Anpassung pandemischer HIV-1-Stämme an den

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Virusinfektionen
„Optimale“ Anpassung pandemischer
HIV-1-Stämme an den Menschen
FRANK KIRCHHOFF
INSTITUT FÜR MOLEKULARE VIROLOGIE, UNIVERSITÄTSKLINIKUM ULM
Nur HIV-1 M gelang es, im Menschen ein voll funktionsfähiges Vpu-Protein zu entwickeln. Dies könnte erklären, warum nur eine von vier Übertragungen von Affenimmundefizienzviren aus Schimpansen oder Gorillas
auf den Menschen zu einer Pandemie führte.
Only HIV-1 M evolved a fully functional Vpu protein following the four
cross-species transmissions from apes to humans that resulted in HIV-1
groups M, N, O and P. This may explain why HIV-1 M is almost entirely
responsible for the AIDS pandemia.
ó Affenimmundefizienzviren (SIVs), die mit
den humanen Immundefizienzviren (HIV)
eng verwandt sind, wurden mittlerweile in
etwa 40 afrikanischen Affenarten nachgewiesen. Der Haupterreger von AIDS, HIV-1,
stammt ursprünglich aus SIV-infizierten
Schimpansen und Gorillas. Die vier bisher
bekannten Hauptgruppen von HIV-1 (M, O,
N und P) sind auf vier unabhängige zoonotische Übertragungen zurückzuführen (Abb. 1).
Lediglich eines dieser Ereignisse, das zu
Beginn des letzten Jahrhunderts erfolgte, führte zu einer Pandemie [1]. Die HIV-1 Gruppe M
(major) hat bisher etwa 60 Millionen Men¯ Abb. 1: Ursprung
von HIV-1. Das Affenimmundefizienzvirus
aus Schimpansen
(SIVcpz) wurde auf
den Menschen und
auf Gorillas übertragen. HIV-1 P stammt
aus Gorillas. Es ist
noch unklar, ob
HIV-1 O von Schimpansen oder Gorillas
auf den Menschen
übertragen wurde.
Grün spezifiziert eine
Ausschaltung von
Tetherin durch Nef,
Rot durch Vpu.
Schwarz: weder Vpu
noch Nef sind aktiv
gegen Tetherin.
(Bilder: M. L. Wilson,
Cecile Neel und
Martine Peeters).
schen infiziert und ist weltweit für fast alle
AIDS-Fälle verantwortlich. Im Gegensatz dazu
findet man HIV-1 O (outlier) fast ausschließlich in Westafrika. Die seltenen Gruppe Nund Gruppe P-Viren wurden lediglich in einigen wenigen Menschen nachgewiesen. Neuere Ergebnisse zeigen, dass ein antiviraler
Faktor, das sogenannte Tetherin, welches reife Viruspartikel an der Zelloberfläche „festklebt“, ein signifikantes – aber nicht unüberwindliches – Hindernis für die effektive Ausbreitung von HIV-1 im Menschen darstellt.
Lediglich HIV-1 M hat die Fähigkeit entwickelt, menschliches Tetherin effektiv mittels
seines Vpu-Proteins auszuschalten, ohne die
zweite Funktion von Vpu, den Abbau des viralen CD4-Rezeptors, zu verlieren [2]. Durch
die Entfernung von CD4 von der Oberfläche
erhöht HIV-1 die Freisetzung und Infektiosität viraler Partikel. Weiterhin verhindert
das Virus dadurch weitere, sogenannte
„Super“-Infektionen, die den Tod der infizierten Zelle auslösen können, bevor der virale Vermehrungszyklus beendet ist. Diese
„optimale“ Anpassung von Gruppe M-Viren
an den Menschen könnte die Ursache dafür
sein, dass sie weltweit für fast alle HIV-Infektionen und AIDS-Fälle verantwortlich sind.
Tetherin
Die andauernde Auseinandersetzung mit
einer Vielzahl von Krankheitserregern hat
unsere Erbinformation geprägt. Etwa acht Prozent unseres Genoms bestehen aus den defekten Überresten einst vermehrungsfähiger Retroviren, die ihre Erbinformation in die der
menschlichen Wirtszelle eingebaut haben.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass möglicherweise die Entwicklung von spezifischen
antiviralen Faktoren dazu beigetragen hat,
dass wir viele „fossile“ Retroviren stilllegen
konnten. Diese antiviralen Restriktionsfaktoren hemmen Viren mittels verschiedener
Mechanismen. Derzeit sind drei Faktoren
bekannt, die gegen Retroviren aktiv sind. Zwei
davon (ABOBEC3G und TRIM5α) führen zu
inaktivierenden Hypermutationen im viralen
Genom oder inaktivieren die eindringenden
Viruskapside. Der dritte Faktor wurde erst
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˚ Abb. 2: Struktur und vermutlicher Wirkmechanismus von Tetherin. Tetherin ist ein Dimer und
besitzt eine zytoplasmatische N-terminale Region (CT), eine Transmembrandomäne (TM), eine
helikale extrazelluläre Domäne (ED) und einen C-terminalen GPI-Anker (GPI). Es blockiert die Freisetzung infektiöser Viren von der Zelloberfläche. Anschließend kommt es zur Internalisierung und
zum Abbau der Viruspartikel in der infizierten Zelle.
kürzlich entdeckt. Er wird durch den im Rahmen der Immunabwehr gebildeten Botenstoff
Interferon-alpha induziert und wurde als
Tetherin (engl. to tether = anheften) bezeichnet, weil er reife Viruspartikel nach der Freisetzung an der Zelloberfläche festklebt [3, 4].
Tetherin hat eine ungewöhnliche Struktur mit
zwei Membranankern, die sehr wahrscheinlich die antivirale Aktivität von Tetherin
erklärt. Nach der Virusfreisetzung verbleibt
eine Verankerungsdomäne in der Zellmembran, die andere steckt im Viruspartikel und
verhindert so dessen Freisetzung und Ausbreitung (Abb. 2). Bemerkenswerterweise
hemmt Tetherin nicht nur die Freisetzung
von HIV und anderen Retroviren, sondern
auch von Arena- (Lassa), Filo- (Marburg, Ebola) und Herpesviren [5].
tein, benutzen, um Tetherin auszuschalten
[6, 7]. Nef ist ein multifunktionelles Protein,
das mit der zytoplasmatischen Domäne von
Tetherin interagiert (Abb. 3) und dessen
Expression an der Zelloberfläche verringert.
Das zweite humane Immundefizienzvirus
(HIV-2) und das Ebolavirus benutzen dagegen ihre Hüllproteine, um Tetherin unwirksam zu machen. Manche Herpesviren haben
spezifische Faktoren entwickelt, die den
Abbau von Tetherin in Proteasomen induzieren. Die Tatsache, dass verschiedene Virusgruppen ausgeklügelte Mechanismen entwickelt haben, um Tetherin auszuschalten, weist
darauf hin, dass dieser Faktor normalerweise
die Virusvermehrung signifikant hemmt.
Virale Tetherin-Gegenspieler
Gene, die für Restriktionsfaktoren codieren,
stehen unter einem starken Selektionsdruck,
sich zu verändern, um neue Viren auszuschalten oder virale Antagonisten unwirksam
zu machen. Deswegen sind antivirale Faktoren, wie Tetherin, außergewöhnlich variabel.
Aus diesem Grund stellen sie auch Barrieren
für virale Übertragungen zwischen verschiedenen Arten (sogenannte Zoonosen) dar, weil
die viralen Antagonisten häufig speziesspezifisch sind. SIVcpz, der Vorläufer von HIV-1,
entstand wahrscheinlich durch die Vermischung der Genome der Vorläufer von SIVs,
die man heutzutage in Rotschopfmangaben
(SIVrcm) und in einigen Meerkatzenarten
(SIVgsn/mus/mon) findet [8]. Anschließend
wurde SIVcpz von Schimpansen auf Gorillas
Tetherin wurde ursprünglich entdeckt, weil es
durch das HIV-1-Vpu-Protein ausgeschaltet
wird. Vpu interagiert mit der Transmembrandomäne von Tetherin (Abb. 3) und hält
den Restriktionsfaktor von den Regionen der
Virusfreisetzung fern. Der genaue Wirkmechanismus ist noch unklar, beinhaltet aber
wahrscheinlich die Einschleusung des Restriktionsfaktors in das trans-Golgi-Netzwerk
oder in Lysosomen und den anschließenden
Abbau. Viele SIVs enthalten kein vpu-Gen.
Aktuelle Studien haben gezeigt, dass viele
dieser Affenimmundefizienzviren sowie die
Vpu-codierenden Vorläufer von HIV-1 (SIVcpz
aus Schimpansen und SIVgor aus Gorillas)
einen anderen viralen Faktor, das Nef-Pro-
Tetherin und die Evolution von
Immundefizienzviren
und Menschen übertragen und führte so zur
Entwicklung von SIVgor und von pandemischen HIV-1-M-, nicht-pandemischen HIV-1-Ound seltenen HIV-1-N-Stämmen (Abb. 1). Das
kürzlich entdeckte HIV-1 P ist eng mit SIVgor verwandt und wurde wahrscheinlich von
Gorillas auf den Menschen übertragen. Wir
konnten kürzlich einige Erkenntnisse darüber
gewinnen, wie es diesen Viren gelang, die
Tetherin-Barriere zu meistern [2]. Der Vorläufer von SIVrcm benutzte sehr wahrscheinlich Nef (weil es kein Vpu exprimiert)
und der gemeinsame Vorläufer der SIVgsn/
mus/mon-Viruslinie benutzte Vpu (weil alle
Nachkommenviren dies tun), um Tetherin
auszuschalten (Abb. 3). Da die zytoplasmatische Domäne von Tetherin besser konserviert
ist als die Transmembrandomäne, entwickelte sich Nef und nicht Vpu zu einem effektiven
Tetherin-Antagonisten in SIVcpz-infizierten
Schimpansen. Bei der Übertragung von
SIVcpz auf Gorillas konnte sich das Virus
leicht an dessen Tetherin anpassen, weil es in
der zytoplasmatischen Domäne lediglich
einen einzigen Aminosäureaustausch aufweist. Im Gegensatz dazu enthält diese Domäne in der menschlichen Tetherin-Variante eine
Deletion von fünf Aminosäuren. Dieser
Sequenzverlust macht humanes Tetherin
resistent gegen Nef und entstand wahrscheinlich, um einen urtümlichen viralen
Antagonisten unwirksam zu machen. Diese
Deletion stellte anscheinend auch eine signifikante Barriere für die Virusübertragung von
Schimpansen auf den Menschen dar und
zwang HIV-1, von Nef zu Vpu zu wechseln,
um Tetherin auszuschalten. Bemerkenswerterweise meisterten nur pandemische HIV-1M-Stämme diese Hürde perfekt durch die
Wiedererlangung der Anti-Tetherin-Aktivität
von Vpu. Im Gegensatz dazu blieben die VpuProteine von HIV-1 O und P wenig aktiv gegen
Tetherin. Das Vpu-Protein von HIV-1 N erwarb
Anti-Tetherin-Aktivität, verlor aber seine zweite Funktion: die Fähigkeit, den viralen CD4Rezeptor zu degradieren. Die Resistenz von
humanem Tetherin gegenüber Nef erklärt
wahrscheinlich auch, warum HIV-2 sein Hüllprotein benutzt, um es unwirksam zu machen
[9].
Bedeutung
Nach aktuellem Kenntnisstand gelang es
Immundefizienzviren mehrfach Speziesbarrieren zu überwinden. Der Entstehung von
HIV-1 gingen Übertragungen von SIV von
Affen auf Menschenaffen, der Erwerb des vpuGens und ein Rekombinationsereignis vorBIOspektrum | 02.10 | 16. Jahrgang
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Daniel Sauter und Anke Specht und, sowie
den an der Studie beteiligten Kooperationspartnern, vor allem Beatrice Hahn, Martine
Peeters und Michael Schindler.
ó
Literatur
˚ Abb. 3: Rolle von Tetherin bei der Evolution von HIV-1. SIVcpz ist eine Mischung zwischen den
Vorläufern von Viren, die man heutzutage in Rotschopfmangaben (SIVrcm) und in einigen Meerkatzenarten (SIVgsn/mus/mon) findet. Das Vpu-Protein, über das nur HIV-1 und seine SIV-Vorläufer verfügen, interagiert mit der Transmembrandomäne von Tetherin, reduziert die Oberflächenexpression von CD4 und hält den Restriktionsfaktor von den Regionen der Virusfreisetzung fern.
Das Nef-Protein, welches bei allen Immundefizienzviren vorhanden ist, interagiert mit dem zytoplasmatischen Teil von Tetherin. Aufgrund einer Deletion in diesem Bereich ist humanes Tetherin
resistent gegen Nef. Der Evolution von HIV-1 gingen Wechsel zwischen Vpu- und Nef-abhängiger
Tetherin-Ausschaltung voraus.
aus. Im Laufe ihrer Evolution haben die
Immundefizienzviren, die letztendlich zur
AIDS-Pandemie im Menschen führten, zwischen Vpu und Nef gewechselt, um Tetherin
in neuen Wirten auszuschalten. Der Besitz
zweier potenzieller Tetherin-Antagonisten,
Vpu und Nef, machte die SIV-Vorläufer von
HIV-1 somit besonders fit für zoonotische
Übertragungen. Humanes Tetherin stellt eine
signifikante Barriere für die effektive Ausbreitung von HIV-1 im Menschen dar, und
nur pandemischen HIV-1 M-Stämmen gelang es, diese perfekt zu überwinden. Ohne
HIV-1 M wäre AIDS eine seltene tropische
Erkrankung. Da HIV-1 O nach aktuellem
Kenntnisstand durchaus in der Lage ist, AIDS
zu verursachen, ist die effektive Ausschaltung von Tetherin wahrscheinlich wichtiger
für die sexuelle Übertragung von HIV-1 als
für die AIDS-Pathogenese. Dies könnte daran liegen, dass die Ausbreitung im Menschen
wahrscheinlich hauptsächlich über den direkten Kontakt infizierter Zellen erfolgt, die effektive Freisetzung infektiöser Viruspartikel in
Genitalflüssigkeiten jedoch eine wichtige Rolle bei der viralen Transmission spielt. Unsere Ergebnisse liefern eine erste Erklärung
dafür, warum lediglich eine von mindestens
vier unabhängigen Übertragungen von
SIVcpz oder SIVgor auf den Menschen zu
einer Pandemie geführt hat. Die Induktion
von Tetherin könnte es ermöglichen, die Vermehrung und Ausbreitung von HIV-1 einzudämmen.
Danksagung
Der Autor dankt den Mitgliedern seiner
Arbeitsgruppe, insbesondere Jan Münch,
[1] Hahn BH, Shaw GM, De Cock KM et al. (2000) AIDS as a
zoonosis: scientific and public health implications. Science
287:607–614
[2] Sauter D, Schindler M, Specht A et al. (2009) Tetherin-driven adaptation of Vpu and Nef function during the evolution
of pandemic and non-pandemic HIV-1 strains. Cell Host
Microbe 6:409–421
[3] Neil SJ, Zang T, Bieniasz PD (2008) Tetherin inhibits retrovirus release and is antagonized by HIV-1 Vpu. Nature
451:425–430
[4] Van Damme N, Goff D, Katsura C et al. (2008) The interferon-induced protein BST-2 restricts HIV-1 release and is
downregulated from the cell surface by the viral Vpu protein.
Cell Host Microbe 3:245–252
[5] Neil S, Bieniasz P (2009) Human immunodeficiency virus,
restriction factors, and interferon. J Interferon Cytokine Res
29:569–580
[6] Jia B, Serra-Moreno R, Neidermyer W et al. (2009)
Species-specific activity of SIV Nef and HIV-1 Vpu in overcoming restriction by tetherin/BST2. PLOS Pathog 5:1000429
[7] Zhang F, Wilson SJ, Landford WC et al. (2009) Nef proteins from simian immunodeficiency viruses are tetherin
antagonists. Cell Host Microbe 6:54–67
[8] Bailes E, Gao F, Bibollet-Ruche F et al. (2003) Hybrid origin of SIV in chimpanzees. Science 300:1713
[9] Le Tortorec A, Neil SJ (2009) Antagonism to and intracellular sequestration of human tetherin by the human immunodeficiency virus type 2 envelope glycoprotein. J Virol
83:11966–11978
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Frank Kirchhoff
Institut für Molekulare Virologie
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 11
D-89081 Ulm
Tel.: 0731-50065109
Fax: 0731-50065131
[email protected]
AUTOR
Frank Kirchhoff
Jahrgang 1961. Biologiestudium in Göttingen. 1991 Promotion, 1991–1994 Postdoc
am New England Regional Primate Research Center, Harvard Medical School, Boston,
USA. 1994–2001 Arbeitsgruppenleiter am Institut für Virologie der Universität Erlangen. 2001–2009 Professor und Arbeitsgruppenleiter am Institut für Virologie des Universitätsklinikums Ulm. Seit 2009 Direktor des Instituts für Molekulare Virologie, Universitätsklinikum Ulm.
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