Görlitz und Jakob Böhme Peterskirche – Gotteshaus mit Sonnenorgel

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Görlitz und Jakob Böhme Peterskirche – Gotteshaus mit Sonnenorgel
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Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland
Gruppen sowie Einzelpersonen »Kloster auf Zeit« kennen lernen, beispielsweise bei Fasten- und Besinnungswochen. Zudem wird eingeladen
zu Konzerten und Klostermärkten. Außerhalb des Klostergeländes führt
ein Pfad nach oben zum östlichsten Weinberg Deutschlands und vorbei
am Stationsberg, einem restaurierten Kreuzweg. An jedem Ostersonntag
erklingen in Ostritz alle Glocken, um die Saatreiter-Prozession anzukündigen. Dann überbringen 100 Reiter die Osterbotschaft.
i St. Marienthal/Gästepforte: St. Marienthal 1, 02899 Ostritz,
Tel. +49 35823-7 73 68, +49 35823-7 73 85, www.kloster-marienthal.de
i Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal (IBZ)/Tourist-Information:
St. Marienthal 10, 02899 Ostritz,
Tel. +49 35823-7 70, www.ibz-marienthal.de
i Öffentliche Klosterführung von Ostermontag bis Oktober täglich 15 Uhr,
von November bis Ostersonntag Sa und So 15 Uhr
Peterskirche – Gotteshaus mit Sonnenorgel
GÖRLITZ . St. Peter und Paul, die über Görlitz auf einem Felsen thronende
Kirche und Wahrzeichen der Stadt, gilt als »Gottes schönstes Haus an der
Neiße«. Weithin sichtbar sind ihr mächtiger, 72 Meter hoher Ostchor mit
dem spitzen Kupferdach und die beiden erst Ende des 19. Jahrhunderts
aufgesetzten 84 Meter hohen Türme. Die mit einer Länge von 72 Meter
und einer Breite von 39 Meter größte spätgotische Hallenkirche Sachsens hatte eine spätromanische Vorgängerin, an die das Westportal mit
seinem »Brauttor« erinnert. Das heutige Gebäude mit fünf Schiffen
Ostritz – Görlitz
und die zum Abstützen errichtete Georgenkapelle als
Unterkirche (Krypta) konnten Ende des 15. Jahrhunderts nach langer Bauzeit fertiggestellt werden.
Ihre prächtige barocke Ausstattung erhielt die
Peterskirche 1691 nach einem Stadtbrand. Vor allem
sehenswert ist der Prospekt, das Pfeifengehäuse der
Sonnengesicht
berühmten Sonnenorgel, eine Arbeit des Künstlers Jo- mit Orgelpfeifen
hann Conrad Büchau. Das Orgelgehäuse – 14,40 Meter hoch und 10,30 Meter breit – wurde wegen seiner außergewöhnlichen
Gestalt international bekannt. Auf dem Prospekt sind siebzehn »Sonnen«
angebracht: Um goldene Sonnengesichter wurden strahlenförmig Orgelpfeifen angeordnet, die dem Instrument seinen Namen gaben. Die erste
Sonnenorgel baute zwischen 1697 und 1703 gemeinsam mit seinem Sohn
der berühmte Orgelbaumeister Eugenio Casparini. Diese Orgel gibt es
schon lange nicht mehr. Es folgten viele Umbauten, seit 1997 erklingt ein
Orgelwerk der Schweizer Firma Orgelbau Mathis AG in Näfels.
i Peterskirche: Bei der Peterskirche 9, 02826 Görlitz
Öffnungszeiten: siehe Aushänge, öffentliche Kirchenführungen:
täglich, konkrete Angaben auf der Führungsuhr in der Kirche
i Orgel Punkt 12 – Meditation und Information zur Sonnenorgel:
April bis Oktober Di, Do und So 12 Uhr, November bis März So 12 Uhr
i Tourist-Information: Obermarkt 32, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-4 75 70,
www.goerlitz.de
Görlitz und Jakob Böhme
GÖRLITZ. Er stammte aus einem Bauerngut im Dorf
Kirche St. Peter und Paul
Sonnenorgel in der Peterskirche
Alt Seidenberg bei Görlitz, heute Stary Zawidów.
Der 1575 Geborene war schwächlich, lernte deshalb
Schuhmacher, ging auf Wanderschaft und erwarb
1599 als Mittzwanziger die Bürgerrechte von Görlitz,
kaufte eine Schuhbank am Untermarkt sowie für
sich und seine Frau Katharina, mit der er bis 1606
Jakob Böhme
(1575–1624)
vier Söhne haben sollte, ein Haus jenseits der Neiße
am Töpferberg. Es steht noch immer in der heutigen ul. Daszyńskiego 12.
Eine hier angebrachte Tafel verkündet: »In diesem Haus wohnte Jakob
Böhme von 1599–1610« (siehe S. 147). Jakob Böhme, SchuhmacherPhilosoph, Mystiker und – neben dem Ausnahme-Fußballer Michael
Ballack selbstverständlich – der wohl berühmteste Sohn der Stadt an
der Neiße, schrieb wenig später, ohne je eine höhere Schule besucht zu
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Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland
haben, sein erstes Werk »Aurora«
von erstaunlicher Geistestiefe.
Damit und weiteren Arbeiten, die
sich gegen den in dieser Zeit in
Riten und Dogmen verharrenden
Protestantismus richteten, machte
er sich den Hauptpastor von St.
Peter und Paul, einen Anhänger
der lutherischen Orthodoxie, und
dessen aufgehetzte Gemeinde zu
Feinden. Böhmes Schriften hielten
sie für unchristlich und bezichtigten den Autor des Ketzertums.
Er erhielt Schreibverbot, das er
1619 durchbrach und 1624 sein
Buch »De tribus principiis oder die
Beschreibung der drei Prinzipien
Denkmal für Jakob Böhme von
Johannes Pfuhl
göttlichen Wesens« veröffentlichte. Daraufhin musste er die
Stadt verlassen. In Dresden, aufgenommen von einem verständnisvollen
Theologen, konnte er in einem Streitgespräch seine Thesen verteidigen,
traute sich danach wieder nach Görlitz und wurde erneut verklagt. Bald
darauf starb er. Sein Grab wurde geschändet. Böhme hatte seine Philosophie, eine Verbindung von Luthertum und Mystik, in 22 Schriften
dargelegt, einige davon wurden später als »Der Weg zu Christo« herausgegeben. Für den Philosophen Friedrich Schelling war Böhme eine
»Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit«, für den großen
Friedrich Hegel »der erste deutsche Philosoph«. Görlitz ließ ihm 1898
ein Bronzestandbild, das einzige Denkmal für den Gelehrten überhaupt,
errichten. Es steht im Park des Friedens an der Dr.-Kahlbaum-Allee. Das
Grab Böhmes befindet sich auf dem Nikolaikirchhof. Im Kulturhistorischen Museum Kaisertrutz hat er zwischen Görlitzer Persönlichkeiten in
einer der Schießscharten dieser Bastei einen hervorgehobenen Platz mit
Porträt, Dokumenten und einer Hörstation gefunden.
Görlitz
Museum – Schlesiens Geschichte im Schönhof
GÖRLITZ . Gegenüber dem Rathaus von Görlitz steht inmitten der Altstadt
mit ihren vielen denkmalgeschützten und sanierten Häusern der spektakuläre Schönhof. Er ist eines der prächtigsten Gebäude rundum und beherbergt zudem eines der interessantesten der hiesigen Museen. Die Reste
des mittelalterlichen Schönhofes waren nach einem Stadtbrand 1525 von
Ratsbaumeister Wendel Roskopf d. Ä. überbaut worden, er schuf damit das
erste Renaissancegebäude von Görlitz. Es erhielt eine eindrucksvolle Fassade, reiche Bauplastik, kostbare Wandmalereien sowie verschiedenartig
bemalte Holzdecken und diente – komfortabel ausgestattet – als fürstliches Gästehaus. Seit 2006 ist der Schönhof Sitz des Schlesischen Museums zu Görlitz. Auf 2000 Quadratmeter Fläche wird in der Dauerausstellung über eine alte Kulturlandschaft mitten in Europa erzählt. Dargestellt
ist die kulturelle Geschichte Schlesiens von Handwerkskunst wie Glasund Keramikherstellung bis hin zur Kunst der klassischen Moderne. Gezeigt werden gesellschaftliche Entwicklungen während der Zugehörigkeit
zum piastischen Polen, zum habsburgischen Böhmen, zum Preußen der
Hohenzollern und zum Deutschen Reich.Von besonderen Interesse sind
die Exponate zur Geschichte Schlesiens im 20. Jahrhundert. Das Museum
zeigt darüber hinaus zahlreiche Sonderausstellungen.
i Schlesisches Museum: Brüderstr. 8, Untermarkt 4, 02826 Görlitz,
Tel. +49 3581-87 91-0, www.schlesisches-museum.de
Öffnungszeiten: Di–So 10–17 Uhr
i Jakob-Böhme-Haus: ul. Daszyńskiego 12, 59-900 Zgorzelec,
Tel. +48 75-77 5 46 16, Öffnungszeiten: Di–Do 12–14 Uhr, Fr–So 12–17 Uhr
i Kulturhistorisches Museum Kaisertrutz: Demianiplatz, 02826 Görlitz,
Tel. +49 3581-67 14 20, www.museum-goerlitz.de
Öffnungszeiten: Di–So 10–17 Uhr
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Eine der beeindruckenden Holzdecken
Der Schönhof in der Altstadt
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Görlitz
Gründerzeitviertel – Kaufhaus und Straßburg-Passage
Heiliges Grab – Andachtsstätte als Touristen-Attraktion
GÖRLITZ. Eine lohnenswerte Alternative zur viel frequentierten Alt-
GÖRLITZ. Eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Görlitz ist das
stadt von Görlitz ist das in sich geschlossene und komplett erhaltene
Gründerzeitquartier mit seinen Einkaufs- und Flaniermöglichkeiten.
Das Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Jugendstil-Viertel, eines
der größten Deutschlands, hat beeindruckende Bank- und Geschäftshäuser, Kasernen und Schulen, ein monumentales Stadttheater – wegen
seiner üppigen Ausstattung »Kleine Semperoper« genannt – und ein
Heilige Grab, auch Görlitzer Jerusalem genannt, im Norden der Stadt.
Diese nachgestaltete mittelalterliche Pilger- und Andachtsstätte war auf
Anregung des 1465 von einer Pilgerreise nach Jerusalem zurückgekehrten späteren Görlitzer Bürgermeisters Georg Emmerich bis 1504 entstanden. Von vielen, damals üblichen Nachbildungen ist sie diejenige, die
dem mittelalterlichen Original am nächsten kommt. Zur Gesamtanlage
Heiliges Grab gehört die DoppelKapelle zum Heiligen Kreuz, das
Salbhaus mit der Skulptur »Die
Beweinung Jesu« des Bildhauers
Hans Olmützer und die Grabkapelle, das Heilige Grab selbst. Damit
sind die wichtigsten Teile aus der
Großen Grabeskirche in Jerusalem
nachgebildet, einem Ort des ErinDas Salbhaus
nerns an das Leiden und Sterben
sowie die Auferstehung von Jesus Christus. Die Stätte gilt zudem als
einer der ersten symbolischen Landschaftsgärten in Deutschland. In die
Gestaltung einbezogen wurde die Landschaft nördlich der Grabkapelle
hinter der Umzäunung. Nachempfunden sind hier der Ölberg mit dem
Garten Gethsemane, wo Jesus in der Nacht vor seiner Kreuzigung betete,
und mit Hilfe des kleinen Lunitz-Baches das Tal des Baches Kidron, den
In der Straßburg-Passage
Im Jugendstil-Kaufhaus
inzwischen überdimensioniertes, fast mondänes Bahnhofsgebäude.
Besonders sehenswert ist das in der Nähe der Frauenkirche stehende
schönste Warenhaus Deutschlands und zugleich das einzige, das in
seiner Ausstattung noch so existiert, wie es 1913 einmal eröffnet worden
war. Man kann es heutzutage lediglich vom Eingangsraum aus beschauen: Eine Glaskuppel überdacht den zentralen Lichthof. Der Innenraum
hat freitragende Treppen. Jugendstil-Elemente schmücken die Säulen.
Besonders schön sind die riesigen Kronleuchter. Nach langem Leerstand
soll das Gebäude wieder ein Kaufhaus werden. Wenige 100 Meter weiter
verbindet die Straßburg-Passage die Berliner Straße mit der Jakobstraße
und dem Wilhelmsplatz. Diese Jugendstil-Passage mit Sandsteinportal
und zweigeschossigen Lichthöfen entstand 1908 als Erweiterung eines
Spezialgeschäftes des Görlitzers Textilkaufmanns Otto Straßburg für
»Leinen- und Baumwollwaren, Gardinen, Geraer Kleiderstoffe sowie
Aussteuerartikel aller Art«. Die prächtige Passage hat nun als attraktives
historisches Einkaufszentrum einen etwas anderen Branchenmix zu
bieten: stilvolle Geschäfte, Restaurant und Eiscafé sowie Galerien.
Am Heiligen Grab
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Region 3 – Oberlausitz mit Heide-, Seen- und Bergland
Jesus mit seine Jüngern überquerte. Am Heiligen Grab endet ein von der
Kirche St. Peter und Paul ausgehender Kreuzweg mit sieben Stationen.
Er hat wie sein Jerusalemer Vorbild 1000 Schritte, beginnt am Westportal
des Gotteshauses, führt über die Görlitzer Via Dolorosa vorbei an der
Jesus-Bäckerei durch die Nikolaivorstadt bis hin zur Grabstätte und wird
alljährlich am Karfreitag von Christen begangen.
i Evangelische Kultur-Stiftung Görlitz/Heiliges Grab: Heilige-Grab-Str. 79,
02826 Görlitz, Tel. +49 3581-31 58 64, kulturstiftung.kkvsol.net
Öffnungszeiten: März und Oktober Mo–So 10–17 Uhr, So und Feiertag
11–17 Uhr, April bis September Mo–So 10–18 Uhr, So und Feiertage 11–
18 Uhr, November bis Februar Mo–So 10–16 Uhr, So und Feiertage 11–16 Uhr
Führungen: Mo–So 11 und 15 Uhr, So und Feiertage 11.30 und 15 Uhr
Landskron-Brauerei – Führungen und danach ein Bier
GÖRLITZ. Ein Kulturzentrum der besonderen Art ist die seit 1869
bestehende Görlitzer Landskron-Brauerei auf dem Weinberg-Gelände
am Neißeufer. Zu ihren Brauereifesten, diversen Veranstaltungen und
zu den gefragten Brauerei-Führungen kommen jährlich an die
100 000 Besucher. Die Gäste der
Brau-Manufaktur werden in einem
Besucherzentrum mit Fanshop
im Untergeschoss der LandskronVerwaltung begrüßt. Bei Führungen durch die Brauerei, die zu den
Am Eingang zur Brauerei
Görlitz
ältesten produzierenden Industriedenkmälern Deutschlands gehört, geht
es auch in die zwölf Meter tiefen Gewölbekeller, wo das Bier – länger
als allgemein üblich – 40 Tage reift. Die Gärungsräume von 1869 stehen
unter Denkmalschutz. Im Biergarten auf dem Gelände kann man sich
dann ein Frischgezapftes schmecken lassen. Der Name der traditionsreichen Brauerei leitet sich übrigens von einem Görlitzer Wahrzeichen ab,
der Landeskrone, 420 Meter hoher Hausberg und Ausflugsziel mit Blick
auf die Stadt.
i Landskron-Brauerei mit Besucherzentrum, Fanshop und Biergarten:
An der Landskronbrauerei 116, 02826 Görlitz, Tel. +49 3581-46 50,
www.landskron.de, Öffnungszeiten des Besucherzentrums:
Mai bis Oktober täglich 11–18 Uhr, im Winter täglich 11–17 Uhr
Führungen: 0,33 l-Tour So 11 Uhr, weitere Touren Tel. +49 3581-46 51 42
Meridianstein – 15. Längengrad am Ufer der Neiße
GÖRLITZ. Seit dem 1. April 1893 tickt Deutschland nach Mitteleuropäischer Einheitszeit – und das ist Görlitzer Zeit. Bis dahin gab es überall
unterschiedliche Zeitregelungen. Bei der Meridiankonferenz 1884 in
Washington D.C. war die Welt in 360 Meridiane und davon 24 Zeitmeridiane eingeteilt worden. Der 15. Meridian östlich von Greenwich bei
London, die Bestimmungslinie für die Mitteleuropäische Zeit, durchquert Görlitz als einzige deutsche Stadt. Inzwischen richten sich über
40 Staaten Europas und Afrikas bei ihrer Zeitbestimmung nach der
Görlitzer Zeit. Am 6. Mai 1961 wurde anlässlich des ersten bemannten
Weltraumfluges des sowjetischen
Kosmonauten Juri Gagarin ein
Meridianstein neben der Görlitzer
Stadthalle und der Stadtbrücke
nach Zgorzelec aufgestellt. Die
1150 Kilogramm schwere Erdkugel aus Lausitzer Granit und mit
einer Richtungsschiene aus Bronze
zeigt die vom Vermessungsamt
bestätigte genaue Position des 15.
Längengrades an. Auch ein in den
Asphalt eingebranntes Blaues Band
quer über die Straße nahe am
Meridianstein kurz vor der Brücke
kennzeichnet seinen Verlauf.
Der Meridianstein von Görlitz
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