Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation
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Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation
Mitteldeutschland im Zeitalter der Reformation Interdisziplinäre Tagung in Halle (Saale) 22.06.– 24.06.2012 Veranstalter / Organizer: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Landesmuseum für Vorgeschichte Richard-Wagner-Straße 9 o6114 Halle (Saale) www.lda-lsa.de Unter Beteiligung von / with the participation of: Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas Prähistorische Archäologie und Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Brandbergweg 23c o6o99 Halle (Saale) Tagungsprogramm Samstag, 23. Juni 2012 9.00 Grußwort Harald Meller (Halle / Saale) Moderation: Harald Meller (Halle / Saale) 9.30 Mirko Gutjahr (Halle / Saale) »Lutherarchäologie« – Forschungsstand und Perspektiven 10.00 Das Montanwesen in der Grafschaft Mansfeld zu Luthers Zeiten Michael Fessner (Bochum) 10.30 Kerstin Bullerjahn (Halle / Saale) Hüttenmeister in der Grafschaft Mansfeld 11.00 Kaffeepause Moderation: Mirko Gutjahr (Halle / Saale) 11.30Gaby Kuper (Eisleben) Das Lutherhaus Mansfeld aus historischer Sicht 12.00 Ines Vahlhaus (Halle / Saale) Der Goldene Ring in Mansfeld. Erste Ergebnisse der Ausgrabungen im Vorfeld des dortigen Museumsneubaus 12.30 Volker Herrmann (Bern / CH) S t. Gertruden und St. Marien zu Halle und Kardinal Albrecht Caroline Schulz (Halle / Saale) V om Markt zum Platz. Der Strukturwandel des Halleschen Marktes vom Spätmittelalter zur Neuzeit 13.10 Mittagspause Moderation: Matthias Untermann (Heidelberg) 14.30 Jelena Schmidt / Maike Kohnert (Berlin) D ie Kelleranlagen in Mansfeld – Bauen unter Tage 15.00Antonia Brauchle (Berlin) Die unterirdische Struktur der Stadt: Kelleranlagen in Wittenberg 15.30 Insa Christiane Hennen (Wittenberg) Quellen des Wittenberger Häuserbuchs: Schoßregister, Stadtkarten, archäologische Relikte 16.00 Kaffeepause Moderation: Arnold Muhl (Halle / Saale) 16.30Phillip Rössner (Leipzig) Alte Münzen – schlechtes Geld. Geldfluss in Mitteldeutschland in der Reformation 17.00 Martin Hille (Passau) »Dergleichen nie geschehen ist von anfang der welt«. Luthers Reformation aus der Sicht seiner altgläubigen Zeitgenossen 17.30 18.00 20.00 Christian Hirte (Berlin) Die Schlacht bei Mühlberg (1547) als triumphales Bildereignis Thomas Lang / Mareike Greb (Wittenberg) Z wischen Alltag, Kunst und Sünde: Tanz an den wettinischen Höfen um 1500 Empfang im Landesmuseum, mit musikalischer Begleitung durch die Gruppe Horch, Führung durch die Landesausstellung »Pompeji« Sonntag, 24. Juni 2012 Moderation: Bernd Zich (Halle / Saale) 9.00 Hans-Georg Stephan (Halle / Saale) G otik und Renaissance. Spätmittelalterliche Frömmigkeit und Reformation. Beobachtungen zum Motiv- und Stilwandel anhand von Wittenberger Ofenkacheln der Reformationszeit 9.30 Ralf Kluttig-Altmann (Halle / Saale) Auf breiter Basis. Fundanalysen aus Wittenberg 10.00 Harald Rosmanitz (Partenstein) Luther und seine Folgen – Die Wittenberger Ofenkeramik und ihre Bezüge zu Süd- und Südwestdeutschland 10.30 Kaffeepause Moderation: Ralf Kluttig-Altmann (Halle / Saale) 11.00Nadine Holesch (Halle / Saale) Die Steinzeugfunde aus dem Garten des Lutherhauses in Wittenberg 11.30 Nicole Eichhorn (Halle / Saale) Frühneuzeitliche Glasfunde aus Mitteldeutschland 12.00 Marcus Jung (Halle / Saale) Restaurierung im Projekt »Lutherarchäologie« 12.30 Daniel Berger / Sophia Stieme (Halle / Saale) D ie Wittenberger Letternfunde von der Bürgermeisterstraße 5. Eine typographische und materialkundliche Betrachtung 13.00 Mittagspause Moderation: Hans-Georg Stephan 14.30 Andreas Stahl (Halle / Saale) »... so laufen die Säu und Hunde darüber« – Die Wittenberger Stadtbefestigung in der Lutherzeit 15.00 Götz Alper (Halle / Saale) Zur Sachkultur im Prämonstratenser-Stift Jerichow vor der Auflösung des Konvents im 16. Jahrhundert 15.30 Jan Brademann (Bielefeld) Von der Reform zur Spaltung. Zur dauerhaften Institutionalisierung religiöser Differenz am Beispiel des Fürstentums Anhalt im langen 16. Jahrhundert 16.00Abschlussdiskussion »Lutherarchäologie« – Forschungsstand und Perspektiven Mirko Gutjahr (Halle / Saale) Mit den Ausgrabungen in den Lutherstätten Eisleben, Mansfeld und Wittenberg ergaben sich erstmals direkte Einblicke in die »Keimzellen« der Reformation, die in den vergangenen Jahren durch die nachfolgenden umfangreichen Forschungen des Projektteams »Lutherarchäologie« am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle weiter vertieft werden konnten. Ausgehend vom reichen archäologischen Fundgut in den Wohnstätten des Reformators soll in diesem Beitrag der Frage nach den generellen Aussagemöglichkeiten des materiellen Niederschlags historischer Lebensrealitäten in Zeiten dichter historischer Überlieferung nachgegangen werden. Der hier vorzustellende Versuch einer konfessionellen Distinktion der Lutherschen Haushalte auf Basis des hier geborgenen Fundmaterials wird zudem beispielhaft Potentiale und Grenzen der »Lutherarchäologie« aufzeigen. Das Montanwesen in der Grafschaft Mansfeld zu Luthers Zeiten Dr. Michael Fessner (Bochum) Die beiden Historiker Ian Blanchard und Karl-Heinrich Kaufhold bezeichneten die Hochkonjunktur des Montanwesens von der Mitte des 15. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts als das »Zeitalter des Seigerprozesses«. Die schnelle Verbreitung dieser neuen Technologie ab der Mitte des 15. Jahrhunderts war der auslösende Faktor, der zum enormen Anstieg der Produktion in den auf silberhaltigen Kupfererzen basierenden Montanzentren Niederungarn, Schwaz in Tirol und Mansfeld führte. Der Ursprung des Kupferschieferbergbaus in der Grafschaft Mansfeld reichte bis zum Jahr 1199 zurück, als zwei aus Goslar in das Erzgebirge wandernde Bergleute am Kupferberg bei Hettstedt die dortigen Lagerstätten entdeckten. Das Revier um Eisleben wurde zur Mitte des 12. Jahrhunderts aufgenommen. Die Grafschaft Mansfeld lieferte bereits Anfang des 15. Jahrhunderts ihr Kupfer bis nach Venedig. Der große Aufschwung trat jedoch erst mit der Einführung der Seigerhüttentechnologie ein. Neben Neusohl in Niederungarn und Schwaz in Tirol stieg die Grafschaft Mansfeld mit ihren drei Revieren Hettstedt, Eisleben und Mansfeld nach 147o zum wichtigsten Schwarzkupferproduzenten auf dem europäischen Kontinent auf. Diese Prosperitätsphase reichte bis in die 153oer Jahre; aber bereits während Luthers letzten Lebensjahren setzte ein allmählicher Abschwung ein. Die Ursachen für diesen Abschwung lagen sowohl in internen als auch in externen Faktoren. 3 Hüttenmeister in der Grafschaft Mansfeld Kerstin Bullerjahn (Halle / Saale) Durch mehrere Jahrzehnte umfassende Beschäftigung mit dem Mansfelder Kupferschieferbergbau ist immer deutlicher geworden, dass die Bedeutung der Hüttenmeister des Mansfeldischen- und Eislebischen Berges in Bezug auf das Grafenhaus und die Saigerhandelsgesellschaften stärker als bisher beachtet werden muß. Die Verwaltung des gräflich-mansfeldischen Bergbaus ging von gräflichen Ämtern aus, welche Eigenlehner betätigten, die von den Grafen Hütten (sog. Feuer) und dazugehöriges Abbaufeld gepachtet hatten und dafür Zins an die Grafen zahlen mussten. Zur Hütte gehörte das Berglehn, d.h., der Bergbau war der Hütte angegliedert. Das in den zahlreichen Hütten geschmolzene Rohkupfer wurde wegen des hohen Holzbedarfes und der günstigen Lage an den Haupthandelswegen in Thüringen zu Garkupfer und Silber weiterverarbeitet. Die Saigerhütten jedoch gehörten hauptsächlich dem Nürnberger Handelskapital. Der Handel selbst befand sich vorwiegend in den Händen von Faktoren bzw. Gesellschaftern der Saigerhandelsgesellschaften, die aber oft fern vom Erzeugungsort des Kupfers in größeren Städten lebten. Es entstanden umfangreiche Handelsbeziehungen, unter anderem abgesichert durch Heirat, der Hüttenmeisterfamilien nach Nürnberg, Leipzig, Frankfurt und Antwerpen. Das brachte auch neue Erkenntnisse im Bergbau, Bauhandwerk, Verlagswesen und Kunsthandwerk mit sich. In der Zeit vom Ende des 15. bis Mitte 16. Jh. entwickelten sich die Mansfelder Hüttenmeister zu bedeutenden privaten Unternehmern, welche auch großen Einfluß auf die gesellschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen in den Städten der Grafschaft nahmen. Das Lutherhaus Mansfeld aus historischer Sicht Dr. des. Gaby Kuper (Eisleben) Luthers Elternhaus gehörte lange zu den vergessenen Stätten der Reformation und ist erst in diesem Jahrtausend durch die dort gemachten zahlreichen archäologischen Funde wieder in den Blickpunkt der Forschung geraten. Dabei bietet das Gebäude gemeinsam mit dem Renaissanceschloss, der Stadtkirche St. Georg und dem mittelalterlichen Stadtkern ein einzigartiges geschlossenes Ensemble, ein historisches Zeugnis der Reformation ersten Ranges. Zahlreiche Anknüpfungspunkte an Luthers Werk und Biografie sind vorhanden, denn in die Mansfelder Zeit fallen die wichtigen Prägungen von Luthers Kindheit und erster Schulzeit. Die Funde auf dem Gelände des Elternhauses können das Alltagsleben der Familie Luther um 15oo veranschaulichen. Doch nicht die Anfänge des Elternhauses sollen im Zentrum des Vortrages stehen, sondern die Wiederentdeckung des Gebäudes in den Jahren 1878–1885. Eingebettet in die Vorbereitungen der großen Feierlichkeiten zu Luthers 4oo. Geburtstag 1883 erhielt Luthers Elternhaus seine neue Zweckbestimmung für soziale Aufgaben. Die damals erfolgten Umbauten geben dem Gebäude bis heute sein Gesicht und erinnern kaum noch an das Haus, das der Lutherhausverein 1878 vorfand. Die Herrichtung des Gebäudes steht somit auch unter dem Vorzeichen der sich im ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelnden Gemeindearbeit, die weder im Kirchengebäude noch im Pfarrhaus verortet war. 4 Der Goldene Ring in Mansfeld. Erste Ergebnisse der Ausgrabungen im Vorfeld des dortigen Museumsneubaus Ines Vahlhaus M.A. (Halle / Saale) Nachdem sich in den letzten Jahren die Forschungen und archäologischen Untersuchungen in der Lutherstadt Mansfeld auf die Kindheit und die Familie Martin Luthers und das Umfeld konzentrierten, entstand die Idee eine Auswahl der bisherigen Funde und die Untersuchungsergebnisse möglichst nahe am Ursprung des Geschehens zu präsentieren. Leider ließ sich dies nicht auf der ehemaligen Parzelle der Familie Luther umsetzen. Dafür konnte auf der gegenüber liegenden Straßenseite ein Grundstück von einer Erbengemeinschaft erworben werden: Die Parzelle des ehemaligen Gasthofes »Goldener Ring«. Bereits in der Chronik von Spangenberg aus dem Jahr 157o ist an dieser Stelle ein Gasthof als »unterer Gasthof« belegt und scheint bis zum Ende des 2. Weltkrieges Bestand gehabt zu haben. 1962 oder 1963 wurde das unter Denkmalschutz stehende Gebäude abgerissen. Danach wurde dort in den 197oer Jahren eine öffentliche Toilettenanlage errichtet. Die dazugehörige Kläranlage legte man inmitten des ehemaligen Hauptgebäudes. Die archäologische Untersuchung des Geländes im Vorfeld des Museumsneubaues gab Gelegenheit, nach Vergleichsmaterial zu den bisherigen Funden und untersuchten Flächen in Mansfeld zu suchen. Daneben bot sich die seltene Chance, einen ehemaligen Gasthof, der möglicherweise kontinuierlich über 4oo Jahre bestand, archäologisch zu untersuchen. Neben der Frage nach seinen absoluten Maßen und noch vorhandenen Resten des nur mit wenigen Fotographien dokumentierten Hauptgebäudes ging es auch um die rückseitige Nutzung der Parzelle, z.B. im Hinblick auf die frühere Bewirtschaftung der Flächen in Richtung Westen im rückwärtigen Bereich bzw. zur ersten nachweisbaren Nutzung des Grundstückes. Im vorderen Bereich des ehemaligen Hauptgebäudes konnten trotz des massiven Eingriffes in der Mitte durch den Einbau der Kläranlage insgesamt vier unterschiedliche Keller dokumentiert werden. An der dahinter liegenden Ostseite sind mindestens zwei, teilweise mehr Phasen von Nebengebäuden und unterschiedliche Pflasterungen belegt. Weitere wichtige Befunde sind zwei Schächte mit auffälligem und zum Teil reichhaltigem Auffüllungsmaterial aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts und einige auffällige Kleinfunde wie ein Rechenpfennig, eine kopflose kleine Figur, wahrscheinlich der heiligen Maria Magdalena, ein Petschaft mit Initialen, ein Fragment einer polychromen Ofenkachel mit Gottvater auf einer Himmelswolke und weitere monochrom glasierte und verzierte Kacheln, darunter eine vorreformatorische Kachel vermutlich mit dem Abbild des heiligen Georg und jüngere Kacheln mit der Darstellung der Astronomia (VII) und der Musica aus anderen Komplexen. Die ältesten Befunde reichen nicht weiter als in die Übergangsphase vom ausgehenden Mittelalter in die frühe Neuzeit, so dass vermutlich der ältere Siedlungskern der urkundlich ab 14oo belegten Stadt Mansfeld hangaufwärts zu suchen ist. 5 St. Gertruden und St. Marien zu Halle unter Kardinal Albrecht Dr. Volker Herrmann (Bern) Die Topografie der mittelalterlichen Stadt Halle wurde bis zum 16. Jahrhundert maßgeblich durch den Dualismus ihrer beiden Pfarrkirchen, St. Gertruden und St. Marien, geprägt. Die Kirchen waren den beiden Rechtsbereichen der Salzstadt zugeordnet: St. Gertruden dem »Tal« mit seinen Solequellen und Salzkoten sowie St. Marien der »Bergstadt« mit dem Markt und den dortigen Verwaltungs- und Handelseinrichtungen. Der bis in die Reformationszeit andauernde Wettstreit beider Kirchgemeinden um die größte Anerkennung in der Saalestadt äußerte sich in einer reichen baugeschichtlichen Entwicklung und Ausstattung beider Gotteshäuser. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts trat der Rote Turm als stadtbildprägender Campanile, Statussymbol der Bürgerschaft und Glockenturm der Marienkirche hinzu. Ringsum der beiden Kirchen erstreckten sich ausgedehnte Kirchhöfe, auf denen die Gemeindeglieder der Markt- und der Talkirche beigesetzt sind. Kirchenbauten und Friedhöfe mussten um 153o dem Willen Kardinal Albrechts und seiner Idee einer radikalen Neugestaltung des halleschen Marktes weichen. Die beiden Kirchenreste gingen im Neubau der heutigen Marktkirche auf. Im Zusammenhang mit der Sanierung und Modernisierung des Marktes 2oo4 bis 2oo6 fanden umfangreiche Ausgrabungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt statt. Sie haben wichtige neue Anhaltspunkte für die Rekonstruktion der sakralen Markttopografie vor der Umgestaltung unter Kardinal Albrecht im 16. Jahrhundert geliefert, die im Vortrag eingehend beleuchtet werden. Die in Staunässe auf dem Markt gut erhaltenen Gräber geben uns Einblicke in die Bestattungsbräuche und Lebensbedingungen der Saalestadt bis in frühreformatorische Zeit. Vom Markt zum Platz. Der Strukturwandel des Halleschen Marktes vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Dr. Caroline Schulz (Halle / Saale) Nach der Stadterweiterung im 12. Jahrhundert entwickelt sich der Bereich des heutigen Marktplatzes zum Mittelpunkt der Stadt Halle mit den zentralen öffentlichen Einrichtungen des weltlichen und religiösen Stadtlebens. An der Ostseite des Areals befinden sich ursprünglich mehrere Steinwerke, die mit den Amtssitzen des Schultheiß und des Magdeburger Burggrafen in Verbindung gebracht werden. Sie bilden den Nukleus für die Entstehung der städtischen Bauten, die im 15. Jahrhundert diese Marktseite prägen: Rathaus mit Kreuzkapelle und Waage mit angrenzendem Archiv- und Gefängnisturm. Im Westen dominieren die beiden Pfarrkirchen St. Gertruden und St. Marien samt ihren Friedhöfen sowie der zwischen 1418 und 15o6 errichtete Rote Turm. Der verbleibende Raum wird vom Handel eingenommen. Neben festen Einrichtungen wie steinernen Kaufhäusern finden sich Holzverschläge oder Fachwerkkonstruktionen, die als Werk- und Verkaufsbuden dienen. Ein Teil der noch zur Verfügung stehenden Freiflächen bleibt den Wochenmärkten der Bauern bzw. Fischern des Umlandes vorbehalten und diejenigen Handwerker sowie Kleinhändler, die in den Buden keinen Platz mehr finden, teilen sich den Rest. Räumliche Enge und mehr oder minder dichte Bebauung prägen somit die spätmittelalterliche Marktsituation. Anfang des 16. Jahrhunderts ändert sich diese Struktur grundlegend. Zunächst werden zwischen 15o4 und 1513 die permanenten Handelsbauten abgerissen, wobei sich die entsprechenden merkantilen Aktivitäten in Seitenstraßen bzw. Nebenareale verlagern. Mit Kardinal Albrecht, der ab 6 1514 in Halle residiert, beginnt dann im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts die grundlegende Umgestaltung des halleschen Marktes. Auf der Westseite müssen die beiden Pfarrkirchen samt ihren Kirchhöfen der heute noch existierenden Marktkirche weichen, wobei in den ab 153o entstehenden Neubau die Reste der Vorgängerkirchen integriert und zu einer architektonischen Einheit verbunden werden (vgl. Beitrag V. Herrmann). Auf die einschneidenden Veränderungen der »sakralen« Westseite folgen nach der Reformation in Halle und Weggang von Kardinal Albrecht umfangreiche kommunale Bauaktivitäten, zunächst auf der »städtischen« Ostseite des Marktes, später auch in anderen Bereichen. Zusammen mit der zunehmenden privaten Bautätigkeit ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wandelt sich der hallesche Markt zu einem Platz, der das gegenüber dem Mittelalter gewandelte Verständnis von Architektur und Repräsentation in der Renaissancezeit widerspiegelt. Ein Kaufhaus-Neubau führte von November 2oo1 bis Juli 2oo2 zu einer großflächigen Grabung des Landesamtes, die auch das Areal vom Waagegebäude bis zum Alten Rathaus in der Nord-OstEcke des Marktes betraf. Im Vorfeld des Stadtjubiläums 2oo6 standen dann einige Jahre später umfangreiche Leitungssanierungen und der grundhafte Ausbau des Marktplatzes selbst an, die zwei Jahre lang archäologisch begleitet wurden. Die dabei gewonnenen archäologischen Quellen geben Hinweise auf Kontinuitäten, Wandlungen oder Brüche in der Markttopographie des öffentlichen Raumes. Sie ergänzen das auf Grundlage der bisherigen schriftlichen, bildlichen sowie bauhistorischen Überlieferung rekonstruierte Bild. Die Kelleranlagen in Mansfeld – Bauen unter Tage Jelena Schmidt / Maike Kohnert (Berlin) Im Altstadtbereich von Mansfeld sind noch mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Strukturen vorhanden, auf denen die heutige Stadtstruktur aufbaut. Die Untersuchung der Stadtbaugeschichte Mansfelds ist Bestandteil des Forschungsprojektes »Lutherarchäologie«. Mit der Erfassung der Kelleranlagen der Stadt wurde im Herbst 2o11 im Rahmen einer Masterarbeit begonnen. Nach dem ersten Teil der Bestandsaufnahme können Aussagen zur Bauweise der Anlagen getroffen werden. Sie weisen durch regionale Besonderheiten geprägte Eigenarten auf und zeigen klare Unterschiede z.B. zu den Wittenberger Kelleranlagen. Viele der Anlagen beinhalten Räume, die mit rundbogigen Tonnen überwölbt sind. Diese stammen aus der Zeit vor etwa 18oo. Die verwendeten Baumaterialien sind vor Ort anstehend und weisen eine große zeitliche Kontinuität auf. Bemerkenswert sind Phänomene, die möglicherweise mit der Bergbautradition der Region in Verbindung stehen. Einige Anlagen sind ohne erkennbaren Zusammenhang zum Hausbau errichtet worden, in manchen finden sich Strukturen, deren Nutzung bisher noch unklar ist. Aufgrund der Entstehung und der Bauweise der vorgefundenen Kelleranlagen konnten einige der aufgeworfenen Fragen im Rahmen der Untersuchungen nicht geklärt werden. Die Untersuchung der Mansfelder Kelleranlagen kann aber einige interessante neue Aspekte zur Kellerforschung beitragen, auch bei vergleichender Betrachtung mit den Untersuchungen in anderen Städten. 7 Die unterirdische Struktur der Stadt: Kelleranlagen in Wittenberg Dipl.-Ing. Antonia Brauchle (Berlin) Eine Stadt wird neben der sichtbaren Bebauung auch durch ihre unterirdische bauliche Struktur − den Kelleranlagen − geprägt. Seit 2oo9 wird in Wittenberg an der Stiftung LEUCOREA das interdisziplinäre Forschungsprojekt: »Das ernestinische Wittenberg: Universität und Stadt (1486– 1547)« durchgeführt. In diesem Rahmen wird eine systematische Erfassung der Kelleranlagen innerhalb des ehemaligen Festungsrings erarbeitet. Oberirdisch ist das Erscheinungsbild Wittenbergs durch die stattlichen Gebäude des 16. und die Fassaden des 19. Jahrhunderts geprägt sowie durch die Bautätigkeit der letzten 2o Jahre. Eine große Anzahl Gewölbekeller, die in das 16. Jahrhundert einzuordnen sind, waren bekannt. Die jüngsten Untersuchungen lassen nun eine Vielzahl von deutlich älteren Strukturen erkennen. Aus der Dokumentation und Auswertung der Kelleranlagen ergibt sich ein differenziertes Bild der in Wittenberg vorkommenden Konstruktionen und der verwendeten Materialien. Zum einen bilden die verschiedenen Konstruktionen den jeweiligen Stand der Bautechnik ab, zum anderen sind sie aber auch das Ergebniss eines ständigen funktionalen Entwicklungsdrucks: Denn das wirtschaftliche Wachstum und der Ausbau der Stadt erforderten vor allem seit Beginn des 16. Jahrhunderts eine optimierte Ausnutzung der Flächen innerhalb des Festungsrings. Auch wenn es sich bei einem »Keller« um ein auf den ersten Blick unbedeutendes Bauteil handelt, zeigt er doch unterschiedliche Erscheinungsbilder. Dies gilt sowohl für die Kelleranlagen innerhalb einer Stadt als auch für die Kellerlandschaft verschiedener Städte, wie zum Beispiel der Vergleich mit Mansfeld verdeutlicht. Quellen des Wittenberger Häuserbuchs: Schoßregister, Stadtkarten, archäologische Relikte Dr. Insa Christiane Hennen (Wittenberg) Seit 2oo9 werden die ältesten Stadtkarten, die Schoßregister der Ratskämmerei und weitere Schriftquellen mit dem Ziel ausgewertet, ein Häuserbuch für Wittenberg zu erstellen. Die Überlieferung ist geradezu überwältigend dicht: die Kämmereirechnungen haben sich von 141o bis ins 2o. Jahrhundert hinein zum größten Teil erhalten. Hinzu kommen Schoßbücher, Gerichts- und Handelsbücher, ein im 18. Jahrhundert aufgestelltes sogenanntes »Urbar« und viele andere Dokumente, darunter auch Stadtkarten, deren älteste um 1623 aufgenommen wurde. Aber auch viele Häuser aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, die häufig über älteren Kellern errichtet wurden, stehen noch und können als Zeugnisse früherer Lebensformen untersucht werden. Auf inzwischen »abgeräumten« Grundstücken hat die Archäologie neue Erkenntnisse zur früheren Bebauung und Nutzung der »Hausstellen« ans Licht gefördert. Die Erforschung der Residenz, der Stadt und der Universität im Projekt »Ernestinisches Wittenberg« führt dazu, dass immer mehr Personen in ihrem Wirken greifbar werden, so dass inzwischen recht differenzierte Aussagen zu den Hausbesitzern, ihren Tätigkeiten und ihrem sozialen Status gemacht werden können. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Quellen, erläutert die Methode der Auswertung und stellt repräsentative Ergebnisse vor, die ins Wittenberger Häuserbuch einfließen sollen. 8 Schlechte Münzen, böses Geld – Probleme der Geld- und Währungspolitik im Mitteldeutschland der Lutherzeit PD Dr. Philipp Robinson Rössner (Leipzig) [W]ir haben zu hofe nicht einen pfennig klein müntze = mugen haben so wenig als yhr zu Wittemberg habt. […] Es were aber gut, das die leute anfiengen selbs die Mercker zu meiden, wie die Schottenpfenning, Denn sie thun ia zu grossen Schaden diesem Fürstenthum, weil einer nicht v Heller wird ist, schreibt Martin Luther 154o in einem Brief an seine Frau Katharina. Was meinte er damit? Um dem Problem auf die Spur zu kommen, sei zunächst ein modernes kontrafaktisches – und doch angesichts der jüngeren Währungs- und Finanzkrisen im Euroraum allzu realitätsnah anmutendes – Fallbeispiel bemüht. Was, wenn in der Bundesrepublik umlaufende deutsche EuroMünzen zum Zielkurs von 1oo EUR Cents zirkulieren, griechische, portugiesische und spanische Eurocents aber zu einem Kurs von o,91 EUR? Man müsste also 11o griechische Euro-Cents für einen »deutschen« Euro hingeben? Das klingt absurd, und doch war dies (im übertragenen Sinne) monetäre Realität in Mitteldeutschland um 15oo n. C. In Luthers Welt war Geld nicht gleich Geld. Im Mitteldeutschland der Lutherzeit zirkulierten eine Unzahl von Pfennigen und Groschen diversen Alters und Ursprungs, geschlagen von den Wettinischen Kurfürsten und Herzögen, den Grafen von Mansfeld, Schwarzburg oder Stolberg, dem Erzbischof von Magdeburg, den Reichsstädten wie Goslar oder Mühlhausen. Darüber hinaus liefen eine Vielzahl weiterer »Fremdwährungen« aus allen anderen Teilen des Reiches und vereinzelt auch »ausländische« (d. h. nicht im Reich geschlagene) Münzen um. Sie alle wurden als Kleingeld vom gemeinen Mann genutzt, um den Bedarf an Gütern des täglichen Bedarfs zu befriedigen. Theoretisch standen alle diese Kleinund Mittelgelder in einem festen Verhältnis zu den Grobmünzen und sog. »Ankerwährungen« wie dem Rheinischen Goldgulden (Rh fl) oder dem seit 15oo in den sächsischen landen geschlagenen Silberäquivalent, dem Silbergulden oder gulden so ein groschen gilt (später verewigt im Joachimsthaler/Taler und dem heutigen US-Dollar). Dass dem aber in der Realität nicht so war, sondern es im Gegenteil im alltäglichen Wirtschaftsleben und Zahlungsverkehr zu wiederholten Verhandlungen über den Markt- oder Kurswert der einzelnen Groschen- und Pfenniggelder kam, belegen eine Vielzahl überlieferter Quellen. Die Ursachen und Konsequenzen dieses fragmentierten Währungsszenarios sollen schlaglichtartig am Fallbeispiel der Wettinischen Lande während des ersten Drittels des 16. Jahrhunderts geschildert werden. Dabei wird auf der Seite der Ursachen besonderes Augenmerk auf die kontinuierlichen Verhandlungen und währungspolitischen Konflikte zwischen den Grafen von Mansfeld und den Wettinern während der ersten drei Jahrzehnte gelegt und auf die globalwirtschaftlichen Ursachen der Problematik und ihre sozialen Konsequenzen geschaut. Warum war gutes (d.h. verlässliches) Kleingeld knapp in Mitteldeutschland um 15oo – und welche prägenden Auswirkungen hatte dies auf die Ansichten und Lehren Martin Luthers? Wie ging die Gesellschaft mit einem derart problematischen Währungsstandard um? Inwiefern waren die zahllosen sozialen Konflikte der Zeit in einem schlechten und fragmentierten Währungssystem verankert? Wie wichtig ist monetäre Stabilität für soziale Stabilität? Diese und andere Fragen sollen in dem Vortrag geklärt werden. 9 »Dergleichen nie geschehen ist von anfang der welt«. Luthers Reformation aus der Sicht seiner altgläubigen Zeitgenossen PD Martin Hille (Passau) Spätestens seit dem Bauernkrieg wurde Luthers Reformation als historischer Umbruch von geradezu onthologischen Dimensionen wahrgenommen. Auf diesen Nenner lässt sich zumindest die Sicht seiner altgläubigen Zeitgenossen vor dem Augsburger Religionsfrieden bringen, und dies nicht nur im mitteldeutschen Raum. Viele von ihnen stürzten in der Folge in eine Sinnkrise, während im lutherischen Umfeld noch Aufbruchstimmung vorherrschte. Daher wuchs das Bedürfnis nach Orientierung, nach historisch-theolgoischer Vertiefung des Zeitgeschehens sowie seiner providentiellen Sinnkontexte. Zahlreiche Erfahrungsberichte, Chroniken, Kalendereinträge, Polemiken und Lieder spiegeln das Bild einer sündhaften Welt, die von der »ketzerischen Sucht« der »Lutherey« infiziert ist. Damit einher geht eine kontinuierliche Verdüsterung der Gegenwartsperspektiven seit dem Bauernkrieg, die sich jedoch nur hier und da zur Apokalypse verdichtet. Der Vortrag zeichnet nicht nur die persönlich-biographische Einfärbung solcher Sichtweisen nach, sondern auch ihre Rückgebundenheit an den Erfahrungszusammenhang der Reformation, ein Erfahrungszusammenhang, der wiederum Zeitgenossenschaft begründete. Die Schlacht von Mühlberg 1547 und ihre mediale Rezeption Dr. Christian Hirte (Berlin) Der Schmalkaldische Krieg gilt nicht nur als der erste Konfessionskrieg im Deutschen Reich, sondern auch als der erste von breitem medialen Echo begleitete militärische Konflikt. Die entscheidende Schlacht bei Mühlberg 1547 geriet denn in der zeitgenössischen Wahrnehmung auch zu einem epochalen Ereignis von geradezu eschatologischer Symbolkraft. Ihren Niederschlag fand dieses Ereignis sowohl in populären Drucken, in Zeugnissen der adligen Memorialkultur, wie im Kunstgewerbe. Beispielhaft ist zu zeigen, wie Momente der Bildpropaganda einerseits über die »neuen Medien« auf den konfessionellen Konflikt und dessen breite Öffentlichkeit zielen, sich andererseits in repräsentativen Formen höfischer Milieus niederschlagen, hier jedoch eher für personalisierte Werte eines herrschaftlichen bzw. ritterlichen Handlungsethos stehen. Zugleich ist zu erleben, wie sich innerhalb kürzester Zeit kanonische Bildformeln ausbilden. 10 Zwischen Alltag, Kunst und Sünde: Tanz am wettinischen Hof um 1500 Thomas Lang / Mareike Greb (Wittenberg) Angefeindet von Gelehrten und Theologen, ausgeübt von Bauern und Kurfürsten, für die Kunstgeschichte zu alltäglich und vergänglich, für die Geschichtswissenschaft zu belanglos, für die Musikwissenschaft nur in der musikalischen Begleitung interessant – dennoch zu jeder bedeutenderen Festivität genauso gehörig, wie Festmahl und Gottesdienst: der Tanz. Wie sah nun ein Tanz in der Zeit um 15oo aus? Wie wurde er wahrgenommen im gesellschaftlichen Leben? Und welche Quellen können uns darüber berichten? Eine Auswahl von Quellenzitaten und der Anblick eines Tanzpaares, das die Rekonstruktionen leibhaftig darbietet, soll Einblick in die Tanzpraxis dieser Zeit geben; in Gebote und Verbote, vom Tanz mit den Engeln bis zum Tanz mit dem Teufel, von Adel und Studenten, von der Verklärung der Schönheit bis zur Ausstellung des Leibes. Gotik und Renaissance. Spätmittelalterliche Frömmigkeit und Reformation. Beobachtungen zum Motiv- und Stilwandel anhand von Wittenberger Ofenkacheln der Reformationszeit Prof. Dr. Hans-Georg Stephan (Halle / Saale) Die erste Sichtung der reichhaltigen archäologischen Funde, die vornehmlich nach der politischen Wende in der letzten 2o Jahren in Wittenberg geborgen wurden im Rahmen des Lutherprojektes des LDA und im Fächer übergreifenden Forschungsprojekt der Leucorea ermöglicht erstmals in Mitteldeutschland tiefere Einblicke in das trümmerhaft im Boden bewahrte Lebensumfeld der Bürger, der Universitätsangehörigen und der kurfürstlichen Residenz in der Reformationszeit. Damit werden verlorene Dinge des täglichen Lebens in ungeahnter Fülle wieder greifbar, womit allerdings auch eine enorme Herausforderung hinsichtlich der hoch komplexen und sehr aufwendigen Aufarbeitung an die Archäologie herangetragen wird. Unter den über 2 Millionen Funden gehören die Zehntausende von Fragmenten von Ofenkacheln kulturgeschichtlich zu den reizvollsten und aussagekräftigsten Objekten, wobei derzeit die reich ausgestalteten Blattkacheln der Zeit um 145o–155o im Fokus stehen. Kachelöfen gehörten damals zunehmend zu den repräsentativsten Ausstattungsstücken der Häuser, an denen sich geistige, künstlerische, politische und ökonomische Zusammenhänge und Zeittendenzen, Geschmack und Stil der Besitzer, aber auch deren Wohlstand und Vorlieben ablesen lassen. Es erhebt sich die Frage, wie lange Heiligendarstellungen und ritterlich-höfischer gotischer Stil die noch eher auf ein elitäres Umfeld beschränkten aufwendigen Kachelöfen Mitteldeutschlands geprägt haben. Im ernestinischen Wittenberg wurden Heiligenbilder im Jahre 1521 verboten. In der frühen Renaissance entwickelten sich grüne und bunt glasierte Kachelöfen mit Bildkacheln seit den 152oer/3oer Jahren zu einem populären, oft reich dekorierten repräsentativen Einrichtungsgegenstand der bürgerlichen Stube Mitteldeutschlands. Damit verbunden war ein Motivwandel, der Verbindungen zur Theologie der Reformatoren, zum Humanismus und zur sich konsolidierenden Macht der wettinischen Landesfürsten sowie deren Außenwirkung erkennen lässt. Es bleibt zu klären, in wie weit lutherische Reformation, Motiv- und Stilwandel von der Gotik zur Renaissance in Wittenberg und Mitteldeutschland zusammen fallen. 11 Auf breiter Basis. Fundanalysen aus Wittenberg Dr. Ralf Kluttig-Altmann (Halle / Saale) Die zahlreichen Ausgrabungen der letzten 2o Jahre im Altstadtgebiet von Lutherstadt Wittenberg haben eine fast unüberschaubare Zahl von archäologischen Funden ans Tageslicht befördert. Ein Großteil dieser Funde stammt aus dem 16. Jahrhundert, der Blütezeit der Stadt, und damit aus Martin Luthers direktem zeitlichen Kontext. Die bereits durch die Ausstellung »Fundsache Luther« (Halle/Saale 2oo8/2oo9) und begleitende Publikationen bekannt gemachten Objekte stellen davon einen zwar qualitativ hochwertigen und durch ihre Zuweisung zu Luthers unmittelbarem Lebenskontext bedeutenden, aus der Gesamtschau jedoch kleinen Teil der vorhandenen Fundmenge dar. Erst die Beschäftigung mit der Gesamtheit aller Funde dieser Zeit ermöglicht tiefergehende qantitative Analysen unter verschiedensten Gesichtspunkten und kann Aussagen zur materiellen Kultur nicht nur einzelner Parzellen, sondern des gesamten städtischen Kontextes treffen. Der Referent möchte die Methodik, mit der die immensen Fundmengen systematisch für wissenschaftliche Bearbeitungen aufbereitet werden, vorstellen, auf wichtige Vorarbeiten verweisen und einen Überblick über die lutherzeitliche Fundlandschaft Wittenbergs geben. Darüber hinausgehend sollen in mehreren kleinen Exkursen, z. T. ergänzt durch schriftliche Quellen, bestimmte Aspekte dieser Fundlandschaft angerissen werden: welche Rolle spielten Schlüssel im Wittenberger Schloss, was kann an einem Ofen außer Kacheln noch interessant sein, und welche Rolle spielte das heutige Bad Schmiedeberg für die materielle Versorgung der Lutherstadt. Luther und seine Folgen – Die Wittenberger Ofenkeramik und ihre Bezüge zu Süd- und Südwestdeutschland Harald Rosmanitz (Partenstein) Die Auswertung des archäologischen Fundguts im Rahmen der Forschungen zum Ernestinischen Wittenberg ermöglicht erstmals in Sachsen-Anhalt die Zusammenschau von reliefierten Ofenkacheln der Spätgotik und der Neuzeit für einen komplexen Siedlungsraum. Die hohe Qualität der oft mehrfarbig glasierten Stücke und die überraschende Vielfalt der Bildmotive zeigt, welchen Wert man in der wohlhabenden Lutherstadt auf eine optimale bildliche Ausstattung des Kachelofens legte, der in Zentrum des öffentlichen Alltagslebens des jeweiligen Haubesitzers stand. In vielen Fällen sind dabei Bezüge zu reformatorischen Inhalten zumindest indirekt beabsichtigt. Die Wittenberger Ofenkeramiken legen nahe, dass die Stadt an der Elbe kunsthandwerklich oder zumindest die Bildinhalte betreffend auf diesem Gebiet als eine Art Trendsetter fungiert haben dürfte. Ein Vergleich mit süd- und südwestdeutschen Kacheln relativiert diese Bild zumindest in Teilen. Die vergleichende Auswertung formgebender Produktionszentren auf der Grundlage archäologisch stratifizierbaren Fundgutes hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass wir uns von der Vorstellung von klar voneinander abgrenzbaren, von einem Töpferei- oder Handelszentrum ausgehenden Formen- und Motivkreisen weitgehend verabschieden müssen. Der Ideenund Güteraustausch in Zentraleuropa, der neben den Flusssystemen auf einem dichten Netz von bestens funktionierenden Handelsrouten basierte, ging annähernd reibungslos und vor allem sehr schnell vonstatten. Als besonders segenreich für die Bildsprache auf Kachelreliefs erwiesen sich dabei die weit verhandelten graphischen Vorlagen. 12 An ausgewählten Beispielen Wittenberger Kachelreliefs werden in dem Vortrag die komplexen Werdegänge rekonstruiert, die Ofenkacheln vom Bildentwurf bis zu ihrer Platzierung im Kachelofen durchlaufen mussten. Wie bei der heutigen Produktgestaltung war der Designer bzw. Bossier in seiner Bildsprache topaktuell. Gleichzeitig gestaltete er seine Reliefs so, dass sie eine große Zahl von Abnehmern fand. Zumindest in Ansätzen lässt sich dabei herausarbeiten, welche Rolle dabei der Lutherstadt zukam. Weiterführend dazu: Rosmanitz, Harald (2o11): Vom Fragment zum Kachelofen. Die Stecknadel im Heuhaufen. In: Georg Ulrich Großmann (Hg.): Heiß diskutiert - Kachelöfen. Geschichte, Technologie, Restaurierung; Beiträge der internationalen Tagung der Fachgruppe Kunsthandwerk im Verband der Restauratoren e.V. vom 1o. bis 12. Januar 2oo8 im Germanischen Nationalmuseum. Nürnberg: Verl. des Germanischen Nationalmuseums (Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum, 9), S. 13–31. http://www.furnologia.de/furnologia/Galerie/galerie_vorlagen/galerie_vorlagen_hs.htm http://www.furnologia.de/furnologia/Bibliothek/bibliothek_geometrie/bibliothek_geometrie_hs. htm Die Steinzeugfunde aus dem Garten des Lutherhauses in Wittenberg Nadine Holesch (Halle / Saale) Das Areal und die Gebäudesubstanz des Lutherhauses in Wittenberg stehen vor allem seit den letzten Jahren im Zentrum umfangreicher Forschungen von Seiten geistes-, kunst- und baudenkmalpflegerischer Disziplinen. Dazu gehört auch die Archäologie. Die bislang umfangreichste Ausgrabung konnte von Juli 2oo4 bis April 2oo5 vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt durchgeführt werden. Im Zentrum des Vorhabens stand die Freifläche südlich des Gebäudeensembles. Wie hinreichend bekannt konnten hier spektakuläre Befunde wie etwa die Relikte eines turmartigen Anbaues freigelegt werden, in welchem sich die Arbeitsräume Luthers befanden. Aber auch die geborgenen Funde sind höchst interessant, spiegeln sie doch schwerpunktmäßig eine Haushaltung der ersten Hälfte bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wieder, die sich unmittelbar mit der Familie des Reformators verknüpfen lässt. Aus der Vielzahl der zum Teil sehr qualitätvollen Funde treten Fayencen, polychrome reliefverzierte Gefäße und Blattkacheln, Gläser a la facon de venice aber auch Bunt- und Edelmetallgegenstände hervor. Zudem stellen die Steinzeugfunde einen höchst lohnenden Forschungsgegenstand dar. So können innerhalb des Ensembles auf der einen Seite Objekte ausgemacht werden, die eine klare Orientierung an spätmittelalterlichen Formen aufweisen, wie etwa Gesichtsgefäße, auf der anderen Seite kann das Spektrum der frühneuzeitlichen Massenproduktion anhand von Feldflaschen, Krügen und Kleingefäßen nachvollzogen werden. Innerhalb dieser Keramikgattung, deren Funde bis in das 18. Jahrhundert und teilweise bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts datieren, lassen sich die verschiedenen Steinzeugproduktionsorte im mittel- und ostdeutschen Raum nachweisen. Auch ihre gegenseitigen Kontakte und etwaige Beeinflussungen der Töpfereistandorte von außerhalb sind fassbar. 13 Frühneuzeitliche Glasfunde aus Mitteldeutschland Nicole Eichhorn (Halle / Saale) In mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Grabungen liegt Glas, im Verhältnis zu keramischen oder metallenen Funden, nur in geringem Umfang vor, was auf die Überlieferungsbedingungen einerseits und den Materialwert andererseits zurückzuführen ist. Da für Mitteldeutschland, insbesondere Sachsen-Anhalt, bisher kaum Publikationen zu gläsernen Grabungsfunden existieren, bot sich im Rahmen einer Magisterarbeit unter der Betreuung von Prof. Dr. Hans-Georg Stephan an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Möglichkeit, diesem Umstand beizukommen und die Hohl- und Flachgläser aus Haushalten des 16. und 17. Jahrhunderts im Hinblick auf ihre Typologie und Chronologie zu untersuchen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden Grabungen, welche reich an Glasobjekten waren, ausgewählt, wobei der Fokus auf Wittenberg liegt. Hier wurden vier Fundstellen bearbeitet, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind: Die Grabungen »Lutherhaus Garten« und »Erdgeschoss« in der Collegienstraße, Markt 4 (Cranachhof), Bürgermeisterstraße 5 und Schlossplatz 4 / 5. Ergänzend wurde jeweils eine Grabung in den Städten Naumburg und Annaburg mit zahlreichen Vergleichsfunden aus der genannten Zeitspanne herangezogen. Die über 2ooo Fragmente konnten zumeist Trink- und Schankgefäßen sowie Ringen, Butzenscheiben und Flachglas aus dem Zylinderblasverfahren zugeordnet werden, wobei sich das Formen- und Verzierungsspektrum von einfachsten Gebrauchsgegenständen bis hin zu hochwertigen Tafelgläsern beschreiben lässt. Nicht nur innerhalb der Volumina, auch hinsichtlich der Qualität der Ausführung zeigen sich zuweilen beachtliche Abstufungen. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden hier vorgestellt. Restaurierung im Projekt Luther-Archäologie Dipl.-Rest. Marcus Jung (Halle / Saale) Die Restaurierung im Projekt Luther-Archäologie weist aufgrund der Materialkomplexität eine Vielzahl von Problemstellungen auf, für die es eine Lösung zu finden gilt. Während es sich bei den Mansfelder Objekten überwiegend um Frischfunde der Ausgrabung »Goldener Ring« handelt, stammen die Wittenberger Funde aus den Depots des Landesmuseums. Keramische Erzeugnisse und Gläser sind meist zerscherbt und nicht mehr vollständig vorhanden, Metallobjekte aus Kupferlegierungen und Eisen sind fast bis zur Unkenntlichkeit korrodiert, wobei wichtige Details, die für eine weitere wissenschaftliche Aufarbeitung interessant sein könnten, verdeckt werden. Ein Teil der Funde ist zudem von einer chloridisch katalysierten Korrosion betroffen, was zu Rissbildung, Abplatzungen bis hin zum vollständigen Zerfall der Objekte führen kann. Hier ist eine Entsalzung unerlässlich. Aus diesem Grund beschäftigt sich ein Teilaspekt der Restaurierung mit der praktischen Umsetzung eines neuen Verfahrens zur Entchloridierung, welches am Landesmuseum in Halle entwickelt wurde. Ein weiteres Problem sind Altrestaurierungen. Die Objekte haben durch die Nutzung nicht dokumentierter Klebstoffe, Überzüge und Ergänzungsmassen nicht nur in ihrer Ästhetik gelitten, sondern auch materialtechnisch zusätzlich Schaden genommen. Für eine entsprechende »Entrestaurierung« sind teilweise langwierige Testreihen notwendig, um weitere Schädigungen zu vermeiden. 14 Die Wittenberger Letternfunde aus der Bürgermeisterstraße 5. Eine typographische und materialkundliche Betrachtung. Sophia Linda Stieme / Dr. des. Daniel Berger (Halle / Saale) Von Juli bis Oktober 1997 fand im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt die Ausgrabung eines ca. 2oo m² großen Geländes an der Bürgermeisterstraße 5 in Wittenberg statt. Besonders die dabei gefundenen Bleilettern (Typen) weckten das wissenschaftliche Interesse, da solche Zeugen des Buchdrucks zu den selteneren Bodenfunden gehören. Über 5oo Drucktypen wurden innerhalb einer Latrine entdeckt, die anhand der Beifunde in das 16. Jahrhundert datiert. Damit war zumindest die begründete Hoffnung gegeben, einen Zusammenhang der Lettern mit der von Wittenberg ausgehenden Reformation herstellen zu können. Neben der Datierung der Bleilettern anhand der Beifunde kann eine zeitliche Einordnung auch anhand typographischer Aspekte, etwa der Schriftart, besonders aber der Schriftausführung erfolgen. Unter den insgesamt 465 bestimmbaren Lettern fanden sich mit Antiqua, Fraktur und Schwabacher drei verschiedene Schriften. Bei erstgenannter gibt es neben den Lettern einer geradstehenden auch solche für eine kursive Form sowie eine Variante mit Kapitälchen. Dem Umfang im Letternkomplex nach zu urteilen dürfte die kursive Variante die Hauptschrift der Druckerei gewesen sein, deren typographische Merkmale sowie die an den anderen Schriften die Datierung der Bleilettern in das 16. bzw. frühe 17. Jh. stützen. Eine weitere Datierungsmöglichkeit des Fundkomplexes bietet die sog. Graphemik. Hierbei handelt es sich um einen Bereich der Altgermanistik, in der man das Schriftsystem untersucht. Eine Datierung der Lettern allein aus dem Blickwinkel der Graphemik vorzunehmen, wäre sehr vage, da nur einzelne Buchstaben und Satzzeichen vorliegen. Erst gemeinsam mit der archäologischen und typographischen Betrachtung ergibt sich eine relativ sichere zeitliche Einordnung der Lettern. So sind beim Übergang vom Frühneuhochdeutschen (135o–165o) zum Neuhochdeutschen (ab 165o) graphemische Entwicklungen zu beobachten, welche beispielsweise die Großschreibung oder die Interpunktion und Kürzelzeichen betreffen. Auch Satz- und Sonderzeichen wie die Virgel (/), das Komma (,), das Fragezeichen oder die et-Ligatur (&), von denen mehrere als Lettern im Komplex erhalten blieben, können zur Datierung herangezogen werden. Das Fragezeichen ist z. B. zwar von Beginn des Frühneuhochdeutschen an bekannt, findet jedoch erst seit dem 16. Jahrhundert häufigere Verwendung. Damit und mit weiteren Aspekten wird ebenfalls eine Zeitstellung der Lettern in das 16./17. Jh. nahegelegt. Ergänzend zur typografischen und graphemischen Betrachtung wurden die Lettern materialkundlich untersucht. Dazu konnten an 16 Typen Metallanalysen durchgeführt werden, die durchweg quartäre Legierungen aus Blei, Antimon, Zinn und Bismut erbrachten. Möglicherweise wurde dem Metall sogar noch Kupfer zugesetzt. Besonders hervorzuheben ist die Anwesenheit von Bismut, das zum ersten Mal an Lettern nachgewiesen werden konnte. Zuvor war seine Verwendung nicht durch Realien (z. B. Lettern aus Mainz) belegt, sondern nur aus zeitgenössischen Schriften wie Agricolas De natura fossilium bekannt. Vermutlich besteht hier ein Zusammenhang mit den nahegelegenen Bismutgruben im Erzgebirge und es scheint möglich, dass die Erfindung des Letternmetalls mit Bismut von Wittenberg ausgeht. Die Legierungszusammensetzungen sind unterdessen recht uneinheitlich, dennoch lässt sich die Verwendung bevorzugter Mischungsverhältnisse nachvollziehen, die sich z. T. auch an anderen, unweit auf dem Arsenalplatz in Wittenberg gefunden Bleilettern wiederfinden lassen. Höchstwahrscheinlich lässt sich in den Legierungen eine Herstellung der Typen durch unterschiedliche Schriftgießer fassen, wobei offen bleiben muss, ob dies in einer oder in mehreren Gießereien erfolgte. Da die Typen stark schwankende Signaturhöhen aufweisen, könnte durchaus ein Hinweis auf unterschiedliche Schriftgießereien gegeben sein, zumal die Signaturen ansonsten deutlich 15 einheitlicher wären. Möglicherweise äußert sich hierin aber auch ein chronologisches Kriterium, wonach die Lettern unterschiedlicher Zeitstellung sein könnten. Zum jetzigen Zeitpunkt bleiben die Aussagen jedoch noch beschränkt, da die Untersuchungen (auch an anderen Lettern) andauern. »… und laufen die Säu’ und Hunde darüber« – Die Wittenberger Stadtbefestigung in der Lutherzeit Andreas Stahl (Halle / Saale) Der Einstieg in die Thematik der Wittenberger Befestigung erfolgte aus offenen Fragestellungen zum reformationsgeschichtlich relevanten Turmerlebnis Martin Luthers, denn zur Klärung der Baugeschichte des Augustinerkosters wurde der Festungsbau in Wittenberg viel zu wenig beachtet. Luther war von fortifikatorischen Baumaßnahmen an der Elbseite direkt betroffen, denn der Wallausbau engte das Lutherhaus ein und verwehrte ihm den exklusiven Ausblick aus seinem »Turm«. Zu Luthers ambivalentem Verhältnis zur Befestigung Wittenbergs gibt es eindrucksvolle Belege, es offenbarte sich auch sein eklatantes Unverständnis für frühneuzeitliche Festungsmanieren. Damit stand er nicht allein. Obwohl die Quellenlage mehr als ausreichend ist, beruht der Forschungsstand zur Stadtbefestigung im Wesentlichen noch immer auf der Arbeit von Heinrich Heubner aus dem Jahr 1936, der hatte allerdings, wie das Denkmalinventar von 1979, den Übergang von der mittelalterlichen Befestigung zur neuzeitlichen Festung nicht schlüssig dargestellt. Es offenbarten sich grundlegende Unsicherheiten in der Unterscheidung der spätmittelalterlichen von neuzeitlichen Fortifikationsmanieren. Die Errichtung eines Basteiensystems als Enceinte (Stadtumwallung) des Reformationszeitalters und der Übergang zum Bastionärsystem erst am Anfang des Dreißigjährigen Krieges wurden nicht ausreichend begriffen. Auch muss die konkrete Einflussnahme Albrecht Dürers auf den Festungsbau in Wittenberg relativiert werden. Festungskunde bzw. Festungsbaukunst ist eine sehr spezielle und auch unter Fachleuten umstrittene Wissenschaft. Unsicherheiten bei Anwendung des fortifikatorischen Thesaurus führen immer wieder zu Fehldeutungen. Der für Wittenberg signifikante erdgeböschte Basteienwall adaptierte das vorangegangene Zwinger- und Rondellsystem und dominierte als Manier im 16. Jh.. Er ist kaum als progressiv zu werten; innovativ waren aber Details, wie die frühe Verstärkung des Zwingers mit gemauerter Kontereskarpe, die Umwandlung der Stadtmauertürme zu Kaponnieren des Kehlgrabens des Hauptwalles sowie das primäre Detail der Wittenberger Festung: die an der Wallböschung angelegte Eskarpenmauer zur Bestreichung des Hauptgrabens, die durchaus als frühe Form eines Niederwalls, dem sog. Faussebraye altniederländischer Manier gilt. Vollkommen übersehen wird die Tatsache, dass Wittenbergs Topographie den Flusslandschaften der Niederlande mit deren spezifischen fortifikatorischen Anforderungen und baulichen Möglichkeiten mehr entspricht als Italien oder der Balkan! Anhand historischer Zusammenhänge, bildlicher Überlieferungen und quellenmäßiger Indizien drängt sich die These auf, dass zeitgenössisch moderne Befestigungssysteme weniger über Italien und Süddeutschland, sondern vor allem über die Niederlande und Norddeutschland nach Mitteldeutschland und damit Wittenberg gelangten. Denn entgegen des bisherigen Forschungsstandes ist in Wittenberg keine altitalienische Manier nachweisbar! 16 Zur Sachkultur im Prämonstratenser-Stift Jerichow vor der Auflösung des Konvents im 16. Jahrhundert. Dr. Götz Alper (Halle / Saale) Bei Baumaßnahmen im Klausurbereich des ehemaligen Prämonstratenser-Stifts Jerichow wurde im Jahr 2o11 eine Kloakenanlage angeschnitten. Die im 12./13. Jahrhundert in Ziegelbauweise errichtete Kloake schloss sich südlich an den Ostflügel der Klausur, in dessen Obergeschoß sich das Dormitorium der Kanoniker befand, an. Anfang des Jahres 2o12 wurde ein Teilbereich der Kloakenverfüllung mit ehrenamtlichen Beauftragten der Bodendenkmalpflege näher untersucht. Es zeigte sich, dass die Anlage in einem Zug mit Bauschutt und Hausrat zugeschüttet worden war. Wahrscheinlich erfolgte die Verfüllung im Rahmen der Auflösung des Konvents und der Umwandlung des Stifts in eine Domäne um das Jahr 1552. Das Fundmaterial aus der Kloake gibt einen guten Einblick in die Sachkultur im nördlichen Mitteldeutschland an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Gefäßkeramik aus glasierter und unglasierter Irdenware sowie aus Steinzeug macht den größten Teil des Inventars aus. Daneben sind Ofenkacheln sowie diverse Baukeramik stark vertreten. Eine Besonderheit stellen Bruchstücke eines sehr sorgfältig gearbeiteten Ziegelobjekts mit religiöser Inschrift dar. Flach- und Hohlglas kommt in größerem Umfang vor. Unter den Metallfunden befinden sich zahlreiche Münzen, Buchbeschläge und Bekleidungsbestandteile. Die Tierknochenfunde zeigen ein großes Artenspektrum. In dem Vortrag wird ein erster Überblick über den Fundkomplex, dessen Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist, gegeben. Von der Reform zur Spaltung: Das Fürstentum Anhalt zwischen Reformation und reformierter Bekenntnisbildung Jan Brademann M.A. (Bielefeld) Die Erforschung der Reformation zählt, vor allem in theologischer und politischer Hinsicht, zu den besser bestellten Feldern der mitteldeutschen Landesgeschichtsschreibung. Gleichzeitig bilden die politischen und sozialen Veränderungen, die sich seit Luthers Thesenanschlag von der Mittelelbe aus über Europa erstreckten, eine die historischen Wissenschaften heuristisch wie auch strukturell prägende Zäsur. Durch sie wurde die mittelalterliche Religion in Dogma und Praxis in Frage gestellt und im Ergebnis die Christenheit geteilt. Langfristig traten daher Religion und Politik, geistig-konzeptionell und schließlich institutionell, auseinander. Das Referat möchte diese Gesamtsicht an einem mitteldeutschen Beispiel differenzieren. Es fragt, ob nicht unter spezifischen Bedingungen in der Ursprungsregion der Reformation der eigentliche gesellschaftsgeschichtliche Bruch in einer anderen historischen Situation zu suchen ist. Als Fallbeispiel dient das Fürstentum Anhalt, dessen Landesherren ihre Lande früh und reflektiert der Reformation öffneten. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass dieser Prozess kaum auf Widerstand stieß und das Territorium, das durch die Entwicklung eines landesherrlichen Kirchenregiments eine neue Festigkeit erhielt, ihn letztlich geschlossen durchlief. Dabei ist hinzuzufügen, dass die Änderungen der religiösen Praxis sehr maßvoll vorgenommen wurden und starke Kontinuitäten zum Mittelalter, etwa in der Messe, festzustellen sind. 17 Als sich Ende des 16. Jahrhunderts der Protestantismus im Reich ausdifferenzierte, traten die Fürsten von Anhalt in das reformierte Lager über. Es kam zu fundamentalen Einschnitten in die Symbole und die Liturgien. Der Unterschied zu den 152oer und 153oer Jahren besteht nun darin, dass ein Großteil des Adels und der Untertanen dieses neuerliche, wesentlich tiefer einschneidende Veränderungsdesiderat nicht mit trug. In Anhalt bestanden seither faktisch zwei Konfessionen nebeneinander. Auf die Reform des Kirchenwesens folgte also um 16oo seine Spaltung. Schaut man auf das eigentlich Trennende, das Abendmahl, so wird der Kontinuitätscharakter der Reformation noch einmal deutlicher: Es war die aus dem Mittelalter konservierte und nun bestrittene Vorstellung, in diesem Ritus das materialisierte, objektivierte Heil empfangen zu können, die den Widerstand gegen die Veränderungen wesentlich begründete. Der eigentliche religionsgeschichtliche Bruch in Anhalt, der für viele andere reformierte Territorien zutreffen dürfte und darüber hinaus im lutherischen Mitteldeutschland eine erhebliche Außenwirkung hatte, läge dann nicht in den 152oer, sondern in den Jahren um 16oo. Im Ausblick bedeutete dies, dass die Fürsten von Anhalt, aber auch die Einwohner der Kleinstädte und Ämter, vergleichsweise früh unterschiedliche religiöse Identitäten in direktem Kontakt zu akzeptieren und nach Wegen einer interkonfessionellen Verständigung zu suchen hatten. Ob dieses Faktum eine frühere Tendenz zu Toleranz und Säkularisierung zur Folge hatte, ist eine spannende Frage, die allerdings späteren Forschungen zu überlassen ist. 18