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Unbekannte Schöne Aus der Geschichte des Rittergutes Osthoff Inge Becher · Klaus Schafmeister Stadt Georgsmarienhütte Stadt Georgsmarienhütte Oeseder Straße 85 49124 Georgsmarienhütte Impressum Beiträge zur Geschichte Georgsmarienhüttes und seiner Stadtteile Band 6 Herausgeber: Stadt Georgsmarienhütte Text: Inge Becher und Klaus Schafmeister, Stadt Georgsmarienhütte Fotos: Inge Becher 2008-2011, team!datentechnik GmbH & Co. KG (Seite 2; 14), Hof Kasselmann (Seite 14), Fotoarchiv der Stadt Georgsmarienhütte Hintergrund: Gemarkungskarte Harderberg, Blatt 2, 1872, Bauamt der Stadt Georgsmarienhütte Titelbild: Rittergut Osthoff ca. 1950, Fotoarchiv Stadt Georgsmarienhütte Layout: Rothe Grafik, Georgsmarienhütte Druck: Druckpunkt, Georgsmarienhütte Broschüre anlässlich des Tags der offenen Begehung im August 2011 auf dem Gelände des Rittergutes Osthoff. © Eigenverlag der Stadt Georgsmarienhütte 2011 Alle Rechte vorbehalten. 2 Lebhaftes Interesse Wohl jede Bürgerin und jeder Bürger Ge- denkmalgeschützten Rittergut, gelegen orgsmarienhüttes kennt das Rittergut Ost- nördlich der „Osterheide“ und östlich des hoff – zumindest dem Namen nach. Was Ortsteiles Malbergen. es genau auf sich hat mit dem Herrenhaus, seinen Stallgebäuden und zahlreichen Heuerstellen, die sich inmitten einzigartiger Natur lange Zeit vor der Öffentlichkeit hinter Wald, Hecken und Zäunen verbargen, das wissen nur Wenige. Erst als das mittlerweile vom Verfall bedrohte Gut im Jahre 2008 in den Besitz der Stadt gelangte, wurde es aus der Anonymität herausgerissen und zum Gegenstand öffentlichen Interesses; seither nimmt die Bevölkerung lebhaften Anteil am weiteren Geschehen rund um die „unbekannte Schöne“, jenem Bildnachweis Seite 2 Mitte: Rittergut Osthoff, Torhaus im Jahr 2011; Seite 2 und 3: Rittergut Osthoff, Haupthaus im Jahr 2011. 3 Wechselvolles Dasein tergutes, das in seiner mehr als 500 Jahre währenden Geschichte so manchen Aufstieg und Niedergang erlebt hat, eine geradlinige Erfolgsgeschichte wurde auf Osthoff nie geschrieben. Aber gerade mutige und überlegte Investitionen, verbunden mit dem Aufbrechen tradierter Strukturen waren es, die das Gut durch die Zeiten gerettet und ihm immer wieder zu einem – oft unverhofften – Aufschwung verholfen haben. So steht zu hoffen, dass auch der „Neustart 2011“ für das Rittergut den Beginn neuer und besserer Zeiten markiert. Nach etlichen vergeblichen Anläufen hat das Rittergut jetzt neue Besitzer gefunden. Diese unternehmen erste Anstrengungen, um die in den letzten 30 Jahren heruntergekommenen Gebäude zu sanieren und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen. Ebenso gibt es eine wohlüberlegte Konzeption zur Weiterbewirtschaftung der landwirtschaftlichen Gutsflächen und zu Ausbau und Weiterführung der früheren Pferdezucht. Doch dies ist längst nicht der erste „Neuanfang“ im wechselvollen Dasein des Rit- 4 Vom Bauernhof zum Rittergut In diesem Zusammenhang muss allen Mit- ser Bereich „Harderburg“ stellt heute übritelalter-Romantikern eines gesagt werden: gens das einzige ausgewiesene NaturTrotz der prestigeträchtigen Bezeichnung schutzgebiet Georgsmarienhüttes dar. „Rittergut“ hat es dort nie holde Burgfräulein und edle Ritter in Kettenhemd und Harnisch gegeben. Das heutige Rittergut war im Mittelalter nicht mehr als eine Hofstelle, Osthoff genannt. Sie gehörte zum Kirchspiel St. Johann in Osnabrück und gelangte 1485 in den Besitz der begüterten Osnabrücker Familie von Sparenberg. Gerhard von Sparenberg wandelte den Hof in ein Gut um und errichtete unmittelbar an der Grenze zu Malbergen eine kleine Wasserburg, von der bis auf einige Grabenanlagen jedoch nichts mehr erhalten ist. Die- Bildnachweis Seite 4: Rittergut Osthoff, Haupthaus im Jahr 2008; Seite 5: Zeichnung aus Rudolf vom Bruch, Rittersitze, S. 97 Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags H. Th. Wenner. 5 Landesherr war knapp bei Kasse der Osnabrücker Fürstbischof als Landesherr war zu dieser Zeit chronisch knapp bei Kasse. Das Geld, das er von den Ständen forderte, mussten diese von ihren eigenbehörigen Bauern eintreiben – wobei die damalige Ritterschaft nicht schlecht lebte aus den steuerfreien Erträgen ihrer Güter und den Abgaben der Bauern. So gehörten die Ritter – wieder – zu den prosperierenden Ständen des 16. Jahrhunderts. Ganz ohne Zweifel erlebte auch das Gut Osthoff in diesen Jahren eine Blütezeit. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde dem früheren Hof der Status „Rittergut“ zuerkannt. Damit war zugleich ein Sitz im hiesigen fürstbischöflichen Landtag, die sogenannte „Landtagsfähigkeit“, verbunden. Der durch Einheirat zum Gutsherrn aufgestiegene Hermann von Mengersen nahm 1564 als erster Besitzer für das Rittergut Osthoff Sitz und Stimme wahr. Auf dem Osnabrücker Landtag verhandelten Domkapitel, Städtekurie und Ritterschaft hauptsächlich über Finanzen, denn 6 Heruntergewirtschaftet teilskäufern des Gutes. Eine Zeitlang war es in Besitz des 1595 gegründeten Osnabrücker Ratsgymnasiums, welches mehrfach versuchte, das Gut gewinnbringend zu veräußern. Doch der erste Käufer Martin Moser bezahlte nicht, ebenso wenig wie sein Rechtsnachfolger Anton Meuschen, sodass der Kauf zweimal rückgängig gemacht wurde. Doch die Blüte war nur von kurzer Dauer. Das Gut wurde 1566 verkauft an Dr. jur. Hermann Heuschen, Kanzler des Osnabrücker Fürstbischofs Heinrich von Sachsen. Auf dem Landtag hatte Dr. Heuschen als Bürgerlicher allerdings kein Stimmrecht. Als er 1586 verstarb, hinterließ er seiner Witwe einen Berg Schulden, zudem wollte niemand für das heruntergewirtschaftete Anwesen die geforderten 3.000 Taler Kaufsumme ausgeben, und so verhängten die Gläubiger 1596 den Konkurs über das Gut. In der folgenden Zeit unklarer Besitzverhältnisse verkam „Osthoff“ noch mehr. 1629 musste sogar die Landesregierung einschreiten, weil große Teile des Waldbestandes verwüstet waren und das Gut durch den Verkauf von Grundstücken immer kleiner wurde. Es folgten weitere Jahre Streitereien und Rechtshändel mit Gläubigern, der Familie Heuschen und An- Bildnachweis Seite 6: Rittergut Osthoff, ca. 1950, Fotoarchiv Stadt Georgsmarienhütte; Rondell 2008; Rondell 2011; Seite 7: Stallgebäude 2008. 7 Erneute Landtagsfähigkeit schaft aufgenommen und konnten wieder den Sitz im Landtag beanspruchen; seit Hermann von Mengersen hatte kein Gutsbesitzer die Landtagsfähigkeit wegen bürgerlicher Herkunft ausüben dürfen. Diese „Ritterschaft“ war jedoch nicht mit jener hochmittelalterlichen, schwert- und rüstungtragenden Kriegerkaste vergleichbar, sondern bestand aus alt-adligen Familien, die zwar Herkunft, Grundbesitz und Geldbeutel vorweisen konnten, von der öffentlichen Reputation aber eher ein bischöflicher Beamtenstand waren. 1641 gelang endlich der Besitzerwechsel, doch erst nach Ende des 30-jährigen Krieges konnte die Erwerberin Helene von Dincklage zu Hohenlimburg auf dem Rittergut Quartier nehmen. Sie ließ sich vom Fürstbischof die Landtagsfähigkeit bestätigen, und ihre Söhne wurden – nachdem sie 16 adelige Vorfahren und einen Guts-Reinertrag von jährlich 800 Talern nachgewiesen hatten – in die Ritter- 8 Häufige Besitzerwechsel Ruinenteile, Säulengänge oder Ziertürme in eine „romantische“ Gartengestaltung einzubinden; aus dieser Zeit stammt auch der östlich des Haupthauses gelegene „Mäuseturm“ am Rande des heutigen pittoresk verwunschenen Weihers. Auch in den Folgezeiten wechselte das Rittergut durch Einheirat und Verkauf häufig den Eigentümer, ehe es wieder florierte. 1815 gehörten sechs Bauern (Eigenbehörige) dazu, die das Gutsland bewirtschafteten und Abgaben zu leisten hatten. „Den Reichtum der Güter bildeten die Eigenbehörigen“, schrieb Rittergutexperte Rudolf von Bruch 1930 und wies damit völlig zu Recht auf die Bedeutung der kleinen Bauern auf den Gütern hin. In den 1840er Jahren brannte ein Teil des Herrenhauses ab. 1878 kaufte Justus Wedekind, der mit einer Osnabrückerin verheiratet war, das Gut. Er investierte kräftig und sorgte u.a. für eine bedeutende Aufforstung der Gutsflächen. In dieser Zeit war es Mode, historisierende Artefakte, wie Bildnachweis Seite 8: Innenaufnahmen, Rittergut Osthoff 2008; Seite 9: Stallgebäude 2008. 9 Die Ära Stahmer-Jaffée Doch auch Justus Wedekind trennte sich bald wieder von der Liegenschaft. Im Jahr 1913 erwarb Kommerzienrat und Fabrikant Ernst Stahmer aus Georgsmarienhütte/ Oesede das Gut für 340.000 Mark. Es sollte ein großer landwirtschaftlicher Betrieb werden. Stahmer kaufte Ländereien hinzu und ließ zahlreiche Ställe für Nutzvieh und Arbeitspferde bauen. 1930 umfasste das Gut rund 103 Hektar. 10 Während des I. Weltkrieges richteten Ehefrau Karoline und Tochter Ortrud auf dem Gut ein Lazarett für verletzte Soldaten ein. Das Ehepaar Stahmer selbst lebte in einer Villa am Fuße des Dörenbergs. Ortrud heiratete 1921 Robert Jaffée und zog mit ihm auf das Gut. Sie baute die Landwirtschaft aus und ließ 1929 das Haupthaus um das obere Stockwerk, den Balkonvorbau, die Freitreppe und den Wintergarten erweitern. Britische Kontakte Nach dem Tod Ernst Stahmers übernahm Immer wieder wurden Pferdeschauen und Robert Jaffée die Geschäfte der von Grün- Militärparaden auf dem Gelände des Ritterdervater Carl Stahmer 1862 errichteten Ei- gutes Osthoff abgehalten. sengießerei und späteren Maschinenfabrik Stahmer. Ortrud installierte 1932 auf dem Gut ein Gestüt zur Zucht edler Pferde. Robert Jaffées Wurzeln gründeten im Königreich Großbritannien, deshalb waren seine Kontakte zur Insel immer hervorragend. Robert Jaffée, der als sog. Halbjude von den Nazis inhaftiert wurde, holte nach dem Krieg aus Sorge vor Übergriffen marodierender Banden die britische regionale Militärkommandantur auf das Gut. Auch nach Abzug der Militärs in den 1950er Jahren unterhielt die Familie, die mit Tochter Felicitas ansonsten sehr zurückgezogen lebte, gute Kontakte zu den in Osnabrück stationierten Streitkräften. Bildnachweis Seite 10, v.l.n.r.: Ernst Stahmer, nach einem Gemälde im Besitz des Museums Villa Stahmer; Robert Jaffée; Ortrud Stahmer-Jaffée, Felicitas Stahmer, Gordia May, geb. Stahmer, Fotoarchiv der Stadt Georgsmarienhütte; Seite 11: Militärparade 1987, Fotoarchiv der Stadt Georgsmarienhütte. 11 Erneuter Abstieg 1996 ging die Maschinenfabrik Stahmer in Konkurs. Die letzte Stahmer-Nachfahrin Gordia Carola May, geb. Stahmer, haftete mit ihrem persönlichen Vermögen, sodass im Sog des Konkurses alle bewegliche und unbewegliche Habe zu Geld gemacht werden musste. Indirekt war auch das Rittergut betroffen, ein Verkauf allerdings genau wie vor 370 Jahren äußerst schwierig zu bewerkstelligen. Es folgten – wieder einmal – mehrfache Besitzerwechsel mit unklaren Eigentumsverhältnissen, dazu Misswirtschaft, ungeklärte Bausubstanz vernichtende Brandereignisse und schließlich ein erneuter Konkurs mit nachfolgender Insolvenzverwaltung. 12 Stadt initiiert Investorenwettbewerb 2008 übernahm die Stadt Georgsmarien- Feuchtigkeitsschäden davongetragen, und hütte bzw. die von ihr beauftragte Nieder- manche Dachkonstruktion drohte in naher sächsische Landgesellschaft (NLG) das Rit- Zukunft einzustürzen. tergut und ließ eine Investorenausschreibung durchführen. Verschiedene Interessenten meldeten sich, die unter anderem Hotels, Ferienparks, Seniorenresidenzen oder ein Gemenge der vorgenannten Nutzungen auf dem Areal des Rittergutes planten. Ebenfalls gab es Überlegungen, dort eine Spedition anzusiedeln, die aber in Naturschutz-Fachgutachten als äußerst zweifelhaft bewertet wurden und letztendlich politisch auch nicht durchsetzbar waren. Ein weiteres großes Problem war der sich immer weiter verschlechternde Zustand der Baulichkeiten, besonders Haupt- und Wirtschaftsgebäude hatten durch jahrelang schadhafte Dächer erhebliche Pilz- und Bildnachweis Seite 12, oben: Treppenhaus mit Kassettendecke, ca. 1950; u. l.: Kassettendecke 2008 und u. r. 2011; Seite 13: Eingang zum Haupthaus 2008. 13 Tragfähiges Konzept im zweiten Anlauf Nachdem die erste Investorenlösung gescheitert war, gelang es nach erneuten Ausschreibungen, Verhandlungen, Rückgaben und Verzögerungen Anfang 2011 endlich, wirklich engagierte Interessenten zu finden, die ein für alle Seiten tragfähiges Finanzierungs- und Nutzungsprogamm vorweisen konnten. So ging gemäß Mehrheitsbeschluss des Georgsmarienhütter Stadtrates vom März 2011 das Gut zu großen Teilen in den Besitz eines international bekannten Pferdezüchters und Turnierausrichters aus Hagen a. T. W. über. Die baulichen Anla- 14 gen – Haupthaus und diverse Wirtschaftsgebäude – übernahm ein namhafter Osnabrücker Architekt, der die Baulichkeiten denkmalgerecht restaurieren und nach Abschluss der Bauarbeiten dort sein Büro installieren wird. Weitere landwirtschaftliche Flächen des Gutes wurden durch einen benachbarten Landwirt erworben, ein Georgsmarienhütter IT-Unternehmen bezog die beiden südlichen Torhäuser als Firmensitz. Einzelne noch übriggebliebene Einzelbauten und kleinere Flächenanteile sollen ebenfalls kurzfristig veräußert werden. Tragfähiges Konzept im zweiten Anlauf Mag mancher auch die Aufsplitterung des ehemals stolzen Besitzes bedauern: Diese Lösung kann das solide Fundament sein, auf dem das Gut eine reelle Chance hat, mit neuer Nutzung und unter neuen Eigentümern gefestigt in die Zukunft schauen zu können. Literatur: Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück, Verlag H.TH. Wenner, Osnabrück 1930. http://wenner.net/?load=werke/vombruch.htm Ders. Das Rittergut Osthoff, aus: Osnabrücker Mitteilungen Bd. 38. 1913, S. 254-266. Die Stahmerschen Unternehmungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag, eine Chronik zusammengestellt von Otto Suerbaum, Rittergut Osthoff 1974. Bildnachweis v.l.n.r.: Ulrich Kasselmann; Christian Kolde; Reemt Lükenga; Seite 15: links: Halbrelief am Rittergut Osthoff 2008; rechts: Pferd in den Stallungen 2008. 15 Stadt Georgsmarienhütte Oeseder Straße 85 49124 Georgsmarienhütte