Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation

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Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation
Mitteldeutschland
im Zeitalter der Reformation
Interdisziplinäre Tagung in Halle (Saale)
22.06.– 24.06.2012
Veranstalter / Organizer: Landesamt für Denkmalpflege und
Archäologie Sachsen-Anhalt
Landesmuseum für Vorgeschichte
Richard-Wagner-Straße 9
o6114 Halle (Saale)
www.lda-lsa.de
Unter Beteiligung von / with the participation of: Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas
Prähistorische Archäologie und Archäologie
des Mittelalters und der Neuzeit
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Brandbergweg 23c
o6o99 Halle (Saale)
Tagungsprogramm
Samstag, 23. Juni 2012
9.00 Grußwort
Harald Meller (Halle / Saale)
Moderation: Harald Meller (Halle / Saale)
9.30
Mirko Gutjahr (Halle / Saale)
»Lutherarchäologie« – Forschungsstand und Perspektiven
10.00
Das Montanwesen in der Grafschaft Mansfeld zu Luthers Zeiten
Michael Fessner (Bochum)
10.30 Kerstin Bullerjahn (Halle / Saale)
Hüttenmeister in der Grafschaft Mansfeld
11.00 Kaffeepause
Moderation: Mirko Gutjahr (Halle / Saale)
11.30Gaby Kuper (Eisleben)
Das Lutherhaus Mansfeld aus
historischer Sicht
12.00
Ines Vahlhaus (Halle / Saale)
Der Goldene Ring in Mansfeld. Erste Ergebnisse der Ausgrabungen
im Vorfeld des dortigen Museumsneubaus
12.30 Volker Herrmann (Bern / CH)
S
t. Gertruden und St. Marien zu Halle
und Kardinal Albrecht
Caroline Schulz (Halle / Saale)
V
om Markt zum Platz. Der Strukturwandel des Halleschen Marktes vom Spätmittelalter zur Neuzeit
13.10 Mittagspause
Moderation: Matthias Untermann (Heidelberg)
14.30 Jelena Schmidt / Maike Kohnert (Berlin)
D
ie Kelleranlagen in Mansfeld – Bauen unter Tage
15.00Antonia Brauchle (Berlin)
Die unterirdische Struktur der Stadt: Kelleranlagen in Wittenberg
15.30
Insa Christiane Hennen (Wittenberg)
Quellen des Wittenberger Häuserbuchs:
Schoßregister, Stadtkarten, archäologische Relikte
16.00
Kaffeepause
Moderation: Arnold Muhl (Halle / Saale)
16.30Phillip Rössner (Leipzig)
Alte Münzen – schlechtes Geld. Geldfluss in Mitteldeutschland
in der Reformation
17.00
Martin Hille (Passau)
»Dergleichen nie geschehen ist von anfang der welt«.
Luthers Reformation aus der Sicht seiner altgläubigen Zeitgenossen
17.30
18.00
20.00
Christian Hirte (Berlin)
Die Schlacht bei Mühlberg (1547) als triumphales Bildereignis
Thomas Lang / Mareike Greb (Wittenberg)
Z
wischen Alltag, Kunst und Sünde: Tanz an den wettinischen Höfen um 1500
Empfang im Landesmuseum, mit musikalischer Begleitung durch die Gruppe Horch,
Führung durch die Landesausstellung »Pompeji«
Sonntag, 24. Juni 2012
Moderation: Bernd Zich (Halle / Saale)
9.00
Hans-Georg Stephan (Halle / Saale)
G
otik und Renaissance. Spätmittelalterliche Frömmigkeit und Reformation.
Beobachtungen zum Motiv- und Stilwandel anhand von Wittenberger Ofenkacheln der Reformationszeit
9.30
Ralf Kluttig-Altmann (Halle / Saale)
Auf breiter Basis. Fundanalysen aus Wittenberg
10.00
Harald Rosmanitz (Partenstein)
Luther und seine Folgen – Die Wittenberger Ofenkeramik und ihre Bezüge zu Süd- und Südwestdeutschland
10.30 Kaffeepause
Moderation: Ralf Kluttig-Altmann (Halle / Saale)
11.00Nadine Holesch (Halle / Saale)
Die Steinzeugfunde aus dem Garten des Lutherhauses in Wittenberg
11.30 Nicole Eichhorn (Halle / Saale)
Frühneuzeitliche Glasfunde aus Mitteldeutschland
12.00
Marcus Jung (Halle / Saale)
Restaurierung im Projekt »Lutherarchäologie«
12.30
Daniel Berger / Sophia Stieme (Halle / Saale)
D
ie Wittenberger Letternfunde von der Bürgermeisterstraße 5. Eine typographische
und materialkundliche Betrachtung
13.00 Mittagspause
Moderation: Hans-Georg Stephan
14.30 Andreas Stahl (Halle / Saale)
»... so laufen die Säu und Hunde darüber« –
Die Wittenberger Stadtbefestigung in der Lutherzeit
15.00 Götz Alper (Halle / Saale)
Zur Sachkultur im Prämonstratenser-Stift Jerichow vor der Auflösung des Konvents
im 16. Jahrhundert
15.30
Jan Brademann (Bielefeld)
Von der Reform zur Spaltung. Zur dauerhaften Institutionalisierung religiöser Differenz am
Beispiel des Fürstentums Anhalt im langen 16. Jahrhundert
16.00Abschlussdiskussion
»Lutherarchäologie« – Forschungsstand und Perspektiven
Mirko Gutjahr (Halle / Saale)
Mit den Ausgrabungen in den Lutherstätten Eisleben, Mansfeld und Wittenberg ergaben sich
erstmals direkte Einblicke in die »Keimzellen« der Reformation, die in den vergangenen Jahren
durch die nachfolgenden umfangreichen Forschungen des Projektteams »Lutherarchäologie« am
Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle weiter vertieft werden konnten.
Ausgehend vom reichen archäologischen Fundgut in den Wohnstätten des Reformators soll in
diesem Beitrag der Frage nach den generellen Aussagemöglichkeiten des materiellen Niederschlags
historischer Lebensrealitäten in Zeiten dichter historischer Überlieferung nachgegangen werden.
Der hier vorzustellende Versuch einer konfessionellen Distinktion der Lutherschen Haushalte auf
Basis des hier geborgenen Fundmaterials wird zudem beispielhaft Potentiale und Grenzen der
»Lutherarchäologie« aufzeigen.
Das Montanwesen in der Grafschaft Mansfeld zu Luthers Zeiten
Dr. Michael Fessner (Bochum)
Die beiden Historiker Ian Blanchard und Karl-Heinrich Kaufhold bezeichneten die Hochkonjunktur
des Montanwesens von der Mitte des 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts als das »Zeitalter des Seigerprozesses«. Die schnelle Verbreitung dieser neuen Technologie ab der Mitte des 15. Jahrhunderts
war der auslösende Faktor, der zum enormen Anstieg der Produktion in den auf silberhaltigen Kupfererzen basierenden Montanzentren Niederungarn, Schwaz in Tirol und Mansfeld führte.
Der Ursprung des Kupferschieferbergbaus in der Grafschaft Mansfeld reichte bis zum Jahr 1199
zurück, als zwei aus Goslar in das Erzgebirge wandernde Bergleute am Kupferberg bei Hettstedt
die dortigen Lagerstätten entdeckten. Das Revier um Eisleben wurde zur Mitte des 12. Jahrhunderts aufgenommen. Die Grafschaft Mansfeld lieferte bereits Anfang des 15. Jahrhunderts ihr
Kupfer bis nach Venedig. Der große Aufschwung trat jedoch erst mit der Einführung der Seigerhüttentechnologie ein. Neben Neusohl in Niederungarn und Schwaz in Tirol stieg die Grafschaft
Mansfeld mit ihren drei Revieren Hettstedt, Eisleben und Mansfeld nach 147o zum wichtigsten
Schwarzkupferproduzenten auf dem europäischen Kontinent auf. Diese Prosperitätsphase reichte
bis in die 153oer Jahre; aber bereits während Luthers letzten Lebensjahren setzte ein allmählicher
Abschwung ein. Die Ursachen für diesen Abschwung lagen sowohl in internen als auch in externen Faktoren.
3
Hüttenmeister in der Grafschaft Mansfeld
Kerstin Bullerjahn (Halle / Saale)
Durch mehrere Jahrzehnte umfassende Beschäftigung mit dem Mansfelder Kupferschieferbergbau
ist immer deutlicher geworden, dass die Bedeutung der Hüttenmeister des Mansfeldischen- und
Eislebischen Berges in Bezug auf das Grafenhaus und die Saigerhandelsgesellschaften stärker als
bisher beachtet werden muß.
Die Verwaltung des gräflich-mansfeldischen Bergbaus ging von gräflichen Ämtern aus, welche
Eigenlehner betätigten, die von den Grafen Hütten (sog. Feuer) und dazugehöriges Abbaufeld
gepachtet hatten und dafür Zins an die Grafen zahlen mussten.
Zur Hütte gehörte das Berglehn, d.h., der Bergbau war der Hütte angegliedert. Das in den zahlreichen Hütten geschmolzene Rohkupfer wurde wegen des hohen Holzbedarfes und der günstigen
Lage an den Haupthandelswegen in Thüringen zu Garkupfer und Silber weiterverarbeitet. Die
Saigerhütten jedoch gehörten hauptsächlich dem Nürnberger Handelskapital. Der Handel selbst
befand sich vorwiegend in den Händen von Faktoren bzw. Gesellschaftern der Saigerhandelsgesellschaften, die aber oft fern vom Erzeugungsort des Kupfers in größeren Städten lebten.
Es entstanden umfangreiche Handelsbeziehungen, unter anderem abgesichert durch Heirat, der
Hüttenmeisterfamilien nach Nürnberg, Leipzig, Frankfurt und Antwerpen. Das brachte auch neue
Erkenntnisse im Bergbau, Bauhandwerk, Verlagswesen und Kunsthandwerk mit sich.
In der Zeit vom Ende des 15. bis Mitte 16. Jh. entwickelten sich die Mansfelder Hüttenmeister
zu bedeutenden privaten Unternehmern, welche auch großen Einfluß auf die gesellschaftlichen,
politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen in den Städten der Grafschaft nahmen.
Das Lutherhaus Mansfeld aus historischer Sicht
Dr. des. Gaby Kuper (Eisleben)
Luthers Elternhaus gehörte lange zu den vergessenen Stätten der Reformation und ist erst in
diesem Jahrtausend durch die dort gemachten zahlreichen archäologischen Funde wieder in den
Blickpunkt der Forschung geraten. Dabei bietet das Gebäude gemeinsam mit dem Renaissanceschloss, der Stadtkirche St. Georg und dem mittelalterlichen Stadtkern ein einzigartiges geschlossenes Ensemble, ein historisches Zeugnis der Reformation ersten Ranges. Zahlreiche Anknüpfungspunkte an Luthers Werk und Biografie sind vorhanden, denn in die Mansfelder Zeit fallen
die wichtigen Prägungen von Luthers Kindheit und erster Schulzeit. Die Funde auf dem Gelände
des Elternhauses können das Alltagsleben der Familie Luther um 15oo veranschaulichen.
Doch nicht die Anfänge des Elternhauses sollen im Zentrum des Vortrages stehen, sondern die
Wiederentdeckung des Gebäudes in den Jahren 1878–1885. Eingebettet in die Vorbereitungen der
großen Feierlichkeiten zu Luthers 4oo. Geburtstag 1883 erhielt Luthers Elternhaus seine neue
Zweckbestimmung für soziale Aufgaben. Die damals erfolgten Umbauten geben dem Gebäude bis
heute sein Gesicht und erinnern kaum noch an das Haus, das der Lutherhausverein 1878 vorfand.
Die Herrichtung des Gebäudes steht somit auch unter dem Vorzeichen der sich im ausgehenden
19. Jahrhundert entwickelnden Gemeindearbeit, die weder im Kirchengebäude noch im Pfarrhaus
verortet war.
4
Der Goldene Ring in Mansfeld.
Erste Ergebnisse der Ausgrabungen im Vorfeld des dortigen Museumsneubaus
Ines Vahlhaus M.A. (Halle / Saale)
Nachdem sich in den letzten Jahren die Forschungen und archäologischen Untersuchungen in der
Lutherstadt Mansfeld auf die Kindheit und die Familie Martin Luthers und das Umfeld konzentrierten, entstand die Idee eine Auswahl der bisherigen Funde und die Untersuchungsergebnisse
möglichst nahe am Ursprung des Geschehens zu präsentieren. Leider ließ sich dies nicht auf der
ehemaligen Parzelle der Familie Luther umsetzen. Dafür konnte auf der gegenüber liegenden
Straßenseite ein Grundstück von einer Erbengemeinschaft erworben werden: Die Parzelle des
ehemaligen Gasthofes »Goldener Ring«. Bereits in der Chronik von Spangenberg aus dem Jahr
157o ist an dieser Stelle ein Gasthof als »unterer Gasthof« belegt und scheint bis zum Ende des
2. Weltkrieges Bestand gehabt zu haben. 1962 oder 1963 wurde das unter Denkmalschutz stehende
Gebäude abgerissen. Danach wurde dort in den 197oer Jahren eine öffentliche Toilettenanlage
errichtet. Die dazugehörige Kläranlage legte man inmitten des ehemaligen Hauptgebäudes.
Die archäologische Untersuchung des Geländes im Vorfeld des Museumsneubaues gab Gelegenheit, nach Vergleichsmaterial zu den bisherigen Funden und untersuchten Flächen in Mansfeld
zu suchen. Daneben bot sich die seltene Chance, einen ehemaligen Gasthof, der möglicherweise
kontinuierlich über 4oo Jahre bestand, archäologisch zu untersuchen. Neben der Frage nach seinen
absoluten Maßen und noch vorhandenen Resten des nur mit wenigen Fotographien dokumentierten Hauptgebäudes ging es auch um die rückseitige Nutzung der Parzelle, z.B. im Hinblick auf
die frühere Bewirtschaftung der Flächen in Richtung Westen im rückwärtigen Bereich bzw. zur
ersten nachweisbaren Nutzung des Grundstückes.
Im vorderen Bereich des ehemaligen Hauptgebäudes konnten trotz des massiven Eingriffes in
der Mitte durch den Einbau der Kläranlage insgesamt vier unterschiedliche Keller dokumentiert
werden. An der dahinter liegenden Ostseite sind mindestens zwei, teilweise mehr Phasen von
Nebengebäuden und unterschiedliche Pflasterungen belegt.
Weitere wichtige Befunde sind zwei Schächte mit auffälligem und zum Teil reichhaltigem
Auffüllungsmaterial aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts und einige auffällige Kleinfunde wie
ein Rechenpfennig, eine kopflose kleine Figur, wahrscheinlich der heiligen Maria Magdalena, ein
Petschaft mit Initialen, ein Fragment einer polychromen Ofenkachel mit Gottvater auf einer Himmelswolke und weitere monochrom glasierte und verzierte Kacheln, darunter eine vorreformatorische Kachel vermutlich mit dem Abbild des heiligen Georg und jüngere Kacheln mit der Darstellung der Astronomia (VII) und der Musica aus anderen Komplexen.
Die ältesten Befunde reichen nicht weiter als in die Übergangsphase vom ausgehenden Mittelalter in die frühe Neuzeit, so dass vermutlich der ältere Siedlungskern der urkundlich ab 14oo
belegten Stadt Mansfeld hangaufwärts zu suchen ist.
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St. Gertruden und St. Marien zu Halle unter Kardinal Albrecht
Dr. Volker Herrmann (Bern)
Die Topografie der mittelalterlichen Stadt Halle wurde bis zum 16. Jahrhundert maßgeblich durch
den Dualismus ihrer beiden Pfarrkirchen, St. Gertruden und St. Marien, geprägt. Die Kirchen
waren den beiden Rechtsbereichen der Salzstadt zugeordnet: St. Gertruden dem »Tal« mit seinen
Solequellen und Salzkoten sowie St. Marien der »Bergstadt« mit dem Markt und den dortigen
Verwaltungs- und Handelseinrichtungen. Der bis in die Reformationszeit andauernde Wettstreit
beider Kirchgemeinden um die größte Anerkennung in der Saalestadt äußerte sich in einer reichen
baugeschichtlichen Entwicklung und Ausstattung beider Gotteshäuser. In der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts trat der Rote Turm als stadtbildprägender Campanile, Statussymbol der Bürgerschaft und Glockenturm der Marienkirche hinzu. Ringsum der beiden Kirchen erstreckten sich
ausgedehnte Kirchhöfe, auf denen die Gemeindeglieder der Markt- und der Talkirche beigesetzt
sind. Kirchenbauten und Friedhöfe mussten um 153o dem Willen Kardinal Albrechts und seiner
Idee einer radikalen Neugestaltung des halleschen Marktes weichen. Die beiden Kirchenreste
gingen im Neubau der heutigen Marktkirche auf. Im Zusammenhang mit der Sanierung und
Modernisierung des Marktes 2oo4 bis 2oo6 fanden umfangreiche Ausgrabungen des Landesamtes
für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt statt. Sie haben wichtige neue Anhaltspunkte
für die Rekonstruktion der sakralen Markttopografie vor der Umgestaltung unter Kardinal Albrecht
im 16. Jahrhundert geliefert, die im Vortrag eingehend beleuchtet werden. Die in Staunässe auf
dem Markt gut erhaltenen Gräber geben uns Einblicke in die Bestattungsbräuche und Lebensbedingungen der Saalestadt bis in frühreformatorische Zeit.
Vom Markt zum Platz. Der Strukturwandel des Halleschen Marktes
vom Spätmittelalter zur Neuzeit.
Dr. Caroline Schulz (Halle / Saale)
Nach der Stadterweiterung im 12. Jahrhundert entwickelt sich der Bereich des heutigen Marktplatzes zum Mittelpunkt der Stadt Halle mit den zentralen öffentlichen Einrichtungen des weltlichen und religiösen Stadtlebens. An der Ostseite des Areals befinden sich ursprünglich mehrere
Steinwerke, die mit den Amtssitzen des Schultheiß und des Magdeburger Burggrafen in Verbindung gebracht werden. Sie bilden den Nukleus für die Entstehung der städtischen Bauten, die im
15. Jahrhundert diese Marktseite prägen: Rathaus mit Kreuzkapelle und Waage mit angrenzendem
Archiv- und Gefängnisturm. Im Westen dominieren die beiden Pfarrkirchen St. Gertruden und
St. Marien samt ihren Friedhöfen sowie der zwischen 1418 und 15o6 errichtete Rote Turm. Der
verbleibende Raum wird vom Handel eingenommen. Neben festen Einrichtungen wie steinernen
Kaufhäusern finden sich Holzverschläge oder Fachwerkkonstruktionen, die als Werk- und Verkaufsbuden dienen. Ein Teil der noch zur Verfügung stehenden Freiflächen bleibt den Wochenmärkten der Bauern bzw. Fischern des Umlandes vorbehalten und diejenigen Handwerker sowie
Kleinhändler, die in den Buden keinen Platz mehr finden, teilen sich den Rest. Räumliche Enge
und mehr oder minder dichte Bebauung prägen somit die spätmittelalterliche Marktsituation.
Anfang des 16. Jahrhunderts ändert sich diese Struktur grundlegend. Zunächst werden zwischen
15o4 und 1513 die permanenten Handelsbauten abgerissen, wobei sich die entsprechenden merkantilen Aktivitäten in Seitenstraßen bzw. Nebenareale verlagern. Mit Kardinal Albrecht, der ab
6
1514 in Halle residiert, beginnt dann im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts die grundlegende
Umgestaltung des halleschen Marktes. Auf der Westseite müssen die beiden Pfarrkirchen samt
ihren Kirchhöfen der heute noch existierenden Marktkirche weichen, wobei in den ab 153o entstehenden Neubau die Reste der Vorgängerkirchen integriert und zu einer architektonischen
Einheit verbunden werden (vgl. Beitrag V. Herrmann). Auf die einschneidenden Veränderungen
der »sakralen« Westseite folgen nach der Reformation in Halle und Weggang von Kardinal Albrecht umfangreiche kommunale Bauaktivitäten, zunächst auf der »städtischen« Ostseite des
Marktes, später auch in anderen Bereichen. Zusammen mit der zunehmenden privaten Bautätigkeit ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wandelt sich der hallesche Markt zu einem Platz,
der das gegenüber dem Mittelalter gewandelte Verständnis von Architektur und Repräsentation
in der Renaissancezeit widerspiegelt.
Ein Kaufhaus-Neubau führte von November 2oo1 bis Juli 2oo2 zu einer großflächigen Grabung
des Landesamtes, die auch das Areal vom Waagegebäude bis zum Alten Rathaus in der Nord-OstEcke des Marktes betraf. Im Vorfeld des Stadtjubiläums 2oo6 standen dann einige Jahre später
umfangreiche Leitungssanierungen und der grundhafte Ausbau des Marktplatzes selbst an, die
zwei Jahre lang archäologisch begleitet wurden. Die dabei gewonnenen archäologischen Quellen
geben Hinweise auf Kontinuitäten, Wandlungen oder Brüche in der Markttopographie des öffentlichen Raumes. Sie ergänzen das auf Grundlage der bisherigen schriftlichen, bildlichen sowie
bauhistorischen Überlieferung rekonstruierte Bild.
Die Kelleranlagen in Mansfeld – Bauen unter Tage
Jelena Schmidt / Maike Kohnert (Berlin)
Im Altstadtbereich von Mansfeld sind noch mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Strukturen
vorhanden, auf denen die heutige Stadtstruktur aufbaut. Die Untersuchung der Stadtbaugeschichte
Mansfelds ist Bestandteil des Forschungsprojektes »Lutherarchäologie«. Mit der Erfassung der
Kelleranlagen der Stadt wurde im Herbst 2o11 im Rahmen einer Masterarbeit begonnen.
Nach dem ersten Teil der Bestandsaufnahme können Aussagen zur Bauweise der Anlagen getroffen werden. Sie weisen durch regionale Besonderheiten geprägte Eigenarten auf und zeigen
klare Unterschiede z.B. zu den Wittenberger Kelleranlagen. Viele der Anlagen beinhalten Räume,
die mit rundbogigen Tonnen überwölbt sind. Diese stammen aus der Zeit vor etwa 18oo. Die
verwendeten Baumaterialien sind vor Ort anstehend und weisen eine große zeitliche Kontinuität
auf. Bemerkenswert sind Phänomene, die möglicherweise mit der Bergbautradition der Region in
Verbindung stehen. Einige Anlagen sind ohne erkennbaren Zusammenhang zum Hausbau errichtet worden, in manchen finden sich Strukturen, deren Nutzung bisher noch unklar ist. Aufgrund
der Entstehung und der Bauweise der vorgefundenen Kelleranlagen konnten einige der aufgeworfenen Fragen im Rahmen der Untersuchungen nicht geklärt werden. Die Untersuchung der Mansfelder Kelleranlagen kann aber einige interessante neue Aspekte zur Kellerforschung beitragen,
auch bei vergleichender Betrachtung mit den Untersuchungen in anderen Städten.
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Die unterirdische Struktur der Stadt: Kelleranlagen in Wittenberg
Dipl.-Ing. Antonia Brauchle (Berlin)
Eine Stadt wird neben der sichtbaren Bebauung auch durch ihre unterirdische bauliche Struktur
− den Kelleranlagen − geprägt. Seit 2oo9 wird in Wittenberg an der Stiftung LEUCOREA das
interdisziplinäre Forschungsprojekt: »Das ernestinische Wittenberg: Universität und Stadt (1486–
1547)« durchgeführt. In diesem Rahmen wird eine systematische Erfassung der Kelleranlagen
innerhalb des ehemaligen Festungsrings erarbeitet. Oberirdisch ist das Erscheinungsbild Wittenbergs durch die stattlichen Gebäude des 16. und die Fassaden des 19. Jahrhunderts geprägt sowie
durch die Bautätigkeit der letzten 2o Jahre. Eine große Anzahl Gewölbekeller, die in das 16. Jahrhundert einzuordnen sind, waren bekannt. Die jüngsten Untersuchungen lassen nun eine Vielzahl
von deutlich älteren Strukturen erkennen. Aus der Dokumentation und Auswertung der Kelleranlagen ergibt sich ein differenziertes Bild der in Wittenberg vorkommenden Konstruktionen und
der verwendeten Materialien. Zum einen bilden die verschiedenen Konstruktionen den jeweiligen
Stand der Bautechnik ab, zum anderen sind sie aber auch das Ergebniss eines ständigen funktionalen Entwicklungsdrucks: Denn das wirtschaftliche Wachstum und der Ausbau der Stadt erforderten vor allem seit Beginn des 16. Jahrhunderts eine optimierte Ausnutzung der Flächen innerhalb des Festungsrings. Auch wenn es sich bei einem »Keller« um ein auf den ersten Blick
unbedeutendes Bauteil handelt, zeigt er doch unterschiedliche Erscheinungsbilder. Dies gilt sowohl
für die Kelleranlagen innerhalb einer Stadt als auch für die Kellerlandschaft verschiedener Städte,
wie zum Beispiel der Vergleich mit Mansfeld verdeutlicht.
Quellen des Wittenberger Häuserbuchs:
Schoßregister, Stadtkarten, archäologische Relikte
Dr. Insa Christiane Hennen (Wittenberg)
Seit 2oo9 werden die ältesten Stadtkarten, die Schoßregister der Ratskämmerei und weitere
Schriftquellen mit dem Ziel ausgewertet, ein Häuserbuch für Wittenberg zu erstellen. Die Überlieferung ist geradezu überwältigend dicht: die Kämmereirechnungen haben sich von 141o bis
ins 2o. Jahrhundert hinein zum größten Teil erhalten. Hinzu kommen Schoßbücher, Gerichts- und
Handelsbücher, ein im 18. Jahrhundert aufgestelltes sogenanntes »Urbar« und viele andere Dokumente, darunter auch Stadtkarten, deren älteste um 1623 aufgenommen wurde. Aber auch viele
Häuser aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, die häufig über älteren Kellern errichtet wurden, stehen
noch und können als Zeugnisse früherer Lebensformen untersucht werden.
Auf inzwischen »abgeräumten« Grundstücken hat die Archäologie neue Erkenntnisse zur früheren Bebauung und Nutzung der »Hausstellen« ans Licht gefördert. Die Erforschung der Residenz,
der Stadt und der Universität im Projekt »Ernestinisches Wittenberg« führt dazu, dass immer mehr
Personen in ihrem Wirken greifbar werden, so dass inzwischen recht differenzierte Aussagen zu
den Hausbesitzern, ihren Tätigkeiten und ihrem sozialen Status gemacht werden können.
Der Beitrag gibt einen Überblick über die Quellen, erläutert die Methode der Auswertung und
stellt repräsentative Ergebnisse vor, die ins Wittenberger Häuserbuch einfließen sollen.
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Schlechte Münzen, böses Geld – Probleme der Geld- und Währungspolitik
im Mitteldeutschland der Lutherzeit
PD Dr. Philipp Robinson Rössner (Leipzig)
[W]ir haben zu hofe nicht einen pfennig klein müntze = mugen haben so wenig als yhr zu Wittemberg habt. […] Es were aber gut, das die leute anfiengen selbs die Mercker zu meiden, wie die
Schottenpfenning, Denn sie thun ia zu grossen Schaden diesem Fürstenthum, weil einer nicht v
Heller wird ist, schreibt Martin Luther 154o in einem Brief an seine Frau Katharina. Was meinte
er damit? Um dem Problem auf die Spur zu kommen, sei zunächst ein modernes kontrafaktisches
– und doch angesichts der jüngeren Währungs- und Finanzkrisen im Euroraum allzu realitätsnah
anmutendes – Fallbeispiel bemüht. Was, wenn in der Bundesrepublik umlaufende deutsche EuroMünzen zum Zielkurs von 1oo EUR Cents zirkulieren, griechische, portugiesische und spanische
Eurocents aber zu einem Kurs von o,91 EUR? Man müsste also 11o griechische Euro-Cents für einen
»deutschen« Euro hingeben? Das klingt absurd, und doch war dies (im übertragenen Sinne) monetäre Realität in Mitteldeutschland um 15oo n. C. In Luthers Welt war Geld nicht gleich Geld.
Im Mitteldeutschland der Lutherzeit zirkulierten eine Unzahl von Pfennigen und Groschen
diversen Alters und Ursprungs, geschlagen von den Wettinischen Kurfürsten und Herzögen, den
Grafen von Mansfeld, Schwarzburg oder Stolberg, dem Erzbischof von Magdeburg, den Reichsstädten wie Goslar oder Mühlhausen. Darüber hinaus liefen eine Vielzahl weiterer »Fremdwährungen« aus allen anderen Teilen des Reiches und vereinzelt auch »ausländische« (d. h. nicht im
Reich geschlagene) Münzen um. Sie alle wurden als Kleingeld vom gemeinen Mann genutzt, um
den Bedarf an Gütern des täglichen Bedarfs zu befriedigen. Theoretisch standen alle diese Kleinund Mittelgelder in einem festen Verhältnis zu den Grobmünzen und sog. »Ankerwährungen«
wie dem Rheinischen Goldgulden (Rh fl) oder dem seit 15oo in den sächsischen landen geschlagenen Silberäquivalent, dem Silbergulden oder gulden so ein groschen gilt (später verewigt im
Joachimsthaler/Taler und dem heutigen US-Dollar). Dass dem aber in der Realität nicht so war,
sondern es im Gegenteil im alltäglichen Wirtschaftsleben und Zahlungsverkehr zu wiederholten
Verhandlungen über den Markt- oder Kurswert der einzelnen Groschen- und Pfenniggelder kam,
belegen eine Vielzahl überlieferter Quellen.
Die Ursachen und Konsequenzen dieses fragmentierten Währungsszenarios sollen schlaglichtartig am Fallbeispiel der Wettinischen Lande während des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts
geschildert werden. Dabei wird auf der Seite der Ursachen besonderes Augenmerk auf die kontinuierlichen Verhandlungen und währungspolitischen Konflikte zwischen den Grafen von Mansfeld
und den Wettinern während der ersten drei Jahrzehnte gelegt und auf die globalwirtschaftlichen
Ursachen der Problematik und ihre sozialen Konsequenzen geschaut. Warum war gutes (d.h.
verlässliches) Kleingeld knapp in Mitteldeutschland um 15oo – und welche prägenden Auswirkungen hatte dies auf die Ansichten und Lehren Martin Luthers? Wie ging die Gesellschaft mit
einem derart problematischen Währungsstandard um? Inwiefern waren die zahllosen sozialen
Konflikte der Zeit in einem schlechten und fragmentierten Währungssystem verankert? Wie
wichtig ist monetäre Stabilität für soziale Stabilität? Diese und andere Fragen sollen in dem Vortrag geklärt werden.
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»Dergleichen nie geschehen ist von anfang der welt«.
Luthers Reformation aus der Sicht seiner altgläubigen Zeitgenossen
PD Martin Hille (Passau)
Spätestens seit dem Bauernkrieg wurde Luthers Reformation als historischer Umbruch von geradezu onthologischen Dimensionen wahrgenommen. Auf diesen Nenner lässt sich zumindest die
Sicht seiner altgläubigen Zeitgenossen vor dem Augsburger Religionsfrieden bringen, und dies
nicht nur im mitteldeutschen Raum. Viele von ihnen stürzten in der Folge in eine Sinnkrise,
während im lutherischen Umfeld noch Aufbruchstimmung vorherrschte. Daher wuchs das Bedürfnis nach Orientierung, nach historisch-theolgoischer Vertiefung des Zeitgeschehens sowie
seiner providentiellen Sinnkontexte. Zahlreiche Erfahrungsberichte, Chroniken, Kalendereinträge,
Polemiken und Lieder spiegeln das Bild einer sündhaften Welt, die von der »ketzerischen Sucht«
der »Lutherey« infiziert ist. Damit einher geht eine kontinuierliche Verdüsterung der Gegenwartsperspektiven seit dem Bauernkrieg, die sich jedoch nur hier und da zur Apokalypse verdichtet.
Der Vortrag zeichnet nicht nur die persönlich-biographische Einfärbung solcher Sichtweisen nach,
sondern auch ihre Rückgebundenheit an den Erfahrungszusammenhang der Reformation, ein
Erfahrungszusammenhang, der wiederum Zeitgenossenschaft begründete.
Die Schlacht von Mühlberg 1547 und ihre mediale Rezeption
Dr. Christian Hirte (Berlin)
Der Schmalkaldische Krieg gilt nicht nur als der erste Konfessionskrieg im Deutschen Reich,
sondern auch als der erste von breitem medialen Echo begleitete militärische Konflikt. Die entscheidende Schlacht bei Mühlberg 1547 geriet denn in der zeitgenössischen Wahrnehmung auch
zu einem epochalen Ereignis von geradezu eschatologischer Symbolkraft. Ihren Niederschlag fand
dieses Ereignis sowohl in populären Drucken, in Zeugnissen der adligen Memorialkultur, wie im
Kunstgewerbe.
Beispielhaft ist zu zeigen, wie Momente der Bildpropaganda einerseits über die »neuen Medien«
auf den konfessionellen Konflikt und dessen breite Öffentlichkeit zielen, sich andererseits in repräsentativen Formen höfischer Milieus niederschlagen, hier jedoch eher für personalisierte Werte
eines herrschaftlichen bzw. ritterlichen Handlungsethos stehen. Zugleich ist zu erleben, wie sich
innerhalb kürzester Zeit kanonische Bildformeln ausbilden.
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Zwischen Alltag, Kunst und Sünde: Tanz am wettinischen Hof um 1500
Thomas Lang / Mareike Greb (Wittenberg)
Angefeindet von Gelehrten und Theologen, ausgeübt von Bauern und Kurfürsten, für die Kunstgeschichte zu alltäglich und vergänglich, für die Geschichtswissenschaft zu belanglos, für die
Musikwissenschaft nur in der musikalischen Begleitung interessant – dennoch zu jeder bedeutenderen Festivität genauso gehörig, wie Festmahl und Gottesdienst: der Tanz.
Wie sah nun ein Tanz in der Zeit um 15oo aus? Wie wurde er wahrgenommen im gesellschaftlichen Leben? Und welche Quellen können uns darüber berichten?
Eine Auswahl von Quellenzitaten und der Anblick eines Tanzpaares, das die Rekonstruktionen
leibhaftig darbietet, soll Einblick in die Tanzpraxis dieser Zeit geben; in Gebote und Verbote, vom
Tanz mit den Engeln bis zum Tanz mit dem Teufel, von Adel und Studenten, von der Verklärung
der Schönheit bis zur Ausstellung des Leibes.
Gotik und Renaissance. Spätmittelalterliche Frömmigkeit und Reformation.
Beobachtungen zum Motiv- und Stilwandel anhand von Wittenberger Ofenkacheln
der Reformationszeit
Prof. Dr. Hans-Georg Stephan (Halle / Saale)
Die erste Sichtung der reichhaltigen archäologischen Funde, die vornehmlich nach der politischen
Wende in der letzten 2o Jahren in Wittenberg geborgen wurden im Rahmen des Lutherprojektes
des LDA und im Fächer übergreifenden Forschungsprojekt der Leucorea ermöglicht erstmals in
Mitteldeutschland tiefere Einblicke in das trümmerhaft im Boden bewahrte Lebensumfeld der
Bürger, der Universitätsangehörigen und der kurfürstlichen Residenz in der Reformationszeit.
Damit werden verlorene Dinge des täglichen Lebens in ungeahnter Fülle wieder greifbar, womit
allerdings auch eine enorme Herausforderung hinsichtlich der hoch komplexen und sehr aufwendigen Aufarbeitung an die Archäologie herangetragen wird.
Unter den über 2 Millionen Funden gehören die Zehntausende von Fragmenten von Ofenkacheln kulturgeschichtlich zu den reizvollsten und aussagekräftigsten Objekten, wobei derzeit die
reich ausgestalteten Blattkacheln der Zeit um 145o–155o im Fokus stehen. Kachelöfen gehörten
damals zunehmend zu den repräsentativsten Ausstattungsstücken der Häuser, an denen sich
geistige, künstlerische, politische und ökonomische Zusammenhänge und Zeittendenzen, Geschmack
und Stil der Besitzer, aber auch deren Wohlstand und Vorlieben ablesen lassen. Es erhebt sich die
Frage, wie lange Heiligendarstellungen und ritterlich-höfischer gotischer Stil die noch eher auf
ein elitäres Umfeld beschränkten aufwendigen Kachelöfen Mitteldeutschlands geprägt haben. Im
ernestinischen Wittenberg wurden Heiligenbilder im Jahre 1521 verboten. In der frühen Renaissance entwickelten sich grüne und bunt glasierte Kachelöfen mit Bildkacheln seit den 152oer/3oer
Jahren zu einem populären, oft reich dekorierten repräsentativen Einrichtungsgegenstand der
bürgerlichen Stube Mitteldeutschlands. Damit verbunden war ein Motivwandel, der Verbindungen
zur Theologie der Reformatoren, zum Humanismus und zur sich konsolidierenden Macht der
wettinischen Landesfürsten sowie deren Außenwirkung erkennen lässt. Es bleibt zu klären, in
wie weit lutherische Reformation, Motiv- und Stilwandel von der Gotik zur Renaissance in Wittenberg und Mitteldeutschland zusammen fallen.
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Auf breiter Basis. Fundanalysen aus Wittenberg
Dr. Ralf Kluttig-Altmann (Halle / Saale)
Die zahlreichen Ausgrabungen der letzten 2o Jahre im Altstadtgebiet von Lutherstadt Wittenberg
haben eine fast unüberschaubare Zahl von archäologischen Funden ans Tageslicht befördert. Ein
Großteil dieser Funde stammt aus dem 16. Jahrhundert, der Blütezeit der Stadt, und damit aus
Martin Luthers direktem zeitlichen Kontext.
Die bereits durch die Ausstellung »Fundsache Luther« (Halle/Saale 2oo8/2oo9) und begleitende
Publikationen bekannt gemachten Objekte stellen davon einen zwar qualitativ hochwertigen und
durch ihre Zuweisung zu Luthers unmittelbarem Lebenskontext bedeutenden, aus der Gesamtschau
jedoch kleinen Teil der vorhandenen Fundmenge dar. Erst die Beschäftigung mit der Gesamtheit
aller Funde dieser Zeit ermöglicht tiefergehende qantitative Analysen unter verschiedensten Gesichtspunkten und kann Aussagen zur materiellen Kultur nicht nur einzelner Parzellen, sondern
des gesamten städtischen Kontextes treffen.
Der Referent möchte die Methodik, mit der die immensen Fundmengen systematisch für wissenschaftliche Bearbeitungen aufbereitet werden, vorstellen, auf wichtige Vorarbeiten verweisen
und einen Überblick über die lutherzeitliche Fundlandschaft Wittenbergs geben. Darüber hinausgehend sollen in mehreren kleinen Exkursen, z. T. ergänzt durch schriftliche Quellen, bestimmte
Aspekte dieser Fundlandschaft angerissen werden: welche Rolle spielten Schlüssel im Wittenberger Schloss, was kann an einem Ofen außer Kacheln noch interessant sein, und welche Rolle
spielte das heutige Bad Schmiedeberg für die materielle Versorgung der Lutherstadt.
Luther und seine Folgen –
Die Wittenberger Ofenkeramik und ihre Bezüge zu Süd- und Südwestdeutschland
Harald Rosmanitz (Partenstein)
Die Auswertung des archäologischen Fundguts im Rahmen der Forschungen zum Ernestinischen
Wittenberg ermöglicht erstmals in Sachsen-Anhalt die Zusammenschau von reliefierten Ofenkacheln der Spätgotik und der Neuzeit für einen komplexen Siedlungsraum. Die hohe Qualität der
oft mehrfarbig glasierten Stücke und die überraschende Vielfalt der Bildmotive zeigt, welchen
Wert man in der wohlhabenden Lutherstadt auf eine optimale bildliche Ausstattung des Kachelofens legte, der in Zentrum des öffentlichen Alltagslebens des jeweiligen Haubesitzers stand. In
vielen Fällen sind dabei Bezüge zu reformatorischen Inhalten zumindest indirekt beabsichtigt.
Die Wittenberger Ofenkeramiken legen nahe, dass die Stadt an der Elbe kunsthandwerklich
oder zumindest die Bildinhalte betreffend auf diesem Gebiet als eine Art Trendsetter fungiert
haben dürfte. Ein Vergleich mit süd- und südwestdeutschen Kacheln relativiert diese Bild zumindest in Teilen. Die vergleichende Auswertung formgebender Produktionszentren auf der Grundlage archäologisch stratifizierbaren Fundgutes hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass wir
uns von der Vorstellung von klar voneinander abgrenzbaren, von einem Töpferei- oder Handelszentrum ausgehenden Formen- und Motivkreisen weitgehend verabschieden müssen. Der Ideenund Güteraustausch in Zentraleuropa, der neben den Flusssystemen auf einem dichten Netz von
bestens funktionierenden Handelsrouten basierte, ging annähernd reibungslos und vor allem sehr
schnell vonstatten. Als besonders segenreich für die Bildsprache auf Kachelreliefs erwiesen sich
dabei die weit verhandelten graphischen Vorlagen.
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An ausgewählten Beispielen Wittenberger Kachelreliefs werden in dem Vortrag die komplexen
Werdegänge rekonstruiert, die Ofenkacheln vom Bildentwurf bis zu ihrer Platzierung im Kachelofen durchlaufen mussten. Wie bei der heutigen Produktgestaltung war der Designer bzw. Bossier
in seiner Bildsprache topaktuell. Gleichzeitig gestaltete er seine Reliefs so, dass sie eine große Zahl
von Abnehmern fand. Zumindest in Ansätzen lässt sich dabei herausarbeiten, welche Rolle dabei
der Lutherstadt zukam.
Weiterführend dazu:
Rosmanitz, Harald (2o11): Vom Fragment zum Kachelofen. Die Stecknadel im Heuhaufen. In:
Georg Ulrich Großmann (Hg.): Heiß diskutiert - Kachelöfen. Geschichte, Technologie, Restaurierung; Beiträge der internationalen Tagung der Fachgruppe Kunsthandwerk im Verband der Restauratoren e.V. vom 1o. bis 12. Januar 2oo8 im Germanischen Nationalmuseum. Nürnberg: Verl.
des Germanischen Nationalmuseums (Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum, 9), S. 13–31.
http://www.furnologia.de/furnologia/Galerie/galerie_vorlagen/galerie_vorlagen_hs.htm
http://www.furnologia.de/furnologia/Bibliothek/bibliothek_geometrie/bibliothek_geometrie_hs.
htm
Die Steinzeugfunde aus dem Garten des Lutherhauses in Wittenberg
Nadine Holesch (Halle / Saale)
Das Areal und die Gebäudesubstanz des Lutherhauses in Wittenberg stehen vor allem seit den
letzten Jahren im Zentrum umfangreicher Forschungen von Seiten geistes-, kunst- und baudenkmalpflegerischer Disziplinen. Dazu gehört auch die Archäologie. Die bislang umfangreichste
Ausgrabung konnte von Juli 2oo4 bis April 2oo5 vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt durchgeführt werden. Im Zentrum des Vorhabens stand die Freifläche südlich des Gebäudeensembles. Wie hinreichend bekannt konnten hier spektakuläre Befunde wie
etwa die Relikte eines turmartigen Anbaues freigelegt werden, in welchem sich die Arbeitsräume
Luthers befanden. Aber auch die geborgenen Funde sind höchst interessant, spiegeln sie doch
schwerpunktmäßig eine Haushaltung der ersten Hälfte bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wieder,
die sich unmittelbar mit der Familie des Reformators verknüpfen lässt. Aus der Vielzahl der zum
Teil sehr qualitätvollen Funde treten Fayencen, polychrome reliefverzierte Gefäße und Blattkacheln,
Gläser a la facon de venice aber auch Bunt- und Edelmetallgegenstände hervor. Zudem stellen die
Steinzeugfunde einen höchst lohnenden Forschungsgegenstand dar. So können innerhalb des
Ensembles auf der einen Seite Objekte ausgemacht werden, die eine klare Orientierung an spätmittelalterlichen Formen aufweisen, wie etwa Gesichtsgefäße, auf der anderen Seite kann das
Spektrum der frühneuzeitlichen Massenproduktion anhand von Feldflaschen, Krügen und Kleingefäßen nachvollzogen werden. Innerhalb dieser Keramikgattung, deren Funde bis in das 18.
Jahrhundert und teilweise bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts datieren, lassen sich die
verschiedenen Steinzeugproduktionsorte im mittel- und ostdeutschen Raum nachweisen. Auch
ihre gegenseitigen Kontakte und etwaige Beeinflussungen der Töpfereistandorte von außerhalb
sind fassbar.
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Frühneuzeitliche Glasfunde aus Mitteldeutschland
Nicole Eichhorn (Halle / Saale)
In mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Grabungen liegt Glas, im Verhältnis zu keramischen
oder metallenen Funden, nur in geringem Umfang vor, was auf die Überlieferungsbedingungen
einerseits und den Materialwert andererseits zurückzuführen ist. Da für Mitteldeutschland, insbesondere Sachsen-Anhalt, bisher kaum Publikationen zu gläsernen Grabungsfunden existieren,
bot sich im Rahmen einer Magisterarbeit unter der Betreuung von Prof. Dr. Hans-Georg Stephan
an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Möglichkeit, diesem Umstand beizukommen
und die Hohl- und Flachgläser aus Haushalten des 16. und 17. Jahrhunderts im Hinblick auf ihre
Typologie und Chronologie zu untersuchen.
Im Rahmen dieser Arbeit wurden Grabungen, welche reich an Glasobjekten waren, ausgewählt,
wobei der Fokus auf Wittenberg liegt. Hier wurden vier Fundstellen bearbeitet, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind: Die Grabungen »Lutherhaus Garten« und »Erdgeschoss« in der
Collegienstraße, Markt 4 (Cranachhof), Bürgermeisterstraße 5 und Schlossplatz 4 / 5. Ergänzend
wurde jeweils eine Grabung in den Städten Naumburg und Annaburg mit zahlreichen Vergleichsfunden aus der genannten Zeitspanne herangezogen.
Die über 2ooo Fragmente konnten zumeist Trink- und Schankgefäßen sowie Ringen, Butzenscheiben und Flachglas aus dem Zylinderblasverfahren zugeordnet werden, wobei sich das Formen- und Verzierungsspektrum von einfachsten Gebrauchsgegenständen bis hin zu hochwertigen
Tafelgläsern beschreiben lässt. Nicht nur innerhalb der Volumina, auch hinsichtlich der Qualität
der Ausführung zeigen sich zuweilen beachtliche Abstufungen. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden hier vorgestellt.
Restaurierung im Projekt Luther-Archäologie
Dipl.-Rest. Marcus Jung (Halle / Saale)
Die Restaurierung im Projekt Luther-Archäologie weist aufgrund der Materialkomplexität eine
Vielzahl von Problemstellungen auf, für die es eine Lösung zu finden gilt. Während es sich bei
den Mansfelder Objekten überwiegend um Frischfunde der Ausgrabung »Goldener Ring« handelt,
stammen die Wittenberger Funde aus den Depots des Landesmuseums.
Keramische Erzeugnisse und Gläser sind meist zerscherbt und nicht mehr vollständig vorhanden, Metallobjekte aus Kupferlegierungen und Eisen sind fast bis zur Unkenntlichkeit korrodiert,
wobei wichtige Details, die für eine weitere wissenschaftliche Aufarbeitung interessant sein könnten, verdeckt werden. Ein Teil der Funde ist zudem von einer chloridisch katalysierten Korrosion
betroffen, was zu Rissbildung, Abplatzungen bis hin zum vollständigen Zerfall der Objekte führen
kann. Hier ist eine Entsalzung unerlässlich. Aus diesem Grund beschäftigt sich ein Teilaspekt der
Restaurierung mit der praktischen Umsetzung eines neuen Verfahrens zur Entchloridierung,
welches am Landesmuseum in Halle entwickelt wurde.
Ein weiteres Problem sind Altrestaurierungen. Die Objekte haben durch die Nutzung nicht
dokumentierter Klebstoffe, Überzüge und Ergänzungsmassen nicht nur in ihrer Ästhetik gelitten,
sondern auch materialtechnisch zusätzlich Schaden genommen. Für eine entsprechende »Entrestaurierung« sind teilweise langwierige Testreihen notwendig, um weitere Schädigungen zu vermeiden.
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Die Wittenberger Letternfunde aus der Bürgermeisterstraße 5.
Eine typographische und materialkundliche Betrachtung.
Sophia Linda Stieme / Dr. des. Daniel Berger (Halle / Saale)
Von Juli bis Oktober 1997 fand im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie
Sachsen-Anhalt die Ausgrabung eines ca. 2oo m² großen Geländes an der Bürgermeisterstraße 5
in Wittenberg statt. Besonders die dabei gefundenen Bleilettern (Typen) weckten das wissenschaftliche Interesse, da solche Zeugen des Buchdrucks zu den selteneren Bodenfunden gehören. Über
5oo Drucktypen wurden innerhalb einer Latrine entdeckt, die anhand der Beifunde in das 16.
Jahrhundert datiert. Damit war zumindest die begründete Hoffnung gegeben, einen Zusammenhang der Lettern mit der von Wittenberg ausgehenden Reformation herstellen zu können.
Neben der Datierung der Bleilettern anhand der Beifunde kann eine zeitliche Einordnung auch
anhand typographischer Aspekte, etwa der Schriftart, besonders aber der Schriftausführung erfolgen. Unter den insgesamt 465 bestimmbaren Lettern fanden sich mit Antiqua, Fraktur und
Schwabacher drei verschiedene Schriften. Bei erstgenannter gibt es neben den Lettern einer geradstehenden auch solche für eine kursive Form sowie eine Variante mit Kapitälchen. Dem Umfang
im Letternkomplex nach zu urteilen dürfte die kursive Variante die Hauptschrift der Druckerei
gewesen sein, deren typographische Merkmale sowie die an den anderen Schriften die Datierung
der Bleilettern in das 16. bzw. frühe 17. Jh. stützen.
Eine weitere Datierungsmöglichkeit des Fundkomplexes bietet die sog. Graphemik. Hierbei
handelt es sich um einen Bereich der Altgermanistik, in der man das Schriftsystem untersucht.
Eine Datierung der Lettern allein aus dem Blickwinkel der Graphemik vorzunehmen, wäre sehr
vage, da nur einzelne Buchstaben und Satzzeichen vorliegen. Erst gemeinsam mit der archäologischen und typographischen Betrachtung ergibt sich eine relativ sichere zeitliche Einordnung
der Lettern. So sind beim Übergang vom Frühneuhochdeutschen (135o–165o) zum Neuhochdeutschen (ab 165o) graphemische Entwicklungen zu beobachten, welche beispielsweise die Großschreibung oder die Interpunktion und Kürzelzeichen betreffen. Auch Satz- und Sonderzeichen
wie die Virgel (/), das Komma (,), das Fragezeichen oder die et-Ligatur (&), von denen mehrere als
Lettern im Komplex erhalten blieben, können zur Datierung herangezogen werden. Das Fragezeichen ist z. B. zwar von Beginn des Frühneuhochdeutschen an bekannt, findet jedoch erst seit dem
16. Jahrhundert häufigere Verwendung. Damit und mit weiteren Aspekten wird ebenfalls eine
Zeitstellung der Lettern in das 16./17. Jh. nahegelegt.
Ergänzend zur typografischen und graphemischen Betrachtung wurden die Lettern materialkundlich untersucht. Dazu konnten an 16 Typen Metallanalysen durchgeführt werden, die durchweg quartäre Legierungen aus Blei, Antimon, Zinn und Bismut erbrachten. Möglicherweise wurde
dem Metall sogar noch Kupfer zugesetzt. Besonders hervorzuheben ist die Anwesenheit von Bismut, das zum ersten Mal an Lettern nachgewiesen werden konnte. Zuvor war seine Verwendung
nicht durch Realien (z. B. Lettern aus Mainz) belegt, sondern nur aus zeitgenössischen Schriften
wie Agricolas De natura fossilium bekannt. Vermutlich besteht hier ein Zusammenhang mit den
nahegelegenen Bismutgruben im Erzgebirge und es scheint möglich, dass die Erfindung des Letternmetalls mit Bismut von Wittenberg ausgeht.
Die Legierungszusammensetzungen sind unterdessen recht uneinheitlich, dennoch lässt sich
die Verwendung bevorzugter Mischungsverhältnisse nachvollziehen, die sich z. T. auch an anderen,
unweit auf dem Arsenalplatz in Wittenberg gefunden Bleilettern wiederfinden lassen. Höchstwahrscheinlich lässt sich in den Legierungen eine Herstellung der Typen durch unterschiedliche
Schriftgießer fassen, wobei offen bleiben muss, ob dies in einer oder in mehreren Gießereien
erfolgte. Da die Typen stark schwankende Signaturhöhen aufweisen, könnte durchaus ein Hinweis
auf unterschiedliche Schriftgießereien gegeben sein, zumal die Signaturen ansonsten deutlich
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einheitlicher wären. Möglicherweise äußert sich hierin aber auch ein chronologisches Kriterium,
wonach die Lettern unterschiedlicher Zeitstellung sein könnten. Zum jetzigen Zeitpunkt bleiben
die Aussagen jedoch noch beschränkt, da die Untersuchungen (auch an anderen Lettern) andauern.
»… und laufen die Säu’ und Hunde darüber« –
Die Wittenberger Stadtbefestigung in der Lutherzeit
Andreas Stahl (Halle / Saale)
Der Einstieg in die Thematik der Wittenberger Befestigung erfolgte aus offenen Fragestellungen
zum reformationsgeschichtlich relevanten Turmerlebnis Martin Luthers, denn zur Klärung der
Baugeschichte des Augustinerkosters wurde der Festungsbau in Wittenberg viel zu wenig beachtet. Luther war von fortifikatorischen Baumaßnahmen an der Elbseite direkt betroffen, denn der
Wallausbau engte das Lutherhaus ein und verwehrte ihm den exklusiven Ausblick aus seinem
»Turm«. Zu Luthers ambivalentem Verhältnis zur Befestigung Wittenbergs gibt es eindrucksvolle
Belege, es offenbarte sich auch sein eklatantes Unverständnis für frühneuzeitliche Festungsmanieren. Damit stand er nicht allein. Obwohl die Quellenlage mehr als ausreichend ist, beruht der
Forschungsstand zur Stadtbefestigung im Wesentlichen noch immer auf der Arbeit von Heinrich
Heubner aus dem Jahr 1936, der hatte allerdings, wie das Denkmalinventar von 1979, den Übergang von der mittelalterlichen Befestigung zur neuzeitlichen Festung nicht schlüssig dargestellt.
Es offenbarten sich grundlegende Unsicherheiten in der Unterscheidung der spätmittelalterlichen
von neuzeitlichen Fortifikationsmanieren. Die Errichtung eines Basteiensystems als Enceinte
(Stadtumwallung) des Reformationszeitalters und der Übergang zum Bastionärsystem erst am
Anfang des Dreißigjährigen Krieges wurden nicht ausreichend begriffen. Auch muss die konkrete
Einflussnahme Albrecht Dürers auf den Festungsbau in Wittenberg relativiert werden.
Festungskunde bzw. Festungsbaukunst ist eine sehr spezielle und auch unter Fachleuten umstrittene Wissenschaft. Unsicherheiten bei Anwendung des fortifikatorischen Thesaurus führen
immer wieder zu Fehldeutungen. Der für Wittenberg signifikante erdgeböschte Basteienwall adaptierte das vorangegangene Zwinger- und Rondellsystem und dominierte als Manier im 16. Jh..
Er ist kaum als progressiv zu werten; innovativ waren aber Details, wie die frühe Verstärkung des
Zwingers mit gemauerter Kontereskarpe, die Umwandlung der Stadtmauertürme zu Kaponnieren
des Kehlgrabens des Hauptwalles sowie das primäre Detail der Wittenberger Festung: die an der
Wallböschung angelegte Eskarpenmauer zur Bestreichung des Hauptgrabens, die durchaus als
frühe Form eines Niederwalls, dem sog. Faussebraye altniederländischer Manier gilt. Vollkommen
übersehen wird die Tatsache, dass Wittenbergs Topographie den Flusslandschaften der Niederlande
mit deren spezifischen fortifikatorischen Anforderungen und baulichen Möglichkeiten mehr entspricht als Italien oder der Balkan! Anhand historischer Zusammenhänge, bildlicher Überlieferungen und quellenmäßiger Indizien drängt sich die These auf, dass zeitgenössisch moderne
Befestigungssysteme weniger über Italien und Süddeutschland, sondern vor allem über die Niederlande und Norddeutschland nach Mitteldeutschland und damit Wittenberg gelangten. Denn
entgegen des bisherigen Forschungsstandes ist in Wittenberg keine altitalienische Manier nachweisbar!
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Zur Sachkultur im Prämonstratenser-Stift Jerichow vor der Auflösung des Konvents
im 16. Jahrhundert.
Dr. Götz Alper (Halle / Saale)
Bei Baumaßnahmen im Klausurbereich des ehemaligen Prämonstratenser-Stifts Jerichow wurde
im Jahr 2o11 eine Kloakenanlage angeschnitten. Die im 12./13. Jahrhundert in Ziegelbauweise
errichtete Kloake schloss sich südlich an den Ostflügel der Klausur, in dessen Obergeschoß sich
das Dormitorium der Kanoniker befand, an. Anfang des Jahres 2o12 wurde ein Teilbereich der
Kloakenverfüllung mit ehrenamtlichen Beauftragten der Bodendenkmalpflege näher untersucht.
Es zeigte sich, dass die Anlage in einem Zug mit Bauschutt und Hausrat zugeschüttet worden war.
Wahrscheinlich erfolgte die Verfüllung im Rahmen der Auflösung des Konvents und der Umwandlung des Stifts in eine Domäne um das Jahr 1552.
Das Fundmaterial aus der Kloake gibt einen guten Einblick in die Sachkultur im nördlichen
Mitteldeutschland an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Gefäßkeramik aus glasierter und
unglasierter Irdenware sowie aus Steinzeug macht den größten Teil des Inventars aus. Daneben
sind Ofenkacheln sowie diverse Baukeramik stark vertreten. Eine Besonderheit stellen Bruchstücke
eines sehr sorgfältig gearbeiteten Ziegelobjekts mit religiöser Inschrift dar.
Flach- und Hohlglas kommt in größerem Umfang vor. Unter den Metallfunden befinden sich
zahlreiche Münzen, Buchbeschläge und Bekleidungsbestandteile. Die Tierknochenfunde zeigen
ein großes Artenspektrum.
In dem Vortrag wird ein erster Überblick über den Fundkomplex, dessen Aufarbeitung noch
nicht abgeschlossen ist, gegeben.
Von der Reform zur Spaltung:
Das Fürstentum Anhalt zwischen Reformation und reformierter Bekenntnisbildung
Jan Brademann M.A. (Bielefeld)
Die Erforschung der Reformation zählt, vor allem in theologischer und politischer Hinsicht, zu
den besser bestellten Feldern der mitteldeutschen Landesgeschichtsschreibung. Gleichzeitig bilden
die politischen und sozialen Veränderungen, die sich seit Luthers Thesenanschlag von der Mittelelbe aus über Europa erstreckten, eine die historischen Wissenschaften heuristisch wie auch
strukturell prägende Zäsur. Durch sie wurde die mittelalterliche Religion in Dogma und Praxis in
Frage gestellt und im Ergebnis die Christenheit geteilt. Langfristig traten daher Religion und
Politik, geistig-konzeptionell und schließlich institutionell, auseinander. Das Referat möchte diese
Gesamtsicht an einem mitteldeutschen Beispiel differenzieren. Es fragt, ob nicht unter spezifischen
Bedingungen in der Ursprungsregion der Reformation der eigentliche gesellschaftsgeschichtliche
Bruch in einer anderen historischen Situation zu suchen ist. Als Fallbeispiel dient das Fürstentum
Anhalt, dessen Landesherren ihre Lande früh und reflektiert der Reformation öffneten. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass dieser Prozess kaum auf Widerstand stieß und das Territorium,
das durch die Entwicklung eines landesherrlichen Kirchenregiments eine neue Festigkeit erhielt,
ihn letztlich geschlossen durchlief. Dabei ist hinzuzufügen, dass die Änderungen der religiösen
Praxis sehr maßvoll vorgenommen wurden und starke Kontinuitäten zum Mittelalter, etwa in der
Messe, festzustellen sind.
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Als sich Ende des 16. Jahrhunderts der Protestantismus im Reich ausdifferenzierte, traten die
Fürsten von Anhalt in das reformierte Lager über. Es kam zu fundamentalen Einschnitten in die
Symbole und die Liturgien. Der Unterschied zu den 152oer und 153oer Jahren besteht nun darin,
dass ein Großteil des Adels und der Untertanen dieses neuerliche, wesentlich tiefer einschneidende
Veränderungsdesiderat nicht mit trug. In Anhalt bestanden seither faktisch zwei Konfessionen
nebeneinander. Auf die Reform des Kirchenwesens folgte also um 16oo seine Spaltung. Schaut
man auf das eigentlich Trennende, das Abendmahl, so wird der Kontinuitätscharakter der Reformation noch einmal deutlicher: Es war die aus dem Mittelalter konservierte und nun bestrittene
Vorstellung, in diesem Ritus das materialisierte, objektivierte Heil empfangen zu können, die den
Widerstand gegen die Veränderungen wesentlich begründete.
Der eigentliche religionsgeschichtliche Bruch in Anhalt, der für viele andere reformierte Territorien zutreffen dürfte und darüber hinaus im lutherischen Mitteldeutschland eine erhebliche
Außenwirkung hatte, läge dann nicht in den 152oer, sondern in den Jahren um 16oo. Im Ausblick
bedeutete dies, dass die Fürsten von Anhalt, aber auch die Einwohner der Kleinstädte und Ämter,
vergleichsweise früh unterschiedliche religiöse Identitäten in direktem Kontakt zu akzeptieren
und nach Wegen einer interkonfessionellen Verständigung zu suchen hatten. Ob dieses Faktum
eine frühere Tendenz zu Toleranz und Säkularisierung zur Folge hatte, ist eine spannende Frage,
die allerdings späteren Forschungen zu überlassen ist.
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