Das Diffusionsverhalten von Wasserstoff in einem niedriglegierten
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Das Diffusionsverhalten von Wasserstoff in einem niedriglegierten
-I- Das Diffusionsverhalten von Wasserstoff in einem niedriglegierten Stahl unter Berücksichtigung des Verformungsgrades und der Deckschichtbildung in alkalischen Medien Vom Promotionsausschuss der Technischen Universität Hamburg-Harburg zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Naturwissenschaften genehmigte Dissertation von Guido Gerhard Juilfs aus Flensburg 2000 -II- 1. Gutachter: Prof. Dr. K.-H. Schwalbe 2. Gutachter: Prof. Dr. H.-D. Knauth Tag der mündlichen Prüfung: 01.11.2000 -III- Zusammenfassung Es wurde mittels der elektrochemischen Permeationstechnik der Einfluss der plastischen Verformung auf das Diffusionsverhalten von Wasserstoff in einem niedriglegierten Baustahl (FeE 690T) untersucht, wobei der Werkstoff einerseits durch vorangegangenes Kaltwalzen, andererseits zugverformt wurde. Speziell angefertigte C(T)-Proben ermöglichten die direkte Bestimmung des Diffusionskoeffizienten im stark verformten Bereich vor einem Kerb. Es zeigte sich eine starke Abhängigkeit des effektiven Diffusionskoeffizienten vom Dehnungsgrad und von der Wasserstoffkonzentration während der maximale Wasserstofffluss weitestgehend unbeeinflusst blieb. Diese Beobachtungen werden mit der Existenz von Stufenversetzungen erklärt, die als Fallen für den diffundierenden Wasserstoff dienen und so den Wasserstofftransport in der plastischen Zone entscheidend beeinflussen. Die Ergebnisse wurden mit einem Modell verglichen, das u.a. den Einfluss der Fallendichte auf den Wasserstofftransport berücksichtigt. Es zeigte sich, dass sämtliche experimentellen Daten mit Hilfe der numerischen Rechnungen über den gesamten untersuchten Dehnungsbereich sehr gut reproduziert werden können. Aus der Anpassung der Fallenparameter ergibt sich für den unverformten Zustand eine Fallendichte von 6.1·1019/m3. Zusammen mit den Ergebnissen einer früheren Studie bezüglich der Risszähigkeit von FeE 690T unter Wasserstoffeinfluss kann der beobachtete Dehnrateneffekt auf den Versagensmechanismus eindeutig auf die verminderte Beweglichkeit der Wasserstoffatome innerhalb der plastischen Zone zurückgeführt werden. Dass insgesamt der Wasserstofftransport bei monotoner Beanspruchung diffusionskontrolliert ist, bestätigen auch Untersuchungen zur Deckschichtbildung in nicht korrosiven Medien. Mittels einer potentiodynamischen Methode (Cyclovoltammetrie) gelang die Charakterisierung der häufig bei der Permeation an unbeschichteten Werktoffen als problematisch angesehenen Oberflächenreaktionen. Es stellte sich dabei heraus, dass die entstehenden Passivschichten je nach angelegtem Potential in erster Linie die Wasserstoffabsorption beeinflussen, wobei der Wasserstoffeintritt bevorzugt an sogenannten aktiven Stellen der Metalloberfläche stattfindet. -IV- Abstract The influence of plastic strain on the diffusion behaviour of hydrogen in a low alloyed structural steel (FeE 690T) was investiated using the electrochemical permeation technique. The plastic deformation was introduced either by cold rolling or by tensile straining. Specially prepared C(T)-specimen enabled the direct determination of the diffusion coefficient in the higly deformed region ahead of a blunting crack. It was shown, that the apparent diffusion coefficient depends on the plastic strain and on the overall hydrogen concentration, whereas the maximum hydrogen flux remained almost unchanged. These observations are interpreted in terms of variations in the dislocation density, which act as 'sinks' for the diffusable hydrogen atoms. The results are compared with model calculations, that describe the hydrogen transport as a function of the trap density. The comparison of the numerical simulation and the experimental data shows a good agreement over the whole range of plastic strain levels, leading to a trap density of 6.1·1019/m3. Together with the results of a previous study on the fracture toughness of FeE 690T in the presence of hydrogen the permeation data obtained in this work suggest that the observed influence of deformation rates on the fracture mechanism can be attributed to the reduced mobility of hydrogen atoms in the plastic zone. The assumption that the hydrogen transport during monotonic straining is controlled by diffusion was confirmed by investigations concerning the formation of surface films. Using a potentiodynamic method (cyclovoltammetry) a characterisation of the surface reactions involved in permeation experiments was performed. It was shown that the nature of the passive layers forming on the surface depens on the applied potential, affecting mainly the hydrogen absorption reaction. The hydrogen entry is assumed to preferably take place at so called 'active sites' on the metal surface. -VListe der verwendeten Symbole a Risslänge A Elektrodenoberfläche A5 Bruchdehnung B Probendicke der C(T)-Proben c dimensionslose Konstante in Gl. (5.2) C Konzentration CL Wasserstoffkonzentration im Wirtsgitter CT Wasserstoffkonzentration in Fallen D Diffusionskoeffizient Deff effektiver Diffusionskoeffizient DL Diffusionskoeffizient der Gitterdiffusion E Elektrochemisches Potential Ec Beladepotential Ecorr freies Korrosionspotential Ed Detektionspotential Eλa anodisches Wechselpotential Eλc kathodisches Wechselpotential F Faradaykonstante, 96484.6 C/mol ic Beladestrom iP Permeationsstrom iP∞ Permeationsgrenzstrom J Diffusionsfluss J0 Permeationsstrom durch fallenfreien Werkstoff JT Permeationsstrom durch fallenbehafteten Werkstoff K Spannungsintensitätsfaktor KISCC Schwellwert für die Spannungsintensität bei Vorliegen von Spannungsrisskorrosion KT Gleichgewichtskonstante L Diffusionsstrecke nH Menge Wasserstoff in der Prozesszone NL Dichte der Zwischengitterplätze NT Dichte der Fallenplätze Q Ladung r Ausdehnung der Prozesszone; in Abbildung 2.4 definiert rK Kerbradius R universelle Gaskonstante, 8.3144 J(Kmol)-1 Rm Zugfestigkeit -VIRp0.2 0.2% Streckgrenze T absolute Temperatur t Zeit tb Durchbruchszeit u normierte Wasserstoffkonzentration vLL Verschiebung in Lastlinie VM Molvolumen eines idealen Gases bei Standardumgebung, 24.789 dm³/mol W Probenbreite bei C(T)-Proben x Koordinate; in Abbildung 4.1 definiert Y dimensionslose Korrekturfunktion z Ladungszahl ∆ET Bindungsenergie der Wasserstofffallen εpl plastische Verformung η Überspannung θ Bedeckungsgrad der Metalloberfläche mit Wasserstoff θL Besetzungsgrad der Zwischengitterplätze θL0 Besetzungsgrad der Zwischengitterplätze an der Stelle x = 0 θT Besetzungsgrad der Wasserstofffallen θT0 Besetzungsgrad der Wasserstofffallen an der Stelle x = 0 -VII- Liste der verwendeten Abkürzungen C(T) Kompaktzugprobe CE engl. = counter electrode, Gegenelektrode CTOD Rissspitzenverschiebung EDTA Ethylendiamintetraacetat FEM Methode der finiten Elemente HAR engl. = Hydrogen absorption reaction, Wasserstoffabsorptionsreaktion HER engl. = Hydrogen evolution reaction, Wasserstoffentstehungssreaktion HIC engl. = Hydrogen induced cracking, Wasserstoff induzierte Rissbildung NHE engl. = normal Hydrogen electrode, Normal-Wasserstoffelektrode PTFE Polytetrafluorethylen PVC Polyvinylchlorid RE engl. = reference electrode, Referenzelektrode REM Raster-Elektronen-Mikroskop SATP engl. = standard ambient temperature and pressure SCC engl. = stress corrosion cracking SCE engl. = saturated calomel electrode, Kalomelelektrode TEM Transmissions-Elektronen-Mikroskop WE engl. = working electrode, Arbeitselektrode WR Walzrichtung -VIII- Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .......................................................................................................................................................1 2 Grundlagen der Wasserstoffversprödung von Eisen und niedriglegierten Stählen ................................3 2.1 Begriff .........................................................................................................................................................3 2.2 Voraussetzungen für Wasserstoffversprödung ............................................................................................3 2.3 Wasserstoffaufnahme bei kathodischer Polarisation..................................................................................5 2.3.1 Volmer-Tafel-Mechanismus ..............................................................................................................6 2.3.2 Volmer-Heyrowsky-Mechanismus ....................................................................................................6 2.3.3 Absorptionsmechanismus...................................................................................................................7 2.3.4 Oberflächeneffekte an unbeschichteten Stahlmembranen..................................................................8 2.4 Wasserstofftransport in Eisen und Stahl ...................................................................................................10 2.4.1 Löslichkeit........................................................................................................................................10 2.4.2 Diffusivität .......................................................................................................................................11 2.5 Mechanismen der Wasserstoffversprödung ..............................................................................................12 2.6 Bruchmechanische Grundlagen und Bezeichnungen ................................................................................13 2.7 Dehnratenabhängigkeit von CTOD-R-Kurven unter Wasserstoffbeladung..............................................18 3 Aufgabenstellung.........................................................................................................................................21 4 Eingesetzte Methoden .................................................................................................................................22 4.1 Experimentelle Techniken .........................................................................................................................22 4.1.1 Elektrochemische Diffusionsmessungen..........................................................................................22 4.1.2 Werkstoff .........................................................................................................................................24 4.1.3 Probenfertigung................................................................................................................................26 4.1.3.1 Bleche......................................................................................................................................26 4.1.3.2 Flachzugproben .......................................................................................................................28 4.1.3.3 C(T)-Proben ............................................................................................................................29 4.1.4 Apparativer Aufbau..........................................................................................................................31 4.1.4.1 Elektrochemische Zelle ...........................................................................................................31 4.1.4.2 Elektrische Schaltung und Messdatenerfassung ......................................................................32 4.1.5 Testmedium......................................................................................................................................34 4.1.6 Promotoren.......................................................................................................................................34 4.1.7 Versuchsdurchführung .....................................................................................................................35 4.1.7.1 Permeation an Blechen und Flachzugproben ..........................................................................35 4.1.7.2 Permeation an C(T)-Proben.....................................................................................................36 -IX4.1.8 Deckschichtuntersuchungen.............................................................................................................37 4.1.8.1 Grundlagen ..............................................................................................................................37 4.1.8.2 Durchführung ..........................................................................................................................39 4.2 Numerische Methoden ..............................................................................................................................40 5 4.2.1 Bestimmung des effektiven Diffusionskoeffizienten .......................................................................40 4.2.1 Simulation der Wasserstoffdiffusion in Gegenwart von Fallen .......................................................42 Versuchsergebnisse .....................................................................................................................................45 5.1 Untersuchungen zur Wasserstoffdiffusion in FeE 690T............................................................................45 5.1.1 Bestimmung des Diffusionskoeffizienten bei εpl = 0........................................................................45 5.1.2 Diffusion bei plastischer Verformung (εpl bis 60 %)........................................................................46 5.1.2.1 Erstbeladung............................................................................................................................46 5.1.2.2 Zweitbeladung .........................................................................................................................49 5.1.3 Diffusion in gekerbten C(T)-Proben ................................................................................................51 5.1.4 Simulation der Permeationsergebnisse.............................................................................................53 5.2 Ergänzende Untersuchungen zur Wasserstoffaufnahme bei Deckschichtbildung von FeE 690T in alkalischen Medien ...................................................................................................................................58 6 5.2.1 Deckschichtbildung in 0.1 M NaOH................................................................................................59 5.2.2 Einfluss von Deckschichten auf den Wasserstofftransport ..............................................................62 5.2.3 Deckschichtbildung in 0.1 M NaOH nach kathodischer Polarisation ..............................................64 Diskussion der Ergebnisse ..........................................................................................................................68 6.1 Wasserstofftransport in FeE 690T ............................................................................................................68 6.1.1 Diffusion im unverformten Zustand.................................................................................................68 6.1.2 Wasserstoffdiffusion im plastisch verformten Werkstoff ................................................................69 6.1.3 Verhältnis von Gitter- zu Fallenwasserstoff im verformten Werkstoff ...........................................71 6.1.4 Zusammenhang zwischen Wasserstofftransport und Risszähigkeit .................................................73 6.2 Wasserstoffeintritt während kathodischer Polarisation in alkalischen Medien........................................76 6.2.1 Deckschichtbildung ohne Polarisation .............................................................................................76 6.2.2 Deckschichtbildung bei Unterbrechung der Polarisation .................................................................76 6.2.3 Deckschichtbildung bei langanhaltender Wasserstoffabscheidung..................................................77 6.2.4 Bedeutung der Deckschichtbildung für die Anwendung der Permeationsmethode zur Untersuchung von Transportphänomenen...............................................................................................................80 7 Literaturverzeichnis....................................................................................................................................83 8 Anhang .........................................................................................................................................................90 -1- 1 Einleitung Die Realisierung neuer Technologien bei der Erdgas- und Erdölgewinnung, in der Energietechnologie, aber auch in der chemischen Industrie erfordert, dass Werkstoffe in zunehmendem Maße immer extremeren Bedingungen genügen. Probleme treten häufig dadurch auf, dass diese Werkstoffe korrosiven Umgebungen ausgesetzt sind, die die Betriebssicherheit bzw. die Lebensdauer technischer Strukturen stark herabsetzen können. In diesem Zusammenhang sind wasserstoffinduzierte Werkstoffschäden ein weit verbreitetes und gefürchtetes Phänomen. Sie äußern sich dadurch, dass ein Bauteil, gegebenenfalls ohne sichtbare Anzeichen eines Korrosionsangriffes, unter dem Einfluss von Spannungen unerwartet versagt, was unter Umständen lebens- und umweltbedrohende Schäden zur Folge haben kann [1]. Insbesondere höher- und hochfeste Stähle mit niedrigem Legierungsanteil neigen zu dieser allgemein auch als Wasserstoffversprödung bezeichneten Form der wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosion, bei der das Risswachstum durch lokale Versprödung im Bereich der Rissspitze beschleunigt wird [2]. Um die erforderliche Zeit für die Durchführung von bruchmechanischen Prüfverfahren zur Untersuchung der Anfälligkeit von Werkstoffen gegenüber Wasserstoffversprödung möglichst kurz zu halten, ist es notwendig, die kritischen Parameter für einen bestimmten Schadensmechanismus eindeutig zu kennen. Nur so kann das Verhalten eines Bauteils auch dann noch ausreichend genau vorhergesagt werden, wenn die Betriebsdauer in korrosiver Umgebung die Testdauer um ein Vielfaches überschreitet. Ein wesentlicher Parameter bei der Beurteilung der Schadensanfälligkeit eines Werkstoffs oder einer Schweißnaht ist die kritische Wasserstoffkonzentration in der plastischen Zone vor einem Riss. Diese kann je nach Werkstoff und Schadensmechanismus sehr stark variieren und ist nur für die wenigsten Fälle bekannt. Zeitaufwendig sind die Prüfverfahren vor allem deshalb, weil die Änderungen in den mechanischen Eigenschaften häufig erst nach Erreichen einer kritischen Wasserstoffkonzentration auftreten und der Wasserstofftransport im Werkstoffinnern durch Gitterfehlstellen stark herabgesetzt sein kann. In Folge dessen beobachtet man bei Stählen in vielen Fällen eine Abhängigkeit der ermittelten Kennwerte von der Dehnrate, d.h. der Geschwindigkeit, mit der der Werkstoff während der Prüfung verformt wird. Ein weiteres Problem bei der Beurteilung von Testergebnissen liegt in dem Bestreben der Metalle, an der Grenzfläche zum umgebenden Medium Deckschichten zu bilden. In Folge der mechanischen Beanspruchung während der Prüfung des Werkstoffs kommt es zur Bildung von frischen Metalloberflächen, deren Absorptionskinetik sich stark von der der passiven Metalloberfläche unterscheiden kann. So kann lokal, beispielsweise vor einem Riss, eine stark erhöhte Wasserstoffaufnahme zu einer Beschleunigung des Risswachstums führen. Auf der anderen Seite kann -2es bei langen Prüfzeiten trotz gleichzeitiger Wasserstoffbeladung zu einem Wachsen der Deckschichten kommen, die die Absorption des Wasserstoffs mehr und mehr beeinträchtigen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit der Untersuchung des Wasserstofftransports in einem niedriglegierten Stahl bei großer plastischer Verformung mit Hilfe der elektrochemischen Permeationsmethode nach Devanthan und Stachursky [3]. Anhand der experimentellen Daten wird ein Modell entwickelt, mit dessen Hilfe der Wasserstofftransport in Gegenwart von Versetzungen erklärt werden kann. Damit verbunden ist die Messung der Wasserstoffdiffusion in der experimentell schwer zugänglichen plastischen Zone vor einem Kerb mit Hilfe von speziell präparierten Proben. Im zweiten Teil der Arbeit werden mit Hilfe cyclovoltammetrischer Methoden die bei Permeationsmessungen in alkalischen Medien entstehenden Deckschichten und deren Einfluss auf die Wasserstoffabsorption und -diffusion näher untersucht. Abschließend wird die Möglichkeit einer Einbeziehung elektrochemischer Permeationsmessungen im Rahmen von bruchmechanischen Tests zur Bestimmung der Anfälligkeit von Stählen gegenüber Wasserstoffversprödung diskutiert. -3- 2 Grundlagen der Wasserstoffversprödung von Eisen und niedriglegierten Stählen 2.1 Begriff Wechselwirkungen zwischen den Metall- und Wasserstoffatomen können das mechanische Verhalten eines metallischen Werkstoffs beeinflussen. In Eisen und niedriglegierten Stählen kommt es auf Grund von gelöstem Wasserstoff in der Regel zu Versprödungserscheinungen [4]. Klassische Parameter zur Beschreibung von Duktilität wie Brucheinschnürung und Bruchdehnung nehmen durch das Einwirken von Wasserstoff ab. Die Wasserstoffversprödung wird als extern bezeichnet, wenn ein zunächst wasserstofffreies Metall in einem wasserstoffhaltigen oder -produzierenden Medium mechanisch belastet wird. Von einer internen Wasserstoffversprödung spricht man dagegen, wenn der schädigende Wasserstoff schon vor der Belastung im Metall vorhanden war, z.B. durch den Herstellungs- oder Verarbeitungsprozess. 2.2 Voraussetzungen für Wasserstoffversprödung Die ersten Fälle von Wasserstoffversprödung (engl. Hydrogen Induced Cracking, kurz HIC) traten Ende des 19. Jahrhunderts auf [5, 6]. Trotz intensiver Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet fehlt bisher eine allgemein gültige Theorie, die die vielfältigen, durch Wasserstoff bedingten Änderungen im mechanischen Werkstoffverhalten erklären kann [7, 8, 9, 10]. Die derzeit vorherrschende Meinung ist, dass die an unterschiedlichen Systemen Werkstoff/Umgebung beobachteten Schadensfälle auf unterschiedlichen Mechanismen beruhen [11]. Voraussetzung für das Auftreten von umgebungsbedingten Werkstoffschäden durch Wasserstoff ist ein Zusammenwirken Wasserstofftransport von zum Wasserstoffangebot, Ort der Wasserstoffeintritt Versprödung im Werkstoff (Absorption) und dem selbst. Falle der Im Spannungsrisskorrosion (engl. Stress Corrosion Cracking, kurz SCC) kommt als weitere Voraussetzung das Wirken einer mechanischen Kraft hinzu. Die Vielzahl der möglichen Kombinationen zwischen Werkstoff, mechanischer Beanspruchung und chemischer Einwirkung ist der Grund dafür, dass, obwohl in der Literatur umfangreiche Ergebnisse zum Problem der Spannungsrisskorrosion vorliegen, diese im Einzelfall meist nicht herangezogen werden können. Speziell an der Grenzschicht zu wässrigen Medien gibt es Schwierigkeiten bei der Untersuchung der verantwortlichen Reaktionen und deren Auswirkung auf die Entstehung und Absorption von -4Wasserstoff. So setzt sich beispielsweise künstliches Meerwasser, das häufig als Testmedium eingesetzt wird, aus mindestens zwölf verschiedenen Anionen und Kationen zusammen [12]. Berücksichtigt man ferner, dass metallische Werkstoffe fast ausschließlich aus Legierungen bestehen, so ergibt sich pro Kombination Werkstoff/Umgebung an der Grenzschicht eine Vielzahl von möglichen Deckschichtreaktionen, deren Produkte die unterschiedlichsten chemischen Eigenschaften besitzen können. Hinzu kommt bei rissbehafteten Bauteilen, dass Metalle meist mit einer schützenden Oxidschicht versehen sind, die, wenn sich der Riss verlängert, zerstört wird und dadurch die Metallauflösung fördert. Ein weiterer Effekt hierbei ist, dass durch eine mechanische Verformung frische Metalloberflächen entstehen, von denen man annimmt, dass sie die Überspannung der Wasserstoffabscheidung herabsetzen und so die Wasserstoffaufnahme begünstigen, wobei ferner berücksichtigt werden muss, dass sich die chemische Zusammensetzung des Korrosionsmediums (pHWert, Salzgehalt) in einem Riss oder Spalt von der außerhalb des Risses unterscheiden kann [13]. Bild 2.1: Schematische Darstellung einiger möglicher Einflussgrößen in einem Werkstoff/Medium-Paar -5auf die verschiedenen Phasen während wasserstoffinduzierter Rissausbreitung (HER = engl.: Hydrogen Evolution Reaction, HAR = engl.: Hydrogen Absorption Reaction) Bild 2.1 zeigt eine Zusammenstellung von Parametern in einem wasserstoffproduzierenden Werkstoff/Medium-System, deren Einfluss auf Teilschritte der Wasserstoffversprödung in Experimenten nachgewiesen werden konnte. Als mögliche Quellen für externen Wasserstoff in der Technik dienen neben gasförmigem Wasserstoff das Anlegen von Schutzpotentialen, das Schweißen unter Schutzgas, das Galvanisieren von Metalloberflächen oder das Reinigen in Säurebädern [14, 15, 16]. Insbesondere H2S-haltige Medien stellen eine Gefahr für die Lebensdauer von Bauteilen dar, da sie den Wasserstoffeintritt an der Grenzschicht zum Werkstoff stark erhöhen können [17, 18]. Die Wasserstoffaufnahme ist somit als Grenzschichtphänomen der einzige der drei oben genannten Teilschritte, der sowohl vom Medium als auch vom verwendeten Werkstoff abhängig ist. Letztlich entscheidet der Wasserstofftransport im Werkstoff, der in der Umgebung eines Risses in Folge der erhöhten lokalen Spannungen stark plastifiziert sein kann, ob ein Bauteil in einem vorgegebenen Zeitraum versagt. Der entscheidende Faktor beim Wasserstofftransport in Eisenwerkstoffen ist die Mikrostruktur. Sowohl die Diffusionsgeschwindigkeit, als auch die Löslichkeit des Wasserstoffs im Werkstoff hängt wesentlich von der Existenz sogenannter Wasserstofffallen (engl. = Hydrogen traps), wie z.B. Versetzungen, Korngrenzen, Leerstellen, Fremdatomen oder Mikrorissen ab, deren Zahl wiederum abhängig ist vom Spannungs- und Dehnungszustand, bzw. vom Verformungsmechanismus [19, 20]. 2.3 Wasserstoffaufnahme bei kathodischer Polarisation Bei Kontakt eines metallischen Gegenstandes mit Wasserstoff kann dieser unter bestimmten Voraussetzungen in das Metall eindringen. Der Eintritt kann dabei sowohl aus der Gasphase als auch durch eine elektrochemische Wasserstoffabscheidung an der Metalloberfläche erfolgen. Gasförmiger Wasserstoff (H2) wird bei Raumtemperatur nicht ohne weiteres von Eisen absorbiert, da die Energie für die Dissoziation (436.22 kJ/mol), nicht durch den Lösungsprozess kompensiert wird (endotherme Lösung) [21]. Das Vorliegen von atomarem Wasserstoff an der Grenzfläche zum Metall dagegen führt spontan zu einer nennenswerten Wasserstoffaufnahme von Eisen und Stählen [22]. Durch die Reduktion solvatisierter Protonen an einer kathodisch polarisierten Elektrodenoberfläche entsteht Wasserstoff gemäß folgender Gleichung: 2 H+ + 2 e– – 2 H2O + 2 e H2 (2.1a) – H2 + 2 OH (2.1b) -6- Im Korrosionsschutz ist diese Reaktion deshalb von Bedeutung, da durch das Anlegen eines elektrischen Potentials die elektrolytische Auflösung von Eisen und Stählen verhindert oder zumindestens verlangsamt werden kann. Überschreitet das angelegte Potential einen bestimmten Wert, kann die Reaktion (2.1a) bzw. (2.1b) ablaufen und es entsteht atomarer Wasserstoff. Bezüglich der Elektrodenkinetik (HER = engl., Hydrogen Evolution Reaction) werden in der Literatur zwei verschiedene Reaktionsmechanismen diskutiert, die als experimentell erwiesen gelten können [23]. 2.3.1 Volmer-Tafel-Mechanismus Beim Volmer-Tafel-Mechanismus findet in kathodischer Richtung zunächst der Übergang eines Elektrons vom Metall zum Elektrolyten statt, dem sich die Reaktion mit einem Proton anschließt. Es folgt die Rekombination zu gasförmigem Wasserstoff. H+ + e– + Fe Fe-Had (Volmer-Reaktion) (2.2) Fe-Had H2 (Tafel-Reaktion) (2.3) + Fe-Had + 2 Fe In alkalischer Lösung ist die Volmer-Reaktion nach H2O + e– + Fe Fe-Had + OH– (2.4) zu modifizieren. Der Wasserstoff in den Gleichungen (2.2) bzw. (2.4) ist jeweils chemisorbiert, d.h., es besteht eine kovalente Bindung zwischen dem Wasserstoff und den Eisenatomen an der Oberfläche. 2.3.2 Volmer-Heyrowsky-Mechanismus In diesem Fall schließt sich an die Volmer-Reaktion eine zuerst von Heyrowsky vorgeschlagene und nach ihm benannte Reaktion an, so dass die Reaktionsfolge H+ + e– + Fe Fe-Had H+ + Fe-Had + e– H2 + Fe (Heyrowsky-Reaktion) (2.5) abläuft. Die Heyrowsky-Reaktion besteht bei kathodischer Stromrichtung in der Entladung eines solvatisierten Protons an einem auf der Metalloberfläche bereits adsorbierten Wasserstoffatom unter Bildung von molekularem Wasserstoff, der hierauf desorbiert. In alkalischen Elektrolyten findet im Anschluß an die Volmer-Reaktion die Reduktion von Wassermolekülen statt. In diesem Fall lautet das Reaktionsschema: -7- H2O + Fe-Had + e– H2 + Fe + OH– (2.6) Welcher der beiden Abscheidungsmechanismen für Eisen und seine Legierungen in alkalischen Lösungen dominiert, ist nicht bekannt. Im Falle, dass ein Metall die Fähigkeit besitzt, Wasserstoff zu absorbieren (siehe Kap. 2.3.3), läuft die Wasserstoffentstehung und -aufnahme gleichzeitig ab, so dass die Messung der Absorbtionsgeschwindigkeit, z.B. bei Permeationsmessungen, Rückschlüsse über den Mechanismus der Wasserstoffentstehung zulässt. 2.3.3 Absorptionsmechanismus Wegen seiner geringen Größe besitzen Wasserstoffatome die Fähigkeit, sich in Metallen zu lösen. Ein von Bockris vorgeschlagenes Modell für die Absorption von Wasserstoff in Eisen basiert auf der Vorstellung, dass der durch die Volmer-Reaktion an der Oberfläche chemisorbierte Wasserstoff nicht rekombiniert, sondern in einem anschließenden Schritt von der Metalloberfläche absorbiert wird (engl. = Hydrogen Absorption Reaction, HAR) [16]. H+ + e– + Fe Fe-Had Fe-Had Hab + Fe (HAR) (2.7) Demzufolge kann die Absorption des an der Oberfläche chemisorbierten Wasserstoffs als Konkurrenzreaktion zur Tafel- bzw. Heyrowsky-Reaktion angesehen werden. Die Geschwindigkeit der Reaktion (2.7) ist proportional zum Bedeckungsgrad der Oberfläche mit atomarem Wasserstoff [24]. Ausgedrückt als Fluss ergibt sich für die Wasserstoffaufnahme die Beziehung J = k absθ H − k des C0 , (2.8) wobei θH den Bedeckungsgrad der Metalloberfläche, C0 die Wasserstoffkonzentration direkt unterhalb der Metalloberfläche, kabs und kdes die Geschwindigkeitskonstanten des Absorptions- bzw. Desorptionsschritts bedeuten. Im Vergleich zu anderen Metallen wie z.B. Palladium ergibt sich für Eisen infolge der schnellen Rekombinationsreaktion (Glg. 2.2 und 2.4) ein geringer Bedeckungsgrad (θH = 0.01), demzufolge nur ein geringer Teil des entstehenden Wasserstoffs auch vom Metall absorbiert wird. Mit sogenannten Promotoren wie z.B. H2S, HCN, As2O3, CO oder CO2 kann die Wasserstoffabsorption verbessert werden [3, 18, 25], indem die Rekombination des an der Oberfläche adsorbierten Wasserstoffs erschwert wird und so die Wahrscheinlichkeit, dass Reaktion (2.7) -8stattfinden kann, zunimmt [26]. Ein Nachteil der so erhöhten Wasserstoffkonzentration an der Eintrittseite ist insbesondere in niedriglegierten Stählen die Bildung von Mikrorissen im Metall, die die nachfolgende Diffusion durch die so zusätzlich erzeugten Fehlstellen negativ beeinflusst [27]. 2.3.4 Oberflächeneffekte an unbeschichteten Stahlmembranen Während des üblichen Korrosionsprozesses gehen Metalle unmittelbar nach der Oxidation unter Hydratation in Lösung. In bestimmten Fällen kann es jedoch zur Bildung schwerlöslicher Verbindungen des Metalls mit Bestandteilen des Elektrolyten kommen. Diese schwerlöslichen Verbindungen können unmittelbar auf der Metalloberfläche entstehen oder sich durch Konzentrationsfällung im Elektrolyten als Bodenkörper absetzen [28]. Elektrochemische Untersuchungen in den achziger Jahren befassten sich ausführlich mit der Bildung von Deckschichten bei der Passivierung von Eisen in stark alkalischen Medien [29, 30]. Sie ergaben, dass die Passivität von Eisen in alkalischen Medien im Wesentlichen auf der Unlöslichkeit eines Fe(II)-Oxid/Hydroxidfilms beruht, der die weitere Auflösung des unterhalb des Films liegenden Eisens weitgehend verhindert. Das folgende Schema zeigt die Reaktion von Eisen bei Kontakt mit alkalischen Elektrolyten. Je nach Sauerstoffgehalt bzw. elektrochemischem Potential geht das Eisen in den zweiwertigen bzw. dreiwertigen Zustand über: Fe2+ + 2 OH- Fe(OH)2 Fe3+ + 3 OH- FeOOH (2.9) + H2O (2.10) Ferner ergaben Messungen mit Hilfe der Laser-Reflexions-Technik, dass sich bei kathodischer Polarisation unterhalb eines bereits existierenden Fe(II)-Oxid/Hydroxidfilms ein neuer, hauptsächlich aus Fe(OH)2 bestehender Film bildet, der im Laufe der Zeit durch Alterung bzw. durch Oxidation Bestandteil des ursprünglichen Passivfilms wird, ohne dass die Deckschicht ihren porösen Charakter verliert. Lediglich durch die Zugabe von komplexierenden Zusätzen, wie z.B. EDTA, können derartige Passivschichten vollständig reduziert werden [31]. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass bei elektrochemischen Permeationsmessungen an Eisen bzw. Stahl in alkalischen Medien Oberflächeneffekte zu erwarten sind, da wie in Kap. 2.3.3 gezeigt, die Geschwindigkeit der Wasserstoffabsorption u.a. abhängig vom Bedeckungsgrad ist. Dies belegen Ergebnisse von Permeationsmessungen, wonach vor allem der Wasserstofffluss durch eine Eisenmembran vom angelegten Potential bzw. dem Passivierungszustand der zu beladenden Oberfläche abhängig ist [32]. So führte beispielsweise eine Passivierung von 15 Stunden bei freiem Korrosionspotential in NaOH zu einer Erhöhung der Wasserstoffabsorption. Ferner wurde bei -9Beladungen mit sehr hohen kathodischen Stromdichten (-1.6 V vs. SCE) ein plötzlicher Anstieg des Wasserstoffflusses beobachtet, nachdem dieser zunächst einen niedrigen, aber konstanten Betrag aufgewiesen hatte. In einem anderen Fall fanden Scully und Moran bei Permeationsmessungen an AISI 4340, dass 30 Sekunden in einer schwach alkalischen NaCl-Lösung ausreichten, um den Wasserstoffeintritt auf ein Zehntel des Wertes zu senken, der erreicht wurde, wenn die Beladung sofort nach dem Eintauchen in den Elektrolyten begonnen wurde [33]. Vorangegangen waren Zugversuche bei sehr niedrigen Dehnraten (Slow-Strain-Rate-Tests), in denen immer nur dann ein Verlust an Duktilität zu beobachten war, wenn die Proben während gleichzeitiger Wasserstoffbeladung zu Bruch gefahren wurden – unabhängig von der Beladungsdauer vor Durchführung der Tests. Sie schlossen daraus, dass durch die mechanische Zerstörung nicht näher charakterisierter Deckschichten aktive Metalloberflächen geschaffen werden, die die Absorption von Wasserstoff begünstigten. Grundsätzlich kann eine Entfernung dieser Filme zur Erhöhung des Wasserstoffeintritts und zur Reduzierung von Nebeneffekten auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: chemisch (konzentrierte, nichtoxidierende Säuren) elektrochemisch (kathodische Reduktion) mechanisch (Schleifen, Polieren, plastische Dehnung) Voraussetzung für die Durchführung von Wasserstoff-Permeationsmessungen sind konstante Konzentrationsverhältnisse an der Metalloberfläche über einen Zeitraum von mehreren Stunden oder Tagen. Eigene Untersuchungen zeigen, dass saure Elektrolyten für die Permeationsmessung an dem in dieser Arbeit verwendeten Stahl nicht geeignet sind. Auch Maßnahmen wie das Polieren bzw. Ätzen der Oberfläche vor einer Messung verhindern nicht die Bildung einer Passivschicht bei der nachträglichen Messung in alkalischen Elektrolyten [34]. -10- 2.4 Wasserstofftransport in Eisen und Stahl 2.4.1 Löslichkeit Der interstitiell gelöste Wasserstoff ist außerordentlich beweglich und lagert sich bis zum Erreichen der Sättigung auf Zwischengitterplätzen im Metallgitter ein [35]. In Übergangsmetallen gibt er dabei sein Elektron an das Gittergas ab und liegt als sog. abgeschirmtes Proton vor [36]. Die Konzentration der auf Zwischengitterplätzen eingelagerten Wasserstoffatome CL ergibt sich nach Oriani zu CL = θ L N L (2.11) mit θ L als dem Besetzungsgrad und als NL der Konzentration der Zwischengitterplätze [37]. Kubischraumzentriertes α-Eisen besitzt zwölf Tetrader- und sechs Oktaederlücken, von denen jeweils eine Sorte mit Wasserstoffatomen besetzt werden kann. Wenn davon ausgegangen wird, dass die Wasserstoffatome bei Raumtemperatur nur die Tetraederlücken einnehmen, beträgt NL in reinem αEisen 5.1 · 1029/m-3 [38]. In der Regel besitzen metallische Werkstoffe, z.B. auf Grund des Herstellungsprozesses, Fehler im Atomgitter. Dies können Leerstellen, Korngrenzen, oder Versetzungen sein, die durch lokale Verzerrungen des Atomgitters die vermehrte Einlagerung von Wasserstoff im Metall fördern, weshalb sie auch als Wasserstofffallen bezeichnet werden [39, 40, 41]. Nach Oriani ergibt sich die Wasserstoffkonzentration in den Fallen zu CT = θ T N T , (2.12) wobei θ T den Besetzungsgrad der Fallen und NT die Fallendichte darstellen. Aus theoretischen Überlegungen weiß man, dass die Wasserstoffatome im Gitter und in den Fallen in einem chemischen Gleichgewicht stehen, wobei das Gleichgewicht wegen der z.T. sehr hohen Bindungsenergie zwischen Wasserstoffatomen und Gitterfehlstellen stark auf Seiten der Fallen liegt. -11- 2.4.2 Diffusivität Der in der Literatur angegebene Wert für den Diffusionskoeffizienten der Gitterdiffusion in reinem αEisen variiert je nach Untersuchungsmethode und Reinheitsgrad [42, 43]. Legierungselemente wie Ni, Mn, Co und Cr vermindern den Diffusionskoeffizienten von Wasserstoff in α -Eisen [44]. Auch Nichtmetalle wie Schwefel und Silizium zeigen eine ähnliche diffusionshemmende Wirkung [45]. Kesten führt die Abhnahme der Wasserstoffdiffusion in α -Eisen auf die Wechselwirkungen von Legierungselementen mit den Wasserstoffatomen zurück [46]. So ist z.B. die Bindungsenergie an Spannungsfeldern von Fremdatomen 3- bis 4-mal höher als die interstitielle Lösung im Gitter. Neueste Untersuchungen bestimmen die Diffusionskonstante der reinen Gitterdiffusion DL in α-Eisen bei Raumtemperatur zu 7.5 · 10-5 cm²/s [47]. In Stählen wird die Diffusion in erster Linie durch die mikrostrukturellen Eigenschaften bestimmt [48]. Stähle mit martensitischem Gefüge besitzen eine stark inhomogene Mikrostruktur mit einer Vielzahl von möglichen Haftstellen für internen Wasserstoff und weisen deshalb im Vergleich zu ferritischen oder bainitischen Gefügen eine geringe Wasserstoffdurchlässigkeit auf. Messungen der Diffusionskonstante in Abhängigkeit von der Mikrostruktur zeigen eine Abnahme der effektiven Diffusion mit steigendem Kohlenstoffgehalt [49]. Bei einem relativ niedrigen Kohlenstoffgehalt von 0.23 wt.% wird der Diffusionskoeffizient bei 298 K mit lediglich 4.24 · 10-7 cm²/s angegeben. Auch eine plastische Verformung kann durch die Bildung von zusätzlichen Versetzungen zu einer Abnahme der effektiven Diffusionsgeschwindigkeit führen [50, 51]. Das damit verbundene Problem des Wasserstofftransports vor der Rissspitze wurde von Sofronis und McMeeking numerisch untersucht [52]. Sie kombinierten Orianis Gleichgewichtstheorie über die Wasserstoffverteilung mit FEM-Rechnungen des elastisch-plastischen Verformungsprozesses vor der Rissspitze. Sie konnten zeigen, dass sich im Zuge der Verformung große Mengen von Wasserstoff in der plastischen Zone vor der Rissspitze sammeln. Ausschlaggebend für diese Erhöhung ist die Zunahme der Wasserstofffallen um mehr als das 200fache. Gleichzeitig sinkt der effektive Diffusionskoeffizient auf 60 % des Ausgangswertes, d.h. bei reiner Gitterdiffusion. Die Erhöhung der Wasserstoffkonzentration auf Grund der hydrostatischen Spannungen ist vergleichsweise gering, was bedeutet, dass nicht die hydrostatische Spannung, sondern in erster Linie die plastische Dehnung über die Konzentrationsverteilung im Wasserstoff entscheidet. Kennt man den Zusammenhang zwischen plastischer Verformung und Fallendichte, lassen sich Konzentrationsprofile vor der Rissspitze erstellen. Aus den Ergebnissen folgt, dass die höchste Wasserstoffkonzentration unmittelbar vor der Rissspitze erzeugt wird. Der Konzentrationsgradient ist um so steiler, je größer der durch die Dehnung verursachte Anstieg in der Fallendichte ist. -12Passivschichten sind für atomaren Wasserstoff zwar durchlässig, stellen in der Regel aber ein Hindernis für die Permeation dar [53, 54]. Schomberg und Grabke untersuchten die Wasserstoffpermeation durch genau definierte Oxidschichten der Art Fe1-xO (0.06 < x < 0.11), wobei sich die Oxidschichten jeweils auf der Austrittsseite einer 1 mm Eisenmembran befanden [55]. Sie fanden heraus, dass der Diffusionskoeffizient für Wasserstoff in diesen Schichten 4 · 10-10 cm²/s beträgt. Dies bedeutet zum einen eine erheblichen Reduzierung der Wasserstoffaufnahme auf Grund einer Verschiebung des Gleichgewichts in Gleichung 2.7 zu Gunsten der Rekombination, zum anderen eine Verminderung des effektiven Diffusionskoeffizienten beim Durchtritt von Wasserstoff durch metallische Werkstoffe. Die Abhängigkeit der effektiven Diffusion vom Detektionspotential lässt dabei vermuten, dass der Wasserstoff in der Oxidschicht wie auch im Metall als Proton vorliegt [56]. 2.5 Mechanismen der Wasserstoffversprödung Die Vielzahl der durch Wasserstoff hervorgerufenen Effekte hat zur Entwicklung sehr unterschiedlicher Modellvorstellungen geführt, in denen die bereits diskutierten Wasserstofffallen eine mehr oder weniger zentrale Rolle spielen. Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über die für Eisen und Stahl wichtigsten Modelle: 1) Drucktheorie Dieses auf Zappfe und Sims zurückgehende Modell nimmt an, dass Wasserstoff in inneren Poren und Mikrorissen rekombiniert und dadurch örtlich sehr hohe interne Spannungen hervorruft [57]. Zusammen mit den von der äußeren Belastung und den Gitterfehlern herrührenden Spannungen können diese Spannungen die Bindungskräfte benachbarter Atome erreichen und so die Rissbildung begünstigen. Das Modell erklärt z.B. die Bildung von Beizblasen (blistering) an Weicheisen in Umgebungsmedien mit extrem hoher Wasserstoffaktivität. 2) Adsorptionstheorie Nach dem Griffith-Modell ist für ideal spröde Werkstoffe die Bruchspannung proportional zur Wurzel aus der Oberflächenenergie. Demnach kann aus rein thermodynamischen Überlegungen Wasserstoff durch Reduzierung der Oberflächenenergie rissbeschleunigend wirken. [58]. Gegen die Adsorptionstheorie lassen sich zahlreiche Argumente vorbringen. Wichtig erscheint vor allem, dass Gase mit größeren Adsorptionswärmen (z.B. Sauerstoff) weniger stark rissbeschleunigend wirken als Wasserstoff und teilweise den Wasserstoffeffekt komplett unterdrücken [59]. 3) Dekohäsionstheorie In diesem Modell schwächt gelöster Wasserstoff die Me-Me Bindung und erhöht so die Neigung zu Spalt- und Korngrenzenbrüchen. Dieses erstmals von Troiano vorgeschlagene Konzept ist vor allem -13für hochfeste Stähle anwendbar, da hier hohe lokale Spanungen an der Rissspitze vorliegen [60]. Die hohen Spannungen ermöglichen zudem eine merkliche Wasserstoffanreicherung im elastisch verzerrten Gitter (Gorsky Effekt). Dieses Modell erlaubt die Korrelation der kritischen Spannungsintensität bei Umgebungseinfluss KISCC (vgl. Kap. 2.6) mit der Wasserstoffkonzentration im Werkstoff [61]. Numerische Simulationen ergaben in Übereinstimmung mit den Grundvorstellungen der Dekohäsionstheorie eine Reduzierung der Bruchspannung [62]. Allerdings fehlen bislang experimentelle Beweise für eine tatsächliche Schwächung der Me-Me durch interstitiell gelösten Wasserstoff [63]. 4) Wasserstoffinduzierte Entfestigung Nach Vorstellungen, die auf Beachem zurückgehen, erleichtert Wasserstoff die Versetzungsbeweglichkeit und trägt über eine Reduzierung der Streckgrenze direkt zum Rissfortschritt bei [64]. Durch Wasserstoff hervorgerufene Entfestigungsvorgänge wurden experimentell sowohl für Ein- als auch für Vielkristalle bestätigt [65]. Der Einfluss des Wasserstoffs auf die Versetzungsbeweglichkeit wurde vor allem durch TEM-Untersuchungen an unterschiedlichen Metallen belegt [66, 67]. Festzuhalten bleibt, dass keines der oben genannten Modelle die Vielzahl der in der Literatur vorliegenden Ergebnisse erklären kann. Vielmehr liegt je nach untersuchtem System eine Kombination mehrerer Mechanismen vor, bei dem ein oder mehrer Mechanismen überwiegen. 2.6 Bruchmechanische Grundlagen und Bezeichnungen Die durch Wasserstoff ausgelösten Änderungen der mechanischen Eigenschaften können bei makroskopischer Betrachtungsweise als Sonderfall der Spannungsrisskorrosion angesehen werden. Unter Spannungsrisskorrosion wird allgemein das Zusammenwirken eines für einen gegebenen Werkstoff spezifisch wirkenden Korrosionsmediums und einer (statischen oder zeitlich zunehmenden) Zugspannung verstanden (DIN 50 922). Bei dieser Definition ist es unerheblich, ob die Rissbildung und -ausbreitung unter dem Einfluss einer von der Werkstückoberfläche ausgehenden, zu anodischer Metallauflösung führenden elektrochemischen Reaktion des Werkstoffs mit einzelnen Komponenten der Umgebung erfolgt, oder ob die Schädigung als Folge der Aufnahme von Bestandteilen aus der korrosiven Umgebung, insbesondere von Wasserstoff, eintritt. -14Das Versagen eines Bauteils infolge Spannungsrisskorrosion lässt sich in drei nacheinander ablaufende Phasen unterteilen: die Inkubationsphase, in der es zur Bildung von Risskeimen kommt, die Rissausbreitungsphase, in der, ausgehend von einem Risskeim, sich der Riss durch unterkritisches Wachstum verlängert, und der abschließende Gewaltbruch, der letztendlich zum Bauteilversagen führt. Der Einfluss der korrosiven Umgebung erstreckt sich auf die beiden ersten Phasen, d. h. die Risskeimbildung und die Rissausbreitung, während die Mechanismen des abschließenden Gewaltbruches, unabhängig von der jeweiligen Umgebung, allein durch die mechanische Belastung bestimmt werden. Bei der bruchmechanischen Betrachtungsweise der Spannungsrisskorrosion, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, wird die Phase der Risskeimbildung durch die Annahme, dass in realen Bauteilen bereits wachstumsfähige Anrisse existieren, außer Betracht gelassen. In der Praxis kann diese Inkubationphase jedoch den größten Teil der Lebensdauer eines Bauteils ausmachen, sofern dieses zunächst tatsächlich absolut rissfrei ist. Mit Hilfe der Bruchmechanik kann das Wachstum derartiger Anrisse unter Last beschrieben werden. Das elastische Spannungs- und Dehnungsfeld in der Umgebung der Rissspitze lässt sich gemäß Irwin durch eine Schar Dehnungskomponenten von Gleichungen dieses charakterisieren, Feldes in in eindeutiger denen Weise die von Spannungseinem und einzigen Beanspruchungsparameter, dem Spannungsintensitätsfaktor K, abhängen [68, 69, 70, 71]. Diese einparametrige Beschreibung des Spannungsfeldes durch den linear elastischen Spannungsintensitätsfaktor K gilt, obwohl in der Umgebung der Rissspitze ein Bereich plastischer Verformung existiert. Sie hat jedoch nur so lange Gültigkeit, wie die plastische Zone klein gegenüber den übrigen Abmessungen der Probe bzw. des Bauteils bleibt; nur dann ist ihr Verhalten und damit das des Risses durch das Verhalten der elastischen Umgebung bestimmt. Die Beschreibungsmöglichkeit durch K ist unabhängig von der Proben-, Riss- und Belastungskonfiguration, während der Wert des Spannungsintensitätsfaktors von der äußeren Belastung und von der Geometrie der Probe oder des Bauteils abhängt [72]: K = σ ⋅ πa ⋅ Y (a/W) (2.13) mit σ als Spannung, a als Risslänge und Y(a/W) als dimensionsloser Korrekturfunktion, die den Einfluss der Geometrie und der Risskonfiguration beschreibt. -15Für die meisten der in der Bruchmechanik untersuchten Probenformen sind die Spannungsintensitätsfaktoren bzw. die Korrekturfunktionen Y in der Literatur angegeben [73]. Für die in dieser Arbeit verwendeten Kompakt- oder C(T)-Proben gilt: Y (a/W)= 0.866 · 4.64(a/W)-13.32 (a/W)2+14.72(a/W)3-5.6(a/W)4 (2.14) Der Spannungsintensitätsfaktor K ermöglicht es, den Beginn des Risswachstums durch einen kritischen Wert, die Risszähigkeit KIc, zu kennzeichnen. Bei der Rissausbreitung in Luft ist dieser Wert unter bestimmten Voraussetzungen, die das Vorliegen linear elastischen Bruchverhaltens sicherstellen sollen, ein Werkstoffkennwert, d.h. er ist unabhängig von der Probengeometrie und den Abmessungen. In korrosiver Umgebung wird das Verhalten eines Risses zeitabhängig. Die Anwendung bruchmechanischer Methoden bei der Untersuchung der Spannungsrisskorrosion ermöglicht es, die Kinetik des umgebungsbedingten Risswachstums mit dem Spannungsintensitätsfaktor zu verknüpfen [74]. In Bild 2.2 ist der Zusammenhang zwischen der Rissgeschwindigkeit da/dt und dem Spannungsintensitätsfaktor K in der gebräuchlichen Form, als log(da/dt)-K-Diagramm, schematisch wiedergegeben [75]. Bild 2.2: Zusammenhang zwischen Rissgeschwindigkeit da/dt und dem Spannungsintensitätsfaktor K bei Vorliegen von Spannungsrisskorrosion (schematisch) -16In diesem Diagramm ist ein unterer Grenzwert KISCC angedeutet, der dadurch definiert ist, dass unterhalb dieses Wertes kein umgebungsgestütztes Risswachstum auftritt. Ist ein solcher Grenzwert nicht eindeutig feststellbar, so behilft man sich, indem derjenige K-Wert als KISCC angenommen wird, bei dem das Risswachstum nicht mehr als 10-9 m/s beträgt. Wie in Bild 2.2 angedeutet, lassen sich beim umgebungsbedingten Risswachstum drei Bereiche unterscheiden, die nach dem Überschreiten von KISCC sukzessive durchlaufen werden: I Im Bereich I, bei niedrigen K-Werten, besteht ein weitgehend linearer Zusammenhang zwischen dem Risswachstum und der Spannungsintensität, geringfügige Änderungen der Spannungsintensität sind mit großen Änderungen der Rissgeschwindigkeit verbunden. II Zu höheren K-Werten hin schließt sich häufig ein Plateau, der Bereich II, an, innerhalb dessen die Rissgeschwindigkeit unabhängig von der Spannungsintensität ist; die Höhe des Plateaus wird in erster Linie durch Transportvorgänge bestimmt, die in Zusammenhang mit den Mechanismen der umgebungsbedingten Rissausbreitung stehen. III Mit weiter zunehmender Spannungsintensität steigt die Rissgeschwindigkeit erneut rasch an; bei KIc ist schließlich die kritische Spannungsintensität oder Risszähigkeit des Werkstoffs erreicht, bei der auch in inerter Umgebung Rissausbreitung allein aufgrund der mechanischen Beanspruchung einsetzen würde. Die Bereiche I bis III kennzeichnen das Gebiet der so genannten unterkritischen Rissausbreitung, in dem eine Rissverlängerung unterhalb der kritischen Spannungsintensität KIc erfolgt. Die Rissausbreitung ist stabil, d.h. sie kann jederzeit durch eine Unterbrechung der mechanischen Belastung zum Stillstand gebracht werden. Da das Risswachstum unterhalb von KIc stattfindet, kann es aber auch allein dadurch unterbrochen werden, dass das korrosive Medium durch ein inertes ersetzt wird. Um für ein aus Werkstoff und korrosiver Umgebung bestehendes Korrosionssystem das in Bild 2.2 dargestellte Diagramm zu ermitteln, werden Proben benutzt, die nach dem Einbringen einer Starterkerbe oder eines scharfen Anrisses im interessierenden Medium mechanisch belastet werden. Zumeist erfolgt dies dadurch, dass die Proben durch einen Keil oder über Schraubenbolzen auf einen konstanten Betrag aufgeweitet werden, der einem Spannungsintensitätswert Ki oberhalb des erwarteten KISCC-Wertes entspricht. Der Riss läuft dann in ein Feld abnehmender Spannungsintensität hinein, und der gesuchte KISCC-Wert ergibt sich aus der Risslänge, bei der der Riss zum Stehen kommt, bzw. bei der seine Ausbreitungs-geschwindigkeit die willkürlich festgelegte Grenze von 10-9 m/s -17unterschreitet. Alternativ dazu wird in jüngerer Zeit immer häufiger ein beschleunigtes Verfahren zur Ermittlung von KISCC eingesetzt, das auf den zuerst von McIntyre und Priest vorgeschlagenen sogenannten Rising Load KISCC-Test zurückgeht [76]. Bei dieser Prüfmethode wird anstelle einer zeitlich konstanten Last ähnlich wie beim Bruchmechanik-Versuch an Luft, mit dem die Risszähigkeit KIc ermittelt wird, die Belastung Spannungsrisskorrosionsprüfung kontinuierlich benutzten erhöht. Abzugsraten Allerdings wesentlich sind niedriger die bei als der beim Bruchmechanik-Versuch. Für die meisten Korrosionssysteme liegen sie in der Größenordnung von wenigen µm/h, gemessen in der Lastlinie der Proben, oder noch darunter. Diese Versuchstechnik eignet sich insbesondere dazu, die zeitabhängigen Vorgänge an der Rissspitze zu analysieren, die zur Spannungsrisskorrosion führen. Dabei werden in der Regel Parameter und Formalismen der elastisch-plastischen oder Fließbruchmechanik benutzt. Als besonders geeignet hat sich dabei die Rissspitzenverschiebung δ erwiesen, die auch als CTOD (crack tip opening displacement) bezeichnet wird und sich auf den Bereich in der unmittelbaren Umgebung der Rissspitze bezieht. Die in diesem Bereich auftretenden plastischen Dehnungen kontrollieren gemäß Wells, auf den das CTOD-Konzept zurückgeht, das Rissgeschehen [77]. Die kritische Rissspitzenverschiebung δc, bei der das stabile Risswachstum einsetzt, kann dabei ebenso als Materialkenngröße angesehen werden wie KIc. Das CTOD kann entweder mit einem speziellen Wegaufnehmer direkt gemessen werden ("δ5Methode"), oder es wird aus einer weit von der Rissspitze entfernt gemessenen Verschiebung, beispielsweise in der Lastlinie der Probe, extrapoliert [78]. Es hat sich dabei gezeigt, dass zwischen den so gemessenen δ5-Werten und den berechneten Werten eine gute Übereinstimmung besteht. Auch in korrosiver Umgebung können sog. Risswiderstandskurven ("R-Kurven") aufgenommen werden, die den Zusammenhang zwischen dem Rissfeldparameter CTOD und der Rissverlängerung zeigen und die dabei den Einfluss des korrosiven Mediums auf das Rissausbreitungsgeschehen wiedergeben. -18- 2.7 Dehnratenabhängigkeit von CTOD-R-Kurven unter Wasserstoffbeladung Allen Modellen zur Beschreibung des Einflusses von Wasserstoff auf das Risswiderstandsverhalten, mit Ausnahme des Adsorptionsmodells, ist die Vorstellung gemeinsam, dass dem letztlich zur Rissbildung bzw. -ausbreitung führenden Schritt eine Phase des Wasserstofftransports im Werkstoff vorausgehen muss. Nimmt man an, dass innerhalb der plastischen Zone, wie schon im unverformten Material Diffusionsvorgänge dominieren, so ergibt sich aus der Zeitabhängigkeit der Diffusion eine Abhängigkeit der Rissgeschwindigkeit (und der kritischen Spannungsintensität KISCC) von der applizierten Dehnrate. Diese Annahme wird durch zahlreiche Untersuchungen bestätigt. Dietzel und Pfuff berichten von einem deutlichen Dehnrateneffekt bei Risswiderstandsmessungen an zügig belasteten C(T)-Proben des niedrig-legierten Feinkornbaustahls FeE 690T, der während der mechanischen Beanspruchung kathodisch mit Wasserstoff beladen wurde [79]. Je niedriger bei diesen Versuchen die Abzugsrate, d.h. die der Probe aufgeprägte Verformungsgeschwindigkeit gewählt wurde, desto geringer war auch der ermittelte Wert des Spannungsintensitätsfaktors bei dem eine Rissinitiierung gemessen wurde. Als weitere Folge der Wasserstoffbeladung nahmen zugleich, wie aus Bild 2.3 ersichtlich, die mit dem CTOD gemessenen Risswiderstandskurven einen zunehmend flacheren Verlauf. Bei jeweils konstant gehaltener Verformungsgeschwindigkeit stellte sich in jedem der Versuche nach einer kurzen, sich an die Rissinitiierung anschließenden Übergangsphase eine allein von der Abzugsrate abhängige konstante Rissgeschwindigkeit ein. -19- Bild 2.3: Einfluss der Abzugsrate auf die CTOD-R-Kurve an Luft und in synthetischem Meerwasser unter Wasserstoffbeladung [77] Diese Beobachtungen dienten den Autoren als Grundlage für ein Modell, das den Einfluss des Wasserstoffs auf die Rissgeschwindigkeit als Überlagerung zweier Versagensmechanismen beschreibt. Je nach Wasserstoffkonzentration innerhalb eines als Prozesszone bezeichneten Teils der plastischen Zone (vgl. Abb 2.4) dominiert nach diesem Modell entweder duktiles Versagen aufgrund der mechanischen Beanspruchung oder wasserstoffinduzierter Rissfortschritt. Die Wasserstoff- konzentration ist dabei eine Funktion der Rissgeschwindigkeit, wenn gemäß der Modellvorstellung der Wasserstoff je nach Abzugsrate und damit nach der lokalen Dehnrate dem fortschreitenden Riss entweder vorauseilt oder hinter der wandernden Rissfront zurückbleibt. -20- Bild 2.4: Definition der Prozesszone vor einem Riss [77] Durch Anpassung des Verhältnisses zwischen dem Durchmesser der Prozeßzone r und des effektiven Diffusionskoeffizienten Deff an die experimentell gefundenen Werte wurden drei Szenarien für das wasserstoffinduzierte Risswachstum im Stahl FeE 690T entworfen: Bei hohen Abzugsraten geht die Wasserstoffkonzentration in der Prozesszone gegen Null, dementsprechend wird hauptsächlich duktiles Werkstoffversagen beobachtet. Für sehr kleine Abzugsraten erreicht das Wasserstoffangebot vor dem Riss einen allein durch die Wasserstofflöslichkeit und den Diffusionskoeffizienten bestimmten Wert und sprödes Versagen dominiert. Im Falle der mittleren Dehnraten ergibt sich für die Wasserstoffkonzentration in erster Näherung die Beziehung nH = C0 Deff a , (2.15) wobei C0 die maximale Löslichkeit im Werkstoff, Deff den effektiven Diffusionskoeffizienten und a die Rissgeschwindigkeit darstellt. Hieraus folgt, dass die Wasserstoffkonzentration vor der Rissspitze mit abnehmender Riss- bzw. Verformungsgeschwindigkeit zunehmen muss. In diesem Fall konkurrieren die beiden Versagensmechanismen, wie die fraktografische Auswertung der Bruchflächen zeigte [73]. -21- 3 Aufgabenstellung Ein Problem bei der Beurteilung von bruchmechanischen Tests unter Wasserstoffbeladung ist die Dehnratenabhängigkeit der ermittelten Kennwerte, wobei der schädigende Einfluss des Wasserstoffs mit sinkender Dehnrate zunimmt. Wie die Arbeit von Dietzel und Pfuff zeigt, kann dieses Verhalten mit der Diffusionsgeschwindigkeit des Wasserstoffs in der plastischen Zone vor einem Riss erklärt werden. Offen blieb bei diesen letztgenannten Untersuchungen die Frage nach der Größe der sogenannten Prozesszone und dem Wert des Diffusionskoeffizienten in diesem Bereich. Würde man für die Diffusionskonstanten Werte annehmen, wie sie in der Literatur für niedriglegierte Stähle angegebenen werden, i.e. 5 ·10-7 < Deff < 5 ·10-6 cm²/s, so ergäben sich für die Größe der Prozesszone relativ hohe Werte, die im Bereich von mehreren Millimetern liegen. Ein solcher Wert erscheint viel zu hoch. Daraus lässt sich für vorliegende Arbeit folgende Fragestellung ableiten: Wie groß ist der effektive Diffusionskoeffizient Deff im Stahl FeE 690T bei Raumtemperatur, und gibt es einen mathematischen Zusammenhang zwischen der Diffusionsgeschwindigkeit und der plastischen Verformung εpl ? Kann, bei bekanntem Zusammenhang zwischen Deff und εpl, eine kritische Dehnrate und damit eine kritische Abzugsrate abgeleitet werden, mit der die beschriebenen Versuche mit konstant zunehmender Belastung durchgeführt werden müssen, um den tatsächlichen, aus der Wasserstoffversprödung resultierenden KISCC-Wert des Werkstoffs zu ermitteln ? In Bezug auf die Anwendbarkeit dieser Prüfprozedur zur Ermittlung der Anfälligkeit eines Werkstoffes gegenüber Spannungsrisskorrosion interessierte weiterhin die Frage, ob anstelle einer insitu Beladung eine vorgezogene Beladung der Probe mit Wasserstoff zulässig ist, um auf diese Weise den experimentellen Aufwand erheblich zu reduzieren. In diesem Falle könnten mehrere Proben gleichzeitig mit Wasserstoff beladen und im Anschluß daran in einem beschleunigten Prüfverfahren getestet werden. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob es bei längerer Beladungszeit, wie sie zum Beispiel bei mit extrem niedrigen Abzugsraten durchgeführten Versuchen gegeben ist, zu einer verminderten Wasserstoffabsorption an der Metalloberfläche kommt. Diese Vermutung liegt deshalb nahe, weil Eisen in den häufig für eine elektrochemische Beladung mit Wasserstoff verwendeten alkalischen Elektrolyten zur Deckschichtbildung neigt. -22- 4 Eingesetzte Methoden 4.1 Experimentelle Techniken Eine Möglichkeit zur experimentellen Bestimmung von Diffusionskoeffizienten in Metallen basiert auf der elektrochemischen Diffusionsmessung. Der Einsatz der Elektrochemie bei der Untersuchung des Wasserstofftransports in Metallen bietet den Vorteil, dass die Randbedingungen schneller, flexibler und genauer eingestellt werden können als bei gasvolumetrischen Messungen. Eine genauere Betrachtung der beteiligten Reaktionen (vgl. Kap. 2.3.4) offenbart indessen, dass die Prozesse im Detail sehr kompliziert sind und sich hieraus Probleme für die Messmethodik ergeben können. 4.1.1 Elektrochemische Diffusionsmessungen Bei der ursprünglich von Devanathan und Stachursky entwickelten Methode wird an der Eintrittseite einer beidseitig polarisierten Metallmembran Wasserstoff erzeugt, der je nach Werkstoff zu einem Teil molekular als Gas entweicht [25]. Der andere Teil wird an der Grenzfläche absorbiert und diffundiert in Folge des Konzentrationsunterschieds in das Metallinnere. In einem zweiten Stromkreis wird die Membran auf der gegenüberliegenden Seite dergestalt polarisiert, dass der durch das Metall diffundierte Wasserstoff unmittelbar beim Austritt oxidiert wird (Had → H+ + e-). Diese Reaktion erzeugt einen elektrischen Strom, der als Funktion der Zeit die Berechnung des Diffusionskoeffizienten von Wasserstoff in dem zu untersuchenden Metall ermöglicht. Bild 4.1 zeigt das sich nach einer endlichen Zeit ausbildende Konzentrationsprofil für Wasserstoff in einer einseitig beladenen Metallmembran. Mit Beginn der elektrochemischen Beladung wird an der Eintrittseite (an der Stelle x = 0) mit Hilfe eines Potentiostaten eine konstante Wasserstoffkonzentration C0 eingestellt. Demgegenüber ist die Wasserstoffkonzentration an der Austrittseite (an der Stelle x = L) während der gesamten Versuchsdauer gleich Null. Mit Beginn der kathodischen Beladung diffundieren die Wasserstoffatome von der Oberfläche der Eintrittseite in das Innere der Membran, und es bildet sich nach einiger Zeit ein über die Strecke L konstanter Konzentrationsgradient. -23- Bild 4.1: Konzentrationsprofil innerhalb einer Metallmembran während einer Permeationsmessung bei t = ∞ -24- 4.1.2 Werkstoff Bei dem untersuchten Werkstoff handelt es sich um einen höherfesten, niedriglegierten Baustahl mit der Bezeichnung FeE 690T (Werkstoffnummer 1.8964), der auch unter der Hersteller-kennzeichnung N-A-XTRA 70 bekannt ist. Er besitzt eine gute Schweißbarkeit und wird bevorzugt für Druckbehälter, im Brücken- und Tragwerkbau und als Konstruktionswerkstoff für Erdölplattformen eingesetzt [80]. Speziell in salzhaltigen Spannungsrisskorrosion, Medien die, wie zeigt dieser verschiedene Werkstoff eine Untersuchungen Anfälligkeit zeigen, durch gegenüber externe Wasserstoffversprödung ausgelöst wird und somit den Einsatz dieses Werkstoffs im Offshore-Bereich stark einschränkt [65, 81]. Die chemische Zusammensetzung und die mechanisch-technologischen Kennwerte des FeE 690T sind in den Tabellen 4.1 und 4.2 aufgeführt. Tabelle 4.1: Chemische Zusammensetzung des FeE 690T (N-A-XTRA 70) [82] Element C Si Mn P S Cr Mo Gewichts-% 0.18 0.67 1.02 0.009 0.003 0.85 0.48 Tabelle 4.2: Mechanische Kennwerte des FeE 690T (N-A-XTRA 70) [83] Rp0.2 [MPa] Rm [MPa] A5 [%] 735 840 21 Bild 4.3 und 4.4 zeigen die Mikrostruktur nach Ätzung der polierten Probenoberfläche mit einer 2%igen NITAL-Lösung (HNO3 in Ethanol) in 80facher Vergrößerung. Die mikroskopischen Untersuchungen lassen ein ausgeprägtes Martensitgefüge mit unregelmäßigen, ca. 2 µm großen Einschlüssen erkennen. Die Korngröße beträgt etwa 45 bis 50 µm in allen drei Raumrichtungen. -25- Bild 4.3: Lichtmikroskopaufnahme FeE 690T (500fache Vergrößerung, 2% Nital) Bild 4.4: REM-Aufnahme von FeE 690T (2000fache Vergrößerung, 2% Nital) -26- 4.1.3 Probenfertigung Zur Messung der Wasserstoffdiffusion in Abhängigkeit des Verformungsgrades wurde der Werkstoff vorverformt. Dabei wurden je nach Ausmaß der gewünschten plastischen Verformung verschiedene Probengeometrien verwendet. εpl = 0 % Bleche (unverformt) εpl < 7 % Flachzugproben (gedehnt) εpl = 10 - 60 % Bleche (gewalzt) εpl > 60 % C(T)-Proben (gekerbt) 4.1.3.1 Bleche Aus einer 2000 x 1000 x 50 mm großen Stahlplatte wurden in Walzrichtung funkenerosiv mehrere dünne Blechstreifen (250 x 30 x 3) geschnitten. Anschließend wurden die Streifen in mehreren Durchgängen ohne Wärmebehandlung auf die gewünschte Dicke gewalzt. Die Berechnung der plastischen Verformung erfolgte dabei nach der Gleichung ε pl = d0 − d ⋅100 [%] , d0 (4.1) wobei d0 die Membranstärke vor dem Walzen und d die Dicke nach dem Walzen darstellt. Die Messung der Membranstärke erfolgte an elf Punkten in Längsrichtung in der Probenmitte in Abständen von 2.5 cm (Bild 4.5). Die gemittelten Werte und die daraus berechnete Verformung für die einzelnen Streifen finden sich in Tabelle 4.3, wobei eine Messgenauigkeit von ± 0.01 mm angenommen wurde. Nach dem beidseitigen Abfräsen auf eine einheitliche Stärke von 1.10 mm wurden aus den Streifen bis zu vier quadratische Membranen mit einer Kantenlänge von 30 mm ausgesägt, die manuell auf eine Stärke von ca. 1 mm geschliffen wurden. Nach dem letzten Schleifgang (#1200 SiC) wurden die Proben beidseitig mit Diamantpaste (1 µm) poliert und fünf Minuten in einem mit Ethanol gefüllten Ultraschallbad entfettet. -27- Bild 4.5: Lage der Messpunkte zur Bestimmung der plastischen Verformung εpl (WR: Walzrichtung) Tabelle 4.3: Vergleich der Soll- und Ist-Werte der Kaltverformung d0 ε pl soll d soll d ist ε pl ist [mm] [%] [mm] [mm] [%] 1 3.03 10.0 2.73 2.75 9.2 ± 0.6 2 3.02 10.0 2.72 2.71 10.3 ± 0.6 3 3.04 20.0 2.43 2.40 21.0 ± 0.7 4 3.05 20.0 2.44 2.45 19.7 ± 0.7 5 3.03 30.0 2.12 2.10 30.7 ± 0.8 6 3.05 30.0 2.14 2.15 29.5 ± 0.8 7 3.04 40.0 1.82 1.80 40.8 ± 0.9 8 3.03 40.0 1.82 1.81 40.3 ± 0.9 9 3.02 50.0 1.51 1.48 51.0 ± 1.0 10 3.04 50.0 1.52 1.50 50.3 ± 1.0 11 3.03 60.0 1.21 1.20 60.4 ± 1.2 12 3.05 60.0 1.22 1.20 60.7 ± 1.2 Probe -28- 4.1.3.2 Flachzugproben Für Dehnungen bis 7% wurden aus den in Bild 4.5 dargestellten Metallstreifen Flachzugproben mit einer Dicke von 1.18 mm hergestellt (Bild 4.6). Bild 4.6: Flachzugprobe mit skizzierter Permeationsfläche (Angaben in mm) Die Zugproben wurden mittels einer spindelgetriebenen Zugprüfmaschine von 100 kN Prüfkraft auf den gewünschten Verformungsgrad gedehnt. Die Berechnung von εpl erfolgte gemäß ε pl = l − l0 ⋅100 [%] [mit l0 = 80 mm] , l0 (4.2) nachdem die Anfangsmesslänge l0 mit Hilfe eines Farbstiftes auf der Probe markiert worden war. Die Verlängerung der Probe ergab sich aus dem nach Entlastung der Probe gemessenen Abstand der Markierungen l und der Anfangsmesslänge. Abschließend wurden die Flachzugproben im Bereich der Permeationsflächen wie in Kapitel 4.1.3.1 beschrieben geschliffen, poliert und entfettet. -29- 4.1.3.3 C(T)-Proben Für die Messung der Diffusionsgeschwindigkeit von Wasserstoff in der plastischen Zone wurden vorverformte C(T)-Proben (W = 40, a/W = 0.55, B = 19) verwendet, die für die Permeationsmessungen noch mit einer Bohrung versehen werden mussten. Vor der Beladung wurden die Proben mit einem 0.4 mm breiten Kerb versehen und durch das Anlegen einer monoton steigenden Last verformt. Die Verformung in Lastlinie, vLL, wurde mittels eines handelsüblichen Clips (Fa. MTS) an der Stirnseite der Probe gemessen und diente als Richtwert für die FEM-Rechnungen zur Bestimmung der plastischen Verformung vor dem Kerb (siehe Anhang). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem vollständigen Entlasten auf Grund von im Werkstoff verbleibenden internen Spannungen 24 Stunden gewartet werden musste, um durch innere Spannung verursachte nachträgliche Änderungen in vLL zu berücksichtigen. Bild 4.7: Gekerbte C(T)-Probe mit Bohrung -30Für die Bestimmung des Wasserstoffflusses diente eine zylindrische Bohrung, die später mit Elektrolyt befüllt als interne Detektionszelle fungierte, wobei der Grund der Bohrung sich je nach Probe ca. 200 bis 400 µm vor dem Kerbgrund befand (Ausschnitt Abb 4.7). Da die Auswertung der Permeationskurven eine planare Detektionsfläche verlangt, mussten die zunächst auf die erforderliche Tiefe vorgebohrten Proben mit einem Grundlochbohrer nachbearbeitet werden. Abschließend wurden die Bohrungen mit einem 8 mm tiefen Sackloch versehen und gründlich mit Azeton entfettet. Der genaue Abstand der Bohrung vom Kerbgrund wurde nach Versuchsende unter dem Mikroskop bestimmt. Dazu wurde die Probe funkenerosiv längs der Bohrung geteilt und einseitig bis auf Höhe der maximalen Kerbtiefe abgefräst (vgl. Bild 4.8). Bild 4.8: Schnitt durch eine für Permationsmessungen präparierte C(T)-Probe entlang der Kerbebene (links: Bohrung mit Sackloch; rechts: Kerb) -31- 4.1.4 Apparativer Aufbau 4.1.4.1 Elektrochemische Zelle Die potentiodynamischen Untersuchungen und die Wasserstoff-Permeationsmessungen wurden in den gleichen elektrochemischen Zellen durchgeführt. Dies hatte den Vorteil, dass auf Grund der identischen geometrischen Anordung (gleicher Ohmscher Widerstand, gleiche Kontaktfläche) die gemessenen Deckschichtdiagramme direkt mit den Strom-Zeit-Kurven aus den Permeationsmessungen verglichen werden konnten. Der Aufbau der Permeationszelle ist in Bild 4.9 skizziert. Die Messzelle bestand aus zwei durch die Probe voneinander getrennten Halbzellen aus Polytetrafluorethylen (PTFE), deren seitliche Öffnungen gleichzeitig die Permeationsfläche darstellten. Diese waren mit O-Ringen versehen und wurden senkrecht auf die Flachzugprobe gepresst, wobei die Fläche je nach Membranstärke wahlweise 2.0 oder 9.6 cm² betrug. Beide Halbzellen waren jeweils mit einem Platinnetz als Gegenelektrode und einer Ag/AgCl- Referenzelektrode ausgestattet. Die Referenzelektroden befanden sich dabei in speziell angefertigten Elektrodenhaltern ohne Diaphragma. Einer eventuellen Kontaminierung des Elektrolyten mit Chloridionen wurde durch eine Kapillare am Ende des Elektrodenhalters vorgebeugt. Weiterhin besaß jede Zelle einen Ein- und Auslass zur Stickstoffspülung und eine Heizschleife zur Thermostatisierung, um der Temperaturabhängigkeit des Korrosionspotentials und der Wasserstoffdiffusion Rechnung tragen zu können. Die Temperaturregelung erfolgte intern über einen PT100-Fühler durch einen Kälteumwälzthermostaten (Julabo FP 40). Vorteil der Verwendung von PTFE gegenüber Glas ist neben der höheren Flexibilität und der besseren Wärmeisolierung das inerte Verhalten gegenüber alkalischen Elektrolyten, die bei der Reaktion mit Glas zur Freisetzung von Silikaten führen können. Letztere können sich dann während der kathodischen Polarisation auf der Metalloberfläche niederschlagen. Ein Nachteil von PTFE bei elektrochemischen Messungen ist die hohe Durchlässigkeit gegenüber Sauerstoff, was die Gewährleistung sauerstofffreier Medien erschwert. -32- Elektrolytpegel Bild 4.9: Aufbau der elektrochemischen Doppelzelle (CE: Gegenelektrode, RE: Referenzelektrode, WE: Arbeitselektrode) 4.1.4.2 Elektrische Schaltung und Messdatenerfassung Für die Permeationsmessung standen zwei Labor-Potentiostaten (LB 95T und LB 94AR, Fa. Bank), ein digitales Voltmeter (HP 3497 A), eine Multiplexer/ADC-Einheit (HP 3497A.), ein Messverstärker (HBM Alpha 3000) sowie ein programmierbarer Funktionsgenerator (Prodis 1/18) zur Steuerung der Zugmaschine zur Verfügung. Wahlweise konnte der Funktionsgenerator auch zur Ansteuerung der Potentiostaten verwendet werden. Die Schaltung der elektrochemischen Zelle ist schematisch in Bild 4.10 skizziert. Beide Potentiostaten sind jeweils an eine Halbzelle angeschlossen, wobei die Anschlüsse für die Arbeitselektroden (WE) kurzgeschlossen werden. Die Anschlüsse sollten dabei möglichst dicht an der Probe liegen, um Verfälschungen durch einen Potentialabfall entlang der Zuleitungen zu vermeiden. -33Der elektrische Kontakt zwischen der Probe und den WE-Eingängen der Potentiostaten wurde mittels eines Platindrahts hergestellt, der wie die Probe zwischen die Zellenhälften gespannt wurde. Bild 4.10: Datenerfassung und Schaltung der Potentiostaten bei elektrochemischen Permeationsmessungen (schematisch) Für die Messung des Permeationsstroms wurde der LB 95T (Strombereich: 0.01 mA) und für die Beladung der AR 94 mit automatischer Messbereichsanpassung verwendet. Der Strom- und Spannungsausgang des Potentiostaten für die Wasserstoffbeladung (Potentiostat 1, Bild 4.10), sowie der Potentialausgang des Potentiostaten für die Wasserstoffdetektion (Potentiostat 2, Bild 4.10) wurden getrennt über die Multiplexer/ADC-Einheit ausgelesen. Störungen im Messsignal durch den Netzbetrieb konnten mittels RC-Glied fast vollständig unterdrückt werden. -34Kernstück der Datenerfassung bildete ein Personalcomputer mit einer IEEE 488 Schnittstelle. Die Software für die Datenaufnahme wurde in der Programmiersprache HP-Instruments Basic entwickelt. Während des Versuches wurde der Oxidationsstrom in einem Schreiberdiagramm dargestellt und zusammen mit den übrigen Daten aus dem Multiplexer bzw. Messverstärker mit der zugehörigen Versuchszeit im ASCII-Format abgespeichert. Zur umfassenden Interpretation der Versuchsergebnisse musste neben dem Permeationsstrom auch der Beladestrom in Abhängigkeit von der Versuchsdauer erfasst werden. Gleichzeitig wurde eine Protokolldatei angelegt, die das Detektionspotential sowie Versuchsbeginn und -ende enthält. Die Auswertung der experimentellen Daten erfolgte nach Versuchsende mit einem Daten-verarbeitungsprogramm (STATISTICA, Fa. Statsoft). 4.1.5 Testmedium Alle verwendeten Chemikalien besaßen ppa-Qualität, die Schwefelsäure sowie das verwendete NaCl hatten Suprapur©-Qualität (Fa. Merck). Zur Herstellung der Testlösungen wurde zweifach destilliertes Wasser (Grade 2, ISO 3696), für die Durchführung der cyclovoltammetrischen Untersuchungen Wasser mit Millipore©-Qualität, verwendet. Der verwendete Stickstoff (Grade 5.5) wurde mit Hilfe eines Oxisorb©-Systems (Fa. Messer Griesheim) kontinuierlich nachgereinigt, um den vorhandenen Restsauerstoff in der Zelle zu vermindern. 4.1.6 Promotoren Bei den Permeationsmessungen an FeE 690T musste auf den Zusatz von Promotoren zur Steigerung der Wasserstoffabsorption verzichtet werden, da, wie in Vorversuchen festgestellt wurde, die Zugabe von geringen Mengen Na2S oder As2O3 unabhängig vom gewählten Beladestrom zu ausgeprägten Peaks im Permeationsstrom führte. Vermutlich kommt es auf Grund der stark erhöhten Wasserstoffkonzentration an der Eintrittseite hier auch ohne die Wirkung einer mechanischen Beanspruchung zu Schädigungen in der Mikrostruktur (HIC), die den Wasserstofftransport beeinträchtigen [84]. -35- 4.1.7 Versuchsdurchführung 4.1.7.1 Permeation an Blechen und Flachzugproben Einbau der Probe: Die beidseitig polierte Probe wurde nach dem Entfetten zusammen mit dem Pt-Draht so zwischen den Halbzellen eingespannt, dass die Messflächen der Halbzellen genau senkrecht zueinander angeordnet waren. Dabei mussten Zelle und O-Ringe absolut trocken sein, um das Auftreten von Kriechströmen zwischen den beiden Zellenhälften während der Messung zu verhindern. Im nächsten Schritt wurden beide Halbzellen mit dem Elektrolyten befüllt, verschlossen, bis zu dem in Bild 4.9 eingezeichneten Niveau weiter aufgefüllt und umgehend mit Stickstoff (Fließgeschwindigkeit: ca. 2-3 l/h) entlüftet. Die Temperaturkontrolle erfolgte nach Anschluss des Thermostaten, wobei der Zufluss günstigerweise auf der Detektionsseite ist, da sich Temperaturschwankungen vor allem auf das Detektionspotential und damit direkt auf das Messsignal auswirken. Der elektrische Kontakt zu den WE-Eingängen der Potentiostaten wurde im Falle der Flachzugproben direkt an der Probe mittels einer Krokodilklemme hergestellt. Bei den kleineren Blechen, bei denen die Probe nicht zwischen den Halbzellen herausragte, verband ein Platindraht, der mit zwischen die Halbzellen eingespannt wurde, den Probenrand mit den Potentiostaten. Versuchsvorbereitung und Wasserstoffbeladung: Dem Anschluss der Potentiostaten folgte zunächst die Messung des freien Korrosionspotentials in beiden Halbzellen. Zur Überprüfung der Unabhängigkeit der Messkreise wurde einseitig ein kurzer kathodischer Strompuls appliziert, der sich beim Vorhandensein von Querempfindlichkeiten direkt auf das Potential der anderen Seite auswirkt. In diesem Falle wurde die Messung unterbrochen und die Probe nach erneutem Polieren nochmals eingebaut. Nach der Stabilisierung des freien Korrosionspotentials erfolgte auf der vom Experimentator zu wählenden Detektionseite die Messung des Passivstroms. Dazu wurde in der gewählten Halbzelle der jeweilige Wert des freien Korrosionspotentials auf ± 1 mV genau angelegt und mit der Messung des Stroms begonnen. Nach einigen Minuten konnte dann unter Voraussetzung eines konstanten Passivstroms (iP = ± 25 nA/cm²) mit der Wasserstoffbeladung und der eigentlichen Permeationsmessung begonnen werden. Dazu wurde auf der Beladeseite der Potentiostat auf das gewünschte Potential eingestellt und der Beladestrom aufgezeichnet, was gleichzeitig den Start der Messung bedeutete. Während der Wasserstoffbeladung sind Temperaturschwankungen, Änderungen im Gasfluss und zusätzliche Konvektion, beispielsweise durch Erschütterungen, zwingend zu vermeiden, da dies zu einer Verschiebung des freien Korrosionspotentials führt und somit das Messsignal von Passivströmen überlagert wird. Kommt es bei längerer Versuchsdauer in der Messzelle durch Verdampfen des Elektrolyten zu einem Absinken des Flüssigkeitsniveaus, muss der Elektrolyt ersetzt werden, wobei ein vorheriges Temperieren hilft, Schwankungen im Messsignal zu verhindern. -36- 4.1.7.2 Permeation an C(T)-Proben Zunächst wurde die Oxidschicht im Kerb mit Hilfe eines Diamantdrahts entfernt und anschließend der Kerbgrund mit Zahnseide und Diamantpaste (1 µm) poliert. Anschließend wurden die Ränder der Bohrung mit einer PVC-Hülle abgedeckt, um den seitlichen Eintritt von Wasserstoff auszuschließen. Eine dünne Schicht Vaseline zwischen der Hülle und dem Werkstoff verhinderte eine Störung des Permeationsstroms durch Spaltkorrosionsvorgänge. Anschließend wurde die Bohrung mit einer Pipette mit Elektrolyt befüllt, wobei darauf zu achten war, dass keine Luftblasen mit in die Bohrung gelangten. Im Anschluß wurde der Referenzelektrodenhalter auf die C(T)-Probe geschraubt und ebenfalls mit Elektrolyt befüllt. Die so präparierte Probe wurde seitlich in ein mit Referenz- und Gegenelektrode ausgestattetes Becherglas aus Plexiglas gestellt und dieses bis ca. 5 mm unterhalb der Probenoberkante mit Natronlauge befüllt (Bild 4.11). Auf die Stickstoffspülung in der Bohrung konnte auf Grund des kleinen Lösungsmittelvolumens (1-2 ml) verzichtet werden. Eine Stabilisierung des Ruhepotentials erfolgte bei Raumtemperatur nach 10 - 20 Stunden. Die Temperaturregelung erfolgte, indem das Becherglas mit der Probe in ein thermostatisiertes Wasserbad gestellt wurde. Bild 4.11: Versuchsaufbau zur Wasserstoffdiffusionsmessung in C(T)-Proben (CE1: Gegenelektrode zur H-Beladung, RE1: Referenzelektrode zur H-Beladung, CE2: Gegenelektrode zur H-Detektion, RE2: Mikro-Referenzelektrode zur H-Detektion, WE: gemeinsame Arbeitselektrode) -37- 4.1.8 Deckschichtuntersuchungen 4.1.8.1 Grundlagen Die Cyclovoltammetrie – auch als Dreieckspannungsmethode bezeichnet – gehört zu den quasistationären Methoden in der Elektrochemie, bei denen durch eine nicht zu schnelle Änderung des Elektrodenpotentials das System Metalloberfläche/Elektrolyt aus einem Gleichgewichtszustand in einen neuen stationären Zustand gezwungen wird. Die Antwort des Systems auf diese Änderung lässt sich anhand des Stroms an der Arbeitselektrode verfolgen. Gemessen wird mit Hilfe einer klassischen 3-Elektroden-Anordnung (Arbeits-, Gegen- und Referenzelektrode) sowie eines Potentiostaten und eines Funktionsgenerators.Üblicherweise wird an der Arbeitselektrode eine Dreieckspannung angelegt, wobei durch eine geeignete Wahl bzw. Variation der Elektrodenparameter (Umkehrpotentiale Eλa bzw. Eλc, Potentialvorschub dE/dt) sich unterschiedliche Reaktionstypen untersuchen lassen (Bild 4.12). Bild 4.12: Potential-Zeit-Verlauf bei cyclovoltammetrischen Untersuchungen Befindet sich bei Messung der Strom-Potential-Kurve kein Stoff in Lösung, der im gewählten Potentialbereich zwischen Ea und Ec elektrochemisch oxidiert bzw. reduziert werden kann, beobachtet man in wässrigen Lösungen an der Arbeitselektrode im kathodischen (anodischen) Potentialbereich den Auf- bzw. Abbau von Wasserstoff- (Sauerstoff-)Chemisorptionsschichten. Ist die Elektrodenfläche bekannt, lassen sich über die umgesetzte Ladungsmenge Aussagen über Art und -38Zusammensetzung dieser Deckschichten machen [85]. Enthält der Elektrolyt eine elektrochemisch aktive Spezies, so werden die Deckschichtdiagramme von der Strom-Spannungs-Charakteristik der entsprechenden Redoxreaktion überlagert. Bei reversibler Versuchsführung bilden sich unabhängig vom umgesetzten Stoff je Redoxpaar zwei Maxima. Das Maximum in positiver (anodischer) Richtung steht für die Oxidation, das in negativer Stromrichtung für die kathodische Reduktion. Grund dafür sind Diffusionsprozesse innerhalb der Nernstschen Diffusionsschicht zwischen Elektrodenoberfläche und Elektrolyt, wie in Bild 4.13 skizziert. Bild 4.13: Entstehung eines Maximums in der Strom-Potential-Kurve in Folge der durch das Wachstums der Nernstschen Diffusionsschicht (xN) bedingten Änderung im Konzentrationsgradienten dc/dx [89] -39Bei Erreichen eines bestimmten Elektrodenpotentials kommt es zu einer Verarmung der umgesetzten Spezies an der Elektrodenoberfläche (Punkt A). Hierdurch werden Diffusionsvorgänge im Elektrolyten ausgelöst, die zu einem Wachsen der Diffusionsschicht führen. (Punkt B bis D). Auf Grund der durch das 1. Ficksche Gesetzt beschriebenen Verknüpfung zwischen Fluss und Konzentrationsgradient bildet sich zum Zeitpunkt des größten Konzentrationsgefälles in der zugehörigen Strom-Spannungs-Kurve ein Maximum (Punkt C). Die Höhe des Maximums ist abhängig von Konzentration, Diffusionskoeffizient und Potentialvorschubgeschwindigkeit. Eine Erhöhung der Letzteren führt zu einer schnelleren Verarmung in Elektrodennähe und dadurch zu einem steileren Konzentrationsgradienten. Aus dem Abstand zwischen dem anodischen und dem kathodischen Peak lässt sich der Mechanismus des Ladungstransfers abschätzen. Eine Reaktion wird als völlig reversibel bezeichnet, wenn sie keine oder nur eine sehr geringe Aktivierungsenergie besitzt. In diesem Falle beträgt der Abstand zwischen den Peakmaxima unabhängig von den beteiligten Stoffen 58 mV. Mit zunehmder Irreversibilität nimmt der Abstand der Peaks zu, wobei sie zunehmend breiter werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Elektrodenreaktion hohe Überspannungen benötigt, oder sich der eigentlichen Elektrodenreaktion ein weiterer Reaktionsschritt anschließt. 4.1.8.2 Durchführung Zur Durchführung der cyclovoltammetrischen Untersuchungen wurden in Analogie zu den Permeationsuntersuchungen quadratische Blättchen mit einer Kantenlänge von 30 mm und einer Stärke von ca. 1 mm verwendet. Als Messzelle diente eine Halbzelle der bereits beschriebenen Permeationsdoppelzelle mit einer Elektrodenoberfläche von 2.0 cm² (siehe Bild 4.9). Zur Kontrolle der elektrochemischen Parameter diente ein PC-gesteuerter Potentiostat mit integriertem Funktionsgenerator (Fa. Autolab). Die Potentialvorschubgeschwindigkeit betrug für alle Messungen 50 mV/s, die Versuchstemperatur lag bei 298 ± 0.5 K. -40- 4.2 Numerische Methoden 4.2.1 Bestimmung des effektiven Diffusionskoeffizienten Grundlage für die Auswertung für Permeationsversuche sind die Fickschen Gesetze, die die Geschwindigkeit des Diffusionsstroms mit dem für diesen Strom verantwortlichen Konzentrationsgradienten verknüpfen. Sie lauten in der üblichen Schreibweise J = −D ∂C ∂x (4.3) und ∂C ∂ 2C = D , ∂t ∂x2 (4.4) wobei J der Diffusionsfluss, C die Konzentration der diffundierenden Substanz, D der konzentrationsunabhängige Diffusionskoeffizient und x die Entfernung von der Bezugsoberfläche ist. Während der Permeation wird durch anodische Oxidation auf der Detektionsseite ein Strom i erzeugt, so dass sich J in Gl. (4.3) auch mit Hilfe des Faradayschen Gesetzes ausdrücken lässt als iP = − zFAD ∂c , ∂x (4.5) wobei z die Ladungszahl (zH = 1), F die Faradaykonstante (96500 C/mol), A die Permeationsfläche und iP den an der Austrittseite gemessenen Permeationstrom darstellt. Bild 4.14 zeigt den typischen Verlauf des Oxidationsstromes nach Beginn der Wasserstoffbeladung. Nach Erreichen der Durchbruchszeit tb steigt er zunächst langsam, dann schneller an und nähert sich einem konstanten Wert, der Permeationsgrenzstrom iP∞ . Hat der Permeationsstrom einen konstanten Wert errreicht, kann die Messung einer zweiten, so genannten Aufbaukurve erfolgen. Durch Erhöhung der kathodischen Überspannung ηc kann die Konzentration an gelöstem Wasserstoff auf der Eintrittseite der Membran mit Hilfe des Potentiostaten gesteigert werden. Auf Grund der Linearität von Gl. (4.3) ist die Auswertung der Aufbaukurve analog zur Erstbeladung möglich. -41- i P∞2 iP∞1 tb2 tb1 Bild 4.14: Schematische Permeationskurve bei potentiostatischer Wasserstoffbeladung bei zwei unterschiedlichen Beladespannungen Eine Lösung der Differentialgleichungen (4.3) u. (4.4) ist unter der Annahme eines konzentrationsunabhängigen Diffusionskoeffizienten gegeben durch [86] i P ( t ) = i P∞ 1 + 2 ∞ ( − 1) n exp − n 2π 2 D t 1 L2 . (4.6) Den Diffusionskoeffizienten in Gl. (4.6) erhält man durch numerische Anpassung von Deff und an die experimentelle Strom-Zeit-Kurve. Eine andere Methode ist die grafische Bestimmung des Diffusionskoeffizienten mit Hilfe der Durchbruchszeit tb durch Anlegen einer Tangente durch den Wendepunkt der Permeationskurve (gestrichelte Linie in Bild 2.6). Der aus dem Schnittpunkt mit der Zeitachse gefundene Wert ist über die Beziehung tb = 0.5 L2 π 2D mit dem Diffusionskoeffizienten verknüpft. (4.7) -42Die Durchbruchszeit ist vereinfacht gesehen die Zeit, die die ersten Wasserstoffatome benötigen, um die Membran zu durchdringen. Bei der Durchführung von Permeationsexperimenten an metallischen Werkstoffen liefern die Gln. (4.6) und (4.7) nur in Ausnahmefällen einen für den Werkstoff spezifischen Wert. In realen Werkstoffen wird D, bedingt durch Fallen- und Oberflächeneffekte, abhängig von der Konzentration und der Diffusionsstrecke, wobei der experimentell ermittelte Wert in der Regel niedriger ist, als der Wert der reinen Gitterdiffusion (vgl. Kap. 2.4.2). Er wird daher auch als effektiver Diffusionskoeffizient Deff bezeichnet. 4.2.1 Simulation der Wasserstoffdiffusion in Gegenwart von Fallen Ein neueres Modell für den Wasserstofftransport in Gegenwart von Fallen, das auf Oriani, bzw. auf Johnson und Lin zurückgeht, wird ausführlich von Krom et al. beschrieben [87, 88]. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass die Fallen allein durch Gitterdiffusion des gelösten Wasserstoffs aufgefüllt werden können, d.h. dass kein direkter Austausch von Wasserstoffatomen zwischen den einzelnen Fallen möglich ist. In diesem Modell leiten die Autoren eine Differentialgleichung für den Wasserstofftransport ab, die bei zeitunabhängiger Fallendichte und verschwindendem Gradienten der hydrostatischen Spannung CL + CT (1 − θ T ) ∂CL − DL∆CL = 0 CL ∂t (4.8) lautet, wobei DL der Diffusionskoeffizient für die reine Gitterdiffusion ist. Unter der vereinfachenden Annahme eines thermodynamischen Gleichgewichts zwischen den Konzentrationen von Gitter- und Fallenwasserstoff und für θL << 1 gilt die Beziehung CT = NT NL . 1+ KT CL (4.9) KT ist hier die Fallengleichgewichtskonstante, die im thermodynamischen Gleichgewicht die relative Besetzung von Fallen und Gitterplätzen beschreibt, d.h. K T = exp − ∆E T , RT (4.10) wobei ∆ET die Bindungsenergie für Wasserstoff in den Fallen relativ zum Gitter, R die universelle Gaskonstante und T die absolute Temperatur bedeutet. Kumnick und Johnson geben für plastisch -43verformtes reines Eisen eine einheitliche Fallenenergie von –60 kJ/mol an, eine Energie, die der Bindung von Wasserstoffatomen an Stufenversetzungen entspricht [89]. Dieser Wert wurde auch in der vorliegenden Untersuchung verwendet. NT und NL sind die Konzentrationen von Fallen- und Gitterplätzen, die als sättigbar und reversibel angenommen werden. Für reines Eisen geben Krom et al für NL den Wert 5.1 · 1029 m-3 an, ein Wert, der hier auch für den untersuchten martensitischen Stahl angenommen wird. Der Wert für NT hängt vom Grad der plastischen Verformung ab, er wird später spezifiziert. Führt man nun zur numerischen Lösung von Gleichung (4.9) die dimensionslosen Größen α= KT NT , NL (4.11a) β = K Tθ L0 und u= CL N Lθ L0 (4.11b) , (4.11c) ein, wobei θL0 der Besetzungsgrad der Gitterplätze für Wasserstoff an der Eintrittseite der Permeationsmembran (bei Erstbeladung) ist, so erhält man für den eindimensionalen Fall (Bei der Permeation hängt die Wasserstoffkonzentration nur von einer Ortskoordinate, x, ab) mit Hilfe von (4.8) und (4.9) statt (4.8) eine nicht-lineare Differentialgleichung für u mit den dimensionslosen Größen α und β 1+ α ∂u ∂ 2u D − =0. L (1 + β u ) 2 ∂t ∂x 2 (4.12) Gleichung (4.12) wird iterativ nach Diskretisierung von Ort und Zeit gelöst [90]. Das dabei verwendete Differenzenverfahren geht von dem Schema u nj +1 = u nj + δ α 1+ (1 + β u nj )2 (u nj+1 − 2u nj + u nj−1 ) aus, wobei n der Laufindex für die Zeit, j der Laufindex für den Ort und δ = DL (4.13) ∆t eine dimen(∆x) 2 -44sionslose Größe ist, die beliebig gewählt werden kann, zur Konvergenz des Verfahrens jedoch kleiner als 1/2 sein muss. Der Laufindex j wurde beliebig gleich 100 gesetzt, was bei L = 1 mm einem ∆x = 10 µm entspricht. Zur Simulation der Permeation wurde u auf der Eintrittseite (j = 1) bei Erstbeladung gleich 1, bei Zweitbeladung gleich 1.1 und auf der Austrittsseite (j = 100) in beiden Fällen entsprechend der durch das Experiment vorgegebenen Randbedingungen gleich Null gesetzt. Im Innern wurde zu Beginn der Erstbeladung u überall gleich Null gesetzt (wasserstofffreier Werkstoff), zu Beginn der Zweitbeladung von der sich nach Erstbeladung einstellenden konstanten Verteilung u(x) aus mit der Simulation begonnen. Zur Bestimmung der Durchbruchszeit wurde der Gradient von u an der Austrittsseite (bei j = 99) als Funktion der Zeit berechnet und der Schnittpunkt einer Tangente an diese Gradientenfunktion im Punkt des größten Anstiegs mit der Zeitachse bestimmt. Aus dem Verhältnis der so zu den vorgegebenen Werten für die Parameter α und β ermittelten Durchbruchszeit (vgl. Bild 4.14) zur Durchbruchszeit bei α = 0 ergibt sich dann das Verhältnis der effektiven Diffusionskonstanten zur Diffusionskonstanten der reinen Gitterdiffusion DL. -45- 5 Versuchsergebnisse 5.1 Untersuchungen zur Wasserstoffdiffusion in FeE 690T 5.1.1 Bestimmung des Diffusionskoeffizienten bei εpl = 0 Bild 5.1 zeigt die Wasserstoffpermeationskurve an einer unverformten Metallmembran bei elektrochemischer Beladung in 0.1 M NaOH bei 298 K. Der gemessene Permeationsstrom beschreibt eine S-Kurve, wie sie nach dem Fickschen Gesetz zu erwarten ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass (für die Dauer der Messung) die theoretischen und die experimentellen Randbedingungen, d.h. konstante Konzentrationsverhältnisse an Ein- und Austrittsseite der Membran, übereinstimmen. Entsprechend liefert die numerische Anpassung gemäß Gl. (4.6) einen Wert für den effektiven Diffusionskoeffizienten von 5.4 ± 0.27 · 10-7 cm²/s. Bild 5.1: Vergleich der experimentellen Permeationskurve mit der in Gl. (4.6) angegebenen Lösung des Fickschen Gesetzes bei einer Wasserstoffdiffusionsmessung an FeE 690T in 0.1 M NaOH (L = 0.98 mm, Ec = –1.35 V1, T = 298 K) 1 Alle in den folgenden Kapiteln gemachten Potentialangaben beziehen sich, wenn nicht anders aufgeführt, auf die Silber/Silberchloridelektrode (E0Ag/AgCl = +238 mV vs. NHE). -46- Der maximale Permeationsstrom beträgt 0.7 µA/cm² und ist somit gleich dem von Brass ermittelten Wert bei reinem Eisen [74]. 5.1.2 Diffusion bei plastischer Verformung (εpl bis 60 %) 5.1.2.1 Erstbeladung In Bild 5.2 sind einige an unterschiedlich stark verformten Proben gemessene Permeationskurven bei ansonsten konstanten Versuchsbedingungen zusammengefasst. Die zugehörigen Permeationsströme der normierten Permeationskurven sind zusammen mit den aus den übrigen Messungen ermittelten Diffusionskonstanten in Tabelle 5.2 aufgeführt. Bild 5.2: Einfluss der plastischen Verformung auf die experimentellen Permeationskurven bei der elektrochemischen Wasserstoffdiffusionsmessung in FeE 690T (Ec = –1.35 V, T = 295 K) -47Es zeigt sich, dass sowohl die Durchbruchszeit, als auch die Zeit bis zum Erreichen eines konstanten Permeationsstroms mit zunehmender Verformung deutlich zunehmen. Bei εpl = 30 % steigt die zugehörige Durchbruchszeit bereits auf das 10fache, entsprechend einer Reduzierung des effektiven Diffusionskoeffizienten auf ein Zehntel des Wertes für den unverformten Zustand. Bei einer weiteren Verdoppelung auf εpl = 60 % kann die Diffusionskonstante bis auf einen Wert unter 2.0 ·10-8 cm2 s-1 sinken. Die Permeationskurven weichen mit steigender plastischer Verformung zusehends vom idealen Diffusionsverhalten ab. Statt des S-förmigen Verlaufs steigen nun die Kurven nach einer gewissen Zeit fast linear an, um dann in das Plateau der Grenzstromdichte überzugehen, wie der Verlauf der Permeationsstromdichte bei εpl = 60 % zeigt. Eine weitere Folge der erhöhten Plastifizierung ist die zunehmende Streuung in den ermittelten Durchbruchzeiten. So streuen die Werte bei εpl = 5 % um ca. 15 % bei εpl = 60 % schon um mehr als 20 %. Tabelle 5.1 Diffusionskoeffizienten in Abhängigkeit von der plastischen Verformung bei Erstbeladung (Ec = –1.35 V, T = 295 K) ε Pl L tb i P∞1 Deff 1) [%] [mm] [s] [µA/cm²] [10-8 cm2/s] 0.02) 0.99 1200 0.55 41.2 ± 4.84 2) 0.2 1.15 1400 0.43 47.8 ± 5.72 5.02) 1.15 8000 0.61 8.4 ± 1.00 5.0 1.15 11000 0.53 6.1 ± 0.68 6.52) 0.94 8000 0.52 5.7 ± 0.20 2) 0.92 10000 0.49 4.3 ± 0.18 2) 0.93 12500 0.38 3.5 ± 0.09 0.81 13800 0.95 2.4 ± 0.12 0.91 12000 0.28 3.8 ± 0.09 40.8 0.94 10000 1.27 4.5 ± 0.58 40.3 0.94 14000 0.57 3.2 ± 0.16 51.0 0.93 13000 0.40 3.4 ± 0.12 60.4 0.95 22000 0.92 2.3 ± 0.12 60.7 2) 1.00 34000 0.77 1.5 ± 0.07 9.2 20.0 30.7 29.5 1) D = 0.5 2) L2 π 2tb 2) in Abb 5.2 berücksichtigt -48Weitgehend unbeeinflusst vom Grad der Verformung ist der maximale Permeationsstrom. Er schwankt bei Erstbeladung zwischen 0.28 und 1.3 µA/cm². Ein Trend zu höheren Stromdichten bei höherer Verformung auf Grund einer gestiegenen Wasserstofflöslichkeit lässt sich nicht beobachten. Teilweise weichen die an gleich stark verformten Blechen gemessenen Ströme stark voneinander ab (Bild 5.3). Der maximale Permeationsstrom liegt in einem Fall trotz des ähnlichen Verlaufs der zugehörigen Beladeströme an der Eintrittseite (Ausschnitt Bild 5.3) fast dreimal höher. Bild 5.3: Vergleich zweier Permeationsmessungen an zwei unterschiedlichen Proben mit gleicher plastischer Verformung (Ec = –1.35 V, εpl = 0.4, T = 295 K) Ausschnitt: Beladeströme an der Eintrittseite der Proben Es scheint, als verursachten Inhomogenitäten in der Oberflächenbeschaffenheit die Streuung im Permeationsstrom, indem sie die Wasserstoffaufnahme entweder begünstigen oder erschweren. Bei der oberen Kurve in Bild 5.3 fällt auf, dass der Strom bei Erreichen der Durchbruchszeit einen sprunghaften Anstieg von etwa 0.1 µA/cm² verzeichnete. Dieses auch bei einigen anderen Messungen beobachtete Phänomen liegt vermutlich daran, dass der durchtretende Wasserstoff beim Austritt -49teilweise rekombiniert und so eine teilweise Ablösung der Passivschicht auf der Detektionsseite bewirkt. Die damit verbundene Absenkung des Korrosionspotentials ruft bei potentiostatischer Kontrolle einen Anstieg des Oxidationsstroms hervor. Diese Oberflächeneffekte werden im zweiten Teil dieser Arbeit näher diskutiert. 5.1.2.2 Zweitbeladung Eine Erhöhung der kathodischen Überspannung auf der Eintrittseite um 250 mV auf –1.60 V bewirkt unabhängig vom Verformungsgrad der Probe eine Steigerung des Permeationstroms um ca. 10 %. Vereinzelt erhöhte sich der Permeationsstrom um weniger als 5 %. Andere Verfahren zur Untersuchung von irreversiblen Fallen, bei denen nach einer ersten Beladung der kathodische Strom unterbrochen wird, bevor eine Zweitbeladung erfolgt, erwiesen sich auf Grund von Oberflächeneffekten und einer reversiblen Bindung der Wasserstoffatome in den Fallen als nicht praktikabel (siehe Kapitel 5.2). Bei dem in Bild 5.4 dargestellten Experiment wurde 50 Stunden nach Erreichen eines konstanten Permeationsstroms, bzw. 75 Stunden nach Beginn der Erstbeladung, die Wasserstoffkonzentration entsprechend erhöht. Diese Vorgehensweise führt bei einer plastischen Verformung von 20 % mit 30 minütiger Verzögerung zu einem leichten Anstieg im Messsignal von 0.38 auf 0.42 µA/cm² Obwohl sich der Permeationsstrom zunächst bei diesem Wert stabilisiert, kommt es bei fortdauernder Beladung nach 85 Stunden zu einem weiteren Antieg im Permeationsstrom, der sich bis zum Ende der Messung fortsetzt. Der letztere Effekt wird auf einen im zweiten Teil der Arbeit näher diskutierten Oberflächeneffekt zurückgeführt, da zum Zeitpunkt der erneuten Änderung im Permeationsstrom keine Änderungen der experimentellen Randbedingungen vorgenommen wurden. Deshalb wurde bei der Auswertung nur die Zeit bis zum ersten Anstieg des Permeationssignals nach Erhöhung der Überspannung berücksichtigt. Die daraus ermittelten Werte für die Zweitbeladung sind in Tabelle 5.2 zusammengefasst. -50- Bild 5.4: Wasserstoffpermeationskurve bei Zweitbeladung durch Erhöhung der Beladespannung von Ec = –1.35 auf –1.6 V (εpl = 0.2 , T = 295 K) Tabelle 5.2: Diffusionskoeffizienten in Abhängigkeit von der plastischen Verformung bei sprunghafter Erhöhung der Wasserstoffkonzentration an der Eintrittseite (Ec = –1.60 V, T = 295 K) εpl L tb i P∞2 D 1) [%] [mm] [s] [µA/cm²] [· 10-7 cm2/s] 0.0 0.99 300 0.7 16.5 ± 2.5 2) 21.6 ± 2.6 0.2 1.15 310 - 5.0 1.15 1000 - 6.1 ± 1.0 6.5 0.94 800 - 6.7 ± 1.0 9.2 0.92 1450 0.53 3.0 ± 0.42 20.0 0.93 2000 0.42 2.2 ± 0.25 51.0 0.93 3500 0.49 1.4 ± 0.71 60.4 0.95 4000 - 1.1 ± 0.13 60.7 1.00 5400 - 0.9 ± 0.23 2 1) D = 0.5 L 2 π tb 2) kein Gleichgewichtszustand -51Wie der Vergleich mit Tabelle 5.1 zeigt, ist der negative Einfluss der plastischen Verformung so groß, dass ab einer plastischen Verformung von 0.10 der effektive Diffusionskoeffizient bei Zweitbeladung unterhalb des Wertes für den unverformten Zustand bei Erstbeladung liegt. Dabei zeigten diejenigen Proben, die schon bei der Erstbeladung relativ hohe Diffusionskonstanten aufwiesen, bei Zweitbeladung im Vergleich zu den anderen Proben ebenfalls erhöhte Werte und umgekehrt. 5.1.3 Diffusion in gekerbten C(T)-Proben Zur Bestimmung des Diffusionskoeffizienten bei sehr großen plastischen Verformungen wurden gekerbte C(T)-Proben (W = 40, a/W = 0.55, B = 19) im Beanspruchungsmodus I verformt und anschließend mit einer Bohrung versehen, die zur elektrochemischen Detektion des diffusiblen Wasserstoffs diente. Bild 5.5 zeigt den Permeationsstrom innerhalb einer C(T)-Probe, deren plastische Dehnung im Kerbgrund 1.0 betrug. Es zeigt sich, dass die gewählte Versuchsanordnung trotz der im Vergleich zu den eindimensionalen Messungen veränderten geometrischen Verhältnisse einen sehr niedrigen, aber in Bezug auf die Bestimmung eines effektiven Diffusionskoeffizienten auswertbaren Strom liefert. Bild 5.5: Wasserstoffdiffusion innerhalb der plastischen Zone einer gekerbten C(T)-Probe (a/W = 0.55, rK = 0.2 mm, εpl = 0.8, L = 0.17 mm, Ec = –1.35 V) -52Beeinträchtigt werden diese Messungen durch die Tatsache, dass die C(T)-Proben auf Grund ihrer großen Masse eine hohe Wärmekapazität besitzen, weshalb die Temperatur im Inneren der Bohrung nur schwer zu kontrollieren ist, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Thermostatisierung über das Belademedium erfolgt. Dies hat zur Folge, dass sich das Gleichgewichtspotential an der Detektionsseite verschiebt, was bei potentiostatischer Kontrolle des Detektionspotentials zu Schwankungen im Permeationsstrom führt. Da jedoch die Messung ausschließlich der Bestimmung der im Vergleich zu den Temperaturänderungen relativ kurzen Durchbruchszeiten dienen, wird der Temperatureffekt hier vernachlässigt. Bild 5.6 zeigt einen Vergleich der an C(T)-Proben ermittelten Permeationskurven mit der Permeationskurve in Bild 5.1. Dabei wurden drei der insgesamt vier Proben vorverformt, während eine im unverformten Zustand belassen wurde. Bei der Darstellung wurde der Permeationsstrom gegen die normierte Zeit aufgetragen, wodurch die durch die unterschiedlichen Probentypen verursachten Unterschiede in der Diffusionsstrecke berücksichtigt werden. Bild 5.6: An C(T)-Proben (a/W = 0.55, rK = 0.2 mm, εpl = 0 und 0.8) ermittelte Durchbruchszeiten im Vergleich zu herkömmlichen Messungen an einer Membran (L = 1 mm) -53Man erkennt, dass sich die plastische Verformung in der Zunahme der Durchbruchszeit bemerkbar macht. Die Reproduzierbarkeit der Messung ist ausreichend, wie die Ergebnisse der Auswertung in Bezug auf die effektive Diffusion in Tabelle 5.3 zeigt. Tabelle 5.3: Effektive Diffusionskoeffizienten in gekerbten C(T)-Proben in Abhängigkeit von der plastischen Verformung εpl Fmax L tb Deff [kN] [mm] [s] [cm2/s] 0.0 0.0 1.12 1500 4.24 · 10-7 0.8 44.2 0.20 3500 5.67 · 10-9 0.8 44.8 0.48 7200 1.62 · 10-8 0.8 44.3 0.17 2500 5.86 · 10-9 Der relativ große Wert von 1.62 · 10-8 cm²/s hängt vermutlich mit der Tiefe der Bohrung bzw. mit der Diffusionsstrecke zusammen. Wie die FEM-Rechnung zeigt, ist der Bereich der maximalen Verformung bis ca. 0.2 mm vor der Kerbspitze konstant und nimmt in Richtung des Probeninneren ab. Deshalb werden bei einem Wert von L = 0.48 mm auch weniger stark verformte Bereiche mitberücksichtigt, was zu einer erhöhten effektiven Diffusionskonstante führt, wenn man davon ausgeht, dass die Diffusionsgeschwindigkeit mit steigender Verformung abnimmt. 5.1.4 Simulation der Permeationsergebnisse Die Abhängigkeit der Diffusionsgeschwindigkeit vom Beladezustand, d.h. von der Konzentration innerhalb des Werkstoffs lässt vermuten, dass der Wasserstofftransport maßgeblich durch Wasserstofffallen bestimmt wird. Zur quantitativen Auswertung der Abhängigkeit der Wasserstoffdiffusion von der plastischen Verformung wird deshalb in diesem Kapitel versucht, die an den verschiedenen Probentypen ermittelten Diffusionskoeffizienten mit Hilfe des vorgestellten Fallenmodells nach Krom zu reproduzieren. Bild 5.7 zeigt dazu eine Auftragung der experimentell gefundenen effektiven Diffusionskoeffizienten gegen die entsprechende plastische Dehnung. Insgesamt gesehen ergibt sich trotz der unterschiedlichen Probentypen ein für beide Beladezustände sehr einheitliches Bild. -54Bei doppelt-logharithmischer Darstellung liegen die Messwerte für εpl > 0.01 auf einer Geraden der Form log DH = n log ε Pl + k , (5.1) deren Steigung bei Erstbeladung einen Wert von n = –0.7 besitzt. Bei Zweitbeladung ergibt sich für n ein Wert von –0.5, wobei die ermittelten Diffusionskoeffizienten um ca. eine Größenordung höher als bei der Erstbeladung liegen (vgl. Tab. 5.1 und 5.2). εpl [%] Bild 5.7: Einfluss der plastischen Verformung und des Wasserstoffgehalts auf den an unterschiedlichen Probentypen ermittelten effektiven Diffusionskoeffizienten von Wasserstoff in FeE 690T bei 295 K Zur Simulation der Messwerte gemäß des in Kapitel 4.2 vorgestelltem Modells bedarf es der Kenntnis der fallenunabhängigen Gitterdiffusion DL. Da dieser Wert für den untersuchten Stahl nicht direkt aus dem Experiment zu ermitteln ist, wurden die zunächst unbekannten Werte für α und β in den -55Gleichungen (4.9a - 4.9c) bei einer plastischen Dehnung von εpl = 0.0 und εpl = 0.6 an das Experiment angepasst. Dazu wurden die Verhältnisse der bei εpl = 0.0 und εpl = 0.6 unter Erstbeladung und der bei εpl = 0.0 und εpl = 0.6 jeweils unter Erst- und Zweitbeladung gemessenen Diffusionskonstanten verwendet. Eine Übereinstimmung dieser Größen mit den gemessenen Werten ergibt sich für α0 = 5, α0.6 = 196 und β = 12. Nimmt man nun für den Zusammenhang zwischen dem Fallenparameter α und der plastischen Dehnung eine allgemeine Beziehung der Form α = α 0 + c ε pl n (5.2) an, und setzt den Exponenten n gleich 0.7, ein Wert, der den Abfall der Diffusionskonstanten bei großen Werten der plastischen Dehnung in Bild 5.7 richtig wiedergibt, so ergibt sich für c ein Wert von 273.1. Die mit Hilfe von Gleichung (5.2) und (4.12) berechneten Diffusionskonstanten für die Erst- und Zweitbeladung sind in Bild 5.8 in Abhängigkeit von der plastischen Dehnung zusammen mit experimentellen Werten aus Bild 5.7 wiedergegeben. Die angegebenen Streubänder der berechneten Diffusionskonstanten ergeben sich hierbei aus der Streuung der für den unverformten Werkstoff bei Erstbeladung gemessenen Werte. Offenbar liegen die Messwerte gut in den simulierten Streubändern. Selbst die an C(T)-Proben gemessenen Diffusionskonstanten für den Wasserstofftransport an Rissspitzen werden von dem Streuband bei Erstbeladung gut erfasst. Hierbei wurde für die plastische Dehnung vor der Rissspitze ein mittlerer Wert von 0.8 angenommen, ein Wert, der sich aus FEMSimulationen für den untersuchten Werkstoff ergibt [91]. Die gesuchte Gitterdiffusionskonstante DL für den idealisierten fallenfreien Werkstoff erhält man, wenn man in den Simulationsrechnungen den Fallenparameter α (bei konstantem β) gegen Null extrapoliert. Sie beträgt am oberen bzw. unteren Rand des Streubandes 1.80 ·10-6 bzw. 1.08 ·10-6 cm2/s. Die Werte sind in der Bild 5.8 zusammen mit den Werten zu εpl = 0 auf der Ordinate des Diagramms eingetragen. -56- Bild 5.8: Diffusionskoeffizienten in Abhängigkeit von der plastischen Verformung und des Beladungszustandes: Vergleich der experimentellen Werte mit den Streubändern aus der Simulation Aus den Werten für α und β lassen sich Aussagen über die Fallendichten im unverformten und verformten Zustand und über die Wasserstoffkonzentration im Werkstoff gewinnen. Nimmt man für die Dichte der für Wasserstoff zur Verfügung stehenden Gitterplätze den oben angegebenen Wert für reines α-Eisen an, so ergibt sich für den unverformten Werkstoff aus α = 5 bei T = 295 K eine Fallendichte von 0.61·1020/m3, ein Wert, der etwa eine Größenordnung niedriger ist als der von Krom et al. angegebene Wert für reines Eisen. Für den verformten Zustand erhält man mit Hilfe von Gl. (5.2) die Fallendichte in Abhängigkeit von der plastischen Dehnung zu N T = N T0 + N T100 ε pl 0.7 (5.3) mit NT0 = 0.61 · 1020/m3 und N T100 = 3.31 · 1021/m3. Dies führt bei einer plastischen Dehnung von 60 % auf eine Fallendichte von 2.38 · 1021/m3, bei einer plastischen Dehnung von 80 % auf eine Fallendichte von 4.46 · 1021/m3. -57- Aus β = 12 ergibt sich über β = KTθ L 0 bei T = 295 K ein Besetzungsgrad für den Gitterwasserstoff auf der Eintrittseite der Permeationsmembran von θL0 = 2.85 ·10-10. Dies entspricht einer GitterWasserstoffkonzentration bei Erstbeladung von 1.46 ·1020/m3. Aus der Fläche zwischen den Permeationskurven für fallenfreies und fallenbehaftetes Material lässt sich direkt auf die Konzentration des während der Permeation in Fallen gefangenen Wasserstoffs schließen. Der Permeationsstrom, d.h. die Zahl der pro Zeiteinheit durch die Flächeneinheit der Austrittsseite fließenden Wasserstoffatome ist über die Gl. (4.3) mit dem Konzentrationsgradienten an der Austrittsseite verknüpft. Ist nun JT der Permeationsstrom durch den fallenbehafteten und J0 der Permeationsstrom durch den fallenfreien Werkstoff, dann ist ∞ A ( J 0 − J T )dt 0 die Zahl der im Gleichgewichtszustand in Fallen gefangenen Wasserstoffatome in einem Zylinder mit der Grundfläche A und der Höhe L, wobei L gleichzeitig die Dicke der Membran ist. Die Konzentration der in Fallen gefangenen H-Atome ergibt sich demnach mit Hilfe von CT = ∞ 1 ( J 0 − J T )dt . L0 (5.4) Für eine plastische Dehnung von 0.6 erhält man so aus den berechneten Permeationskurven eine Konzentration von 0.81 · 1021/m3 für den in Fallen gefangenen Wasserstoff. Dies entspricht bei einer Fallendichte von 2.38 · 1021/m3 einem mittleren Besetzungsgrad der Fallen von 0.34, d.h. die Fallen sind nach der Erstbeladung im Mittel zu einem Drittel besetzt. -58- 5.2 Ergänzende Untersuchungen zur Wasserstoffaufnahme bei Deckschichtbildung von FeE 690T in alkalischen Medien Bei der Durchführung von bruchmechanischen Tests zur wasserstoffinduzierten Risskorrosion wird der zu untersuchende Werkstoff während der Wasserstoffbeladung verformt. Unabhängig vom gewählten Probentyp kommt es hierbei zur Bildung frischer Oberflächen, die eine andere Wasserstoffabsorptionskinetik besitzen als solche, die bereits durch den Kontakt mit dem umgebenden Medium erneut passiviert wurden [82, 83]. Die folgenden Untersuchungen haben das Ziel, die sich bei dem untersuchten Stahl bildenden Deckschichten näher zu charakterisieren und deren Einfluss auf den Wasserstofftransport zu quantifizieren. Inwiefern Deckschichten die Ergebnisse im ersten Teil der Arbeit beeinflussen, soll durch die Bestimmung des Diffusionskoeffizienten an Proben mit unterschiedlicher Stärke abgeschätzt werden. Geht man davon aus, dass Deckschichten einen niedrigeren Diffusionskoeffizienten für Wasserstoff aufweisen als der darunterliegende Stahl, müsste der effektive Diffusionskoeffizient mit steigender Probendicke zunehmen, was durch die Ergebnisse in Tabelle 5.4 bestätigt wird. Zwar verlängerte sich die Durchbruchszeit mit zunehmender Diffusionsstrecke erwartungsgemäß, die genaue Berechnung des effektiven Diffusionskoeffizienten zeigt jedoch einen leichten Anstieg. Tabelle 5.4 Wasserstoffdiffusibilitäten gemessen in 0.1 M NaOH bei 295 K in Abhängigkeit von der Membranstärke d d [mm] A [cm²] tb [s] Deff -7 [10 cm2/s] 1.03 2.0 1800 2.9 ± 0.21 2.51 9.1 8500 3.7 ± 0.12 3.48 9.1 12000 5.1 ± 0.14 -59- 5.2.1 Deckschichtbildung in 0.1 M NaOH Zur Charakterisierung der Deckschichten von FeE 690T in alkalischen Elektrolyten wurden mit Hilfe der Cyclovoltammetrie Deckschichtdiagramme aufgenommen. Insgesamt sind die Deckschichtdiagramme sehr gut reproduzierbar. Ein Einfluss des Korrosionspotentials auf die Messergebnisse wurde nicht beobachtet. Nach Ende der Messung wiesen die Proben an der Kontaktfläche zum Medium einen mit bloßem Auge erkennbaren hellbraunen kolloidartigen Niederschlag auf, der sich leicht in verdünnten Säuren löste. Bild 5.9: Cyclovoltamogramm von FeE 690T bei 295 K nach 60 min bei freiem Korrosionspotential in 0.1 M NaOH / N2 (Eλc = –1.25 V, Eλa = –0.30 V, dE/dt = 50 mV/s) Bild 5.9 zeigt das Deckschichtdiagramm im Potentialbereich von –0.30 bis –1.25 V nach 60 min in verdünnter Natriumhydroxidlösung bei freiem Korrosionspotential. Es zeigt je zwei anodische (I + II) und kathodische Peaks (III + IV), wobei Peak III eine ausgeprägte Schulter im Bereich um –0.85 V besitzt (III'). Auffällig ist, dass die Peakströme mit fortschreitender Messung ständig zunehmen. Vor allem Peak II und III wachsen in regelmäßigen Abständen und erreichen erst oberhalb von 100 -60Durchläufen ein konstantes Niveau, wobei sich die Lage der beiden Peaks beständig ändert. Im Vergleich zu Peak II ist Peak I weniger stark ausgeprägt. Er liegt konstant bei –1.06 V und wächst ab dem fünften Durchlauf nicht weiter an. Die kathodischen Peaks zeigen ein ähnliches Bild. So liegt Peak III zunächst um –1.0 V und verschiebt sich dann im Verlauf der Messung zu negativeren Potentialen. Peak IV erscheint erst nach ca. fünf Zyklen mit einem maximalen Peakstrom bei –1.25 V. Die Lage und Höhe der Peaks ähneln insgesamt sehr stark denen des Eisens in alkalischen Medien, wie der Vergleich in Tabelle 5.5 zeigt. Tabelle 5.5: Zuordung der Peaks an FeE 690T anhand des Vergleichs mit Literaturdaten von Eisen und Stahl in alkalischen Lösungen bei 295 K Eisen1 [92] Stahl2 [93] FeE 690T [V]3 [V] [V] I -1.02 -1.06 -1.06 Fe(OH)2 II -0.60 -0.62 -0.68 FeOOH III -1.06 -1.15 -1.07 FeOOH III' -0.84 - -0.84 FeOOH IV -1.27 -1.28 -1.25 Fe(OH)2 Peak 1) Spezies Verunreinigungen (ppm): Mn (3), Ca (2), Si (2), Cu (1), Mg (<1) Elektrolyt: 1 M NaOH 2) Zusammensetzung (Gew.%): C (1.34), Mn (0.7), Si (< 0.01), Al (0.003), Ni (0.005), (Cr 0.06) Elektrolyt: 1 M NaOH 3) vs. Ag/AgCl Demzufolge reagiert FeE 690T im Potentialbereich zwischen -1.25 und -0.30 V mit den Hydroxidionen im Elektrolyten unter Bildung von stabilen, in alkalischen und neutralen Medien unlöslichen Eisenhydroxidverbindungen. Die gefundenen Peaks (I-IV) können mit Hilfe von Tabelle 5.5 folgenden elektrochemischen Reaktionen zugeordnet werden: Peak I + IV: Peak II + III: Fe + 2 OHFe(OH)2 - + OH Fe(OH)2 + 2eFeOOH (5.2) - + H2O + e (5.3) -61Im ersten Schritt der Deckschichtbildung wird oberhalb -1.10 V elementares Eisen zu Fe2+ umgesetzt, woraufhin das Fe2+-Ion mit dem Elektrolyten zu Fe(OH)2 weiterreagiert. Bei Werten oberhalb -1.0 V beginnt im nächsten Schritt die Oxidation von Fe(OH)2 zu FeOOH (Eisenoxidhydroxid). Dabei wird ein Wassermolekül abgespalten und das Eisen geht in den stabileren dreiwertigen Zustand über. Während des negativen Potentialdurchlaufs erfolgt die Reduktion des gebildeten FeOOH zurück zu Fe(OH)2, der sich bei Peak IV die Reduktion zu elementarem Eisen anschließt. Die Reaktionsfolge in (5.2) und (5.3) wird zusätzlich durch das in Bild 5.10 dargestellte Experiment bestätigt, bei dem der Potentialbereich durch Änderung des kathodischen Umkehrpotentials von –1.25 auf –1.15 V verkleinert wurde. Bild 5.10 : Cyclovoltamogramm von FeE 690T in 0.1 M NaOH / N2 bei 295 K nach 60 min bei Ecorr (Eλc = –1.15 V, Eλa = –0.30 V, dE/dt = 50 mV/s) Dies hat zur Folge, dass der Peak I, obwohl innerhalb des Potentialbereichs, nicht mehr in Erscheinung tritt, während die Peaks II und III im Cyclovoltamogram erhalten bleiben, d.h. dass dem Oxidationspeak I der Reduktionspeak IV und entsprechend dem Oxidationspeak II der Reduktionspeak III (III') zugeordnet werden muss. Interessant bei der Reduktion von Fe(OH)2 ist, dass dieser Reaktionsschritt deutlich im Bereich der -62kathodischen Wasserstoffabscheidung liegt, deren Tafelgerade schon etwa bei –1.15 V einsetzt [94]. Somit läuft an der Stahloberfläche bei kathodischer Polarisation parallel zur Wasserstoffreduktion eine zweite die Deckschicht betreffende Reaktion ab. Auffällig ist auch, dass bei erstmaligem kathodischen Durchgang (von -0.30 nach -1.15V) sich kein Peak III ausbildet. Ein entsprechendes Strommaximum wird erst nach der erstmaligen Oxidation der Oberfläche beobachtet, das bei fortlaufender Messung entsprechend an Höhe zunimmt. Demnach liegt bei freiem Korrosionspotential und vor einer erstmaligen kathodischen Polarisation noch kein Fe3+ in Lösung vor, das gemäß Glg. 4.2 zu Fe2+ reduziert werden könnte. Erst nach erstmaliger kathodischer Polarisation und einer anschließenden Reduzierung der Überspannung bildet sich ein FeOOH-Film (Peak II), der bei kathodischer Polarisation wieder reduziert wird (Peak III). 5.2.2 Einfluss von Deckschichten auf den Wasserstofftransport Inwiefern eine Deckschicht aus Eisenhydroxiden zu einem reduzierten Wasserstofftransport führt, zeigt das folgende Permeationsexperiment. Um zu verhindern, dass der gebildete Film aus Fe(OH)2/FeOOH durch die Wasserstoffbeladung teilweise wieder reduziert wird, wurde durch stetiges Durchfahren des kathodischen Potentialbereichs (–1.40 bis –0.40 V, 50mV/s) die Deckschicht ständig erneuert. Der bei diesem Prozess entstehende Wasserstoff diente gleichzeitig zur Messung des Diffusionskoeffizienten durch die so beschichtete Membran. Nach dem Erreichen eines konstanten Permeationsstroms wurde dann wie zuvor bei den Messungen zur Bestimmung des Diffusionskoeffizienten das Beladepotential konstant auf –1.35 V gehalten. Bild 5.11 zeigt die Permeationskurve in Abhängigkeit des zeitlichen Ablaufs der Wasserstoffbeladung, bzw. der Natur der Deckschicht, wobei das im ersten Teil der Messung zu beobachtende Rauschen im Permeationsstrom nicht auf Schwankungen im Wasserstofffluss beruht, sondern ausschließlich die Folge des sich durch Anlegen der Dreieckspannung stetig ändernden Kontaktwiderstands an der gemeinsamen Probenzuleitung ist. -63- Bild 5.11: Permeationskurve bei ständiger Erneuerung der Deckschicht durch cyclovoltammetrische Beladung und anschließender Polarisation bei Ec = –1.35 V in 0.1 M NaOH (T = 295 K, L = 0.98 mm) Der im ersten Teil der Messung gemessene Oxidationsstrom zeigt, dass die während der cyclovoltammetrischen Beladung erzeugte Menge an Wasserstoff zur Bestimmung der effektiven Diffusion durch eine beschichtete Membran ausreicht, wobei das Plateau in der Permeationskurve auf konstante Konzentrationsbedingungen trotz des sich periodisch ändernden Potentials an der Eintrittseite hinweist. Die grafische Auswertung zeigt, dass die Diffusion von Wasserstoff durch eine Metallmembran durch die Existenz eines Deckschichtfilms erniedrigt wird. Im ersten Teil der Kurve erhöht sich die Durchbruchszeit im Vergleich zu einer unbeschichteten Membran (vgl. Abb 5.1) um ca. 1000 s auf 2700 s. Das entspricht bei einer Membrandicke von 0.98 mm einer Reduzierung der effektiven Diffusion um mehr als 50 % auf 1.8 ± 0.1 · 10-7 cm²/s. Nach Erreichen eines konstanten Permeationsstroms wird im zweiten Teil der Messung bei anhaltender kathodischer Beladung offensichtlich soviel mehr Wasserstoff absorbiert, dass wie schon zuvor bei der Zweitbeladung (vgl. Kap. 5.1.2.2) eine Bestimmung von Deff erfolgen kann. -64Bei dieser Art der Zweitbeladung ergibt sich für Deff ein Wert von 5.3 ± 0.1 · 10-7 cm²/s, ein Wert, der in etwa dem einer Erstbeladung ohne zusätzliche Deckschichterzeugung entspricht. Der Wasserstofffluss in Bild 5.11 ist im Vergleich zur Membran ohne Deckschicht ebenfalls deutlich niedriger (vgl. Bild 5.1). 5.2.3 Deckschichtbildung in 0.1 M NaOH nach kathodischer Polarisation Eine über mehrer Tage andauernde Wasserstoffbeladung führte dort, wo die Proben mit dem Medium in Kontakt waren, zu bräunlichen Verfärbungen, die mit fortschreitender Versuchsdauer dunkler wurden, so dass davon ausgegangen werden muss, dass sich die Oberfläche trotz des konstanten Beladepotentials während der Beladung verändert. Diese Veränderungen spiegelten sich auch in den Deckschichtdiagrammen wider. Bild 5.12 zeigt das Deckschichtdiagramm von FeE 690T in 0.1 M NaOH nach 20-stündiger Wasserstoffbeladung, nachdem die Probe zuvor eine Stunde bei freiem Korrosionspotential belassen wurde. Bild 5.12: Cyclovoltammogramm von FeE 690T in 0.1 M NaOH / N2 bei 295 K nach 60 min bei Ecorr und 20 h bei –1.35 V (Eλc = –1.25 V, Eλa = –0.30 V, dE/dt = 50 mV/s) -65Man erhält für diesen Fall ein dem der Deckschichtbildung ohne vorangegangene Polarisation sehr ähnliches Bild (Bild 5.9). Peak II und III zeigen in ihrer Entstehung wiederum eine wechselseitige Abhängigkeit, wobei insgesamt sehr viel höhere Stromdichten gemessen werden. Bei Peak II beträgt die maximale Stromdichte bei sechs Durchläufen bereits 4.2 mA/cm², während ohne vorherige Beladung in diesem Potentialbereich nur Stromdichten bis zu maximal 1.4 mA/cm² gemessen wurden. Der anodische Peak I fehlt gänzlich; stattdessen bildet sich bei einem Potential oberhalb –0.40 V eine zuvor nicht beobachtete Schulter (V). Peak IV ist nach einer langanhaltenden Wasserstoffabscheidung bereits nach dem fünften Durchlauf nicht mehr zu erkennen, und die Stromdichte im Bereich des kathodischen Wechselpotentials Eλc sinkt von 1.7 auf etwa 1.0 mA/cm². Dass sich die Oberfläche des Stahls während der kathodischen Beladung verändert, bestätigt auch das Experiment in Bild 5.13. Bei diesem Permeationsexperiment wurde wie in Kapitel 5.2.2 beschrieben durch dreimaliges Durchfahren des kathodischen Potentialfensters eine dünne Deckschicht erzeugt und mit der Wasserstoffbeladung begonnen. Es kommt in der Folge zu einer leicht verzögerten, im oberen Teil abgeflachten Permeationskurve, deren maximale Stromdichte aber im Streubereich der an unbeschichteten Proben ermittelten Werte liegt. Wird nun die Deckschicht durch erneutes Durchfahren des Potentialbereichs wiederhergestellt, kommt es zu einem irreversiblen Absinken des Permeationsstroms. Auch die Zugabe von EDTA, das in der Literatur häufig zur vollständigen elektrochemischen Reduktion von Eisenhydroxidschichten eingesetzt wird, trägt, wie die kaum nennenswerten Erhöhung Wasserstoffabsorption bei. im Permeationsstrom zeigt, nicht zu einer der verbesserten -66- Bild 5.13: Einfluss der Beladungsdauer auf die Stabilität von durch anodische Polarisation erzeugten Deckschichten auf FeE 690 T Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn wie in Bild 5.14 dargestellt, die Wasserstoffbeladung für einige Stunden unterbrochen (siehe rote Kurve) und währenddessen die Oberfläche bei freiem Korrosionspotential belassen (ic = 0) wird. Deutlich erkennbar flacht die Permeationskurve nach erstmaligem Unterbrechen des Beladestroms ab. Der Anstieg ist deutlich verzögert, wobei die maximale Permeationsstromdichte ebenfalls deutlich sinkt. Nach erneuter Unterbrechung ist der Verlauf der Permeationskurve ähnlich der zweiten Permeationskurve. Permeationsstrom und die Durchbruchszeiten sind identisch, wie Tabelle 5.6 zeigt. Der maximale -67- Bild 5.14: Auswirkung einer Unterbrechung der kathodischen Beladung auf die Wasserstoffabsorption und die kathodische Stromdichte (Ec = -1.35 V, T = 295 K) Tabelle 5.6: Einfluss einer mehrmaligen Unterbrechung der kathodischen Beladung auf die Bestimmung des effektiven Diffusionskoeffizienten L iP tb Deff nach 50 h [mm] [µA/cm²] [s] [· 10-7 cm2/s] 1. Permeation 0.97 0.55 1400 3.5 ± 0.5 2. Permeation 0.97 0.42 1800 2.7 ± 0.3 3. Permeation 0.97 0.42 1800 2.7 ± 0.3 Offensichtlich wird durch die Unterbrechung in Analogie zur cyklovoltammetrischen Beladung an der Eintrittseite eine Schicht gebildet, die die Wasserstoffaufnahme verlangsamt. Der zugehörige Beladestrom sinkt während der Wasserstoffabscheidung stetig ab. Dieses Verhalten lässt sich nur damit erklären, dass die Werkstoffoberfläche chemischen Veränderung unterworfen ist, wobei sich trotzdem, wenn auch verzögert, ein konstanter Oxidationsstrom ausbildet. -68- 6 Diskussion der Ergebnisse 6.1 Wasserstofftransport in FeE 690T Zur Bestimmung des Diffusionskoeffizienten von Wasserstoff im Stahl FeE 690T wurden elektrochemische Permeationsmessungen an dünnen Blechen sowie an gekerbten C(T)-Proben durchgeführt. Dabei konnte in Vorversuchen eine Abhängigkeit der Resultate vom Beladeelektrolyten festgestellt werden, wobei sich herausstellte, dass einzig die potentiostatische Beladung in verdünnten alkalischen Medien reproduzierbare und auswertbare Permeationskurven lieferte. 6.1.1 Diffusion im unverformten Zustand Das in Bild 5.1 dargestellte Experiment für εpl = 0 zeigt die unter den gewählten Bedingungen gute Übereinstimmung der experimentellen Daten mit dem 2. Fickschen Gesetz. Der durch Anpassung an Gl. (4.6) ermittelte Diffusionskoeffizient für den unverformten Zustand liegt mit 5.4 ± 0.27 cm²/s in der für niedriglegierte Stähle üblichen Größenordnung (vgl. Tab. 6.1). Tabelle 6.1: Effektive Diffusionskoeffizienten von einigen niedriglegierten Stählen ähnlicher Zusammensetzung aus elektrochemischen Permeationsexperimenten bei Umgebungstemperaturen Autoren 1 Scoppio und Barteri [95] 2 Kurkela, Frankel und Stahl T Deff (Erstbeladung) [°C] [10-7 cm2/s] X 65 0.1 M NaOH 25 4.6 - 9.3 SA 542-3 0.05 M H2SO4 25 5.1 Latanision [47] + 10 mg/l NaAsO2 3 Scully and Moran [77] AISI 4340 3.5% NaCl 24 - 27 4.5 4 Jin-Ming Chen und Jiann- AISI 4140 1 M H2SO4 25 3.1 - 5.4 Kuo Wu [96] 1 Belademedium 5 Gutiérrez-Solana et al. [10] 6 7 + 1 g/l Na2S E 690 0.1 M NaOH 25 5.1 Chan, Lee und Yang [46] Fe-Mn-C1 0.1 M NaOH 25 4.2 Diese Arbeit FeE 690T 0.1 M NaOH 25 5.4 ± 0.27 Zusammensetzung (Gew.%): C 0.23, Mn 1.47, Si 0.39, Cu 0.21, P 0.015, S 0.001, N 0.0026 -69- Eine Steigerung der Wasserstoffkonzentration an der Eintrittseite der Membran führt auch zu einer Erhöhung des effektiven Diffusionskoeffizienten (vgl. Tab. 5.2). Dieses Verhalten lässt auf die Existenz von Fehlstellen im Werkstoff schließen, die mit den Wasserstoffatomen wechselwirken und so den effektiven Diffusionskoeffizienten bei Erstbeladung stark herabsetzen. Wenn diese Fallen bei einer ersten Wasserstoffbeladung ganz oder teilweise gesättigt werden, stehen sie für die nachfolgenden Wasserstoffatome nicht mehr für eine Bindung zur Verfügung, so dass der Wasserstoff zunehmend durch die schnellere Gitterdiffusion bestimmt wird. Demnach verfügt der hier untersuchte Stahl auch im unverformten Zustand über eine beträchtliche Anzahl an Fallen. Die Simulation liefert für diesen Fall einen Wert für NT gleich 0.61 · 1020/m³, wobei die Bindungsenergie von 60 kJ/mol auf Stufenversetztungen als dominierende Wasserstofffallenart hinweist. 6.1.2 Wasserstoffdiffusion im plastisch verformten Werkstoff Die am verformten Werkstoff gemessenen Diffusionskoeffizienten zeigen neben der schon im unverformten Zustand beobachteten Konzentrationsabhängigkeit auch eine starke Abhängigkeit vom Grad der Plastifizierung. Schon bei sehr geringen plastischen Dehnungen kommt es zu einer Verlängerung der Durchbruchszeit bei gleichzeitigem Abflachen der Permeationskurven. Die im Rissgrund auftretenden Dehnungen bewirken bei dem hier untersuchten Stahl eine Reduzierung der effektiven Diffusion auf ca. ein Hundertstel des ursprünglichen Wertes (vgl. Bild 5.7). Mit wachsender Verformung nimmt die Streuung der Messwerte zu, was vermutlich mit dem Verformungmechanismus der Werkstoffs zusammenhängt. Bei Vorhandensein von Stufenversetzungen können durch den Herstellungsprozess verursachte lokale Unregelmäßigkeiten in der Versetzungsdichte verstärkt werden, wenn man davon ausgeht, dass im Zuge der Walz- bzw. Dehnungsbeanspruchung in diesen Bereichen weitere Fehlstellen erzeugt werden. Als möglicher Prozess sei hier der Frank-Read-Mechanismus genannt, bei dem Stufenversetzungen beim Abgleiten auf Schraubversetzungen treffen, wodurch neuerliche Stufenversetzungen entstehen. Vermutlich enstehen dadurch sogar bevorzugte Pfade, entlang welcher der Hauptteil der Wasserstoffatome durch den Werkstoff diffundieren kann. So liefert eine gewalzte Probe, die schon bei Erstbeladung einen hohen Diffusionskoeffizienten liefert, auch bei Zweitbeladung einen entsprechend höheren Wert und umgekehrt (vgl. Tab. 5.2). Auch die relativ große Streung bei den Messungen an den C(T)-Proben könnte so zumindest teilweise erklärt werden. Bei Zweitbeladung, d.h. bei erhöhter Wasserstoffkonzentration im Werkstoff, vermindert sich der Einfluss der plastischen Verformung nur etwas. Auch hier führt eine Verformung wie schon bei der Erstbeladung zu einer Abnahme der effektiven Diffusionsgeschwindigkeit (vgl. Bild 5.7). Dies bedeutet, dass trotz einer Erhöhung der Wasserstoffkonzentration im Werkstoffinneren die Wasserstoffatome mit den Fehlstellen -70wechselwirken und unter den gewählten Bedingungen noch keine vollständige Absättigung der Fehlstellen durch die elektrochemische Beladung erzielt wird. Gestützt werden diese qualitativen Aussagen zum Wasserstofftransport durch die gute Übereinstimmung der gemessenen Diffusionskoeffizienten mit den Streubändern aus der numerischen Simulation (Bild 5.8). Hier wurde ein Modell, das den Wasserstofftransport in Gegenwart von Fallen beschreibt, auf den in dieser Arbeit untersuchten Werkstoff angewendet, wobei sich zeigte, dass sowohl die mikroskopischen Parameter, wie z.B. die Fallendichte, als auch makroskopische Größen wie der Permeationsstrom durch das numerische Verfahren überraschend gut reproduziert werden können. Dabei ist die Reduzierung des effektiven Diffusionskoeffizienten eindeutig auf die vermehrte Zahl an Fehlstellen zurückzuführen. Die aus der Anpassung der Diffusionskoeffizienten an die experimentellen Daten gefundene Beziehung zwischen der plastischen Verformung und der Fallendichte (Gl. 5.3) ermöglicht die Berechung eines effektiven Diffusionskoeffizienten für einen beliebigen Dehnungszustand. Bei bekanntem Verformungs-verhalten erlaubt das Modell eine Abschätzung der Wasserstoffverteilung sogar in den stark plastifizierten Bereichen in der Umgebung von Kerben oder Rissen. Bemerkenswert ist der vom Grad der Verformung unabhängige maximale Permeationsstrom (vgl. Tab. 5.2). Dies führt zu der Annahme, dass der Wasserstofftransport im Werkstoff im wesentlichen durch Gitterdiffusion erfolgt, und kein direkter Austausch von Wasserstoff zwischen den Fallen möglich ist. Mit anderen Worten benötigt die Diffusion in Gegenwart von Fallen zwar mehr Zeit zur Ausbildung eines konstanten Konzentrationsgradienten während der Permeation, die insgesamt durch die Membran tretende Wasserstoffmenge wird jedoch allein durch die freien Zwischengitterplätze festgelegt. Diese Beobachtung deckt sich mit Untersuchungen von Riecke und Bohnenkamp an Eisen, in denen selbst die hohe Gitterfehlerdichte bei 80 % kaltgewalzten Blechen keinen Einfluss auf die stationäre Wasserstoffpermeation hatte [97]. Die Messungen an C(T)-Proben, bei denen die Beladung im Kerbgrund stattfand, zeigten eine geringe Reproduzierbarkeit in Hinblick auf die gemessenen Wasserstoffströme und, wenn auch in geringerem Maße, die Diffusionskoeffizienten. Der Grund dafür könnte sowohl in der geringeren Eintrittsfläche als auch in dem geringeren Probenvolumen liegen, das im Vergleich zu klassischen Permeationsexperimenten sehr viel kleiner ist, so dass sich Inhomogenitäten im Bereich der Deckschicht und im Gefüge bei dieser Geometrie stärker auswirken. Aus dem gleichen Grund wirkt sich hier die Blasenbildung störender auf den Wasserstoffeintritt aus als bei ebener Probenoberfläche. -71- 6.1.3 Verhältnis von Gitter- zu Fallenwasserstoff im verformten Werkstoff Die Verknüpfung der Fallendichte mit dem Grad der plastischen Verformung erlaubt die Abschätzung der Konzentrationsverhältnisse im hier untersuchten Stahl. Berechnet man mit Hilfe der Gleichungen (4.9) und (5.3) das Verhältnis aus Fallen- und Gitterwasserstoff an der Eintrittseite, so erhält man mit zunehmender plastischer Verformung ein deutliches Ansteigen des in den Fallen befindlichen Wasserstoffs. In Bild 6.1 dargestellt ist das Verhältnis von C(T)/CL direkt unterhalb der Metalloberfläche, beispielsweise an der Rissspitze, wo, wenn davon ausgegangen wird, dass die Wasserstoffkonzentration im Metallinneren abnimmt, die Gesamtmenge diffusiblen Wasserstoffs während der Beladung am höchsten ist. Bild 6.1: Mit Hilfe von Gln. (4.9) und (5.3) berechnete relative Wasserstoffkonzentration in Fallen direkt unterhalb der Oberfläche in Abhängigkeit von der plastischen Dehnung Bei einer Verformung von εpl = 0.8 befinden sich demnach 30mal mehr Wasserstoffatome in den Fallen als für die Gitterdiffusion zur Verfügung steht. Dieser Wert liegt ca. um die Hälfte niedriger als der von Sofronis und McMeeking bzw. Krom et al. berechnete Wert für Eisen [52, 87]. Als Ursache dafür können Abgleitungsprozesse an den Phasengrenzen verantwortlich gemacht werden, die die -72Bildung neuer Stufenversetzungen unterbinden. Auch ein Umklappen der nadelförmigen Ausscheidungen (vgl. Bild 4.4) könnte zu einer plastischen Verformung des Werkstoffs beitragen, ohne dass zusätzlich Fallen entstehen. Deutlicher wird der in Bild 6.1 dargestellte Effekt, wenn man davon ausgeht, dass die Wasserstoffkonzentration mit steigendem Abstand von der Oberfläche, bzw. von der Rissspitze, abnimmt. Bild 6.2 zeigt die relative Wasserstoffkonzentration in Fallen in Abhängigkeit der plastischen Dehnung und der Zahl der beweglichen Wasserstoffatome. Man erkennt für den untersuchten Stahl eine Zunahme des Anteils der Wasserstoffatome in Fallen mit abnehmender Gitterkonzentration. Bild 6.2: Mit Hilfe von Gln. (4.9) und (5.3) berechnete relative Wasserstoffkonzentration in Fallen in Abhängigkeit von der plastischen Dehnung und der Wasserstoffkonzentration im Gitter Nach Bild 6.2 sinkt in Gegenwart von Fallen die Menge des in den Fallen befindlichen Wasserstoffs auf Grund der hohen Bindungsenergie bei abnehmender Gesamtkonzentration wesentlich langsamer als die Konzentration im Gitter. Eine Verringerung der Zahl der Wasserstoffatome im Gitter von 1020 auf 1018/m³ führt bei einer plastischen Dehnung von 10 % zu einem Anstieg der relativen Fallenkonzentration von 5 auf über 50. Bei sehr großen plastischen Verformungen erhöht sich dieser Wert sogar auf über 200. Dieses Verhalten ist auch dann noch gültig, wenn zusätzlich die Spannungen -73im Bauteil bei mechanischer Beanspruchung berücksichtigt werden. Gemäß den Berechnungen von Krom et al erhöht sich die Konzentration im Gitter in Folge der Gitteraufweitung maximal um den Faktor zwei, so dass die so erzielte Erhöhung von CL weit weniger ins Gewicht fällt, als die Umverteilung zu Gunsten von CT durch die zusätzlich erzeugten Fallen. 6.1.4 Zusammenhang zwischen Wasserstofftransport und Risszähigkeit Mit Hilfe der in dieser Arbeit entwickelten Methode lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Versetzungsdichte und der plastischen Verformung ableiten, woraus sich der effektive Diffusionskoeffizient für jede beliebige Dehnung, sogar im stark verformten Bereich vor einem Riss berechnen lässt. Weiterhin lassen sich aus der Anpassung der experimentellen Daten an ein Wasserstofftransportmodell wichtige Informationen über die Konzentrationsverhältnisse des Wasserstoffs im Werkstoff ableiten. Bei bekanntem Verformungsverhalten eines Werkstoffs können die unterschiedlichen Konzentrationen von Gitter- und Fallenwasserstoff in der plastischen Zone bzw. innerhalb der Prozesszone in Abhängigkeit des Abstands von der Rissspitze berechnet werden. Die berechneten Diffusionskoeffizienten für den Stahl FeE 690T liegen sehr niedrig und nehmen bei steigender Verformung stark ab. Selbst für den idealisierten fallenfreien Werkstoff ergibt sich mit 1.8 · 10-6 cm2/s ein Wert, der um ca. zwei Größenordnungen niedriger liegt als der Wert für reines α-Eisen. Auf Grund der langsamen Diffusionsgeschwindigkeit beruht der an FeE 690T beobachtete Dehnrateneffekt bei monoton ansteigender Belastung, wie bereits von Dietzel und Pfuff vorgeschlagen, vermutlich auf dem Wasserstofftransport vor der Rissspitze [78]. Dabei spielen die Fallen im Werkstoff eine entscheidende Rolle. Wenn man zusätzlich entgegen der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass der Rissfortschritt nicht durch den Gesamtwasserstoff, sondern, ähnlich wie bei der Deköhäsionstheorie (vgl. Kap. 2.5), allein durch die im Gitter befindlichen Wasserstoffatome beschleunigt wird, so lassen sich selbst die bei sehr niedrigen Abzugsraten gemessenen Effekte sehr gut veranschaulichen: Zum einen ist die Diffusionsgeschwindigkeit durch die hohe Fallendichte in der plastischen Zone stark herabgesetzt, so dass die Zeit bis zum Erreichen einer kritischen Wasserstoffkonzentration im Vergleich zum unverformten Zustand entsprechend zunehmen muss. Daraus folgt unmittelbar, dass bei hohen Beanspruchungs- und den daraus resultierenden hohen Rissgeschwindigkeiten die Diffusionsfront der Wasserstoffatome nicht mit dem fortschreitenden Riss mithalten kann, so dass der Werkstoff vor dem Riss relativ arm an Wasserstoff ist, was sich in einer weitgehend unveränderten Risszähigkeit widerspiegelt. -74Erst bei sehr niedrigen Abzugsraten verschwindet die Differenz zwischen Diffusions- und Rissgeschwindigkeit, so dass genügend Wasserstoffatome in die Prozesszone nachdiffundieren können, was dazu führt, dass die R-Kurven zunehmend stark von dem an Luft ermittelten Verlauf abweichen (vgl. Bild 2.3). Zweitens bewirkt die hohe Fallendichte zusammen mit der relativ hohen Bindungsenergie, dass das Gleichgewicht zwischen Fallen- und Gitterwasserstoff stark auf Seiten der Fallen liegt. Ist nun die Gesamtkonzentration Absorptionsraten, z.B. des Wasserstoffs ausgelöst durch im Werkstoff Deckschichten auf bzw. Grund von niedrigen niedrigen kathodischen Überspannungen, gering, so ist die Zeit bis zum Erreichen einer für den Versprödungsprozess kritischen Gitterkonzentration entsprechend groß, da sich der eindiffundierende Wasserstoff bevorzugt in den Fallen einlagert. Somit führt die vermehrte Zahl an Versetzungen zwar insgesamt zu einer Erhöhung der Löslichkeit, der Anteil des Wasserstoffs im Gitter bleibt jedoch annähernd gleich, wie aus den Permeationsgrenzströmen ersichtlich wird. Im Gegenteil führt eine hohe Abzugsrate zu einer Verarmung der plastischen Zone an Wasserstoff, da die Fallen zunächst von Wasserstoffatomen aus dem umgebenden Gitter aufgefüllt werden. Erst bei hinreichend niedriger Abzugsrate kann genügend Wasserstoff von der Werkstoffoberfläche nachdiffundieren, um den durch die zusätzlichen Fallen erzeugten Mangel an Wasserstoff auf Zwischengitterplätzen auszugleichen. Beide Effekte haben zur Folge, dass der Wasserstoffftransport in der plastischen Zone sehr empfindlich auf plastische Verformungen reagiert, was u.a. durch die geringe Toleranz bei der Anpassung der Parameter α und β bei der Simulation bestätigt wird. Dieses Verhalten erklärt ferner Beobachtungen, nach denen eine Vorbeladung des Werkstoffs mit Wasserstoff nicht zu der erwarteten Abnahme der Risszähigkeit führte. So wiesen die R-Kurven, die vor der mechanischen Beanspruchung mit Wasserstoff beladen wurden, nach einiger Zeit einen steileren Kurvenverlauf auf als diejenigen, die bei identischer Abzugsrate unter gleichzeitiger Wasserstoffbeladung verformt wurden, obwohl die ermittelten Werte der kritischen Spannungsintensität KISCC, vergleichbar waren [73]. Dieses Ergebnis lässt sich, wie oben besprochen, zum einen mit der Abnahme der Diffusionsgeschwindigkeit, zum anderen mit der erhöhten Fallenkonzentration - gleichbedeutend mit einer Umverteilung des Wasserstoffs während der Verformung - gut erklären. Bei Verwendung der Prüfprozedur mit konstanter Verformungsgeschwindigkeit zur Ermittlung einer Anfälligkeit eines Werkstoffes gegenüber Spannungsrisskorrosion führt somit eine vorgezogene Beladung der Probe mit Wasserstoff mit dem Ziel einer Verringerung des experimentellen Aufwands nicht zu gültigen Kennwerten. Im Gegenteil überschätzt ein derartiges Verfahren die Toleranz eines metallischen Werkstoffs gegenüber Wasserstoffversprödung, da schon geringste plastische Verformungen umgehend zu einer Verringerung der Wasserstoffkonzentration im Metallgitter führen. -75Mit Hilfe des von Dietzel und Pfuff vorgeschlagenen Modells zur Dehnratenabhängigkeit von Risswiderstandskurven lässt sich die Größe der für den Rissfortschritt entscheidenden Prozesszone abschätzen (vgl. Bild 2.4) [78]. Wird für die plastische Dehnung vor der Rissspitze wie im Falle der gekerbten C(T)-Proben ein mittlerer Wert von 0.8 angenommen, so ergibt sich mit Hilfe der ermittelten effektiven Diffusionskonstanten und des aus der Anpassung an die R-Kurven bestimmten D/r-Verhältnisses von 10-5 mm/s unter Berücksichtigung der Streubänder für die Ausdehnung der Prozesszone ein Wert von 60-150 µm. Dieser Bereich ist somit bedeutend kleiner als die Ausdehnung der plastischen Zone in x-Richtung, die im unbeladenen Zustand mehrere Millimeter beträgt, wie die Ergebnisse der FEM-Rechnungen belegen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Toribio bei Zugversuchen an einem hochfesten perlitischen Stahl unter Wasserstoffbeladung [98]. Die Größe des wasserstoffbeeinflussten Bereichs auf der Bruchfläche der gekerbten Rundzugproben war in der Regel wesentlich kleiner als die Ausdehnung der plastischen Zone. Nur bei sehr kleinen Kerbradien und Dehnraten unterhalb 2 · 10-10/s zeigten sich wassertstoffbedingte Mikrorisse auch außerhalb des plastifizierten Bereiches. Dies bedeutet, dass bei monotoner Beanspruchung die für das Wachstum eines Risses verantwortlichen Prozesse in unmittelbarer Nähe zur Rissspitze und damit zur Metalloberfläche stattfinden müssen. Da der Zusammenhang zwischen plastischer Verformung und Fallendichte abhängig vom jeweiligen Werkstoff ist, lassen sich die an dem hier untersuchten Stahl gewonnenen Erkenntnisse nicht ohne Weiteres auf andere Werkstoffe übertragen. Neben der Zahl hat auch die Art der Fallen erheblichen Einfluss auf den Wasserstofftransport. Deshalb kommt der Mikrostruktur eine entscheidende Bedeutung im Hinblick auf die Vorhersage wasserstoffbedingter Schäden zu, wie die zahlreichen Untersuchungen zu diesem Thema zeigen. Festzuhalten bleibt, dass, je größer die Verformbarkeit und je geringer der Diffusionskoeffizient ist, desto niedriger die zu wählende Abzugsrate sein muss. Ist der Wasserstofftransport innerhalb der Prozesszone, wie bei diesem Werkstoff gezeigt, hauptsächlich diffusionskontrolliert, lässt sich die erforderliche Versuchsdauer bei Versuchen mit konstanter Abzugsrate zur Ermittlung von KISCC auch durch eine Erhöhung der Wasserstoffabsorption, beispielsweise durch die Verwendung von H2S-haltige Medien, nicht verkürzen. Allerdings sollten bei solchen bruchmechanischen Tests unter elektrochemischer Beladung die Überspannungen möglichst so gewählt werden, dass die Einstellung eines Gleichgewichts zwischen Fallen- und Gitterwasserstoff im Werkstoff nicht durch einen limitierten Wasserstoffeintritt verzögert wird, zumal Deckschichten den Wasserstoffeintritt in wässrigen Medien stark reduzieren können (siehe unten). -76- 6.2 Wasserstoffeintritt während kathodischer Polarisation in alkalischen Medien Die Ergebnisse der Permeationsmessungen weisen eine leichte Abhängigkeit der Diffusionsgeschwindigkeit von der Membranstärke auf (vgl. Tab. 5.4). Zwar liegen die berechneten Diffusionskoeffizienten für den unverformten Zustand in der selben Größenordnung, jedoch steigt die effektive Diffusion mit zunehmender Membranstärke erkennbar an. Dieses in der Literatur oft zu beobachtende Phänomen lässt sich mit der Existenz von diffusionshemmenden Deckschichten erklären, deren Bedeutung mit abnehmender Diffusionsstrecke steigt. Die genaue Untersuchung der Reaktionen an der Grenzfläche zwischen Werkstoff und Elektrolyt würde den experimentellen Rahmen dieser Arbeit unverhältnismäßig ansteigen lassen. Aus den Ergebnissen der cyclovoltammetrischen Untersuchungen lassen sich jedoch einige wichtige Informationen bezüglich der Deckschichtproblematik ableiten, so z.B. durch den Vergleich der Cyclovoltammogramme vor und nach einer Wasserstoffabscheidung. 6.2.1 Deckschichtbildung ohne Polarisation Ein Vergleich der Deckschichtdiagramme von elementarem Eisen und FeE 690T zeigt, dass sich die Stahloberfläche bei Kontakt mit verdünnter Natronlauge spontan mit einer Hydroxidschicht überzieht, deren Zusammensetzung ausschließlich aus wasserunlöslichem Fe(OH)2 besteht (vgl. Tab 5.5). Aus der zeitlichen Veränderung des Ruhepotentials vor Beginn jeder Permeationsmessung lässt sich schließen, dass diese Reaktion sofort nach dem Eintauchen beginnt und nach 16 bis 24 Stunden abgeschlossen ist. Diese Fe(OH)2-Schicht wirkt auf Grund des niedrigen Löslichkeitsprodukts passivierend, was sich u.a. auch in den niedrigen Hintergrundströmen <10 nA/cm² bei der Wasserstoffdetektion bemerkbar macht. Aus dem Fehlen des kathodischen Peaks beim erstmaligen Durchfahren des entsprechenden Potentialbereichs folgt, dass bei freiem Korrosionspotential und ohne vorherige kathodische Polarisation im Falle des FeE 690T keine Umwandlung des Fe(OH)2 in höherwertige Hydroxide stattfindet (vgl. Bild 5.10). 6.2.2 Deckschichtbildung bei Unterbrechung der Polarisation Wird der kathodische Potentialbereich mehrmals durchfahren, d.h. wird an der Metalloberfläche für kurze Zeit elektrochemisch Wasserstoff erzeugt, wird diese Schicht in Analogie zum Eisen zu FeOOH (= Fe2O3 · H2O) oxidiert. Die Bildung dieser Schicht ist reversibel und nur bei Potentialen oberhalb – 1.0 V stabil (vgl. Bild 5.9 und 5.10). Unterhalb dieses Wertes bildet sich erneut Fe(OH)2. Die Bildung von FeOOH ist um so ausgeprägter, je mehr Fe(OH)2 zu Beginn der Umwandlung vorliegt. -77Aus dem kontinuierlichen Anstieg der Peakhöhen folgt weiterhin, dass die Deckschicht bei jedem Beladezyklus weiter anwachsen muss. Das bedeutet, dass ständig neues Fe(OH)2 entsteht, demzufolge die entstehende Deckschicht durchlässig sein dürfte. Neuere Untersuchungen von Schmuki et al. mit Hilfe von in-situ Röntgenabsorptionsmessungen an Eisen belegen den porösen Charakter dieser Passivschicht in alkalischen Medien [30]. Da die Wasserstoffabscheidung in alkalischen Medien erst unterhalb von –1.0 V einsetzt, kann die diffusionshemmende Wirkung bei Permeationsexperimenten nur durch das Vorhandensein des Fe(OH)2-Films ausgelöst werden. Fraglich ist dabei, inwiefern sich die Fe(OH)2-Bildung und die Wasserstoffentwicklung, gegenseitig beeinflussen, da eine Änderung der Abscheidungskinetik (HER) sich notwendigerweise auch auf die Wasserstoffabsorption (HAR) auswirkt (vgl. Kapitel 2.3). Versuche, bei denen die Deckschicht durch Anlegen einer Dreieckspannung ständig erneuert wurden, zeigen, dass eine Fe(OH)2-Schicht, sowohl die Wasserstoffabsorption als auch die effektive Diffusion erheblich reduziert (vgl. Bild 5.11). Sowohl der maximale Permeationsstrom als auch der effektive Diffusionskoeffizient sinken auf ca. 50 % des Wertes, der im deckschichtfreien Zustand erreicht wird. 6.2.3 Deckschichtbildung bei langanhaltender Wasserstoffabscheidung Das farblose Fe(OH)2 wird leicht oxidiert und geht dabei über grüne und schwärzliche Zwischenstufen in das schwarze Fe3O4 · x H2O oder in das rotbraune Fe2O3 · x H2O über [99]. Die zunehmende Braunfärbung der Stahloberflächen bei langanhaltender Beladung deutet darauf hin, dass auch im Falle des hier untersuchten Stahls eine Umwandlung der Deckschichten in höherwertige Oxide erfolgt. Der bei dem für die Erstbeladung gewählten Potential von –1.35 V konstante Permeationsstrom zeigt, dass zumindestens die Absorption von adsorbierten Wasserstoffatomen über einen Zeitraum von mehreren Tagen konstant bleibt. Demzufolge ist der Fe(OH)2-Film weitgehend stabil und wird nicht durch die an der Oberfläche entstehenden Wasserstoffatome reduziert. Die genaue Untersuchung der Reaktionen an der Grenzfläche zwischen Werkstoff und Elektrolyt würde den experimentellen Rahmen dieser Arbeit unverhältnismäßig ausweiten lassen. Aus dem Fehlen der Peaks I und IV lässt sich jedoch schließen, dass sich nach mehrstündiger Wasserstoffabscheidung ein auf der Metalloberfläche fest haftender, bei erneuter Polarisation nicht reduzierbarer Fe(OH)2-Film gebildet haben muss. Zugleich sind im Vergleich zu den Messungen ohne vorherige Beladung die Stromdichten der Peaks II und III mehr als doppelt so hoch, was auf einen erhöhten Stoffumsatz schließen lässt. Bei Potentialen oberhalb –1.6 V kommt es, wie in Bild 5.4 ersichtlich, zu einem deutlichen Anstieg im Permeationsstrom. Dies hängt vermutlich mit der einsetztenden Reduktion der zuvor gebildeten Deckschichten zusammen, wie Permeationsmessungen an reinem Eisen bei kathodischer Beladung in diesem Potentialbereich belegen [34]. -78Wie in Bild 5.13 gezeigt, ist die Stabilität und damit die absorptionshemmende Wirkung der Fe(OH)2Schicht auch abhängig von der Dauer der Wasserstoffabscheidung. Werden die Deckschichten durch das Anlegen einer Dreieckspannung (n = 3) vor der Wasserstoffabscheidung erzeugt, werden diese teilweise wieder reduziert, wie der Anstieg im Permeationsstrom zeigt. Selbst die Zugabe von EDTA, welches bekanntermaßen die elektrochemische Reduktion von Fe(OH)2 erleichtert, kann die Wasserstoffaufnahme kaum nennenswert erhöhen. Es müssen demnach auch bei langanhaltender Wasserstoffbeladung noch Bereiche der Werkstoffoberfläche mit Fe(OH)2 bedeckt sein, da ein erneutes Anlegen einer Dreieckspannung zur Bildung einer Deckschicht führt, die in diesem Fall eine irreversible Reduzierung des Permeationsstroms nach sich zieht und deshalb andere chemische Eigenschaften besitzen muss als zu Beginn der Messung. Dieses Verhalten spiegelt sich auch im Verlauf der Beladeströme wider. In Bild 5.14 nimmt der für die Erzeugung der Beladespannung erforderliche Strom an der Eintrittseite während eines Beladezyklus beständig ab, da in Folge des Anwachsen der Deckschicht die Überspannung und somit der Polarisationswiderstand der Wasserstoffabscheidung kontinuierlich ansteigt. Umso erstaunlicher ist es, dass, wie in Bild 5.14 deutlich zu sehen, trotz der sich offensichtlich ändernden Verhältnisse innerhalb eines Beladezyklus ein konstanter Wasserstoffstrom durch die Membran gemessen wird: Zusammen mit der Permeationskurve in Bild 5.13 ergibt sich für das Deckschichtverhalten vor und während einer Unterbrechung der Wasserstoffbeladung das in Bild 6.3 skizzierte Szenario: An bestimmten Stellen der Werkstoffoberfläche, das können Versetzungen, Korngrenzen oder andere Inhomogenitäten sein, kann die Wasserstoffabsorption bevorzugt erfolgen, während die restlichen Bereiche mit der Zeit von einer Deckschicht aus Fe(OH)2 überzogen werden. Wird nun die kathodische Polarisation unterbrochen oder die Oberfläche anodisch polarisiert, entsteht eine Schicht aus kolloidem FeOOH, die die gesamte Oberfläche überzieht. Wird diese Oberfläche nun erneut polarisiert, wird das FeOOH zu Fe(OH)2 reduziert, die nun auch Bereiche abdeckt, in denen vorher die Wasserstoffabsorption stattfinden konnte. -79- a) Beginn der Wasserstoffabscheidung nach Passivierung in NaOH: Absorption von Wasserstoff an bevorzugten Stellen der Metalloberfläche Wachsen einer Fe(OH)2/FeODeckschicht während kathodischer Polarisation b) während der Unterbrechung der Wasserstoffabscheidung: Oxidation der Fe(OH)2-Schicht zu FeOOH Passivierung der aktiven Stellen für die Absorption c) nach einer Unterbrechung der Wasserstoffabscheidung: Reduktion der FeOOH-Schicht zu Fe(OH)2 Anwachsen der Deckschicht Verminderte Wasserstoffabsorption Bild 6.3: Modell für das Absorptionsverhalten an FeE 690T bei einer Unterbrechung der kathodischen Wasserstoffabscheidung in alkalischen Medien -80Die Zahl der reduzierten Absorptionszentren ist dabei abhängig von der Zeit der Unterbrechung, bzw. der Dauer der anodischen Polarisation. Je mehr Zeit die FeOOH-Schicht zum Wachsen hat, desto mehr Fe(OH)2 entsteht während der parallel zur Wasserstoffentstehung ablaufenden Reduktion bei erneuter Beladung. Dieses Modell erklärt auch den von einer Unterbrechung der Wasserstoffabscheidung weitgehend unveränderten Verlauf des Beladestroms, wenn man davon ausgeht, dass der Anteil der aktiven Zentren an der Gesamtfläche sehr klein ist (< 1%), so dass die durch eine Unterbrechung bewirkte Passivierung der aktiven Zentren sich nicht messbar auf die Beladestromdichte auswirkt. 6.2.4 Bedeutung der Deckschichtbildung für die Anwendung der Permeationsmethode zur Untersuchung von Transportphänomenen Wie gezeigt ist bei genauer Kontrolle der experimentellen Parameter, wie Temperatur, Belademedium, Oberflächenbeschaffenheit und Passivierungszeit, die Bestimmung von Diffusionskoeffizienten möglich. Bei den Permeationsversuchen bei zeitlich unveränderter Last ist zu berücksichtigen, dass sowohl der Wasserstofftransport als auch die Wasserstoffabsorption durch die Bildung von Deckschichten beeinflusst wird. Auch die Verwendung von dickeren Proben zur Verminderung des Deckschichteinflusses ist insofern problematisch, als dass das Messsignal mit zunehmender Diffusionsstrecke bei gleichzeitiger Zunahme der Versuchsdauer abnimmt. Eine Unterbrechung der Beladung ist auf Grund der sich spontan bildenden Oxidationsprodukte und der damit verbundenen Reduzierung der Zahl der aktiven Absorptionszentren zu vermeiden. Für die Untersuchung von Transportvorgängen bei gleichzeitiger mechanischer Beanspruchung, wie z.B. der Versetzungstransport von Wasserstoffatomen, bedeutet die Neigung des Eisens zur Deckschichtbildung eine erhebliche Erschwerung bei der Auswertung des Permeationsstroms: So kommt es im Zuge der plastischen Verformung unweigerlich zu einem beidseitigen Aufreißen der Deckschichten, was an der Eintrittseite durch Absenkung der für die Wasserstoffabscheidung erforderlichen Überspannung zu einer erhöhten Absorption von Wasserstoffatomen führt. Gleichzeitig bewirkt die plastische Verformung unabhängig von der verwendeten Probengeometrie immer auch eine teilweise Zerstörung der diffusionshemmenden Deckschichten an Ein- und Austrittsseite der Permeationsprobe. Dadurch kommt es unweigerlich zu Repassivierungseffekten, die das eigentliche Messsignal übrlagern. Auf der anderen Seite verhindert die Fallenbildung innerhalb des Werkstoffs die Untersuchung von Absorptionsvorgängen während der mechanischen Beanspruchung von Werkstoffproben. -81- 7 Zusammenfassung Aus den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit lassen sich folgende Aussagen über das Diffusionsverhalten von Wasserstoff in FeE690 T ableiten: Der effektive Diffusionskoeffizient Deff bei 298 K beträgt im unverformten Zustand 5.4 ± 0.27 · 10-7 cm²/s. Mit zunehmender plastischer Verformung nimmt Deff ab. Aufgrund der experimentell bestimmten Diffusionskoeffizienten ergibt sich unabhängig von der Art der mechanischen Beanspruchung und der Probengeometrie für große plastische Verformungen die Beziehung Deff ∼ εpl-0.7. Die Abnahme der effektiven Diffusion ist auf die Bildung von Fehlstellen zurückzuführen, welche als Fallen für die beweglichen Wasserstoffatome fungieren. Die mittlere Bindungsenergie der Fallen ergibt sich zu 60 kJ/mol, ein Wert, der der Bindung eines Wasserstoffatoms an einen Stufenversetzungskern entspricht. Eine Verformung im elastischen Bereich hat weder einen Einfluss auf den Diffusionskoeffizienten noch auf den maximalen Wasserstofffluss. Bei der Modellierung von Risswachstumsprozessen unter Wasserstoffeinfluss muss zwischen der Gitter- und der Fallenwasserstoffkonzentration unterschieden werden. Eine Zunahme der Fallendichte in Folge einer plastischen Verformung führt auf Grund des chemischen Gleichgewichts zwischen den beiden Spezies zu einer Reduzierung der Gitterwasserstoffkonzentration im Bereich der Rissspitze. Unter der Voraussetzung, dass die kritische Konzentration für ds Risswachstum im Gitter erreicht werden muss, nimmt die Versprödungsneigung mit zunehmender Verformungsgeschwindigkeit ab. Erst bei hinreichend langsamen Dehnraten stellt sich zu jeder Zeit der Prüfung ein Gleichgewicht zwischen den Wasserstoffatomen im Gitter und den Fallen ein. Eine vorgezogene Wasserstoffbeladung des zu prüfenden Werkstoffs mit dem Ziel einer Verringerung des experimentellen Aufwands überschätzt die Toleranz gegenüber Wasserstoffversprödung. Die im Zusammenhang mit elektrochemischen Permeationsmessungen in alkalischen Medien beobachten Nebeneffekte, wie die leicht erhöhten Durchbruchzeiten im Vergleich zu sauren Elektrolyten, beruhen bei niedriglegierten Stählen höchstwahrscheinlich auf der Bildung einer festhaftenden Deckschicht aus unlöslichem Fe(OH)2. Folgende Effekte bei Permeationsmessungen werden auf das Vorhandensein von Passivschichten zurückgeführt: -82Die Bildung einer Fe(OH)2-Schicht kann anhand der Potentialdrift des freien Korrosionspotentials verfolgt werden. Bei FeE 690T in 0.1 M NaOH dauert die vollständige Passivierung zwischen 16 und 24 Stunden. Diese Deckschicht ist bis zu Potentialen unterhalb –1.4 V vs. Ag/AgCl, also auch während der kathodischen Wasserstoffbeladung, über einen Zeitraum von mehreren Wochen stabil. Das Vorliegen einer Passivschicht beeinträchtigt sowohl die Wasserstoffaufnahme, als auch den Wasserstofftransport. Eine Unterbrechung der kathodischen Wasserstoffabscheidung führt unmittelbar zur Oxidation der Fe(OH)2-Schicht und zur Bildung einer porösen FeOOH-Schicht. Die Bildung dieser Schichten ist irreversibel und führt zu einer teilweisen Passivierung der aktiven Stellen der Werkstoffoberfläche an denen eine bevorzugte Wasserstoffaufnahme stattfindet -83- 8 [1] Literaturverzeichnis Dietzel, W.: Korrosion metallischer Werkstoffe, Spektrum der Wissenschaft, 1998, 7, 96-100. [2] Davey, V.S.: Hydrogen Assisted Cracking of High Strength Steels in the Legs of Jack-Up Rigs, Third International Conference: The Jack-Up Drilling Plattform, Design, Construction and Operation. September 24th and 25th 1991. 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[99] Gmelin: Handbuch der anorganischen Chemie, 1932, Band B, S. 114-120. -90- 9 Anhang Die Abschätzung der plastischen Dehnung im Kerbgrund wurde mit Hilfe eines kommerziellen FEMProgramms (ANSYS) durchgeführt. Bild 8.1: Den FEM-Rechnungen zu Grunde liegendes Netz -91- Bild 8.2: Ergebnis der FEM-Rechnung: Plastische Dehnung im Kerbgrund von (C)T-Proben -92- Lebenslauf P E R SÖ N L IC H E D A T E N Name Guido Gerhard Juilfs Geburtsdatum 2. April 1970 in Flensburg Familienstand ledig Nationalität deutsch S CH U LE 1976 - 1980 Grundschule in Flensburg 1980 - 1989 Goethe-Schule-Flensburg Abschluß: Abitur W E H RD IE N S T 1989 -1991 Soldat auf Zeit / Reserveoffizierslaufbahn S T U D IU M Fachrichtung Chemie 1991 - 1993 Grundstudium an der Universität Freiburg 1993 - 1994 2 Auslandssemester an der Universität Sussex, Institut für Physikalische Chemie, Brighton, GB 1994 - 1997 Hauptstudium an der Universität Kiel B E RU FS T Ä T I G K E IT seit 4/1997 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkstoffforschung des GKSS-Forschungszentrums in Geesthacht 8/1997 - 3/1998 Gastwissenschaftler am Postgraduierten-Kolleg der Staatlichen Universität von Rio de Janeiro (COPPE), Brasilien -93- 1 Dietzel, W.: Korrosion metallischer Werkstoffe, Spektrum der Wissenschaft 1998, 7, S. 96-100. 2 Davey, V.S.: Hydrogen Assisted Cracking of High Strength Steels in the Legs of Jack-Up Rigs, Third International Conference: The Jack-Up Drilling Plattform, Design, Construction and Operation. 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