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DIE WELT
2. Nov ember 2009
Wenn die Träume mit dem T-55 verschrottet werden
Von Matthias Heine
"Für alle reicht es nicht" von Dirk Laucke
Der Panzer ist doch das deutscheste aller Fahrzeug e. Das wissen nicht nur italienische und britische Sportjournalisten,
die unsere Fußballer oft mit Tanks verg leichen. Sondern auch die Dichter. Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres muss
ein Panzer jetzt in einem Stück Literatur als Metapher für ostdeutsche Seelenzustände herhalten. 2008 war Uwe
Tellkamps Romantitel "Der Turm" auch eine Anspielung auf den Panzerturm, in dem der jung e Protag onist des B uches
g eschliffen wurde. Tellkamp hatte bei der NVA selbst in so einem Gerät g edient. Seine Nostalg ie hielt sich in Grenzen.
Anders ist es j etzt bei Heiner, ein er Figur aus Dirk Lauckes Stück "Für alle reicht es nicht", das in Dresden zur Eröffnung
des Festivals "After the Fall" uraufg eführt wurde. Der fünfzig jährige Ossi - als berührender und brutaler Kindskopf
g espielt von Torsten Ranft - hat seine schönsten Mannesjahre in einem NVA-Panzer verbracht, und mit dem T-55 sind
auch leider alle seine Träume vor 20 Jahren verschrottet worden. Nun will er mit einer Art Abenteuerspielplatz, auf dem
man mit einem ausrangierten Panzer herumgurken kann, noch einmal Anschluss an den Fluss des Lebens und des Geldes
finden. Dabei stören ihn Anna und Jo (Cathleen B aumann, Thomas Eisen), ein Ost-West-Schmugglerpärchen, das einen
herrenlosen Lastwag en voller asiatischer illegaler Einwanderer g efunden hat und diese Menschen nun zu Geld machen
möchte. Als schließlich auch noch Heiners Tochter Manuela zurückkehrt, die vor lang er Zeit von ihrer Mutter Martina in
den Westen mitg enommen wurde, eskaliert die Situation. Manuela hat ein Kind, das den schönen Unterschichtnamen
Chayenne träg t. In der ein bisschen kunstg ewerblichen Inszenierung von Sandra Strunz werden alle drei
Fraueng enerationen von Melanie Lüninghöner g espielt.
Der 27 Jahre alte Laucke ist ein viel g efrag tes Talent, seitdem er mit seinem Stück "alter ford escort dunkelblau" bewiesen
hat, dass er wie kaum ein zweiter Fig uren aus dem Niemandsland des Nachwende-Losertums ein sympathisches Gesicht
g eben kann. Das hat ihm wohl auch die Aufgabe beschert, das Eröffnungsstück fürs Festival "After the Fall" zu schreiben,
mit dem das Goethe-Institut den 20. Jahrestag des Mauerfalls zelebriert - "feiert" wäre wohl kaum das richtig e Wort,
ang esichts des eher skeptischen B licks, den Laucke auf den Gang der Geschichte wirft.
Oft sind sein e Antihelden Männer, den en nicht nur die Jobs, sondern auch die Familien abhanden g ekommen sind:
Heiner erinnert an den Schorse aus "alter ford escort dunkelblau", der auch verg eblich versuche, die Liebe seines Kin des
zu g ewinnen. Was für Heiner sein Panzer ist, war für Schorse AC/DC: ein Kult, der ihrem Leben einen rettenden
Scheinsinn gibt. Auf dem Hig hway to Hell fahren sie trotzdem beide.
Auf dieser g efährlichen Straße ist auch der Autor Laucke kürzlich g efahren. In Halle hatte er "Ultras", ein Stück über
rechte Fußballfans, geschrieben und mit echten Ultras inszeniert. Und weil diese auf der B ühne "Juden Jena!" riefen,
bekam er höllischen Ärg er. Nicht nur mit Anstandsdamen der politischen Korrektheit, sondern auch mit den Ultras
selbst, die hinterher jammerten, die schmale Laucke habe sie - vierschrötig e Muskelschränke allesamt - verlockt, den
anstößig en, eig entlich längst aus der Mode g ekommen Slog an zu schreien.
Vielleicht war es eine subtile Rache, die Hallenser Ultras jetzt ausg erechnet als Frau zu porträtieren: Anna ist ein wenig
wie sie. Denn obwohl sie dauernd g eg en Ausländer lästert und zuletzt sing t "Wer Deutschland nicht liebt, soll
Deutschland verlassen", beteuert sie, sel bstv erständlich kein Nazi zu sein. Sie ist nicht die einzig e, der der im Festivaltitel
zitierte "Fall" aufs Hirn g eschlagen hat.
Das Festival "After the Fall" mit Produktionen aus acht Ländern läuft noch bis 8. November in Dresden und Mülheim an
der Ruhr.