alfred Eichhorn
Inforadio, rbb Berlin
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Welche Auswirkungen haben die
Arbeitsmarktreformen auf die
Beschäftigungssituation?
81
Jahren die Arbeitslosenquote nach dem
ILO-Standard als internationalem Vergleichsmaßstab für Erwerbslosigkeit
erhoben.2 Nach dem ILO-Verfahren liegt
Rudolf Anzinger, Staatssekretär im
die Arbeitslosenquote in Deutschland
Bundesministerium für Arbeit und So-
mittlerweile unter 7 Prozent (2007),
ziales, unterstützte die Ausführungen
wobei allerdings bestimmte Gruppen
von Andrea Wicklein, die sehr deutlich
von Erwerbslosen nicht erfasst werden.
gemacht hätten, dass die Beschäfti-
Nach Anzingers Auffassung hat
gungseffekte ingesamt sehr positiv sei-
der gegenwärtige wirtschaftliche Auf-
en und die Arbeitslosigkeit in Ost und
schwung drei Hauptursachen: erstens
West innerhalb eines Jahres enorm
das allgemeine Klima, zweitens das
abgenommen habe: auf 3,8 Mio. ar-
Wirtschaftswachstum und drittens eine
beitslose Personen im Mai 2007, das
„vernünftige Reformpolitik“. Bei allen
seien 760.000 weniger als noch vor
Wissenschaftlern sei im Prinzip unum-
einem Jahr. Dass in verschiedenen
stritten, dass die Reformen positive
Berichten und Statistiken häufig ver-
Veränderungen bewirkt hätten.
1
schiedene Arbeitslosenzahlen genannt
Insgesamt sei also eine positive Bi-
werden, sei meist auf die gewählte Be-
lanz zu ziehen: Untersuchungen be-
rechnungsmethode zurückzuführen,
stätigten, dass die Beschäftigungs-
was Anzinger näher erläuterte: Die
schwelle3 durch die Reformen von 2,5
Bundesagentur für Arbeit ermittelt die
auf 1,5 gesenkt werden konnte. Auch
Arbeitslosenquote traditionell nach der
im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit
Berechnungsmethodik des Sozialge-
verwies Anzinger auf eine positive Ten-
setzbuches. Zusätzlich wird seit zwei
denz: Es gibt 365.000 Arbeitslose (nach
1
2
3
Die jeweils aktuellen Arbeitsmarktstatistiken der Bundesagentur für Arbeit sind im Internet zu finden
unter http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/000000/html/start/index.shtml. Hier gibt
es u.a. auch Informationen zur Arbeitsmarktlage in den einzelnen Bundesländern und Regionen,
Daten zu Ost-/Westunterschieden sowie SGB II-Kennzahlen.
Die amtlichen Arbeitsmarktstatiken des Statistischen Bundesamtes, die nach dem ILO-Konzept
(Konzept der Internationalen Labour Organisation in Genf) erhoben werden, können unter http://
www.destatis.de eingesehen werden.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht wird ein Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Arbeitslosigkeit
und dem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts postuliert. Demnach entstehen erst dann zusätzliche
Arbeitsplätze, wenn die Wirtschaftsleistung deutlich stärker wächst als die Arbeitsproduktivität; die
für diesen Effekt erforderliche Höhe des Wirtschaftswachstums wird auch als „Beschäftigungsschwelle“
bezeichnet.
82
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
SGB II) weniger als im Vorjahr; auch
Etwa eine Million arbeitsfähige, aber
zeigt sich mehr Bewegung im SGB III-
nicht arbeitslos gemeldete Sozialhilfe-
Bereich (Maßnahmen und Leistungen
empfänger seien erstmals als Arbeitslo-
zur Arbeitsförderung). Zudem wechseln
se erfasst worden. Vor der Reform – und
weniger Menschen als erwartet vom
der damit verbundenen Zusammenle-
„Versicherungsbereich“ (ALG I) in den
gung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-
„Fürsorgebereich“ (ALG II). Diese Ten-
hilfe zum Arbeitslosengeld II – seien
denz ist für Anzinger ein deutliches
diese Menschen überhaupt nicht als
Zeichen dafür, dass die Reformen auch
Arbeitslose in der Bilanz aufgetaucht.
bei der Arbeitsvermittlung gegriffen
Dieser Schritt sei politisch sehr mutig
haben und dass schneller und passen-
gewesen, weil die offizielle Zahl der
der vermittelt wird.
Arbeitslosen dadurch plötzlich auf über
Cordula Hartrampf-Hirschberg von
fünf Millionen anstieg. Man habe sich
der Regionaldirektion Sachsen der Bun-
aber dennoch dafür entschieden, um
desagentur für Arbeit nannte Zahlen
den unbefriedigenden Zustand zu be-
aus ihrem Bundesland: Die Arbeitslo-
enden, dass arbeitslose Menschen nur
senquote im SGB II-Bereich (Langzeit-
finanziell aufgefangen, aber ohne Pers-
arbeitslose) ist von 12,5 Prozent im Mai
pektive auf eigenständigen Verdienst
2006 auf 11,3 Prozent im Mai 2007
nach Hause geschickt wurden. Das
zurückgegangen. Zu beachten sei dabei
Entscheidende ist nach Wicklein, dass
jedoch, dass sich diese Arbeitslosen-
heute alle gemeldeten Arbeitslosen –
zahlen nur auf die arbeitsuchend ge-
neben dem Anrecht auf finanzielle Un-
meldeten Menschen ohne Beschäfti-
terstützung – einen Anspruch auf qua-
gung beziehen: Menschen, die an ar-
lifizierende Arbeitsmarktinstrumente
beitsmarktpolitischen Maßnahmen
zur Vermittlung in den Arbeitsmarkt
teilnehmen, sind nach der gesetzlichen
haben.
Definition nicht arbeitslos und damit
Leider sei der Aufschwung bei den
auch in dieser Zahl nicht enthalten. Im
Langzeitarbeitslosen tatsächlich noch
Regelfall werden sie aber in die Vermitt-
nicht in nennenswertem Umfang an-
lungsbemühungen der Agenturen mit-
gekommen; dies sei aber vor allem da-
einbezogen, da sie ebenso wie Beschäf-
rauf zurückzuführen, dass die meisten
tigte als arbeitsuchend erfasst sind.
Langzeitarbeitslosen schon über viele
Andrea Wicklein betonte, dass die
Jahre keiner Beschäftigung mehr nach-
Zahlenwerte durch die Arbeitsmarkt-
gegangen seien – unter anderem des-
reform vor allem „ehrlicher“ wurden:
halb, weil es an entsprechenden Arbeits-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
83
angeboten fehlte. Aufgrund der „mul-
absoluten Arbeitslosenzahlen oft in
tiplen Vermittlungshindernisse“ hält
den Hintergrund, dass auf dem Ar-
Andrea Wicklein eine besondere Betreu-
beitsmarkt meist Arbeitskräfte mit be-
ung und individuelle Qualifizierung
stimmten Qualifikationen gesucht wer-
dieses Personenkreises für unverzicht-
den. So sei bei Ingenieuren die Arbeits-
bar. Zugleich müsse für passende Be-
losenzahl innerhalb von zwei Jahren
schäftigungsangebote gesorgt werden.
von etwa 75.000 auf etwa 28.000 gefal-
Sie verwies auf verschiedene Programme
len. Trotz dieser positiven Entwicklung
der Bundesagentur, die schon heute in
gebe es aber nach wie vor arbeitslose
den einzelnen Regionen gezielt einge-
Ingenieure, insbesondere in einzelnen
setzt werden können.
Regionen, in denen Arbeitskräfte mit
Aus ihrer Sicht müsste jedoch noch
dieser Qualifikation nicht nachgefragt
deutlich mehr getan werden: So sollten
werden – was Experten als „Mismatch“
die derzeit hauptsächlich für Transfer-
bezeichnen. Um diese Lücken zwischen
leistungen ausgegebenen Mittel stärker
Angebot und Nachfrage zu schließen,
dafür eingesetzt werden, bezahlte Be-
sei es besonders wichtig, dass sich die
schäftigung öffentlich zu finanzieren.
Bereitschaft der Arbeitnehmer zur
Damit könnten Menschen eine sozial-
Mobilität noch deutlich erhöhe.
versicherungspflichtige Beschäftigung
erhalten, die nicht mehr in den ersten
Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Gerade im Bereich der Langzeitar-
Welche Erfahrungen gibt es vor
Ort in den Regionen?
beitslosigkeit sei es dringend erforderlich, dass alle entscheidenden Akteure
in den Regionen zusammenarbeiten
Das Beispiel Optionskommune
Ennepe-Ruhr-Kreis
und gemeinsam geeignete Konzepte für
Beschäftigung entwickeln.
Achim Battenberg, Geschäftsführer der
Nach Auffassung von Rudolf An-
Volkshochschule Ennepe-Ruhr-Süd4,
zinger gerät bei der Betrachtung der
berichtete von seinen Erfahrungen im
4
Auf Initiative der VHS Ennepe-Ruhr-Süd wurde 2006 „DIA gGmbH – Moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt“ als gemeinnützige Gesellschaft gegründet. Ziel ist die Förderung der beruflichen Fortund Weiterbildung. Zum Angebot gehört die Durchführung von Bildungs-, Vermittlungs- und Beratungsmaßnahmen. Die Arbeit ist eingebettet in ein dichtes Netz von Kooperationen, u.a. mit dem
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Bundesagentur für Arbeit, JobAgenturen, Städten/
Kommunen und Bildungseinrichtungen. Vgl. www.dia-vhs.de.
84
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Ennepe-Ruhr-Kreis. Der Kreis ist seit
Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“).
Anfang 2005 eine von bundesweit 69
Insgesamt gibt es über 16 Teilprojekte,
sogenannten Optionskommunen, die
an denen mehr als 30 verschiedene
ALG II-Empfänger in Eigenregie be-
Akteure beteiligt sind. Für die Zusam-
treuen, unterstützen und vermitteln.
menarbeit sind gemeinsame Standards
Battenberg nannte zuerst einige
formuliert worden; dabei werden klei-
Kennzahlen für die Region5: Die Arbeits-
ne, individuell gestaltete Projekte, aber
losenquote lag 2007 bei 8,7 Prozent, sie
auch übergreifende Aktionen durch-
ist seit dem 1. Januar 2005 um 1,6 Pro-
geführt.
zent zurückgegangen. Der Region stan-
Die Optionskommune bietet mit
den im Jahr 2006 Eingliederungsleis-
verschiedenen
tungen in Höhe von 20,3 Millionen
„Sprungbrett-System“ in Ausbildung
Euro zur Verfügung, im Jahr 2007 noch
und Arbeitmarkt an und schafft auf die-
16 Millionen. Einige Förderinstrumen-
se Weise ein breites, abgestuftes Integra-
te wurden von der örtlichen Options-
tionsprojekt, so Achim Battenberg. Die
Job-Agentur aufgebaut: Zielgruppen-
Integration erfolge vor allem durch Ko-
programme mit den entsprechenden
operationen, über „Integrationsketten“
Segmenten Beschäftigung, Qualifizie-
und durch die koordinierende Tätigkeit
rung, direkte Eingliederung usw. Nach
der Job-Agentur, die eine wichtige Be-
Battenberg ist die freie Förderung ein
deutung habe, da sie den Prozess krea-
besonders wichtiger Bereich, sie macht
tiv begleite und vor Ort als Mittler von
etwa 13 Prozent der Eingliederungs-
verschiedenen Akteuren agiere.
Projekten
eine
Art
leistungen in der Region aus. Seiner
Durch die Kombination verschie-
Ansicht nach ist sie ein besonders ge-
dener Arbeitsmarktinstrumente kann
eignetes Instrument, um Kooperatio-
ein Arbeitsuchender bis zu vier Jahre
nen vor Ort zu ermöglichen. Insge-
betreut bzw. gefördert werden, um eine
samt werden drei Schwerpunkte ver-
reguläre Beschäftigung zu finden. Län-
folgt: das Programm für ältere Arbeits-
gere Integrationsketten sind nach Auf-
lose „Perspektive 50plus“, Angebote für
fassung von Battenberg besonders wich-
Jugendliche ohne Ausbildung sowie
tig, damit gering Qualifizierte auch
5
Die aktuellen Zahlen und Informationen zur Optionskommune finden sich unter:
http://www.enkreis.de/p/d1.asp?artikel_id=4065.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
85
genügend Zeit zur Qualifizierung ha-
Gegenwärtig funktioniere die Zusam-
ben: Sechs Monate oder ein Jahr reich-
menarbeit und Kommunikation mit den
ten einfach nicht aus, um den Anschluss
Akteuren vor Ort sehr gut: Man entwick-
an die Anforderungen des Arbeits-
le gemeinsam Konzepte und Modelle,
marktes zu finden. Battenbergs Sorge
die durch intensiven Austausch neue
ist, dass die Schwachen bei befristeten
Wege eröffneten. Dagegen kommuni-
oder geringfügigen Beschäftigungen auf
zieren die Mitarbeiterinnen und Mitar-
längere Sicht aus dem System herausfall-
beiter der Bundesagentur nach Batten-
en, insbesondere Migranten oder Jugend-
bergs Eindruck noch zu wenig mit den
liche ohne Ausbildung. Deshalb sei es
örtlichen Akteuren – zumindest in sei-
enorm wichtig, in diesem Bereich gezielt
ner Region. Während sich bei Gesprä-
weitere Instrumente in Vermittlungs-
chen in der Bundesagentur für Arbeit
prozesse einzubauen, z.B. Coaching-
in Nürnberg eine große Kreativität bei
angebote für Geringqualifizierte.
Umsetzungsmöglichkeiten zeige, werde
Achim Battenberg berichtete auch
von den Erfolgen des Projekts „JobAct“,
davon in den regionalen Agenturen nur
relativ wenig realisiert.
einem Theaterprojekt für Jugendliche
Als wichtige Erkenntnis seiner bis-
ohne Ausbildung, das mit Mitteln des
herigen Arbeit formulierte Battenberg,
Bundesministeriums für Arbeit und
dass bei Arbeitsvermittlungsprozessen
Soziales in Kooperation mit örtlichen
vor Ort angesetzt werden sollte; dort
Unternehmen und Kulturinstitutio-
könne am besten entschieden werden,
nen durchgeführt wurde und eine
welche Maßnahmen in der jeweiligen
Auszeichnung erhielt. Durch die selbst-
Region und für eine konkrete Personen-
ständige Entwicklung und Aufführung
gruppe am besten geeignet sind. Die
eines Theaterstücks und die damit ver-
Aktivitäten und Erfahrungen der Kom-
bundene Anerkennung seien die Fähig-
munen müssten dann „nach oben“
keiten und das Selbstbewusstsein der
transportiert werden – und nicht um-
Jugendlichen deutlich gestärkt worden.
gekehrt: Es mache keinen Sinn, dass
Der Erfolg spiegele sich auch in den
Regionen mit unterschiedlichen Pro-
guten Eingliederungsquoten der Pro-
blemlagen Maßnahmenpakete ausfüh-
jektteilnehmer in den Ausbildungs-
ren müssen, die vom Bund zentral
markt wider.
vorgefertigt sind.
86
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Das Beispiel Zentrum Aus- und
Weiterbildung Ludwigsfelde (ZAL)
bunden werden. Zunächst recherchieren seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deshalb den Arbeitskräftebedarf
Reiner Rabe, Geschäftsführer des Zen-
bei den jeweiligen Firmen: Welche Ar-
trums Aus- und Weiterbildung Lud-
beitskräfte werden gesucht? Zu wel-
wigsfelde (ZAL) berichtete ebenfalls
chem Zeitpunkt? Mit welcher Qualifi-
über seine praktischen Erfahrungen. Er
kation? In welchem Alter? Diese mög-
schickte voraus, dass Arbeitslosigkeit
lichst genaue Bestandsaufnahme der
neben
das
Wünsche und Anforderungen in den
Schlimmste sei, was einem Menschen
Firmen sei unverzichtbar, um Arbeits-
passieren könne, und formulierte des-
lose gezielt in Arbeit zu bringen. Nur
halb als Leitmotiv: Es muss alles dafür
auf dieser konkreten Bedarfsbasis hät-
getan werden, damit jeder Mensch eine
ten die darauf abgestimmten Profiling-
Arbeit erhält, von deren Lohn er sich
oder Trainingsmaßnahmen überhaupt
und seine Familie ernähren kann.
einen Sinn. Zu oft habe sich bei anderen
6
schweren
Krankheiten
Das Zentrum Aus- und Weiterbil-
Trägern gezeigt, dass Arbeitslose ohne
dung arbeitet an sechs Standorten in
klare Perspektive jahrelang eine Trai-
Deutschland mit insgesamt 586 Firmen
ningsmaßnahme nach der anderen
aller Größenordnungen zusammen,
absolvieren, ohne am Ende eine länger-
darunter auch sehr großen Unterneh-
fristige Arbeit zu finden: Ein-Euro-Jobs
men wie DaimlerChrysler und VW.
und allgemeine Weiterbildungsmaß-
Rabe skizzierte die Vorgehensweise
seines Unternehmens zur Arbeitsver-
nahmen wechselten sich dann ab, ohne
zum Erfolg zu führen.
mittlung. Ein entscheidender Punkt sei
In Potsdam hat Rabe gemeinsam mit
die Ermittlung der unbekannten, offe-
der Landesregierung das „Informations-
nen Stellen. Mindestens 50 bis 60 Pro-
zentrum Jobs und Bildung“ geschaffen,
zent der Arbeitsplätze, besonders im
an dem 16 Partner beteiligt sind, darun-
Fachkräftebereich, werden den Arbeits-
ter die Arbeitsagentur, das Arbeitsmini-
agenturen nicht oder zu spät gemeldet.
sterium, die Landesagentur für Struktur
Diese Stellen müssten aber unbedingt
und Arbeit (LASA), die Wirtschaftsför-
in die Vermittlungsarbeit mit einge-
derung der Kreise, die ARGEn und
6
Das Zentrum Aus- und Weiterbildung Ludwigsfelde (ZAL) ist ein inhabergeführtes Unternehmen
und gehört zu den größten privaten Bildungseinrichtungen in der Region Berlin-Brandenburg. Siehe
http://www.zal-ludwigsfelde.de/zal-ludwigsfelde/index.htm [11.1.2008].
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
87
verschiedene Bildungsträger. Dieses
Dreher,
Informationszentrum habe schon zahl-
Elektroniker. Rabe ist jedoch davon
reiche offene Stellen ermittelt, die zum
überzeugt, dass die Menschen für diese
Teil auch schon besetzt werden konnten.
Berufe oder Stellen nur gezielt qualifi-
Die Unternehmen hätten aus dieser
ziert werden müssen – und zwar wirt-
Erfahrung gelernt und meldeten nun
schaftsnah, nicht allgemein.
Aluminiumschweißer
oder
rechtzeitig die offenen Stellen an das
Als großes Problem betrachtet Rabe
Zentrum. Auch die Arbeitsuchenden
die mangelnde Ausbildungseignung der
kämen inzwischen gerne ins Zentrum,
Jugendlichen für nachgefragte Berufe
um sich zu informieren und nach einer
– nach dem Schulabschluss seien bei
Stelle zu suchen. Sowohl die Unterneh-
einem großen Teil die mathematischen,
men als auch die Bürgerinnen und
naturwissenschaftlichen Fähigkeiten
Bürger fänden die Atmosphäre in dieser
und die Deutschkenntnisse zu gering,
Einrichtung angenehmer als in einer
auch die Leistungsbereitschaft reiche
Behörde.
oft nicht aus. Deshalb sollte schon in
Ein anderer wichtiger Punkt ist nach
der Schule mit einer gezielten Berufs-
Rabe der massive Arbeitskräfte- und
orientierung begonnen werden. Aus
Fachkräftemangel, der in ein paar Jahren
diesem Grund hat Rabe ein Berufsori-
auf dem deutschen Arbeitsmarkt erwar-
entierungsprojekt namens UTP („Un-
tet wird. Tatsächlich sei dieser Mangel
terrichtstage in der Praxis“) initiiert mit
schon in einigen Branchen und Regio-
dem Ziel, Begeisterung für Arbeit und
nen in beträchtlichem Ausmaß ange-
Ausbildung in Brandenburg zu wecken.
kommen: Alleine im Arbeitsamtbezirk
Die Jugendlichen müssten rechtzeitig
Potsdam werden 600 Berufskraftfahrer
die verschiedenen Berufe und ihre kon-
gesucht, ohne dass diese große Nach-
kreten Möglichkeiten und Anforderun-
frage bisher gedeckt werden konnte; zu
gen kennenlernen. Ohne gezielte Nach-
einer Info-Veranstaltung für Berufs-
wuchsförderung könnten sich manche
kraftfahrer im Informationszentrum
Regionen wirtschaftlich wie sozial ka-
kamen gerade einmal zwölf Interessier-
tastrophal entwickeln.
te. Es sei also dringend notwendig, dass
Rabe berichtete von einem Koope-
alle Netzwerke und Akteure in diesem
rationsprojekt des Zentrums Aus- und
Bereich ihre Anstrengungen koordi-
Weiterbildung mit dem Großunter-
nierten und bündelten. Oft klagten die
nehmen DaimlerChrysler. Im Ergebnis
Unternehmen, sie bekämen keine quali-
wurden in Ludwigsfelde und in Düssel-
fizierten Leute, zum Beispiel keine CNC-
dorf 1.000 Arbeitslose für die Fertigung
88
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
von Transportern eingestellt, darunter
lose wieder in den Arbeitsmarkt inte-
360 frühere ALG II-Empfänger, so Rabe.
griert werden. Von großer Bedeutung
In einem zwei- bis dreitägigen Assess-
sei dabei ein gezieltes Agieren der
ment-Center wurde zunächst festge-
ARGEn schon in den ersten beiden
stellt, welcher Arbeitsuchende für wel-
Jahren der Arbeitslosigkeit, damit Lang-
che Tätigkeit überhaupt geeignet sein
zeitarbeitslosigkeit gar nicht erst ent-
könnte. An dieses Auswahlverfahren
stehe. Sehr wichtig sei zudem, eng mit
wurde dann eine gezielte Qualifizierung
den Unternehmen und den verschie-
angeschlossen. In enger Zusammenar-
denen Akteuren vor Ort zusammenzu-
beit mit ARGEn und Arbeitsagenturen
arbeiten und die vielen Einzelaktivitä-
habe sich bei diesem Projekt gezeigt,
ten praxisnah zu verzahnen.
dass bei manchen ARGEn noch erheb-
Statt die internen Strukturen der
licher Nachsteuerungsbedarf bestehe:
Arbeitsagentur und der ARGEn ständig
So habe die ARGE Potsdam-Mittelmark
zu reformieren, sollte man sich lieber
nur sieben Personen in das Projekt ge-
intensiv mit der regionalen Situation
schickt, die ARGE Teltow-Fläming da-
beschäftigen und Kooperationen mit
gegen 70.
allen wichtigen Akteursgruppen vor Ort
Mit dieser wirtschaftsnahen, am
aufbauen. Nur so könnten sich realis-
konkreten Bedarf der Unternehmen
tische Chancen ergeben, auch Langzeit-
orientierten Methode können nach
arbeitslose und geringqualifizierte Ju-
Rabes Auffassung auch Langzeitarbeits-
gendliche in Arbeit zu bringen. Gegen-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
89
wärtig sei die Unkenntnis über die Be-
wesen sei. Es habe einen Richtungs-
sonderheiten der regionalen Arbeits-
wechsel auf Bundesebene gegeben, der
märkte bzw. freie Arbeitsplätze noch
den Weg von einer verwaltenden Be-
viel zu groß.
hörde zu einer aktiven Vermittlungsagentur markiere. Dabei hätten sich
Die beiden vorgestellten Erfahrungs-
auch die Vermittlungsprozesse stark
berichte wertete Andrea Wicklein als
verändert, unter anderem orientierten
Zeichen, dass die Arbeitsmarktrefor-
sich die Qualifizierungsmaßnahmen
men gegriffen hätten und die neuen
nun stärker am individuellen Bedarf.
Instrumente und Weichenstellungen
Cordula Hartrampf-Hirschberg wi-
prinzipiell richtig seien – auch wenn
dersprach Battenbergs Kritik, die Bun-
natürlich einzelne Punkte nachjustiert
desagentur kommuniziere zu wenig mit
werden müssten. An den beiden Bei-
den Akteuren vor Ort. Sie könne bei
spielen sei sehr deutlich geworden, dass
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
vieles von den Akteuren vor Ort abhän-
tern auf diesem Gebiet keine gravie-
gig ist. Oberstes Ziel müssten passge-
renden Kommunikationsdefizite fest-
rechte Lösungen sein, die zum einen
stellen. Die Agenturen und Arbeitsge-
den Fähigkeiten des Arbeitslosen und
meinschaften seien ebenso integriert
zum andern den Erfordernissen der
in die regionalen Netzwerkstrukturen.
Unternehmen und der Region entspre-
Auch sei es keineswegs so, dass die Ini-
chen.
tiativen der Bundesagentur in Nürn-
Rudolf Anzinger erläuterte, dass die
berg nicht in den Kommunen und
Reformierung der Arbeitsvermittlungs-
Regionen ankämen. Vielmehr fände
strukturen aufgrund der gesellschaft-
auch ein regelmäßiger Austausch zwi-
lichen und ökonomischen Strukturver-
schen den Regionen und der Zentrale
änderungen dringend notwendig ge-
in Nürnberg statt.
90
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Diskussion mit dem Publikum
Welcher arbeitsmarktpolitische
Ansatz ist erfolgversprechend?
für allgemeine Strukturpolitik- und
Qualifizierungsmaßnahmen zum
Abbau der Arbeitslosigkeit eingesetzt
• Ein Teilnehmer aus dem Publikum
werden.
verwies auf die Überschüsse der
Bundesagentur für Arbeit: Im Jahr
Rudolf Anzinger entgegnete, es werde
2006 habe sie 11,2 Mrd. Euro mehr
keine Rückkehr zur vormals prakti-
eingenommen als ausgegeben, wo-
zierten Art aktiver Arbeitsmarktpolitik
raufhin der Beitragsatz für die Ar-
geben. Vor den Arbeitsmarktreformen
beitslosenversicherung um ein Drit-
seien weitgehend ungezielt umfangrei-
tel gesenkt wurde. Dies sei für Arbeit-
che Qualifizierungsmaßnahmen durch-
nehmer und Betriebe natürlich eine
geführt worden, die viel Geld gekostet,
wunderbare Entlastung, ändere aber
aber nicht zum gewünschten Vermitt-
nichts am Problem der Massenar-
lungserfolg geführt hätten.
beitslosigkeit. Für das Jahr 2007 wer-
Heute verfolge man in der Arbeits-
de erneut ein Überschuss von 5,5 Mrd.
marktpolitik einen anderen, stärker am
Euro erwartet. Dennoch sei weiterhin
tatsächlichen Bedarf orientierten An-
keine aktive Beschäftigungsförde-
satz. Zudem werde für aktive Einglie-
rung geplant. Angesichts von immer
derungsleistungen nicht weniger Geld
noch knapp vier Millionen Arbeits-
ausgegeben als früher. Auch im SGB
losen in Deutschland sollten die er-
II-Bereich werde durchaus erfolgreich
zielten Überschüsse aber unbedingt
vermittelt, und man habe schon oft
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
91
eine Job-to-job-Vermittlung erreicht –
in Wismar sowie Sachverständige
was vor Jahren noch undenkbar gewe-
für den Vorstand der Bundesagentur,
sen sei. Oberste Priorität müsse heute
darauf hin, dass man immer klar
eine wirksame Verwendung der Mittel
zwischen ALG I- und ALG II-Bereich
und eine passgenaue Vermittlung der
trennen müsse: Die Überschüsse in
Arbeitsuchenden haben.
der Arbeitslosenversicherung seien
Anzinger erläuterte eine gravierende
im ALG I-Bereich (Kurzzeitarbeitslo-
Schwäche des alten Systems: Manche
se) aufgrund der starken wirtschaft-
Maßnahmen hätten sogar noch zur
lichen Verbesserungen erwirtschaf-
Verfestigung der Langzeitarbeitslosig-
tet worden und in diesen Bereich
keit beigetragen. So seien in die soge-
zu investieren – was durchaus sinn-
nannten ABM-Maßnahmen oft nur die
voll sei. Denn auch wenn manche
gut qualifizierten Leute aufgenommen
ALG I-Empfänger Job-to-job in den
worden, die ohnehin gute Chancen auf
ersten Arbeitsmarkt vermittelt wer-
Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt
den konnten, gebe es noch zahlreiche
hatten. Dadurch seien die weniger qua-
andere, die auf Förderung angewiesen
lifizierten Menschen übriggeblieben,
sind. In den letzten Jahren seien die
die viele Jahre Arbeitslosenhilfe beka-
Eingliederungsmittel7 nicht immer
men, aber keinerlei Unterstützung. Mit
ausgeschöpft worden, aber es sei
dem Konzept eines sozialen Arbeits-
dringend notwendig, vorhandene
markts wolle man sich nun genau um
Gelder für die bisher Vernachlässig-
diese Klientel kümmern. Dieser Stra-
ten einzusetzen. Und damit die Bun-
tegiewechsel sei sehr vernünftig – wo-
desagentur
hingegen es unvernünftig wäre, die
könne, sollte ihr ein Teil der Über-
Überschüsse der Bundesagentur mit
schüsse belassen werden.
längerfristig
planen
aktiver Arbeitsmarktpolitik zu verschwenden.
Rudolf Anzinger erwiderte, die Bundesagentur werde auf keinen Fall Über-
• Aus dem Publikum wies Ursula En-
schüsse für die nächsten Jahre verplanen
gelen-Kefer, u.a. verantwortlich für
– das sei die „typische alte Denke“. Die
die Organisation von Projekten zur
neue arbeitsmarktpolitische Strategie
Eingliederung Langzeitarbeitsloser
ziele darauf, genau das zu machen, was
7
Eingliederungsmittel sind die Finanzmittel, die von der Bundesagentur für Arbeit für die Integration
von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden.
92
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
für die Arbeitslosen im ALG I-Bereich
konkret notwendig ist. Tatsächlich hätten die ARGEn und Optionskommu-
Sind Ein-Euro-Jobs sinnvolle
Maßnahmen zur
Arbeitsmarktintegration?
nen im Jahr 2006 die vorhandenen
Eingliederungsmittel nicht ausgegeben.
• Ein Teilnehmer forderte, die Langzeit-
Das könne jedoch nicht falsch sein,
arbeitslosen langfristiger zu fördern.
denn schließlich ginge es doch darum,
Gegenwärtig wirkten Ein-Euro-Jobs
vernünftige Maßnahmen vor Ort wirt-
häufig
schaftlich durchzuführen, und nicht
wenn die Menschen von einer befris-
darum, das vorhandene Geld unbedingt
teten Stelle auf die nächste verschoben
auszugeben. Anzinger erinnerte daran,
werden. Aus eigener Erfahrung mit
dass die Bundesanstalt für Arbeit zwan-
Ein-Euro-Kräften könne er berichten,
zig Jahre lang Defizite machte, so dass
wie verheerend sich dieser immer
Bund und Steuerzahler ständig Geld
mehr oder weniger gleiche Ablauf auf
zuschießen mussten. Auch insofern
die Psyche eines Betroffenen auswirkt:
seien die Überschüsse doch sehr zu
Ein Arbeitsloser wird nach etwa einem
begrüßen.
halben Jahr Beschäftigung in einem
als
„Verschiebebahnhof“,
Anzinger merkte an, dass er die – im
Projekt wieder entlassen, obwohl er
Zuge der Reformen gewählte – Bezeich-
– wie sein Arbeitgeber – die Zusam-
nung „ALG II“ für irreführend und so-
menarbeit gerne fortsetzen würde.
mit für einen Fehler hält, da zwei völlig
Nach ein paar Monaten des Wartens
verschiedene Leistungen sehr ähnlich
ohne Perspektive bekommt er dann
bezeichnet werden: Das Arbeitslosen-
den nächsten Ein-Euro-Job und das
geld ALG I stellt eine durch Beiträge
Ganze beginnt von vorne. Jedem Ein-
finanzierte Versicherungsleistung dar.
Euro-Jobber werde dabei klar, dass er
Hingegen ist die Grundsicherung für
keine echte Chance auf eine Stelle im
Arbeitsuchende (ALG II) eine steuerfi-
ersten Arbeitsmarkt mehr hat, was zu
nanzierte Fürsorgeleistung des Staates,
Frustration und Hoffnungslosigkeit
über deren Höhe und Ausgestaltung das
führe und letztlich Persönlichkeiten
Parlament entscheidet.
zerstöre. Richtig wäre das Umgekehrte: Die Menschen müssen mental
aufgebaut werden, indem man ihnen
Verantwortung überträgt und ihre
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
93
Leistungen auch dadurch anerkennt,
Arbeitnehmer zweiter oder dritter
dass man ihnen die Perspektive einer
Klasse fühlten. Zur Veranschauli-
längerfristigen Beschäftigung bietet.
chung einer besseren Möglichkeit, die
Menschen wieder in Beschäftigung
• Nach Ansicht von Dr. Ursula Engelen-
zu bringen, berichtete Engelen-Kefer
Kefer sollte im ALG II-Bereich bei den
beispielhaft über ihre Erfahrungen
ARGEn und Agenturen darauf hinge-
mit Bürgerarbeit in Sachsen-Anhalt
wirkt werden, dass weniger Ein-Euro-
und mit öffentlichen Beschäftigungs-
Jobs und mehr sozialversicherungs-
projekten für über 55-Jährige in Wis-
pflichtige Beschäftigungen gefördert
mar (Mecklenburg-Vorpommern):
werden. Ein-Euro-Jobs könnten zwar
Hier bekämen die Betroffenen einen
im Einzelfall als Brücke in den ersten
richtigen Arbeitsvertrag und das Ge-
Arbeitsmarkt funktionieren, in mas-
fühl vermittelt, vollwertiges Mitglied
senhafter Durchführung seien sie
der Arbeitsgesellschaft zu sein. Sie
aber kontraproduktiv, da die Arbeits-
zeigte sich optimistisch, dass auch
losen von staatlichen Leistungen
ältere Langzeitarbeitslose, wenn man
(ALG II) abhängig blieben und sich
ihnen über Erfolgserlebnisse Selbst-
nach ein paar Monaten der Beschäf-
vertrauen geben kann, wieder voll-
tigung in der Regel in der gleichen
wertig beschäftigt werden können.
Situation wie vorher wiederfänden.
Schließlich hätten die meisten der
Ein-Euro-Jobs könnten deshalb keine
Langzeitarbeitslosen viele Jahre ge-
wirkliche berufliche Perspektive bie-
arbeitet und entsprechende Erfah-
ten, zumal sich die Menschen als
rungen vorzuweisen.
94
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
• In einer Wortmeldung wurde die
Ansicht vertreten, dass mit einem
den wieder näher an den ersten Arbeitsmarkt.
sozialen Arbeitsmarkt sozialversiche-
Andrea Wicklein plädierte dafür,
rungspflichtige Beschäftigung geför-
darüber nachzudenken, wie sozialver-
dert werden sollte statt auf befristete
sicherungspflichtige Beschäftigung
Ein-Euro-Jobs zu setzen, da nur so
noch stärker gefördert werden könne.
realistische Chancen auf eine Stelle
Dies gelte insbesondere für Bereiche
auf dem ersten Arbeitsmarkt entste-
hoher Langzeitarbeitslosigkeit, wo sich
hen könnten.
die Strukturen inzwischen so verfestigt
haben, dass ein direkter Wechsel in den
Anzinger bewertete den Maßnahmen-
ersten Arbeitsmarkt unrealistisch er-
Mix der letzten Jahre als insgesamt
scheint. Eine gute Möglichkeit könnten
positiv, weshalb er unbedingt beibehal-
hier sozialversicherungspflichtige, ge-
ten werden sollte. Viele Ein-Euro-Jobber
sellschaftlich sinnvolle Beschäftigungen
seien sehr froh gewesen, wieder über
in den Kommunen sein. Das Geld zur
ihre Arbeit an der Gesellschaft teilhaben
Finanzierung solcher Jobs sei durchaus
zu können. Die Befristung – auf meist
vorhanden: Gelder, die für passive Un-
ein halbes Jahr – solle verhindern, dass
terstützungsleistungen von ALG II zur
sich die Arbeitsuchenden in diesen
Verfügung stehen, sollten besser für
nicht-regulären Jobs einrichten. Der
öffentlich geförderte Beschäftigungen
staatlich geförderte soziale Arbeitsmarkt
eingesetzt werden, am besten über
habe seine Vorteile, aber es bestehe die
längere Zeiträume. Länder und Kom-
Gefahr der Stigmatisierung. Deshalb
munen müssten auch ihren Finanzie-
könnten diese Maßnahmen keine Dau-
rungsanteil leisten, denn sie würden ja
erlösung sein, sondern es müsste in
auch von den dadurch entstehenden
jedem Fall geprüft werden, ob der Ein-
Arbeitsergebnissen profitieren. Natür-
zelne wieder in den ersten Arbeitsmarkt
lich müsse aber darauf geachtet werden,
wechseln kann. Es sei wichtig, kurz- und
dass der Einsatz von Arbeitsmarktinstru-
langfristige Maßnahmen sinnvoll zu
menten wie Ein-Euro-Jobs und geförder-
kombinieren, was vor Ort in den ARGEn
ter Beschäftigung keine Arbeitsplätze
entschieden werde.
auf dem ersten Arbeitsmarkt vernichtet.
Das arbeitsmarktpolitische Instru-
Reinhard Rabe hält eine gezielte
ment der Ein-Euro-Jobs werde vernünf-
Qualifizierung und direkte Vermittlung
tig genutzt und bringe die Arbeitsuchen-
der Arbeitsuchenden an Unternehmen
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
95
für erheblich erfolgversprechender als
der Regel nicht mehr direkt in den ers-
Ein-Euro-Jobs, die letztlich den dauer-
ten Arbeitsmarkt vermittelt werden
haften Ausschluss vieler Arbeitsloser
können. Für diese Personengruppe wä-
vom Arbeitsmarkt bewirken würden.
ren Integrationsketten besser, in denen
Zudem sei es für viele Unternehmen ein
verschiedene Maßnahmen – u.a. auch
K.O.-Kriterium, wenn ein Bewerber
Ein-Euro-Jobs – über einen längeren
mehrmals einen Ein-Euro-Job hatte.
Zeitraum kombiniert werden.
Nach Rabes Ansicht bergen Maßnahmen dieser Art letztlich die Gefahr,
Menschen dauerhaft in die Langzeitarbeitslosigkeit zu führen.
Dagegen sind nach Ansicht von
Wie ist die Arbeitsmarktpolitik
nach den Hartz IV-Reformen zu
beurteilen?
Achim Battenberg Ein-Euro-Jobs nicht
prinzipiell ungeeignet, wenn auch ver-
• Aus dem Publikum kam der Vorwurf,
besserungswürdig. Die direkte Vermitt-
die Hartz IV-Reformen hätten vor
lung in den ersten Arbeitsmarkt sei si-
allem der Kostensenkung gedient:
cher die beste Lösung, doch in der
Mit Einführung der bedarfsorientier-
Praxis eben leider häufig nicht möglich.
ten Grundsicherung seien zahlreiche
In solchen Fällen könnten Ein-Euro-
der bisherigen Sozialleistungen ge-
Jobs für Arbeitsuchende die wichtige
strichen oder reduziert worden, z.B.
Möglichkeit bieten, durch Arbeit am
Qualifizierungs- und Integrations-
gesellschaftlichen Leben teilzuhaben
maßnahmen für besondere Zielgrup-
und zumindest eine Perspektive auf
pen. Das traurige Ergebnis sei nun,
längerfristige, reguläre Arbeit zu erhal-
dass diejenigen, die nicht kurzfristig
ten. Für die Unternehmen seien solche
in den Arbeitsmarkt reintegriert wer-
Beschäftigungen keineswegs per se ein
den können, als überflüssig betrachtet
K.O.-Kriterium bei Einstellungen. Viel-
und an den Rand der Gesellschaft
leicht zeige sich in dieser Frage ein
gedrängt werden. Dieser Ausschluss
Unterschied zwischen neuen und alten
könne ganze Regionen treffen, was
Bundesländern. Denn im Westen gebe
sich an Ostdeutschland besonders
es unter den ALG II-Beziehern nur we-
deutlich zeige. Arbeitsmarktpolitik
nige Facharbeiter oder besser Qualifi-
sollte sich aber nicht vorrangig an
zierte, sondern viele Langzeitarbeitslo-
Kostenreduzierung orientieren, son-
se mit geringen Qualifikationen, die in
dern an der Frage, wie viel Sozialstaat
96
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
sich dieses Land leisten möchte: Wie
greifenden Reformen dieser Art nicht
viel ist Deutschland die berufliche
zu ungeduldig zu sein.
Ausbildung, die Reintegration Arbeits-
Trotz noch bestehender Defizite
loser und ein reguläres, auskömm-
zeigte sich Andrea Wicklein davon
liches Einkommen wert für alle
überzeugt, dass sich die Arbeitsmarkt-
Menschen – auch für jene, die „nicht
politik in den letzten Jahren insgesamt
marktgängig“ sind?
verbessert hat: Sie sei nun flexibler,
zielgerichteter und bedarfsgerechter,
Anzinger versuchte, das Ausmaß der
zugleich stärker auf regionale Beson-
Arbeitsmarktreformen zu verdeutli-
derheiten ausgerichtet.
chen: Man müsse sich klar machen,
dass es sich dabei um die größte Sozial-
• In einer Wortmeldung wurde die
reform in der Geschichte der Bundes-
Ausrichtung der Reformen kritisiert:
republik handle. Seit Einführung der
Die Hartz IV-Maßnahmen beruhten
neuen Instrumente seien erst dreißig
auf der Vorstellung, dass jeder, der
Monate vergangen, und es brauche sehr
Arbeit habe, auch integriert sei. Das
viel mehr Zeit, bis sich die positiven
funktioniere aber immer schlechter,
Auswirkungen entfalten könnten. Im
weil zunehmend mehr Menschen
Jahr 2007 erhielten über sieben Millio-
aufgrund von Niedriglöhnen nicht
nen Menschen die Grundsicherung für
mehr von ihrer Arbeit leben könnten.
Arbeitsuchende, was für die Mitarbei-
In letzter Konsequenz könnte diese
terinnen und Mitarbeiter der ARGEn
Entwicklung dazu führen, dass die
vor Ort eine gewaltige Herausforde-
Mitarbeiter der ARGEn engagiert und
rung darstelle. Man müsse ihnen Zeit
erfolgreich Menschen in Beschäfti-
lassen, die umfangreichen Verände-
gungen vermitteln, aber weiterhin
rungen umzusetzen. Anzinger räumte
viele Vollzeiterwerbstätige von staat-
ein, dass in den ersten beiden Jahren
lichen Transferleistungen abhängig
nach Einführung der Reformen die
bleiben. Könnte hier ein gesetzlicher
Leistungsgewährung vielleicht etwas zu
Mindestlohn Abhilfe schaffen?
sehr im Vordergrund gestanden habe,
doch im dritten Jahr werde schon mehr
Andrea Wicklein hält es auch für einen
auf Integration geachtet. Außerdem
unhaltbaren Zustand, dass inzwischen
gäbe es entsprechende Zielvereinba-
600.000 vollbeschäftigte Arbeitneh-
rungen. Es sei sehr wichtig, bei tief-
merinnen und Arbeitnehmer ergänzend
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
97
ALG II-Geld beziehen müssen, um ihren
dung in einer Branche wird der Min-
Lebensunterhalt bestreiten zu können.
destlohn über das Arbeitnehmer-Ent-
Die Einführung eines Mindestlohnes
sendegesetz geregelt, bei weniger als
sei deshalb wichtig, doch würde man
50%-Tarifbindung über das Gesetz von
sich vermutlich in absehbarer Zeit in
1952 über Mindestarbeitsbedingun-
der Großen Koalition nicht darauf ei-
gen.
nigen können. Für viele Beschäftigte
sei es aber schon ein Fortschritt, dass
das sogenannte Entsendegesetz auf
weitere 15 Branchen ausgedehnt wird,
so wie es im Baugewerbe und bei den
Was sollte bei der zukünftigen
Arbeitsmarktpolitik verstärkt
bedacht werden?
Gebäudereinigern gemacht wurde. Das
bedeutet, dass eine gesetzliche Unter-
• In mehreren Wortmeldungen wurde
grenze gemeinsam mit dem Tarifpart-
die Notwendigkeit hervorgehoben,
ner definiert wird.
die Vermittlungsmaßnahmen auf die
Auch Rudolf Anzinger betrachtet es
Besonderheiten der Regionen und die
als Problem, dass zunehmend mehr
konkreten Bedürfnisse der potenziel-
Vollzeiterwerbstätige aufgrund ihres
len Arbeitgeber zielgenau abzustim-
niedrigen Arbeitseinkommens auf zu-
men. Dies sei erfahrungsgemäß von
sätzliche staatliche Unterstützung als
entscheidender Bedeutung für jeden
Aufstockungsleistung zur Existenzsi-
Vermittlungserfolg. Im Mittelpunkt
cherung angewiesen sind. Bei einem
sollte dabei immer der Arbeitslose
geringqualifizierten Alleinverdiener, der
stehen – jeder Einzelne müsse indi-
eine Familie mit mehreren Kindern
viduell beraten und begleitet, unter-
ernähren müsse, würde sich das ver-
stützt und in seinen Kompetenzen
mutlich auch durch einen Mindestlohn
entwickelt werden. Nicht Druck und
nicht ändern. Doch der gegenwärtig
Zwang, sondern individuelle Betreu-
hohe Anteil an alleinstehenden Gering-
ung und Begleitung von Arbeitslosen
verdienern unter den Hilfeempfängern
führe letztlich zum Erfolg.
sei nicht akzeptabel. Da seiner Ansicht
• Ursula Engelen-Kefer forderte, die
nach ein allgemeiner gesetzlicher Min-
Unternehmen in Zukunft stärker in
destlohn dieses Problem nicht gänzlich
die Pflicht zu nehmen. Es sei gut, die
lösen kann, befürwortet er eine zweige-
Organisation der Arbeitsvermittlung
teilte Lösung: Bei über 50%-Tarifbin-
zu verbessern, doch es werde zu wenig
98
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
nach der Rolle der Arbeitgeber gefragt.
tatsächlich ankommt, so dass eine am
Gerade in Bezug auf Langzeitarbeits-
spezifischen Bedarf ausgerichtete Ver-
lose sei es wichtig, die Arbeitgeber
mittlung möglich ist – es gebe ja durch-
stärker ins Boot zu holen und auch
aus beträchtliche Unterschiede in den
Anreize zu geben, mehr Langzeitar-
einzelnen Regionen. Notwendig sei
beitslose zu beschäftigen.
aber unbedingt auch eine größere Bereitschaft der Arbeitnehmer zur Mobi-
Reinhard Rabe betonte, dass eine wirt-
lität.
schaftsnahe, am Bedarf orientierte
Rudolf Anzinger stimmte zu, dass
Qualifizierung für den ersten Arbeits-
die Arbeitsmarktpolitik künftig noch
markt immer die beste Lösung und
stärker an regionalen Besonderheiten
durch nichts zu ersetzen sei. Deshalb
ausgerichtet werden sollte. In manchen
sollte in diesen Bereich erheblich mehr
Regionen sei vielleicht der soziale Ar-
investiert werden als bisher: Die Men-
beitsmarkt der richtige Weg, in anderen
schen müssten für neue Berufe und
könnten Ein-Euro-Jobs oder andere
Tätigkeiten mit gezielten Maßnahmen
Maßnahmen sinnvoller sein. Im Kern
fit gemacht werden, was bereits in der
ginge es immer darum, die jeweiligen
Schule möglichst früh als Berufsorien-
Instrumente vor Ort vernünftig einzu-
tierung beginnen sollte. Nach einer
setzen. Gegenwärtig werde bereits viel
Ermittlung der vorhandenen Arbeits-
Geld zur Bekämpfung von Arbeitslo-
plätze müssten gezielte Lösungen in
sigkeit aufgewendet. Das Vermittlungs-
breiter Zusammenarbeit aller Akteure
system verbessere sich nicht durch eine
entwickelt werden. Auch seien die Ge-
Aufstockung der Mittel, sondern es
spräche der Bundesagentur mit Prak-
müsse weiter der Weg verfolgt werden,
tikern noch zu intensivieren. Es sei
das Geld möglichst zielgenau und be-
wichtig, dass das vorhandene Praxis-
darfsorientiert auszugeben.
wissen in den Agenturen und ARGEn
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
3
99
Ökonomische Teilhabe
Materielle Mitarbeiterbeteiligung
Dr. Angela Borgwardt, Politologin
Seit einigen Jahren wird intensiv darü-
Bei der materiellen Mitarbeiterbe-
ber diskutiert, wie Arbeitnehmerinnen
teiligung ist grundsätzlich zwischen
und Arbeitnehmer stärker als bisher an
Formen der Erfolgsbeteiligung und der
Unternehmenskapital und -gewinnen
Kapitalbeteiligung zu unterscheiden.
materiell beteiligt werden können. Ein
Bei Erfolgsbeteiligungen erhalten
wichtiger Grund liegt in der stark un-
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
gleichen Entwicklung von Erwerbs-
zusätzlich zu ihrem festen Lohn bzw.
einkommen und Kapitaleinkünften:
Gehalt eine erfolgsabhängige, variable
Seit Anfang der 1990er-Jahre sind die
Zuwendung: entsprechend dem Ge-
realen Nettoeinkommen aus Löhnen
winn eines Unternehmens (Gewinnbe-
und Gehältern stagniert oder sogar
teiligung), gemäß ihren Leistungen
zurückgegangen, während die Einkom-
(Leistungsbeteiligung), nach Ertrag des
men aus Vermögen und Kapital deut-
Unternehmens (Ertragsbeteiligung).
lich gestiegen sind.1 Im Zuge der Debat-
Die weitaus häufigste Form ist die
te über Verteilungsgerechtigkeit wird
Gewinnbeteiligung: Bei wirtschaft-
deshalb die Forderung lauter, geeignete
lichem Erfolg eines Unternehmens wird
politische Rahmenbedingungen zu
ein Teil der Unternehmensgewinne in
schaffen, damit mehr Arbeitnehmerin-
Form von Gratifikationen, Prämien oder
nen und Arbeitnehmer am Produktiv-
Provisionen an die beteiligten Mitar-
vermögen beteiligt werden und von den
beiterinnen und Mitarbeiter ausbezahlt.
Zuwächsen am Kapitalvermögen profi-
Soweit nicht anders in Arbeits- oder
tieren können.
Tarifverträgen vereinbart, sind Gewinn-
1
Vgl. z. B. Einkommensentwicklung im Spannungsfeld zwischen verbesserter Wettbewerbsfähigkeit
und Konsumschwäche. Monatsbericht des BMF (Bundesministerium der Finanzen), Dezember
2007.
100
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Formen der Mitarbeiterbeteiligung2 (Schema)
Mitarbeiterbeteiligung
materiell
Erfolgsbeteiligung
Kapitalbeteiligung
Gewinnbeteiligung
Eigenkapitalbeteiligung
Leistungsbeteiligung
(z.B. Belegschaftsaktie,
GmbH-Anteile)
Ertragsbeteiligung
Fremdkapitalbeteiligung
immateriell
Gesetzliche
Mitbestimmung
(Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz 1976)
Freiwillig eingeräumte
Partizipation von
Mitarbeitern am
Unternehmensprozess
(Mitarbeiterdarlehen)
Mischformen
(Genussrecht,
direkte stille Beteiligung,
indirekte Beteiligung)
beteiligungen eine freiwillige Leistung
Verfügung und werden dadurch zu
des Arbeitgebers, der Art und Umfang
Miteigentümern oder Kreditgebern des
weitgehend nach eigenem Ermessen
Unternehmens.
festlegen kann. Die Beschäftigten sind
Verbreitete Modelle der Eigenkapi-
nicht mit ihrem privaten Vermögen am
talbeteiligung sind:
Kapital des Unternehmens beteiligt und
• Belegschaftsaktie: Die Mitarbeiterin-
somit auch nicht am wirtschaftlichen
nen und Mitarbeiter einer Aktien-
Risiko.
gesellschaft kaufen (vergünstigte)
Bei Kapitalbeteiligungen stellen
Aktien ihres Unternehmens und er-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ih-
werben dadurch eine echte Eigenka-
rem Unternehmen eigenes Kapital zur
pitalbeteiligung. Sie werden zu Mit-
2
Schema orientiert an: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.): Mitarbeiterbeteiligung
am Produktivvermögen. Ein Wegweiser für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Bonn 1998.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
101
eigentümern mit allen entsprechen-
oder gewinnabhängig innerhalb ei-
den Aktionärsrechten. Durch Aktien-
ner definierten Schwankungsbreite
kurs und Dividende sind sie direkt
ausgehandelt werden kann. Es han-
am Wertzuwachs und am Gewinn des
delt sich um reines Fremdkapital ohne
Unternehmens beteiligt. Ihre Haf-
Kontroll- und Mitbestimmungsrech-
tung beschränkt sich auf den Wert
te. An Wertzuwachs, Gewinn und
ihrer Einlage. Diese Beteiligungsform
Verlust des Unternehmens sind die
hat bei börsennotierten Aktienge-
Mitarbeiter/innen nicht beteiligt;
sellschaften für die Beschäftigten den
allerdings muss das Darlehen vom
Vorteil großer Flexibilität, da der
Arbeitgeber gegen Insolvenz abgesi-
Aktienbesitz nach persönlicher Ein-
chert werden (Kreditwesengesetz).
schätzung der wirtschaftlichen Lage
Mischformen:
an der Börse aufgestockt oder abge-
• Genussrechte: Die Arbeitnehmerinnen
stoßen werden kann.
• GmbH-Anteil: Die Mitarbeiterinnen
und Arbeitnehmer erwerben am arbeitgebenden
Unternehmen
nur
und Mitarbeiter werden zu eingetra-
Vermögensrechte ohne weitergehen-
genen Gesellschaftern ihres GmbH-
de Rechte eines Miteigentümers; das
Unternehmens mit sehr umfäng-
Konkursrisiko und die Beteiligung an
lichen Rechten. Sie sind am Wertzu-
Gewinn und Verlust können vertrag-
wachs, Gewinn und Verlust der Ge-
lich weitgehend frei vereinbart wer-
sellschaft direkt und dauerhaft beteiligt, können ihre Beteiligung aber
den.
• Direkte stille Beteiligung: Durch eine
nicht ohne Weiteres veräußern. Ihr
Vermögenseinlage werden die Mitar-
Risiko ist im Konkursfall in der Regel
beiterinnen und Mitarbeiter zu stillen
auf ihre Stammeinlage begrenzt (Haf-
Gesellschaftern des Unternehmens
tungsbeschränkung).
und sind an Gewinn und Verlust (je
Bei Fremdkapitalbeteiligung werden die
nach Vereinbarung) beteiligt; sie
Beschäftigten nicht zu Eigentümern,
haben jedoch keine Mitentschei-
sondern zu Kreditgebern des Unterneh-
dungs-, sondern nur Informations-
mens:
und eng begrenzte Kontrollrechte
• Mitarbeiterdarlehen: Die Mitarbeite-
ohne gesetzlich vorgeschriebene In-
rinnen und Mitarbeiter stellen ihrem
solvenzsicherung.
Unternehmen ein Darlehen zur Ver-
• Indirekte Beteiligung: Im Unterschied
fügung, wobei der Zins als fester Satz
zu den anderen Beteiligungsformen,
102
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
die auf einem direkten Vertragsver-
werden (z.B. Belegschaftsaktien, betrieb-
hältnis zwischen arbeitgebendem
liche Rentensysteme, GmbH-Anteile).
Unternehmen und Mitarbeiter bzw.
Bei allen Kapitalbeteiligungen werden
Mitarbeiterin basieren, wird hier eine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über
Institution (Mitarbeitergesellschaft)
ihren Kapitalanteil am Unternehmens-
zwischengeschaltet. Häufigste Form
ergebnis beteiligt, doch die Unter-
ist die indirekte stille Beteiligung, bei
schiede in Bezug auf Mitspracherechte,
der eine Mitarbeiterbeteiligungsge-
mögliche Gewinne und Risiken sind
sellschaft (MBG) das Kapital der Be-
beträchtlich.
schäftigten sammelt und gebündelt
In Deutschland beteiligen etwa zehn
an das arbeitgebende Unternehmen
Prozent der Betriebe ihre Mitarbeite-
weitergibt; die Gewinne des Unter-
rinnen und Mitarbeiter am Gewinn,
nehmens werden an die MBG ausge-
aber in nur zwei Prozent der Unterneh-
schüttet und an die entsprechenden
men sind sie am Kapital beteiligt.3
Mitarbeiter verteilt.
Diese Verbreitung von Gewinn- und
In der Praxis werden Formen der Er-
Kapitalbeteiligungen ist im Vergleich
folgsbeteiligung und der Kapitalbetei-
zu anderen EU-Ländern eher unter-
ligung oft kombiniert, z.B. indem
durchschnittlich.4 Neuere Untersuchun-
Einnahmen der Arbeitnehmerinnen
gen haben gezeigt, dass in Deutschland
und Arbeitnehmer aus Erfolgsbeteili-
innerhalb von Betrieben mit derartigen
gungen als Kapitalbeteiligung im Un-
Beteiligungsformen der Anteil der par-
ternehmen angelegt werden. Als Inves-
tizipierenden Beschäftigten aber relativ
tivlohn werden Lohnbestandteile oder
hoch ist.5 Zudem zeigten sich folgende
lohnähnliche Zuwendungen des Ar-
Ergebnisse:
beitgebers bezeichnet, die nicht direkt
• Vor allem qualifizierte Arbeitneh-
an den Arbeitnehmer ausbezahlt, son-
merinnen und Arbeitnehmer, insbe-
dern in Form einer Beteiligung am ar-
sondere Hochqualifizierte, profitieren
beitgebenden Unternehmen angelegt
von solchen Beteiligungsmodellen.
3
4
5
Vgl. Lutz Bellmann/Ute Leber: Materielle Mitarbeiterbeteiligung: Geringe Verbreitung, aber hohe
Intensität, IAB-Kurzbericht 13/2007 (Zahlen für 2005).
Vgl. Lutz Bellmann/Iris Möller: Die Betriebe in Deutschland haben Nachholbedarf, IAB-Kurzbericht
13/2006. Zu diesem Ergebnis kamen wissenschaftliche Vergleichsstudien Ende der 1990er-Jahre,
wobei das Angebot an Mitarbeiterbeteiligung (Gewinn- und Kapitalbeteiligung) in Deutschland
zwischen 2001 und 2005 weitgehend unverändert geblieben ist.
Vgl. Bellmann/Leber 2007.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
103
Geringqualifizierte, Arbeiter aus dem
Identifikation mit dem arbeitgebenden
gewerblichen Bereich und Niedrig-
Unternehmen erhöhen. Auch für die
verdiener werden nicht so oft einbe-
Rekrutierung hochqualifizierter Mitar-
zogen.
beiter und ihre Bindung an das Unter-
• Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
kleinen Betrieben werden seltener an
Gewinn und Kapital beteiligt als solche in großen Unternehmen.
nehmen wird ein positiver Einfluss
vermutet.7
Kritische Stimmen gegenüber Mitarbeiterkapitalbeteiligungen kommen
• Staatliche Interventionen zur Förde-
mehrheitlich aus den Reihen der Arbeit-
rung der Mitarbeiterbeteiligung kön-
nehmerverbände und Gewerkschaften.8
nen zwar ihre Verbreitung erhöhen,
Folgende Argumente stehen im Vorder-
sollten aber das Prinzip der Freiwil-
grund:
ligkeit beachten.
• Kapitalbeteiligungen können für die
• Positive Effekte der Mitarbeiterbetei-
Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
ligung auf Beschäftigung und Wachs-
mer ein „doppeltes Risiko“ darstellen:
tum in den Betrieben ergeben sich
Im Falle wirtschaftlicher Probleme
nur bei geeigneten Rahmenbedin-
bis hin zu einer Insolvenz ihres Un-
gungen – z. B. durch eine partner-
ternehmens wäre nicht nur der
schaftliche Unternehmenskultur.6
einkommenssichernde Arbeitsplatz,
Aus Sicht der Unternehmen können
sondern auch ihr investiertes Kapital
materielle Kapitalbeteiligungen neue
gefährdet. Gesetzliche Regelungen
Finanzierungsquellen erschließen und
zur Insolvenzsicherung des Kapi-
so die Eigenkapitalquote und die Liqui-
taleinsatzes werden deshalb als un-
dität erhöhen. Zudem werden produk-
verzichtbar betrachtet.
tivitätssteigernde Wirkungen erwartet,
• Die Erträge von Kapitalbeteiligungen
wenn sich die Motivation der Mitarbei-
sind von der wirtschaftlichen Ent-
terinnen und Mitarbeiter und ihre
wicklung abhängig und können die
6
7
8
Ebd.
Vgl. Rosemarie Kay, Institut für Mittelstandsforschung (IfM): Materielle Mitarbeiterbeteiligung. Das
Für und Wider verschiedener Beteiligungsformen. (Impulsreferat auf der Veranstaltung „Mittelstandsförderung durch materielle Mitarbeiterbeteiligung?“ der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Investitionsund Strukturbank Rheinland-Pfalz in Kaiserslautern am 14. Juni 2007.
Z.B. in öffentlichen Äußerungen des IG-Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters, des Ver.di-Vorsitzenden
Frank Bsirske, des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer. Vgl. IG-Metall-Pressemitteilung 35/2007,
27.06.2007; Wirtschaftspolitische Informationen 5/06, ver.di Bundesvorstand Berlin, November
2006; DGB-Pressemeldung, 29.11.2006.
104
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
zum Inflationsausgleich notwendigen
eines Arbeitnehmers – sehr proble-
Lohn- und Gehaltserhöhungen nicht
matisch werden kann: Mit Ausnahme
ersetzen. Die direkte Einkommens-
der börsennotierten Aktiengesell-
steigerung sollte somit absoluten
schaften sind Kapitalbeteiligungen
Vorrang haben (u.a. durch Tarifver-
an Unternehmen nicht ohne Weiteres
träge, Mindestlöhne).
im Wert zu beziffern und zu verkaufen
• Beschäftigte mit geringem Einkom-
(auf dem Markt handelbar), da kein
men haben in der Regel kein ausrei-
entsprechender Markt besteht. Aus
chendes Vermögen, das als Kapital-
diesem Grund sind für die Mehrzahl
beteiligung einsetzbar wäre und
der kleinen und mittelständischen
können somit nicht von den Zuwäch-
Betriebe Eigenkapitalbeteiligungsmo-
sen des Produktivvermögens profitie-
delle praktisch kaum umsetzbar.
ren. Mitarbeiterbeteiligungen sollten
• Kapitalbeteiligungen bedeuten auch
prinzipiell zusätzliche Leistungen zu
eine höhere Beteiligung am unter-
den fest vereinbarten Tariflöhnen
nehmerischen Risiko und sollten
(„on top“) sein, keine umgewandelten
deshalb mit einer Ausweitung der
Anteile des Lohns (Investivlohn).
Mitbestimmungsrechte (immaterielle
• Kapitalbeteiligungen sind grundsätz-
Mitarbeiterbeteiligung) verbunden
lich als freiwillige Option anzubieten.
werden.
Nach Ansicht der Arbeitnehmervertre-
• Die Stärkung der betrieblichen Alters-
ter müssen diese noch offenen Fragen
vorsorge sollte Vorrang vor dem
und Probleme zunächst geklärt und bei
Ausbau der Mitarbeiterbeteiligung
gesetzlichen Neuregelungen entspre-
haben.
chend berücksichtigt werden.
• Kapitalbeteiligungen müssen durch
Die Große Koalition will mit gesetz-
gesetzliche Regelungen zur Rückgabe
lichen Regelungen die materielle Mit-
für den Mitarbeiter bzw. die Mitarbei-
arbeiterbeteiligung weiter fördern und
terin kalkulierbarer gemacht werden,
dadurch eine stärkere Verbreitung be-
da sonst der Verkauf von Unterneh-
günstigen.9 Die Regierungsparteien sind
mensanteilen – z.B. bei Ausscheiden
sich darin einig, dass für die Beschäf-
9
Gegenwärtig wird materielle Mitarbeiterbeteiligung im eigenen Unternehmen im Wesentlichen auf
zwei Wegen staatlich gefördert: nach dem Fünften Vermögensbildungsgesetz (VermBG, Arbeitnehmersparzulage) und der Förderung nach § 19a EStG.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
105
tigten aufgrund der nur mäßig wach-
auf freiwilliger Basis Fondsanteile er-
senden Löhne und Gehälter zusätz-
werben. Dieses Kapital wird dann ge-
liche Einkommensquellen über Ge-
bündelt an die arbeitgebenden Unter-
winn- und Kapitalbeteiligungen er-
nehmen als Eigenkapitalbeteiligung
schlossen werden sollen, um die Kluft
weitergegeben (in Höhe der Fondsein-
zwischen Beziehern von Kapital- und
lage ihrer Mitarbeiterinnen und Mit-
Arbeitseinkommen zu mindern. Auch
arbeiter). Eine Bank soll dabei das
wird davon ausgegangen, dass sich eine
Fondsmanagement übernehmen. Fol-
verstärkte Mitarbeiterbeteiligung posi-
gende Ziele stehen im Vordergrund:
tiv auf Beschäftigung und Wirtschafts-
• Förderung des Vermögensaufbaus der
wachstum auswirken würde.
Im Sommer 2007 haben SPD und
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Union ihre jeweiligen Konzepte vorge-
• Reduktion des doppelten Risikos der
legt. In beiden Modellen werden Mit-
Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
arbeiter zu Mitunternehmern,10 doch
mer
zeigen sich deutliche Unterschiede in
der Ausgestaltung.
Das SPD-Konzept „Deutschlandfonds“11 soll die bisherigen Möglich-
• Sicherstellung der Handelbarkeit der
Anteile
• Reduktion der administrativen Kosten.
keiten der Kapitalbeteiligung ergänzen
Die Absicherung gegen Insolvenz soll
und dazu beitragen, dass die Beschäf-
über eine Streuung des Risikos durch
tigten stärker an den Unternehmens-
die Beteiligung einer Vielzahl von Un-
gewinnen partizipieren. Bei dieser in-
ternehmen gewährleistet werden: Die
direkten Beteiligungsform fungiert der
Insolvenz einer einzelnen Firma könn-
Deutschlandfonds als eine Zwischen-
te dann breit aufgefangen werden und
instanz zwischen Arbeitnehmer und
würde somit nicht das investierte Ver-
arbeitgebendem Unternehmen: Als
mögen der dort Beschäftigten gefähr-
„deutschlandweite Kapitalsammelstel-
den. Ein zusätzlicher Absicherungsme-
le“ sammelt er Kapital bei den Arbeit-
chanismus in Form einer Bundesgaran-
nehmerinnen und Arbeitnehmern, die
tie könnte hinzukommen. Die SPD
10 Vgl. Kolja Rudzio: Kollege Kapitalist. In: Die Zeit, 5.7.2007, Nr. 281.
11 SPD/SPD-Bundestagsfraktion: Deutschlandfonds für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eckpunkte für mehr Mitarbeiterbeteiligung. Bericht der gemeinsamen „Arbeitsgruppe Mitarbeiterbeteiligung“ von SPD-Parteivorstand und SPD-Bundestagsfraktion, Juni 2007.
106
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
möchte mit ihrem Konzept ganz beson-
z.B. Belegschaftsaktien oder Mitarbei-
ders mittelständische Unternehmen
terdarlehen, stärker als bisher zu fördern
ansprechen, die bisher noch kaum
und steuerlich zu subventionieren. Die
Mitarbeiterkapitalbeteiligungen anbie-
Union will vorrangig die Anlage zusätz-
ten, da die existierenden Modelle – auf-
licher freiwilliger Leistungen des Ar-
grund hoher Kosten und bürokratischer
beitgebers fördern, aber auch die frei-
Verfahren – vielen nicht geeignet er-
willige Umwandlung von Bruttolohn-
scheinen.
anteilen in Kapitalbeteiligungen unter-
Die Union setzt dagegen auf direkte
stützen. Darüber hinaus sollen die Be-
Kapitalbeteiligungen, die den Arbeit-
schäftigten ihre Beteiligungen in Alters-
nehmer bzw. die Arbeitnehmerin un-
vorsorgepläne über führen können.
mittelbar am arbeitgebenden Unter-
Hinsichtlich der Insolvenzsicherung
nehmen beteiligen. Ein wichtiges Ziel
sehen CDU/CSU keinen gesetzgeberi-
ist die Steigerung der Motivation bei
schen Handlungsbedarf: Gesellschafts-
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
rechtliche Beteiligungen seien grund-
durch erhöhte Identifikation und Leis-
sätzlich Risikokapital, zu denen eine
tungsbereitschaft. Die damit verbun-
gesetzliche Absicherung nicht passt;
denen produktivitätsteigernden Effek-
das Abschließen entsprechender Aus-
te können nach Auffassung von CDU/
fallversicherungen könne aber indivi-
CSU aber nur durch eine enge Bindung
duell innerhalb der Betriebe vereinbart
an das eigene Unternehmen erreicht
werden.
werden. Nach ihrem Konzept „Betrieb-
Ende 2007 gingen CDU/CSU und
liche Bündnisse für Soziale Kapitalpart-
SPD in der Frage der Mitarbeiterkapi-
nerschaften“12 sollen sich Arbeitgeber
talbeteiligung aufeinander zu. Im April
und Arbeitnehmer weiterhin auf be-
2008 verständigte sich die zuständige
trieblicher Ebene darüber verständigen,
Arbeitsgruppe der Großen Koalition
ob und in welcher Form Kapitalbeteili-
unter
gungen angeboten und wahrgenom-
(SPD), CSU-Chef Erwin Huber (CSU)
men werden. Der Staat soll sich darauf
und dem nordrhein-westfälischen Ar-
beschränken, die bereits existierenden
beitsminister
Formen von Kapitalbeteiligung, wie
(CDU) auf wesentliche Eckpunkte eines
Arbeitsminister
Olaf
Karl-Josef
12 Detailliertere Ausführungen zum Konzept finden sich unter:
www.cdu.de/doc/pdfc/070629-eckpunktepapier-kapitalpartnerschaften-cdu-csu.pdf.
Scholz
Laumann
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
107
Modells zur Mitarbeiterbeteiligung.13
mit würde der Förderhöchstbetrag
Das Eckpunkte-Papier vereint als Kom-
von 72 auf 80 Euro jährlich steigen.
promiss Positionen der SPD und der
Außerdem sollen die dabei geltenden
CDU:
Einkommensgrenzen im Vermögens-
• Der Erwerb von Kapitalanteilen am
bildungsgesetz auf 20.000 Euro für
eigenen Betrieb soll künftig durch
Ledige (bisher 17.900) und 40.000
einen Steuerfreibetrag von 360 Euro
Euro für Ehepaare (bisher 35.800)
pro Jahr (bisher 135 Euro) zusätzlich
gefördert werden.
angehoben werden.
• Neben der direkten Beteiligung am
• Die Förderung über die sog. vermö-
Unternehmen soll auch eine indirekte
genswirksamen Leistungen soll er-
Beteiligung als Anlage in speziellen
höht werden.
Fonds förderfähig sein, z.B. für ein-
• Der Freibetrag im Einkommenssteu-
zelne Branchen (angelehnt an das
ergesetz soll steigen und künftig nicht
SPD-Fondsmodell). Dabei muss je-
mehr daran gekoppelt werden, dass
doch ein Rückfluss von 75 Prozent
der Arbeitnehmer oder die Arbeit-
des eingebrachten Kapitals an die
nehmerin parallel zum Arbeitgeber-
beteiligten Unternehmen garantiert
Zusschuss einen gleich hohen Anteil
werden.
mit seinem eigenen Gehalt erwirbt.
Somit scheint nach jahrelanger Dis-
• Der Fördersatz für vermögenswirksa-
kussion eine stärkere Teilhabe der Ar-
me Leistungen, die in Beteiligungen
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer
angelegt werden, soll erhöht werden
an Kapitaleinkommen und Unterneh-
(von derzeit 18 auf 20 Prozent). Da-
mensgewinnen in greifbarer Nähe.
13 Vgl. Koalition baut Mitarbeiterbeteiligung aus. In: Handelsblatt online, 21. April 2008.
108
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Die (Wieder)Entdeckung der Mitarbeiterbeteiligung
Kapitalbeteiligung und Belegschaftsaktie –
Wege zu stärkerer ökonomischer Teilhabe?
Mitarbeiterbeteiligung – gesellschaftspolitische Notwendigkeiten
und rechtlicher Handlungsbedarf
Prof. Dr. Karl-Georg Loritz
Universität Bayreuth,
Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche
Fakultät
I. Die aktuelle Situation der
Mitarbeiterbeteiligung in
Deutschland
lich halte. Gegenwärtig ist nur jeder
dreizehnte Arbeitnehmer am Gewinn
seines arbeitgebenden Unternehmens
beteiligt.
Thema meines heutigen Vortrags ist die
In Deutschland sind über 90 Pro-
aktuelle Situation der Mitarbeiterbe-
zent der im Arbeitsleben Stehenden
teiligung in Deutschland. Dabei möch-
Nichtselbstständige (Angestellte, Arbei-
te ich weniger auf rechtliche Details
ter, Beamte). Dieser große Teil der Be-
eingehen, sondern verdeutlichen, dass
völkerung muss an dem teilhaben
in diesem Bereich endlich etwas passie-
können, was künftig in der Volkswirt-
ren muss. Es darf nicht sein, dass wir
schaft vermutlich erheblich bessere
noch weitere zwanzig oder dreißig Jah-
Wertschöpfungspotenziale hat als die
re lang über dieses Thema diskutieren
menschliche Arbeit, nämlich die Be-
– so lange, bis es schließlich zu spät ist.
teiligung an Unternehmen und die
Im Folgenden möchte ich darstellen,
zielgerichtete Investition von Kapital.
warum ich die Einführung der Mitar-
Ich bin fest davon überzeugt – wie auch
beiterbeteiligung für dringend erforder-
viele andere Experten –, dass in Zukunft
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
109
die Verteilung dessen, was in der Volks-
nur um eine abstrakte Form der Ver-
wirtschaft erwirtschaftet wird, für die
mögensverteilung, sondern auch um
deutsche Gesellschaft eine wesentliche
die Frage, wie der Zugang zu den Bil-
Rolle spielen wird. Dabei geht es nicht
dungschancen und damit auch zu den
Überblick über die Zuwächse der Einkommen der Nichtselbstständigen in der
Vergangenheit
1. Durchschnittliche Brutto-Monatsverdienste der Angestellten
1957
1967
1977
1987
1997
2006
228,– €
466,– €
1161,– €
1901,– €
2689,– € (alte Bundesländer 2778,– €, neue Bundesländer 2122,– €)
3510,– € (alte Bundesländer 3595,– €, neue Bundesländer 2679,– €)
Überblick über die Zuwächse der Einkommen der Nichtselbstständigen in der
Vergangenheit
2. Durchschnittliche Brutto-Monatsverdienste der Arbeiter
1957
1967
1977
1987
1997
2006
238,– €
466,– €
1096,– €
1589,– €
2145,– € (alte Bundesländer 2234,– €, neue Bundesländer 1657,– €)
2510,– € (alte Bundesländer 2669,– €, neue Bundesländer 1994,– €)
Überblick über die Zuwächse der Einkommen der Nichtselbstständigen in der
Vergangenheit
3. Steigerung der Tariflöhne von 2000 (=100) bis 2006
●
●
●
●
alle erfassten Wirtschaftszweige: 113,0
verarbeitendes Gewerbe 116,4
Gebrauchsgüter 114,2
Verbrauchsgüter und Produktion 113,1
110
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Berufschancen geregelt ist, der vom
durchschnittliche Zuwachs in den letz-
finanziellen Wohlstand der Eltern mit
ten Jahren ungefähr bei 2,3 Prozent in
abhängig ist.
einer ganzen Reihe von Wirtschafts-
Wenn man die Einkommenszu-
zweigen.
wächse der Nichtselbstständigen in den
Betrachtet man Unternehmensge-
letzten Jahrzehnten betrachtet, ist fest-
winne und Einkommenssituation, zeigt
zustellen, dass die durchschnittlichen
sich eine klare Tendenz, die weltweit
Brutto-Monatsverdienste der Angestell-
festzustellen ist. Im Vergleich von Wirt-
ten kontinuierlich gewachsen sind.
schaftswachstum und Tariflohn-An-
Diese Aufwärtsbewegung hat bis unge-
stieg wird deutlich: Die Chancen, durch
fähr Mitte der 90er Jahre angehalten,
Unternehmens- und Kapitalinvestitio-
dann wurden die Steigerungen deut-
nen überdurchschnittlich zu verdienen,
lich geringer – auch wenn man die
sind in den letzten Jahren tendenziell
Friktionen zwischen alten und neuen
besser geworden als die Chancen, durch
Bundesländern eliminiert. Bei den Ver-
den Einsatz der Arbeitskraft überdurch-
diensten der Arbeiter sind die Einkom-
schnittlich zu verdienen. Das gilt übri-
menszuwächse etwas bescheidener
gens nicht nur für den Niedriglohnbe-
ausgefallen.
reich, sondern auch für obere Einkom-
Auch wenn Statistiken natürlich
mensgruppen. Selbst die Professoren-
immer mit Skepsis zu sehen sind, ist
gehälter der obersten Kategorie, die an
offensichtlich, dass die Tariflöhne in
den Rang eines Staatssekretärs heran-
Deutschland seit dem Jahr 2000 relativ
reichen, sind nur relativ moderat ge-
wenig gestiegen sind. Demnach lag der
stiegen. Der entscheidende Punkt ist
Unternehmensgewinne und Einkommenssituation
●
●
●
●
●
Die Gewinne der 30 größten Dax-Unternehmen sind 2006 um ca. 72% gestiegen.
Die Wirtschaft in Deutschland ist um 1,7% gewachsen.
Die Tariflöhne sind um durchschnittlich 1,5% gestiegen.
Die Bruttomonatsverdienste der Angestellten sind von 2005 bis 2006 von durchschn.
3442,– € auf 3510,– € = 2% gestiegen.
Die Bruttomonatsverdienste der Arbeiter/innen sind von 2005 bis 2006
von 2542,– € auf 2562,– € = 0,8% gestiegen.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
aber: Wie hat sich das Einkommen des
Großteils der Bevölkerung – also der
111
II. Das Tarifgeschehen in
Deutschland
nichtselbstständigen Arbeitnehmer – in
den letzten Jahren entwickelt?
Zunächst möchte ich auf das Tarifge-
Im Hinblick auf das Geldvermögen
schehen in Deutschland eingehen, in-
ist Deutschland durchaus ein reiches
besondere auf die Ursachen für die
Land. Das Gesamtvermögen der pri-
aktuelle Situation in diesem Bereich.
vaten Haushalte liegt bei etwa 9,2 Bil-
Die Grundlagen des Arbeitsrechts, na-
lionen Euro, unterteilt in Geldvermögen
mentlich der Tarifautonomie, haben
(3,7 Bill. Euro brutto), Sachvermögen
sich nicht nur in Deutschland, son-
(4,6 Bill. Euro brutto) und Gebrauchs-
dern weltweit fundamental geändert.
vermögen (0,9 Bill. brutto). Davon
Von den 60er bis zu den 80er Jahren
entfallen auf die unteren 50 Prozent der
gab es Tariflohnerhöhungen, die über
Haushalte ungefähr 4 Prozent und auf
dem Produktivitätsfortschritt zahlrei-
die oberen 10 Prozent der Haushalte 47
cher Unternehmen lagen. Die Arbeit-
Prozent des Vermögens.
nehmerseite hatte wirksame Instrumen-
Das Ungleichgewicht ist deutlich,
tarien zur Durchsetzung ihrer Rechte,
aber ich bin ein großer Gegner der
die zum Teil in überzogener Form ge-
Auffassung, man sollte den Vermö-
schah. Im Zuge dessen verloren viele
genden dann doch einfach etwas weg-
deutsche Unternehmen ihre Konkur-
nehmen. Das haben schon einige Re-
renzfähigkeit. Seit den 80er Jahren hat
gierungen versucht und es ist gründlich
der internationale Konkurrenzdruck
misslungen – es hat eine „Auswande-
die Unternehmen zu alternativem Han-
rungswelle“ vieler sog. großer Vermögen
deln gezwungen – und dieses auch er-
und gut verdienender Unternehmer
leichtert.
und Manager hervorgerufen. Deutsch-
Nun stellt sich die Frage, ob wir im
land ist eines der wirtschaftlich erfolg-
Bereich des Tariflohns wieder in alte
reichsten Länder und muss deshalb
Muster zurückfallen und an die Instru-
einen anderen Weg gehen. Und ich
mente der 60er, 70er und 80er Jahre
denke, dass wir mit relativ wenigen
anknüpfen sollten. Unabhängig davon,
Stellschrauben auch das Notwendige
ob das überhaupt umzusetzen wäre,
erreichen könnten.
würde es uns auch nichts nützen, weil
112
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
wir uns nicht dauerhaft gegen weltwirt-
im Chaos versinkt und versucht, sich
schaftliche Trends stellen können. Es
mehr oder weniger von den dortigen
ist einfach nicht möglich, international
Entwicklungen abzuschirmen. Das
tätigen Investoren und Unternehmen
mögen manche für richtig halten – ich
vorzuschreiben, wo sie sich ansiedeln
halte es nicht für richtig und ethisch
sollen. Auch mit noch so rigorosen
für nicht vertretbar. Gerade in Afrika ist
steuerlichen Maßnahmen wird man es
auch erhebliches Arbeitskräftepoten-
nicht schaffen, zu verhindern, dass
zial vorhanden, das eines Tages „erwa-
deutsche Unternehmen Standorte ins
chen“ und das „Angebot“ an mensch-
Ausland verlagern.
licher Arbeit weltweit „vergrößern“
Wir hatten in Deutschland lange
wird.
Zeit das Glück, ein wirtschaftlich blü-
Wenn nach Deutschland von irgend-
hendes Land im Aufschwung zu sein.
woher Arbeitskräfte zuströmen, die
Bis in die 80er Jahre hinein war da-
bereit sind, zu billigen Löhnen zu ar-
durch eine Politik möglich, die auf re-
beiten, ist das klassische Tarifsystem
lativ hohen Steuerlasten, relativ hohen
nicht das geeignete Mittel, um den
Abgabenlasten im Sozialbereich und
internationalen Konkurrenzdruck auf-
relativ hohen Tariflöhnen basierte. Das
zufangen.
kann aber in dieser Form heute nicht
Der
internationale
Wettbewerb
mehr funktionieren, da nicht mehr
nimmt auf Deutschland keine Rück-
genügend zum Verteilen da ist.
sicht. In anderen Ländern der Welt
Ein weiterer wichtiger Aspekt kommt
interessieren deutsche Fragen der Vertei-
hinzu, dessen Auswirkungen noch un-
lungsgerechtigkeit schlichtweg nicht.
gewiss sind. Global gesehen wird die
Ob jemand bereit ist, in Deutschland
Zahl der Arbeitskräfte noch zunehmen.
Kapital zu investieren und Arbeitsplät-
Nehmen wir das Beispiel China. Dort
ze zu schaffen, hängt von seiner per-
arbeiten heute gerade einmal 300 Mil-
sönlichen Entscheidung ab. Wenn wir
lionen von 1,5 Milliarden Menschen
unsere Probleme in Deutschland nicht
an der Ostküste oder in Boomregionen.
lösen, wird auch niemand allein des-
In diesem Land existiert also noch ein
halb hier im Land bleiben, weil er
unglaubliches Arbeitskräftepotenzial.
Deutscher ist – es sei denn, er ist ganz
Oder ein anderes Beispiel: Die wirt-
besonders patriotisch.
schaftlich starken Staaten dieser Welt
Selbstverständlich müssen wir eine
haben zugesehen, wie Afrika weithin
vernünftige Lösung finden. Ich bin zum
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
113
Beispiel völlig dagegen, einen Steuersatz
unter dem ungeschriebenen Vorbe-
von 25 Prozent für alle einzuführen,
halt, dass deutsche Unternehmen
auch wenn solch ein einheitlicher Steu-
am Weltmarkt konkurrenzfähig blei-
ersatz für die Bezieher hoher Einkom-
ben müssen.
men ideal wäre. Der Staat kann sich
Deshalb kann über diese Instru-
einen solchen Einheitssteuersatz in
mente nichts Entscheidendes be-
dieser Höhe auch einfach nicht leisten.
wegt werden. Wir werden auch keine
Dieser Weg wäre also unsinnig.
europäischen Tariflöhne erreichen.
Wir müssen uns aber darüber im
Ob es uns passt oder nicht – wir müs-
Klaren sein, dass der weltweite Wettbe-
sen feststellen: Das vergangene Jahr-
werb hart und rücksichtslos ist. Ich bin
hundert war in Deutschland ein
fest davon überzeugt, dass bei den Un-
Jahrhundert der Arbeitnehmer. Aus
ternehmenssteuern momentan ein in-
kleinsten Anfängen wurde ein weit-
tensiver Wettbewerb besteht. Vermut-
verzweigtes System von Arbeitneh-
lich wird in etwa fünf Jahren ein
merrechten entwickelt. Das 21. Jahr-
Wettbewerb um die besten Arbeitskräf-
hundert scheint ein Jahrhundert der
te beginnen und es ist davon auszuge-
Unternehmer und Kapitalinvesto-
hen, dass in vielen Industrieländern die
ren zu werden. Meine Prognose
Spitzensteuersätze für Leute im „Top-
lautet: Weltweit werden künftig die
Segment“ erheblich gesenkt werden.
Einkommen aus Vermögen – auch
Wir haben also nur begrenzte Spielräu-
aus unternehmerisch eingesetztem
me, und diese müssen wir nutzen.
Vermögen – deutlich stärker steigen
Aus den gegenwärtigen Entwick-
als die Einkommen aus Arbeit aller
lungen ergeben sich für Deutschland
Art.
aus meiner Sicht folgende Konsequen-
Entscheidend ist nicht die Frage, wie
zen:
man diese Entwicklung zurückdre-
1. Eine ausgeglichene Einkommens-
hen kann – das funktioniert nicht.
und Vermögensverteilung wird al-
Damit meine ich nicht, dass es
lein über die Komponente der Fest-
künftig keine Tariflohnerhöhungen
entlohnung für nichtselbstständige
mehr geben soll und dadurch noch
Arbeit nicht gelingen.
mehr Menschen auf Hartz IV-Leis-
Die Handlungsmöglichkeiten der
tungen angewiesen sind. Investiv-
Tarifparteien sind auf das Inland
löhne sind immer nur für Menschen
beschränkt. Die Abschlüsse stehen
geeignet, die „genug zum Leben“
114
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
verdienen. Ein Arbeitnehmer, der in
gebenden Unternehmen ist ein
der Monatsmitte nicht weiß, wie er
guter, wenn auch nicht der einzige
seine Familie ernähren soll, hat an
Weg, um dieses zu erreichen.
Investivlohnkonzepten sicher kein
Interesse. Das hätte auch keinen
Sinn.
2. Eine möglichst gerechte Einkom-
III. Rechtlicher Rahmen für
Mitarbeiterbeteiligungen
mens- und Vermögensverteilung ist
mit Hilfe der Tarifautonomie in
In rechtlicher Hinsicht sind zwei Be-
Deutschland nicht mehr zu ver-
reiche zu unterscheiden: Mittelauf-
wirklichen.
bringung und Mittelverwendung. Das
Sicher wird es weiterhin Tarifauto-
erforderliche rechtliche Instrumenta-
nomie und Tarifverträge geben.
rium, um Mitarbeiterbeteiligung zu
Deshalb ist die langgehegte Angst
verwirklichen, liegt in Deutschland
mancher Gewerkschaften, dass Mit-
bereits seit Jahrzehnten vor.
arbeiterbeteiligung die Tarifauto-
Die Mittelaufbringung kann arbeits-
nomie aushöhlen könnte, völlig
rechtlich auf verschiedene Weise gere-
unbegründet. Beim Thema Mitar-
gelt werden in:
beiterbeteiligung geht es, wie er-
• Tarifverträgen
wähnt, um die Kapitalbeteiligung
• Betriebsvereinbarungen (im Rahmen
von Menschen, die finanziell gese-
des Tarifvorbehalts)
hen genug zum Leben haben. Es ist
• Individualarbeitsverträgen.
nicht vertretbar, Mitarbeiter am
Dann gibt es für die Mittelaufbringung
Unternehmensgewinn oder -risiko
eine – für meine Begriffe immer noch
zu beteiligen, die schon das Risiko
viel zu komplizierte – staatliche Förde-
tragen müssen, eventuell das Exis-
rung nach § 19 a Einkommensteuerge-
tenzminimum nicht verdienen zu
setz (EStG) und durch das 5. Vermö-
können.
gensbildungsgesetz.
3. Wir brauchen „intelligente“ Instru-
Ich habe mich immer dafür einge-
mentarien, um die über 90 Prozent
setzt, dass zumindest die wenigen
Nichtselbstständigen an den „er-
rechtlichen Regelungen bestehen blei-
tragreichen Quellen“ der Volkswirt-
ben, wenn wir nichts Besseres zur Ver-
schaft teilhaben zu lassen: an den
fügung haben. Aber es ist ganz klar: Mit
Erträgen der Unternehmen. Die
einer Förderung, die sich im Minimal-
Mitarbeiterbeteiligung am arbeit-
bereich von 100 Euro im Jahr aufwärts
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
115
bewegt, können Arbeitnehmer natür-
Mittel verwendet werden sollen. Es gibt
lich nicht wirklich Vermögen bilden.
keine Tarifverträge, die die Mittelver-
Diese Möglichkeit hat bisher auch kei-
wendung genau vorschreiben würden,
nen sehr großen Anreiz geboten. Im
also die konkreten Maßnahmen fest-
Rahmen meiner Beratungstätigkeit ha-
legten, die der Arbeitgeber in einem
be ich schon so manches große Beteili-
Unternehmen ergreifen muss, ob er also
gungsmodell begleitet, und da stellte
z. B. die Einführung von Darlehen oder
sich immer die Frage: Sollte man sich
von stillen Beteiligungen bevorzugt.
wegen dieser staatlichen Förderung
Zunächst ist es eine theoretische Frage,
wirklich alle Restriktionen antun, die
ob man beispielsweise im Tarifvertrag
damit verbunden sind? Manchmal habe
festhalten kann, dass der Arbeitnehmer
ich den Mandanten gesagt: Wenn Sie
einen Anspruch darauf hat, pro Jahr
als gut verdienender Unternehmer die
eine bestimmte Anzahl an Belegschafts-
Fördermittel, die Sie vom Staat bekom-
aktien zu bekommen. Eine solche
men würden, gleich den Arbeitnehmern
Festlegung ist meiner Ansicht nach bei
geben, ist das am Anfang zwar teurer
börsennotierten Unternehmen kein
für Sie. Aber dann entstehen Ihnen
Problem. Hier können Aktien ja an der
erstens keine Beratungskosten, und
Börse erworben werden. Eine theo-
zweitens haben Sie die Flexibilität, die
retische Frage ist, ob dem Arbeitgeber
Sie brauchen.
per Tarifvertrag vorgeschrieben werden
Mein Ziel ist: Die Mitarbeiterbetei-
könnte, etwas von seinen Unterneh-
ligung sollte in den Rahmen der Unter-
mensanteilen abzugeben. Das verneint
nehmensteuerreform integriert werden,
die einhellige Ansicht. In der Praxis
indem Mitarbeiterkapital als etwas be-
haben Tarifparteien kein Interesse an
trachtet wird, das zu begünstigen ist.
solchen „Zwangsregelungen“.
Natürlich muss das Ganze systemkon-
So stellt sich eine grundsätzliche
form angelegt werden und darf auch
Frage: Stehen der Aufwand des Staates
nicht zu kompliziert sein.
und die bürokratischen Erfordernisse
Der zweite Bereich betrifft die Mit-
der Unternehmen im Zusammenhang
telverwendung. Es gibt hier zivilrecht-
mit der Förderung in angemessenem
liche Vereinbarungen, insbesondere
Verhältnis zu den bislang „beschei-
gesellschaftsrechtliche Regelungen. Wir
denen“ Erfolgen? Ich glaube, das ist
haben in Wissenschaft und Praxis lan-
nicht der Fall: Das bisherige System ist
ge darüber diskutiert, ob es sinnvoll ist,
nicht effektiv genug.
im Tarifvertrag vorzuschreiben, wie
116
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
IV. Gewinnbeteiligungen durch
Tarifverträge
nehmer in guten Zeiten per Beteiligung mindestens 1.900 Euro pro Monat
verdienen und entsprechend investie-
Grundsätzlich sind Gewinnbeteiligun-
ren kann; in schlechten Zeiten kann es
gen durch Tarifverträge in Form von
dann aber auch sein, dass der monatli-
Öffnungs- oder Bestimmungsklauseln
che Lohn auf 1.700 Euro zurückgeht.
zulässig.
So entstünde ein gewisser Spielraum.
Beispiel: In einer Öffnungsklausel
Die Rahmenmodalitäten könnten im
wird festgelegt, dass der Tariflohn – die
Tarifvertrag oder in einer Betriebsver-
Zahl ist zufällig ausgewählt – 1.800 Euro
einbarung geregelt werden.
pro Monat beträgt. Wenn ein Beteili-
Die eigentliche Schwierigkeit bei
gungsmodell vereinbart wird, könnte
solch einem Modell besteht jedoch
Folgendes festgehalten werden: Be-
darin, dass der Flächentarifvertrag die
triebsrat und Arbeitgeber – oder eine
Situation der einzelnen Unternehmen
Kommission, wenn es keinen Betriebs-
nicht berücksichtigt. Es ist also nicht
rat gibt wie in vielen Unternehmen –
empfehlenswert, das Ganze zu restriktiv
einigen sich darauf, dass der Arbeit-
anzulegen. Im Prinzip ist es ein ganz
Modell eines Tariflohns
Nach oben offen
Mindest erzielbarer
Zusatzverdienst
200 €
Tariflohn
1.800 €
Tariflohn
1.700 €
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117
einfaches Modell: Es gibt einen festen
• In die neu geschaffenen Gewinn-
Tariflohn, alternativ einen etwas gerin-
thesaurierungsmöglichkeiten der Ka-
geren festen Tariflohn und einen min-
pital- und Personengesellschaften
destens erzielbaren Zusatzverdienst, der
werden Arbeitsnehmerbeteiligungen
idealerweise nach oben offen ist.
einbezogen.
• Eventuell könnten ermäßigte Steuersätze für thesaurierte „Arbeitnehmer-
V. Überlegungen im
Zusammenhang mit der
Unternehmenssteuerreform
beteiligungs-Guthaben“ eingeführt
werden.
• Die für solche „Arbeitnehmerbeteiligungs-Guthaben“ verwendeten Löh-
Damit komme ich zum letzten Teil mei-
ne und Gehälter werden bis zu einer
nes Vortrags, in dem ich mich mit der
gewissen Grenze von Sozialversiche-
Frage beschäftige, ob die bisherige
rungsbeiträgen freigestellt.
staatliche Förderung im Rahmen ei-
• Bei Ausschüttung nach Ablauf einer
ner Ergänzung der Unternehmenssteu-
gewissen Zeit gilt eine niedrige Ab-
erreform abgelöst werden sollte. In
geltungssteuer und es wird kein So-
Deutschland wurde lange darüber dis-
zialversicherungsbeitrag erhoben.
kutiert, ob eine Unternehmensteuerre-
Ich sage aber auch ausdrücklich: Das
form durchgeführt werden sollte.
alles muss bezahlbar sein. Zu Fragen
Stark vereinfacht gesagt beinhaltet
der staatlichen Finanzierung will ich
die Unternehmenssteuerreform zwei
mich als Wissenschaftler nicht äußern.
wesentliche Elemente:
Hier ist vorrangig die Politik gefragt.
• Die Steuersätze für thesaurierte Ge-
Auf jeden Fall sollte es keine unbe-
winne werden abgesenkt – mit der
grenzte Öffnung „nach oben“ geben,
Folge einer Gesamtbelastung von
denn dann könnte es passieren, dass
unter 30 Prozent.
jemand, der 300.000 Euro im Jahr
• Es wird eine Abgeltungsteuer für Ka-
verdient, 100.000 Euro davon anlegt
pitalerträge in Höhe von 25 Prozent
und dann insgesamt in den Genuss des
eingeführt.
ermäßigten Steuersatzes kommt. Das
Das ermöglicht folgende Überlegun-
wird auch niemand ernstlich verlan-
gen:
gen.
• § 19 a EStG und das 5. Vermögensbildungsgesetz werden abgeschafft.
Es kommt entscheidend darauf an,
wie viel Steuerausfälle in den nächsten
118
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Jahren der Staat verkraften kann. Ent-
es zu einem Teil „konservativ“ angelegt
sprechend kann Beteiligungskapital in
wird. Der wesentliche Punkt ist: Wenn
einer bestimmten Höhe einbezogen
eine betriebliche Beteiligung nicht
werden – damit könnte zumindest zum
möglich ist, dann muss eine andere
Teil eine Umschichtung erreicht wer-
attraktive Möglichkeit gefunden wer-
den. Eine wichtige Frage ist: Wenn das
den, damit ein großer Teil der Menschen
Kapital nach Ablauf einer gewissen Zeit
in Deutschland an den unternehme-
ausgeschüttet wird, ist es dann möglich,
rischen Chancen beteiligt werden kann.
dass die Abgeltungssteuer von 25 Pro-
Und die Unternehmensteuerreform
zent plus Kirchensteuer und Solidar-
wäre dazu geeignet, entsprechende
beitrag in einem solchen Falle etwas
Regelungen umzusetzen.
abgesenkt wird?
Natürlich muss bei all dem berücksichtigt werden, dass es sich um Arbeitnehmer handelt. Dabei sind zwei
VI. Politische
Handlungsnotwendigkeiten
Komponenten wichtig. Eine Komponente ist die betriebliche Beteiligung,
Wir können uns nicht gegen weltweite
die nicht für alle Unternehmen geeignet
Entwicklungen stellen und die Unter-
ist. So darf es keinesfalls passieren, dass
nehmen weiter belasten. Mit der Un-
ein schlecht funktionierendes oder
ternehmenssteuerreform haben wir jetzt
nicht marktgerechtes Unternehmen die
den gegenteiligen und genau richtigen
Arbeitnehmer in eine betriebliche Be-
Weg eingeschlagen. Wir müssen aber
teiligung „hineintreibt“. Die andere
auch fragen, wie wir die Arbeitnehmer
Komponente besteht darin, die Arbeit-
an den unternehmerischen Chancen
nehmer an Kapitalmärkten zu beteili-
und an den Chancen der Kapitalmärk-
gen. Es gibt heute genügend von Banken
te beteiligen können.
und Anlagegesellschaften herausgege-
Wir brauchen Fortschritt in Form
bene „Save-Invest-Konzepte“, die auf
kreativer Lösungen. Ansonsten besteht
folgendem Prinzip beruhen: Die An-
die Gefahr einer größer werdenden
leger bekommen eine Aktienbeteiligung
Spreizung zwischen Arbeitseinkommen
in einer bestimmten Höhe und es wird
einerseits und Unternehmens- und
garantiert, dass nach einer Ablaufzeit
Vermögenseinkommen andererseits.
von sechs, zehn oder zwölf Jahren das
Die Industriestaaten, auch Deutsch-
Kapital zumindest erhalten bleibt, da
land, werden gezwungen sein, in der
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
119
nächsten „Runde“ des internationalen
Fazit: Statt die ohnehin in Deutsch-
Steuerwettbewerbs die Spitzensteuer-
land schon zu stark belasteten Unter-
sätze deutlich zu senken. Die Folge wird
nehmen noch weiter zu belasten, ist es
sein, dass für Steuersenkungen im un-
der richtige Weg, Arbeitnehmer an den
teren und mittleren Bereich kaum
unternehmerischen Chancen und an
Spielraum zur Verfügung stehen wird.
den Chancen der Kapitalmärkte zu
beteiligen.
120
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Wie kann ökonomische Teilhabe durch Mitarbeiterbeteiligung
gestärkt werden?
Podiumsdiskussion
mit
Joachim Elsholz
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Berlin
Michael Lezius
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der
Wirtschaft e.V. (AGP), Kassel
Prof. Dr. Karl-Georg Loritz
Hochschullehrer an der Universität Bayreuth, Rechts- und
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Ludwig Stiegler, MdB
Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die
Bereiche Wirtschaft und Technologie, Arbeit, Tourismus, Berlin
Moderation: PD Dr. Stefan Büttner
Universität Potsdam, Firma denkInform
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Welche Erfahrungen gibt es mit
Mitarbeiterbeteiligung?
121
• Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligung sind insgesamt rentabler, innovativer und produktiver.
Michael Lezius, Geschäftsführer der
• Durch Beteiligungsmöglichkeiten
Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in
werden Arbeitnehmerinnen und Ar-
der Wirtschaft e.V. (AGP), erläuterte,
beitnehmer zu mentalen Mitunter-
dass in Deutschland bereits in beacht-
nehmern, die sich für ihre „eigene
lichem Umfang verschiedene Modelle
Firma“ stärker verantwortlich fühlen.
der Mitarbeiterbeteiligung umgesetzt
Indirekte positive Auswirkungen
werden: Es gibt gegenwärtig etwa
zeigen sich z.B. im Krankenstand, der
173.000 Betriebe mit Erfolgsbeteili-
etwa nur ein Drittel des Durchschnitts
gung – davon die überwiegende Mehr-
beträgt.
heit (90 Prozent) im Mittelstand – und
• Mitarbeiterbeteiligung führt zu einer
41.500 Betriebe mit Kapitalbeteiligung
höheren Akzeptanz marktwirtschaft-
(von Mitarbeiterguthaben bis zur Be-
licher Prinzipien durch die Arbeitneh-
legschaftsaktie). Aufgrund der guten
merinnen und Arbeitnehmer, weil sie
Erfahrungen mit diesen Instrumenten
sich als Teilhaber des Unternehmens
sollten Beteiligungsmodelle weiter aus-
sehen.
gebaut und gefördert werden. Nationale
• Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
und internationale Untersuchungen
mer, die an Mitarbeiterbeteiligung
hätten gezeigt, dass Mitarbeiterbeteili-
partizipieren, sind insgesamt wirt-
gung zahlreiche Vorteile sowohl für die
schaftlich risikobewusster und auch
Unternehmen als auch für die Arbeit-
eher bereit, Veränderungen zu akzep-
nehmer mit sich bringe. Lezius nannte
folgende positive Auswirkungen:
tieren.
• Durch Kapitalbeteiligungen können
• Im Vergleich zum Durchschnitt schaf-
Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
fen Betriebe mit Mitarbeiterbeteili-
mer Vermögen bilden, das die tradi-
gung mehr Beschäftigung und gehen
tionelle Altersversorgung zusätzlich
seltener in Konkurs.
ergänzen könnte.
• Eine breite finanzielle Beteiligung der
Die Grundidee der Mitarbeiterbeteili-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
gung ist nach Michael Lezius an einer
erhöht die Eigenkapitalquote, was zu
langfristigen Strategie ausgerichtet, die
einer besseren Bonität bei Banken und
sowohl Werte der katholischen Sozial-
Sparkassen und dadurch zu niedri-
lehre als auch der Sozialdemokratie
geren Finanzierungskosten führt.
beinhaltet. Sie fördere eine „partner-
122
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
schaftliche Unternehmenskultur“, die
unterschiedlich strukturierten Bran-
auf einem neuen Verhältnis von Kapital
chen organisiert sind. Die IG BCE ver-
und Arbeit bzw. Unternehmer und
tritt Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
Arbeitnehmer basiere, und steigere
nehmer aus großen Unternehmen und
durch Partizipation im Berufsleben die
DAX-Aktiengesellschaften, in denen
Arbeitsmotivation der Menschen.
Beteiligungsmodelle schon länger rea-
Dr. Stefan Büttner merkte hierzu
lisiert werden.
kritisch an, dass Mitarbeiterbeteiligung
Elsholz nannte einige Beispiele
keineswegs automatisch die Unterneh-
funktionierender Mitarbeiterbeteili-
menskultur fördert. Vielmehr könnte
gung. So bietet das große Pharmaunter-
sie auch zu einer Entsolidarisierung der
nehmen Schering seit 1977 Kapital-
Belegschaft führen, wenn sich gut ver-
beteiligungen in Form von Aktien an.
dienende Arbeitnehmerinnen und Ar-
Das Unternehmen fördert den Erwerb
beitnehmer eine Kapitalbeteiligung
von Belegschaftsaktien, die durch Zu-
leisten können, während dies für an-
schüsse zu einem gegenüber dem Bör-
dere aus ökonomischen Gründen nicht
senkurs erheblich günstigeren Preis
möglich ist. Diese Zweiteilung im Un-
ausgegeben werden können. Auf diese
ternehmen würde dann genau das
Weise sollen die Arbeitnehmerinnen
Gegenteil der gewünschten Integration
und Arbeitnehmer am Unternehmens-
bewirken: Statt einer verbesserten Un-
erfolg – auch am potenziellen Wert-
ternehmenskultur entsteht dann eine
zuwachs – beteiligt werden. In einem
konflikthafte Spaltung der Belegschaft.
Zeitraum von 30 Jahren gab es bei
Joachim Elsholz von der Industrie-
Schering in 21 Jahren entsprechende
gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
Aktienangebote für die Arbeitnehmer,
(IG BCE) betonte zunächst, dass seine
die weitgehend genutzt wurden – aller-
Gewerkschaft der Mitarbeiterbeteili-
dings überwiegend von besserverdie-
gung grundsätzlich positiv gegenüber-
nenden Angestellten (rund 80 Prozent),
steht und auch schon die Umsetzung
weniger von Arbeitern (rund 60 Pro-
zahlreicher Beteiligungsmodelle be-
zent). Elsholz verwies darauf, dass sich
gleitet hat. Allerdings sei diese Position
bei großen Unternehmen wie Schering,
nicht repräsentativ für alle Gewerk-
Bayer, BASF und Degussa in den letzten
schaften, die in dieser Frage keine ein-
Jahren sehr deutlich gezeigt habe, dass
heitliche Haltung vertreten. Das sei aber
Kapitalbeteiligungen dieser Art mehr
auch nicht verwunderlich, da in den
Wertzuwächse für den Einzelnen er-
Gewerkschaften Arbeitnehmer aus sehr
bringen können als z.B. durch Sparen
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
123
und dadurch die Motivation der Ar-
sätzlich
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Abgeordneter hat er entsprechende
steige. Zudem gäbe es in vielen Unter-
Beteiligungsmodelle bereits in ver-
nehmen weitere Formen von Gewinn-
schiedenen Zusammenhängen prak-
bzw. Erfolgsbeteiligungen, z.B. Weih-
tisch mitorganisiert.
nachts- oder Urlaubsgeld und andere
Prämien und Gratifikationen.
Mitarbeiterbeteiligung.
Als
Zunächst betonte Stiegler die Unterschiede zwischen den zwei grundsätz-
Entscheidend für den Erfolg dieser
lichen Formen der materiellen Mitar-
Modelle ist für Elsholz, dass die Kapi-
beiterbeteiligung: der Gewinn- bzw.
talbeteiligung eine zusätzliche Leistung
Erfolgsbeteiligung einerseits und der
des Unternehmens darstellt und nicht
Kapitalbeteiligung andererseits.
vom Lohn abgezweigt wird. Auch wenn
Bei der Erfolgs- bzw. Gewinnbeteili-
beim Aktienkauf natürlich ein Eigen-
gung handelt es sich um eine zusätzliche
beitrag des Arbeitnehmers erforderlich
Auszahlung, die vom Gewinn bzw. Er-
ist, muss also auch ein nennenswerter
folg eines Unternehmens abhängig ist.
Zuschuss des Arbeitgebers klar erkenn-
Dabei ist es nach Stiegler wichtig, diese
bar sein. Er hob zudem hervor, dass die
Beteiligung in den Tarifverträgen als
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gro-
berechenbaren Anspruch so zu gestal-
ßer Unternehmen privilegiert sind, z. B.
ten, dass die Belegschaft auch wirklich
durch gute Tarifverträge und starke
am Erfolg eines Unternehmens parti-
Betriebsräte. Als Interessenvertreter aller
zipiert.
Arbeitnehmer müssten die Gewerk-
Dagegen bedeutet Kapitalbeteili-
schaften jedoch eine breitere Perspek-
gung, dass der Arbeitnehmer bzw. die
tive einnehmen und alle Fälle betrach-
Arbeitnehmerin eigenes Kapital in ein
ten. Es wäre daher sehr genau zu
Unternehmen investiert, dadurch Mit-
überlegen, wie aus den bisherigen posi-
eigentümer wird und so am unterneh-
tiven Erfahrungen geeignete Ableitun-
merischen Erfolg direkt beteiligt ist.
gen für andere Betriebe und die dort
Stiegler stimmte der Feststellung von
Beschäftigten getroffen werden könnten.
Karl-Georg Loritz zu, dass die Gewinne
Ziel müsse es sein, allen Arbeitnehmern
aus Unternehmertätigkeit in den letzten
eine Beteiligungsmöglichkeit an gesell-
Jahren sehr viel stärker gestiegen sind
schaftlichem Kapital zu eröffnen.
als die Arbeitseinkommen. Man müsse
Auch Ludwig Stiegler, Stellvertreten-
sich aber immer darüber im Klaren sein,
der Fraktionsvorsitzender der SPD-Bun-
dass Kapitalerträge auch sinken kön-
destagsfraktion, befürwortete grund-
nen.
124
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Stiegler betrachtet die Kapitalbetei-
bei Kapitalbeteiligungen wären sie aber
ligung von Arbeitnehmerinnen und
dazu verpflichtet. Viele Unternehmer
Arbeitnehmern grundsätzlich als rich-
würden es deshalb vorziehen, ihren
tigen Weg, doch sei diese Beteiligungs-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
form bisher vor allem bei großen Ak-
gegebenenfalls eine einmalige Leistung
tiengesellschaften mit großen Aktien-
auszuzahlen, z. B. als Prämie bei erfolg-
programmen gut realisierbar, während
reichem Abschluss eines großen Pro-
sich die Umsetzung in mittelständi-
jekts.
schen Unternehmen sehr viel schwieriger gestalte.
Lezius stellte ein Best-Practice-Beispiel ausführlicher vor: das Beteili-
Ein wichtiger Grund für die geringe
gungsmodell des Handwerksbetriebs
Umsetzung in vielen kleinen und mitt-
„Schreinerei Werner AG“ in Laufach
leren Betrieben liegt nach Prof. Loritz
bei Aschaffenburg.14 Angesichts der ho-
an mangelndem Know-how und den
hen Verschuldung seines Unterneh-
geringen finanziellen Ressourcen dieser
mens hatte sich ein Schreinermeister
Unternehmer: So verfüge z.B. ein Hand-
Ende der 1990er-Jahre zur Umsetzung
werksmeister in der Regel nicht über
eines Beteiligungsmodells entschlos-
die erforderlichen Kenntnisse zur Um-
sen, um den Fortbestand des Betriebes
setzung von Beteiligungsmodellen und
zu sichern. Er gründete eine Aktienge-
könne sich auch keinen Berater leisten.
sellschaft und gab Aktien aus, so dass
Zudem seien viele Unternehmer nicht
Mitarbeiter, Kunden und Partner durch
dazu bereit, den Beschäftigten kontinu-
Anteile direkt am Unternehmen betei-
ierlich ihre Entscheidungen zu erklären,
ligt wurden. Lezius hob die damit ver-
da sie sich dadurch in ihrer unterneh-
bundenen positiven Effekte hervor: Die
merischen Aktivität gehindert sehen –
Schreinerei habe heute eine vergleichs-
14 Das Beteiligungsmodell der Schreinerei Werner AG besteht seit 1998, als der Einzelunternehmer Toni
Werner seine Schreinerei an die neu gegründete Werner AG veräußerte (Gründungskapital 600.000
DM: 12.000 Namensaktien im Nennwert von jeweils 50 DM). Die Gründungsgesellschafter sind
neben Toni Werner (Einlage 100.000 DM) noch sieben Mitarbeiter (jeweils 50.000 DM) und 20
„Kleinaktionäre“ aus dem Kunden- und Partnerkreis (insgesamt 150.000 DM). Die Mehrheit des
Stammkapitals befindet sich somit im Eigentum von Mitarbeitern. Toni Werner führt zwar als Vorstandsvorsitzender die Geschäfte, besitzt aber keine Aktienmehrheit. Bei dieser Beteiligungsform
tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur Verantwortung für die eigenen Aufgabenbereiche, sondern auch finanzielle Mitverantwortung; sie werden zu „Mitunternehmern“. (Beschreibung
siehe Website der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft; http://www.agpev.de/mitarbeiterbeteiligung/praxisbeispiele/index.html).
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
weise hohe Eigenkapitalquote von 40
Prozent und hoch motivierte Beschäftigte, die Geschäfte liefen gut. An diesem
125
Welche Probleme zeigen
sich bei der Umsetzung von
Mitarbeiterbeteiligung?
Betrieb könne als eine Art Vorreiter in
Deutschland sehr gut nachvollzogen
Stiegler befürwortet grundsätzlich eine
werden, dass auch in kleineren Hand-
Ausweitung von Kapitalbeteiligungs-
werksunternehmen Mitarbeiterbetei-
modellen, sieht aber aufgrund der
ligung erfolgreich realisiert werden
Lohnentwicklung in Deutschland ab-
kann.
sehbare Probleme bei der Umsetzung:
Auch für Elsholz ist es vorstellbar,
Da die Löhne und Gehälter in den
dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
letzten fünf Jahren inflationsbereinigt
in kleineren Betrieben Kapital einbrin-
stagnierten oder sogar – teilweise deut-
gen, um das Unternehmen wirtschaft-
lich – zurückgegangen sind, seien die
lich zu stützen und letztlich Nutz-
Arbeitnehmer gegenwärtig vor allem
nießer zu werden. Doch müsse man sich
an einer spürbaren Erhöhung des aus-
bewusst machen, dass die Umsetzung
gezahlten Reallohnes interessiert. In-
von Beteiligungsmodellen zur Lösung
vestitionen von Einkommensanteilen
von Notsituationen auch sehr proble-
in ihr Unternehmen würden dem Kon-
matisch sein kann: Wenn durch wirt-
sum entzogen und könnten so schnell
schaftliche Schwierigkeiten eines Un-
als „Zwangssparen“ empfunden wer-
ternehmens die Arbeitnehmerinnen
den.
und Arbeitnehmer von Arbeitsplatzver-
Zudem sei ja mit verschiedenen
lust bedroht sind, stünden sie unter
Instrumenten (wie Riester- und Rürup-
starkem Druck, eigene Rücklagen in das
Rente etc.) damit begonnen worden,
Unternehmen zu investieren, um so
die private Altersvorsorge zu stärken, so
ihren Arbeitsplatz zu sichern. Wenn –
dass inzwischen mehr Lohn- und Ge-
wie leider schon häufiger geschehen –
haltsanteile in diese Bereiche fließen.
die Insolvenz des Unternehmens dann
Schon daraus ergibt sich nach Stieglers
doch nicht mehr verhindert werden
Ansicht eine Konkurrenz um die Ver-
kann, sind die Arbeitnehmer „doppelte
wendung des verfügbaren Einkom-
Verlierer“, die mit dem Arbeitsplatz
mens.
sowohl ihr zukünftiges Arbeitsein-
Wenn man nun Kapitalbeteiligun-
kommen als auch ihr bisher angespartes
gen in Unternehmen für Arbeitneh-
Vermögen verlieren.
merinnen und Arbeitnehmer attraktiv
126
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
gestalten wolle, müsse man auch eine
vestment mit daraus folgenden, steuer-
Gehaltsumwandlung in Erwägung zie-
pflichtigen Erträgen ist, so dass die
hen. Solche Modelle würden aber vo-
Steuereinnahmen des Staates letztlich
raussichtlich sowohl vom Finanzmi-
doch steigen würden. Wissenschaftliche
nister – wegen erwarteter Steuerausfäl-
Untersuchungen hätten gezeigt, dass
le – als auch vom Arbeits- und Sozial-
sich die Steuerzahlungen von Betrieben
minister – wegen entgangener Renten-
mit Kapitalbeteiligungen erhöhen.
versicherungsbeiträge – rigoros abge-
Stiegler entgegnete, dass der Finanz-
lehnt werden. Das Konzept einer
minister zunächst einmal weniger Ein-
Lohnumwandlung sei derzeit schlicht
kommenssteuer einnimmt, wenn Ge-
nicht durchsetzbar. Stiegler hält es auch
haltsanteile in Kapitalbeteiligungen
für unwahrscheinlich, dass Kapitalbe-
umgewandelt werden. Zwar würden
teiligungen ähnlich wie manche Be-
irgendwann einmal die laufenden Er-
triebsrenten hinsichtlich der Sozialab-
träge dieser Investition besteuert, aber
gaben privilegiert werden könnten, weil
für die Haushaltsbilanz des Finanzmi-
auch damit der Kranken-, Renten- oder
nisters sei eben das Aufkommensjahr,
Pflegeversicherung Beiträge entzogen
also das erste Jahr, entscheidend. Grund-
würden.
sätzlich unterstützt Stiegler eine ver-
Als ein weiteres Problem von Kapi-
stärkte Kapitalbeteiligung der Mitarbei-
talbeteiligungen machte Stiegler auf die
terinnen und Mitarbeiter, doch sieht er
meist geringe Mitteleffizienz aufmerk-
in der Verwendungskonkurrenz der nur
sam: Das verbreiteste Beteiligungsmo-
begrenzt vorhandenen Mittel ein großes
dell zur Eigenkapitalverbesserung ist
Hindernis. Man müsse deshalb einen
nach aktuellem Recht wenig attraktiv,
Weg finden, Arbeitnehmerbeteiligung
da nach allen Abzügen nur weniger als
zuverlässig gegen Insolvenz zu schützen
die Hälfte des Einsatzes in eine Unter-
und mit Altersvorsorge zu verbinden,
nehmensbeteiligung umgewandelt
und dabei auch noch eine Lösung für
wird. Auch deshalb liegt nach Ansicht
den Öffentlichen Dienst, also für die
Stieglers der durchschnittliche Eigen-
Nicht-Privatwirtschaft, finden.
kapitalanteil in mittelständischen Un-
Nach Stiegler sind also noch eine
ternehmen nach wie vor unter zehn
Menge Fragen zu klären, bevor es mög-
Prozent.
lich ist, Umsetzungsstrategien zu erar-
Lezius wandte dagegen ein, dass
Mitarbeiterkapitalbeteiligung ein In-
beiten und schließlich eine entsprechende Gesetzgebung zu verabschieden.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
127
Prof. Loritz bezeichnete es als wenig
teiligung, die seit Jahren erfolgreich
hilfreich, nach einem Idealmodell der
umgesetzt werden. Neben der ungeklär-
Kapitalbeteiligung zu suchen – denn
ten Risikoabsicherung sei ein wesentli-
dann käme man niemals weiter. Auch
ches Problem, dass Geringverdiener von
könne er keinen Gegensatz zur Alters-
Kapitalbeteiligungsangeboten nicht
vorsorge erkennen: Schon nach heute
profitieren können: Da sie ihr Einkom-
geltendem Recht könnten Arbeitneh-
men komplett für den Lebensunterhalt
mer ein Mitarbeiter-Arbeitszeitgutha-
benötigen, bleibt ihnen kein Über-
ben in Anspruch nehmen, das künftig
schuss, den sie in das arbeitgebende
vermutlich auch in Altersvorsorgebei-
Unternehmen investieren können. Die
träge umgewandelt werden kann. Auch
Gewerkschaften seien sich deshalb
unter den gegebenen Bedingungen wäre
darin einig, dass Kapitalbeteiligungen
es in Deutschland heute schon möglich,
in der Regel nur als Zusatzleistungen
sehr viel mehr Beteiligungsmodelle
der Arbeitgeber zu realisieren sind.
umzusetzen.
Besonders skeptisch werden Investiv-
Nach Auffassung von Elsholz sind
lohn-Modelle gesehen, die einen Teil
die grundsätzlichen Probleme bei Ka-
des Lohns direkt in Kapitalbeteiligun-
pitalbeteiligungen gegenwärtig noch
gen umwandeln. Als weiteres Problem
nicht zufriedenstellend gelöst – im Un-
kommt hinzu, dass Beschäftigte mit
terschied zu Belegschaftsaktien und
schlechteren Tarifverträgen, in kleine-
Modellen der Gewinn- bzw. Erfolgsbe-
ren und mittleren Unternehmen sowie
128
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
im Öffentlichen Dienst von den meis-
den Gewinnen der Unternehmen ori-
ten Beteiligungsmodellen gar nicht
entieren. Die IG BCE arbeite zudem
profitieren können.
schon seit Jahren mit Instrumenten wie
Aus Sicht der Arbeitnehmerinnen
Einkommens- oder Arbeitszeitkorri-
und Arbeitnehmer müssten noch eini-
doren als Möglichkeiten der Mitent-
ge wichtige Fragen geklärt werden:
scheidung und Mitgestaltung.
Welche Informationsrechte und Ein-
Loritz äußerte Verständnis für die
flussmöglichkeiten auf die Geschäfts-
gewerkschaftliche Position, die Interes-
politik werden mit einer Beteiligung
sen aller Arbeitnehmerinnen und Ar-
verbunden? Wie kann ich mich gegen
beitnehmer vertreten zu wollen. Er gab
Insolvenz schützen? Was passiert mit
jedoch zu bedenken, dass die Suche
meiner Investition nach Beendigung
nach der für alle optimalen Maximal-
meines Beschäftigungsverhältnisses?
lösung am Ende keinem nützt. Wenn
Kann ich meine Einlagen notfalls ab-
gegenwärtig noch nicht alle Arbeitneh-
ziehen? Gilt meine Einlage unter Hartz
mer berücksichtigt werden könnten,
IV-Bedingungen als verfügbares Ver-
dann sollten doch wenigstens die gut
mögen oder als geschützte Altersvor-
Verdienenden schon heute vom Wohl-
sorge?
stand profitieren können, der künftig
Auch die Gewerkschaften müssten
vor allem aus Kapital sowie aus unter-
noch einiges klären, bevor gesetzliche
nehmerischen und kreativen Leistun-
Regelungen getroffen werden können.
gen komme.
Dazu gehört nach Ansicht von Elsholz,
wie in diesem Zusammenhang Tarifverträge gestaltet werden sollten, welche
Rahmenbedingungen Kapitalbeteili-
Wie können Risiken abgesichert
werden?
gungen brauchen und welche Mitentscheidungsmöglichkeiten der Arbeit-
Dr. Büttner sprach noch einmal einen
nehmerschaft eingeräumt werden soll-
wesentlichen Problempunkt von Kapi-
ten.
talbeteiligungen an, die Insolvenzsiche-
Die Gewerkschaften seien bereit, in
rung: Wie kann die vom Arbeitnehmer
Tarifverhandlungen neue Wege einzu-
investierte Einlage gegen Verlust gesi-
schlagen: So werde schon heute nicht
chert werden?
nur über Einkommenserhöhungen
Zunächst stellte Stiegler klar: Wenn
verhandelt, sondern auch über zusätz-
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
liche Einjahreszahlungen, die sich an
über Kapitalbeteiligungen zu Mitun-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
129
ternehmern gemacht werden, dann ist
eben nicht an diesem Unternehmen
das natürlich auch mit Risiken verbun-
beteiligen.
den. Die Insolvenzsicherung könnte
Lezius plädierte dagegen für eine
z.B. über ein Fondsmodell erreicht
differenzierte Absicherung von Risiken,
werden, in dem die Risiken der einzel-
die von der Beteiligungsform abhängen
nen Unternehmen breiter verteilt wer-
sollte: Mitarbeiterguthaben, Wertgutha-
den. In einem solchen Modell hätten
ben und Mitarbeiterdarlehen werden
die Beschäftigten zwar einen Vermö-
(wie die eigentlichen Lohnzahlungen)
genstitel, aber keine direkte Unterneh-
vorrangig gegen Insolvenz abgesichert.
mensbeteiligung. Das wäre nach Stieg-
Stille Beteiligungen und Genussrechte
lers Auffassung auch deshalb sinnvoll,
ohne Mitspracherechte sollten – wie
weil viele Unternehmer die Anforde-
von der Laumann-Kommission vorge-
rungen, die mit jeder direkten Betei-
schlagen – zur Hälfte vor Insolvenz
ligung verbunden sind (wie z.B. den
abgesichert werden, während GmbH-,
Quartalsbericht) ablehnen, weil sie be-
Genossenschaftsanteile und Aktien als
fürchten, ihre unternehmerischen Ent-
echtes Risikokapital keinerlei Insol-
scheidungen nicht mehr selbstständig
venzsicherung unterliegen.
treffen zu können.
Nach Darstellung von Prof. Loritz
Dagegen favorisiert Prof. Loritz ein
gibt es auf dem Kapitalmarkt in Deutsch-
direktes Beteiligungsmodell: Die Kapi-
land bereits einige Modelle zur Absiche-
talbeteiligung am Gewinn eines Unter-
rung, z.B. Insolvenzschutz- oder Safe-
nehmens muss demnach mit der Über-
Invest-Modelle. Es wäre in seinen Augen
nahme eines gewissen Risikos einher-
aber sinnvoll, wenn die staatliche KfW-
gehen. Loritz appellierte, Vertrauen in
Förderbank oder die Wirtschaftsbanken
den Markt zu haben: In einer Markt-
ein breit abgesichertes Konzept erstel-
wirtschaft sei es nicht möglich, dass der
len, wie Mitarbeiterkapital im Unter-
Staat den Unternehmen absolute Si-
nehmen gegen Insolvenz abgesichert
cherheit vor Insolvenz gewährleistet
werden könnte. Aus Wettbewerbsgrün-
und damit dem Unternehmer seine
den ist für ihn jedoch entscheidend,
unternehmerische Verantwortung ab-
dass Unternehmen und Mitarbeiter die
nimmt. Insolvenzschutz kann deshalb
Risikoprämie zur Absicherung ihres
seiner Ansicht nach nur über den Markt
Kapitals selber bezahlen. Bei einer Ei-
geregelt werden: Wenn Kapitalbeteili-
genkapitalrendite von üblicherweise
gung für einen Mitarbeiter ein unzu-
zehn bis zwölf Prozent seien Kosten von
mutbares Risiko darstellt, darf er sich
ein bis drei Prozent für die Absicherung
130
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
durchaus angemessen. Kritisch merkte
men einzubinden. Geeignet wären da-
er an, dass das „Absicherungssyndrom“
für Fondsmodelle: Arbeitnehmer und
eigentlich nur in Deutschland so aus-
Arbeitnehmerinnen erhalten z.B. in
geprägt sei, während diese Frage in
guten Jahren Gewinnbeteiligungen, die
anderen europäischen Ländern – und
in Fonds angelegt werden, die dann
insbesondere in den USA trotz spekta-
wiederum – regional gegliedert – sich
kulärer Insolvenzen wie z.B. im Fall
an Unternehmen beteiligen. Diese in-
ENRON – keine so große Rolle spiele.
direkte Form der Kapitalbeteiligung
könnte nach Stiegler einen Weg eröffnen, die Mittelkonkurrenz mit der Al-
Welche Modelle der
Mitarbeiterbeteiligung sind
umsetzbar, welche nächsten
Schritte wären sinnvoll?
tersversorgung zu vermeiden und Vermögensbildung mit Altersvorsorge zu
verknüpfen. Gemeinsam mit Banken,
Sparkassen und den Genossenschaftsbanken könnten regionale Kapitalbe-
Dr. Büttner stellte die Frage, weshalb die
teiligungsmodelle realisiert
Umsetzung der Mitarbeiterbeteiligung
die verbriefte, stille Beteiligungen aus-
eigentlich so lange dauere, wenn doch
geben. Auf diese Weise wäre die Kapi-
Konsens darüber bestehe, dass die Be-
talbeteiligung nicht mehr auf ein ein-
teiligung der Arbeitnehmerinnen und
zelnes Unternehmen bezogen und somit
Arbeitnehmer am Kapital eines Unter-
auch ein gewisser Schutz gegen Insol-
nehmens grundsätzlich richtig sei. Die
venz eingebaut. Das vom SPD-Partei-
pauschale Aussage, die Deutschen seien
vorsitzenden Kurt Beck als Minister-
immer nur Bedenkenträger, wirke sich
präsident von Rheinland-Pfalz initi-
letztlich nur kontraproduktiv aus. Ent-
ierte Fondsmodell ist für Stiegler ein
scheidend sei doch, welche konkreten
vielversprechendes Modell, das weiter-
Hindernisse einer Umsetzung entge-
entwickelt werden sollte, weil es neben
genstehen. Welche nächsten Schritte
der Lösung des Insolvenzrisikos auch
wären also sinnvoll?
einen Anreiz für die Beteiligung der
Stiegler arbeitet an Beteiligungs-
werden,
Arbeitgeber enthalte.
konzepten, in denen Mitarbeiterbetei-
Für Loritz ist die von Stiegler dar-
ligung mit Altersversorgung verbunden
gestellte Verwendungskonkurrenz von
werden kann und die es ermöglichen,
Mitteln – insbesondere in Bezug auf die
Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes
Altersversorgung – kein schlagendes
sowie kleiner und mittlerer Unterneh-
Argument gegen eine breite Umsetzung
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
131
von direkten Mitarbeiterkapitalbetei-
auch Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
ligungen. Er hält vielmehr die Konzepte
nehmer einen Teil ihrer Bezüge wie
der Riester- und Rürup-Rente für viel zu
einen Teil der Unternehmensgewinne
kompliziert und sieht sie mit zahl-
als thesaurierten Gewinn im Unter-
reichen Mängeln behaftet. Die Schaf-
nehmen „belassen“. Der Vorteil wäre
fung eines „verständlichen“ Modells
nach Loritz, dass das Geld im Unter-
von Anfang an wäre erheblich besser
nehmen verbleibt und erst bei Aus-
gewesen: Auf der einen Seite hätte man
zahlung zu einem normalen Ausschüt-
eine strikt geregelte Altersversorgung
tungsbetrag herausgeht. Die Arbeit-
mit staatlich geförderten Einzahlun-
nehmer könnten also auf einen Teil
gen in private Rentenversicherungen
ihres Gehalts verzichten, um ihn sozu-
aufbauen sollen, die das ersetzt, was die
sagen wie Unternehmensgewinn ste-
gesetzliche Rente nicht mehr bieten
henzulassen. Der Gesetzgeber könnte
kann. Auf der anderen Seite hätte man
den Maximalbetrag festlegen, damit die
weitere Konkurrenzmodelle zulassen
jeweiligen Steuerausfälle kalkulierbar
sollen, die auf dem freien Kapitalmarkt
sind. Mit diesem leicht umsetzbaren
agieren und die der Staat steuerlich
Beteiligungsmodell sollte man begin-
unterstützt – das müsse nicht unbe-
nen, das viele Unternehmer ihren Mit-
dingt die „nachgelagerte Besteuerung“15
arbeiterinnen und Mitarbeitern si-
sein.
cherlich gerne anbieten würden.
Loritz würde ein einfaches Modell
Loritz plädierte auch für eine steu-
bevorzugen, das er im Folgenden skiz-
erliche Entlastung von Kapitalbeteili-
zierte: Der Unternehmer versteuert
gungen: Wenn ein Arbeitnehmer einen
16
etwa zu 30
Teil seines Gehalts in das Unternehmen
Prozent, das heißt, es blieben noch 70
investiert, sollte er so gestellt werden,
Prozent übrig. Es sollte dem Unterneh-
als wenn der Unternehmer selbst Geld
mer deshalb ermöglicht werden, dass
im Unternehmen belässt: Bei einem
thesaurierten Gewinn
15 Das Prinzip der nachgelagerten Besteuerung hätte im Bereich der Mitarbeiterkapitalbeteiligung u.a.
folgende Auswirkungen: Geld, das der Arbeitnehmer ins Unternehmen investiert bzw. dort belässt,
müsste erst dann versteuert werden, wenn der Zufluss des Geldes (Gewinnausschüttung oder Rückzahlung) erfolgt. Dadurch sinkt die gegenwärtige Steuerbelastung des Arbeitnehmers und es wird
möglich, dass zu einem späteren Auszahlungszeitpunkt ein geringerer Steuersatz gilt (z.B. als Rentner).
16 Thesaurierte Gewinne sind die von einem Unternehmen (Personen-, Aktiengesellschaft) erwirtschafteten Gewinne, die weder ausgegeben noch an die Anteilseigner ausgeschüttet werden, sondern als
Rücklagen im Unternehmen verbleiben (z.B. zur Finanzierung von späteren Investitionen).
132
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Steuersatz von 30 Prozent sollten darauf
zogen werde, führe das natürlich auch
nicht noch zusätzlich 22 Prozent
zu geringeren Sozialversicherungsbei-
Lohnsteuer (Arbeitgebersteuersatz) be-
trägen, die bei rund 40 Prozent der
zahlt werden müssen. Es wäre nach
investierten Summe liegen. Ein mil-
Loritz’ Auffassung also ein entschei-
lionenfacher Wegfall dieser Beiträge
dender Fortschritt, wenn der Arbeit-
würde sicherlich auf die entschiedene
nehmer Lohnanteile mit einem nor-
Ablehnung der Gesundheitsministerin
malen Steuersatz im Unternehmen
und des Arbeits- und Sozialministers
belassen und auch wieder mit einem
treffen. Schließlich müssten die Sozial-
„vernünftigen“ Steuersatz herausho-
versicherungen ja auf jeden Fall bedient
len könnte. Der nächste kleine Schritt
werden und die Beitragssätze müssten
wäre demnach, den Gewinn-Transfer
dann insgesamt steigen. Damit würden
vom Unternehmer auf den Arbeitneh-
aber diejenigen stärker belastet, die
mer steuerfrei zu stellen.
nicht an diesem steuersparenden Modell
Stiegler bezeichnete den Gedanken
der Steuerfreiheit für bestimmte Lohn-
teilnehmen können, z.B. Geringverdiener.
anteile zunächst als bestechend: dass
Loritz erläuterte sein vorgeschla-
nicht nur der Arbeitgeber ein thesau-
genes Modell noch einmal an einem
riertes Kapitalrücklagekonto bilden
Beispiel: Angenommen, ein Unterneh-
kann, sondern dass es gewissermaßen
men hat einen Gewinn von 500.000
auch ein Arbeitnehmer-Kapitalrück-
Euro erwirtschaftet und thesauriert
lagekonto gibt, das steuerlich genauso
davon 200.000 (d.h. dieser Gewinn
behandelt wird. Vermutlich würden sich
verbleibt im Unternehmen). Nun sollte
bei Steuerfreiheit mehr Menschen für
der Unternehmer die Möglichkeit ha-
Kapitalbeteiligungsmodelle interessie-
ben, von diesen 200.000 Euro einen
ren, und möglicherweise könnte auch
bestimmten Betrag (z.B. 20.000 Euro)
der Finanzminister von solch einem
als Beteiligung seinen Mitarbeiterin-
Modell überzeugt werden – da es ja zu-
nen und Mitarbeitern zuzuschreiben.
nächst egal sei, ob die Beteiligung auf
In diesem Fall hätten weder der Fi-
den Unternehmer, seine Verwandten
nanzminister noch die Sozialversiche-
oder auf seine Belegschaft geschrieben
rungen Beitragsausfälle, weil sich am
ist. Wenn das investierte Kapital aber
zu versteuernden Einkommen der Be-
nicht nur vom zu versteuernden Ein-
schäftigten nichts ändert. Das Interesse
kommen, sondern vom sozialversiche-
des Unternehmers könnte sein, durch
rungspflichtigen Lohnvolumen abge-
zusätzliche Leistungen die Motivation
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
133
und Zufriedenheit seiner Mitarbei-
Unternehmergeneration herangewach-
terinnen und Mitarbeiter zu fördern
sen, die Zugewinne der Arbeitnehme-
oder geringere Lohnsteigerungen ver-
rinnen und Arbeitnehmer nicht mehr
handeln zu müssen. Im Rahmen dieses
automatisch als Reduzierung der eige-
Konzepts könnten aber auch Tariflohn-
nen Gewinne versteht.
erhöhungen gestaffelt werden: Wenn
Dieser
Unternehmertypus,
den
ein Unternehmer aus thesaurierten Ge-
Loritz in seinem Modell voraussetzt,
winnen etwas an seine Mitarbeiter ab-
kommt nach Ansicht von Stiegler in
gibt, könnte man bei einer entspre-
der Realität aber eher selten vor: Tat-
chenden tarifvertraglichen Öffnungs-
sächlich hätten nur wenige Unterneh-
klausel – in Einigung mit dem Betriebs-
mer erkannt, dass sie durch Mitar-
rat – die Lohnerhöhungen z.B. nicht
beiterkapitalbeteiligung ein lohnendes
auf 3 Prozent, sondern auf 2,5 Prozent
Investment machen können, indem sie
plus festlegen. Die Beteiligung wäre ja
ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
freiwillig.
tern Anteile am Kapital geben und durch
Nur wenn die Arbeitnehmer größe-
bessere Produktivität belohnt werden.
re Anteile ihres Lohns in ihrem arbeit-
Er halte das von Loritz vorgestellte
gebenden Unternehmen belassen wür-
Modell durchaus für interessant, wenn
den, wären Stieglers Bedenken berech-
dadurch keine Gehaltsanteile wegfielen,
tigt, dass dadurch Sozialversicherungs-
sondern das Unternehmen für seine
beiträge entfallen. Wenn man diese
Beschäftigten zusätzliche Mittel bereit-
Kapitalbeteiligungsform als nicht finan-
stelle.
zierbar für die Sozialversicherungen
Lezius forderte, dass Kapitalbeteili-
halte, sollte man eben mit einem ge-
gungen steuerlich grundsätzlich genau-
deckelten Betrag beginnen (Festlegung
so behandelt werden sollten wie ande-
gewisser maximaler Gehaltsanteile oder
re Altersversorgungsmodelle, z.B. die
Festbetrag). Sobald dem Arbeitnehmer
Riester-Rente oder die betriebliche Al-
dieses angelegte Geld ausbezahlt wird,
tersversorgung – und zwar mit nachge-
müsste er seine normale Kapitalertrag-
lagerter Besteuerung.
steuer entrichten.
Dann erläuterte er sein favorisiertes
Loritz zeigte sich davon überzeugt,
Modell: Denkbar wäre eine Begren-
dass viele Unternehmer ein solches Be-
zung auf 1.200 Euro Kapitalbeteiligung
teiligungsmodell umsetzen würden,
mit nachgelagerter Besteuerung, d.h.
weil sie an einer motivierten Belegschaft
jeder Arbeitnehmer bzw. jede Arbeit-
interessiert seien. Inzwischen sei eine
nehmerin könnte freiwillig pro Jahr
134
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
insgesamt 1.200 Euro (monatlich 100
Deshalb bräuchte man die nachgela-
Euro) steuerfrei in das arbeitgebende
gerte Besteuerung. Zwei Punkte sind
Unternehmen investieren. Vom Arbeit-
seines Erachtens für die verstärkte Um-
geber würde er dann noch einmal
setzung von Kapitalbeteiligungen be-
monatlich 100 Euro (nach § 19 a Ein-
sonders wichtig: die Integration der
kommenssteuergesetz) als staatliche
Mitarbeiterkapitalbeteiligung in das
Förderung dazubekommen, so dass er
Betriebsverfassungsgesetz
insgesamt 2.400 Euro jährlich im Be-
Neustrukturierung der Tarifautonomie,
trieb anlegen kann. Nach Einschätzung
damit die Betriebspartner – insbeson-
von Lezius würden unter diesen Bedin-
dere bei betrieblichen Bündnissen –
gungen etwa 40 bis 60 Prozent der Ar-
mehr Entscheidungsfreiheit erhalten.
beitnehmer im Mittelstand, in der
Das Konzept der regionalen Fonds hält
Großindustrie etwa 30 Prozent mitma-
Lezius dagegen für ungeeignet, da die
chen – davon anfangs allerdings über-
Diskussion über dieses Modell vor etwa
wiegend Besserverdienende und kaum
zwanzig Jahren schon einmal die breite
Geringverdiener.
Einführung der Kapitalbeteiligung ver-
und
eine
Lezius betrachtet die gegenwärtige
hindert habe. Deshalb solle man nicht
steuerliche Benachteiligung von Kapi-
wieder den gleichen Fehler begehen,
talbeteiligungen noch als großes Pro-
sondern betriebliche Modelle fördern
blem: Von 100 Euro gingen 60 Prozent
und dort ansetzen, wo es sowohl der
durch Abzüge weg, nur 40 Prozent
Unternehmer als auch der Arbeitneh-
könnten im Unternehmen verbleiben.
mer will.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
135
Zudem müsse eine breite Öffentlich-
abgesichert und entsprechende Model-
keitskampagne initiiert werden: Promi-
le in Zusammenarbeit mit Politik und
nente Politiker sollten sich öffentlich
Arbeitgeberschaft gemeinsam entwi-
und intensiv für die Mitarbeiterbeteili-
ckelt werden. Für Elsholz sind funktio-
gung einsetzen und ein wirtschaftlich
nierende Absicherungsmechanismen
praktikables Modell propagieren. Nur
unverzichtbar, damit die Beschäftigten
dann könne erreicht werden, dass Ar-
bei Kapitalbeteiligungsmodellen durch
beitnehmer und Unternehmer gleicher-
Arbeitsplatzverlust und finanziellen
maßen mitmachen.
Verlust nicht zu Doppelverlierern wer-
Elsholz wies darauf hin, dass wäh-
den. Absicherungen seien in überbe-
rend der Entwicklung neuer Konzepte
trieblichen Modellen leichter zu errei-
nicht vergessen werden sollte, die bereits
chen als in einzelbetrieblichen Rege-
vorhandenen, in vielen Bereichen schon
lungen. Eine Umsetzung von Kapital-
gut funktionierenden Modelle (z.B. Ar-
beteiligungen ist nach Elsholz nur auf
beitnehmer-Aktien) weiter zu fördern,
einem Weg praktikabel: Zunächst müs-
insbesondere in Bezug auf steuerrecht-
sen auf übergeordneter, tarifvertrag-
liche und sozialversicherungsrechtliche
licher Ebene die Grundlagen geschaffen
Aspekte. Auch sollte nicht vergessen
werden, die dann anschließend in den
werden, dass die Arbeitnehmerinnen
Einzelbetrieben umzusetzen sind.
und Arbeitnehmer schon eine Menge
Ganz entscheidend sei es, dass bei
finanzielle Beiträge stemmen müssen
Kapitalbeteiligungsmodellen nicht nur
und nicht überlastet werden dürfen.
einige Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
Schließlich hätten sie nur ein bestimm-
nehmer mitmachen können, die gegen-
tes Einkommen zur Verfügung und
wärtig finanziell dazu in der Lage sind.
müssten sich auch um ihre Altersver-
Die Gewerkschaften müssten sich des-
sorgung kümmern.
halb für eine ausreichende Einkom-
Die Gewerkschaften würden sich im
menshöhe engagieren, damit sich
Interesse der Arbeitnehmerinnen und
langfristig alle Beschäftigten Kapital-
Arbeitnehmer dafür einsetzen, dass
beteiligung leisten können.
Kapitalbeteiligungen tarifvertraglich
136
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Diskussion mit dem Publikum
Wie kann die Politik die
Umsetzung der Kapitalbeteiligung
fördern?
nicht alles auf einmal wollen, sondern
Kapitalbeteiligung in reduzierter Form
starten – ohne Regelungen für den
Öffentlichen Dienst und auch ohne
• Ein Teilnehmer kritisierte, dass das
nachgelagerte Besteuerung. Dabei
Thema Mitarbeiterkapitalbeteiligung
sollte man auf die bisherigen Erfah-
schon seit 30 Jahren erfolglos disku-
rungen aufbauen und mit denjeni-
tiert werde. Immer wieder würden
gen Gewerkschaften und Betriebsrä-
entscheidende Akteure mit denselben
ten zusammenarbeiten, die diesem
Bedenken die Umsetzung verhin-
Modell positiv gegenüber stehen.
dern. Da die Aktienentwicklung der
• Aus dem Publikum kam Kritik an
letzten zwanzig Jahre eine jährliche
Stieglers Argumentation: Er habe nur
Steigerung zwischen acht und zehn
in monetären Größen gesprochen
Prozent zeige – im Gegensatz zu
und sich hinter möglichen Einwän-
Lohnsteigerungen von zwei bis drei
den von Finanz- und Sozialminister
Prozent – sei es höchste Zeit, für die
versteckt. Die Politiker sollten nicht
Arbeitnehmer mehr Möglichkeiten
immer nur auf die Hindernisse hin-
zu schaffen, von dieser Entwicklung
weisen, sondern stärker für Kapital-
zu profitieren: Kapitalbeteiligung sei
beteiligungsmodelle werben und eine
eine wichtige Form von Teilhabe. Man
intensive Aufklärungsarbeit betrei-
sollte pragmatisch herangehen und
ben. Die Vorteile für die Arbeitneh-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
137
merinnen und Arbeitnehmer seien
Ludwig Stiegler wies darauf hin, sich
klar herauszustellen und es müsse
persönlich schon länger für Kapitalbe-
deutlich werden, dass die Beschäf-
teiligungen stark engagiert zu haben
tigten durch Kapitalbeteiligungen
und in Zukunft weiter dafür werben
nicht mehr nur Verlierer, sondern
zu wollen. Auch die SPD propagiere
auch Gewinner der Globalisierung
durchaus schon lange Kapitalbeteili-
sein könnten, z.B. indem sie am Ka-
gungen. Er erinnerte an den Politiker
pital, das deutsche Unternehmen in
und Unternehmer Philipp Rosenthal,
China investieren, beteiligt sind.
für den Mitarbeiterbeteiligung der In-
• Auch in anderen Wortbeiträgen kam
begriff von „Teilhabe am Haben und
zum Ausdruck, dass den Beschäftigten
Sagen“ gewesen sei. In der SPD würden
glaubhaft vermittelt werden müsse,
nur noch wenige aus ideologischen
dass sie z.B. durch Belegschaftsaktien
Gründen Kapitalbeteiligungen grund-
einen höheren Profit erzielen können
sätzlich ablehnen.
als durch Sparen oder eine Geldanla-
Er sei aber davon überzeugt, dass
ge in einer Lebensversicherung. Die
nur sehr wenige Unternehmer so um-
Politik habe die Aufgabe, Möglich-
sichtig agieren, wie es Hans-Georg Lo-
keiten aufzuzeigen und geeignete
ritz als Grundlage seiner Modellbe-
Instrumente zu liefern – und dann
trachtung beschrieben habe. Stiegler
sollten die Menschen selbst entschei-
warnte davor, die Risiken von Kapital-
den. Die guten Ertragszahlen aus den
beteiligungen zu vergessen und sich
bisherigen Beispielen würden schon
nur an überdurchschnittlichen Ge-
für sich wirken. Man müsste sich dann
winnversprechen zu orientieren. Als
aber auch insbesondere in der SPD
Fallbeispiel nannte er die Telekom-Aktie,
offen dazu bekennen, dass die Kapi-
die nach anfänglich großer Euphorie
talbeteiligung von Arbeitnehmerin-
wegen der zwischenzeitlichen großen
nen und Arbeitnehmern etwas grund-
Verluste heute eher abschreckend auf
sätzlich Positives ist und sich somit
Aktionäre wirke und sehr deutlich die
auch von dem alten Gegensatz zwi-
Gefahren aufzeige. Beteiligungen am
schen Arbeiterklasse und Kapital
Eigenkapital von Unternehmen wie z.B.
verabschieden. So könnten z. B. posi-
durch Aktien seien grundsätzlich nicht
tive Beispiele propagiert werden, statt
nur mit Gewinnchancen, sondern auch
wie bisher immer den Absicherungs-
mit Verlustrisiken verbunden. Also
gedanken in den Vordergrund zu
müsse man Vorsicht walten lassen.
stellen.
138
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Zudem machte Stiegler darauf auf-
ren alle Benachteiligungen sammeln.
merksam, dass 90 Prozent der Beschäf-
Stiegler wies darauf hin, dass die Sprei-
tigten im ländlichen Raum in Klein-
zung in den Lebensverhältnissen der
und Mittelbetrieben arbeiten, in denen
Arbeiter und Angestellten in Deutsch-
man keine Aktienoptionen anbieten
land schon heute dramatisch ausein-
könne. Stiegler war aktiv an der Ausge-
andergeht: Zwölf Millionen Menschen
staltung der Regelungen für die „kleine
leben in prekären Lohnverhältnissen
Aktiengesellschaft“ beteiligt, um dem
und eine Million Arbeitnehmer erhalten
gehobenen Mittelstand die Gründung
Hartz IV als Aufstockungsleistung zum
einer Aktiengesellschaft zu erleichtern
Arbeitslohn, damit sie überhaupt ihren
– doch war diese Möglichkeit kaum
Lebensunterhalt bestreiten können.
angenommen worden. Es sei aber not-
Deshalb müsse man immer das Ganze
wendig, auch Arbeitnehmerinnen und
sehen und auch in der Frage der Ka-
Arbeitnehmern in kleineren und mitt-
pitalbeteiligung eine einseitige Vertei-
leren Betrieben etwas anbieten zu
lung der Vergünstigungen vermeiden.
können, wenn Kapitalbeteiligungen auf
Für Stiegler steht fest, dass weder
breiter Front staatlich unterstützt und
Unternehmer noch Arbeitnehmer Ka-
gefördert werden. Mit zunehmender
pitalbeteiligungsmodelle aus idealis-
Sorge beobachte er eine Polarisierung
tischen Gründen umsetzen wollen.
der Belegschaften in Deutschland: So
Vermutlich werde letztlich irgendeine
kämen die Stammbelegschaften großer
Form der nachgelagerten Besteuerung
Konzerne – insbesondere in der Auto-
notwendig sein, um die erforderliche
mobilindustrie – in den Genuss zahlrei-
Anreizwirkung zu erzeugen. Vorstellbar
cher Privilegien, während Zeitarbeits-
wäre auch eine Kombination des von
kräfte oder die Mitarbeiter in den zulie-
Loritz vorgestellten Modells mit dem
fernden Klein- und Mittelbetrieben oft
Beck’schen Fondsmodell in Rheinland-
viele Nachteile hinsichtlich Gehalt, Zu-
Pfalz. Das wäre dann aber eine stille
satzleistungen und Arbeitszeit in Kauf
Beteiligung, also eine Art gehobenes
nehmen müssten.
Darlehen, das Risiko trägt und höher
Deshalb muss seiner Ansicht nach
verzinst wird.
sehr genau darauf geachtet werden,
Loritz entgegnete, dass bei einer
dass Kapitalbeteiligungen nicht auf
Kapitalbeteiligung nicht unbedingt
eine Spaltung der Arbeitnehmerschaft
Risiko verzinst werden müsse. Es gebe
hinauslaufen, und dass sich bei den
auch typische stille Beteiligungen im
einen alle Vorteile und bei den ande-
steuerlichen Sinne, wo ein Arbeitneh-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
mer bis zu einem gewissem Maß an den
139
Prozent (bzw. je nach Tarifvertrag) erhält
Wertzuwächsen beteiligt ist, aber den-
oder am Unternehmen finanziell betei-
noch nicht zum Mitunternehmer wird.
ligt wird. Die Arbeitnehmerinnen und
Nach Stieglers Erfahrung werden
Arbeitnehmer, die das möchten, hätten
diese Modelle, die die Arbeitnehmer nur
dann Kapital im Unternehmen stehen
am Wertzuwachs beteiligen, aber nicht
und wären entsprechend an den Ge-
praktiziert.
winnen beteiligt. Allerdings müsste der
Loritz gab Stiegler Recht, dass viele
Unternehmer dann auch dazu bereit
Millionen Menschen in Deutschland
sein, eine garantierte Verzinsung pro
wirtschaftliche Schwierigkeiten haben.
Jahr festzulegen. Solche Modelle wür-
Diese könnten aber nicht dadurch ge-
den auch schon umgesetzt. Ein großes
löst werden, dass den Gutverdienenden
Problem im – auch gehobenen – Mit-
keine Angebote gemacht werden. Die
telstand sei jedoch, dass für die Unter-
skizzierten Probleme kleinerer und
nehmen der Lohnkostenblock mit allen
mittlerer Unternehmen (wie der Auto-
zusätzlichen Auswirkungen in wirt-
mobilzulieferer) seien nur mit anderen
schaftlich guten und schlechten Zeiten
Maßnahmen zu beheben. Deutschland
gleich bleibt. Wenn man bei den Bes-
könnte sich z.B. Luxemburg als Vorbild
serverdienenden eine Flexibilität von
nehmen, wo es jetzt vielen Menschen
zehn Prozent erreichen könnte, wäre
der unteren sozialen Schichten besser
das schon ein Vorteil.
gehe, nachdem sich die Lebenssituation
der breiten Masse verbessert habe.
Lezius betonte, dass bei der Umsetzung von Kapitalbeteiligungsmodellen
Stiegler schlug Loritz vor, dann doch
auf eine gleiche Verteilung der Vorteile
gemeinsam um einen Mindestlohn von
geachtet werden müsse: Vorteile soll-
zwölf Euro zu kämpfen – denn das sei
ten sowohl für den Unternehmer wie
in Luxemburg Realität.
auch für den Arbeitnehmer entstehen.
Loritz hält die Einführung eines
Es könne nicht darum gehen, auf den
Mindestlohns aber für den falschen
„guten Unternehmer“ zu bauen, son-
Weg. Vielmehr hängt für ihn die Frage
dern es müsste eben auch mit dem
des Lohns eng mit Kapitalbeteiligungs-
„normalen Unternehmer“ funktionie-
modellen zusammen. So könnte sich
ren, der seinen eigenen Vorteil sieht.
z.B. ein Unternehmer mit dem Betriebs-
Wenn kleine und mittlere Unterneh-
rat und den Arbeitnehmern darauf ei-
men davon profitieren könnten, dann
nigen, dass ein Arbeitnehmer entweder
würden viele mitmachen – hier käme
eine Lohnerhöhung von fünf bis sechs
mit nachgelagerter Besteuerung sicher
140
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
etwas in Gang. Mit dem von Loritz
Nach Ansicht von Loritz nimmt die
vorgestellten Modell könnte man be-
IG BCE aufgrund ihrer Aufgeschlos-
ginnen.
senheit gegenüber Kapitalbeteiligun-
Zeitweise entstehe in der Diskus-
gen jedoch eine Sonderrolle unter den
sion der falsche Eindruck, so Elsholz,
Gewerkschaften ein. Eine ganz andere
als wäre in diesem Bereich noch nichts
Auffassung vertrete z.B. die IG Metall,
getan worden. Tatsächlich würden in
die sich in den letzten Jahrzehnten zu
Deutschland bereits zahlreiche Kapi-
sehr auf Arbeitskampf konzentriert
talbeteiligungsmodelle praktiziert, was
und zu wenig das Gespräch mit den
Loritz in seinem Vortrag auch dargestellt
Unternehmern gesucht habe. Und die
habe: Immerhin partizipiert heute
unterschiedlich erfolgreiche Entwick-
schon jeder dreizehnte Arbeitnehmer
lung der beiden Branchen hätte inzwi-
an Beteiligungsmodellen. Inzwischen
schen deutlich gezeigt, dass der Weg der
gebe es 600 Betriebe mit Darlehens-
IG BCE eindeutig der bessere war.
modellen, fast 1.000 Betriebe mit stillen
Beteiligungen, über 500 mit indirekten
Beteiligungen und ebenfalls 500 mit
Genussrechten. Hinzu kämen einige
Hundert GmbH-Modelle und die gro-
Wie wirkt sich Kapitalbeteiligung
auf Neugründungen von
Unternehmen aus?
ßen Unternehmen mit Aktienprogrammen. Es sei wichtig, die vorhandenen
• Aus dem Publikum wurde darauf
Ansätze nicht kleinzureden und so zu
hingewiesen, dass bei Neugründun-
tun, als hätte man bisher nichts getan.
gen von Unternehmen oft Studieren-
Die Gewerkschaften kämpften aber
de beteiligt sind. Wenn ein Grün-
dafür, dass Geringverdiener sowie
dungsmitglied aussteigt und im Zuge
kleinere und mittlere Betriebe bei Be-
dessen ein Unternehmen zu bewerten
teiligungsmodellen nicht vergessen
ist, müssten alle Mitinhaber Steuern
werden. Schon heute ginge es bei Tarif-
zahlen – und dazu seien die Jung-
verhandlungen nicht mehr nur um eine
unternehmer in der Regel nicht in
prozentuale Erhöhung monatlicher
der Lage.
Arbeitsentgelte, sondern auch um An-
Lezius verwies auf die Fülle verschie-
teile an Rentenfonds, einmalige Zu-
dener Untersuchungen zu Gruppen-
satzzahlungen oder mehr Ausbildungs-
gründungen aus der Universität heraus.
plätze.
Wenn jemand aussteigt, müsse nicht
Auch
Kapitalbeteiligungen
spielten inzwischen eine Rolle.
automatisch die gesamte Gesellschaft
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
141
aufgelöst werden. Allerdings sei der
dungs- und Wachstumsunternehmen
Vertrag so zu gestalten, dass jemand
und Venture Capital nicht zureichend
aussteigen und ein anderer problemlos
ist.
einsteigen kann. Auch die Bewertung
sei häufig kein großes Problem, da die
meisten Unternehmensgründungen
mit zwei GmbH-Gesellschaftern und
ein paar stillen Beteiligten beginnen.
Können Gewinn- und
Kapitalbeteiligungsmodelle
kombiniert werden?
Und bei der stillen Beteiligung als
„Nennwert-Beteiligung“ sei keine Be-
• Gefragt wurde, ob das von Loritz
wertung erforderlich, weil die Mitar-
vorgestellte Kapitalbeteiligungsmo-
beiterinnen und Mitarbeiter nicht an
dell nicht auch mit einem Gewinn-
den stillen Reserven beteiligt sind.
beteiligungsmodell kombiniert wer-
Ludwig Stiegler sieht aber durchaus
den könnte, so dass ein flexiblerer
ein Bewertungsproblem, solange ein
Lohn eingeschlossen ist. Wie könnte
Unternehmen nicht an der Börse ge-
in einem solchen Fall eine Absiche-
handelt wird. Wenn ein Anteilseigner
rung erreicht und der Gewinn berech-
aussteigt, müsse ermittelt werden, was
net werden? Schließlich wolle man
sein Anteil wert ist, wenn dieser ausge-
als Arbeitnehmer ja nicht nur vom
zahlt werden soll (z.B. Stuttgarter Ver-
guten Willen des Unternehmers ab-
fahren17). Das könnte in manchen
hängig sein, weshalb klare Regelungen
Fällen tatsächlich zu einem Problem
notwendig seien.
werden. Deshalb sei geplant, nach der
• Auch wurden Zweifel geäußert, dass
Unternehmenssteuerreform auch das
das von Loritz gezeichnete Bild des
Unternehmensbeteiligungsgesetz zu
Unternehmers der Realität entspricht.
reformieren. Inhaltlich seien sich alle
Es sei keineswegs die Regel, dass der
grundsätzlich einig, dass das jetzige Un-
„Gutmensch“ Unternehmer den Ar-
ternehmenssteuerrecht, z.B. mit Dar-
beitnehmern gerne etwas von seinen
lehen und Verlustvorträgen, für Grün-
thesaurierten Gewinnen abgibt.
17 Das Stuttgarter Verfahren dient dazu, den „gemeinen Wert“ von Anteilen an nicht börsennotierten
Kapitalgesellschaften zu ermitteln. Diese Methode wird insbesondere bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer angewendet; berücksichtigt werden dabei das Vermögen und die Ertragsaussichten der
Kapitalgesellschaft.
142
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Prof. Loritz sieht keinen unüberbrück-
wenn diese dann auch mehr leisteten
baren Gegensatz zwischen Gewinn-
und stärker motiviert seien. Es sei sehr
beteiligung und Kapitalbeteiligung.
wichtig, die Effektivität der Arbeitneh-
Schon heute seien bei einer ganzen
merinnen und Arbeitnehmer durch
Reihe von Modellen am Kapitalmarkt
Motivationsanreize zu steigern – das
(auch bei Aktienoptionen) Menschen
hätten die meisten Unternehmer er-
virtuell am Kapital beteiligt: Einem
kannt.
Arbeitnehmer wird bestimmtes Kapital
zugeschrieben, doch es verbleibt im
Unternehmen. Er muss dieses Kapital
nicht versteuern, erhält aber entsprechend der Kapitalhöhe eine Gewinnbe-
Sollte Mitarbeiterbeteiligung
mit Mitbestimmungsrechten
verbunden werden?
teiligung. Nun stelle sich die Frage, was
passiert, wenn ein Arbeitnehmer aus-
• Ein Teilnehmer vertrat die Ansicht,
scheidet oder dieses Kapital ausgezahlt
dass die Position der Gewerkschaften
haben möchte. Nach den Erfahrungen
bisher zu undifferenziert dargestellt
in amerikanischen Unternehmen woll-
wurde. Auch wenn es bisher noch
ten viele Arbeitnehmerinnen und Ar-
keine einheitliche und abschließende
beitnehmer das Kapital nach ihrem
Position aller Gewerkschaften in
Ausscheiden gar nicht haben, weil die
dieser Frage gäbe, sei die Praxis und
Unternehmen so lukrativ arbeiten, dass
Beschlusslage doch recht eindeutig.
sie für ihr Geld keine gleich hohe Ver-
Demnach würden viele Gewerk-
zinsung
erzielen
schaftsmitglieder ein Add-on unter-
könnten; nicht selten kämen die Un-
stützen, z.B. eine Erfolgsbeteiligung
ternehmen auf Eigenkapitalrenditen
zusätzlich zum Tarifeinkommen – was
von 15 bis 20 Prozent (auch wenn es
auch bereits in vielen Betrieben prak-
andere Beispiele wie DaimlerChrysler
tiziert werde. Alle Podiumsteilnehmer
gäbe).
hätten betont, dass sie Kapitalbetei-
am
Kapitalmarkt
Loritz widersprach der Auffassung,
ligungen befürworten und es endlich
sein Modell setze den „Gutmenschen“
losgehen sollte. Wenn sich alle mehr
Unternehmer voraus. Vielmehr seien
oder weniger einig darin seien, dass
doch alle Arbeitgeber an gut motivierten
sich materielle Arbeitnehmerbeteili-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in-
gung positiv auf die Motivation und
teressiert: Viele Arbeitgeber würden
Produktivität auswirkt, dann spräche
ihren Arbeitnehmern gern mehr geben,
doch nichts gegen zusätzliche Leis-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
143
tungen. Inzwischen hätten aber ver-
der Gewerkschaften gerechnet wer-
schiedene Studien erwiesen, dass
den, da solche Modelle in die falsche
nicht
Mitarbeiterbeteiligung,
Richtung gingen. Schließlich hätten
sondern auch gesetzliche Mitbestim-
viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
mung sich sehr positiv auf die Pro-
nehmer nur ein begrenztes Budget
duktivität eines Unternehmens aus-
zur Verfügung, so dass kein Geld für
wirke. Deshalb liege es nahe, beides
eine Kapitalanlage übrigbleibe. Zu-
zu verbinden: Die Mitarbeiter sollten
dem sei das „doppelte Risiko“ eine
materiell und immateriell stärker
Realität und müsse ernst genommen
nur
beteiligt werden. Erst in dieser Ver-
werden.
bindung ergäbe sich ein logischer
Prof. Loritz kritisierte diese Argumen-
Zusammenhang. Wer finanziell betei-
tation als viel zu ideologisch. Er habe
ligt sei, der wolle auch mitentscheiden
ja schon deutlich gesagt, dass Gering-
und wissen, in welche Richtung sich
verdiener nicht an diesen Modellen
das Unternehmen bewegt. Deshalb
beteiligt werden dürfen. Bei niedrigem
sollte auch die betriebliche Mitbe-
Einkommen mache Kapitalbeteiligung
stimmung ausgebaut werden. Wenn
keinen Sinn. Die Frage der Lohnvaria-
materielle Arbeitnehmerbeteiligung
bilität stelle sich aber dennoch und
mit Investivlohn, variablem Lohn
werde auch schon umgesetzt, z.B. in
bzw. Lohnflexibilisierung verbunden
Form von Arbeitszeitkonten. Unter
werden solle, dann müsse mit kriti-
Lohnvariabilität dürfe man sich nicht
schen Fragen und auch Ablehnung
nur vorstellen, dass der Arbeitnehmer
144
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
am Monatsende weniger Geld in der
Sobald diese Zusammenarbeit nicht
Tasche hat. Das Prinzip sei vielmehr:
funktioniere, gehe überhaupt nichts
Wenn es in wirtschaftlich schlechten
mehr, dann befänden sich die Beteilig-
Zeiten weniger Arbeit gibt, dann wird
ten nur noch in Einigungsstellenver-
etwas weniger Lohn ausbezahlt als in
fahren. Auch sei zweifelhaft, ob die
guten Zeiten, was aber nicht bedeute,
paritätische Mitbestimmung18 immer
dass der Arbeitnehmer das Existenz-
„ein Segen“ war – er habe sie von Anfang
minimum unterschreite. Dass manche
an als großen Fehler erachtet – oder sich
Unternehmen so geringe Löhne zahlen,
dadurch z.B. nicht manchmal auch
dass die Beschäftigten nicht mehr davon
unfähige Manager nur durch Unterstüt-
leben können, sei betrüblich, aber ein
zung von Seiten der Arbeitnehmer oder
anderes Thema. Auf jeden Fall bringe
der Gewerkschaften „halten“ konnten.
es große Nachteile mit sich, es tarif-
Das solle keinesfalls bedeuten, dass
politisch so zu betreiben wie früher z.B.
man keine Mitbestimmung bräuchte
die IG Metall, die jahrzehntelang Löh-
oder positiv Erreichtes rückgängig ma-
ne über dem Produktivitätsfortschritt
chen sollte – selbst wenn dies manch-
erzwungen habe. Es wäre sinnlos, diese
mal vorteilhaft wäre, wie er ganz offen
Tendenz noch weiter auszubauen.
einräumte. Die Frage der Mitbestim-
Eindringlich warnte Loritz davor, in
mung sollte jedoch in der Diskussion
Deutschland wieder eine Diskussion
über Kapitalbeteiligung nicht im Fokus
über mehr Mitbestimmungsrechte an-
stehen, sondern klar davon getrennt
zufangen. Sein Standpunkt sei in dieser
werden. Die Verknüpfung dieser beiden
Frage eindeutig: Die betriebsverfas-
Aspekte würde der Sache nicht guttun.
sungsrechtlichen
Mitbestimmungs-
Man sollte an den Realitäten ansetzen,
rechte wirkten sich in Unternehmen
nur dann könne Mitarbeiterbeteili-
nur dann positiv aus, wenn Betriebsrat
gung vorangebracht werden.
und Arbeitgeber gut zusammenarbeiten.
18 Die paritätische Mitbestimmung wurde 1976 im Mitbestimmungsgesetz für Kapitalgesellschaften
mit mehr als 2.000 Angestellten festgeschrieben: Demnach sind die Aufsichtsräte dieser Unternehmen paritätisch (d.h. zahlenmäßig gleich stark) mit Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber
zu besetzen. Diese Form der Mitbestimmung ist grundsätzlich zu unterscheiden von der betrieblichen
Mitbestimmung (Betriebsräte), die im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Was wird in puncto
Mitarbeiterbeteiligung in den
nächsten zehn Jahren passieren?
145
Stiegler kündigte an, sich dafür
einzusetzen, dass die Vision von Michael Lezius Wirklichkeit wird und
damit erheblich mehr Arbeitnehme-
Lezius geht davon aus, dass in dieser
rinnen und Arbeitnehmer an Kapital-
Legislaturperiode ein neues Partner-
beteiligungsmodellen partizipieren als
schafts- und Mitarbeiterbeteiligungs-
heute.
gesetz verabschiedet wird, das eine
Loritz prognostizierte, dass in den
„bescheidene steuerliche Verbesserung“
nächsten Jahren betriebliche Beteili-
mit sich bringt; in zehn Jahren würden
gungen mehr und mehr ausgebaut
vermutlich 30 Prozent der Arbeitneh-
werden. Daneben werde sich eine Kul-
merinnen und Arbeitnehmer eine Er-
tur der Mitarbeiterbeteiligung an Un-
folgs- und Vermögensbeteiligung in
ternehmen entwickeln – sowohl Kapi-
deutschen Unternehmen haben (heute
talbeteiligungen als auch Gewinnbe-
sind es 15 Prozent).
teiligungen. Bei Arbeitnehmern, Ge-
Auch Elsholz hält diese Größenord-
werkschaften und Arbeitgebern werde
nung für realistisch. In den nächsten
das Bewusstsein dafür wachsen, dass
zehn Jahren würden die ausgehandel-
der große Teil der Nichtselbstständigen
ten Tarifverträge die Kapitalbeteiligung
an den wirtschaftlichen Chancen der
stärker als früher einschließen. Es wer-
Unternehmen beteiligt werden muss.
de weiterhin Bereiche geben, in denen
Loritz zeigte sich zuversichtlich: Wenn
Kapitalbeteiligungen nicht möglich
man in Deutschland nun schnell han-
sind, insbesondere in kleineren Betrie-
delt, könnte bereits in zehn Jahren ein
ben. Wahrscheinlich würden wieder
gutes Modell verbreitete Realität sein.
zunächst die großen Unternehmen
Wichtig sei, dass die Unternehmens-
profitieren und dann werde man ver-
steuerreform auch einen Einstieg zur
suchen, den Arbeitnehmerinnen und
Mitarbeiterbeteiligung enthalte.
Arbeitnehmern in kleinen Unternehmen ebenfalls Kapitalbeteiligungen zu
ermöglichen.
146
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
4
Gesellschaftliche Teilhabe
Zukunftskonzepte in der Diskussion –
das bedingungslose Grundeinkommen
Dr. Angela Borgwardt, Politologin
Das Thema Grundeinkommen hat
Dieter Althaus (CDU)4, die stellver-
Konjunktur1 und ist inzwischen auch
tretende Vorsitzende der Partei DIE
in den großen politischen Talkshows
LINKE, Katja Kipping5, sowie Reinhard
des deutschen Fernsehens angekom-
Loske, stellvertretender Fraktionsvor-
2
men. Breite öffentliche Aufmerksam-
sitzender von Bündnis 90/Die Grünen.6
keit erhielt das Konzept des Unterneh-
Aber auch zahlreiche Wissenschaftler
3
mers Götz W. Werner , doch kommen
sowie Initiativen gegen Arbeitslosigkeit
Befürworter eines bedingungslosen
und Armut engagieren sich für ein sol-
Grundeinkommens aus unterschied-
ches Modell. 2004 wurde ein bundes-
lichsten politischen Richtungen, darun-
weites, parteiunabhängiges „Netzwerk
ter der thüringische Ministerpräsident
Grundeinkommen“7 gegründet.
1
2
3
4
5
6
7
Kolja Rudzio: Nie wieder Hartz IV. Schluss mit Arbeitszwang und Sozialbürokratie. Unternehmer
und Ökonomen, Rechte und Linke träumen vom Grundeinkommen für alle. Ist das machbar – und
wünschenswert?. In: Die Zeit, Nr. 16, 12. April 2007, S. 21–23.
Z.B. Revolution: Nie mehr arbeiten! Geld für alle!, ARD-Talkshow „Menschen bei Maischberger“,
2. Mai 2006; Maybrit Illner: Geld fürs Nichtstun – Wie gerecht ist ein Grundeinkommen für alle?,
ZDF-Talkshow, 3. Mai 2007.
Prof. Dr. Götz Werner, Institut für Entrepreneurship an der Uni Karlsruhe, Vorsitzender der Geschäftsführung der dm-Drogeriekette; vgl. auch Interview von Michael Kröger mit Götz Werner: Wir
würden gewaltig reicher werden, Spiegel-Online, 30.11.2005
Dieter Althaus plädiert für ein „Solidarisches Bürgergeld“, das auf Ideen des Direktors des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts und Ökonomieprofessors Thomas Straubhaar beruht; http://www.dalthaus.de/52.html.
Katja Kipping und Juso-Chef Björn Böhning: Streitgespräch über das Grundeinkommen, SternOnline, 26.6.2007.
Reinhard Loske: Den Sozialstaat vom Kopf auf die Füße stellen. Warum ein Grundeinkommen unserer
Gesellschaft guttun würde. In: Die Zeit, Nr. 18, 26. April 2007, S. 34.
Das Netzwerk wurde 2004 in Berlin von Wissenschaftlern, Studierenden, Vertretern von Erwerbslosen- und Armutsbewegungen, kirchlichen Verbänden und Mitgliedern verschiedener Parteien und
Gewerkschaften gegründet. Es hat sich auf vier Kriterien zur Definition eines bedingungslosen
Grundeinkommens verständigt: 1. existenzsichernd (i.S. einer gesellschaftlichen Mindestteilhabe);
2. individueller Rechtsanspruch; 3. keine Bedürftigkeitsprüfung; 4. kein Zwang zur Arbeit, vgl. www.
grundeinkommen.de.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
147
Grundgedanke eines bedingungs-
das absolute Arbeitsvolumen immer
losen Grundeinkommens ist, dass jeder
mehr abnimmt, so dass Vollbeschäfti-
Bürger und jede Bürgerin einen gesetz-
gung nicht mehr erreicht werden kann
lichen Anspruch auf finanzielle Grund-
und strukturelle Arbeitslosigkeit als
absicherung durch den Staat hat – un-
Problem bestehen bleibt. Wenn aber
abhängig von Bedürftigkeit, Lebensalter
das persönliche Einkommen großer
oder Arbeitsbereitschaft. Die inhaltli-
Bevölkerungsteile nicht mehr dauerhaft
che Vielfalt der Konzepte ist jedoch
über Erwerbsarbeit sichergestellt werden
enorm groß: Nicht nur die Argumente
kann, müsse die Existenz durch ein
zur Einführung eines Grundeinkom-
garantiertes Grundeinkommen abge-
mens, sondern auch die Vorstellungen
sichert werden.8 Das Recht jedes Men-
über die Ausgestaltung des jeweiligen
schen auf ein bedingungsloses Grund-
Konzepts, seine Finanzierung und die
einkommen wurde auch vom Grund-
Höhe des Auszahlungsbetrags differie-
recht eines menschenwürdigen Lebens
ren erheblich.
abgeleitet, wobei ein umfassender Um-
Fast alle Befürworter des Grundein-
bau der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
kommens betonen den großen Zuge-
eine demokratische und menschen-
winn an Freiheit, die dem Menschen
rechtsgemäße Umverteilung der öffent-
persönliche Entfaltung und Selbstbe-
lichen Gelder einschließen sollte.9
stimmung ermöglichen würde. Einige
Die Entkopplung von Einkommen
sehen in diesem Modell aber auch eine
und Arbeit setzt auch einen neuen
notwendige Reaktion auf die Folgen des
Arbeitsbegriff voraus: Arbeit ist nicht
sozialen und ökonomischen Wandels,
mehr auf gewinnbringende Erwerbs-
auf die hohe Arbeitslosigkeit und die
arbeit beschränkt, sondern wird mit
Erosion der sozialen Sicherungssysteme:
einer Neubestimmung der gesellschaft-
Aufgrund weiterhin wachsender Pro-
lich notwendigen und sinnvollen Tä-
duktivität sei davon auszugehen, dass
tigkeiten verbunden. Viele Vertreter der
8
9
Vgl. die Konzepte der beiden Soziologieprofessoren Georg Vobruba und Ulrich Oevermann. Siehe
dazu z. B. die Videoaufzeichnung der Podiumsdiskussion „Bedingungsloses Grundeinkommen als
Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft. Diskussion über Chancen, Risiken und Folgeprobleme.“
Öffentliche Diskussionsveranstaltung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am
Main, 14. Juli 2006, http://www.bedingungsloses-grundeinkommen.de.
Vgl. das Statement der Professoren für Politikwissenschaft Peter Grottian/Wolf-Dieter Narr/Roland
Roth: Es gibt Alternativen zur Repressanda 2010 (Papier des Komitees für Grundrechte, Berlin 2003),
www.sozialforum-berlin.de.
148
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Grundeinkommensidee sehen im Weg-
Zu unterscheiden ist dabei zwischen
fall des Zwangs zur Erwerbsarbeit die
Reformansätzen, die das bedingungslose
Chance, dass sich die Menschen dann
Grundeinkommen in das bestehende
gesellschaftlich nützlichen Aufgaben
Sozialversicherungssystem integrieren
zuwenden können, die sie auch selbst
möchten, und radikaleren Konzepten,
für wichtig halten. Es werde dann mehr
die sozialpolitisch auf einen komplet-
Arbeit im sozialen Bereich, bei Erzie-
ten Systemwechsel zielen, indem das
hung und Pflege, im Kunst-, Kultur- und
Grundeinkommen alle staatlichen So-
Bildungssektor geleistet und zudem
zialleistungen ersetzen soll. Auch die
würde sich die politische Partizipation
Finanzierungsmodelle sind sehr unter-
erhöhen. Das damit verbundene Men-
schiedlich: Sie reichen von einer Ge-
schenbild basiert auf der Annahme, dass
genfinanzierung durch die eingesparten
die Menschen auch ohne Erwerbszwang
Kosten in der Sozialverwaltung über
arbeiten und für das Gemeinwesen tätig
den Wegfall der bisherigen Sozialleis-
sein wollen.
tungen bis zu sehr verschiedenen Steu-
Den meisten Konzepten eines be-
ermodellen, die mit Vorschlägen der
dingungslosen Grundeinkommens liegt
Vereinfachung und Neuordnung des
ein gewandeltes Verständnis von der
Steuersystems einhergehen.10
Rolle des Staates zugrunde: Der Staat
Nicht nur die Befürworter des be-
soll als neutrale Instanz die Verteilung
dingungslosen Grundeinkommens sind
des Vorhandenen übernehmen, um die
vielfältig und zahlreich, sondern auch
Existenzsicherung der Menschen sicher-
die Kritiker. Ein großer Teil hält ein
zustellen – und nicht mehr, wie es in
solches Modell schlichtweg für unfi-
dieser Perspektive der gegenwärtige
nanzierbar. Andere haben errechnet,
Sozialstaat tut, seine Bürger umfassend
dass mit einer soliden Finanzierung
kontrollieren und in einem entwür-
lediglich ein Grundeinkommen mög-
digenden Verfahren Almosen an die
lich wäre, dessen Höhe beim jetzigen
nachweisbar Bedürftigen verteilen.
Hartz IV-Niveau oder sogar deutlich
darunter liegen würde.11
10 So ist im radikalen Konzept des Unternehmers Götz W. Werner vorgesehen, im Gegenzug zum
Grundeinkommen nicht nur alle Sozialleistungen abzuschaffen, sondern auch sämtliche heutigen
Steuerarten durch eine „Konsumsteuer“ von etwa 50 Prozent zu ersetzen, also Waren und Dienstleistungen mit einem hohen Steuersatz zu belegen.
11 Dieser Einwand wird häufig gegen das von Dieter Althaus vorgestellte Modell des „Solidarischen
Bürgergelds“ vorgebracht.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
149
Einige verweisen auch darauf, dass
Bundesminister für Arbeit und Sozial-
ein bedingungsloses Grundeinkom-
ordnung, im Konzept des Bürgergelds
men sich letztlich als staatlich finan-
eine Abschaffung des leistungsgerech-
zierte, flächendeckende Lohnsubven-
ten Sozialstaates zugunsten eines nivel-
tion auswirken könne, was zu tenden-
lierenden „Fürsorgestaates“: Das Modell
ziell sinkenden Erwerbseinkommen
sei ungerecht, weil es Leistungsschwa-
führe. Unternehmer würden dieses
che und -starke nach schematischem
Modell häufig nur deshalb propagieren,
Muster gleich behandle, und führe zu-
um die Kosten der Ware Arbeitskraft
dem aufgrund mangelnder Arbeits- und
(Löhne und Sozialversicherungsbeiträ-
Leistungsanreize dazu, dass die Men-
ge) drastisch senken und ihre Kapital-
schen weniger oder überhaupt nicht
12
renditen steigern zu können.
mehr arbeiten würden.13 Auch der haus-
Für viele Kritiker wäre die Einfüh-
haltspolitische Sprecher der SPD-Frak-
rung eines bedingungslosen Grundein-
tion, Carsten Schneider, hält das Grund-
kommens aber auch aus Gründen ihres
einkommen für „unfinanzierbar, kaum
Verständnisses von Staat und Gesell-
umsetzbar – und zutiefst unsozial“.14
schaft prinzipiell nicht wünschenswert:
Aufgabe des Staates sei es nicht, jedem
Die Rechts- und Gesellschaftsordnung
Bürger ein Grundgehalt zu zahlen und
basiere auf dem Grundprinzip von
sich dann aus der Verantwortung zu
Geben und Nehmen, auf einer Verbin-
ziehen, sondern er müsse als „vorsor-
dung von Rechten und Pflichten, was
gender Sozialstaat“ die Familien-, Bil-
durch ein Recht auf Grundeinkommen
dungs-, Arbeitsmarkt- und Wirtschafts-
ohne Gegenleistung unterhöhlt wer-
politik so intelligent miteinander ver-
den würde. Der Staat würde zudem aus
zahnen, dass darüber soziale Gerech-
seiner beschäftigungspolitischen Ver-
tigkeit hergestellt werden kann.
antwortung entlassen.
Einige Kritiker des Konzepts wider-
Auch diese Kritik kommt aus den
sprechen auch der Prognose, dass das
Reihen verschiedener Parteien. So sieht
Erwerbsarbeitsvolumen weiterhin stetig
Norbert Blüm (CDU), der ehemalige
abnehmen wird und Vollbeschäftigung
12 So z.B. der Professor für Sozialwissenschaften Rainer Roth in seinem Buch: Zur Kritik eines bedingungslosen Grundeinkommens, Frankfurt a. M. 2006.
13 Vgl. Norbert Blüm: Wahnsinn mit Methode. Ein Grundeinkommen für alle ist ungerecht und bläht
den Staat auf. In: Die Zeit Nr. 17, 19. April 2007, S. 28.
14 Carsten Schneider: Grundeinkommen – ein gefährlicher Traum. In: Spiegel Online, 22.4.2007; http://
www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,478741,00.html.
150
nicht mehr erreicht werden kann. Viel-
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
gement steigt, je höher das Bildungs-
mehr würde durch die Folgen des de-
niveau und die berufliche Position, je
mografischen Wandels – durch den
besser die soziale Integration eines Men-
Bevölkerungsrückgang und die Alterung
schen ist.15
der Gesellschaft – mittelfristig ein De-
Befürworter und Kritiker sind sich
fizit an Arbeitskräften entstehen, insbe-
aber in einem Punkt einig – letztlich
sondere an Fachkräften in bestimmten
bleibt es Spekulation, wie sich die Men-
Branchen und Berufen. Zusammen mit
schen nach Einführung eines bedin-
einer geeigneten Bildungs-, Arbeits-
gungslosen Einkommens verhalten
markt- und Sozialpolitik könne die
werden: Wie entwickeln sich Persön-
strukturelle Arbeitslosigkeit somit auf
lichkeit und Motivation der Menschen,
längere Sicht überwunden werden.
wenn der gewohnte Erwerbszwang
Auch bestehen große Zweifel, ob
verschwunden ist? Würden sie dann
sich die Bürgerinnen und Bürger mit
noch in volkswirtschaftlich ausreichen-
einem staatlichen Grundeinkommen
dem Umfang arbeiten und die zum
tatsächlich mehr politisch oder sozial
Erhalt der Gesellschaft notwendigen
engagieren würden. So haben die Er-
Werte schaffen? Droht dann womög-
gebnisse des Freiwilligensurveys ge-
lich nicht mehr eine Arbeitsgesellschaft
zeigt, dass sich Erwerbstätige generell
ohne Arbeit, sondern eine Freizeitge-
deutlich mehr sozial engagieren als
sellschaft, der die Berufstätigen ausge-
Arbeitslose: Die Bereitschaft zum Enga-
hen?
15 Vgl. Thomas Gensicke/Sibylle Picot/Sabine Geiß: Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999–2004.
Repräsentative Erhebung im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend. TNS Infratest Sozialforschung München 2006, Wiesbaden 2006.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
151
Sozial und gerecht!?
Bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgergeld und
Grundsicherung in der Debatte
Für eine bedarfsorientierte
Grundsicherung
Rolf Stöckel, MdB
Sprecher der AG Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration
der SPD-Bundestagsfraktion
Ich freue mich, hier für die Arbeitsgrup-
aber auch in anderen Arbeitsgruppen,
pe Verteilungsgerechtigkeit und soziale
die mit Themen wie Armutsbekämp-
Integration in der SPD-Bundestagsfrak-
fung, Schaffung gleicher Lebenschan-
tion einige einführende Worte sprechen
cen und vor allem sozialer Integration
zu können. Es ist ein langer Titel, aber
befasst sind. Unsere Aufgabe ist es, die-
ich glaube, dass er inhaltlich eben genau
se vielfältige Arbeit in den verschiede-
ein Spannungsverhältnis – nämlich das
nen Bereichen mit Fragen der Vertei-
zwischen Verteilungsgerechtigkeit und
lungsgerechtigkeit und der sozialen
sozialer Integration – bezeichnet. Früher
Integration zu begleiten: Wie soll un-
hieß diese Arbeitsgruppe in der Bun-
sere Gesellschaft zukünftig aussehen?
destagsfraktion AG Armut.
Wie können die Armutsrisiken mini-
Die Fachpolitikerinnen und Fach-
miert werden? Wie können wir bessere
politiker unserer Fraktion arbeiten auf
Lebenschancen für alle, aber insbeson-
verschiedenen Gebieten: im Gesund-
dere für die benachteiligten Gruppen
heitsausschuss, in der Bildungspolitik,
schaffen?
im Bereich Bauen, Wohnen, Städtepla-
Die SPD favorisiert bereits seit vielen
nung, im Bereich Arbeit und Soziales,
Jahren – schon in der Oppositionszeit
152
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
unter Helmut Kohl – das Grundsiche-
leider mit sich, dass die Forschung in
rungskonzept. Und in ihren fast zehn
diesen Bereichen noch nicht so quali-
Jahren Regierungsverantwortung hat
fiziert ist, wie wir uns das in der SPD-
sie viele wichtige Schritte getan, um
Fraktion vorstellen. Wir arbeiten ständig
diesem Ziel näherzukommen, z.B. durch
an Verbesserungen und ich glaube, dass
eine bedarfsabhängige Grundsicherung,
der Dritte Armuts- und Reichtumsbe-
aber auch durch eine Erhöhung des
richt einen qualitativen Fortschritt zu
Steuerfreibetrages und eine Reduzie-
den ersten beiden Berichten darstellen
rung der Steuereingangssätze. Das alles
wird.
hängt miteinander zusammen. Wenn
Sie wissen, dass aktuell eine Debatte
wir heute über Grundsicherung dis-
über Kinderarmut geführt wird, die sich
kutieren, sprechen wir in der Regel über
in der Regel aber auf das Thema „Hartz
soziale Transferleistungen – früher So-
IV“ und die Frage der Höhe der Regel-
zialhilfe, heute überwiegend Arbeits-
sätze beschränkt. In unserer Arbeits-
losengeld II –, aber es sind damit viele
gruppe haben wir uns deshalb selbst die
andere Fragen verbunden, wie z.B.
Aufgabe gestellt, über Armutslagen zu
Pfändungsgrenzen, die wiederum mit
sprechen, die nicht nur vom finanziel-
dem steuerfreien Existenzminimum
len Einkommen abhängen. Gerade bei
zusammenhängen.
der Frage der Kinderarmut ist es so, dass
Im Ersten und Zweiten Armuts- und
die Kinder nicht direkt Geld vom Staat
Reichtumsbericht der Bundesregierung,
bekommen. Vielmehr müssen sie in
den die Sozialdemokraten als kontinu-
sehr unterschiedlichen Lebenslagen
ierliche Einrichtung durchgesetzt ha-
hoffen, dass ihre Eltern die finanzielle
ben, ist die soziale und wirtschaftliche
Verteilung auch im Sinne ihrer Kinder
Entwicklung in den letzten Jahren un-
organisieren. Das gelingt nicht immer.
ter der Kohl-Regierung, aber auch die
Deshalb ist es umso wichtiger, das The-
ersten Jahre der rot-grünen Regierungs-
ma Armut weiter zu fassen, als das in
koalition beschrieben worden. Wir er-
der Regel über finanzielle Leistungen,
warten 2008 den nächsten Armuts- und
über Einkommensgrenzen oder die
Reichtumsbericht, der uns über die
Höhe der staatlichen Transferleistungen
Entwicklungen der Einkommen, aber
passiert. Die Armutslagen in unserer
auch der Armuts- und Reichtumslagen
Gesellschaft gehen weit über diese As-
in diesem Land Aufschluss geben soll.
pekte hinaus.
Diese Form der Berichterstattung gibt
In meinem früher ausgeübten Beruf
es erst seit relativ kurzer Zeit. Das bringt
als Sozialarbeiter war ich von Mitte der
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
153
80er bis Ende der 90er Jahre auch in
können. Uns fehlt schlichtweg die Mög-
der Schuldenberatung tätig. Schon
lichkeit einer genauen Messung. Wir
damals war die Entwicklung der über-
sind der Meinung, dass die vorhande-
schuldeten Haushalte in der Bundes-
nen Grundsicherungssysteme, die na-
republik fortschreitend. Heute gibt es
türlich ausbau- und entwicklungsfähig
in Deutschland etwa 3 Millionen über-
sind, absolute Armut verhindern sollen.
schuldete Haushalte – eine hohe Zahl.
Das tun sie auch. Sie sollen ebenfalls
Dabei handelt es sich keineswegs nur
Armutsrisiken mindern, wozu viel mehr
um Langzeitarbeitslose bzw. ALG-II-
gehört, als nur die Höhe der Grundsi-
Empfänger. Schon bei meiner damaligen
cherung festzulegen.
Tätigkeit stellte ich fest, dass nur etwa
Deshalb ist es gut, dass wir heute
ein Drittel der armen Haushalte von
darüber diskutieren, wie eine zukünftige
Arbeitslosigkeit betroffen war. Auch
Grundsicherung aussehen könnte. Es
heute haben ganz viele Arbeitnehme-
wurden ja bereits verschiedene Model-
rinnen und Arbeitnehmer zwar ein
le eines bedingungslosen Grundein-
Einkommen, müssen aufgrund nied-
kommens entwickelt, darunter befinden
riger Löhne aber dennoch an der Pfän-
sich auch Vorschläge aus den Parteien
dungsgrenze leben. Zudem gibt es Er-
– selbst der CDU und der FDP – sowie
werbstätige, die ein durchschnittliches
von den Gewerkschaften und den
Einkommen erzielen, aber aufgrund
Wirtschaftsverbänden. Und es gibt na-
von diversen Verpflichtungen – zum
türlich aus der Wissenschaft jede Men-
Beispiel Hypotheken für ein Eigenheim
ge Anregungen und Kommentare zu
oder Ratenzahlungen für ein Auto –
diesem Thema. Ein bedingungsloses
faktisch nur über ein Einkommen ver-
Grundeinkommen scheint also durch-
fügen können, das etwa in der Höhe
aus eine gewisse Attraktivität zu ha-
des ALG II liegt. In Deutschland leben
ben.
auch Menschen, die sich hier illegal
Wir favorisieren ein Modell der
aufhalten und die wir nicht erreichen
Grundsicherung, das bedarfsabhängig
bzw. nicht einmal statistisch erfassen
ist – aber möglichst auch Bedarfe abde-
können, weil sie sich naturgemäß eben
ckend und befriedigend sein soll. Das
nicht über die Beantragung staatlicher
ist nicht immer einfach. Denn je indi-
Transferleistungen bemerkbar machen.
vidueller man die Bedarfe befriedigen
Die Zahl der armen Menschen in
will, umso größer ist die Gefahr, dass
Deutschland ist also sehr viel höher als
der bürokratische Aufwand übertrieben
jene Zahl, die wir definitiv belegen
ansteigt. Der Kombilohn ist ein Modell,
154
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
das gegenwärtig von einer Mehrheit in
nur dann auf Dauer zukunftsfähig und
der Union befürwortet und auch schon
nachhaltig gestaltet werden kann, wenn
umgesetzt wird – zumindest, was die
wir auch Regelungen über ein Min-
Etikettierung bestimmter Maßnahmen
desteinkommen, über einen Mindest-
angeht. Mit dem ALG II wurde faktisch
lohn einführen. Ansonsten erweisen
ein flächendeckender Kombilohn ein-
sich solche Modelle als Fass ohne Boden,
geführt. Diese Maßnahme hilft nicht
als eine Einladung an Arbeitgeber, die-
nur in bestimmten Fällen, Armut zu
se staatlichen Transferleistungen in
vermeiden. Man sollte auch offen da-
ihrem Sinne zur Profitmaximierung zu
rüber reden, dass manche Arbeitgeber
missbrauchen.
– betrachtet man etwa die Bereiche
Aus diesem Grund ist es wichtig,
Nahrungsmittel oder Gaststätten – die-
dass wir als Arbeitsgruppe Verteilungs-
se Möglichkeit dazu nutzen, um eigene
gerechtigkeit und soziale Integration
Kosten zu senken bzw. Löhne zu drü-
diese beiden Fragen stellen, wenn es um
cken. Deshalb sind wir der Meinung,
Modelle der Grundsicherung geht: Ist
dass ein Grundsicherungssystem für
das Modell verteilungsgerecht? Wirkt
erwerbsfähige Personen in Deutschland
es sozial integrativ?
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
155
Grundeinkommen und
Gerechtigkeit – Ein Plädoyer für
mehr soziale Demokratie
Prof. Dr. Michael Opielka
Fachbereich Sozialwesen,
Fachhochschule Jena
Im Folgenden werde ich einige kurso-
leicht besser nicht entscheide, nicht
rische Überlegungen anstellen, die Ih-
einmal virtuell, genauso wenig, wie ich
nen verständlich machen sollen, warum
entscheiden darf, wer sich an Wahlen
ich seit mehr als zwei Jahrzehnten, trotz
beteiligen kann.
wiederkehrender Zweifel, noch immer
Ich werde zu drei Dimensionen der
Befürworter eines Grundeinkommens
Idee des Grundeinkommens sprechen:
bin. Die Zweifel haben einen schlichten
•
zur gesellschaftspolitischen,
Grund: Ich kenne Menschen, denen ich
•
zur ökonomischen und
spontan kein Grundeinkommen gönne.
•
zur sozialpolitischen Dimension.
Doch etwas Nachdenken belehrt mich
Zunächst zur gesellschaftspolitischen
dann stets darüber, dass ich das viel-
Dimension.
Gesellschaftliche Formationen und Leitideen
Gesellschaftliche
Formationen
Politische Philosophien
Steuerungsideen
Weltgesellschaft
Garantismus
Menschenrechte
Sozialstaat
Sozialdemokratie
Staat
Kapitalismus
Liberalismus
Markt
Feudalismus
Konservativismus
Familie
156
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
In dem Schaubild habe ich eine
und politische Philosophien auf den
Übersicht der Abfolge von vier gesell-
Sachverhalt der Globalisierung, auf die
schaftlichen Formationen erstellt, de-
Formation einer Weltgesellschaft ein-
nen ich die jeweils dominierenden
gehen können und sollen. Ich verwende
politischen Philosophien und Steue-
dafür den Begriff „Garantismus“ und
rungsideen zuordne. Das Modell ist
vertrete zusammen mit einigen anderen
vereinfachend, kann aber zur Struktu-
Kollegen die Auffassung, dass die So-
rierung und zur Beantwortung der
zialpolitik der Zukunft stark von men-
Frage hilfreich sein, worin die histo-
schenrechtlichen Erwägungen geprägt
rische Bedeutung der Grundeinkom-
sein wird – aus einer ganzen Reihe von
mensidee liegen könnte.
Gründen, die ich hier nicht im Einzel-
Die bis zum 18. Jahrhundert domi-
nen darstellen kann. Für diese Behaup-
nante Formation des Feudalismus war
tung sprechen aber einige Überlegun-
von der Steuerungsidee der Familie
gen.16
geprägt. Konservative politische Philo-
Eine wichtige Frage ist zunächst: Wie
sophien fokussieren daher denkend
sind eigentlich die Erwerbsarbeitsgesell-
auch heute auf Familie und Gemein-
schaft und der Sozialstaat gegenwärtig
schaft. Das 19. Jahrhundert wurde vom
zu verstehen?
sich durchsetzenden Kapitalismus ge-
Eine mögliche Antwort finden wir
zeichnet, der Markt ist seine Steue-
bei dem französischen Soziologen Ro-
rungsidee, liberale Philosophien sehen
bert Castel. Er hat in seinem Buch „Die
in ihm ihr Steuerungscredo. Der So-
Stärkung des Sozialen“17 die These auf-
ziologe Ralf Dahrendorf hat das 20.
gestellt, dass die Erwerbsarbeitsgesell-
Jahrhundert als „sozialdemokratisches
schaft fortbestehen wird, dass die da-
Jahrhundert“ bezeichnet. Der Sozial-
raus resultierenden Ansprüche auf das
staat ist dessen Formation, der Staat die
soziale Eigentum – die über den lohn-
Steuerungsidee, bisweilen Steuerungs-
arbeitszentrierten Sozialstaat vermittelt
utopie. Die Frage ist nun, ob es für das
sind – ein Eigentum zur Existenzsi-
21. Jahrhundert auch eine Signatur gibt,
cherung bieten und damit in einer ge-
die deutlich macht, wie Sozialpolitik
wissen Weise eine „Gesellschaft der
16 Ausführlicher: Vgl. Michael Opielka: Werte im Wohlfahrtsstaat. Soziologische Analyse politischer
Kultur, Wiesbaden 2008 (i.E.).
17 Robert Castel: Die Stärkung des Sozialen. Leben im neuen Wohlfahrtsstaat, Hamburg 2005.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
157
Ähnlichen“ bilden können. Eine Über-
einkommens über den Sozialstaat be-
legung, die meines Erachtens sehr ernst
ziehen. Das ist nicht wenig. Der Wohl-
zu nehmen ist.
fahrtsstaat trägt offensichtlich dazu bei,
Die Frage ist aber, ob diese – opti-
dass ein immer größerer Anteil der Be-
mistische – Annahme über das Fort-
völkerung von staatlichen Transferleis-
bestehen des lohnarbeitszentrierten
tungen abhängig ist – und gerade nicht
Sozialstaats nicht unter einem anderen
weniger, wie es viele optimistische Den-
Gesichtspunkt doch wieder kritisch zu
ker der oben skizzierten Analyserich-
werten bleibt. Hier beziehe ich mich
tung hoffen. Sie gehen ja davon aus,
auf Hans-Peter Müller, der in seinem
dass der Anteil der „Versorgungsklassen“
Aufsatz „Zur Zukunft der Klassengesell-
immer kleiner wird.
18
Max Webers Überlegungen
Meines Erachtens handelt es sich
zur Klassengesellschaft aktualisiert hat
dabei um eine ganz grundsätzliche ge-
und zu einem beachtlichen Befund
sellschaftspolitische Frage, bei der man
kam. Er unterscheidet drei große Klas-
Position beziehen muss. Wie steht man
sen in einer Gesellschaft: Die „Besitz-
zu einem Sachverhalt, der existiert?
klassen“ bilden die Vermögenden und
Sieht man es wie Hegel – „Alles Wirkli-
die kleine Gruppe der Spitzeneinkom-
che ist vernünftig, alles Vernünftige ist
mensbezieher, die „Erwerbsklassen“ die
wirklich?“ Diese Auffassung teilen vie-
Unternehmer und Arbeitnehmer – mit-
le Menschen nicht. Wenn ihnen die
hin die Statusgruppen, die man früher
Wirklichkeit nicht passt, suchen sie sich
als alten und neuen Mittelstand be-
eine andere Wirklichkeit. Ich halte das
zeichnet hat –, und am unteren Ende
für keine gute Strategie. Das zeigt sich
befinden sich die „Versorgungsklassen“.
an den neuesten Befunden über die
Letztere umfassen all jene Menschen,
subjektive Einschätzung der Bevölke-
deren Lebenschancen eben gerade nicht
rung zu Aufstiegsmobilität und Auf-
primär durch den Arbeitsmarkt, son-
stiegsorientierung. Sie sehen hier neu-
dern durch den Sozialstaat geprägt sind
ere Ergebnisse aus dem Datenreport des
und die Transfereinkommen beziehen.
Statistischen Bundesamtes auf die Fra-
schaft“
Ich habe überschlägig berechnet,
dass etwa 40 Prozent der Bevölkerung
ge, zu welcher sozialen Schicht sich die
Bevölkerung selbst zuordnet.
mehr als die Hälfte ihres Haushalts-
18 Hans-Peter Müller: Zur Zukunft der Klassengesellschaft, in: Merkur, Nr. 695, März 2007.
158
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Subjektive Schichteinstufung 1993, 2002 und 2004
1993
2002
2004
Ostdeutschland
Obere Mittel-, Oberschicht
2
7
3
Mittelschicht
40
51
39
Arbeiterschicht
59
42
57
Obere Mittel-, Oberschicht
14
14
10
Mittelschicht
58
61
54
Arbeiterschicht
29
25
37
Westdeutschland
Quelle: Statistisches Bundesamt, Datenreport 2004, S. 612 und Datenreport 2006, S. 594.
Diese Zahlen bergen eine Dramatik.
schen seitdem immer stärker. Es domi-
Bis zum Jahr 2002 ist bei der subjek-
niert nun nicht mehr das subjektive
tiven Schichteinstufung der Bevölke-
Erleben einer Aufwärtsmobilität, son-
rung eine kontinuierliche Aufwärtsbe-
dern eine stark empfundene Gefahr des
wegung festzustellen. Im Jahr 2004
Abrutschens – diese Entwicklung sollte
zeigt sich plötzlich ein dramatischer
man ernst nehmen, denn es geht um
Einbruch: Die subjektive Schichtein-
fundamentale Fragen der gesellschaft-
stufung fällt nun deutlich geringer aus.
lichen Integration. Immer mehr Men-
Doch was ist zwischen 2002 und 2004
schen haben das Gefühl, dass sie nicht
passiert? Ungefähr in dieser Zeit gab es
mehr in die Gesellschaft integriert
eine gesellschaftspolitische Dynamik
werden. Sozialpsychologisch ist dieses
– mit dem Höhepunkt der „Agenda
Phänomen von größter Bedeutung.
2010“ der damals rot-grünen Bundes-
Denn wenn man Deutschland und
regierung –, die auch durch die Medien
Amerika in Bezug auf die Armutspolitik
und die Meinungselite in Deutschland
vergleicht, dann sind die objektiven
induziert wurde und deutlich machte,
Aufstiegschancen in Amerika zwar
dass das ‚Ende der Fahnenstange’ er-
schlechter, aber die subjektiven Auf-
reicht sei. So empfinden es die Men-
stiegserwartungen größer. Die Folge
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
159
ist: Je höher die Aufstiegserwartungen,
Das eindrucksvollste Ergebnis er-
desto mehr investieren die Menschen
brachte folgende Frage: Sind die wirt-
in Bildung, vor allem für die nächste
schaftlichen Verhältnisse in Deutsch-
Generation, und desto größer ist ihre
land – was die Menschen besitzen und
Risikobereitschaft.
was sie verdienen – im Großen und
Warum das so ist, zeigen auch die
Ganzen gerecht oder nicht? Von den
Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann-
Mandatsträgern sagten 60 Prozent, sie
Stiftung, die auf einer Repräsentativ-
seien gerecht, 28 Prozent meinten, sie
befragung der wahlberechtigten Bevöl-
seien nicht gerecht. Bei der Bevölke-
kerung zum Thema soziale Gerechtig-
rung zeigt sich ein ganz anderes Bild:
keit beruht. Ein repräsentatives Sample
28 Prozent halten die Verhältnisse für
der deutschen Parlamentarier auf Lan-
gerecht, 56 Prozent für nicht gerecht.
Diese Diskrepanz ist Ausdruck des-
des-, Bundes- und Europaebene wurde
zum gleichen Thema befragt.
sen, dass die Bevölkerung und die poli-
Einschätzung der Verteilungsgerechtigkeit durch Mandatsträger und Bevölkerung
im Vergleich: Mandatsträger sind ungleich stärker von einer gerechten Verteilung
überzeugt
Frage: „Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse bei uns in Deutschland – ich meine, was die
Menschen besitzen und was sie verdienen – im Großen und Ganzen gerecht oder nicht gerecht?
28%
Gerecht
60%
56%
Nicht gerecht
Unentschieden
28%
12%
16%
Mandatsträger
Bevölkerung ab 16 Jahre
(Okt./Nov. 2006)
(Februar 2006)
Quelle: Robert B. Vehrkamp/Andreas Kleinsteuber: Soziale Gerechtigkeit in Deutschland. Ergebnisse einer repräsentativen
Umfrage unter deutschen Parlamentariern, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2006, S. 6.
160
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
tische Elite in ihrer Einschätzung der
ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne
gegenwärtigen Situation nicht über-
Gegenleistung individuell ausgezahlt
einstimmen. Wenn die Bürgerinnen
wird. So hat es z.B. der belgische Philo-
und Bürger das Gefühl haben, sie wer-
soph Philippe Van Parijs beschrieben;
den von den Eliten nicht mehr ver-
er ist Mitbegründer des Basic Income
treten, dann besteht die Gefahr, dass
European Network (BIEN). Man kann
populistische Kräfte diese Unzufrieden-
die Definition auch weiter fassen: Das
heit für sich nutzen. Diese Wirklichkeit
Grundeinkommen ist ein bedingungs-
sollte man wahrnehmen und daraus
loses soziales Grundrecht, das die poli-
lernen.
tische Teilhabe in einer Demokratie um
Ich wende mich nun dem Grund-
die Teilhabe am Warenkonsum er-
einkommen zu. Die Befürworter eines
weitert. Es ist ein primäres Einkom-
Grundeinkommens vertreten eher eine
men, keine subsidiäre Hilfeleistung
Weltsicht, die sich an Hölderlin orien-
des Staates.
tiert: „Wo Gefahr ist, wächst das Ret-
Nun könnten Kritiker sagen, dass es
tende auch.“ Aber ist ein Grundeinkom-
sozialpolitisch doch nicht nur um rei-
men tatsächlich so eine Art Rettendes?
nen Warenkonsum gehen könne. Ich
Trägt diese Idee wirklich eine neue Zeit
empfehle bei diesem Argument gerne,
in sich? Ich meine: Ja. Ich habe das
doch einmal zu beurteilen, wie viel von
Grundeinkommen mit dem Begriff
der Kleidung und Nahrung, die wir
„garantistisch“ verknüpft und gehe
tagtäglich benötigen, von uns selbst
davon aus, dass es nicht ein Ersatz, son-
hergestellt wurde – das ist nicht sehr
dern eine dynamische, evolutionäre
viel. Denn wir leben jenseits aller Sub-
Weiterentwicklung des Sozialstaats dar-
sistenzökonomien und sind in unserer
stellt. Die Begriffe Grundeinkommen
Gesellschaft vollständig vom Waren-
und Bürgergeld verwende ich im Üb-
kreislauf abhängig.
rigen synonym, auch weil sie in der
Das ist das Neue, das spätestens mit
politischen Diskussion nicht mehr
der dramatischen Transformation der
unterschieden werden.
Gesellschaft weg vom primären Sektor
Es gibt verschiedene Definitionen
der Landwirtschaft, hin zu einer In-
des Grundeinkommens. Weitgehender
dustrie- und vor allem Dienstleistungs-
Konsens herrscht bei der Auffassung,
ökonomie der Fall ist. Wir haben seit-
dass es sich dabei um ein Einkommen
dem auch andere Anforderungen an
handelt, das in einem politischen Ge-
Verteilungssysteme. Teilhabe am öko-
meinwesen an alle seine Mitglieder
nomischen Verteilungskreislauf ist Be-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
161
standteil einer grundrechtlich ver-
kann, vom Ergebnis identisch, wenn
bürgten Existenz. Ein Mensch kann in
das Grundeinkommen über eine Ein-
unserer Gesellschaft ohne Geld gar nicht
kommensteuer finanziert wird. Sie sind
existieren.
aber nicht gleich, wenn sie über Ver-
Auch bei der Finanzierung des
brauchssteuern finanziert werden, was
Grundeinkommens gibt es verschiede-
zum Beispiel der Unternehmer Götz
ne Modelle. In der Literatur zum Thema
Werner vorschlägt. Wird das Grund-
werden bisher vor allem zwei genannt:
einkommen also nicht über Einkom-
•
Negative Einkommensteuer,
mensteuer finanziert, dann ist die So-
•
Sozialdividende.
zialdividende ein eigenes Modell.
Die ersten beiden Finanzierungsmodel-
Ein drittes Modell zur Finanzierung,
le sind, wie folgende Abbildung zeigen
das ich vorgeschlagen habe, ist die
netto
Schematische Darstellung eines Bürgergeldes als Sozialdividende,
das durch eine lineare Einkommensteuer (flat tax) finanziert wird
(Bürgergeld: 800 €, Steuersatz: 50%)
3200
2800
2400
2000
1600
1200
800
400
0
0
400
800
Nettoeinkommen
Sozialdividende
brutto
1200
1600
2000
2400
2800
3200
brutto
162
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Grundeinkommensversicherung. Dabei
die um 25 Grad ansteigende, durchge-
wird das Schweizer Modell der Alters-
zogene Linie das Nettoeinkommen. Bei
und Hinterlassenenversorgung (AHV)
der Sozialdividende erhält jeder ein
– der dortigen Rentenversicherung für
Grundeinkommen, darauf aufruhende
alle Bürger – auf alle Geldleistungssys-
Einkommen werden versteuert. Aus
teme übertragen. Die Finanzierung läuft
darstellungstechnischen Gründen ver-
über eine Sozialsteuer. Doch sehen wir
wendet man oft zur Plausibilisierung
uns zunächst das klassische Grundmo-
eine pauschale 50-Prozent-Steuer und
dell der Negativen Einkommensteuer
800 Euro als Niveau. Aber auch die
an.
negative Einkommensteuer kann proDie waagrechte durchgezogene Linie
gressiv oder degressiv gestaltet werden.
markiert das Grundeinkommensniveau,
netto
Schematische Darstellung einer negativen Einkommensteuer
(Bürgergeld: 800 €, Steuersatz 50%)
3200
2800
2400
2000
1600
1200
800
400
0
0
400
800
1200
Steuer
Grundeinkommen
brutto
netto
1600
2000
2400
2800
3200
brutto
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
163
Das ist nur eine vereinfachte Sche-
letzterer noch viel zuzahlen muss und
matik, um die verschiedenen Grund-
anderes mehr. Schließlich enthält das
modelle zu verdeutlichen. Sozialdivi-
Modell der Grundeinkommensversi-
dende und negative Einkommensteuer
cherung noch eine weitere Einstiegsre-
haben, wie die Abbildung zeigt, den
gel: Alle Personen, die sich dem Arbeits-
gleichen Netto-Effekt bei Finanzierung
markt zur Verfügung stellen, kleine
aus der Einkommensteuer. Der Finanz-
Kinder erziehen, behindert oder alt sind,
wissenschaftler Joachim Mitschke und
erhalten immer mindestens das Grund-
viele andere haben darauf in ihren
einkommen, maximal den doppelten
Schriften seit Jahren hingewiesen.
Betrag. Wer jedoch studiert bzw. in Aus-
Das von mir vorgeschlagene Modell
bildung ist und derjenige, der sich dem
einer Grundeinkommenversicherung
Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stel-
unterscheidet sich von den Modellen
len will und die anderen genannten
einer Negativen Einkommensteuer vor
Kriterien nicht erfüllt, erhält die Hälfte
allem dadurch, dass es nicht aus der
des Grundeinkommens als Darlehen,
Einkommensteuer finanziert wird, son-
sozusagen ein „Bafög für Alle“. Der
dern über eine spezifische Sozialsteuer,
Darlehensanteil kann aber durch frei-
einen steuerähnlichen Beitrag auf alle
williges Engagement, durch „Bürger-
Einkommensarten. Die Konstruktion
arbeit“ aufgehoben werden.
dieses Modells ist ziemlich einfach:
Der Grundgedanke der Grundein-
Ansprüche aus dem sozialen Siche-
kommensversicherung dürfte den Ge-
rungssystem sind mindestens ein siche-
rechtigkeitsempfindungen weiter Teile
res Grundeinkommen, maximal das
der Bevölkerung in westlichen Gesell-
Doppelte. Aus rechnerischen Gründen
schaften entsprechen, was die Schweizer
habe ich das Hartz-IV-Niveau ange-
mittlerweile in zwölf Referenden zur
nommen, das allerdings noch etwas
AHV bekräftigt haben: Jeder hat sicher
erhöht werden müsste: Das Grundein-
mindestens ein Grundeinkommen,
kommensminimum sollte bei 700 Euro
maximal das Doppelte. Für alles darüber
liegen. Aber natürlich kann man über
Hinausgehende muss man selbst privat
die Höhe streiten. Ich bin in dieser
vorsorgen, oder es muss kollektiv dafür
Frage nicht dogmatisch, denn die Fest-
gesorgt werden, z.B. durch die Gewerk-
setzung hängt davon ab, was in diesem
schaften, durch die Tarifparteien. Das
Betrag tatsächlich enthalten ist, wie das
ist der Kern dieses Modells.
Wohngeld oder die Krankenversiche-
Auf diese Weise ist ein Finanzierungs-
rung geregelt ist, ob der Einzelne bei
spielraum gegeben, der viel größer ist,
164
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
als wenn ich die Sicherung des Lebens-
ger garantiert werden. Das zeigt sich
standards zum Grundprogramm des
z.B. an unserem Rentensystem: In spä-
gesamten Sozialstaats erhebe. Für die
testens zwanzig Jahren werden sich
Politik ergibt sich erheblich mehr Stress
vermutlich 40 Prozent der Rentnerbe-
bei der Lebensstandardsicherung als
völkerung auf Sozialhilfeniveau be-
Programm, denn sie kann immer weni-
finden. Für diese Menschen lohnt es
Modell Grundeinkommensversicherung (GEV) – Leistungen/Beiträge
(Stand 2004)
Leistungsbereich
Renten
Leistung
768–1.536 €
Übergangszuschlag Renten
Beitrag in Prozent
(auf alle Einkommen)
10
2
Arbeitslosengeld
640–1.280 €
1,5
Erziehungsgeld
640–1.280 €
0,5
je Kind 160 €
(zusätzl. bis 160 € Zuschlag)
2
640–1.280 €
0,2
Ausbildungsgeld
640 €
(davon 50% Darlehen)
0,3
Grundsicherung (partielles
Grundeinkommen, „Bafög für alle“)
640 €
(davon 50% Darlehen)
1
Kindergeld
Krankengeld
Beitrag GEV insgesamt
(auf Einkommen lt. ESt., ohne
Beitragsbemessungsgrenze/
„Sozialsteuer“)
17,5
Quelle: Michael Opielka: Sozialpolitik Grundlagen und vergleichende Perspektiven, Reinbek: Rowohlt 2004,
S. 258– Anmerkung: Rechnerischer Grundbetrag 640 € = ALG II, sinnvoll: 700 €.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
165
sich nicht zu sparen. Aus Großbritan-
und Arbeitslosenhilfe – die Vermitt-
nien wissen wir, dass sich für die Be-
lungserfolge nicht erhöht. Festzustel-
zieher der Mindestrente das Sparen
len sind jedoch stärkere Vermittlungs-
nicht lohnt. Das ist in der Schweiz
bemühungen, und zwar aufgrund der
anders. Dort ist Sparen auch für die
erfolgten oder erwarteten Einkom-
Einkommensschwächeren sinnvoll,
menseinbußen. Wenn das der Fall ist,
weil die angesparten Beträge nicht auf
liegt eine soziologische und politische
ihre Grundrente angerechnet werden.
Frage nahe: Warum steuert man nicht
Die Schweiz ist kein Sozialhilfestaat,
gleich über die Einkommensseite?
sondern ein Bürgerstaat, ein Bürgerversicherungsstaat.
Genau das ist die grundsätzliche Idee
der Negativsteuer oder der entspre-
Zum Schluss noch ein paar kurze
chenden Grundeinkommensmodelle:
Anmerkungen zur gegenwärtigen Ar-
Motivation zur Einkommenserzielung
beitsmarkt- und Sozialpolitik und den
und nicht primär Bestrafung. Meiner
damit verbundenen Herausforderun-
Meinung nach ist diese veränderte
gen.
Schwerpunktsetzung
sehr
wichtig,
Wie sieht die Wirklichkeit der Ar-
wenn man die unsicheren und unsteten
beitsmarktpolitik aus? Ein Resümee von
Erwerbsbiografien der Zukunft betrach-
Hartz I bis IV aus dem Bericht der Bun-
tet. Hier stellt sich die entscheidende
desregierung zu „modernen Dienst-
Frage, wie das soziale Sicherungssys-
leistungen am Arbeitsmarkt“ hat eine
tem adäquat auf diese Entwicklung
folgenreiche Trennung von „Marktkun-
reagieren kann.
den“, „Beratungskunden“ und „Betreu-
Meine erste Schlussfolgerung: Wir
ungskunden“ gezeigt. Fast ein Drittel
brauchen auf jeden Fall Betreuung durch
der Neuzugänge in Hartz IV besteht aus
soziale Arbeit und das Bildungssystem.
„Betreuungskunden“, bei denen „grund-
Wir brauchen ökonomische Motivation
sätzlich keine Förderung“ mehr erfol-
durch Einkommensanreize und auf
gen soll. Mit der jetzigen Regelung
keinen Fall ein übertriebenes Mindest-
„Fördern und fordern“ ist also ein Pro-
sicherungsniveau. Es sollte also keine
blem der Segregation verbunden, da sie
Illusion
mit einer dauerhaften Auskopplung
Grundeinkommensniveau erweckt wer-
eines Teils der Arbeitslosen einher-
den.
geht.
über
ein
unrealistisches
Zweiter Punkt: Wir müssen auf die
Generell haben sich gegenüber der
Gefahr einer gesellschaftlichen Spal-
vorherigen Regelung – Arbeitslosengeld
tung und Exklusion reagieren. Sozial-
166
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
politik muss die Existenz von „Versor-
gration in die Sozialpolitik verknüpfen.
gungsklassen“ anerkennen. Diese sozi-
Vor kurzem hat Reinhard Bütikofer,
alpolitische Akzeptanz erfordert eine
Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die
Integration von „Arbeiter-“ und „Ar-
Grünen, in der sozialdemokratischen
menpolitik“, eine Politik der Bürgersi-
Zeitschrift „Berliner Republik“ ge-
cherung, innerhalb derer Hartz IV
schrieben, ein Grundeinkommen wür-
durchaus als ein richtiger Schritt er-
de verhindern, dass der Staat in soziale
scheint. Denn mit Hartz IV wurde die
Dienste investiert. Das kann so sein,
Spaltung von „Arbeiter-“ und „Armen-
muss aber nicht so sein. Dieser Irrtum
politik“ auf einen Streich aufgehoben;
ist in der Debatte weit verbreitet. Wenn
die Reformen hatten zwar negative
man eine realistische Größenordnung
Nebenfolgen, aber der Schritt war
wählt, kann man selbstverständlich ein
grundsätzlich richtig.
Grundeinkommen mit einer umfas-
Ziel ist eine Politik relativer Gleich-
senden Sozialpolitik kombinieren.
heit und damit eine Teilhabe über
Grundeinkommen ist kein Allheil-,
Grundrechte. Doch Grundrechte sind
aber durchaus ein Heilmittel. In mei-
bedingungslos. Ihren extremen Ge-
nem Konzept ist das Grundeinkom-
brauch, selbst Missbrauch, müssen wir
men in eine weitere gesellschaftspoliti-
als Demokraten in Kauf nehmen –
sche Grundüberlegung eingebettet. Die
auch dann, wenn jemand rechtsextrem
sozialpolitische Garantie beruht auf den
wählt, sexuell pervers ist oder legale
Menschenrechten und die Gerechtig-
Drogen nimmt. Natürlich gibt es Gren-
keitsvorstellung orientiert sich an der
zen, über die nicht hinausgegangen
Idee der Teilhabe. Das Wohlfahrtsre-
werden darf. Aber man muss sich klar
gime „Garantismus“, eine garantistische
machen, dass auch ein Grundeinkom-
Sozialpolitik unterscheidet sich von den
men missbraucht werden wird. So wird
hergebrachten drei Regimetypen liberal-
es z.B. Leute geben, die mit ihrem
sozialdemokratisch-konservativ in der
Grundeinkommen ungesunde Nah-
Art, wie sozialpolitische Garantien orga-
rungsmittel einkaufen. Daraus folgt:
nisiert werden. In der folgenden Abbil-
Das Grundeinkommen ist ein Projekt
dung wird deutlich, dass diese auch in
gesellschaftlicher Inklusion.
den drei hergebrachten Sozialpolitik-
Dritter Punkt: Wir müssen ein
modellen existieren: Liberale wollen
Grundeinkommen mit einer Politik so-
Marktzugänge garantieren, deregulierte
zialer Dienstleistungen und einer Inte-
Lohnarbeit, und sie sperren sich heute
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
167
nicht mehr gegen Sozialhilfe, nicht we-
wiederum orientieren sich an den Men-
nige plädieren auch für ein, freilich
schenrechten, vertreten einen erwei-
niedriges, Grundeinkommen in Form
terten Arbeitsbegriff und fordern ein
einer Negativsteuer; Sozialdemokraten
unbedingtes Grundeinkommen.
verfolgen die Idee einer um die Arbeit-
Sozialdemokraten mögen darüber
nehmerrolle aufgerichteten Bürger-
nachdenken, ob sie nicht über ihre bis-
gleichheit, wollen Lohnarbeit regulie-
herige Fokussierung auf den Arbeit-
ren und das Recht auf Arbeit via Voll-
nehmerstatus hinausgehen können und
beschäftigung; Konservative wollen
ob es nicht sinnvoll wäre, bewusst an-
hergebrachten Status garantieren, ei-
zunehmen, dass eine bürgerrechtliche
nerseits die Familienarbeit höher be-
Absicherung Bestandteil ihres, eines
werten, andererseits die Lohnarbeit
zukunftsorientierten Programms sein
korporatistisch einhegen; Garantisten
kann.
Wohfahrtsregime-Typen und sozialpolitische Garantien
Sozialstaatsmodell
Sozialpolitische
Garantie
Gerechtigkeitskonzept
Grundeinkommenssicherung
Friedman
Marktzugang
(Fürsorge)
Leistung
Sozialhilfe/
Negative
Einkommenssteuer
Liberalismus
Sozialdemokratie
Beveridge
Bürgergleichheit
(Solidarität)
Verteilung
Recht auf Arbeit/
Grundsicherung
Konservatismus
Bismarck
Statussicherung
(Versicherung)
Bedarf
Workfare/
Familienunterhalt
Sozialhilfe
Paine
Menschenrechte
(Gerechtigkeit)
Teilhabe
Grundeinkommen
Wohlfahrtsregime
Garantismus
Quelle: Michael Opielka: Sozialpolitik. Grundlagen und vergleichende Perspektiven, Reinbek: Rowohlt, S. 295, 2004
(Abb. 52, Auszug) und 191 (Abb. 36, Auszug).
168
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Zugang zum Erwerbsleben und
soziale Gerechtigkeit – statt
Stilllegungsprämien für Arbeitslose
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
Leiter der Abteilung
Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen
des DGB, Berlin
Ich stelle Ihnen heute fünfzehn Thesen
behandeln. Aber weitere Beispiele für
zum bedingungslosen Grundeinkom-
bedingungslose Inanspruchnahme von
men vor.
Leistungen sind, wie ich finde, nur
Am Beginn stand für mich die Frage:
schwer vorstellbar.
In welchem Zusammenhang spricht
Zweiter Aspekt: Dass jeder Mensch
man eigentlich von „bedingungslos“?
– von der Wiege bis zur Bahre – einen
Mir sind zunächst negativ besetzte Be-
Anspruch auf ein bedingungsloses Ein-
griffe eingefallen: bedingungslose Über-
kommen und damit Anspruch auf Leis-
gabe; bedingungslose Kapitulation;
tungen anderer haben sollte, das hat
bedingungslose Unterwerfung. Gibt es
doch etwas von Schlaraffenland, was ja
dazu eigentlich auch positive Begriff-
nicht unsympathisch ist. Denn wie bei
lichkeiten?
vielen anderen Sozialutopien auch, ist
Mein erster Punkt: Nach genauerer
es natürlich nicht unehrenhaft, solche
Überlegung habe ich festgestellt, dass
Vorstellungen grundsätzlich sympa-
es durchaus positive Vorstellungen von
thisch zu finden und dafür zu werben.
bedingungslos, voraussetzungslos gibt.
Doch es geht bei dieser Diskussion
Der Anspruch auf den Respekt der
noch um etwas anderes.
Menschenrechte – der ist bedingungs-
Drittens: Der dauerhafte Ausschluss
los, voraussetzungslos. Kinder haben
von Menschen aus dem Erwerbsleben
– zumindest so lange sie noch unmün-
ist ein schwerer Verstoß gegen die Men-
dig sind – Anspruch auf die bedingungs-
schenwürde.
lose Liebe ihrer Eltern oder des Eltern-
Viertens: Es ist ein gewerkschaft-
ersatzes. Die theologischen Dimensio-
liches Kernanliegen, den dauerhaften
nen dieser Frage möchte ich hier nicht
Ausschluss von Menschen aus dem
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
169
Erwerbsleben zu verhindern. Gegen
hat ihre Regeln. Und es ist gut, dass man
Menschenrechtsverletzungen anzuge-
sich gegenseitig darauf verlassen kann,
hen ist zudem ein klarer Verfassungs-
dass diese Regeln erfüllt werden: dass
auftrag.
eingekauft wird, dass gekocht wird, dass
Daraus folgt fünftens: Der men-
alle satt werden und dass aufgeräumt
schenrechtsverletzende Charakter des
wird, damit es in der Wohnung auch
dauerhaften Ausschlusses aus dem Er-
ein bisschen gemütlich ist.
werbsleben kann nicht dadurch ge-
Achtens: Nur wer unfreiwillig – das
mindert werden, dass der Staat eine
heißt aufgrund von Krankheit, Inva-
existenzsichernde Alimentierung ga-
lidität, Alter oder geringen Zugangs-
rantiert. Um es volkstümlich zu sagen:
chancen zum Erwerbsleben – nicht
Kohle ist nicht alles.
selber erwerbstätig ist, nicht mehr ist
Sechstens: Die Teilhabe am Er-
oder nicht sein kann, der hat Anspruch
werbsleben bedeutet mehr als nur die
auf Unterstützung aller anderen. Es ist
Voraussetzung für die Existenzsiche-
eine – übrigens sehr gute – anthropo-
rung. Sie ist die Voraussetzung zur Teil-
logische Grundkonstante, dass Men-
habe an der Gesellschaft. Sie ist für den
schen anderen Menschen, die in Not
Einzelnen die Quelle für Bestätigung
sind, helfen.
durch andere, die Quelle für Lebenszu-
Neuntens: Das Propagieren voraus-
friedenheit und für den Zugang zu Le-
setzungsloser oder bedingungsloser Un-
bensgenüssen. Das muss ganz deutlich
terstützungsleistungen abstrahiert von
gesagt werden.
konkreten sozialen Ungleichheiten in
Siebtens: Wer für sich selbst die
der Gesellschaft. Wenn man dem Loser
Freiheit realisieren möchte, am Er-
Donald Duck helfen will, warum sollte
werbsleben nicht teilzunehmen, kann
man auch noch den reichen Onkel
legitimerweise nicht erwarten, dass ihm
Dagobert unterstützen? Dem geht es
dieser Wunsch zu Lasten aller anderen
doch gut.
auch noch honoriert wird. Selbstver-
Zehntens: Die pauschale Unterstüt-
wirklichungsspielräume der einen sind
zung von Nichthilfsbedürftigen geht
stets begrenzt durch die ebensolchen
prinzipiell immer zu Lasten jener, die
der anderen. Jede Wohngemeinschaft
aufgrund ihrer individuellen Bedarfs-
mutiert zur Vorhölle, wenn es nach dem
und Lebenslage einer abgestimmten
Lustprinzip ums Einkaufen, Kochen,
Unterstützung bedürfen. Wäre es nicht
Bad sauber machen oder Abfall runter-
so, würde ich sagen: Machen wir das
bringen geht. Jede soziale Gemeinschaft
doch einfach! Wenn wir Geld zu ver-
170
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
schenken haben, warum sollte Krause,
keine Besserstellung. Und das nenne
der etwas kriegt, nicht in Kauf nehmen,
ich tatsächlich „dreist getarnten So-
dass Krupp auch etwas kriegt? Aber es
zialabbau“. Wenn Götz Werner sich
ist leider anders: Wenn alle etwas be-
Sorgen darüber macht, wie Lohnne-
kommen, auch jene, die nicht bedürftig
benkosten gedrückt werden können – er
sind, nimmt man jenen etwas weg, die
ist im Nebenjob ja auch noch Leiter
es dringend brauchen.
und Besitzer einer großen Drogerieket-
Elftens: Es ist doch völlig widersin-
te, dann ist das in Ordnung, völlig le-
nig, Hungernde wie Satte und selbst
gitim. Wenn aber Politiker wie Dieter
den schon Überfressenen gleicherma-
Althaus und Guido Westerwelle solche
ßen mit Nahrungsmittel zu versorgen.
Modelle propagieren – da glaube ich,
Nicht weniger widersinnig ist es, dass
haben Gewerkschafter schon einen
die Bedürftigen die prinzipiell immer
Grund, nachdenklich zu werden. Ich
knappen Ressourcen für soziale Unter-
vermisse bei diesen Vorschlägen eines
stützungsleistungen mit jenen teilen
bedingungslosen Grundeinkommens
sollen, die darauf überhaupt nicht an-
den Gedanken, die Ausgegrenzten die-
gewiesen sind. Oder ist das die Um-
ser Gesellschaft wieder zu integrieren.
kehrung der Zielsetzung: Gleichbe-
Dreizehntens: Die Vorstellung, zu-
handlung von Millionen mit den Mil-
sätzliche
lionären? Wieso sollte der Vorstands-
über eine starke Erhöhung der Ver-
chef der Deutschen Bank Josef Acker-
brauchssteuern einzunehmen, verrät
mann eine Grundsicherung erhalten?
unschwer die Absicht neuerlicher Um-
Zwölftens: Die verbreitetsten Vari-
verteilung zu Lasten aller, die den
anten bedingungsloser Grundeinkom-
größten Teil ihres Einkommens für den
men werden als Alternative zu allen
Konsum ausgeben müssen. Grundein-
sonstigen Transferleistungen verstan-
kommenskonzepte, wie das von Götz
den. Wenn das bedingungslose Grund-
Werner kalkulierte, mit drastisch er-
einkommen
das
Gegenfinanzierungsmittel
Existenzminimum
höhten Verbrauchssteuern bei drastisch
absichern sollte, dann müsste ja die
reduzierten direkten Steuern und einem
Summe aller eingesparten staatlichen
Verzicht auf Abgaben, um diese Patent-
Transferleistungen überschritten wer-
rezepte irgendwie noch finanzierbar zu
den – oder alle bekommen weniger.
halten, können nicht überzeugen. Im
Ein Grundeinkommen unterhalb der
eigentlichen Sinne sind es aber auch
Schwelle des Existenzminimums wäre
Nebenprodukte der Debatte um eine
gegenüber dem Status quo überhaupt
neue Steuersystematik. Darüber kann
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
171
man reden, aber man muss dann auch
heit, bei Invalidität, bei Arbeitslosig-
klar sagen, dass es um dieses Thema
keit – das alles lässt sich über bedarfs-
geht.
orientierte Grundsicherung lösen. In all
Vierzehntens: So notwendig es ist,
diesen Fällen ist begründbar, warum ein
fallweise und situativ die Finanzarchi-
Mensch zur einen oder anderen Kate-
tektur des deutschen Sozialstaats an die
gorie gehört und deshalb Unterstüt-
mehr steuer- als beitragsfinanzierten er-
zungsleistungen der Gesellschaft benö-
folgreicheren westeuropäischen Nach-
tigt. Wir haben die Grundsicherung
barländer anzupassen, so beschränkt sind
über tarifliche und gesetzlich gesicher-
im Rahmen der Europäischen Union
te Mindesteinkommen in petto. Diesen
die Möglichkeiten eines völligen Sys-
Ansatz haben wir – die Gewerkschaften
temwechsels. Das dürfen wir nicht
und die Sozialdemokratie – gerade in
vergessen.
die Tagespolitik eingebracht, und er ist
Fünfzehntens: „Draufsattelei“ ist die
im Übrigen auch leichter und zielsi-
nicht minder üble Zwillingsschwester
cherer zu realisieren als Stilllegungs-
der Dumping-Strategie. In unserem
prämien an Arbeitslose auszuteilen und
Diskussionszusammenhang erschwert
Geschenke an gar nicht Bedürftige zu
das Propagieren eines bedingungslo-
geben.
sen Grundeinkommens jede realistische
Fazit: Das vorerst letzte gesellschaft-
Reformstrategie, die auf bedarfsorien-
liche Großexperiment, einen gesamten
tierte menschenwürdige Grundsiche-
Staat als eine Art Beschäftigungsgesell-
rung zielt. Über eine bedarfsorientier-
schaft zu organisieren, ist bekannter-
te menschenwürdige Grundsicherung
maßen – und wie ich finde auch ver-
kann man mit der Sozialdemokratie
dientermaßen – gescheitert. Die Lehre
und mit den Gewerkschaften sprechen.
daraus kann doch aber nun nicht sein,
Dieser Weg wäre der richtige. Es würde
jetzt eine Gesellschaft anzustreben, bei
sich lohnen, intensiv darüber nachzu-
der es zum Nachteil der wirklich Durs-
denken, wie die bestehenden Elemente
tigen zu einer Verschwendung der
dieser Grundsicherung ausgebaut wer-
ökonomischen Ressourcen durch „Frei-
den können, und zwar so, dass allen
bier für alle“ kommt.
geholfen ist – vor allen Dingen den
Bedürftigen.
Das Recht auf eine menschenwürdige Bezahlung und ein gesichertes Leben im Alter und im Risikofall Krank-
Deshalb lautet mein Resümee: Ja
zu einer bedarfsorientierten Grundsicherung. Nein zum bedingungslosen
Grundeinkommen.
172
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Welches Modell fördert gesellschaftliche Teilhabe am besten?
Podiumsdiskussion
mit
Ralph Boes
Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative bedingungsloses
Grundeinkommen (BbG), Berlin
Elke Ferner, MdB
Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
Prof. Dr. Michael Opielka
Hochschullehrer für Sozialpolitik an der Fachhochschule Jena,
Fachbereich Sozialwesen
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen
des DGB, Berlin
Prof. Dr. Emmerich Talos
Hochschullehrer am Institut für Staatswissenschaft,
Universität Wien
Moderation: Dr. Claus Schäfer
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der
Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Düsseldorf
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Welche Unterschiede bestehen
zwischen Modellen des
Grundeinkommens und der
Grundsicherung?
173
Ralph Boes, Vorstandsmitglied der
Bürgerinitiative Grundeinkommen, übte scharfe Kritik am gegenwärtigen
System der Grundsicherung: Immer
mehr Menschen, die durch Globalisie-
Einleitend erläuterte Dr. Claus Schäfer,
rung und Rationalisierung arbeitslos
dass hinter den aktuell kursierenden
wurden, würden durch die Hartz IV-
Begriffen
und
Regelungen erniedrigt und von Büro-
„Grundsicherung“ zwei sehr unter-
kraten ausspioniert. Die bedarfsorien-
schiedliche Modelle stehen: Das gegen-
tierte Unterstützung laufe in der kon-
wärtige System in Deutschland ist eine
kreten Umsetzung darauf hinaus, ein
historisch gewachsene besondere Form
umfangreiches System staatlicher Über-
der Grundsicherung, die prinzipiell an
wachung zu installieren, das mittler-
Bedingungen geknüpft und am Bedarf
weile ein ungekanntes Ausmaß erreicht
des Einzelnen orientiert wird. Ange-
habe. Menschen ohne Arbeit würden
sichts steigender, dauerhafter Arbeits-
bis in die Privatsphäre hinein kontrol-
losigkeit und wachsender Armut wird
liert, um über eine „Bedürftigkeitsprü-
das bestehende soziale Sicherungssys-
fung“ ihre Hartz IV-Berechtigung fest-
tem wegen etlicher Defizite von vielen
zustellen: Dazu gehöre die Überprü-
als dringend reformbedürftig betrach-
fung mit Telefonanrufen, das Einsehen
tet. Andere Kritiker halten es dagegen
von Kontoauszügen und selbst das
für grundsätzlich nicht reformierbar
Zählen von Zahnbürsten im Badezim-
bzw. nicht problemgerecht und enga-
mer. Betroffen seien von dieser entwür-
gieren sich deshalb für die Einführung
digenden Überwachung aber auch im
eines bedingungslosen Grundeinkom-
Niedriglohnsektor Beschäftigte, die auf
mens. Es soll das „alte“ System durch
zusätzliche staatliche Unterstützungs-
ein völlig neues Sozialsystem ersetzen,
leistungen zum Lebensunterhalt ange-
indem jede Person in Deutschland
wiesen sind. In polemischer Zuspitzung
unabhängig von Alter, Herkunft, Ver-
merkte Boes an: „Die DDR ist zwar
mögen oder anderen Merkmalen gene-
untergegangen, die Stasi hat aber über-
rell einen „existenzsichernden“ Geld-
lebt – wenn auch nicht auf politischem,
betrag zur freien Verfügung und ohne
sondern auf ökonomischem Gebiet.“
„Grundeinkommen“
Gegenleistung erhält. Schäfer plädierte
Die SPD-Bundestagsabgeordnete
dafür, die Vor- und Nachteile beider
Elke Ferner verteidigte die Zusammen-
Systeme sehr genau zu analysieren.
legung von Sozialhilfe und Arbeitslo-
174
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
senhilfe zum Arbeitslosengeld II im
den schließlich auch durch Beiträge von
Zuge der Hartz IV-Reformen, die eine
Erwerbstätigen mit geringen Einkom-
verstärkte individuelle Bedürftigkeits-
men und ohne Vermögen finanziert; es
prüfung mit sich gebracht hat: Auch
könne deshalb nicht gerecht sein, wenn
die Arbeitslosenhilfe im alten System
ein Vermögen des Leistungsbeziehers
sei nicht bedingungslos, sondern nach
(über einem festgelegten Freibetrag)
– allerdings weniger strengen – Anrech-
verschont bleibe. Die zusätzlich existie-
nungskriterien gewährt worden. Zu-
rende Sozialhilfe (SGB XII) sei zwar auch
dem seien durch die Zusammenlegung
eine Art Grundsicherung, habe jedoch
vorher benachteiligte Gruppen ent-
deutlich strengere Anrechnungskrite-
scheidend bessergestellt worden. So
rien als ALG II. Sie wird heute nur noch
hätten alleinerziehende Mütter früher
an Personen ausbezahlt, die nicht mehr
nur Sozialhilfe bekommen; heute ha-
voll erwerbsfähig sind, d.h. weniger als
ben sie mit ALG II neben dem Anrecht
drei Stunden pro Tag arbeiten können.
auf finanzielle Unterstützung auch
Auch Dr. Hans-Joachim Schabedoth,
Anspruch auf Vermittlungsleistungen
Leiter der Abteilung Gesellschaftspoli-
und könnten somit durch aktivierende
tik/Grundsatzfragen des DGB, befür-
Maßnahmen der ARGEn und Options-
wortet grundsätzlich das gegenwärtige
kommunen ihre Chancen auf einen
soziale Sicherungssystem, sieht aber die
Arbeitsplatz erhöhen.
Notwendigkeit von Reformen. In den
Elke Ferner verwies auf die zwei For-
letzten Jahren habe eine Entwicklung
men einer bedarfsorientierten Grund-
von der Lebensstandardsicherung hin
sicherung im gegenwärtigen System:
zur Existenzsicherung stattgefunden.
zum einen die Grundsicherung bei
Doch um ein menschenwürdiges Leben
Alter und Invalidität, zum anderen die
auch wirklich gewährleisten zu können,
Grundsicherung für Arbeitsuchende
müsse der ALG II-Regelsatz entspre-
(ALG II), die unter bestimmten Bedin-
chend der allgemeinen Preis- und
gungen ausbezahlt wird. Da es sich bei
Lohnentwicklung dynamisiert werden.
ALG II um steuerfinanzierte Transfer-
Menschen ohne Arbeit dürften ihre
leistungen handle, müsse z.B. bei der
Situation nicht als demütigend erleben
Auszahlung berücksichtigt werden, ob
und müssten eine realistische Perspek-
der Antragsteller über eigenes Vermö-
tive auf Arbeit bekommen.
gen verfügt. Die Transferleistungen wür-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Welche Höhe von Sozialleistungen
ermöglicht eine menschenwürdige
Existenz?
175
den jeweils vorgeschlagenen Grundeinkommensmodellen wegfielen. Erst
nach genauer Abwägung könne dann
entschieden werden, was beim jewei-
Dr. Claus Schäfer verwies auf verschie-
ligen System für den Einzelnen unterm
dene Studien (z.B. AWO-ISS) mit der
Strich herauskommt. Beim Althaus-
Grundaussage, dass der Hartz IV-Regel-
Modell würden z.B. von 800 Euro
satz eindeutig zu niedrig sei und Armut
Grundeinkommen pro Kopf 200 Euro
nicht wirksam verhindern könne. Im
Gesundheitsprämie von vornherein ab-
Gegenteil würden in Hartz IV-Haushal-
gezogen. Das bedeute, dass bei einer
ten aufgewachsene Kinder z.B. gravie-
vierköpfigen Familie insgesamt 800 Eu-
rende soziale, gesundheitliche und
ro abgehen, was viel mehr sei als im
bildungsmäßige Defizite davontragen,
bisherigen Gesundheitssystem, das ge-
die später auch bei umfangreicher Hil-
staffelte Beiträge und Familienversiche-
fe kaum mehr kompensiert werden
rung vorsieht. Häufig werde in der
könnten.
Diskussion von Einpersonenhaushalten
Natürlich könne man über die an-
gesprochen. Doch bei einer Vier-Per-
gemessene Höhe der Regelsätze streiten,
sonen-Bedarfsgemeinschaft könnten
so Elke Ferner. Sie warne aber davor,
bei ALG II durchaus 1.500 bis 1.600
einen höheren Pauschalbetrag (wie bei
Euro netto im Monat zusammenkom-
vielen Modellen des Grundeinkom-
men. Manche Arbeitnehmer müssten
mens) für grundsätzlich besser zu halten
einen Monat lang arbeiten und hätten
als den gegenwärtigen Hartz IV-Re-
dann – bei Steuerklasse 3 – mit Kinder-
gelsatz, der sich an individuellen Bedar-
geld kaum mehr Geld zur Verfügung.
fen orientiert.
Beim Grundeinkommensmodell von
Althaus würden z.B. das Wohngeld
und andere Zusatzleistungen zugunsten eines Pauschalbetrags wegfallen.
Könnte das Modell einer
Mindestsicherung in Österreich
Vorbild für Deutschland sein?
Dagegen könnten bei den Hartz IVRegelungen – je nach individuellem
Prof. Emmerich Talos skizzierte, wie in
Fall (z.B. abhängig von Stadt, Familien-
Österreich die Debatte um eine Grund-
stand) Zusatzleistungen beantragt wer-
sicherung 2006 wieder auf die politi-
den. Es sei also sehr genau zu prüfen,
sche Agenda kam: Die österreichischen
welche Sach- und Sozialleistungen bei
Sozialdemokraten waren im Wahlkampf
176
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
mit dem Ziel angetreten, den Sozialstaat
markt zu integrieren. Das Armutspro-
durch die Einführung einer bedarfsori-
blem, das in Deutschland eher noch
entierten Grundsicherung zu ergänzen.
stärker ausgeprägt sei als in Österreich,
Mit dem späteren Regierungspartner
könne mit dem Hartz IV-Modell aber
ÖVP einigte sie sich im Regierungspro-
gerade nicht gelöst werden. Deshalb
gramm dann auf eine spezifische Form
hält er die „bedarfsorientierte Mindest-
der Grundsicherung, die sogenannte
sicherung“ in Österreich für das grund-
bedarfsorientierte Mindestsicherung,
sätzlich bessere Modell, wenn auch hier
die im Laufe des Jahres 2008 beschlos-
noch einige Details geklärt werden
sen werden soll. Geplant ist ein monat-
müssten, z.B. der Anrechnungsmodus
licher Transferbetrag von etwa 830 Euro
von Zusatzeinkommen und Vermögen
netto pro Monat für Alleinlebende. Die
auf den Transferbetrag.
Höhe der Leistung bemisst sich am
Talos’ Hauptkritik an der „bedarfs-
Ausgleichszulagenrichtsatz, der Bezugs-
orientierten Mindestsicherung“ in Ös-
größe für die Armutsgefährdungsgren-
terreich richtet sich auf die vorgesehene
ze in Österreich.
Höhe von 830 Euro, die deutlich unter
Wichtige Ziele sind bei dieser Maß-
der Armutsschwelle nach EU-Kriterien
nahme, die bisher in den Bundeslän-
(60 Prozent des Medianeinkommens)
dern unterschiedlichen Sicherungssys-
liegt. Bei Berücksichtigung dieses Krite-
teme zu harmonisieren und zugleich
riums wurde für das Einkommensjahr
einen Mindestlohn einzuführen. Im
2004 die Armutsschwelle in Österreich
Kern zielt die österreichische Regierung
bei 900 Euro eruiert und wird im Jahr
auf eine offensive Armutspolitik, nach-
2009, wenn das Gesetz voraussichtlich
dem wissenschaftliche Untersuchungen
in Kraft tritt, bei 950 bis 970 Euro liegen.
der letzten zehn Jahre ergeben hatten,
Diese Diskrepanz passe mit dem Ziel der
dass in Österreich 12 bis 13 Prozent der
Armutsbekämpfung nicht zusammen.
Menschen armutsgefährdet sind.
Ein großes Problem sei auch, dass im
Im Ziel der Armutsvermeidung sieht
Auszahlungsbetrag 25 Prozent Wohn-
Prof. Talos einen wesentlichen Unter-
kosten enthalten sind, die in vielen
schied zu den Hartz IV-Reformen in
Städten (wie Innsbruck) definitiv nicht
Deutschland, die nicht auf Armutsbe-
ausreichen würden, um eine vernünf-
kämpfung ausgerichtet seien, sondern
tige Wohnung zu finden. Dieses Defizit
darauf, Menschen ohne Arbeit – auch
sei in Deutschland noch viel stärker
unter Zwang – wieder in den Arbeits-
ausgeprägt: Der Hartz IV-Regelsatz von
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
177
650 Euro (inklusive Wohngeld) befin-
deststandards einzuführen, die sich in
det sich etwa 300 Euro unter der Ar-
der Höhe dem Wert annähern, der in
mutsschwelle.
der
Das gleiche Problem zeige sich bei
dem durch die Wirtschaftskammer und
wissenschaftlichen
Armutsfor-
schung als Armutsschwelle ausgewiesen ist.
den Österreichischen Gewerkschaftsbund vereinbarten Mindestlohn von
1.000 Euro brutto, da der Nettobetrag
in Höhe von etwa 850 Euro ebenfalls
deutlich unter der Armutsschwelle
Aus welchen Gründen könnte
ein bedingungsloses
Grundeinkommen sinnvoll sein?
liegen wird. Dadurch sei auch die Differenz zwischen Lohn- und Transfer-
Ralph Boes betonte noch einmal, dass
einkommen nicht groß genug.
das gegenwärtige System ein unmensch-
Aus diesen Gründen hält Talos die
liches Überwachungssystem geschaffen
geplante Einführung der Mindestsi-
habe und die Menschen massiv unter
cherung in Österreich zwar für einen
Druck setze, schlecht bezahlte Jobs
wichtigen Schritt, doch er reicht seiner
anzunehmen. Mit der Einführung eines
Ansicht nicht aus, um den österreichi-
bedingungslosen Grundeinkommens
schen Sozialstaat armutsfest zu machen.
könne der Staat aufhören, seine Bür-
Deshalb wäre es nun wichtig, in die
gerinnen und Bürger auf unwürdige
Transfersysteme aller EU-Staaten Min-
Weise zu kontrollieren und damit nicht
178
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
nur grundsätzlich Armut beseitigen,
Boes widersprach vehement der
sondern das Verhältnis von Staat und
Auffassung Schabedoths, das bedin-
Bürger entscheidend zum Positiven
gungslose Grundeinkommen sei eine
verändern.
Art „Stilllegungsprämie“. Vielmehr
Ein Grundeinkommen hätte nach
führe es zu einer Stärkung der Arbeit-
Boes’ Ansicht aber noch weitere positive
nehmerposition, indem die Arbeitgeber
Auswirkungen. Wenn jeder Bürger bzw.
den Arbeitnehmern sinnvolle, ange-
jede Bürgerin einen festen Betrag (von
nehme oder lukrative Arbeiten anbieten
etwa 800 Euro) ohne Bedingungen er-
müssten. Vermutlich würde niemand
halte, wäre damit die individuelle Exis-
mehr bereit sein, einen Putzjob für 1,50
tenz gesichert und Erwerbsarbeit er-
Euro pro Stunde anzunehmen, wohl
hielte einen anderen Stellenwert. Unter
aber für 7,50 Euro. Immer wieder werde
diesen Voraussetzungen würde Arbeit
das Argument angeführt, dass die Men-
nicht mehr der Existenzsicherung,
schen bei einem bedingungslosen
sondern der Steigerung der Lebensqua-
Grundeinkommen keinen Anreiz zum
lität dienen. Dadurch könne sich das
Arbeiten mehr hätten. Tatsächlich sei
Arbeitsklima sowie das Verhältnis zwi-
aber jeder Mensch an einem besseren
schen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Leben interessiert und somit auch an
radikal ändern. Die Arbeitgeber könn-
Möglichkeiten, etwas zum Grundein-
ten die Arbeitnehmer nun nicht mehr
kommen dazuzuverdienen. Jeder ar-
zu irgendetwas zwingen, sondern müss-
beite doch gerne weiter, wenn seine
ten um sie werben: Bei Verhandlungen
Arbeitnehmerrechte gestärkt sind.
befänden sich die beiden Parteien auf
Nach Auffassung von Claus Schäfer
Augenhöhe und die Möglichkeit zur
sind Boes’ Argumente inzwischen von
„Ausbeutung“ wäre abgeschafft. Unan-
der Empirie widerlegt. Er nannte als
genehme, schwere Arbeit, die heute
Beispiel die ergänzenden Transferleis-
häufig nur schlecht bezahlt werde,
tungen: Bereits heute akzeptierten 1,3
müsste dann teuer bezahlt werden, da
Millionen Menschen eine geringe Be-
beliebte Arbeit tendenziell billiger, un-
zahlung, weil sie zusätzlich zu ihrem
beliebte teurer werden würde. Damit
Lohn einen staatlichen Aufstockungs-
erübrigten sich auch alle arbeitsmarkt-
betrag im Rahmen von Hartz IV er-
und sozialpolitischen Programme des
hielten. Solche faktischen Kombi-Lohn-
Staates, da diese Aufgaben nun die Ar-
Modelle seien letztlich vor allem mit
beitgeber übernehmen würden.
Vorteilen für die Seite der Arbeitgeber
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
179
verbunden, die deshalb die Löhne stark
verstehen, der seiner Rolle als Gewerk-
drücken können, während die Kosten
schafter gerecht werden müsse, doch
für die existenzsichernde Kompensa-
dürfe dies nicht dazu führen, sämt-
tion von der Gemeinschaft übernom-
liche Grundeinkommensmodelle in
men werden. Wenn das bedingungslose
Bausch und Bogen zu verwerfen.
Grundeinkommen auch als eine Art
Natürlich müssten die Modelle eines
Kombi-Lohn-Modell wirke, dann sei
bedingungslosen Grundeinkommens
äußerst zweifelhaft, ob damit wirklich
kritisch geprüft werden. So bestehe z.B.
die Rechte der Arbeitnehmer und nicht
das Problem, dass ein menschenwürdig
vielmehr die Interessen der Arbeitgeber
existenzsicherndes Grundeinkommen
gestärkt werden.
in Deutschland bei größeren Haus-
Auch Elke Ferner bezweifelte, dass
haltsgemeinschaften das mittlere Lohn-
ein Grundeinkommen dazu führt, dass
niveau erreichen würde. Wichtig sei ihm
die Arbeitgeber die Arbeitnehmer um-
jedoch, verbreitete Irrtümer zu ent-
werben und schlechte, anstrengende
kräften. Opielka ging auf das von Scha-
Jobs besser bezahlen. Unklar sei außer-
bedoth genannte Beispiel der Wohn-
dem, wie bei einem solchen Modell
gemeinschaft ein, das verdeutlichten
sichergestellt werden könne, dass un-
sollte, dass man in einer Gemeinschaft
angenehme Jobs – die es ja weiterhin
nicht nur nehmen, sondern auch geben
gebe – tatsächlich erledigt werden. Nach
müsse, und dass es nicht gerecht sei,
Ferners Ansicht funktioniert jede Ge-
ohne eigenen Beitrag nur auf Kosten
sellschaft nur auf Gegenseitigkeit: Wenn
der anderen zu leben. Opielka sieht aber
die Bürgerinnen und Bürger Rechte in
einen wesentlichen Unterschied darin,
Anspruch nehmen, müssten sie auch
dass eine Wohngemeinschaft eine sehr
Pflichten und einen Teil der Verantwor-
viel kleinere Einheit darstellt als eine
tung übernehmen.
Gesellschaft, die aufgrund ihrer Größe
Prof. Opielka appellierte, dieses
und Komplexität ganz anders zu orga-
Thema nicht isoliert, sondern im ge-
nisieren ist. So gebe es z.B. in einer WG
samtgesellschaftlichen Zusammenhang
keine verbindlichen rechtlichen Rege-
zu diskutieren: Gegenwärtig gebe es in
lungen – wohl aber in der Gesellschaft
Deutschland Verteilungseffekte, die
Grundrechte bzw. eine Verfassung.
nicht mehr mit der Idee einer sozialen
Zudem habe Schabedoth in seinem
Marktwirtschaft vereinbar seien. Er
Plädoyer gegen ein bedingungsloses
könne die Bedenken Schabedoths zwar
Grundeinkommen
angeführt,
man
180
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
würde damit Menschen Unterstützung
he in den letzten Jahren den Umbau
geben, die gar keine brauchen. Entschei-
des Sozialstaats, womit sich eine Ten-
dend ist jedoch nach Opielka, welches
denz weg vom universalistischen Den-
Grundeinkommensmodell man wählt
ken hin zur Übernahme eines sozial-
und wie es konkret ausgestaltet wird,
liberalen Denkmodells zeige – was
z. B. welche steuerlichen Regelungen
Opielka sowohl politisch-soziologisch
damit verbunden werden. Sicherlich
als auch philosophisch für völlig falsch
könne dieser Effekt entstehen, doch er
hält.
ergebe sich nicht zwangsläufig. So könn-
Auch nach Ansicht von Prof. Em-
te ein Grundeinkommens-Modell steu-
merich Talos ist es dringend notwendig,
erlich progressiv angelegt werden, so-
dass sich reiche Gesellschaften wie
dass höhere Einkommen stärker belas-
Deutschland mit Modellen eines Grund-
tet werden als niedrige. Das Grundein-
einkommens ernsthaft auseinander-
kommen könnte auch – nach Vorbild
setzen. Die Vorstellung, ein stärker
des heutigen Kindergelds – als eine Art
selbstbestimmtes, eigenständiges Leben
Primäreinkommen aufgefasst und als
führen zu können, sei äußerst reizvoll,
Steuerfreibetrag wirksam werden.
müsse aber genau durchdacht werden.
Prof. Opielka meinte bei der Diskus-
Man solle diesen Konzepten nicht
sion über dieses Thema ein grundsätz-
gleich im Vorfeld mit Vorbehalten be-
liches Dilemma der Sozialdemokratie
gegnen – neue Visionen würden immer
zu erkennen. Seit den 1990er-Jahren
mehr fordern, als zunächst machbar
hätten die Sozialdemokraten, ange-
erscheint.
stoßen durch Debatten in der Wissen-
Gegen die baldige Umsetzung eines
schaft, zunehmend die Tendenz, den
bedingungslosen Grundeinkommens
Sozialstaat alter Prägung in einen Für-
spreche jedoch, dass es gesellschaftlich
sorgestaat umzubauen – Hartz IV sei der
in keinem Land der EU ausreichend
deutlichste Ausdruck dieser Entwick-
akzeptiert ist. In Demokratien sei es aber
lung. Die sozialen Sicherungssysteme
unverzichtbar, dass solche Modelle von
würden nach dem Prinzip der indivi-
breiter gesellschaftlicher Akzeptanz und
duellen Bedarfsorientierung umgestal-
politischer Zustimmung in der Bevöl-
tet, meist mit dem Argument, man
kerung getragen werden. Umso wichti-
dürfe das Geld nicht Menschen geben,
ger sei es, parallel zu den Diskussionen
die gar keine Unterstützungsleistun-
über das Grundeinkommen schneller
gen brauchen. Dieser Diskurs durchzie-
realisierbare Reformschritte in Angriff
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
181
zu nehmen. Schließlich hätten die rei-
Beschäftigungsverhältnisse (z.B. befris-
chen Wohlfahrtsstaaten wie Deutsch-
tete Jobs, Leiharbeit, geringfügige Be-
land und Österreich angesichts hoher
schäftigung, neue Selbstständige, freie
Arbeitslosigkeit und beträchtlicher Ar-
Dienstverträge), die in den letzten
mut gegenwärtig große Herausforde-
Jahren stark angestiegen sind, müssten
rungen zu bewältigen.
politisch gestaltet werden. Ansatzpunk-
Talos machte auf den grundlegen-
te dazu sind neben der prinzipiellen
den Wandel der Arbeitsgesellschaft
Gleichstellung auf Ebene der einschlä-
aufmerksam. Im 20. Jahrhundert galt,
gigen Gesetze, der Tarifverträge und der
dass Arbeit die Existenz sichert. Im 21.
betrieblichen Vereinbarungen sowie der
Jahrhundert sei das aber nicht mehr der
verpflichtenden Einbeziehung in das
Fall: Immer mehr Menschen könnten
System sozialer Sicherung vor allem der
nicht mehr über Erwerbsarbeit ihre
Ausbau der Grundsicherung. Da sich
Existenz sichern – sei es aufgrund von
auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft Pha-
Arbeitslosigkeit oder Niedriglöhnen.
sen der Erwerbstätigkeit mit Phasen der
Deshalb könne man auf die heutigen
Nichterwerbstätigkeit stärker abwech-
Probleme auch nicht mehr mit den
seln werden, müsse dafür gesorgt wer-
alten Rastern und Denkmodellen des
den, dass in beiden Fällen eine ausrei-
20. Jahrhunderts angemessen reagieren.
chende Existenzsicherung gegeben ist.
Exemplarisch verwies er auf den
Die neuen Entwicklungen auf dem
Wandel der Arbeitsbiografien: So sei in
Arbeitsmarkt seien also in entsprechen-
Österreich
de Reformen der sozialen Sicherungs-
das
Sozialversicherungs-
grundgesetz, das Allgemeine Sozialver-
systeme umzusetzen.
sicherungsgesetz von 1955 auf der
Elke Ferner wehrte sich energisch
Vorstellung gegründet, dass Menschen
gegen die Auffassung, dass Arbeit im
dann im Alter lebensstandardgesichert
21. Jahrhundert nicht mehr die Existenz
sind, wenn sie 45 Versicherungsjahre
der Menschen sichern könne. Man
Vollzeit und kontinuierlich gearbeitet
dürfe sich keinesfalls damit abfinden
und Beiträge gezahlt haben. Solche
und sich in dieser Situation einrichten!
Arbeitsbiografien ohne Unterbrechun-
Sie werde sich als Politikerin weiterhin
gen seien heute aber nur noch selten
für eine Gesellschaft engagieren, in der
möglich. Entsprechend müssten die
jeder Mensch mit seiner Erwerbsarbeit
Systeme an diese Veränderungen an-
– unabhängig von staatlicher Unter-
gepasst werden. Auch die atypischen
stützung – seine Existenz sichern und
182
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
mit seinem Lohn vernünftig leben kann.
Schabedoth unterstützte Ferners
Schließlich diene Erwerbsarbeit nicht
Position, dass es Ziel der Politik bleiben
nur der Einkommenserzielung, sondern
müsse, Arbeit zu schaffen und dafür zu
biete auch Anerkennung, Selbstver-
sorgen, dass arbeitslose Menschen wie-
wirklichung sowie Möglichkeiten der
der in den Arbeitsmarkt integriert wer-
persönlichen Weiterentwicklung. Eine
den. Auch er widersprach vehement
existenzsichernde Erwerbsarbeit ist
Talos’ Aussage, Arbeit könne im 21.
nach Ferners Ansicht auch die beste
Jahrhundert nicht mehr existenzsi-
Möglichkeit zur Armutsbekämpfung.
chernd sein.
Die zentrale Frage sei doch, welchen
Prof. Talos reagierte auf die Gegen-
Stellenwert man der Erwerbsarbeit
rede von Ferner und Schabedoth: Es sei
grundsätzlich einräume. Sicherlich wer-
unbestreitbar, dass in modernen In-
de es im 21. Jahrhundert zunehmend
dustriegesellschaften die vorhandene
mehr Auszeiten oder Unterbrechungs-
Erwerbsarbeit gegenwärtig nicht für
phasen im Erwerbsleben geben, doch
alle Erwerbsfähigen ausreiche und dass
es könne nicht Ziel sein, das ganze
deshalb auch nicht alle Menschen ihre
Leben ohne Erwerbsarbeit zu verbrin-
Existenz über Erwerbsarbeit sichern
gen – und damit von staatlichen Trans-
könnten. Zudem zeige die Zunahme der
ferleistungen abhängig zu sein und auf
Zahl von Working Poor, dass auch Er-
Kosten der Solidargemeinschaft zu
werbsarbeit selbst nicht ausreichend
leben. Unbestritten sei, dass die Soli-
sichere. Diese nüchterne Beschreibung
dargemeinschaft in Fällen großer Le-
zur Kenntnis zu nehmen sei der erste
bensrisiken (Krankheit, Arbeitslosigkeit,
Schritt, um anschließend angemessen
Pflegebedürftigkeit) für den Einzelnen
reagieren zu können. Die Sozialdemo-
einzustehen habe. Die sozialen Siche-
kratie und die Gewerkschaften hätten
rungssysteme müssten aber wirklich
es trotz ihres Engagements weder in
solidarisch, d.h. nach individueller
Deutschland noch in Österreich ge-
Leistungsfähigkeit finanziert werden.
schafft, so hohe Löhne durchzusetzen,
Elke Ferner gab Talos Recht, dass die
dass alle vollzeiterwerbstätigen Men-
neuen Beschäftigungsverhältnisse und
schen ein ausreichendes Einkommen
Erwerbsbiografien in den gegenwärti-
haben. Wenn also auf diese Weise keine
gen sozialen Sicherungssystemen stär-
auskömmlichen Löhne mehr erstritten
ker berücksichtigt werden müssen, da
werden könnten, dann müsse eben nach
diese tatsächlich nicht mehr zu den
anderen Lösungen gesucht werden.
gewandelten Verhältnissen auf dem
Arbeitsmarkt passen würden.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Was spricht gegen ein
bedingungsloses Grundeinkommen?
183
Ferner nannte weitere Probleme und
offene Fragen.
Wer erwirtschaftet dann das Brutto-
Dr. Hans-Joachim Schabedoth sprach
sozialprodukt? Wenn jeder mit einem
sich klar gegen ein bedingungsloses
bedingungslosen Grundeinkommen
Grundeinkommen aus. Er könne auch
genug zum Leben hat, müsste doch
nicht verstehen, warum man – ange-
keiner mehr arbeiten. Unter diesen Be-
sichts der großen Herausforderungen
dingungen wäre völlig offen, wer dann
– eine unrealistische Utopie verfolge,
die notwendigen Gelder erwirtschaftet,
statt das konkret Machbare in Angriff
die über das Grundeinkommen verteilt
zu nehmen. Das gegenwärtige bedarfs-
werden sollen.
orientierte System sei viel besser, da es
Wie würde sich ein bedingungsloses
für jeden Einzelfall – nicht nur bei Ar-
Grundeinkommen auf das Lohnni-
beitslosigkeit, sondern auch im Alter
veau auswirken? Vorrangiges Ziel sollte
und in Notsituationen – Sicherungen
doch sein, dass Vollzeiterwerbstätige
biete, die dem Einzelnen ein menschen-
einen Monatslohn bekommen, von dem
würdiges Leben in der Gesellschaft er-
sie leben können, ohne auf zusätzliche
möglichen. Selbstverständlich könnten
staatliche Transferleistungen angewie-
die bestehenden Systeme noch opti-
sen zu sein. Damit ein Arbeitsanreiz
miert werden, und es existierten ja auch
entsteht, müsste der Abstand zwischen
schon Reformvorschläge, für die man
einem Grundeinkommen und einem
nun nach politischen Mehrheiten su-
erzielbaren Netto-Arbeitseinkommen
chen müsse.
hoch genug sein.
Auch für Elke Ferner ist das Grund-
Was würde das bedingungslose
prinzip der Hartz IV-Reformen – eine
Grundeinkommen
für
bestehende
bedarfsorientierte Grundsicherung –
Rentenanwartschaften bedeuten? Es sei
prinzipiell richtig. Sie blieb dabei: Ein
doch kaum möglich, einen Bürger, der
bedingungsloses Grundeinkommen
z.B. einen Rentenanspruch von 1.200
würde dazu führen, dass viele Men-
Euro erworben hat, mit einem Grund-
schen, die gar keine Unterstützung
einkommen von 800 Euro abzuspeisen.
brauchen, von einem solchen System
Die Umstellung der beiden Systeme
profitieren würden und dieses Un-
wäre viel zu kompliziert und zu teuer.
gleichgewicht ginge dann zu Lasten
Wäre ein bedingungsloses Grund-
jener, die auf dieses Geld dringend
einkommen überhaupt sozial gerecht?
angewiesen sind.
Das Althaus-Modell ist nach Ferners
184
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Meinung zum Beispiel mit starken Un-
auf eine Integration der Erwerbsfähigen
gerechtigkeiten verbunden, wenn alle
in den Arbeitsmarkt zielen.
den gleichen Steuersatz und die gleiche
Prof. Emmerich Talos befürwortet
Gesundheitsprämie bezahlen, unab-
ebenfalls eine bedarfsorientierte Grund-
hängig von der individuellen Leis-
sicherung, die da ansetzt, wo Menschen
tungsfähigkeit.
auf Hilfe angewiesen sind. Entschei-
Elke Ferner teilte Schabedoths Auffassung,
dass
ein
dend sei jedoch eine angemessene Hö-
bedingungsloses
he: Eine armutsfeste Grundsicherung
Grundeinkommen wie eine Stillle-
sollte sich an der EU-Definition der
gungsprämie wirke, die verhindere, dass
Armutsschwelle orientieren. Zudem
Menschen ohne Arbeit aktiv am Er-
müsse die Politik die Benachteiligung
werbsleben oder an der Gesellschaft
der Frauen im bestehenden System
teilhaben. Die Einführung eines bedin-
beseitigen: In der Regel verdienen Män-
gungslosen Grundeinkommens käme
ner noch immer mehr als Frauen. Viele
ihrer Ansicht nach einem Umbau der
Frauen, die nur niedrige Löhne bezie-
Erwerbsgesellschaft in eine reine Trans-
hen, haben dann aufgrund der Anrech-
fergesellschaft gleich, was sie prinzipiell
nung des Partner- bzw. Haushaltsein-
ablehnt. Deshalb präferiert Ferner die
kommens kein Anrecht auf Grundsi-
Weiterentwicklung der bestehenden
cherung. Der Blick sollte somit verstärkt
sozialen Sicherungssysteme, die sich an
auf geschlechtsspezifische Ungleich-
individuellen Bedarfen orientieren und
heiten und das einzelne Individuum
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
185
gerichtet werden – und nicht nur auf
den Augen zu verlieren: Schließlich
den gesamten Haushalt.
nütze den arbeitslosen jungen Men-
Angesichts einer hohen Arbeitslo-
schen von 2007 die eventuelle Einfüh-
sigkeits- und Armutsquote könne eine
rung eines bedingungslosen Grund-
bedarfsorientierte Grundsicherung die
einkommens im Jahr 2070 überhaupt
Teilhabe der betroffenen Bürgerinnen
nichts. Da sie heute leben, müsse ihnen
und Bürger momentan besser gewähr-
Politik auch heute eine Antwort auf
leisten – längerfristig könnte sie auch
akute Probleme geben und eine realis-
ein Weg zu einem bedingungslosen
tische Perspektive aufzeigen. Es sei
Grundeinkommen ohne Arbeit sein.
Aufgabe der Politik, aktuell dafür zu
Talos warnte davor, durch unrealis-
sorgen, dass die Menschen ein men-
tische Utopien die Bearbeitung der
schenwürdiges Leben in unserer Ge-
gegenwärtigen Herausforderungen aus
sellschaft führen können.
186
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Diskussion mit dem Publikum
Wie verändert sich die Erwerbsarbeitsgesellschaft?
Bereich eine Menge gesellschaftlich
wichtiger und sinnvoller Arbeit vorhanden, die aber ohne Bezahlung oft
• Von mehreren Teilnehmern wurde
nicht geleistet werde, solange man
darauf hingewiesen, dass Arbeit nicht
von einem Erwerbseinkommen ab-
nur Erwerbsarbeit ist – und dass Ge-
hängig ist.
werkschaften und SPD ihre überhol-
• Ein Teilnehmer meinte festzustellen,
te Vorstellung von Arbeit überdenken
dass die Erwerbsarbeit immer mehr
sollten. In einer Diskussion über die
„fetischisiert“ werde. Er sehe darin
Zukunft der Arbeit müsse man sich
eine Verherrlichung der Erwerbsar-
einem veränderten Begriff von Arbeit
beit, die aber auch ein Instrument zur
stellen, auch dem Wandel der Erwerbs-
Unterdrückung des Menschen sei.
gesellschaft und ihren Folgen.
• Kritisiert wurde Schabedoths Aussage,
• Betont wurde auch, dass neben der
ein bedingungsloses Grundeinkom-
Erwerbsarbeit eine Vielzahl freiwilli-
men sei eine Stilllegungsprämie, die
ger und ehrenamtlicher Tätigkeiten
zu einem dauerhaften Ausschluss vom
existierten, z.B. die unentgeltliche
Arbeitsmarkt führe. Dieses Argument
Familienarbeit. Diese Tätigkeiten wer-
sei interessenbestimmt und schüre
den tatsächlich immer wichtiger,
nur Angst, wodurch ein differenziertes
seien aber nach wie vor nicht aus-
Nachdenken über neue Konzepte und
reichend gesellschaftlich anerkannt.
einen neuen Arbeitsbegriff verhindert
Zudem sei vor allem im sozialen
werde.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Schabedoth wehrte sich gegen die Aussage, Erwerbsarbeit werde zunehmend
187
Was ist am gegenwärtigen System
von Hartz IV zu kritisieren?
„fetischisiert“. Natürlich habe Arbeit in
Zeiten knapper Arbeitsplätze eine ganz
• Kritisiert wurde, dass der Hartz IV-
andere Bedeutung als in Zeiten geringer
Regelsatz kein menschenwürdiges
Arbeitslosigkeit. Wichtig sei die Tatsa-
Leben in unserer Gesellschaft ermög-
che, dass insgesamt genug gesellschaft-
liche. Ziehe man notwendige Rück-
lich notwendige Arbeit vorhanden ist.
lagen (wie z.B. für die Anschaffung
Doch sei das gegenwärtige System an
einer Waschmaschine) ab, blieben
einigen Stellen noch nicht gut organi-
lediglich sechs Euro pro Tag und
siert, so dass (bezahlte) Arbeit schlecht
Person, was schlichtweg zu wenig
verteilt ist. Auf Erwerbsarbeit zu setzen,
sei. Ein Vorschlag lautete, sich bei
sei mitnichten ein veraltetes Konzept
der Höhe der Transferleistung an der
– denn nur die Teilhabe der Erwerbsfä-
Pfändungsfreigrenze zu orientieren,
higen am Arbeitsmarkt ermögliche es,
die gegenwärtig bei knapp 1.000 Eu-
dass alle Menschen am gesellschaftli-
ro und somit beträchtlich über dem
chen Wohlstand partizipieren können.
Hartz IV-Regelsatz liegt.
Er sei davon überzeugt, dass durch
• Auch wurde die Meinung vertreten,
eine bessere Verteilung der gesellschaft-
dass die Lohnabhängigen durch das
lich nützlichen Arbeit grundsätzlich
gegenwärtige System von Hartz IV
erreicht werden könnte, dass alle Men-
immer erpressbarer würden. Der da-
schen ein auskömmliches Einkommen
mit verbundene Arbeitszwang habe
haben. Allerdings wäre dies unter den
dazu geführt, dass die Bereitschaft der
derzeitigen Entlohnungsbedingungen
Arbeitnehmer unwürdige Arbeitsbe-
in Deutschland kaum möglich, das in
dingungen, schlechte Löhne und an-
Europa als Lohndumpingland gelte:
strengende Jobs zu akzeptieren, stark
Überall in Europa seien die Löhne und
gestiegen ist.
die Produktivitätsfortschritte gerechter
• Als weiterer negativer Aspekt wurde
verteilt. Erst nach der Beseitigung dieser
angeführt, dass die Bedarfsorientie-
Ungerechtigkeiten könne man über die
rung der Grundsicherung bzw. die
Einführung von Grundeinkommens-
Bedürfnisprüfung im Einzelfall un-
Modellen nachdenken. Primäres Ziel
glaublich viel Bürokratie erfordere.
müsse es gegenwärtig sein, alle Men-
Aus volkswirtschaftlicher Perspektive
schen am erarbeiteten Fortschritt ge-
wäre der Wegfall dieser unproduk-
recht zu beteiligen.
tiven Arbeitsplätze ein Vorteil.
188
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
• Abgelehnt wurde am System der
losen Grundeinkommen höre sich zwar
bedarfsorientierten Grundsicherung
zunächst egalitär an, aber es sei eine
Hartz IV auch der negativ empfun-
ganz andere Frage, ob diese Gleichbe-
dene emotionale Aspekt der Bedürf-
handlung ohne Berücksichtigung des
tigkeit, da niemand als „Bedürftiger“
individuellen Einzelfalls auch tatsäch-
abgestempelt werden wolle. Die Be-
lich gerecht sei.
dürftigkeitsprüfung sei mit einer
Zudem habe das neue System – selbst
Stigmatisierung von Menschen ver-
bei Langzeitarbeitslosen – schon zu
bunden.
Vermittlungserfolgen geführt, wenn
• Schließlich wurde beklagt, dass die
auch bisher noch zu langsam und nicht
Bedürftigkeitsprüfungen extrem weit
ausreichend. Ferner verwies auf die
in die Intimsphäre der Betroffenen
Einrichtung verschiedener Programme,
eingriffen; die umfassenden Kontrol-
z.B. in Regionen ab einer Arbeitslosen-
len durch die Behörden seien eine
quote von 15 Prozent der sogenannte
Zumutung für jeden Bürger.
Kommunal-Kombi, bei dem zusätzliche
sozialversicherungspflichtige Arbeits-
Darauf erwiderte Elke Ferner, dass mit
plätze mit einem Kombi-Lohn öffent-
den Hartz IV-Reformen die Scham-
lich gefördert werden. Menschen ohne
schwelle, Sozialleistungen zu beantra-
Arbeit könnten dann sinnvolle, gesell-
gen, keinesfalls größer geworden, son-
schaftlich wichtige Tätigkeiten über-
dern im Gegenteil gesunken sei. Denn
nehmen, um ihre Chancen auf dem
im Unterschied zur früheren Sozialhil-
Arbeitsmarkt zu verbessern. Priorität
fe bestehe jetzt ein eindeutiger Rechts-
müsse immer haben, arbeitslose Men-
anspruch, ohne Rückgriff auf Eltern und
schen in Arbeit zu bringen.
Kinder und mit deutlich günstigeren
Anrechnungskriterien. So bekämen z. B.
• Ein Teilnehmer verwies demgegen-
Frauen ohne ausreichende Rentenan-
über darauf, dass doch – trotz arbeits-
sprüche nun im Alter eine Grundsiche-
marktpolitischer Anstrengungen –
rung, ohne dass ihre Kinder finanziell
nach wie vor zu wenig Arbeitsplätze
in die Verantwortung genommen wer-
vorhanden seien. Die Politik müsse
den. Die bedarfsorientierte Grund-
auf das Phänomen der Massenar-
sicherung habe viele Ungerechtigkeiten
beitslosigkeit endlich angemessen
des alten Systems beseitigt. Das Motto
reagieren. Wenn Hartz IV das Ziel
„Jedem das Gleiche“ beim bedingungs-
verfolge, die Menschen ohne Arbeit
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
189
wieder in den Arbeitsmarkt zu inte-
geschrumpft, was zu einem Arbeitsplatz-
grieren, sei das letztlich zum Scheitern
abbau geführt habe. Doch der Wegfall
verurteilt, da insgesamt zu wenig
von Arbeitsplätzen im industriellen
Arbeitsplätze vorhanden sind. Wenn
Sektor sei inzwischen so gut wie abge-
Elke Ferner und Hans-Joachim Scha-
schlossen. Dagegen würden im wach-
bedoth am Ziel der Vollbeschäftigung
senden Dienstleistungsbereich in den
festhielten, dann müssten sie auch
nächsten Jahren immer mehr Arbeits-
eine konkrete Antwort auf die Frage
plätze entstehen. Wenn die geburten-
geben, wie Arbeitsplätze geschaffen
starken Jahrgänge in Rente gehen,
werden können.
werde sich der – zum Teil gegenwärtig
schon bestehende – Fachkräftemangel
Schabedoth machte noch einmal deut-
in manchen Bereichen und Regionen
lich, dass aus seiner Sicht genug gesell-
stark verschärfen. In absehbarer Zeit
schaftlich notwendige Arbeit vorhan-
würden sich somit ganz andere Heraus-
den ist – das zeige z.B. der Blick auf
forderungen auf dem Arbeitsmarkt er-
Schulen und Universitäten. Diese Arbeit
geben. Dann werde nicht nur Vollbe-
müsse nur besser verteilt und auch
schäftigung herrschen, sondern es
bezahlt werden, was über Steuern finan-
werde geregelte Zuwanderung notwen-
ziert werden könnte. Bei der Schaffung
dig sein, um den Arbeitskräftebedarf
von neuen Arbeitsplätzen dürfe man
decken zu können.
sich nicht nur auf private Investoren
verlassen, sondern die öffentliche Hand
müsste in die Lage versetzt werden, mit
gerechten Steuereinnahmen öffentliche
Arbeit zu finanzieren. Eine Investition
Welche Vorteile wären mit
einem bedingungslosen
Grundeinkommen verbunden?
in öffentliche Arbeitsplätze sei somit
dringend notwendig.
• Angesichts der Probleme, die mit dem
Zur weiteren Entwicklung des Ar-
Wandel der Arbeitswelt einhergehen,
beitsmarktes merkte Elke Ferner an,
betrachteten einige Teilnehmer ein
dass der Mangel an Arbeitsplätzen – und
bedingungsloses Grundeinkommen
somit auch die Massenarbeitslosigkeit
als gute Lösung. Es herrschte die
– in 10 bis 15 Jahren vermutlich been-
Meinung vor, ein solches Modell
det sei. Einige Beschäftigungsbereiche
hätte verschiedene positive Auswir-
seien zwar in den letzten Jahrzehnten
kungen auf die Gesellschaft.
190
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
• Betont wurde das freiheitliche Mo-
Werde der Betrag allerdings zu hoch
ment, das mit der Einführung eines
angesetzt, komme vielleicht tatsächlich
bedingungslosen Grundeinkommens
das „Schlaraffenland“ und niemand
verbunden wäre: Die Menschen könn-
wolle mehr arbeiten. Wichtig sei der
ten ihr Leben freier gestalten, und sie
Gedanke, dass Erwerbsarbeit nach Ein-
hätten mehr Möglichkeiten, ihren
führung des Grundeinkommens nicht
persönlichen Neigungen und Wün-
mehr
schen nachzugehen. Es wurde ange-
Dann könnten die Menschen Tätigkei-
nommen, dass der Wegfall des Zwangs
ten übernehmen, die ihnen wichtig
zur Erwerbsarbeit zu einer deutlichen
erscheinen, unabhängig davon, ob
Zunahme von unternehmerischen
andere sie auch für richtig oder wichtig
Tätigkeiten, aber auch von freiwilli-
halten, z.B. in den Bereichen Natur-
gen und ehrenamtlichen Tätigkeiten
schutz, Familie, Kultur, Bildung und
führen würde.
Pflege.
existenzsichernd
sein
muss.
• Das bedingungslose Grundeinkommen wurde als enormer Fortschritt
• In einer Wortmeldung wurde vorge-
auf dem Weg zu einer selbstbestimm-
schlagen, das bedingungslose Grund-
ten bürgerlichen Gesellschaft betrach-
einkommen durch ein neues System
tet.
der Teilzeitarbeit zu ergänzen, damit
• Wenn die Existenzsicherung durch
jeder die Chance hat, am Erwerbsle-
ein Grundeinkommen sichergestellt
ben teilzunehmen und seinen Le-
sei, würde sich die Verhandlungspo-
bensstandard zu erhöhen.
sition der Arbeitnehmerinnen und
• Zudem wurde mit dem bedingungs-
Arbeitnehmer bei Erwerbsarbeit stark
losen Grundeinkommen eine positi-
verbessern, da sie zu schlechten Jobs
ve emotionale Komponente verbun-
auch Nein sagen könnten, ohne von
den: Da es alle Bürgerinnen und
Armut bedroht zu sein. Dadurch
Bürger erhalten, biete es die Chance,
könnten die Arbeitnehmerrechte ge-
das zum Leben Notwendige zu be-
stärkt werden.
kommen, ohne sich – wie im gegenwärtigen System – bedürftig fühlen
Ralph Boes merkte dazu an, dass die
zu müssen.
Rechte der Arbeitnehmer nur dann
gestärkt werden, wenn das Grundein-
Prof. Opielka sah sich durch die große
kommen hoch genug ist, so dass wirk-
Zustimmung des Publikums zum Grund-
lich kein Arbeitszwang mehr existiert.
einkommen in seiner Auffassung bestä-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
tigt, dass es einen „natürlichen Impuls
nach Gleichheit“ unter den Menschen
191
Welche nächsten Schritte sind
politisch sinnvoll?
gebe. Das Grundeinkommen sei in
größeren politischen Zusammenhängen
Elke Ferner hält das gegenwärtige Sys-
zu sehen. Zentral sei die Frage: In wel-
tem der bedarfsorientierten Grundsi-
cher Gesellschaft wollen wir künftig
cherung für das richtige Modell, auch
leben, welchen Gestaltungsimpuls wol-
wenn sie manche Punkte als durchaus
len wir geben?
verbesserungswürdig betrachtet. So
In der Sozialdemokratie sei aber lei-
sollte man z.B. darüber diskutieren,
der ein Hang zur „Sozialhilfe-isierung“
inwiefern gesamtgesellschaftliche Auf-
festzustellen, der eine erhebliche Dra-
gaben, die bisher über die sozialen Si-
matik berge. Zunächst wirke das be-
cherungssysteme finanziert werden, in
darfsorientierte Konzept, dass nur die
Zukunft mehr über Steuern oder über
wirklich Bedürftigen etwas bekommen
eine Verbreiterung der Bemessungs-
sollten, recht plausibel. Doch bei der
grundlage finanziert werden könnten.
Umsetzung sei ein hoher Preis zu zahlen:
Sie betonte, dass die Bekämpfung
Es bedürfe einer starken Kontrolle der
von Armut nicht primär über staatliche
Bürgerinnen und Bürger, man müsse
Transferleistungen, sondern am besten
die Exklusion eines großen Teils der
über eine existenzsichernde Erwerbs-
Bevölkerung akzeptieren, und man
arbeit möglich sei. Die Politik habe die
vertraue fälschlicherweise auf die Tech-
Aufgabe, die hierfür notwendigen Rah-
nik der bürokratischen Regulierung.
menbedingungen zu schaffen, z.B. in
Denn angesichts der Verschiedenheit
Bezug auf Bildung, Ausbildung und
der Menschen und der Ausdifferenzie-
Kinderbetreuung.
rung der Gesellschaft sei es heute nicht
Prof. Opielka plädierte für universa-
mehr möglich, durch bürokratische
listische Regelungen, die gezielte Steu-
Regelungen Gerechtigkeit herzustel-
erelemente enthalten, wie z.B. im Ge-
len. Gerade dadurch gäbe es im aktuellen
sundheitssystem. Er sei kein Befürwor-
System viele Unschärfen und Ungerech-
ter des Althaus-Modells, in dem jeder
tigkeiten. Zudem verletze die Denkfi-
das gleiche Grundeinkommen erhalten
gur der „Bedürftigkeit“ das Anrecht der
soll. Vielmehr favorisiere er Übergangs-
Menschen auf Gleichheit. Insgesamt
lösungen wie die – in seinem Vortrag
gehe es bei dieser Debatte also um ein
erläuterte – „Grundeinkommensversi-
tieferes philosophisches, politisches und
cherung“, die zwar jedem Bürger ein
zeitgeschichtliches Problem.
Grundeinkommen garantieren soll,
192
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
doch mit Abstufungen. So könnten im
tieren. Einerseits spreche vieles für ein
ersten Schritt all jene, die keiner Er-
Grundeinkommen, doch letztlich sei
werbsarbeit nachgehen möchten – und
entscheidend, wie ein solches Modell
in dieser Zeit z.B. auch keine Kinder
ausgestaltet wird, ob es finanziell um-
erziehen oder studieren – nur ein teil-
gesetzt werden kann und auf Akzeptanz
weises Grundeinkommen erhalten, eine
in der Bevölkerung stößt. Neoliberale
Art „BAföG für Alle“, bei dem die Hälf-
Konzepte, die nur den Markt im Blick
te des Beitrags als Darlehen ausgezahlt
hätten und den Einzelnen mit einem
wird. Entscheidend sei die Frage der
Pauschalbetrag abspeisten, lehnt er
Grundrechte; Opielka appellierte an die
strikt ab. Denn dadurch würden manche
Sozialdemokraten, über eine grund-
Menschen ins Abseits, an den Rand der
rechtliche Ausrichtung der gesamten
Gesellschaft gestellt – und der Staat
Sozialpolitik
werde aus seiner Verantwortung entlas-
nachzudenken
–
ein
Grundeinkommen würde in ein solches
sen.
Konzept gut hineinpassen. Über die
In der gegenwärtigen Situation hält
Ausgestaltung im Detail könne man
er es für sinnvoll, auf einen Strategie-
dann noch sprechen.
Mix zu setzen. Bisher gebe es keinen
Prof. Talos hält es gesellschaftspoli-
Beleg dafür, dass Menschen mit einem
tisch nicht für zielführend, Grundsi-
Grundeinkommen nicht mehr arbeiten
cherung und Grundeinkommen als sich
würden – gerade weil Arbeit viel mehr
ausschließende Alternativen zu disku-
biete als nur ein Einkommen zur Exis-
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
193
tenzsicherung, sondern z.B. auch mit
recht, in einer Wohlstandsgesellschaft
Anerkennung und Selbstverwirklichung
menschenwürdig leben zu können. Das
verbunden sei. Am besten wäre aus
bedürfe nicht nur materieller Transfer-
seiner Sicht eine Kombination aus Pau-
leistungen wie Geld, sondern einem
schalbetrag einerseits und am indivi-
Mix von Maßnahmen auf verschie-
duellen Bedarf orientierten Zusatzleis-
denen Politikfeldern, wie der Bildungs-,
tungen andererseits.
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Talos betonte die große Bedeutung
Dr. Claus Schäfer schloss die Diskus-
der Aufklärung beim Thema Grundein-
sion mit dem Hinweis, dass man die
kommen, das sehr stark mit Vorbehalten
Debatte um ein bedingungsloses Grund-
behaftet sei, die durch die Medien häu-
einkommen prinzipiell begrüßen müs-
fig noch verstärkt werden. Zukünftig
se – unabhängig davon, ob man die
könnten die gesellschaftlichen Teilha-
Umsetzung eines solchen Modells be-
bechancen aller Bürgerinnen und Bür-
fürworte oder nicht. Denn Konzepte
ger nur dann gesichert werden, wenn
eines Grundeinkommens würden den
in einem Aufklärungsprozess deutlich
Finger auf die Wunden in den gegen-
gemacht wird, in welcher Situation sich
wärtigen sozialen Sicherungssystemen
unsere Gesellschaft befindet, wo Pro-
legen, die angesichts der gesellschaft-
bleme liegen und wie die bestehenden
lichen Entwicklungen dringend reform-
Systeme reformiert werden müssen.
bedürftig seien.
Letztlich gehe es um das Menschen-
194
5
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Personenverzeichnis
Rudolf Anzinger
Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(z.Zt. der Veranstaltung), Berlin
Studium der Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang GoetheUniversität in Frankfurt am Main. Nach der Zweiten Juristischen
Staatsprüfung Eintritt in das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, dort u.a. Leiter des Leitungsstabes und des Ministerbüros (1998–2001) sowie der Abteilung „Leitung und Strategie, Presse
und Öffentlichkeitsarbeit“. Von 2002 bis 2005 Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, von 2005 bis 2008 Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Achim Battenberg
Geschäftsführer der VHS Ennepe-Ruhr-Kreis Süd
Studium der Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik in Bonn
und Köln. Mitarbeit im Informationszentrum Sozialwissenschaften
Bonn in der Statistikabteilung (1980–1983), anschließend beim Forschungsprojekt „Alters- und Familienforschung“ an der Universität
Bonn (1984–1986). Von 1987 bis 1995 Fachbereichsleiter für Politische
Bildung an der VHS Ennepe-Ruhrkreis-Süd, seit 1995 deren Direktor.
Seit 2006 Geschäftsführer der VHS-Tochtergesellschaft DIA gGmbH
(= Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt). Ein Arbeitsschwerpunkt ist u.a. der Aufbau von regionalen und bundesweiten Netzwerken in der beruflichen Bildung.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Ralf Boes
Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative bedingungsloses
Grundeinkommen, Berlin
Studium der Philosophie und Kunstgeschichte. (Ergo-)Therapeut und
Leiter der „Arbeitsgemeinschaft für Geistesschulung“ in Berlin. Vorstandsmitglied der „Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen“ in Berlin und Autor des Buches „Gedanken vom Kosmos – Die
Welt im Lichte idealischer Naturwissenschaft. Betrachtungen und
Korrekturen zum naturwissenschaftlichen Weltbild unserer Tage“
(1998). Kurse und Vorträge zum Thema Anthroposophie.
Dr. Angela Borgwardt
Politologin, Autorin und Redakteurin, Berlin
Studium der Politologie, Germanistik und Publizistik an der Freien
Universität Berlin, Promotion am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften zum Thema Selbstbehauptungsstrategien in einem autoritären Herrschaftssystem („Im Umgang mit der Macht“, 2003).
Autorin für Politik-Lehrbücher (Duden/Paetec), sowie freie Moderatorin, Redakteurin und Lektorin für Politikwissenschaft (Stiftung
Wissenschaft und Politik, Friedrich-Ebert-Stiftung), Literatur/Kultur
(Suhrkamp Verlag, Akademie-Verlag). Ehrenamtliche Tätigkeit als
Geschäftsführerin des Fördervereins der Europäischen Akademie für
Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin.
PD Dr. Stefan Büttner
Privatdozent für Philosophie, Firma „denkInform“, Potsdam
Studium der Philosophie, Griechische Philologie und Genetik an den
Universitäten Tübingen, Heidelberg und München. Nach der Habilitation Privatdozent für Philosophie an der Ludwig-MaximiliansUniversität München, seit 2006 an der Universität Potsdam. Von 2000
bis 2002 Referent im Referat Presse und Öffentlichkeitsarbeit des
Bundesministeriums für Justiz, von 2004 bis 2006 Referent für Grundsatzfragen und Leiter der „Sozialakademie Haus Silberbach“ beim
Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk-Lazarus. Seit 2006 selbstständige Tätigkeit als Teamentwickler und Projektmanager sowie als
Referent, Moderator und Bildungsorganisator mit der Firma „denkInform“.
195
196
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Gabi van Dyk
Mitgesellschafterin jobkontakt GmbH (z.Zt. der Veranstaltung),
Vorstand „Lebensunternehmer eG“, Köln
Von 1987 bis 1994 Fachangestellte beim Arbeitsamt Coesfeld und
Gronau im Bereich Arbeitsvermittlung und Beratung. Anschließend
Regionalleiterin Arbeitnehmerüberlassung der Start Zeitarbeit NRW
GmbH Gronau und Duisburg. 1997 Projektleiterin für die Vermittlung
von Sozialhilfebeziehern bei einer niederländischen Arbeitsvermittlung. Im Rahmen einer Tätigkeit bei der agentur mark GmbH Beraterin des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie der
Regionalagentur Märkische Region (2001 bis 2005). Von 2006 bis
2008 Mitgesellschafterin und Leiterin der Arbeitsmarktprojekte bei
der jobkontakt GmbH, zudem Vorstandsmitglied der Lebensunternehmer eG.
Alfred Eichhorn
Rundfunkjournalist, Inforadio Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)
Ausbildung als Chemiefacharbeiter, anschließend Studium der Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Ab 1967 Tätigkeit beim
Rundfunk der DDR und 1989/90 letzter Chefredakteur von Radio
DDR. Als Autor des Programms von Radio DDR 2 dokumentierte er
das künstlerische und politische Wirken prominenter Kulturschaffender (u. a. Peter Härtling, Rolf Hochhuth, Günter Wallraff). Nach
der Wende 1989/90 Mitarbeiter beim Sender Freies Berlin (SFB), dem
heutigen Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB (nach Fusion mit dem
ORB). Gegenwärtig Moderator und Redakteur der Sendereihe „FORUM
– Die Debatte im Inforadio“ beim Inforadio Berlin-Brandenburg.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Joachim Elsholz
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Berlin
Ausbildung und Tätigkeit als Schaufenstergestalter, gleichzeitig Jugendvertreter in der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen
(HBV). Von 1990 bis 2007 in verschiedenen Funktionen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) tätig, ab 1997
als Bezirksleiter in Berlin-Mark Brandenburg. 2001 Wahl zum Vorsitzenden und Leiter der parlamentarischen Verbindungsstelle Berlin
der IG BCE, hier verantwortlich für die Koordinierung der Arbeit
zwischen Politik und Gewerkschaft. Seit dem Vorruhestand 2007
weiterhin ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit.
Dr. Dietrich Engels
Geschäftsführer des Instituts für Sozialforschung und
Gesellschaftspolitik (ISG), Köln
Soziologe und seit 1998 geschäftsführender Gesellschafter des ISG.
Seit 1992 Berater der für Sozialhilfe zuständigen Abteilungen der
Bundesministerien. In diesem Rahmen Verfasser mehrerer Gutachten
zur quantitativen Entwicklung der Sozialhilfe und zur Schnittstelle
zwischen Sozialhilfebezug und Arbeitsmarkt. Beteiligt an der Vorbereitung und Begleitung des Prozesses der Armuts- und Reichtumsberichterstattung und Mitwirkung bei der Erstellung der beiden Armutsund Reichtumsberichte der Bundesregierung sowie des Nationalen
Aktionsplans zur sozialen Eingliederung. Empirische Untersuchungen
u.a. zu den Themen „Hilfe zur Arbeit“ und „Lohnabstandsgebot“.
197
198
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Eric Feise
Projektleiter von gEMiDe, Modellprojekt zu Förderung des
gesellschaftlichen Engagements von MigrantInnen und
eingebürgerten Deutschen, Hannover
Ausbildung zum Schriftsetzer, anschließend Studium der Theater-,
Film- und Fernsehwissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum
sowie Sozialarbeit/Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule in Hannover. Gemeinsam mit Hülya Feise Aufbau des Modellprojekts zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements von MigrantInnen und eingebürgerten Deutschen (gEMiDe), das durch
bürgerschaftliches Engagement von MigrantInnen und Deutschen
auf die Beförderung der Integration zielt. Gegenwärtig Projektleiter
von gEMiDe.
Elke Ferner, MdB
Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
Ausbildung zur EDV-Kauffrau, dann Arbeit als Programmiererin in
Saarbrücken. Von 1990 bis 1998 und seit 2002 Mitglied des Deutschen
Bundestages. Seit 1983 Mitglied der SPD, dort verschiedene Funktionen
im Vorstand auf Kreis-/Stadt- und Landesebene, u.a. stellvertretende
Vorsitzende des SPD Ortsvereins St. Johann, der SPD Saarbrücken, der
SPD Saarland. Seit November 2005 stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Von 1991 bis 1999 Vorsitzende der Arbeitsgruppe Sozialdemokratischer Frauen (ASF) in Saarbrücken und seit 2004 Bundesvorsitzende der ASF. Darüber hinaus Mitglied bei ver.di, der Arbeiterwohlfahrt, des Vereins Miteinander Leben und Lernen e.V.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Ferdos Forudastan
Freie Journalistin und Moderatorin, Köln
Studium der Rechtswissenschaften und der Politischen Wissenschaften
in Freiburg/i.Br. Tätigkeit als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen, ab 1989 drei Jahre für die „tageszeitung“ (taz), sechs Jahre
für die „Frankfurter Rundschau“. Seit 1999 vorwiegend Moderatorin
und Autorin für den WDR und den Deutschlandfunk sowie Dozentin
an der Universität Dortmund und an der Akademie für Publizistik in
Hamburg. Themenschwerpunkte ihrer journalistischen Arbeit sind
Migration und Integration.
Burgunde Grosse
Gewerkschaftssekretärin beim Deutschen Gewerkschaftsbund
(DGB), Landesbezirk Berlin-Brandenburg, arbeitsmarktpolitische
Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Ausbildung an der Höheren Wirtschaftsschule des Lette Vereins,
anschließend Arbeit als kaufmännische Angestellte (bis 1992). Von
1992 bis 1997 Kreisvorsitzende des DGB-Kreises Berlin-Nord, seit 1997
Organisationssekretärin beim DGB Landesbezirk Berlin-Brandenburg.
Von 1995 bis 2001 Bezirksverordnete im Bezirk Spandau, zuletzt
stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Seit 2001 Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin, seit 2006 arbeitsmarktpolitische Sprecherin
der Berliner SPD-Fraktion und Tätigkeit im Ausschuss für Integration,
Arbeit, berufliche Bildung und Soziales.
Cordula Hartrampf-Hirschberg
Vertreterin der Geschäftsführung, Regionaldirektion Sachsen der
Bundesagentur für Arbeit, Chemnitz
Studium der Rechtswissenschaften. Nach Referendariat und zweiter
Staatsprüfung Beginn des Dienstes bei der Bundesagentur für Arbeit
in Baden-Württemberg, später Wechsel in die Regionaldirektion
Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. Dort Referatsleiterin und Vertreterin des Abteilungsleiters im Leistungsbereich während seiner
Aufbauphase. Im Zuge der Umorganisation im Jahre 2004 Übernahme der Hauptverantwortung für den operativen Bereich und somit
auch für die Bereiche Vermittlung und Beratung. Seit Ende 2005
Vertreterin des Vorsitzenden der Geschäftsführung. Tätigkeitsschwerpunkt ist das operative Geschäft des Rechtskreises SGB II.
199
200
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Susanne Huth
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE),
INBAS Sozialforschung, Frankfurt am Main
Studium der Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Politologie. Anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johann Wolfgang
Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 2003 wissenschaftliche
Angestellte und Projektleiterin bei INBAS-Sozialforschung GmbH.
Darüber hinaus aktives Mitglied im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
Engagement (BBE) und hier Sprecherin der Arbeitsgruppe Migration/
Integration, die darauf zielt, der Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements von Migrantinnen und Migranten als Integrationsfaktor
Geltung zu verschaffen. Verfasserin wissenschaftlicher Beiträge zu
diesem Thema.
Dr. Harald Klimenta
Autor und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac,
Regensburg
Studium der Physik und VWL in München und Regensburg, Promotion 1999. 1987 Beitritt zum Bund Naturschutz und zur Partei „Die
Grünen“. Verfasser der Bücher „Die 10 Globalisierungslügen – Alternativen zur Allmacht der Märkte“ (zus. mit Gerald Boxberger, 1998)
sowie „Was Börsengurus verschweigen“ (2001/2002). Austritt aus der
Partei „Die Grünen“. Seit 2001 Mitarbeit bei Attac. Mitbegründer von
Attac Regensburg und gegenwärtig Mitglied des wissenschaftlichen
Beirats von Attac und für diesen im Attac-Rat. 2006 erschien sein
Buch „Das Gesellschaftswunder – Wie wir Gewinner des Wandels
werden“, mit dem er Menschen Mut machen möchte, sich politisch
zu engagieren.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Sylvia Kühnel
Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur
für Arbeit, Projektgruppe Bürgerarbeit, Halle (Saale)
Abschluss als Diplomingenieurökonomin, dann Planerin und Produktionsleiterin in einem Bekleidungsbetrieb in Halle (1991). Anschließend Tätigkeit im Förderreferat des Regionalbüros SachsenAnhalt-Thüringen. Nach der Umstrukturierung der Regionaldirektion
im Jahre 2004 Programmberaterin im Bereich Arbeitnehmerintegration, zur Zeit stellvertretende Leiterin des Programmbereichs Leistung
und Leiterin des Projekts „Bürgerarbeit“ der Bundesagentur für Arbeit
Sachsen-Anhalt-Thüringen.
Peter Laudenbach
Theaterkritiker und Journalist, Berlin
Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft. Journalist für die
„Süddeutsche Zeitung“, den „Tagesspiegel“, die Zeitschrift „theater
heute“ und das Berliner Stadtmagazin „Tip“ sowie für das Wirtschaftsmagazin „brand eins“. Themenschwerpunkte: Theater, Kultur und
Wirtschaft.
Michael Lezius
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der
Wirtschaft e.V. (AGP), Kassel
Diplomkaufmann, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg. 1975 Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen. Seit 1971 Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Partnerschaft in der Wirtschaft e.V. (AGP). Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied der Stiftung „Sozialer Wandel
in der unternehmerischen Wirtschaft“ (seit 1979). Referent und Autor
zum Thema Mitarbeiterbeteiligung.
201
202
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Prof. Dr. Karl-Georg Loritz
Hochschullehrer an der Universität Bayreuth, Rechts- und
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät
Studium der Rechtswissenschaften. 1983 Habilitation an der Universität Konstanz in Bürgerlichem Recht, Handelsrecht, Arbeitsrecht,
Steuerrecht sowie Zivilprozessrecht. Von 1983 bis 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht. Von 1984 bis 1998
Inhaber von Lehrstühlen an der TU Berlin, an der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg sowie an der Universität Mainz. Seit
1998 Lehrstuhl für Zivilrecht, Steuerrecht und Arbeitsrecht an der
Universität Bayreuth, dort Leiter der Forschungsstelle für deutsches
und internationales Unternehmensteuer- und Kapitalanlagerecht.
Forschungsschwerpunkte: Arbeitsrecht, Steuerrecht, mit Schwerpunkt
Unternehmensteuerrecht sowie Steuerrecht der Kapitalanlagen.
Prof. Dr. Michael Opielka
Hochschullehrer für Sozialpolitik an der Fachhochschule Jena,
Fachbereich Sozialwesen
Studium der Rechtswissenschaften, Erziehungswissenschaften an der
Universität Tübingen, Ethnologie und Philosophie an der Universität
Bonn. Promotion im Fach Soziologie, Habilitation an der Fakultät
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Seit 1991 wissenschaftlicher
Angestellter und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten.
Von 1997 bis 2000 Rektor und Geschäftsführer der Alanus Hochschule
für Kunst und Gesellschaft bei Bonn. Seitdem Professor für Sozialpolitik an der Fachhochschule Jena und ehrenamtliche Tätigkeit als
Geschäftsführer des Instituts für Sozialökologie in Königswinter bei
Bonn. Publikationen u.a.: „Grundrente in Deutschland“ (Hrsg., 2004),
„Wohlstand durch Gerechtigkeit. Deutschland und die Schweiz im
sozialpolitischen Vergleich“ (Mit-Hrsg., 2006). Weitere Publikationen
zu Sozialpolitik und -reformen.
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Reiner Rabe
Geschäftsführer des Zentrums Aus- und Weiterbildung
Ludwigsfelde (ZAL)
Ausbildung als Spitzendreher, dann Studium der Ingenieurwissenschaften. Von 1991 bis 1998 Betriebsleiter und Geschäftsführer der
privaten Bildungseinrichtung ZAL – Zentrum Aus- und Weiterbildung
Babelsberg. Seit 1998 Geschäftsführer des Zentrums für Aus- und
Weiterbildung Ludwigsfelde GmbH (ZAL) sowie geschäftsführender
Gesellschafter einer privaten Unternehmensgruppe (Familienbetrieb).
Darüber hinaus geschäftsführender Gesellschafter der ZAA ZeitArbeitsAgentur GmbH sowie der LHG Ludwigsfelder Handwerks- und Gewerbehof GmbH.
Dr. Hans-Joachim Schabedoth
Leiter der Abteilung Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen beim
Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Berlin
Ausbildung zum Elektromechaniker, danach Studium der Politikwissenschaft, Geschichte, Erziehungswissenschaften und Kunstgeschichte für das Lehramt an Gymnasien in Marburg. Anschließend Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in Stuttgart, dann Wechsel in die
DGB-Abteilung Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen, deren Leiter er
seit 2001 ist. Tätigkeit an der Nahtstelle zwischen Gewerkschaften,
Regierung und Parteien. Veröffentlichung zahlreicher Artikel, in
denen er sich kritisch mit dem Konzept des Grundeinkommens auseinandersetzt.
Dr. Claus Schäfer
Referatsleiter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut
der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Düsseldorf
Studium der Volkswirtschaft in Münster, Promotion in Bremen. Seit
1972 wissenschaftlicher Referent am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf.
Neuere Veröffentlichungen: „Mindestlöhne in Europa“ (Sammelband
zus. mit Bispinck, R./Schulten, Th., 2006), „Einkommen zum Auskommen. Von bedingungslosem Grundeinkommen, gesetzlichen
Mindestlöhnen und anderen Verteilungsfragen“ (Sammelband zus.
mit Gerntke, A./Rätz, W., 2004).
203
204
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Dr. Rolf Schmachtenberg
Leiter der Unterabteilung Arbeitsförderung, Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung für Arbeitsuchende und Arbeitsmarktstatistik, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin
Studium der Mathematik in Heidelberg und Paris, Promotion im Fach
Volkswirtschaftslehre. Nach einer Lehrtätigkeit an den Universitäten
Mannheim und Bonn von 1991 bis 2001 Leiter der Abteilung „Arbeit“
im Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes
Brandenburg. 2002 Wechsel ins Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung. Im Rahmen seiner jetzigen Tätigkeit als Leiter der
Unterabteilung „Arbeitsförderung, Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung für Arbeitssuchende und Arbeitsmarktstatistik“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuständig für die Umsetzung der
Empfehlungen der sog. „Hartz-Kommission“.
Ludwig Stiegler, MdB
Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die
Bereiche Wirtschaft und Technologie, Arbeit, Tourismus, Berlin
Studium der Rechtswissenschaften, Soziologie und Politik an den
Universitäten München und Bonn. Anschließend Tätigkeit als Rechtsanwalt. Von 1962 bis 1973 Mitglied der IG Bergbau und Energie, seit
1973 Mitglied der ÖTV/heute ver.di. 1964 Eintritt in die SPD. Seit
1980 Mitglied des Bundestages. Von 1987 bis 1992 und 1994 bis 2006
Vorsitzender der Bayerischen SPD-Landesgruppe, 1998 bis 2002 stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Gegenwärtig stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, dort für die Bereiche
Wirtschaft und Technologie, Arbeit und Tourismus zuständig. Darüber hinaus Tätigkeiten in verschiedenen Ausschüssen des Bundestages
(u.a. für Arbeit und Soziales) und Arbeitsgruppen (u.a. Mitarbeiterbeteiligung und Existenzsichernde Löhne).
P R O J E K T G E S E L L S C H A F T L I C H E I N T E G R AT I O N
Rolf Stöckel, MdB
Sprecher der AG Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration
der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
Studium der Sozialarbeit an den Fachhochschulen in Düsseldorf und
Dortmund. Von 1985 bis 1998 als Sozialarbeiter der Gemeinde Bönen
mit dem Schwerpunkt Schuldnerberatung tätig. Seit 1975 Mitglied
der SPD, seitdem auch Vorsitzender der SPD im Kreis Unna und beratendes Mitglied der SPD-Kreistagsfraktion. Seit Oktober 1998 Mitglied
des Deutschen Bundestages. In verschiedenen Funktionen tätig, u.a.
Mitglied im Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion, Vorsitzender der
NRW-Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion, Mitglied im „Ausschuss für Arbeit und Soziales“. Darüber hinaus Sprecher der Arbeitsgruppe „Verteilungsgerechtigkeit und soziale Integration“ der SPDBundestagsfraktion.
PD Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Hochschullehrer an der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Frankfurt am Main, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Studium der Volkwirtschaftslehre in Bielefeld, Promotion und Habilitation in Frankfurt am Main. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Fakultät für Soziologie an der Universität Bielefeld, Professur für Sozialpolitik an der Universität Frankfurt am Main sowie am Institut
für Haushaltökonomie und Gender Economics der Universität Hohenheim. Gegenwärtig Privatdozent für Volkswirtschaftslehre an der
Goethe-Universität Frankfurt, freiberuflicher Gutachter und Politikberater. Zahlreiche Gutachten und Veröffentlichungen zur empirischen
Armutsforschung und zur Reform der sozialen Sicherung.
205
206
F R I E D R I C H - E B E RT- S T I F T U N G
Prof. Dr. Emmerich Talos
Hochschullehrer am Institut für Staatswissenschaft,
Universität Wien
Studium der katholischen Theologie in Wien und Tübingen sowie
Politikwissenschaft am Institut für Höhere Studien in Wien. Von
1971/1972 Verlagslektor in Mainz. Habilitation 1980. Seit 1983 Professor für Politikwissenschaft am Institut für Staatswissenschaft der
Universität Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen zu den Themen
Sozialstaat, Wohlfahrtsvergleich und Sozialpartnerschaft. Zu seinen
jüngsten Publikationen gehören „Bedarfsorientierte Grundsicherung“
(Hrsg., 2003), „Sozialstaat. Probleme, Veränderungen, Herausforderungen“ (Hrsg., 2003) und „Vom Siegeszug zum Rückzug. Sozialstaat
Österreich 1945–2005“ (2005).
Andrea Wicklein, MdB
Vorsitzende der Arbeitsgruppe Aufbau Ost der SPD-Bundestagsfraktion, Berlin
Ausbildung zur Fachverkäuferin, anschließend Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Leipzig. Von 2000 bis 2002
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der SPD-Landtagsfraktion
Brandenburg. Seit 2002 Abgeordnete des Deutschen Bundestages, hier
stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung
der SPD-Bundestagsfraktion. Seit November 2005 stellvertretende
Sprecherin der Landesgruppe Brandenburg, seit Februar 2006 Sprecherin der Fraktionsarbeitsgruppe „Aufbau Ost“. Darüber hinaus
Obfrau der SPD-Fraktion im Unterausschuss Regionale Wirtschaftspolitik des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Technologie.
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Informationen zum Projekt
„Gesellschaftliche Integration“ im Forum Berlin
der Friedrich-Ebert-Stiftung
Ansprechpartnerin:
Franziska Richter
Forum Berlin
Hiroshimastr. 17
10785 Berlin
Telefon: 030 26 93 58 41
Telefax: 030 26 93 58 57
E-Mail: [email protected]
Internet: www.fes.de/integration
PRO
PR
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EK T
GESELLSCHAFTLICHE INTEGRATION
ISBN 978-3-89892-946-2
2020
Deutschland im Jahr 2020: Eine freie, solidarische und kinderfreundliche
Gesellschaft mit gleichen Chancen der wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Teilhabe unabhängig von Geschlecht und Herkunft; eine
lebendige Demokratie; eine nachhaltig wachsende Wirtschaft mit guter
Arbeit für alle; ein vorsorgender Sozialstaat, der mehr Bildung und
Gesundheit ermöglicht; ein Land, das in Europa und der Welt Verantwortung für Frieden und sozialen Fortschritt übernimmt.
Für dieses soziale Deutschland arbeiten wir.
•
Wir wollen Wege in eine soziale und nachhaltige Zukunft für Deutschland aufzeigen und dazu passende Strategien und Politiken erarbeiten und vorstellen.
•
Unsere Analysen und Konzepte werden wir zum Gegenstand eines
breiten gesellschaftlichen Diskurses mit Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft, mit Fachleuten und Öffentlichkeit machen.
Mehr Informationen finden Sie unter
www.fes.de/zukunft2020
Ansprechpartner:
Dr. Michael Dauderstädt
Leiter der Abteilung
Wirtschafts- und Sozialpolitik
E-Mail: [email protected]
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Analysen, Konzepte, Diskurse
für ein soziales Deutschland

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