Die vermeintliche Kreditklemme ist vor allem eine

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Die vermeintliche Kreditklemme ist vor allem eine
Bertram Theilacker, Firmenkundenvorstand der Nassauischen Sparkasse
(Naspa), Wiesbaden
Die vermeintliche Kreditklemme ist
vor allem eine Investitionsklemme
So etwas nennt man wohl selektive Wahrnehmung: Führende Vertreter von
Wirtschaftsverbänden und Politiker warnen nachdrücklich vor einer
Kreditklemme und fordern die Banken und Sparkassen mal mehr, mal weniger
charmant auf, ihrer Verantwortung für eine ausreichende Versorgung der
Wirtschaft mit Liquidität gerecht zu werden. Doch der tatsächliche Befund
ergibt ein anderes, zumindest sehr differenziertes Bild. Von einer generellen
Kreditklemme kann keine Rede sein. Zumindest die Kunden von Sparkassen
und Genossenschaftsbanken erhalten bei vertretbaren Bonitäten in der Regel
das benötigte Fremdkapital.
Inhalt
1. Widersprüchliche Aussagen und undifferenzierte Analysen
Ungenaue Definition des Begriffs „Kreditklemme“
2. Die Situation im deutschen Mittelstand
Höhere Risiken in einem schwierigen Umfeld
Mittelstand ging gut gerüstet in die Krise
3. Fazit
1. Widersprüchliche Aussagen und undifferenzierte Analysen
Die nüchternen Zahlen unabhängiger Institutionen lassen keine Hinweise auf eine
tatsächlich existierende Kreditklemme im Bereich der mittelständischen Wirtschaft
erkennen. Im vergangenen Jahr wurden in der Bundesrepublik nach Angaben der
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Deutschen Bundesbank Kredite in einem Gesamtvolumen von über 1,33 Billionen
Euro an Unternehmen vergeben. Zum Vergleich: 2007 hatte diese Summe bei 1,26
Billionen Euro gelegen. Sogar im vierten Quartal 2008, also bereits nach dem
Zusammenbruch von Lehman Brothers und im Zeichen der absehbaren globalen
Wirtschaftskrise machte das Wachstum des Kreditneugeschäfts an Unternehmen
und Selbstständige nach Angaben der KfW-Bankengruppe knapp fünf Prozent aus.
Das war zwar deutlich weniger als in den drei ersten Quartalen, trotzdem lag dieses
Plus über dem langjährigen Durchschnitt. „Wo ist die Kreditklemme?“, fragten die
KfW-Ökonomen in ihrem Anfang März veröffentlichten Kreditmarktausblick.
Eine weitere Frage drängt sich auf: Woraus resultieren diese Widersprüche? So
warnte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet Ende Februar erstmals seit Ausbruch der
Finanzkrise vor einer Kreditklemme in der Euro-Zone. Bundesbank-Vizepräsident
Franz-Christoph Zeitler hingegen erklärte zur gleichen Zeit, das Volumen neu
vergebener Unternehmenskredite liege noch immer vier Prozent über dem
Vorjahreswert. Erleben wir wieder einmal eine gefühlte Kreditklemme - wie beinahe
in jeder Rezession?
Eine Umfrage unter den Firmenkunden der Nassauischen Sparkasse (Naspa) führte
zu Beginn des Jahres zu bemerkenswerten Resultaten. Über achtzig Prozent der
Befragten erklärten, die Kreditverhandlungen verliefen weiterhin reibungslos. Die
Übrigen verwiesen zwar auf neue Auflagen; diese hielten sich aber in Grenzen und
seien erfüllbar. Jedoch gab jeder zweite Befragte an, dass er zwar die allgemeine
Liquiditätsklemme im Mittelstand spüre - allerdings nicht im eigenen Unternehmen,
sondern eher bei anderen. Das heißt: Objektiv wird die vermeintliche Kreditklemme
von der großen Mehrheit der mittelständischen Unternehmen nicht oder kaum
wahrgenommen, subjektiv aber glaubt man Liquiditätsengpässe andernorts
auszumachen. Hier zeigt sich erneut der treibende Einfluss der Psychologie auf die
Wirtschaft. Wenn allenthalben und entsprechend medial verstärkt über eine
angebliche Kreditklemme geklagt wird glauben am Ende viele an dieses Phänomen,
selbst wenn die eigenen Erfahrungen dagegensprechen.
Wie sind diese widersprüchlichen Einschätzungen und Wahrnehmungen zu erklären
- sieht man von dem erwähnten psychologischen Aspekt einmal ab? Die Antwort ist
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einfach: Die Argumente werden selektiv ausgewählt, es mangelt an einer
differenzierten Analyse, die sowohl nach Branchen und Betriebsgrößen als auch
nach Märkten unterscheidet und überdies Faktoren wie Kreditnachfrage und
Bonitäten thematisiert.
1.1 Ungenaue Definition des Begriffs „Kreditklemme“
Die höchst unterschiedlichen Einschätzungen sind zum Teil sicher der Tatsache
geschuldet, dass keine allgemeingültige Definition des Begriffs „Kreditklemme“
existiert. Und deshalb kann ihn jeder nach Gutdünken auslegen. Auf diese Weise
wird aus einem Mangel an Kreditwürdigkeit oft ein Mangel an Kredit. Ebenso gibt es
keinen Indikator, der eine verlässliche Einschätzung der Liquiditätsströme zuließe.
Generell spricht man von einer Kreditklemme, wenn die Geldinstitute die
Kreditvergabe stark drosseln oder sogar einstellen. Doch ist diese Definition zu
ungenau. Wenn zum Beispiel die Kreditvergabe an Unternehmen in einer stark
krisengeschüttelten Branche reduziert wird kann von einer allgemeinen Kreditklemme
nicht die Rede sein. Gleiches trifft zu wenn Unternehmen einer bestimmten Größe
abnehmende Liquiditätsströme verzeichnen, wie es derzeit der Fall ist. Die typischen
KMUs, also die Klientel der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, spüren
mehrheitlich keine Kreditklemme. Für größere Betriebe ab einem Jahresumsatz von
500 Millionen Euro, die sich vorrangig über die Finanzmärkte mit Liquidität versorgen,
stellt sich die Situation in manchen Fällen schon schwieriger dar. Angesichts
schwacher Börsen und der vermutlich nachhaltigen Diskreditierung von alternativen
Finanzierungsinstrumenten wie der Forderungsverbriefung (ABS-Strukturen) kann es
in diesem Segment durchaus zu Engpässen kommen. Allerdings handelt es sich
dabei nicht um die typischen Kunden von Sparkassen und Genossenschaftsbanken.
Insofern gilt es den Begriff „Kreditklemme“ genauer zu bestimmen. Eine
Kreditklemme entsteht demnach erst dann, wenn die Geldinstitute ihre Kreditvergabe
an Unternehmen generell und flächendeckend stark drosseln oder einstellen. Derlei
wäre in der Tat fatal, allerdings sind wir von einer solchen Situation (noch) weit
entfernt. Jedenfalls belegen aktuelle Umfragen der KfW, dass die deutschen
Unternehmen derzeit nicht mit einer generellen und flächendeckenden Kreditklemme
zu kämpfen haben.
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2. Die Situation im deutschen Mittelstand
Wie eingangs schon erwähnt wuchs das Kreditneugeschäft an deutsche
Unternehmen und Selbstständige im vierten Quartal 2008 noch um knapp fünf
Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gemessen an den 10,75 Prozent des dritten
Quartals ist dies ohne Frage ein markanter Rückgang (Quelle: KfW-Bankengruppe).
Dafür gibt es einen nachvollziehbaren Grund: Tatsächlich sank die Kreditnachfrage.
Angesichts der erwarteten weltweiten Wirtschaftskrise mit starken Absatz- und
Ertragseinbrüchen fahren viele mittelständische Unternehmen ihre Investitionspläne
zurück. Es handelt sich somit eher um eine Investitionsklemme als um eine
Kreditklemme.
Ein weiterer allzu oft vernachlässigter Aspekt kommt hinzu: Es gibt kein Grundrecht
auf Kredit. Das Wort „Kredit“ ist bekanntlich abgeleitet vom lateinischen „credere“,
das für Glauben und Vertrauen steht. Wo dieses Vertrauen nicht vorhanden ist wird
demzufolge kein Kredit fließen. Mit solchen klaren Worten macht man sich zwar nicht
überall Freunde. Doch kann eine Bank nur Geld verleihen, das ihr von den Sparern
und Eigentümern anvertraut wurde. Wohin eine allzu großzügige Kreditvergabe führt
haben wir in den vergangenen Monaten vor allem in den USA gesehen (Stichworte:
Immobilienblase, Kreditkartenblase).
2.1 Höhere Risiken in einem schwierigen Umfeld
Einem solventen und vertrauenswürdigen Firmenkunden wird keine Bank oder
Sparkasse einen Kredit verweigern - schließlich handelt es sich dabei um eines der
Kerngeschäfte von Geldinstituten. Allerdings kann es sein, dass in Zeiten der Krise
höhere Anforderungen in puncto Sicherheiten gestellt werden und die Konditionen
aus Sicht des Kunden etwas ungünstiger sind als vor ihrem Ausbruch. Doch selbst
dies deutet nicht auf eine Kreditklemme hin. Vielmehr wirken sich in diesem Fall die
gesunden Marktmechanismen aus. Niemand kann ernsthaft bestreiten dass die
Vergabe eines Kredits im gegenwärtigen konjunkturellen Umfeld mit höheren Risiken
für die Geldinstitute verbunden ist als vor zwei oder drei Jahren. Die Korrelation von
Risiko und Preis (also Zinshöhe) gehört aber sozusagen zum kleinen ökonomischen
Einmaleins.
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Auch die Argumentation, der staatliche Rettungsschirm für die deutschen Banken
verpflichte die Institute geradezu großzügiger Kredite zu vergeben, mutet in
zweifacher Hinsicht fragwürdig an. Die Gelder, die im Rahmen dieses Programms an
Banken fließen, stammen immerhin letztlich aus Steuermitteln. Und der Steuerzahler
hat mindestens dasselbe Recht wie ein Sparer, dass die Banken sorgfältig mit diesen
finanziellen Rettungsinfusionen umgehen. Es wäre in der Tat kontraproduktiv,
würden die Kreditinstitute nun wider die betriebswirtschaftliche Vernunft selbst bei
zweifelhafter Bonität großzügig Geld verteilen. Dies würde die Krise nicht
entschärfen, sondern - im Gegenteil - eine neue heraufbeschwören. Und zweitens
erscheint dieses Argument fragwürdig, weil der Rückgang im Kreditneugeschäft wie
schon erwähnt auf eine reduzierte Nachfrage und nicht vorrangig auf ein
gedrosseltes Angebot zurückzuführen ist. Salopp formuliert: Wenn ein Unternehmer
aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen nicht investieren möchte und daher
keinen Kredit benötigt, kann ihn die Bank dazu nicht zwingen.
Die traditionell sehr eng mit ihren regionalen Märkten verwurzelten Sparkassen
haben einen besonderen Förderauftrag für ihr jeweiliges Geschäftsgebiet. Sie
kennen überdies die speziellen Marktverhältnisse und sind mit ihren Kunden oft
jahre- oder sogar jahrzehntelang verbunden. Das erleichtert naturgemäß die
Einschätzung der geschäftlichen Entwicklung eines Unternehmens und damit der
Bonität. Aber selbstverständlich sind diesen Instituten Grenzen gesetzt. Anders
ausgedrückt: Wenn es an der Kreditwürdigkeit klemmt ist dies keine
Erscheinungsform der Kreditklemme. In solchen Fällen entspricht es dem
verantwortungsvollen und risikobewussten Bankgeschäft gegebenenfalls einen
Kredit zu verweigern.
2.2 Mittelstand ging gut gerüstet in die Krise
Dass bei den meisten Unternehmen mit denen die Sparkassen zusammenarbeiten
weder eine Kreditklemme noch eine Kreditwürdigkeitsklemme festzustellen sind, hat
einen erfreulichen Grund: Bei den Kunden dieser Institute handelt es sich
bekanntermaßen um kleinere und mittlere Unternehmen, die in den vergangenen
Jahren die gute Konjunkturlage gezielt nutzten um ihre Eigenkapitalbasis zu stärken.
Das zahlt sich heute im wahrsten Sinne des Wortes aus. Jüngste Untersuchungen
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zeigen, dass die Eigenkapitalquote, die im Jahr 2002 bei durchschnittlich 17,4
Prozent lag, bis 2007 auf 26 Prozent gestiegen ist. Dies ergab eine Studie der
Universität Münster. In der Konsequenz bedeutet dies, dass viele Mittelständler
besser gerüstet in die aktuelle Wirtschaftskrise gegangen sind als im Jahr 2001, als
das Platzen der Internetblase und die Anschläge vom 11. September zu einem
deutlichen globalen Konjunktureinbruch führten. Diese gestiegene Bonität macht es
den Sparkassen als klassische Mittelstandsfinanzierer leichter den betreffenden
Unternehmen Kredite zu gewähren. Dies spricht ebenfalls gegen eine Kreditklemme.
Im europäischen Ausland stellt sich die Situation vielfach anders dar. In Spanien,
Großbritannien und Italien haben viele mittelständische Unternehmen andere
Betriebe zugekauft und damit ihren Verschuldungsgrad nicht reduziert, sondern
weiter erhöht. Die Mittelständler in diesen Ländern haben im Durchschnitt daher
ernstere Probleme mit ihrer Kreditwürdigkeit als deutsche Unternehmen in
vergleichbaren Betriebsgrößen. Wenn also EZB-Präsident Jean-Claude Trichet vor
einigen Wochen vor „ersten Anzeichen für abnehmende Kreditströme“ in den
Ländern der europäischen Währungsunion warnte, trifft diese Aussage partiell zu.
Die spezifische Situation in Deutschland indessen kann er damit nicht gemeint
haben. Einmal mehr zeigt sich, dass es auch in einem gemeinsamen Binnenmarkt
mit einheitlicher Währung unterschiedliche Unternehmens-Mentalitäten und
Managementstrategien gibt.
Nichts deutet derzeit darauf hin, dass es in Deutschland in den nächsten Monaten zu
einer flächendeckenden und branchenübergreifenden Kreditklemme für den
Mittelstand kommen könnte. Im Gegenteil: Die KfW-Bankengruppe sagt für das
zweite Quartal 2009 sogar wieder ein leicht steigendes Kreditneugeschäft voraus.
Jenseits von Bonitätseinschätzungen und Bilanzkennzahlen wirkt sich in der
augenblicklichen Wirtschaftslage für Kreditinstitute und deren Kunden gleichermaßen
eine proaktive Kommunikation günstig aus. Bildhaft ausgedrückt: Wo stetig relevante
Informationen fließen wird in der Regel selbst in schwierigen Zeiten kein
Liquiditätsstau entstehen, sofern die Risiken für das Kreditinstitut vertretbar sind.
Hierbei haben die Sparkassen aufgrund ihrer Kundennähe und meist langjährigen
Geschäftsbeziehungen mit dem Mittelstand eindeutige Vorteile.
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3. Fazit
Sowohl das statistische Datenmaterial als auch die Erfahrungen der Sparkassen aus
dem täglichen Kundenkontakt lassen erkennen, dass es eine flächendeckende
Kreditklemme für mittelständische Unternehmen derzeit nicht gibt. Bei größeren und
stark exportorientierten Betrieben sowie in einigen europäischen Nachbarländern
hingegen stellt sich die Situation anders dar. Die Ursache für das rückläufige
Kreditgeschäft in den vergangenen Wochen war die nachlassende Nachfrage. Viele
mittelständische Unternehmen haben ihre Investitionspläne zunächst auf Eis gelegt.
Erst wenn wieder Vertrauen in die Zukunft der Konjunktur wächst, dürfte das
Kreditgeschäft expandieren. Dieses Ziel erreichen die Geldinstitute aber nicht mit
Aktionismus und der großzügigen Vergabe von Krediten selbst bei zweifelhaften
Bonitäten: Die Folgen der Krise lassen sich nicht mit deren Auslösern bekämpfen.
Dennoch: Wachsamkeit bleibt angesagt. Bedingt durch die Wirtschaftslage werden
sich die Bonitätseinstufungen vieler vieler Unternehmen verschlechtern. Wir werden
dann an einen Punkt kommen, wo die Perspektive der Wirtschaft wieder aufwärts
gerichtet ist, die Unternehmen aber aus den zurückliegende Monaten systembedingt - schlechte Ratings vorweisen. Genau dann sind unternehmerische
Entscheidungen der Kreditgeber gefragt, die die Ergebnisse rückwärtsgewandter
Systeme zwar reflektieren, die dann aber dennoch nicht zu einer Kreditklemme
führen.
Erschienen in der Aprilausgabe 2009 des S-Firmenkunden Spezial.

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