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THE OLIVER WYMAN RETAIL JOURNAL AUSGABE 4 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, die Geschichte des Einzelhandels ist vom Aufstieg und Fall verschiedener Anbieter, Konzepte, Formate und Kanäle geprägt. Seit Jahren befindet sich die Branche wieder in einer Phase des tief greifenden Wandels. Entsprechend steht im Mittelpunkt des neuen Retail Journals der Blick in die Zukunft: Wie können die kommenden Jahre erfolgreich gestaltet werden angesichts der weltweiten Expansion diskontierender Formate, des ungebremsten Siegeszugs direkter Vertriebskanäle und einer entsprechend neuen Dynamik rund um das Verstehen, Adressieren und Binden jedes einzelnen Kunden? Im europäischen Lebensmitteleinzelhandel sind harte Marktanteilskämpfe, Marktaustritte und neue Allianzen die Vorboten einer weiteren Konsolidierungswelle. An deren Ende werden nur einige europäische Giganten sowie stark differenzierte, regional verwurzelte Anbieter übrig bleiben und mit nochmals deutlich weiterentwickelten Kompetenzen und Fähigkeiten um die stagnierende Nachfrage kämpfen. Die Weichen hierfür werden heute gestellt. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren werden strategische Weitsicht, Ertrags- und Kapitalstärke sowie fähigkeitenbasierte Wettbewerbsvorteile sein. Mehr noch als der Discount forcieren die Direktkanäle den Umbruch im Handel – und zwar in allen Warenbereichen. Die Etablierten kämpfen dabei mit zwei zentralen Herausforderungen. Zum einen stellt sich die Frage, welche Geschäftsmodelle überhaupt nachhaltig wirtschaftlich betrieben werden können. Zum anderen zeigt sich in der Umsetzung, dass Marktneulinge bei der digitalen Nutzererfahrung, der Direktansprache und dem Fulfillment als zentralen Treibern der Kundenzufriedenheit stets die Nase vorn haben. Marktverwerfungen, Onlineplattformen und technologischer Wandel rücken den Kunden noch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer den direkten Zugang zum einzelnen Kunden verliert, droht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und bestenfalls zu einer Supply Chain degradiert zu werden, die über Marktplätze agiert. Während dabei die klassischen, transaktionsbasierten Kundenbindungsaktivitäten rasant an Wirkungsgrad verlieren, ergeben sich zugleich viele neue Möglichkeiten. Ich würde mich freuen, wenn das vorliegende Retail Journal die Diskussion in Ihrem Unternehmen bereichert und neue Denkanstöße liefert. Sirko Siemssen Sirko Siemssen European Retail Practice Co-Leader [email protected] +49 89 939 49 574 Inhalt Ausgabe 4 STRATEGIEN 6 SHOWDOWN IM EUROPÄISCHEN LEBENSMITTELEINZELHANDEL 16 Bis 2025 dürfte sich die Zahl der großen Lebensmittelhändler in Europa halbieren 26 DIE EVOLUTION DES SUPERMARKTS Das Lebenszyklusmodell im Handel DIE ZUKUNFT DER KUNDENBINDUNG Aufbau einer neuen Generation von Loyalitätsprogrammen 30 HERAUSFORDERUNGEN IN RUSSLAND UND CHINA Russland: LEH am Scheideweg China: Die große Verlangsamung OPERATIONS 34 ABLAUFOPTIMIERUNG AM POINT OF SALE 46 Überwindung von Abteilungsgrenzen und Reduzierung von Komplexität DIE NEUE IT IM EINZELHANDEL Wie sich die IT von heute auf die Welt in drei Jahren einstellen muss ONLINE 58 STATIONÄRER EINZELHANDEL Wie die Geschäfte im Onlinezeitalter gedeihen können 74 THE WINNER TAKES IT ALL Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel 66 WIE MAN KUNDEN GEWINNT Lehren aus dem deutschen Onlinehandel SHOWDOWN IM EUROPÄISCHEN LEBENSMITTELEINZELHANDEL BIS 2025 DÜRFTE SICH DIE ZAHL DER GROSSEN LEBENSMITTELHÄNDLER IN EUROPA HALBIEREN 6 STRATEGIEN Bewährte Wachstumsmodelle basierend auf einem Ausbau des Filialnetzes, einer Konsolidierung auf nationaler Ebene und fortschreitender Diversifizierung liefern nicht mehr das flächenbereinigte Wachstum, um eine gute Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten. Zudem sind die europäischen Märkte weitgehend gesättigt und der Wettbewerbsdruck durch Discount, aber auch Onlinekanäle steigt. Nach Überzeugung von Oliver Wyman steht der europäische Lebensmittelhandel daher vor grundlegenden Veränderungen inklusive einer länderübergreifenden Konsolidierungswelle, die bis 2025 zu einer Halbierung der Zahl der großen Anbieter führen wird. Die Mega-Treiber des Wandels im europäischen Lebensmittelhandel bleiben auch in den kommenden zehn Jahren unverändert: eine stagnierende Nachfrage, das Schwächeln traditioneller Wachstumsmotoren sowie die überaus aggressive europaweite Expansion spezialisierter Wettbewerber wie Discounter (vgl. Abbildung 1). Mit dem wachsenden Wettbewerbsdruck wird die Zahl der Schlagzeilen steigen, die sich mit Preiskriegen, Kursrückgängen und Wettrennen um Einkaufsallianzen sowie mitunter dem Ausscheiden von Unternehmen aus dem Markt beschäftigen. Um die eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten, sollten sich Lebensmittelhändler daher mit den folgenden vier Fragen beschäftigen: 1 Wie lässt sich ein Quantensprung bei den Kosten erreichen? 2 Wie lässt sich die Produktivität jeder Arbeitsstunde und jedes Quadratmeters erhöhen? 3 4 Kostenführerschaft wird zur Pflichtübung. Nur hochproduktive Geschäftsmodelle werden überleben. Wie lässt sich das internationale Wachstum vorantreiben? Größe zählt – und länderübergreifendes Wachstum gehört zu den wenigen Möglichkeiten, um Skaleneffekte zu realisieren. Wie lässt sich die Kundenbindung noch besser festigen und vertiefen? Angesichts neuer Wettbewerber ist es entscheidend, Kunden enger zu binden. 7 Abbildung 1: Das Wachstum von Aldi und Lidl in Europa von 2004 bis 2014 VERÄNDERUNG DER ANZAHL DER FILIALEN* Deutschland +1117 Polen +641 Frankreich +594 Vereinigtes Königreich +585 Spanien +324 Niederlande +298 Rumänien +288 Schweiz +276 Italien +266 Ungarn +248 Österreich +205 Tschechien +199 Irland +188 Bulgarien +139 Belgien +138 Slowakei +130 Griechenland +125 Slowenien +122 Schweden +118 Portugal +115 Kroatien +105 Dänemark +96 Finnland +84 Zypern +16 Luxemburg +10 Malta +7 Norwegen -18 * Aldi Nord plus Aldi Süd plus Lidl Quellen: Planet Retail und Oliver Wyman-Analyse 8 STRATEGIEN 1. W IE LÄSST SICH EIN QUANTENSPRUNG BEI DEN KOSTEN ERREICHEN? Graduelle Verbesserungen der Kostenstruktur dürften in den kommenden Jahren kaum ausreichen. Erfolgreichen Unternehmen wird ein Quantensprung gelingen. Das Nachsehen haben diejenigen, die abwarten und lediglich reagieren. Die Mehrzahl der Einzelhändler kennt die Bedeutung der Kosten nur zu gut und eine schrittweise Reduzierung ist Jahr für Jahr ein Kernelement der meisten Strategien. Doch in vielen Fällen gehen diese Anstrengungen wohl nicht weit genug. Für eine dauerhaft wettbewerbsfähige Kostenposition bedarf es Quantensprünge vor allem in zwei Bereichen: bei Skalenvorteilen im Einkauf sowie im schlanken, intelligenten Betrieb von Supply Chain und Verkaufsstellen. Um die notwendige Größe zur Durchsetzung besserer Konditionen bei Lieferanten zu erreichen, wird es mehr und stärkere Einkaufsallianzen geben. Nach Meinung von Oliver Wyman sollte jedes Handelsunternehmen seine Optionen hinsichtlich des Beitritts oder der Gründung von Einkaufsallianzen sorgfältig prüfen (vgl. Abbildung 2). Fällt diese Option aus, müssen die Unternehmen selbst umso dringender sicherstellen, dass ihr Einkauf den Vergleich mit den Besten weltweit nicht zu scheuen braucht. Beispielsweise gilt es dann, durch intelligente Nutzung von Daten in Lieferantengesprächen einen echten Vorsprung zu erzielen. Mehr Informationen dazu bietet der Point of View „Mehr Verhandlungserfolg dank besserer Argumente“, den wir Ihnen auf Wunsch gerne zuschicken. Abbildung 2: Einkaufsallianzen europäischer Lebensmittelhändler EMD • • • • • • Axfood Groupe Casino Markant - dm - Globus - Kaiser’s Tengelmann - Kaufland - Müller - Rossmann Norges Gruppen SuperGros u. a. ALIDIS • • • EDEKA ITM Entreprises Grupo Eroski COOPERNIC • • • Coop Italia Delhaize Group E.Leclerc* In Frankreich • • • Carrefour + Dia + CORA Groupe Auchan + Systeme U ITM Entreprises + Groupe Casino Strategische Partnerschaft seit Juni 2015 • • REWE Group E.Leclerc AMS • • • • • • • • • • Ahold Booker Dansk Supermarked Esselunga Hagar ICA Jeronimo Martins Kesko Migros Morrisons CORE • • • • Colruyt Conad Coop Switzerland REWE Group* Seit 2014 • • Groupe Auchan Metro Group * E.Leclerc und REWE Group gaben im Juni 2015 ihre strategische Partnerschaft bekannt. Vermerk: Status Juni 2015 9 Um die Konkurrenz wirklich abzuhängen, bedarf es darüber hinaus neuer Ansätze zur Reduzierung der Kosten in anderen Unternehmensbereichen. So könnten traditionelle Anbieter manche Sortimentsbereiche deutlich straffen und die Kosten und Komplexität in der Lieferkette fundamental reduzieren. Denkbar ist ähnlich wie bei Onlinehändlern auch der Einsatz automatisierter Algorithmen für einen größeren Anteil der alltäglichen Category- und Dispositionsentscheidungen. Diese Ansätze werfen ohne Zweifel schwierige Fragen auf und stellen den Status quo auf den Prüfstand. Doch Abbildung 3 verdeutlicht, dass die daraus resultierenden Vorteile bei der Profitabilität ein Unternehmen in einem Maß gegen Veränderungen und Mengenverluste schützen können, wie es dem Wettbewerb vermutlich nicht gelingt. 2. W IE LÄSST SICH DIE PRODUKTIVITÄT JEDER ARBEITSSTUNDE UND JEDES QUADRATMETERS ERHÖHEN? Da die Margen sinken und die Zukunft unsicher erscheint, kommen schlecht laufende Filialen unweigerlich auf den Prüfstand. In vielen Fällen verhindern indes langlaufende Mietverträge kurzfristige Schließungen. Dessen ungeachtet gibt es innovative Möglichkeiten, die Profitabilität dieser Standorte zu verbessern. Sie lassen sich beispielsweise als Sammel- und Abholstellen nutzen, die auch anderen, nicht-konkurrierenden Händlern offenstehen. So können Kunden in Großbritannien bereits seit Jahren ihre Bestellung von John Lewis-Haushaltswaren bei einem lokalen Waitrose-Supermarkt in Empfang nehmen. Neuerdings ist es auch möglich, eBayEinkäufe in einer von Hunderten Argos-Filialen abzuholen. Diese Formen der Zusammenarbeit erlauben es dem einen Partner, mit niedrigen Kosten vor Ort präsent zu sein, und dem anderen, überflüssige Fläche zu nutzen. Genau diesen Ansatz verfolgt auch die britische Supermarktkette Sainsbury’s mit der Eröffnung von Argos-Outlets in ihren Läden. Und die Idee ist nicht auf Beziehungen zwischen Einzelhändlern beschränkt: Procter & Gamble erlaubt Amazon in den USA, Bestellungen über P&G-Lager abzuwickeln, um die Transportkosten zu reduzieren und die Auslieferung zu beschleunigen. Abbildung 3: Wie ein Vorsprung bei der Profitabilität den Einfluss von Absatzrückgängen zum Beispiel aufgrund eines vordringenden Onlinegeschäfts mindern kann Einzelhändler A Operative Marge zu Beginn: 8% Anteil der profitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler Einzelhändler B Operative Marge zu Beginn: 5% 0 20 40 60 FILIALNETZ IN PROZENT Quelle: Oliver Wyman-Analyse 10 80 100 Anteil der unprofitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler STRATEGIEN Eine höhere Auslastung der vorhandenen Vermögenswerte kann eine sehr wirkungsvolle Methode sein, das eigene Geschäftsmodell zu stärken. Die bestehende Kostenbasis besser zu nutzen, kann dabei ebenso wichtig sein, wie diese von vornherein zu reduzieren. 3. W IE LÄSST SICH DAS INTERNATIONALE WACHSTUM VORANTREIBEN? Größe bleibt ein entscheidender Treiber für die Finanzkraft jedes Handelsunternehmens. In vielen europäischen Märkten stößt jedoch die nationale Konsolidierung an ihre Grenzen. Einige Regulierungsbehörden sträuben sich dagegen, weitere Übernahmen oder Zusammenschlüsse der verbleibenden großen Handelsunternehmen zuzulassen. Die Alternative liegt in einer Strategie, die über lange Zeit im Lebensmittelhandel verpönt war: internationale Konsolidierung. Mit zunehmender Sättigung kommt es in den meisten Branchen zu einer Konsolidierung (vgl. Abbildung 4). Große Unternehmen expandieren und übernehmen dabei häufig Wettbewerber – zunächst auf nationaler Ebene, doch danach auch über Landesgrenzen hinweg. In diesem Prozess geraten schwächere sowie langsame Anbieter ins Visier und werden geschluckt. Oliver Wyman geht davon aus, dass diese Entwicklung auch im europäischen Lebensmitteleinzelhandel unausweichlich ist – wie in vielen anderen, einst klar nationalen Industrien wie Telekommunikation, Luftfahrt oder Textileinzelhandel. Abbildung 4: Die Konsolidierung wird im Lebensmittelhandel ähnlich wie in anderen Branchen verlaufen MARKTANTEIL DER DREI GRÖSSTEN ANBIETER IN EINER BRANCHE IN PROZENT 100 Rüstung Tabak Softdrinks 50 Retail-Banking Telekommunikation Fluglinien Automobile Chemie Fast-Food-Restaurants 0 1. Stufe Aufbau und Innovation LEBENSMITTELHANDEL 2015 2. Stufe Wachstum und Konsolidierung 3. Stufe Fokussiertes Wachstum 4. Stufe Finale: Mega-Allianzen und Abwehr von neuen Wettbewerbern LEBENSMITTELHANDEL 2025 Eine kleine Zahl großer Unternehmen beherrscht Branchen wie Tabak, Softdrinks, Verteidigung und Automobilherstellung. Nach Erwartungen von Oliver Wyman beginnt sich in den kommenden zehn Jahren auch der Lebensmittelhandel entlang dieser Konsolidierungskurve zu bewegen. In anderen Handelszweigen gibt es bereits Beispiele. Dazu zählen Möbel (IKEA), Textil (Inditex und H&M) sowie Luxusgüter. Mit Blick auf dieses Modell hängt der langfristige Erfolg eines Unternehmens davon ab, wie schnell und wie erfolgreich es sich entlang der Konsolidierungskurve bewegt. Wer zu langsam ist, verschwindet vom Markt oder wird Ziel von Übernahmen. Sich dem Wettbewerb nicht zu stellen oder diesen zu ignorieren, verbessert die Chancen zu überleben auch nicht. Quellen: Harvard Business Review und Oliver Wyman-Analyse 11 In einer Welt maßgeschneiderter Eins-zu-eins-Interaktionen kann eine Internationalisierung auch den Blick für neue, sehr gezielte Innovationen für einzelne Kundengruppen öffnen. Solche Innovationen basieren häufig auf dem Einsatz moderner Technologien: Eine gut gemachte App für die gesunde Ernährung dürfte unabhängig von Landesgrenzen auf Interesse stoßen. Schließlich verbindet einen Kunden mit Glutenunverträglichkeit in einem Land mehr mit einem Kunden in einem anderen Land, der ebenfalls unter Zöliakie leidet, als mit einem ganz normalen Konsumenten. Die Bedeutung nationaler Grenzen schwindet, wenn Kunden auf solche Dienstleistungen zugreifen können. 4. W IE LÄSST SICH DIE KUNDENBINDUNG NOCH BESSER FESTIGEN UND VERTIEFEN? Der direkte Draht zum Kunden ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg der großen europäischen Supermarktketten. Es bedarf jedoch erheblicher Anstrengungen der traditionellen Anbieter, um die einst für selbstverständlich erachtete Kundenbeziehung zu erhalten. Denn neue Geschäftsmodelle verändern den Markt von Grund auf, indem sie die traditionelle Funktion des Handels in neuer Form erfüllen (AmazonFresh, Google Shopping) oder die persönliche Schnittstelle zum Kunden am Ende der Wertschöpfungskette übernehmen (Shutl, DPD, Uber). Der Erfolg oder Misserfolg von Lebensmittelhändlern hängt entscheidend davon ab, inwieweit sie sich gegen neue Wettbewerber wie Onlineaggregatoren und Lieferservices zur Wehr setzen und den so wichtigen direkten Draht zum Kunden erhalten können. In diesem Umfeld ist Wissen Macht. Es kommt darauf an, die vorhandenen Kundendaten richtig auszuwerten, um die bestehenden Beziehungen auf individueller Basis weiterzuentwickeln und durch differenzierte Kundenerlebnisse eigenständige Ökosysteme mit hoher Bindungskraft aufzubauen. Der Schlüssel liegt in einer intelligenten Nutzung von Daten und entsprechender Analysen. Unternehmen können ihre Position nachhaltig stärken, indem sie bessere und relevantere Apps sowie informationsgetriebene Dienstleistungen entwickeln, die Kunden begeistern. DIE FINALE KONSOLIDIERUNGSWELLE Im Verlauf der kommenden Konsolidierungswelle wird sich der Lebensmittelhandel in Europa nach Überzeugung von Oliver Wyman letztendlich in zwei Lager spalten: in starke paneuropäische Supermächte und flexible lokale Platzhirsche (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5: Wie der Lebensmittelhandel 2025 aussehen wird 12 SUPERMÄCHTE PLATZHIRSCHE Regionale Abdeckung Hohe paneuropäische Präsenz National und lokal Angebot Überwiegend Spezialisten, einige wenige Generalisten differenzieren sich durch eine bessere Kundenbindung sowie durch eine höhere Effizienz im Management und im Betrieb Maßgeschneidert auf die jeweiligen lokalen Bedürfnisse Überlebensvorteil Skaleneffekte Innovationen sowie kreative, schnell anpassbare Strategien STRATEGIEN In diesem Markt wird es weniger Lebensmittelhändler als heute geben. Derzeit existieren in Europa 25 große Anbieter mit einem Umsatz von jeweils mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr. Bis 2025 wird sich diese Zahl nach Einschätzung von Oliver Wyman halbieren und die Größe der Überlebenden deutlich steigen. WAS BRAUCHT ES, UM ZU DEN GEWINNERN ZU ZÄHLEN? Wer sich frühzeitig und schnell bewegt, verschafft sich ohne Frage eine starke Position – Voraussetzung ist, dass die Richtung stimmt. Unabhängig davon, ob sich Unternehmen zur Supermacht oder zum Platzhirsch entwickeln, hilft ihnen eine Fokussierung auf die folgenden drei Schlüsselthemen, um zu überleben und künftig zu prosperieren. 1. L ANGFRISTIGES DENKEN UND INVESTITIONEN IN DIE STRATEGIEFINDUNG ZAHLEN SICH AUS Einzelhändler sollten sich intensiv mit der Frage beschäftigen, wo sie in zehn Jahren stehen wollen und müssen. Nur so können sie die Beschränkung auf kurzfristige, schrittweise Verbesserungen überwinden und grundlegende Veränderungen über die gesamte Organisation hinweg planen. Um zu einer realistischen Einschätzung der eigenen Position und möglicher Optionen zu gelangen, sollten Unternehmen nicht nur ihren nationalen, sondern auch den europäischen Lebensmitteleinzelhandelssektor in den Fokus rücken und auf dieser Basis denkbare Verwerfungen simulieren. Die größte Bedrohung für ein Unternehmen kann in der grenzüberschreitenden Konsolidierung, aber auch in einer lokalen Herausforderung liegen. In jedem Fall gilt: Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Wichtige Erkenntnisse über erfolgreiche und weniger erfolgreiche Strategien können sich auch aus der Beschäftigung mit der Konsolidierungskurve in anderen Branchen ergeben, wie sie Abbildung 4 zeigt. Mehr Informationen über den Nutzen eines solch branchenübergreifenden Denkansatzes finden sich in dem Artikel „Trading Places“ aus der zweiten Ausgabe von „Ten Ideas from Oliver Wyman“, die wir Ihnen auf Wunsch gerne zusenden. 2. W ER DAS EINMALEINS DES HANDELS BESSER BEHERRSCHT, VERSCHAFFT SICH EINEN VORSPRUNG Flächenbereinigtes Wachstum bedingt in einem gesättigten Markt eine permanente Optimierung des bestehenden Geschäfts, um dessen Produktivität zu steigern. Aus diesem Grund konzentrieren sich so viele Unternehmen auf eine Verbesserung des Angebots, eine Steigerung der operativen Effizienz sowie eine Reduzierung der Kosten. Ein überzeugendes, einzigartiges Angebot kann die Kundenfluktuation verringern und ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einem höheren Marktanteil sein. Online wie offline gilt es daher herauszufinden, was Kunden wirklich wollen, und diese Bedürfnisse in einer Art und Weise zu erfüllen, wie es dem Wettbewerb nicht gelingt. Darüber hinaus ist zu ermitteln, was Kunden nicht wollen, um diese Bereiche aus dem Angebot streichen zu können, damit Kunden wie Unternehmen Geld sparen. 13 Obwohl Einzelhändler mittlerweile in Daten förmlich ertrinken, haben viele die dadurch möglichen Leistungsverbesserungen noch nicht realisieren können. Die Besten sind jedoch bereits heute in der Lage, über maßgeschneiderte Category-Management-Systeme bessere Entscheidungen mit weniger Zeiteinsatz und Aufwand zu treffen und schneller zu reagieren. Das gleiche Ziel haben ausgefeilte Tools für Lieferantengespräche. Oliver Wyman hat bereits verschiedene Lebensmittelhändler dabei unterstützt, Dutzende verschiedener Datenquellen in ein solches Tool zu integrieren und intelligente Analysen zu fahren. Die Einkäufer erhalten so leicht verständliche Berichte in einem für die Gespräche passenden Format. 3. DEN MARKT ANFÜHREN, ANSTATT NUR MITZULAUFEN Üblicherweise nehmen Kunden Follower-Strategien nicht wahr und überhastete Reaktionen auf unvorhergesehene Veränderungen führen in der Regel zu einer mangelhaften Umsetzung und höheren Kosten. Nur wer die Initiative ergreift, kann die Zukunft nach seinen Vorstellungen prägen. Für die meisten Unternehmen erfordert die Entscheidung, die Zukunft selbst zu gestalten, zwingend eine Veränderung der Kultur hin zu mehr Experimentierfreude, höherer Risikobereitschaft und Agilität. Sie werden damit „zukunftsoffen“ statt „zukunftssicher“, und genau dies ist die beste Möglichkeit, um den Veränderungen in den kommenden zehn Jahren begegnen zu können. Ein Unternehmen sollte einen Markt anführen und nicht nur mitlaufen. FAZIT Der Lebensmittelhandelssektor in Europa wird im Jahr 2025 nicht wesentlich größer sein als heute. Doch seine Struktur wird sich verändert haben. Getrieben durch eine grenzüberschreitende Konsolidierungswelle wird die Zahl der großen Handelsunternehmen zurückgehen, wobei jedes einzelne einen größeren Anteil des europäischen Markts kontrolliert. Unternehmen, die diese Richtung nicht einschlagen, können sich zu einem weniger großen, aber dennoch profitablen Platzhirsch entwickeln, der die Bedürfnisse einer kleineren Kundengruppe schnell und effizient erfüllt, oder drohen ins Hintertreffen zu geraten. In jedem Fall müssen Unternehmen heute handeln, um zu den Gewinnern im künftigen Marktumfeld zu zählen. Die Zukunft wird diejenigen Unternehmen belohnen, die sich schon heute mit der nötigen Entschlossenheit bewegen – die Zeit der kleinen, schrittweisen Veränderungen ist vorbei. Glänzende Zukunftsperspektiven haben Lebensmittelhändler, die wissen, wo sie 2025 stehen wollen, und schon heute die richtigen Weichen stellen. 14 STRATEGIEN Die Zukunft wird diejenigen Unternehmen belohnen, die sich schon heute mit der nötigen Entschlossenheit bewegen – die Zeit der kleinen, schrittweisen Veränderungen ist vorbei. 15 DIE ZUKUNFT DER KUNDENBINDUNG AUFBAU EINER NEUEN GENERATION VON LOYALITÄTSPROGRAMMEN Was herkömmliche, transaktionsbasierte Kundenbindungsprogramme wirklich sind, wird in einer Welt voller neuer Technologien und hoher Kundenerwartungen schnell deutlich: undifferenzierte, unzureichend genutzte Verlustbringer. In der Regel rechtfertigen Einzelhändler die Kosten ihrer Kundenbindungsprogramme mit den gewonnenen Daten. Diese können als Entscheidungsgrundlage und Basis für zielgerichtete Kampagnen dienen oder an Lieferanten verkauft werden. Doch bei genauerer Betrachtung lässt sich dieser Mehrwert häufig weder realisieren noch als Begründung für die Investitionen in das Programm heranziehen. Vielmehr kann ein transaktionsbasiertes Kundenbindungsprogramm, das Kunden im Schnitt ein bis zwei Prozent ihrer Einkäufe gutschreibt, nach Analysen von Oliver Wyman den Gewinn eines Einzelhändlers mit einem Jahresumsatz von 10 Milliarden US‑Dollar um 30 bis 60 Millionen schmälern. Werden noch die erheblichen Kosten für den Betrieb des Programms hinzuaddiert, wird deutlich, dass die Gewinne aus der Nutzung der Daten vermutlich niemals die Gesamtkosten ausgleichen werden. Nicht jedes Kundenbindungsprogramm entspricht dem Schema in Abbildung 1. Doch unabhängig davon gibt es selbst bei den derzeit besten Programmen noch Raum für Verbesserungen. 16 Und diese gilt es schnell umzusetzen! Die vorliegende Analyse begründet im ersten Abschnitt die Notwendigkeit für Veränderungen und zeigt im zweiten Teil, mit welchen Themen sich Einzelhändler für eine neue Generation von Kundenbindungsprogrammen beschäftigen müssen. •• Teil1: Warum Veränderungen erforderlich sind 1. Neue Wettbewerber revolutionieren den Markt und stellen den Status quo infrage. 2. Die Kundenerwartungen verändern sich und damit auch die Erwartungen an die Leistungen von Kundenbindungsprogrammen. 3. Neue Technologien eröffnen neue Möglichkeiten. Wer sie richtig nutzt, kann die Bedürfnisse der Kunden auf andere, innovative Weise erfüllen. •• Teil 2: Was über den Erfolg der neuen Programme entscheidet 1. Ein zukunftsoffener Technologieansatz erlaubt es Einzelhändlern, das Gesamtsystem ihres Programms weiter zu steuern, ohne notwendigerweise sämtliche Komponenten selbst betreiben zu müssen. 2. Eine Start-up-Mentalität ermöglicht langfristige Investitionen in das Programm. 17 TEIL 1 | WARUM VERÄNDERUNGEN ERFORDERLICH SIND 1. NEUE WETTBEWERBER REVOLUTIONIEREN DEN MARKT Einzelhändler müssen neue Wege finden, um den direkten Draht zu den Verbrauchern zu erhalten und zu stärken, da Marktneulinge ihnen die lange als selbstverständlich erachtete Kundenbeziehung – die so wichtige direkte Kundenschnittstelle – streitig machen. In Zeiten von Suchmaschinen, Marktplätzen und Bewertungsportalen „gehört“ der Kunde dem traditionellen Handel schon lange nicht mehr. Zu dieser Gruppe an Marktteilnehmern gesellen sich reine Onlinehändler, Hersteller mit einem direkten Vertriebskanal oder Finanzdienstleister („E-Wallets“). Sie alle versuchen selbst, eine direkte Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen. Wenn die Einzelhändler nicht reagieren, nimmt die Loyalität der Konsumenten zu ihrem Unternehmen aufgrund einer fehlenden direkten Interaktion über die Zeit ab. Bei der hier diskutierten neuen Generation von Kundenbindungsprogrammen handelt es sich damit nicht um eine weitere, vorübergehende Modeerscheinung. Sie ist vielmehr ein entscheidender Faktor für das Überleben und die erfolgreiche Zukunft von Einzelhändlern. 2. DIE KUNDENERWARTUNGEN VERÄNDERN SICH Kunden erwarten nicht nur attraktivere Prämien, sondern auch eine andere Form der Beziehung mit den Unternehmen, mit denen sie interagieren wollen. Damit verändert sich die Rolle der Kundenbindungsprogramme: An die Stelle eines transaktionsbasierten Tauschverhältnisses zwischen Händler und Verbraucher tritt eine dauerhafte kundenzentrierte Beziehung (vgl. Abbildung 2). Abbildung 1: Die Wirtschaftlichkeit eines typischen Kundenbindungsprogramms Die Zahlungsströme bei einem Kundenbindungsprogramm eines Einzelhändlers mit einem Jahresumsatz von 10 Mrd. US$. Die Kunden erhalten 1% ihres Einkaufswerts in Form von Punkten. WACHSTUM DES ABSATZES AUFGRUND DES PROGRAMMS IN PROZENT -13 Mio. US$ -6 Mio. US$ 2 Mio. US$ 9 Mio. US$ 16 Mio. US$ 23 Mio. US$ 2,5 -23 Mio. US$ -15 Mio. US$ -8 Mio. US$ -1 Mio. US$ 7 Mio. US$ 14 Mio. US$ 2,0 -32 Mio. US$ -25 Mio. US$ -18 Mio. US$ -10 Mio. US$ -3 Mio. US$ 4 Mio. US$ 1,5 -42 Mio. US$ -34 Mio. US$ -27 Mio. US$ -20 Mio. US$ -13 Mio. US$ -6 Mio. US$ 1,0 -51 Mio. US$ -44 Mio. US$ -37 Mio. US$ -30 Mio. US$ -23 Mio. US$ -15 Mio. US$ 0,5 -60 Mio. US$ -53 Mio. US$ -46 Mio. US$ -39 Mio. US$ -33 Mio. US$ 3,0 0 10 20 30 40 ANTEIL DER NICHT-VERWENDETEN PUNKTE IN PROZENT Quelle: Oliver Wyman-Analyse 18 Das wahrscheinlichste -25 Mio. US$ Ergebnis ist ein Verlust von 27 bis 60 Mio. US$ 50 STRATEGIEN Der Design- und Markenspezialist Lippincott, eine Schwesterfirma von Oliver Wyman, hat diese Trends eingehend in der Studie „Welcome to the Human Era: The new model for building trusted connections, and what brands need to do about it” untersucht, die wir Ihnen auf Wunsch gerne zusenden. Viele Unternehmen beschäftigen sich bereits mit der Frage, wie sich ihre Kundenbindungsprogramme zum beiderseitigen Vorteil weiterentwickeln lassen. Zu den wichtigsten Trends zählen: •• Eine wachsende Zahl exklusiver Aktionen: Punkte treten in den Hintergrund. •• Nicht-monetäre Prämien und Gesten gewinnen an Bedeutung: Der kostenlose Kaffee beim britischen Lebensmittelhändler Waitrose zählt ebenso dazu wie die Kinderbetreuung und der Frozen Yoghurt bei IKEA. •• Mit Charity-Prämien und -Punkten können Verbraucher bei jedem Einkauf wohltätige Organisationen unterstützen. Beispiele sind das „Community Rewards“-Programm der US‑Supermarktkette Kroger sowie das „Animal Charity Scheme“ des britischen Händlers Pets at Home. •• Ein verbessertes Einkaufserlebnis dank zusätzlicher Services: Die App der US-Kaufhauskette Neiman Marcus umfasst beispielsweise neben dem Shop auch einen Blog sowie eine Übersicht über Events und ein Tool zur Verwaltung des Punktekontos. •• Weitgefächerte Lifestyle-Anwendungen: Das Walgreens-Steps-Programm vergibt beispielsweise Punkte bei einer gesunden Lebensführung. In all diesen Beispielen gestatten Kunden den Händlern den Zugriff auf ihre Daten nicht, weil sie dafür Prämien erhalten, sondern weil sie in anderer Weise belohnt oder unterstützt werden. Der Erfolg solcher Ansätze kann sich über die Zeit verstärken: Die Kunden erlauben so lange eine detaillierte Nutzung ihrer Daten und eine genaue Analyse ihrer Verhaltensweisen, wie sie im Gegenzug nützliche Produkte und Services erhalten. Der Einzelhändler profitiert unmittelbar von einer höheren Kundenloyalität dank vermehrter Wahrnehmung seiner Marke und einer wachsenden Zahl von Kontakten. Über die Zeit hinweg lässt sich die höhere Loyalität weiter monetarisieren, da sich aus der vertieften Beziehung zum Kunden zusätzliche Geschäftschancen ergeben. Interessanterweise gehören viele traditionelle Einzelhändler in ihrem Heimatmarkt zu den Marken, denen Verbraucher am meisten vertrauen. Sie haben daher wesentlich mehr Chancen als viele andere Unternehmen, beispielsweise Finanzdienstleister oder Internetkonzerne, aus eigener Kraft die Kundenbindung zu vertiefen. Abbildung 2: Charakteristika traditioneller und moderner Kundenbindungsprogramme DIE ALTE PRÄMIENWELT DIE NEUE BEZIEHUNGSWELT Grundlage Starre Einteilung in Kundengruppen Individuelle Beziehung und Zugehörigkeitsgefühl Prämienberechnung Transparente Kriterien ohne Ausnahmen oder individuelle Spielräume Kriterien bieten Ermessensspielraum und erlauben Überraschungen Betrachtungszeitraum Gegenwart und Zukunft Einbeziehung der Vergangenheit Kommunikationsmittel Punkte, Kontoauszüge, Allgemeine Geschäftsbedingungen Symbole und Gesten der Zugehörigkeit (ohne zu übertreiben) Identifizierung Plastikkarte Kanal- und plattformübergreifende Medien Kundennutzen Wirtschaftlicher Mehrwert Weit mehr als Prämien (z. B. Zugehörigkeit) Geisteshaltung Anspruchsdenken Wertschätzung 19 3. NEUE TECHNOLOGIEN ERÖFFNEN NEUE MÖGLICHKEITEN Der technische Fortschritt verändert die Möglichkeiten rund um das Thema Kundenbindung mit hoher Geschwindigkeit. Traditionell besaßen Kunden in der Regel eine Plastikkarte, die an der Kasse gescannt wurde, um Prämien in Form von Coupons oder besonderen Angeboten per Post oder E-Mail zu erhalten. In jüngster Zeit haben Smartphones und andere neue Technologien ganz neue Möglichkeiten geschaffen. Die Verbraucher sind nun ständig online. Die Online- und Offlinewelten wachsen zusammen, wobei Kunden eine nahtlose, kanalübergreifende Integration erwarten. In der Folge gibt es nun häufiger gezielte Angebote zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt oder für einen begrenzten Zeitraum. Der Schuhhändler Meat Pack integrierte in Guatemala beispielsweise eine GPS-Funktion in seine App und wusste daher, wann Nutzer Filialen der Konkurrenz betraten. Zu bestimmten Zeiten löste dies im Rahmen der sogenannten „Hijack“-Kampagne eine Rabattaktion aus. Der Rabatt begann bei 99 Prozent und sank Sekunde für Sekunde, bis der Kunde eine Meat Pack-Filiale betrat. Der nachfolgende Kauf wurde samt Rabatt automatisch bei Facebook geteilt – der virale Effekt war garantiert. Neue Technologien führen auch zu einem verstärkten Austausch zwischen Verbrauchern und Händlern. Soziale Netzwerke sind mittlerweile ein zentrales Medium für Beschwerden. Kunden erwarten hierbei, dass Unternehmen ihr Problem über den gleichen Kanal auch lösen. Zudem steuern die Konsumenten zunehmend Art und Umfang ihrer Interaktionen mit Kundenbindungsprogrammen. Sie entscheiden selbst, ob sie ihre Facebook-Daten teilen wollen, um einen Rabatt zu erhalten oder an einem Wettbewerb teilzunehmen. Onlinedienste erobern darüber hinaus auch den stationären Handel. So erleichtern Apps Verbrauchern, sich in einem Laden zu orientieren und bestimmte Produkte zu finden. Smartphones können auch beim Self-Scanning zum Einsatz kommen oder den Bezahlvorgang beschleunigen. Der Einsatz dieser neuen Technologien wird durch immer intelligentere Analysemethoden der rasant wachsenden Datenbestände untermauert. Die IT-Abteilungen im Handel müssen hierfür ebenso Kapazitäten aufbauen wie für die schnelle, iterative Entwicklung von Apps. TEIL 2 | WAS ÜBER DEN ERFOLG DER NEUEN PROGRAMME ENTSCHEIDET Natürlich ist es viel einfacher, ein einzigartiges, unverwechselbares und effektives Kundenbindungsprogramm zu beschreiben als zu betreiben. Aber es kann gelingen. Ein gutes Beispiel ist das „Balance Rewards“-Programm der US-Drogerie- und Apothekenkette Walgreens. Hier dreht sich alles um vom Einkauf unabhängige Prämien und die Generierung eines Mehrwerts für Verbraucher und Unternehmen. Abbildung 3 fasst zusammen, wie solch ein Kundenbindungsprogramm funktioniert. Derzeit verändern einige Einzelhändler ihre Kundenbindungsprogramme recht erfolgreich, andere dagegen nicht. Auch wenn sich kein Fall mit dem anderen vergleichen lässt, gibt es zwei Themen, bei denen sich die Vorreiter von den Nachzüglern unterscheiden: •• Ein zukunftsoffener Technologieansatz erlaubt es Einzelhändlern, das Gesamtsystem ihres Kundenbindungsprogramms zu steuern, ohne notwendigerweise sämtliche Komponenten selbst betreiben zu müssen. •• Eine Start-up-Mentalität (und oft auch eine entsprechende Organisationsstruktur) ermöglicht langfristige Investitionen in das Programm. 20 STRATEGIEN Abbildung 3: Kundenbindungsprogramme aus Kundensicht KUNDENSICHT … mobile Interaktion … personalisierte Prämien ICH WILL ... … Prämien, wo und wann immer eine Interaktion stattfindet … eine einfache Möglichkeit, den Status zu überprüfen und Prämien einzulösen … Prämien auch unabhängig von Einkäufen … Angebote, wenn ich gerade einkaufe … Austausch mit dem Unternehmen … die Kontrolle über meine Interaktionen und Daten WIE SICH DIESE KUNDENBEDÜRFNISSE ERFÜLLEN LASSEN • Angebot einer Auswahl für den Kunden passender Prämien • Big-Data-Analysen verschiedener Datenquellen ermöglichen es, Prämien auf Basis des tatsächlichen Kundenverhaltens und seines Lebenszyklus bereitzustellen; der Fokus liegt auf Cross-Selling und der Vertiefung der Kundenbeziehung • Ersatz von herkömmlichen Plastikkarten durch Apps • Information der Kunden über Produktneuheiten • Versendung von Coupons und anderen Prämien direkt an mobile Endgeräte • Adaption neuer Technologien (Telefone, Tablets, Brillen, Uhren etc.) • Kanalübergreifende Kundenbindung dank entsprechender Einblicke in das Kundenverhalten und eines Programms, das sich über alle Kanäle (Filialen, Marken und Onlineshops) erstreckt Mio. US$ • Angebote basierend auf Ortungsdiensten („Geolocation“) und Kundenaktivitäten bzw. dem jeweiligen Mikrosegment • Prämienmanagement aus einer Hand; dazu dient unter anderem die Bündelung sämtlicher Meilen, Punkte oder Prämien in einer App oder einer Website • Stärker personalisierte Angebote für Kunden, die ihre Vorlieben und Abneigungen teilen • Belohnung von Kunden, die mehr Informationen über sich selbst teilen, z. B. im Zusammenhang mit Interaktionen in sozialen Medien • Einführung einer nutzerfreundlichen Plattform, um Kontaktinformationen, Präferenzen etc. leicht einrichten und verwalten zu können 1. EIN ZUKUNFTSOFFENER TECHNOLOGIEANSATZ Die ersten, im Betrieb sehr inflexiblen Kundenbindungsprogramme basierten vor 20 Jahren auf kostspieligen Inhouse-Systemen und -Technologien. Die einzige Alternative bestand damals in einer Zusammenarbeit mit Drittanbietern wie Aimia in Kanada oder Payback in Deutschland. Doch damit gaben die Einzelhändler einen Großteil der Kontrolle über ihre Programme und Daten auf. Heute ist Flexibilität das Gebot der Stunde. Die Kosten für den technischen Betrieb eines Kundenbindungsprogramms sind erheblich niedriger, und es gibt eine Fülle von spezialisierten Anbietern für jeden Bestandteil des Gesamtsystems. Einzelhändler verfügen daher über zahlreiche Möglichkeiten für den Aufbau ihres Programms – entweder intern, mit OutsourcingPartnern oder eine Mischung von beiden, wobei jeder Partner einen anderen Aspekt abdeckt. 21 EINZELHÄNDLER MÜSSEN DAS GESAMTSYSTEM UND NICHT JEDE KOMPONENTE KONTROLLIEREN Nach Überzeugung von Oliver Wyman ist dem Interesse von Einzelhändlern am besten gedient, wenn sie selbst das Gesamtsystem steuern, anstatt ihr Kundenbindungsprogramm an einen Partner auszulagern. Zugleich können sie mit einer ganzen Reihe von Spezialisten zusammenarbeiten, die über besonders wirkungsvolle oder differenzierende Instrumente verfügen. In Anlehnung an das Beispiel Apple und den Ansatz „Designed in California“ behalten Einzelhändler so die Kontrolle über ihr Kundenbindungsprogramm, ohne intern für jeden Bestandteil Kapazitäten vorhalten zu müssen. PROGRAMME SOLLTEN ZUKUNFTSOFFEN, NICHT ZUKUNFTSSICHER SEIN Da sich Kundenerwartungen und Technologien mit enormer Geschwindigkeit verändern, ist der Gedanke attraktiv, das gesamte Kundenbindungsprogramm zukunftssicher zu gestalten und für jede denkbare Entwicklung vorab eine Lösung zu erarbeiten. Doch es ist wenig wahrscheinlich, dass sich so unbekannte Herausforderungen und Möglichkeiten wirklich adressieren lassen. Es ist daher erheblich besser, ein flexibles, zukunftsoffenes System aufzubauen, das die Integration neuer Komponenten in eine modulare Architektur ermöglicht. Nur dadurch kann beispielsweise dem immer dynamischeren Mediennutzungsverhalten der Konsumenten, vor allem im Hinblick auf die sozialen Medien, Rechnung getragen werden. HERAUSRAGENDE LEISTUNGEN IN DER DATENANALYSE UND ITERATIVEN ENTWICKLUNG SIND NOTWENDIG Eine langfristige Differenzierung im Wettbewerb beruht künftig auf einer besseren Analyse von Kundendaten und in der Folge auf innovativeren Produkten und Services sowie einer verbesserten Entscheidungsfindung im Kerngeschäft. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, schnell und kontinuierlich weitere Serviceleistungen und Apps entwickeln zu können. Kunden erwarten hier ständige Verbesserungen. 2. EINE START-UP-MENTALITÄT Der Aufbau eines effektiven Kundenbindungsprogramms und der entsprechenden IT erfordert Investitionen. Die meisten Einzelhändler kontrollieren solche Ausgaben sehr genau und fordern eine Rechtfertigung über einen entsprechenden Business Case. Dieser Ansatz kann beim Thema Kundenbindung hinderlich sein, wie das folgende Beispiel verdeutlicht: Angenommen, die Entwicklung und Markteinführung einer App mit Rezepten und Einkaufsvorschlägen kostet fünf Millionen US-Dollar. Obwohl eine solche App die Loyalität der Kunden aller Wahrscheinlichkeit nach über die Zeit vertieft, lassen sich ihre direkten Auswirkungen auf den Absatz wohl nur grob quantifizieren. Unterstützer für die anfängliche Investition sind so nur schwer zu gewinnen. Wenn man sich die Mentalität eines Start-ups zu eigen macht, ändert sich der Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Ein greifbarer Nutzen entsteht, wenn beispielsweise jedem Verbraucher, der die App herunterlädt, ein Wert von 50 US-Dollar beigemessen wird. In diesem Fall sind 100.000 Downloads notwendig, um die Entwicklungskosten der App abzudecken (eine geringe Zahl verglichen mit den Millionen von Kunden großer Supermarktketten). Der entsprechende Business Case sähe wesentlich attraktiver aus. 22 STRATEGIEN Abbildung 4: Die Zukunft der Kundenbindung unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Ansätzen VOR 15–20 JAHREN HEUTE IN ZUKUNFT Was die Programme Kunden bieten •• Punkte honorieren Preisgabe von Daten •• Prämien in Form von Vouchers •• Punkte •• Punkte sowie maßgeschneiderte Prämien und Angebote (z. B. ein kostenloser Kaffee für Karteninhaber beim Besuch einer Waitrose-Filiale) •• Größere Bandbreite von Möglichkeiten, Kundentreue zu honorieren •• Stärker auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Inhalte Welche Ziele die Unternehmen verfolgen •• Einblicke in das Kundenverhalten aus der Distanz •• Gewinn und Segmentierung von Daten •• Möglichkeit, gelegentlich etwas versenden zu können •• Gewinn eines tief greifenden Verständnisses des Verhaltens und der Einstellungen von Kunden •• Aufbau einer 1:1-Beziehung •• Regelmäßiger Dialog •• Individuellerer Zuschnitt •• Regelmäßigerer Kontakt •• Größerer unmittelbarer Nutzen für den einzelnen Kunden Welche Unternehmen Programme einsetzen •• Nur wenige bzw. die größten Einzelhändler •• Viele Einzelhändler jeder Größenordnung und Branche •• Nahezu jeder Einzelhändler Wie die Interaktion funktioniert •• Präsentation der Karte an der Kasse •• Versand von Kontoauszügen auf Papier •• Vielfältige Möglichkeiten zu •• An jedem Ort, zu jeder Zeit, über interagieren und Daten zu sammeln jede Plattform •• Zunehmender Onlineanteil (z. B. E-Mail-Updates) Wie das Gesamtsystem aufgebaut ist •• Entwicklung und Aufbau vorwiegend im Unternehmen •• Auslagerung an Dritte, die alle Leistungen aus einer Hand anbieten •• Etablierte Anbieter von Kundenbindungsprogrammen •• Vielzahl spezialisierter Anbieter einzelner Komponenten •• Niedrigere Kosten für Entwicklung und Markteinführung •• Einzelhändler steuern System unter Einbindung von Spezialisten •• Flexible, sich ständig verändernde Architektur Nach Auffassung von Oliver Wyman sollten Einzelhändler vermehrt wie ein Start-up über neue Methoden der Kundenbindung nachdenken und entsprechende KPIs entwickeln. Damit lassen sich die notwendigen Investitionen für den Erfolg ihres Kundenbindungsprogramms tätigen – und rechtfertigen. FAZIT Die Vorreiter in Sachen Kundenbindungsprogramme bewegen sich weg von transaktionsbasierten und hin zu variantenreicheren, flexiblen Modellen, die den Kunden erheblich stärker einbinden (vgl. Abbildung 4). Im Zentrum dieses Wandels steht der verstärkte Einsatz neuer Technologien. Einzelhandelsunternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Systeme die Einbindung und Unterstützung von technischen Innovationen erlauben, die eine neue Generation von Kundenbindungsprogrammen ausmachen. Sie benötigen zudem neue Kennzahlen, um die Erträge ihrer Programme einschätzen und langfristige Investitionen begründen zu können. Erfolgreiche Einzelhändler vertiefen und stärken mit einer neuen Generation von Programmen die Kundenbindung. Ihre Initiativen können zugleich der Abwehr von neuen Wettbewerbern dienen, die sich zwischen Händler und Kunden zu drängen versuchen. 23 EINBLICK RETAIL LEADERSHIP CIRCLE Der diesjährige Retail Leadership Circle von Oliver Wyman in Hamburg nahm Customer Relationship Management (CRM) als das bestimmende Thema der nächsten Jahre in den Fokus. Unter dem Titel „The Imperative of Loyalty: Leveraging Cross-Channel CRM in Retail” diskutierten 30 Führungskräfte aus dem Handel die Herausforderungen von Kundenbindungsprogrammen. Mit Impulsvorträgen beleuchteten die Experten die unterschiedlichen Blickwinkel der gegenwärtigen Entwicklungen und drängenden Fragen wie die Rolle der sozialen Medien, die Vorstöße durch Konsumgüterhersteller sowie die Argumentation für oder gegen offene Loyalitätsprogramme. Insbesondere drei zentrale Hypothesen wurden erörtert: 1. Heutige Loyalitätsprogramme sind teuer und erfüllen nicht (mehr) den gewünschten Zweck. 2. Bereits heute findet ein zunehmend starker Wettbewerb um die Kundenschnittstelle statt. Ein leistungsstarker CRM-Ansatz ist eines der zentralen Instrumente für Händler in diesem Wettbewerb. 3. Eine sich sehr dynamisch entwickelnde Mediennutzung stellt eine weitere Herausforderung für jedes CRM-System dar. Flexibilität in mehreren Dimensionen muss frühzeitig berücksichtigt werden. LOYALITÄTSPROGRAMME AUF DEM PRÜFSTAND Durch die immer komplexeren Kundenerlebnisse sowohl bei der Informationssuche als auch beim Kaufprozess werden ein tiefes Verständnis und eine zielgerichtete Ansprache über die „richtigen“ Kanäle erfolgskritisch. Zudem wird der direkte Kundenzugang mehr und mehr zum Wettbewerbsschauplatz zahlreicher Marktteilnehmer. In einem Umfeld, in dem Suchmaschinen, Preisvergleichsportale, Marktplätze, soziale Medien und zunehmend auch die Hersteller um den direkten Kundenzugang konkurrieren, laufen Händler ohne ein gut funktionierendes CRM-System Gefahr, in immer mehr Abhängigkeiten zu geraten. Das Wettbewerbsniveau steigt infolge einer immer größer werdenden Anzahl vergleichbarer Loyalitätsprogramme, wodurch die besondere Attraktivität des jeweiligen Programms sinkt. Nur die individuellen, leistungsfähigen Programme können aus der Masse an Angeboten herausstechen. Trotz der hohen Relevanz von CRM ist das Leistungsgefälle im deutschen Handel enorm. Zahlreiche Händler besitzen entweder kein Kundenbindungsprogramm oder nutzen vorhandene Daten nur unzureichend. Die effektive Nutzung von Kundendaten kann oft zu signifikanten und profitablen Mehrumsätzen führen. CRM ist ein sehr effektives Tool, um die Marktdurchdringung zu maximieren, die Kundenbindung sicherzustellen, sich gegen neue Marktteilnehmer zu schützen und Sortimente zu lokalisieren. Der weitaus größte Anteil der deutschen Händler unterhält eine Art von Kartenprogramm, das oft recht einfach als „Earn-Burn“-Mechanismus aufgesetzt ist. Dabei können die Kunden in der Regel Punkte sammeln, die einem indirekten Discount von zumeist ein bis drei Prozent entsprechen. Häufig ist in diesem Prozess jedoch nicht vorgesehen, dass auch eine Interaktion mit dem Konsumenten stattfindet. Dies hat zur Folge, dass Einzelhandelsunternehmen zwar das Einkaufsverhalten ihrer Kunden kennen, nicht aber den Konsumenten dahinter – eine individuelle, kundenspezifische Ansprache findet in den seltensten Fällen statt. Auch differenzierte Optionen, um Punkte zu sammeln oder einzulösen, wie es beispielsweise in Hotels möglich ist, werden kaum angeboten. Angloamerikanische Händler wie Walgreens oder Asos gehen hier bereits den nächsten Schritt. So wird beispielsweise das Mitteilen persönlicher Leistungsdaten oder – im Fall von Asos – das Teilen von persönlichen Looks über soziale Medien inzentiviert. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass trotz eines fortgeschrittenen Multikanalverhaltens vieler Kunden die Händler hierzulande nur vereinzelt in der Lage sind, Konsumenten individuell zu erfassen. Nicht selten existieren mehrere, unabhängig voneinander operierende Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systeme, die beispielsweise nach unterschiedlichen Kanälen getrennt werden. An dieser Stelle treten immer häufiger die Hersteller selbst als Wettbewerber zu den Händlern in Erscheinung – und damit in Interaktion mit dem Endkunden. Inspirierende Einsichten bot hierzu der Vertreter eines Sportartikelherstellers, der über die detaillierte Nutzung von Daten zu den Laufwegen von Wearables berichtete. Der Reichtum an Daten aus sozialen Medien, Transaktionen oder der Nutzung digitaler Produkte wird von führenden Herstellern zunehmend aktiv genutzt. Die daraus resultierenden Einsichten ermöglichen eine spezifische, individuelle Ansprache der Konsumenten. Zuletzt wurde das immer dynamischer werdende Medienverhalten der Konsumenten erörtert, das eine zunehmende Herausforderung darstellt. Der Konsument verfolgt bereits heute ein aktives Multikanalverhalten entlang des Einkaufsprozesses. Nicht selten werden erste Kaufrecherchen am heimischen Computer oder Tablet gestartet und auf dem Weg zur Arbeit mit dem Mobiltelefon fortgeführt. Der letztendliche Einkauf kann im stationären Handel oder über zahlreiche weitere Wege erfolgen. Vor allem die Nutzung sozialer Medien stellt Herausforderungen an die Wahl des richtigen strukturellen Aufbaus eines CRM-Programms. Wichtig ist dabei, die Programme mit der notwendigen Flexibilität auszustatten, um dynamische Entwicklungen abbilden zu können. DIE EVOLUTION DES SUPERMARKTS DAS LEBENSZYKLUSMODELL IM HANDEL Händler sind zum Wachstum verdammt. Steigende Fixkosten bei einem besonders in Deutschland konstant hohen Preis- und Margendruck müssen kompensiert werden. Daher setzen Lebensmittelhändler bis zur absoluten Marktsättigung konsequent auf Flächenexpansion – bis die zusätzliche Fläche schließlich nur noch weit unterdurchschnittliche Erträge abwirft und ökonomisch nicht mehr sinnvoll ist. Der Wachstumsdruck allerdings bleibt. Wie aber sieht die Lösung aus? Fest steht: Erfolgreiche Vollsortimenter werden den Discountern noch stärker Paroli bieten müssen, indem sie das Niveau ihrer Frischeabteilungen weiter anheben und ihren Kunden an einzelnen Standorten das „lokal perfekte Sortiment” anbieten. Nach dem Lebenszyklusmodell befinden wir uns gerade im Übergang von der Wachstums- zur Reifephase. Während das eher makroökonomische Modell einen fließenden Übergang zwischen den Phasen beschreibt, ist die Veränderung für Handelsunternehmen in der Realität dramatisch. Plötzlich sind völlig neue Ansätze und Mitarbeiterfähigkeiten gefragt, um auf gleicher Fläche weiter zu wachsen. Standort für Standort und Quadratmeter für Quadratmeter müssen effizienter bewirtschaftet und besser „ausgeschöpft” werden. Diese Weiterentwicklung birgt viele Herausforderungen für Einkauf, Category Management, Vertrieb und IT. Müssen Umsatzsteigerungen auf der gleichen Fläche realisiert werden, ist der natürliche Reflex ein „Trading-up”. Zum einen sollen Bestandskunden zu höherpreisigen Käufen animiert, zum anderen Neukunden von höherwertig positionierten Händlern abgeworben werden. 26 STRATEGIEN 27 MEHR FRISCHE, MEHR QUALITÄT Beispiele sind die aktuelle Strategie von Aldi mit Markenlistungen sowie die deutliche Aufwertung des Frischeangebots und die Qualitätskampagne bei Lidl. Haben die Harddiscounter diese „neue DNA” angenommen, werden sie ihre Flächenproduktivität wieder steigern und dem in Deutschland zuletzt starken Vollsortiment perspektivisch Marktanteile abnehmen. Doch wie lässt sich gegensteuern? Vollsortimenter können sich auf einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil gegenüber Discountern besinnen: die Beherrschung von Komplexität. Während die Discounter mit nationalen Standardmodellen maximale Skaleneffekte realisieren, haben die Vollsortimenter schon immer eine stärkere Differenzierung gepflegt – über unabhängige Kaufleute ebenso wie über eine ausgeklügelte Steuerung des eigenen Filialnetzes. So haben sie in den letzten Jahren Sortimente zunehmend regional differenziert, indem sie Sortimentsmodule eingeführt, Regionalfenster geschaffen und Filialcluster gebildet haben. LÄNDLICH, STÄDTISCH, ERFOLGREICH Gerade die Bildung von Filialclustern, etwa „ländlich”, „vorstädtisch” und „städtisch”, sowie die entsprechend differenzierte Sortimentsgestaltung hat vielen Händlern bereits erste Erfolge gebracht. Zugleich war die daraus resultierende Komplexität gerade noch mit den gängigen Category-Management-Tools und Prozessen beherrschbar. Doch der schöne Schein trügt. Die Lebensmittelnachfrage ist lokal erheblich komplizierter als angenommen. In der Projektarbeit von Oliver Wyman zeigt sich immer wieder, wie sehr sich das Abverkaufsranking nach Marken und Artikeln auf Filialebene unterscheidet. Solche Unterschiede in der lokalen Nachfrage können je nach Warengruppe etwa von einem größeren Kundenanteil an Senioren oder Familien getrieben sein. Oder sie entstehen durch eine benachbarte Schule, das Fehlen eines Bäckers in unmittelbarer Nähe oder eine Bushaltestelle direkt vor der Tür. Lokale Nachfragemuster bieten eine erhebliche Umsatzchance. lnsbesondere Filialen mit weniger als 1.500 Quadratmetern Verkaufsfläche können mit einer intelligenten, datenbasierten, filialindividuellen Sortimentsgestaltung ein Umsatzwachstum von bis zu zehn Prozent realisieren – und zwar bei gleicher Fläche! Bei diesem Potenzial ist es nach Überzeugung von Oliver Wyman nur eine Frage der Zeit, bis Vollsortimenter diesen Weg gehen. Auch für die Großfläche bietet ein lokal differenziertes Vorgehen große Chancen. Hier können die Flächenanteile der einzelnen Warengruppen noch besser austariert werden, um den Kunden genau in den Warengruppen eine große Auswahl anbieten zu können, mit denen sie den Markt zur Einkaufsdestination machen. 28 STRATEGIEN Eine lokale Sortimentsgestaltung ist aber nicht mit lokalen Artikeln aus der Region zu verwechseln. Diese übernehmen häufig eher eine Marketingrolle und sind ein Zugeständnis an das Filialteam vor Ort, als dass sich ihre Listung über entsprechende Drehzahlen rechtfertigt. Die lokale Sortimentsgestaltung bezieht sich vielmehr auf eine individuelle Teilmenge des national gelisteten Sortiments, von Grundnahrungsmitteln über Drogerie- und Tierbedarf bis hin zu einer individuellen Auswahl an Frischeartikeln. Dabei wird die Zentrale in Zeiten von Big Data zunehmend bessere Erkenntnisse über die lokale Nachfrage haben als der Kaufmann vor Ort. Er überblickt die Vielfalt und Dynamik des verfügbaren Sortiments häufig nicht mehr und reagiert stärker auf einzelne Kundenwünsche als auf rentable Nachfragemuster. Um dies zu erreichen, müssen Händler neue Kompetenzen aufbauen. Während die Logistik in der Regel bereits auf eine sehr feine Differenzierung ausgelegt ist – solange das national gelistete Sortiment nicht umfangreicher wird –, ist das Category Management heute noch weit davon entfernt. Von der Sortimentsdefinition über die Layouterstellung bis hin zu den Ein- und Auslistungsprozessen sind die meisten Händler noch nicht wirklich fit für eine deutlich feinere Differenzierung. Aber genau dies wird mittelfristig ein Faktor sein, der die Marktanteilsgewinner von den Verlierern unterscheidet. „Erfolgreiche Vollsortimenter werden den Discountern noch stärker Paroli bieten müssen, indem sie das Niveau ihrer Frischeabteilungen weiter anheben und ihren Kunden an einzelnen Standorten das ‚lokal perfekte Sortiment’ anbieten.” Abbildung 1: Die Evolution eines Einzelhändlers LEBENSZYKLUS PHASE 1 LEBENSZYKLUS PHASE 2 LEBENSZYKLUS PHASE 3 LEBENSZYKLUS PHASE 4 Konzeption und Innovation Expansion Reife Neuerfindung Neue Kanäle und Formate erhöhen die Kapazität Produktivität steigt durch die Einführung des Erfolgskonzepts Verbesserte Umsetzung und Kundenleistung stärken die Produktivität Schnelle Expansion führt zum Aufbau von Kapazitäten Fläche („Kapazität“) Umsatz pro Quadratmeter („Produktivität“) Quelle: Oliver Wyman 29 HERAUSFORDERUNGEN IN RUSSLAND UND CHINA 30 STRATEGIEN 31 RUSSLAND: LEH AM SCHEIDEWEG Russland war in den letzten Jahren ein Wachstumsmotor für lokale und westliche Lebensmitteleinzelhändler. Doch die Zeiten der grenzenlosen Expansion rund um die Metropolen Moskau und St. Petersburg sind vorbei. Ging es in der Vergangenheit darum, ein erfolgreiches Format zu finden und damit möglichst schnell zu expandieren, wird nun der Kampf um Wachstum auf bestehender Fläche in den Vordergrund rücken. Zugleich mischt die Wirtschaftskrise die Karten neu. Bei einem realen Einkommensverlust von über zehn Prozent im Jahr 2015 orientieren sich russische Konsumenten um: Der Preis spielt plötzlich eine viel stärkere Rolle. Diese Zeit der Unsicherheit nutzen lokale Händler geschickt, um sich gegen die Konkurrenz und inflationär bedingte Preiserhöhungen zu positionieren – durch verstärkte Aktionsaktivitäten, mehr Angebot im Preiseinstieg und eine stärkere Rolle der Eigenmarken. Grundlage für diese Initiativen sind operative Effizienz in den Märkten, der Logistik und Zentrale sowie neue Fähigkeiten im Einkauf. Hier besteht viel Nachholbedarf und Zeitdruck, um die Basis für ein attraktiveres Angebot zu legen und eine bessere Preispositionierung zu finanzieren. Mit der russischen Customer Perception Map von Oliver Wyman lässt sich diese Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) genau verfolgen. Haben die Konsumenten 2014 noch einen geringen Differenzierungsgrad zurückgespielt, sind bei der nächsten Befragung bereits deutliche Tendenzen hin zu klaren Gewinnern und Verlierern zu erwarten. Die Chancen für westliche und lokale Händler sind groß. Aber die Weichen für künftigen Erfolg müssen bereits heute gestellt werden. Abbildung 1: Die Customer Perception Map (CPM) für Russland RUSSISCHER LEBENSMITTELEINZELHANDEL 2014, 2.000 BEFRAGTE KONSUMENTEN Stark Azbuka Vkusa Metro Cash&Carry Okey ANGEBOT SPAR Perekrestok Magnolia Narodnaya Semia Victoria Lenta Karusel 7th Continent Magnit Auchan Nash Billa Dixy Atak Monetka Großflächen Pyaterochka Supermärkte Schwach Discounter Schwach Quelle: Oliver Wyman-Analyse 32 PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS Stark STRATEGIEN CHINA: DIE GROSSE VERLANGSAMUNG Über Jahrzehnte hinweg galt China als Garant für zweistelliges Wachstum. Insbesondere im letzten Jahr hat sich diese Dynamik drastisch verändert. Während multinationale Händler mit Fokus auf stationärem Geschäft in den bekannten Metropolen teilweise sogar like-for-like Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, wachsen ihre nationalen Wettbewerber vor allem dank des Onlinegeschäfts und des Booms in den weniger bekannten Städten. Für die multinationalen Player gilt es daher, sich auf eine neue Realität einzustellen. China ist nicht mehr das Land des grenzenlosen Wachstums. Wer dies akzeptiert, das Marktwachstum in seinem Segment versteht und entsprechend korrekt für die Zukunft plant, stellt sein Geschäft auf ein stabiles Fundament. Diejenigen, die sich mit Fokus auf den stationären Handel in den großen Metropolen positionieren, werden analog zum Markt nicht mehr wachsen und relativ verlieren. Der Schwerpunkt vieler Multis aufseiten der internationalen Händler und Hersteller ist nach wie vor der stationäre Handel. Dieser wird auch weiterhin der größte Vertriebskanal bleiben. Andererseits sind Onlinekanäle in China schon heute wesentlich bedeutsamer als in Westeuropa und müssen über dediziertes Personal mit GuV-Verantwortung konsequent adressiert werden. Ein zu starker Fokus auf Filialen und Einkaufszentren verkennt diese Realität und lenkt von dem dramatisch an Bedeutung gewinnenden Onlinegeschäft ab. Weniger bekannte Städte sind als Quelle des Wachstums in China attraktiver denn je. Wer wachsen möchte, sollte den Zugang zu diesen Konsumenten sicherstellen. Das Potenzial unterscheidet sich je nach Unternehmen stark. Der richtige Ansatz sollte daher mit Bedacht gewählt werden. Selbstverständlich für alle Anbieter ist eine Bedienung dieser Städte über Onlinekanäle. Sofern es das Geschäftsmodell hergibt, sollten Unternehmen zudem eine fundierte stationäre Strategie entwickeln, die das Beste aus dieser Gelegenheit macht. Abbildung 2: Händler mit deutlich reduzierten Wachstumsperspektiven UMSATZWACHSTUM UND URSACHEN FÜR WACHSTUMSRÜCKGANG Marktdurchschnitt 2012 ~14% ~1% Inflation Reale Verlangsamung des Wachstums 1–2% Marktdurchschnitt 2014 ~12% Überdurchschnittliche Präsenz in bekannten Metropolen 2–3% Unterdurchschnittliche Präsenz online 2–3% Wachstum für Unternehmen, die auf das Rezept der Vorjahre setzen ~5% Rückgang wegen starker Präsenz offline und in bekannten Metropolen ~7% Weitere Verlangsamung des Markts 2015 Wachstumsperspektive 2015 ff. ~2% Rückgang des Marktwachstums in China 1–2% ~2% zusätzlicher Rückgang im Folgejahr ~5% Anmerkung: Beispielunternehmen mit Umsatzsplit online zu offline von 5% zu 95% und Tier-1-und-2-Städte zu anderen Städten von 80% zu 20% 33 ABLAUFOPTIMIERUNG AM POINT OF SALE ÜBERWINDUNG VON ABTEILUNGSGRENZEN UND REDUZIERUNG VON KOMPLEXITÄT Einzelhandelsunternehmen in allen Branchen haben ihre Märkte mit Optimierungsprogrammen bereits an ihre Leistungsgrenzen getrieben. Was aber nach Überzeugung von Oliver Wyman viele von ihnen nicht erkannt haben, ist die unterstützende Rolle, die die Zentrale bei Effizienzsteigerungen am Point of Sale (POS) übernehmen kann. Eine der Hauptaufgaben der Zentrale besteht darin, den Routinebetrieb prinzipiell zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das führt zu höherer Effizienz in den Läden, einem besseren Kundenerlebnis und zur Stärkung der Mitarbeitermoral. Dieser Artikel fokussiert den Handlungsbedarf und zeigt Best Practices anhand von Fallstudien auf. Angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks durch Internetanbieter und Discounter, der auf die eine oder andere Weise die meisten Handelssektoren und Märkte betrifft, sind kosteneffiziente Betriebsabläufe im Einzelhandel heute so wichtig wie nie zuvor. Bei der Senkung ihrer Kosten betrachten Einzelhandelsunternehmen häufig Einkauf, Category Management, Logistik und IT getrennt voneinander. Die Zentrale kürzt zudem die Personalbudgets für die Märkte in der Hoffnung, dass die Marktleiter Lösungen vor Ort finden, um ihre Vorgaben weiterhin zu erfüllen. Die Folge ist häufig nicht nur ein schlechterer Kundenservice, sondern auch ein gestresstes und demotiviertes Personal. Oder es wird eine aufgabenspezifische Arbeitseinteilung und Budgetierung eingeführt, die den Unterschieden in den Märkten und der Belegschaft oft nicht gerecht wird. Nach Überzeugung von Oliver Wyman gibt es einen besseren Weg, um Einsparungen zu erzielen: durch das Überwinden von Abteilungsgrenzen sowie einen Ansatz zur Aufgabenvereinfachung und Kostenreduktion, der die einzelne Filiale in den Fokus rückt. Kern dieses Ansatzes ist, die Perspektive der Kunden und Mitarbeiter am POS einzunehmen und zu hinterfragen, was die Zentrale und andere Abteilungen tun können, um Vereinfachungen einzuführen und letztlich Betriebskosten zu sparen. Erfahrungen zeigen: Ein Einzelhandelsunternehmen mit einem Umsatz von 10 Milliarden Euro kann damit in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten 100 Millionen Euro durch Effizienzsteigerungen realisieren. Ein weiterer Vorteil dieses Konzepts ist, dass damit oft auch das Kundenerlebnis und die Mitarbeitermoral verbessert werden. 36 Operations KOSTENEINSPARUNGEN AN DEN BEDÜRFNISSEN DER MÄRKTE AUSRICHTEN Bei der Planung und Umsetzung von Kosteneinsparungen, bei denen der einzelne Markt im Mittelpunkt steht, müssen die Abteilungen in der Zentrale die Perspektive der Märkte einnehmen und analysieren, was den Kunden und Mitarbeitern Probleme bereitet, um diese auf direktem Weg auszuräumen. Im ersten Schritt geht es in der Regel darum, einen genauen Überblick über die tatsächliche Verteilung der Arbeitszeiten in den Läden zu gewinnen (vgl. Abbildung 1). Dabei ist Transparenz unter Umständen schwierig herzustellen. Ausgangspunkt ist deshalb eine genaue Beobachtung der Abläufe vor Ort und die direkte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen im Laden. Dieser Prozess sollte auch die Entwicklung grundlegender Hypothesen zu Verbesserungspotenzialen einschließen. Mögliche Fragen sind: •• Was sind die ärgerlichsten Zeitfresser? •• Wie viele Stunden sind für bestimmte Prozesse in einer Abteilung vorgesehen? •• Welche weiteren Optimierungsmaßnahmen sind durchführbar? Abbildung 1: Mitarbeitertätigkeiten nach Abteilungen 5% 5% 25% 8% 15% 6% 18% 25% 8% 13% 14% 36% 84% 85% 96% 97% 96% 100% 86% Service und Theken 51% Lebensmittel 16% WarenHandling annahme von Standardware Bestellungen Regalpflege Handling von Aktionsware In-StoreProduktion Kasse Check-out Verwaltung und Kundenservice und Ladenpflege Quelle: Oliver Wyman-Analyse 37 Abbildung 2: Störfaktoren beim Einkaufserlebnis vermeiden STÖRFAKTOR ERKLÄRUNG LÖSUNG Weite Laufwege für Mitarbeiter Die Wege, die die Mitarbeiter in den Läden beispielsweise beim Auffüllen oder Anbringen neuer Preisschilder am Regal zurücklegen müssen, sind oft unnötig lang. Kürzen Sie die Wege für die Regalbefüllung, indem die Ware im Lager entsprechend ihrer Position im Layout der Filiale kommissioniert wird. Räumen Sie den Läden Flexibilität ein, um spezifische Laufwege für verschiedene Aufgaben wie die Aktualisierung von Preisauszeichnungen zu schaffen. Siehe Fallstudie 1. Wartezeiten an den Kassen Der Check-out-Prozess ist ineffizient aufgrund von Systemfehlern oder Produkten mit Barcodes, die Probleme beim Einscannen verursachen. Zudem müssen häufig Systemvorgänge (z. B. Storno) von der Filialleitung genehmigt werden. Das führt zu Wartezeiten und unzufriedenen Kunden. Kontrollieren Sie die Qualität und Platzierung von Barcodes und prüfen Sie die Kassen auf Effizienz: Vorschriften, technische Infrastruktur und Qualifikation der Kassierer. Siehe Fallstudie 2. Unzureichende Regalverfügbarkeit Regallücken werden häufig dadurch verursacht, dass die automatischen beziehungsweise halbautomatischen Bestellsysteme zu komplex und die Bestelltools für die Mitarbeiter keine wirkliche Hilfe sind. Dadurch kann es vorkommen, dass der Verkauf nicht ausreichend mit Nachschub versorgt wird. Ermitteln Sie die häufigsten Ursachen für Out-of-Stocks und prüfen Sie die Prognosesysteme und Bestandstools auf Schwächen. Passen Sie nach Möglichkeit die Systemparameter an und vereinfachen Sie die Tools. Siehe Fallstudie 3. Komplexe Sonderaktionen Die Durchführung wöchentlicher Sonderaktionen ist oft eine Hauptursache für Komplexität. Aktionsware wird häufig Wochen im Voraus bestellt und die Prognosesysteme (wenn sie überhaupt für Sonderaktionen auf Ladenebene vorhanden sind) sind alles andere als perfekt. Erstellen Sie Vorhersagen für Sonderaktionen mithilfe anspruchsvoller Algorithmen zentral, um den einzelnen Läden exakte Prognosen für Aktionsware zu liefern. Redundantes Berichtswesen Berichte und KPIs sind nicht aussagekräftig, unübersichtlich und werden selten oder gar nicht genutzt, um Verbesserungen voranzutreiben. Häufig sind sie auch redundant. Sorgen Sie für eine einfache, bereichsübergreifende Perspektive Ihrer Berichtsstruktur. Siehe Fallstudie 4. Mangelhafte Logistik Die Lieferung erfolgt nicht im angekündigten Zeitraum oder es fehlen Artikel. Häufig ist auch die Verpackung in den Containern mangelhaft. Führen Sie strenge Servicevereinbarungen ein, die den Läden mehr Planungssicherheit und höhere Lieferstandards bieten. Damit erhöhen sich zwar unter Umständen die Kosten in der Lieferkette, doch die Einsparungen im Laden gleichen das mehr als aus. Manuelle Arbeitsplanung Filialleiter greifen beim Personaleinsatz auf Grobplanungen zurück. Arbeitsplanungstools sind häufig nicht nutzerfreundlich oder zu praxisfern. Erfassen Sie Best Practices aus den Läden und entwickeln Sie ein praktisches, nutzerfreundliches Arbeitsplanungstool, das die individuellen Anforderungen der Läden und die Erfordernisse aufgabenbezogener Arbeitsmodelle berücksichtigt. Schulungsprogramme verfehlen ihren Zweck In Schulungsprogrammen für Ladenmitarbeiter sind viele Einheiten für Theorie und Richtlinien vorgesehen. Praxistraining und die Vermittlung von Best Practices sowie Tipps und Tricks kommen dabei zu kurz. Binden Sie das Ladenpersonal in die Gestaltung der Schulungsprogramme ein. Am besten findet die Schulung direkt im Laden statt und basiert auf realen Beispielen und Best Practices. Sorgen Sie dafür, dass die Personalabteilung und zentralen Vertriebsbereiche regelmäßig mit den Läden zusammenarbeiten, um aktuelle Best Practices und Tipps und Tricks einzubringen. 38 Operations Abbildung 2 zeigt einige Beispiele für typische Schwierigkeiten und Lösungen, die dieser Prozess häufig zutage bringt. Entscheidend ist ein detaillierter und systematischer Prozess zur Identifizierung, Priorisierung, Entwicklung und Umsetzung von Potenzialen (vgl. Abbildung 3). In der Regel sind die Ergebnisse innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Einführung dieses Prozesses sichtbar und messbar. Typische Erfolge sind: •• 10 bis 20 Prozent weniger Arbeitszeit aufgrund höherer Mitarbeitereffizienz und weniger Zeitverschwendung in den Läden •• Höhere Regalverfügbarkeit und Umsatzsteigerungen von bis zu fünf Prozent •• Verbessertes Kundenerlebnis •• Geringere Gesamtkosten entlang der Lieferkette •• Stärkere Einbindung der Mitarbeiter in das Unternehmen und höhere Zufriedenheit Abbildung 3: Fünf Schritte zur Effizienzsteigerung in den Läden 1 Ermitteln Sie den Status quo und erfassen beziehungsweise prüfen Sie eine umfassende Liste von Verbesserungsvorschlägen für die Läden. 2 Priorisieren Sie die Liste mit Blick auf ein Gesamtoptimum. Nehmen Sie beispielsweise eine sorgfältige Gewichtung von Problemen vor, die höhere Kosten in bestimmten Abteilungen verursachen, aber geringere Kosten für das Gesamtunternehmen bedeuten. 3 Institutionalisieren Sie die team- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit. 4 Beginnen Sie mit der Implementierung der Verbesserungen und führen Sie Kontrollen ein: Etablieren Sie KPIs und klare Zuständigkeiten. 5 Messen Sie den Erfolg jeder Verbesserungsinitiative. FAZIT Nach Überzeugung von Oliver Wyman können Einzelhandelsunternehmen erhebliche Kosteneinsparungen realisieren, wenn sie die Effizienzhindernisse in den Läden identifizieren und beseitigen, die auf zentraler Ebene oder durch einen Mangel an abteilungsübergreifender Zusammenarbeit geschaffen werden. Diese Vorgehensweise kann innerhalb von sechs bis zwölf Monaten beeindruckende Ergebnisse liefern. 10 bis 20 Prozent der Arbeitszeit des Ladenpersonals lassen sich damit einsparen beziehungsweise für andere Tätigkeiten wie die Verbesserung des Kundenservice nutzen. Die Regalverfügbarkeit kann um bis zu fünf Prozent gesteigert, die Höhe der Umsatzausfälle deutlich reduziert werden. Wenn ein Händler zudem ein offenes Ohr für Ladenpersonal und Kunden hat und Stressfaktoren für Mitarbeiter beseitigt, folgt daraus auch eine spürbare Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Im Laufe der Zeit werden dadurch weitere Verbesserungen im Unternehmen vorangetrieben. 39 FALLSTUDIE 1 ZEIT UND ARBEITSAUFWAND FÜR DIE REGALPFLEGE REDUZIEREN DIE HERAUSFORDERUNG Ein Einzelhandelsunternehmen analysierte die Zeit und die Entfernung zwischen den Regalen, die bei jeder Anlieferung der Ware im Markt aufgefüllt werden mussten. Es stellte fest, dass die Mitarbeiter bis zu 25 Prozent ihrer Zeit mit Auffüllarbeiten verbrachten. DIE LÖSUNG Das Logistikteam und die Filialleiter erarbeiteten gemeinsam die beste Möglichkeit zur Optimierung des Kommissionieraufwands im Lager und der Laufwege, die bei der Regalauffüllung im Markt zurückgelegt werden mussten (vgl. Abbildung 4). Das Unternehmen restrukturierte seine Lager, indem die Ware einem typischen Ladenplan entsprechend platziert wurde. Dazu definierte es Warengruppen, die sich in den Läden nebeneinander befanden, und sorgte dafür, dass diese im selben Kommissionierbereich im Lager positioniert wurden. DER ERFOLG Unter anderem wurde dadurch erreicht, dass die Wege, die das Personal bei der Regalbefüllung zurücklegen musste, um 20 Prozent verkürzt wurden. Zudem konnte der Zeitaufwand für Befüllungsarbeiten um knapp zehn Prozent pro Woche und Laden reduziert werden. Die laufende Erfassung von Warengruppen sorgte dafür, dass Neulistungen und saisonale Sortimentsänderungen problemlos berücksichtigt werden konnten. Abbildung 4: Reduzierung der Laufwege beim Auffüllen der Regale VORHER ENTFERNUNG FÜR DIE BEFÜLLUNG 20% KÜRZERE LAUFWEGE 10% WENIGER ZEIT FÜR REGALBEFÜLLUNG Quelle: Oliver Wyman-Analyse 40 NACHHER Operations FALLSTUDIE 2 WARTEZEITEN AN DEN KASSEN REDUZIEREN DIE HERAUSFORDERUNG Die meisten Einzelhändler haben Check-out-Systeme mit Sicherheitsvorkehrungen zur Bekämpfung von Missbrauch und Diebstahl. Diese Systeme erfordern unter Umständen häufige Genehmigungen durch die Marktleitung, was die Wartezeiten an den Kassen für die Kunden zusätzlich verlängert. DIE LÖSUNG Nach Empfehlung von Oliver Wyman wurden alle Check-out-Aktivitäten, bei denen eine Genehmigung des Marktleiters erforderlich ist, aufgelistet und ihre Häufigkeit sowie der dafür erforderliche Zeitaufwand erfasst. Die Kassenrichtlinien der Zentrale wurden daraufhin aktualisiert, wobei nur die wirklich notwendigen beibehalten wurden. Einige genehmigungspflichtige Warnungen entfielen damit vollkommen und die Richtlinien der Zentrale in Bezug auf die Mindestbestände an Wechselgeld in jeder Kasse wurden revidiert. DER ERFOLG Wie Abbildung 5 verdeutlicht, konnten mit der Anpassung dieser Richtlinien 90 Prozent weniger Rufe des Filialleiters zur Kasse erreicht werden, während gleichzeitig das Risiko von Missbrauch niedrig gehalten wurde. Bei diesem Einzelhandelsunternehmen entsprach das fünf bis zehn Stunden der Marktleiter- und Kassiererzeit pro Woche und vor allem entsprechend kürzeren Wartezeiten für die Kunden. Abbildung 5: Änderungen der zentralen Regelungen reduzieren Ineffizienzen beim Check-out 15–20 Rufe pro Tag/Laden -90% 1–2 Rufe pro Tag/Laden Vor der Maßnahme Nach der Maßnahme Quelle: Oliver Wyman-Analyse 41 FALLSTUDIE 3 REGALLÜCKEN VERRINGERN DIE HERAUSFORDERUNG Hohe Produktverfügbarkeit ist ein Schlüsselfaktor für Kundenzufriedenheit und verhindert Umsatzausfälle (vgl. Abbildung 6). Für Regallücken gibt es viele verschiedene Gründe. Das Beispiel eines Einzelhändlers zeigt, dass circa 60 Prozent der Out-of-Stocks in den Läden selbst verursacht wurden (beispielsweise durch Probleme beim Auffüllen, beim manuellen Bestellmanagement oder bei der Regalpflege), während etwa 40 Prozent aller Regallücken auf Prozesse in der Zentrale zurückzuführen waren (vgl. Abbildung 7). DIE LÖSUNG Die Zentrale modifizierte die Systeme zur Prognose des Warenbedarfs, optimierte die Lieferhäufigkeit und stellte bessere Tools für die Bestandsverwaltung bereit. In Ergänzung zu den Verbesserungen wurden In-Store-Schulungen durchgeführt, bei denen alle Mitarbeiter mit Einfluss auf die Produktverfügbarkeit die kritischsten Szenarien durchspielen konnten und neue Tipps und Tricks zur Vermeidung von Out-of-Stocks vermittelt bekamen. DER ERFOLG Die Regalverfügbarkeit stieg um mehrere Prozentpunkte, insbesondere in kritischen Zeiten wie vor gesetzlichen Feiertagen oder Großereignissen. Dank der Verbesserungen an den automatischen Prognosesystemen waren weniger manuelle Eingriffe erforderlich. Insgesamt wurde der Prozess für die Bestands- und Regalauffüllung verschlankt. Abbildung 6: Wie Kunden auf Out-of-Stocks reagieren ANTEIL AM GESAMTWERT 32% Gänzlicher Verzicht 12% Kauf bei Konkurrenz Ersatz (teurer) 5% 32% Ersatz (gleicher Preis) 12% Ersatz (günstiger) Beim nächsten Einkauf 7% Quelle: Oliver Wyman-Analyse Abbildung 7: Warum sind Waren nicht vorrätig? FEHLER IM LADEN 60% FEHLER IN DER ZENTRALE 15% FEHLER IM LAGER 15% FEHLER DES LIEFERANTEN 10% Quelle: Oliver Wyman-Analyse 42 Entgangener Umsatz = 44% Operations FALLSTUDIE 4 BESSERE ENTSCHEIDUNGEN DURCH NUTZUNG VON DATEN DIE HERAUSFORDERUNG Die meisten Einzelhandelsunternehmen können große Datenmengen nutzen, um viele verschiedene Auswertungen zu generieren. Oft aber können sie nicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen. In vielen Fällen befinden sich KPIs und Auswertungen innerhalb von Silos. Erfahrungen zeigen, dass beispielsweise in Berichten zweier Abteilungen der gleiche KPI ausgewiesen werden sollte, sich dann aber herausstellte, dass jeder Indikator auf einer anderen Berechnungsgrundlage ermittelt wurde. In isolierten Auswertungen bleibt die Wirkung von Entscheidungen auf andere Abteilungen unberücksichtigt, zum Beispiel Entscheidungen des Vertriebs, die sich auf die Logistik auswirken. Ein Unternehmen kann so keine bereichsübergreifenden Verbesserungen vorantreiben. Bei einem Einzelhandelsunternehmen (vgl. Abbildung 8) änderte etwa das Category Management die Ladenplanogramme, ohne den Aufwand für die Reorganisation aller Regale in den Märkten zu berücksichtigen. DIE LÖSUNG Wir prüften ein radikal neues Verbesserungskonzept: die Abschaffung aller bestehenden Auswertungen und einen kompletten Neuanfang. Ziel war die Vereinfachung und Harmonisierung der Berichte. In Bezug auf die Planogrammänderungen führten wir einen KPI ein, der den Category Managern in der Zentrale die wahren Kosten von Category-Veränderungen im Laden vor Augen führte. Bei der Hälfte aller Planogrammänderungen wurden 50 Prozent der Artikel neu positioniert, wobei aber nur knapp 10 Prozent neue Produkte enthalten waren. DER ERFOLG Das Ergebnis war ein großer Schritt in Richtung einer erhöhten Transparenz der Entscheidungsprozesse. Den Category Managern half der KPI bei der Änderung ihrer Vorgehensweisen. Nur noch wenige Neulistungen beziehungsweise Auslistungen verursachten umfangreiche Regalplatzwechsel von Artikeln, und alle Modifikationen, die erforderlich waren, wurden zusammengefasst, um ineffiziente Reorganisationen in den Läden zu minimieren. Abbildung 8: Identifizierung ineffizienter Category-Modifikationen, die in einem Dreimonatszeitraum vorgenommen wurden ANTEIL NEUER ARTIKEL IN PROZENT 30 25 20 15 10 5 0 20 30 40 50 60 70 80 ANTEIL VON ARTIKELN, DIE IHRE POSITION WECHSELTEN IN PROZENT 90 100 Quelle: Oliver Wyman-Analyse Hinweis: Jeder Punkt = 1 Planogrammänderung 43 The ECR Europe Shrinkage & On-shelf Availability Group EINBLICK ECR-KOOPERATION ZU „SELL MORE, WASTE LESS“ Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung sind heutzutage allgegenwärtig in politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Diskussionen. Speziell im Handel sind diese Diskussionen sehr real, da für Händler Lebensmittelabfälle neben einem negativen gesellschaftlichen Effekt auch direkte Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit haben. Tatsächlich entsteht der größte Anteil an Verlusten jedoch nicht beim Händler oder in der Supply Chain, sondern direkt beim Konsumenten. Dennoch hat der Händler auf dem Weg „vom Feld auf die Gabel“ eine Schlüsselposition, um Lebensmittelverschwendung entlang der Wertschöpfungskette nachhaltig zu reduzieren und dabei auch die eigene Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Mehr Informationen dazu bietet der Point of View „Schluss mit der Lebensmittelverschwendung“, den wir Ihnen auf Wunsche gerne zusenden. Händler stehen dabei oftmals vor der Herausforderung, den Zielkonflikt zwischen möglichst niedrigen Abschriften und guter Regalverfügbarkeit zu meistern. Ein zu starker Fokus auf eine der Dimensionen kann schnell zu einer gefährlichen Abwärtsspirale führen: Entweder drohen Einbußen durch hohe Abschriften oder es kommt zu Umsatzverlusten durch Lücken und unattraktive Optik am POS. Die gute Nachricht ist, dass auf der anderen Seite sorgfältig geplante Programme mit den richtigen Maßnahmen beide Dimensionen gleichzeitig verbessern können. Die am 20. Oktober 2015 von der ECR Europe Shrinkage & On‑shelf Availability Group veranstaltete Konferenz zum Thema „Sell More, Waste Less“ in London adressierte genau diese Herausforderungen. Führende europäische Einzelhändler und Lebensmittelproduzenten tauschten sich im Rahmen von Vorträgen, Round-Table-Diskussionen und Workshops über Fallstudien und Erfolgsbeispiele aus. Stefan Winter, Partner und Handelsexperte bei Oliver Wyman, stellte dabei internationale Best Practices zur Eindämmung von Lebensmittelverschwendung vor und sprach unter anderem über die wachsende Bedeutung einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Händlern und Produzenten. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Konferenz war zudem die Vorstellung der neuesten Ergebnisse der Forschungsgruppe Retail Operations der Technischen Universität Eindhoven. Auf Basis realer Abverkaufs- und Abschriftdaten führender europäischer Händler konnte im Rahmen dieser Studie erstmalig ein aussagekräftiger Ansatz für das optimale Zusammenspiel zwischen Abschriften und Verfügbarkeit hergeleitet werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse können Händler eine Einordnung ihres eigenen Verfügbarkeits- und Verlustniveaus vornehmen und entlang eines Maßnahmenkatalogs erste Ansatzpunkte definieren. Die Frische insgesamt und die Abschriften sind zusammen die wahrscheinlich am wenigsten beachteten und ausgereizten Hebel im Lebensmittelhandel. Bei gemeinsamer Optimierung von Frische und Abschriften können auf einer Umsatzbasis von 10 Milliarden Euro bis zu 60 Millionen Euro Zusatzertrag generiert werden – bei gleichzeitig steigenden Umsätzen und einer verbesserten Marktpositionierung. DIE NEUE IT IM EINZELHANDEL WIE SICH DIE IT VON HEUTE AUF DIE WELT IN DREI JAHREN EINSTELLEN MUSS 46 Operations Innovationen aus der IT-Abteilung werden künftig einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg jedes Einzelhändlers leisten. Bei einigen Unternehmen hat die Zukunft bereits begonnen. Mithilfe der IT können sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie ihre Onlinekunden bewegen. Damit verändert sich auch die Rolle der IT: Sie übernimmt eine geschäftstreibende statt eine unterstützende Funktion. Wann ein CIO seine Abteilung als Innovationsmotor positionieren kann, hängt weitgehend von der Nachfrage nach digital gestützten Einkaufserlebnissen ab. Mittlerweile ist der Wandel im Verbraucherverhalten weit fortgeschritten. Die Frage lautet dann nicht mehr wann, sondern wie sich ein Unternehmen neu aufstellen muss. Davon sind auch CIOs im Einzelhandel überzeugt. Viele sind aber nach wie vor unsicher, wie sie den Übergang gestalten sollen, ohne das operative Geschäft oder ihre Organisation zu gefährden. Das Aufkommen digitaler Unternehmen hat die Rolle der IT grundsätzlich verändert. In den meisten Fällen unterstützt die IT dort nicht mehr den Betrieb, sondern gestaltet ihn und ist das Herzstück des Geschäftsmodells von Einzelhändlern wie Amazon oder Instacart sowie von Onlineanbietern wie Uber oder Airbnb. 47 Die folgende Checkliste zeigt die vier wichtigsten Ziele für CIOs im Einzelhandel, um den anstehenden Transformationsprozess zum Erfolg zu führen. Dieser Artikel erläutert, wie diese Ziele erreicht werden können. DIE VIER WICHTIGSTEN ZIELE FÜR DEN CIO Werte schaffen statt Aufträge abarbeiten Das Betriebsmodell der Zukunft festlegen Eine neue Generation von „TechnologieFünfkämpfern“ heranziehen Sich auf den Ziel- und nicht auf den IstZustand fokussieren 1. W ERTE SCHAFFEN STATT AUFTRÄGE ABARBEITEN CHECKLISTE FÜR DEN CIO Identifizieren Sie mögliche geschäftstreibende Aufgaben der IT und befreien Sie die Abteilung aus ihrer bisher ausführenden Funktion Zeigen Sie Möglichkeiten auf, um den Unternehmenswert zu steigern. Die IT kann: neue Kunden gewinnen das operative Geschäft effizienter betreiben Innovationen voranbringen NEUE KUNDEN GEWINNEN In digitalen Unternehmen konzentrieren sich spezielle Teams von IT-Experten darauf, zusätzliche Angebote für Kunden zu erarbeiten. Regelmäßig entwickeln sie neue Produkte wie Apps für eine gesunde Ernährung oder Portale für personalisierte Produktentwürfe. Genauso wichtig ist ihre fortlaufende Suche nach neuen Möglichkeiten der Informationsnutzung, um das Kundenerlebnis einfacher, ansprechender und über alle Kanäle hinweg konsistenter zu machen. 48 Operations Längst gehen nicht mehr nur Start-ups im Silicon Valley so vor. Auch in Supermärkten sind „Augmented Reality“-Apps mittlerweile weit verbreitet. Sie liefern Konsumenten zusätzliche Informationen über Produkte sowie Aktionen und lassen sich für Teilnehmer von Kundenbindungsprogrammen leicht personalisieren. In jüngster Zeit haben auch Non-FoodAnbieter wie Shiseido, De Beers, Topshop, American Apparel und IKEA neue Möglichkeiten für den digitalen Zugriff auf ihre Produkte geschaffen und das Einkaufserlebnis zugleich vereinfacht und erweitert. So wie Amazon sämtliche Informationen über das Suchverhalten der Nutzer für Up- und CrossSelling nutzt, können auch stationäre Einzelhändler Konsumenten an der Ladentür identifizieren, auf Kundendaten zu Vorlieben und digitalen Warenkörben zugreifen und so personalisierte Angebote erzeugen. Vorreiter in Sachen moderner IT im Einzelhandel können solche kundennahen Entwicklungen zügig in einen iterativen Prozess bis hin zu einer brauchbaren Betaversion bringen. Ein solches Vorgehen widerspricht allerdings in vielerlei Hinsicht der gewohnten Arbeitsweise traditioneller IT-Abteilungen. Zudem muss die IT-Landschaft flexibel genug sein, um die kontinuierlichen Neuentwicklungen auch integrieren zu können. Wer beispielsweise SAP HANA für CRM- und Business-Intelligence-Anwendungen nutzt, kann eine bislang unbekannte Datenmenge in kürzester Zeit verarbeiten und damit weitere IT-Anwendungen speisen, die diese Informationen nutzen. Das Schlagwort lautet „Realtime-Retail“. DAS OPERATIVE GESCHÄFT EFFIZIENTER BETREIBEN Etablierte Einzelhändler sollten von digitalen Wettbewerbern lernen, wie sich das eigene Angebot gestalten und ein ansprechendes sowie zuverlässiges Multikanaleinkaufserlebnis schaffen lässt. Doch mit dem Einsatz moderner Technologie können diese Unternehmen noch erheblich mehr erreichen. Jede noch so kleine Effizienzsteigerung ist wertvoll, wenn man bedenkt, dass die meisten Handelszweige durch niedrige Margen und große Filialnetze charakterisiert sind. Die IT kann Einzelhändler gleich auf dreifache Weise unterstützen: durch einen höheren Automatisierungsgrad, verfeinerte Algorithmen und eine verstärkte Nutzung von Business-Intelligence-Lösungen. HÖHERER AUTOMATISIERUNGSGRAD Die IT kann die Selbstbedienung von Kunden fördern sowie wiederkehrende Aufgaben automatisieren und so die Personalkosten im Handel deutlich senken. Obwohl bereits positive Beispiele in Filialen existieren – im klassischen Verkauf ebenso wie bei digitalen Werbedisplays und automatisierten Kassensystemen –, gibt es noch Potenzial. Durch eine Automatisierung individueller Serviceleistungen wie Rückerstattungen oder der Hilfe bei der Orientierung in den Läden lassen sich ganze Elemente des Einkaufsprozesses neu erfinden und damit die Effizienz steigern. So rationalisieren beispielsweise Einzelhändler den Check-out-Prozess durch den Einsatz von Self-Scanning- und POS-Systemen. In Zukunft ist auch der Ersatz menschlicher Arbeitskräfte durch kostengünstigere Roboter bei der Regalauffüllung denkbar. Schon heute experimentieren Anbieter wie Nespresso, Best Buy und The Body Shop mit der Automatisierung ganzer Filialen. 49 Abbildung 1 WIE DIE IT DAS AKTIONSPROGRAMM EINES UNTERNEHMENS VERBESSERTE UND EINEN MEHRWERT IN MILLIONENHÖHE SCHUF Navigation ◄ Food Pasta & Rice Pasta Sauce Category | Pasta Sauce Filter Promotions All Suppliers W37 FY14 Add Promotions Create a New Promo ► Saved Promos ► Today W38 FY14 +3 Ad Planning Report ► Perf. Management ► Change Report ► Economics Deep Dive ► Summary Report ► Financial Tracker ► HINTERGRUND Ein Einzelhändler drohte in eine Krise zu geraten, da seine Preise 25 Prozent über dem Niveau der Onlinekonkurrenz lagen. Ein Aktionsprogramm war nötig, um eine nachhaltige Finanzierung für Preissenkungen zu erreichen. 50 Period Quarter W39 FY14 +4 Sep 22 – Sep 28 Sep 29 – Oct 5 Oct 6 – Oct 12 4 Promos 4 Promos 7 Promos 2G 2Y Forecast Reports Week 2G 2Y 543,075 Markdown 547,507 Markdown Sales $120,168 Sales $134,904 Sales In-Store 0.98 SE 0.14 ME 3 ROLLE DER IT Unter Einsatz agiler Technologien entwickelte Oliver Wyman eine nutzerfreundliche Anwendung, die sämtliche Informationen für eine verbesserte Entscheidungsfindung über Aktionen und wettbewerbsfähige Preise anschaulich zusammenfasste. Mit der Anwendung gelang es, Branchenwissen und eigene Analyseergebnisse sowie darauf basierende Modelle in bestehende Geschäftsprozesse zu integrieren. +5 2G 5Y Forecast Forecast Markdown 1.22 SE Year 0.04 ME 543,075 $120,168 1.07 SE -0.01 ME 3 4 ERFOLG • Qualitativ hochwertige, analytisch basierte Entscheidungen • Kontrolle und Ergebnisverantwortung bei den Einkäufern • Zeitersparnis • Lernfähiges System, das die Strategie mit Informationen versorgen konnte • Durch IT generierte Liquidität Operations VERFEINERTE ALGORITHMEN Einzelhändler nutzen bereits die enorme Menge an gesammelten Daten für Effizienzverbesserungen in Echtzeit. Sie erarbeiten dazu Algorithmen, die detaillierte Entscheidungen ohne Einschaltung eines Managers ermöglichen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen dies: •• Die Anzahl der Arbeitskräfte an den Kassen lässt sich automatisch über Infrarotsensoren steuern. Sie erfassen die Besucherzahl am Eingang eines Ladens. •• Aufforderungen zur Regalauffüllung lassen sich automatisch erzeugen, wenn die Verkaufszahlen einen niedrigen Warenbestand signalisieren. Dessen ungeachtet bestehen weitere Optimierungsmöglichkeiten. Ein britischer Einzelhändler berichtet beispielsweise für das Jahr 2014 über Einsparungen entlang der Lieferkette in Höhe von 150 Millionen US-Dollar. Der Einsatz von Big Data ist auch bei anderen Themen wie der wetterabhängigen Nachfrage oder der Prognose von Retouren interessant. VERSTÄRKTE NUTZUNG VON BUSINESS-INTELLIGENCE-LÖSUNGEN In vielerlei Hinsicht liegt das größte Potenzial der IT im Einsatz moderner Business-IntelligenceLösungen: Es geht um Managementinformationssysteme, die Führungskräften im Einkauf und im Ladenbetrieb schnellere sowie bessere Entscheidungen ermöglichen. Jede Woche fallen Hunderte wichtige Entscheidungen. Angesichts des bestehenden Zeitdrucks kann es einen großen Unterschied machen, ob die Manager die richtigen Informationen per Knopfdruck in einem nutzerfreundlichen, leicht zugänglichen Format abrufen können. Das Beispiel in Abbildung 1 zeigt, wie der Einsatz moderner Business-Intelligence-Lösungen die Entscheidungen im Einkauf verändern kann. INNOVATIONEN VORANBRINGEN Mit der wachsenden Bedeutung der IT für die Prozesse im Kerngeschäft und die Entwicklung des Angebots verändert sich auch ihre Position im gesamten Unternehmen. Angesichts des rasanten Wandels fällt ihr eine zentrale Rolle bei Innovationen, der Strategie und der Weiterentwicklung des bestehenden Geschäfts zu. Dies zieht eine grundlegende Veränderung der bisherigen Rolle vieler IT-Abteilungen im Einzelhandel nach sich. Sie konzentrierten sich in der Vergangenheit auf einen reibungslosen Betrieb oder arbeiteten an einer schrittweisen Optimierung bestehender technischer Prozesse, um diese zehn Prozent besser, schneller oder günstiger zu machen. Mehr als alles andere beeinflussen die anstehenden Veränderungen die Rolle des CIO selbst. Es kann daher Sinn machen, den Job in zwei Positionen aufzuteilen: einen Chief Technology Officer und einen Chief Innovation Officer. Unabhängig davon sollten CIOs auf jeden Fall strategische Partner für die Geschäftsführung und den CEO werden und ihnen die Vorteile digitaler Ansätze näherbringen. Dazu bedarf es eines weitreichenden Verständnisses für die Dynamik des Markts, die Wünsche der Verbraucher, die Wettbewerbslandschaft sowie Risiken und Chancen. Darüber hinaus müssen CIOs in der Lage sein, Umbrüche vorab zu erkennen und die Organisation entsprechend vorzubereiten sowie diese später sicher durch Turbulenzen zu steuern. 51 Insgesamt dürfen sich die IT und der CIO nicht mehr länger als Enabler, als ausführendes Organ, verstehen: Sie treiben nunmehr direkt das Geschäft. Auch wenn operative Effizienz und ein reibungsloser Geschäftsbetrieb unverändert wichtig sind, sind sie isoliert betrachtet irrelevant. In der neuen Welt des Multikanaleinzelhandels ist es für einen CIO genauso wichtig, Innovationen und kreative Lösungen zu entwickeln, die in einen echten Wettbewerbsvorteil münden. Der Wandel von einem ausführenden zu einem geschäftstreibenden Organ revolutioniert den Arbeitsalltag vieler IT-Abteilungen. Glücklicherweise schafft die Evolution der IT-Branche selbst neue Möglichkeiten der Bereitstellung von IT. Zusammengenommen führen beide Entwicklungen dazu, dass die IT-Abteilungen im Handel künftig deutlich anders aussehen werden als heute. 2. D AS BETRIEBSMODELL DER ZUKUNFT FESTLEGEN CHECKLISTE FÜR DEN CIO Definieren Sie den Weg hin zu einer kleineren, schlankeren und besseren IT-Abteilung: Entwickeln Sie eine klare Vision für das künftige Betriebsmodell Erkennen Sie, welche Prozesse weiter intern betrieben werden sollten und was sich outsourcen lässt Analysieren Sie, wo die Intelligenz in der IT tatsächlich liegt Identifizieren Sie, welche Leistungen austauschbar sind und welche Technologien das Geschäft künftig differenzieren werden Investieren Sie, um die Konkurrenz bei differenzierenden Faktoren auszustechen, und reduzieren Sie die Kosten für nicht-differenzierende Elemente um mindestens 20 Prozent Entwickeln Sie im Team einen Plan für die notwendige Transformation, damit die IT ihre langfristigen, geschäftstreibenden, strategischen Ziele auch wirklich erreichen kann Im digitalen Zeitalter müssen Unternehmen die IT nicht mehr selbst bereitstellen und betreiben. Sie können diese stattdessen als Dienstleistung einkaufen. Auch der Besitz von Servern ist nicht mehr notwendig. Der Browser ist nun die universelle Schnittstelle. Daher entkoppeln sich Infrastruktur und Anwendungen immer weiter. Mit einer einzigen Transaktion lassen sich Entwicklungsumgebungen, entsprechende Backup- und Recovery-Lösungen, das DatenbankSetup und die webbasierte Programmierung in einer Cloud-Umgebung einkaufen. Produktionsumgebungen können durch Platform-as-a-Service-(PaaS-) oder Hosting-Lösungen ersetzt werden, und selbst die Softwareentwicklung lässt sich als Dienstleistung einkaufen. Die Notwendigkeit, in nicht-differenzierenden Bereichen Experten zu rekrutieren und zu schulen, sinkt daher. Das Outsourcing von Routineanwendungen sowie nicht-strategischen und unterstützenden Anwendungen in Bereichen wie Flächenmanagement, Warenauswahl, Kassensystemen und Lieferservice an Serviceprovider ist nahezu immer möglich. Die meisten Anwendungen werden über die Cloud verfügbar sein. Auch im Einzelhandel wird sich das Software-as-a-Service-(SaaS-) Modell durchsetzen. 52 Operations Abbildung 2: Die drei Entwicklungsstufen der IT im Einzelhandel SCHRITT 1 TRADITIONELL SCHRITT 2 ÜBERGANGSPHASE SCHRITT 3 KÜNFTIGE AUFSTELLUNG STORE STORE STORE Business Intelligence Business Intelligence Business Intelligence Business Intelligence Marketing Marketing Marketing Marketing Intel. Layer Intelligence Layer Betrieb Betrieb Betrieb Intel. Layer Einkauf Betrieb Intelligence Layer Einkauf Einkauf Einkauf Intelligence Layer Planung Planung Planung Planung Intelligence Layer Support Support Support Austauschbar (eigener Betrieb nicht unbedingt erforderlich) Nicht-strategisch (eigener Betrieb für den Übergang ratsam) Strategisch (eigener Betrieb dauerhaft ratsam) Es ist bereits möglich, ganze Prozesse als Dienstleistungen einzukaufen – sei es „vom Einkauf bis hin zur Bezahlung (procure-to-pay)“ oder „von der Einstellung bis hin zur Pensionierung (hire-to-retire)“ – und dieser Markt dürfte in Zukunft weiter wachsen. Damit sind niedrigere Aufwendungen verbunden, da die notwendigen Investitionen und operativen Kosten auf mehrere Schultern verteilt sind und der Nutzungsgrad von Hard- und Software dank dynamischem Kapazitätsmanagement steigt. Damit ist auch eine erheblich höhere, schon für sich genommen erfolgsentscheidende Flexibilität verbunden. Nur durch den Einsatz von PaaS- und SaaS-Modellen kann die IT die notwendige Flexibilität erreichen, um eine uneingeschränkte Mobilität und eine durchgängige End-to-End-Konnektivität zu gewährleisten oder verschiedene Bausteine wie neue Anwendungen für Kunden in die bestehende Infrastruktur zu integrieren, um so die Kapazität wie erforderlich hochzuskalieren. Dessen ungeachtet dürften sich Einzelhändler selbst in sogenannten nicht-strategischen Bereichen entscheiden, die Schlüsselprozesse im erfolgskritischen „Intelligence-Layer“ weiterzubetreiben. Dort befinden sich sämtliche Informationen, sich daraus ergebende Erkenntnisse und Steuerhebel. Je stärker der Einkauf bei Dritten an die Stelle des eigenen Betriebs rückt, desto stärker entwickelt sich die IT-Abteilung zu einem Spezifizierer und Beschaffer von IT-Services. Die Entwicklung von Mechanismen zur Risiko-Nutzen-Teilung wird dadurch zu einem erfolgskritischen Faktor. Selbst betreibt die IT danach nur noch strategisch wichtige, das Unternehmen differenzierende Anwendungen. Entwicklung, Betrieb und Wartung einiger dieser Anwendungen – beispielsweise für das Kundenmanagement, Pricing, Aktionen und die Weiterentwicklung des 53 Leistungsspektrums – sollten sich Einzelhändler wie bislang vorbehalten. Das gilt vor allem für die übergeordneten Prozesse. Unterstützende Teilprozesse beziehungsweise Tools für Markttests, Sortimentsplanung oder Kundenanalysen lassen sich durchaus zukaufen. Damit sinkt insgesamt der Anteil der Eigenentwicklungen im IT-Modell der Zukunft. Die Herausforderung für CIOs liegt darin zu entscheiden, wo sie die knappen internen Ressourcen bestmöglich differenzierend und geschäftstreibend einsetzen und was sich gefahrlos und kostensparend outsourcen lässt. Sie müssen dazu vor allem die relative Bedeutung von Innovationen, Kosten und Elastizitäten der verschiedenen Bereiche ihres Unternehmens kennen. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Entwicklung bis hin zum gewünschten Endstadium. In diesem Fall plante ein stationärer Einzelhändler binnen zwei bis drei Jahren zu einem Omnichannelanbieter zu migrieren. Bislang hatte die interne IT-Abteilung proprietäre Systeme zur Unterstützung sämtlicher Bereiche betrieben. Der CIO verstand aber die Notwendigkeit, künftig zwischen strategischen Themen und solchen zu differenzieren, die sich outsourcen lassen. Die internen Ressourcen konnten sich so auf die strategischen Themen konzentrieren. Es bedurfte einiger Zeit und einer entsprechenden Lernkurve für die Entwicklung zukunftsfähiger Prozesse und Systeme für die Onlinewelt. Doch nach und nach gelang mithilfe eines Portfolioansatzes der Aufbau eines kanalübergreifenden Systems, das viele Standardelemente nutzte und zugleich differenzierende und proprietäre Intelligence-Layer enthielt. 3. E INE NEUE GENERATION VON „TECHNOLOGIEFÜNFKÄMPFERN“ FÖRDERN CHECKLISTE FÜR DEN CIO Verstehen Sie, was in der neuen IT-Welt nicht länger gebraucht wird Stellen Sie sicher, dass das IT-Team über mehrere unterschiedliche Fähigkeiten verfügt, um sich in der neuen Welt auszuzeichnen: Bereitstellung von Architektur und Technologie Know-how über Abläufe im operativen Geschäft Kaufmännisches Gespür Management von Partnern Strategisches Denken Der Portfolioansatz bei der IT-Strategie verändert die Arbeit der IT-Abteilung. Einige Aufgaben verschwinden, während andere an Bedeutung gewinnen. Im Ergebnis wandeln sich Umfang und Zusammensetzung der IT-Abteilung. In der Vergangenheit machten routinemäßige Wartungsarbeiten und Reparaturen einen großen Teil der Arbeit aus. Diese Aufgaben verlieren an Bedeutung, wenn Systeme ausgelagert werden und sich PaaS- und SaaSAnsätze durchsetzen. Der Fokus liegt künftig auf der Entwicklung und Steuerung kritischer Anwendungen, der Integration von IT-Services einer ganzen Reihe von Dienstleistern sowie der Steuerung der Zusammenarbeit mit Lieferanten. 54 Operations Bei strategischen Kernanwendungen müssen die IT-Abteilungen ähnlich wie interne Demand Manager handeln und über umfassende betriebswirtschaftliche und funktionale Kenntnisse verfügen. Da zahlreiche externe Dienstleister zu koordinieren sind, bleibt auch die IT‑Architektur eine interne Aufgabe. Dabei sind zunehmend Geschäftssinn sowie Pragmatismus in Sachen Technik und Umsetzung bei den internen Enterprise-Architekten gefordert. Bei nicht-strategischen und unterstützenden Anwendungen agiert die IT-Abteilung dagegen als eigenständige Servicemanagementorganisation. Sie überwacht die Arbeit der externen Lieferanten, um sicherzustellen, dass die eigene Organisation letztendlich die Kontrolle über die IT-Services behält und die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Während einige Aufgaben verschwinden, entstehen auch neue. Da die IT immer stärker gefordert ist, strategische Initiativen voranzubringen, die das gesamte Unternehmen verändern, muss sie ein vollwertiger Partner in Entscheidungsprozessen werden sowie betriebswirtschaftlich denken und kommunizieren. Dazu bedarf es neuer Positionsprofile, die technikgetriebene Geschäftsideen ebenso aufspüren wie Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung durch verstärkten IT-Einsatz. Abbildung 3: „As-a-Service“-Betriebsmodelle und veränderte interne Funktionen ermöglichen eine Reduzierung der IT-Kosten NORMALISIERTES IT-BUDGET IM VERGLEICH ZUR AUSGANGSLAGE IN PROZENT 35–45% • Nachfragereduzierung • Konsolidierung der Lieferanten • Neuverhandlung von Verträgen • Reduzierung von Service Level Agreements 15–25% • As-a-Service – Infrastruktur – Software – Entwicklung 20–30% 100 80 Mitarbeiterzahl Betrieb Mittel 60 Mittel Hoch Mitarbeiterzahl Entwicklung Hoch 40 Niedrig 20 Niedrig/ Mittel Niedrig/ Mittel Niedrig/ Mittel 0 Ausgangslage Nach einem traditionellen Programm zur Kostenreduzierung Kosten für Infrastruktur über Lebensdauer Kosten für Software über Lebensdauer Schrittweiser Übergang zu einem „As-a-Service“-Modell Quelle: Oliver Wyman-Analyse 55 Unterdessen ändert sich der Arbeitsalltag der Softwareentwicklung vom Wasserfallmodell hin zu agilen Ansätzen, bei denen man das Ergebnis nicht unbedingt bereits vor Beginn der Arbeit kennt. Flexibles Denken und flexible Werkzeuge sind daher unverzichtbar. Dies alles führt zu einem radikalen Wandel der Stellenbeschreibungen für die internen IT-Kräfte. In Zukunft brauchen Einzelhändler eine Truppe von „IT-Fünfkämpfern“, die über eine breite Spanne von Dienstleistern hinweg IT-Services auswählen, einkaufen und integrieren können. Damit entsteht eine noch höher qualifizierte, doch dafür kleinere IT-Abteilung. Die Veränderungen bei der Bereitstellung von IT-Services verändern auch die IT-Kostenstruktur von Einzelhändlern. Heute bewegen sich die Kosten in diesem Sektor üblicherweise auf einem Niveau von 0,7 bis 1 Prozent des Umsatzes, in Einzelfällen oder während großer Transformationsprogramme deutlich darüber. Werden traditionelle Methoden der Kostenreduzierung und zugleich „As-a-Service“-Ansätze genutzt, lassen sich diese Kosten, wie Abbildung 3 zeigt, um bis zu 50 Prozent senken. 4. V OM ZIEL- UND NICHT VOM IST-ZUSTAND HER DENKEN CHECKLISTE FÜR DEN CIO Bringen Sie das IT-Team und die Geschäftsleitung dazu, über die übliche Dreimonatsfrist hinauszudenken, und beginnen Sie, von dem angestrebten Ziel in drei Jahren an rückwärts zu planen Entwerfen Sie einen Plan, der Strategie und Innovationskraft des gesamten Unternehmens wirklich voranbringt Verstehen Sie den Charakter der Organisation (ist sie zum Beispiel offen für Veränderungen oder eher ablehnend) und richten Sie den Plan entsprechend aus Die bisher beschriebenen Veränderungen sind eine große Herausforderung für etablierte Einzelhändler. Es ist alles andere als einfach, die heute gültigen Ansätze, Fähigkeiten und Infrastrukturen in der IT so weiterzuentwickeln, dass sie den Ansprüchen des Multikanalgeschäfts von morgen genügen. Nach der Erfahrung von Oliver Wyman verweigern sich CIOs und ihre Organisationen manchmal den notwendigen Veränderungen, beschränken sich auf ihre bisherige Rolle als ausführendes Organ und stellen sich nicht der erforderlichen Neuerfindung. Einige denken, dass sich die Transformation im laufenden Betrieb bewältigen lässt, und vertrauen auf den erprobten Ansatz einer schrittweisen, taktisch geprägten Optimierung, um Verbesserungen zu erreichen. 56 Operations Und selbst dort, wo das Verständnis für den erforderlichen radikalen Wandel vorhanden ist, gibt es nur in seltenen Fällen CIOs, die diesen für machbar halten. Angesichts des Tagesgeschäfts sowie eines ständigen Drucks auf die operativen Kosten und Investitionen ist dies auch verständlich. Eines der größten Probleme liegt in der „Evolutionsfalle“ und damit in dem Glauben, dass sich eine effektive IT-Architektur durch eine Abfolge kleiner Schritte erarbeiten lässt. Der Einzelhandel ist generell besonders gut darin, kleinteilige Fortschritte zu erzielen und endlose Schleifen geringfügiger Optimierungen zu durchlaufen. Bis vor Kurzem lag hier auch der Schlüssel zum Erfolg in einer hart umkämpften Branche, die den technologischen Wandel tendenziell nur begrenzt spürte. Doch angesichts der Bedrohung durch den Onlinehandel reichen solche schrittweisen Veränderungen nicht mehr aus, um das Überleben zu gewährleisten. Die Lösung ist eine Fokussierung der IT auf ihre künftigen Aufgaben sowie die Einbindung von Erfahrungen aus anderen Branchen. Am Anfang eines solchen Ansatzes steht die Beschreibung der Position, in der sich ein Einzelhändler in drei bis fünf Jahren befinden muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Danach lassen sich Schritt für Schritt Veränderungen festlegen, um dieses Ziel zu erreichen. Dieser verblüffend einfache Ansatz kann sich als erstaunlich effektiv erweisen, um einem Unternehmen – und dem CIO – das Ausmaß der anstehenden Herausforderungen vor Augen zu führen und aufzuzeigen, dass noch so gut gemachte schrittweise Verbesserungen letztendlich dazu führen, dass ein Unternehmen sich auf eine Zukunft vorbereitet, die bereits der Vergangenheit angehört. FAZIT Der Einfluss des aktuellen Wandels im Einzelhandel auf dessen IT-Abteilungen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Aufgabe des CIO verändert sich von Grund auf. Er leistet mit einem Fokus auf Innovation und Wertschöpfung künftig wesentliche Beiträge zur Gestaltung der Strategie des Gesamtunternehmens, anstatt sich auf eine unterstützende, ausführende Funktion zu beschränken. Die IT-Architekturen werden in Kürze völlig anders aussehen als noch vor zehn Jahren und beziehen unterschiedliche Ansätze bei Aufbau und Betrieb ein. Die IT-Abteilungen benötigen daher ganz andere Fähigkeiten, als sie heute besitzen oder gerade aufbauen. Der Erfolg im Multikanalhandel basiert auf einer komplett veränderten IT-Architektur und einer vollständig anderen Rolle des CIO. Er erfordert nicht weniger als die Neuerfindung der IT. Inkrementelle Verbesserungen werden niemals in der Lage sein, den notwendigen Wandel herbeizuführen. 57 STATIONÄRER EINZELHANDEL WIE DIE GESCHÄFTE IM ONLINEZEITALTER GEDEIHEN KÖNNEN E-Commerce spielt heute überall im Einzelhandel eine Rolle. In einigen Branchen, etwa Buchhandel und Unterhaltungselektronik, kam es bereits zu massiven Verwerfungen und dem Rückzug traditioneller Anbieter vom Markt. In anderen Bereichen, so bei Lebensmitteln und beim Heimwerkerbedarf, hielten sich die Auswirkungen dagegen bislang in Grenzen. Doch dies wird sich ändern. Auch wenn E-Commerce für jeden Einzelhändler früher oder später eine Rolle spielen wird, wird dies nicht jeden Händler im gleichen Ausmaß treffen. Der Onlinehandel verstärkt selbst geringfügige Vorteile bei der Wettbewerbsfähigkeit und der Finanzkraft. Und wenn ertragsschwache Filialen schließen müssen, können die verbleibenden Standorte ihren Absatz eventuell sogar steigern. Das dynamische, von massiven Veränderungen geprägte Umfeld bildet damit nicht nur eine Bedrohung, sondern bietet auch neue Chancen und Perspektiven. DIE BEDROHUNG ALLE HANDELSSEGMENTE SIND BETROFFEN, MANCHE MEHR, ALS ES ZUNÄCHST SCHEINT Es ist keine Überraschung, dass der Onlinehandel in den Branchen am schnellsten wächst, in denen die Produkte hochpreisig, gut vergleichbar und leicht per Post zu versenden sind. Obwohl verderbliche, sperrige oder schwer auszuliefernde Produkte weniger für den Onlineeinkauf geeignet scheinen, sehen sich auch die stationären Einzelhändler in diesen Bereichen einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt. In vielen Fällen stehen sie bereits auf Messers Schneide: Nachfrage und Umsatz wachsen allenfalls langsam und die gesamte Verkaufsfläche im Markt ist zu groß. Schon eine leichte Verschiebung des Absatzes in Richtung Onlinehandel wird unweigerlich zu Filialschließungen führen und letztendlich einige Unternehmen zum Rückzug vom Markt zwingen. Da der Einzelhandel durch hohe Fixkosten und niedrige operative Ergebnisse geprägt ist, können selbst kleine Absatzverluste den gesamten Gewinn eines Händlers kosten. Besonders gefährdet sind Branchen mit niedrigen Margen. Verglichen mit einem Supermarkt erwirtschaftet ein typischer Baumarkt zwar etwas höhere operative Renditen, aber mit den typischerweise auch höheren Deckungsbeiträgen (in der Regel 30 bis 40 Prozent) kann ein Verlust von zehn Prozent der Umsätze an Onlineanbieter bereits den gesamten operativen Gewinn eliminieren. Baumärkte sind damit gegenüber einem Vordringen des Onlinehandels sehr verwundbar, obwohl sich viele ihrer Produkte nicht notwendigerweise für das E-Commerce-Geschäft eignen. Auf der anderen Seite erweisen sich Branchen mit höheren operativen Gewinnen als widerstandsfähiger. Gute Beispiele sind die Märkte für Gesundheit und Kosmetik, Brillen und Schmuck. Aus Sicht eines einzelnen Händlers dürfte diese Tatsache mehr Bedeutung haben als die prinzipiell gute Eignung ihrer Märkte für das Onlinegeschäft. Abbildung 1 verdeutlicht diesen Punkt am Beispiel des deutschen Einzelhandels. Die Verwundbarkeit leicht zu versendender Produkte mit hohen Margen ist offensichtlich. Doch zugleich zeigt sich das Risiko für Teilmärkte mit Produkten mit niedrigen Margen wie Lebensmittelhandel und Baumärkte. Angesichts einer strukturbedingt besonders niedrigen Profitabilität reagieren sie selbst auf geringe Mengenverluste sehr empfindlich. Trotz der unterschiedlichen Bedeutung des E-Commerce-Wachstums für die einzelnen Handelsbranchen ist Oliver Wyman überzeugt, dass es letztendlich in nahezu allen Märkten zu einer Konsolidierung kommen wird. Abbildung 1: Die Verwundbarkeit von einzelnen Handelsbranchen in Deutschland durch den wachsenden E-Commerce-Anteil DURCHSCHNITTLICHE MARGE IN PROZENT 20 Halbwegs geschützt 15 Risiko von Filialschließungen bei weiter steigendem Onlineanteil Filialschließungen finden bereits statt Schmuck und Uhren Brillen Konsumelektronik 10 Sport und Freizeit Unterhaltungsmedien Gesundheit und Kosmetik Kleidung und Schuhe Haushaltswaren Spielwaren und Babybedarf Möbel 5 Baumärkte Bürobedarf Bücher Lebensmittel Relative Branchengröße 0 0 5 10 Quellen: Branchenberichte und Oliver Wyman-Analyse 60 15 20 25 E-COMMERCE-ANTEIL AM GESAMTMARKT IN PROZENT 30 50 Online DIE CHANCE IN JEDER BRANCHE WERDEN SICH DIE ANBIETER UNTERSCHIEDLICH ENTWICKELN Die Unterschiede in der Bedrohung durch einen zunehmenden Onlinehandel betreffen nicht nur den Einzelhandel als Ganzes, sondern auch die einzelnen Unternehmen innerhalb eines Segments – sei es Kleidung, seien es Lebensmittel oder Möbel. Einige Geschäftsmodelle sind besser vor dem Onlinewettbewerb geschützt als andere und Unternehmen mit höheren operativen Ergebnissen sind widerstandsfähiger. Wichtig ist: Die Ertrags- und Finanzkraft eines Unternehmens und seine künftige Entwicklung hängen innerhalb einer Branche (zum Beispiel Lebensmittel versus Lebensmittel) erheblich stärker zusammen als über die verschiedenen Branchen hinweg (etwa Lebensmittel versus Kleidung). Eine häufige Erklärung: Ein hoher Anteil kaum profitabler Filialen spiegelt sich heute nur in relativ geringen Differenzen bei der Profitabilität wider. Aber gerade ein hoher Anteil solcher Filialen kann eine massive Auswirkung auf den Händler haben, wenn die Umsätze der Filialen durch die Bank unter Druck geraten. Ein Vergleich von Händlern auf Basis von Finanzkennzahlen für die Gesamtunternehmen unterschätzt daher tendenziell die Unterschiede in den Erfolgsaussichten für die betrachteten Händler. In dem Beispiel in Abbildung 2 hat der Onlinehandel bereits einen Marktanteil von 15 Prozent erreicht. Eine Verlagerung von analogen hin zu digitalen Produkten belastet die Umsätze zusätzlich. In den kommenden drei Jahren erwartet Oliver Wyman vor diesem Hintergrund in den Filialen Umsatzverluste von drei bis sechs Prozent pro Jahr. Branchenweit dürfte dies zu einer Schließung von rund 30 Prozent der Filialen führen. Abbildung 3 macht deutlich, dass diese Schließungen die Wettbewerber in höchst unterschiedlichem Ausmaß treffen könnten. Abbildung 2: Der Zusammenhang zwischen Filialumsätzen und Margen in einem Non-Food-Segment OPERATIVE MARGE IN PROZENT 30 Filialen sind fast nie profitabel Deutlich steigende Profitabilität bei wachsenden Umsätzen Langsamer steigende Profitabilität bei wachsenden Umsätzen 20 10 0 -10 2 3 4 5 6 UMSATZ PRO FILIALE IN MILLIONEN EURO 7 8 9 10 Quelle: Oliver Wyman-Analyse 61 Händler A weist in diesem Beispiel geringfügig höhere Gewinne als Händler B aus und betreibt zugleich deutlich weniger Filialen, die gerade so eine schwarze Null erwirtschaften. Händler A ist damit in einer besseren Ausgangslage, um Absatzverluste zu verkraften. Während bei ihm voraussichtlich etwa 20 Prozent der Filialen in die roten Zahlen rutschen, sind bei Händler B 45 Prozent der Filialen betroffen. Ohne eine deutliche Verbesserung der Ertragslage stehen viele dieser unprofitablen Filialen vor der Schließung. Bei tief greifenden Veränderungen in einem Markt führen bereits kleine Unterschiede in der heutigen Ertragskraft zu großen Unterschieden bei den Erfolgsaussichten eines Händlers. Sekundäreffekte verstärken den Vorteil für Händler A. Da die beiden Unternehmen bislang an vielen Standorten einen Wettbewerb auf Augenhöhe geführt haben, profitiert der eine deutlich von den Filialschließungen des anderen. Zudem schwächt die Schließung einer erheblichen Anzahl von Filialen mittelfristig die Verhandlungsposition im Einkauf und die Effizienz der Lieferkette. Je nach der genauen Zusammensetzung der Fixkosten eines Einzelhändlers (manche sind über einen längeren Zeitraum hinweg unflexibler als andere) kann sich ein Dominoeffekt ergeben, bei dem eine Runde von Filialschließungen die nächste nach sich zieht. All diese Faktoren spielen Händler A in die Hände und können letztlich dazu führen, dass er von dem Vordringen des E-Commerce sogar profitiert. Wenn in einem Markt rund 20 Prozent der Umsätze auf den Onlinehandel entfallen, wird es für die erfolgreichsten stationären Anbieter leichter, die restlichen 80 Prozent zu gewinnen. Abbildung 3: Im Wettbewerbsvergleich können bereits kleine Vorteile bei der Profitabilität die Folgen von Kanalverschiebungen hin zum Onlinehandel mildern Einzelhändler A Operative Marge zu Beginn: 8% Anteil der profitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler Einzelhändler B Operative Marge zu Beginn: 5% 0 20 40 60 FILIALNETZ IN PROZENT Quelle: Oliver Wyman-Analyse 62 80 100 Anteil der unprofitablen Filialen drei Jahre nach Markteintritt der Onlinehändler Online ÜBERLEBEN UND WACHSEN STRATEGIEN FÜR ETABLIERTE ANBIETER Wie zuvor dargestellt reagieren die meisten stationären Geschäftsmodelle selbst auf geringe Absatzrückgänge sehr empfindlich. Auch wenn der Marktanteil des Onlinehandels nicht sprunghaft wächst, kann sein Wachstum daher große Auswirkungen haben, zumal er bestehende Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit etablierter Anbieter verstärkt. Kein Einzelhändler kann es sich vor diesem Hintergrund leisten, das Thema E-Commerce zu ignorieren. Und wer sich heute einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet – sei er noch so klein –, ist besser gewappnet, die anstehenden Herausforderungen zu meistern. „Wer sich jetzt einen Vorsprung erarbeitet, liegt auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit vorn.“ In nahezu allen Fällen bildet der Aufbau eines tragfähigen Onlinegeschäfts einen Teil der Strategie. Damit einher geht in der Regel eine mehr oder weniger ausgeprägte Kannibalisierung der eigenen Filialumsätze. Kunden, die die Kanalwahl voranstellen, würden in den Filialen aber ohnehin „verloren“ – und ohne eigenes Onlineangebot zur Konkurrenz abwandern. Darüber hinaus verfügt ein etablierter stationärer Einzelhändler über einige Vorteile, die ein neuer Onlinehändler nicht ohne Weiteres egalisieren kann. Dazu zählt beispielsweise ein umfassendes Logistiknetzwerk. Der Artikel „The Winner takes it all. Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel“ auf Seite 74 beschäftigt sich detailliert mit den strategischen Herausforderungen rund um den Aufbau des E-Commerce-Geschäfts. Mit Blick auf das stationäre Geschäft können Einzelhändler durch die Konzentration auf die folgenden drei Themen ihre Chancen maximieren, künftig zu den Gewinnern am Markt zu zählen. 1. M IT ALLER KRAFT DEN EIGENEN WETTBEWERBSVORTEIL AUSBAUEN Nie war dieses Thema wichtiger als heute. Bei rückläufigen Absatzmengen ist der Stärkste im Wettbewerb im Vorteil. Es gilt das Prinzip „The Winner takes it all“. Unternehmen sollten daher noch kritischer ihre Kosten prüfen und ihre Anstrengungen mit Blick auf die entscheidenden Profitabilitätshebel ihres Geschäftsmodells forcieren, seien es Lieferantenverhandlungen, die Sortimentsgestaltung, die Preispolitik oder Aktionen. Die Wirkung selbst kleiner Unterschiede verstärkt sich über die Zeit. Wer sich jetzt einen Vorsprung erarbeitet, liegt auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit vorn. 63 2. E INE PROAKTIVE STRATEGIE FÜR DIE „SCHWÄCHSTEN FILIALEN“ ENTWICKELN Das Überleben der schwächsten Standorte in einem Filialnetz ist schon bei geringen Absatzrückgängen in Gefahr. Daher ist es besonders wichtig, solche Filialen im Vorfeld zu identifizieren und deren künftige Chancen am Markt zu analysieren. Einige Niederlassungen werden sich bei rückläufigen Umsätzen nicht retten lassen, andere dagegen wären schon bei einer geringfügig höheren Ertragskraft überlebensfähig. Wer die einzelnen lokalen Märkte für diese ertragsschwachen Filialen genau versteht, kann sich im Marketing und bei Investitionen auf Standorte konzentrieren, an denen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Konkurrenten herrscht, die ebenfalls ums Überleben kämpfen. 3. DIE BESTEHENDE FIXKOSTENBASIS ZÜGIG ANPASSEN Zur Verteidigungsstrategie gehört in jedem Fall auch eine konsequente Reduzierung der Fixkosten, um den Anteil der überlebensfähigen Filialen bei leicht rückläufigem Absatz zu maximieren. Trotz aller Anstrengungen und Erfolge wird es aber kaum ein Einzelhändler vermeiden können, zumindest einige Filialen zu schließen und die mit einer Straffung des Filialnetzes verbundenen Schwierigkeiten zu bewältigen. Es ist nie einfach, aus Effizienzgründen Standorte zu schließen, aus Mietverträgen herauszukommen und die Lieferkette neu zu organisieren. Doch es ist noch viel schwieriger, dies zu tun, wenn die Gewinne bereits unter Druck geraten sind. FAZIT Die Umsetzung der hier skizzierten Strategien stellt in der Praxis eine echte Herausforderung dar. Sie verlangt, trotz einer eventuell bereits bestehenden Ertragsschwäche der langfristigen Ertragsund Finanzkraft eines Unternehmens Vorrang vor kurzfristigen Erfolgen einzuräumen. Zudem sind organisatorische Veränderungen für große, traditionsreiche Einzelhandelsunternehmen immer alles andere als einfach zu bewerkstelligen. Sie müssen erhebliche Hürden überwinden. Doch die Erarbeitung eines kleinen Wettbewerbsvorsprungs gegenüber traditionellen Konkurrenten kann schon heute einen großen Unterschied ausmachen. Selbstverständlich wird es die Umsetzung ehrgeiziger Wachstumspläne erfordern, sich aktiv an dem fundamentalen Wandel des Markts in Richtung Onlinehandel zu beteiligen. 64 Online Wenn in einem Markt rund 20 Prozent der Umsätze auf den Onlinehandel entfallen, wird es für die erfolgreichsten stationären Anbieter leichter, die restlichen 80 Prozent zu gewinnen. 65 WIE MAN KUNDEN GEWINNT LEHREN AUS DEM DEUTSCHEN ONLINEHANDEL Gewinnen ist im Onlinehandel alles. Die Fixkosten mögen zwar niedrig(er) sein, doch der harte Preiswettbewerb drückt die Margen, sodass sich nur mit hohen Mengen profitabel arbeiten lässt. Da sich Kunden im Internet einfach nach gewünschten Produkten umschauen und das günstigste Angebot herausfiltern können, bringt es kaum einen Vorteil, ihre zweite Wahl zu sein. Aber wer sind die derzeitigen Gewinner und wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass es künftig zu den Gewinnern zählt? Wie zufrieden sind Kunden mit dem Angebot der einzelnen Wettbewerber? Und wie schneiden in ihren Augen Multikanalanbieter im Vergleich zu reinen Onlinehändlern ab? Dieser Artikel erläutert, wie sich mithilfe der Customer Perception Map von Oliver Wyman Gewinner und Verlierer identifizieren lassen und wie auf dieser Basis ein „Gewinnermodell“ für das Onlinegeschäft entwickelt werden kann. VERSTEHEN, WIE KUNDEN WIRKLICH DENKEN Wer Kunden nur nach ihrer Zufriedenheit fragt, erfährt nicht, warum sie in bestimmten Läden einkaufen. Zudem kennt jeder Kunde einige Einzelhändler besser als andere, sodass ein wirklich aussagekräftiger Vergleich zwischen allen Wettbewerbern auf Basis dieser Antworten nicht möglich ist. Oliver Wyman hat daher eine eigene Methodik entwickelt, um einen solchen Vergleich zu ermöglichen: die Customer Perception Map. Dabei werden Tausende von Kunden gebeten, verschiedene Einzelhändler anhand zahlreicher Attribute detailliert zu vergleichen. Da es 66 67 die Methodik erlaubt, Aussagen der Verbraucher zu den verschiedenen Anbietern mit ihrem aktuellen Einkaufsverhalten abzugleichen, kann man mit einem hohen Maß an Objektivität feststellen, wie gut jedes Unternehmen in den Augen der Kunden abschneidet. Die Aussagen lassen sich in zwei zentrale, voneinander unabhängige Faktoren der Kundenzufriedenheit verdichten: die Angebotswahrnehmung sowie das wahrgenommene Preis-Leistungs-Verhältnis. Oder anders gesagt erfolgt eine Zusammenfassung des gesamten Leistungsspektrums eines Unternehmens unter zwei Fragestellungen: Was bekommt ein Kunde? Und was kostet es? Für jedes Handelssegment lassen sich die Antworten in einer aggregierten Customer Perception Map darstellen und so die Meinung der Kunden über jeden Anbieter in diesem Segment übersichtlich präsentieren (vgl. Abbildung 1). In den vergangenen zehn Jahren hat sich diese Oliver Wyman-Methodik in vielen internationalen Einzelhandelsmärkten vielfach bewährt. Die Ergebnisse erwiesen sich dabei stets als ein maßgeblicher Indikator für die künftige wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Anbieter. EINEN WETTBEWERBSVORTEIL MITHILFE DER CUSTOMER PERCEPTION MAP ERARBEITEN Die in Abbildung 2 dargestellten Customer Perception Maps zeigen – stark verdichtet – die Lage des Onlinehandels in Deutschland. Sie identifizieren sowohl erfolgreiche Anbieter als auch solche, denen der Verlust von Marktanteilen droht. Aus einer weiterführenden Auswertung der Antworten der Kunden lassen sich drei strategische Lehren ziehen, die auch über Deutschland hinaus ihre Gültigkeit behalten. Abbildung 1: Die Interpretation einer Customer Perception Map Stark KUNDENLIEBLINGE Ideale Ausgangslage, um Marktanteile vom Wettbewerb zu gewinnen ANGEBOT LEISTUNGSFÜHRER Breites Sortiment, Benutzerfreundlichkeit und Empfehlungen, ausgezeichnete Check-out-Prozesse und Unterstützung nach einem Einkauf RISIKOKANDIDATEN Diesen Unternehmen gelingt es nicht, Kunden im Wettbewerbsvergleich zu überzeugen PREISFÜHRER Eine Preisführerschaft schützt sehr effektiv vor etablierten Konkurrenten Schwach Schwach Fair-Trade-Linie 68 PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS Stark zeigt, wie Angebot und Preis-Leistungs-Verhältnis in einem bestimmten Markt die Kundenzufriedenheit relativ gesehen beeinflussen. 1 Auch Amazon hat Schwächen – dies eröffnet Chancen für Konkurrenten. 2 Der Wettbewerb um das beste Einkaufserlebnis ist offen. 3 Das Onlineangebot führender stationärer Händler ist verbesserungswürdig. Online Abbildung 2: Customer Perception Maps für verschiedene Einzelhandelsmärkte in Deutschland ELEKTRONIK BABY- UND KINDERBEDARF KLEIDUNG UND SCHUHE Amazon Amazon Peek & Cloppenburg Alternate Conrad Cyberport Apple Baby-walz Notebooksbilliger.de Otto Saturn Redcoon Media Markt Baby-Markt myToys Toys ‘R‘ Us windeln.de Otto Görtz Asos Deichmann Mirapodo Bonprix Heine C&A Neckermann H&M Tausenkind Zalando Amazon Esprit Zalando Tchibo H&M eBay eBay eBay SORTIMENTSÜBERGREIFENDE VERSAND- UND ONLINEHÄNDLER 3Suisses LEBENSMITTEL GESUNDHEIT UND KOSMETIK Amazon Amazon Amazon Douglas myTime Otto Allyouneed EDEKA24 Flaconi Lebensmittel.de Rossmann REWE Yves Rocher Bringmeister.de eBay eBay MÖBEL UND WOHNACCESSOIRES TIERNAHRUNG BAUMÄRKTE Amazon Amazon Fressnapf ZooRoyal.de Amazon Otto Hornbach Home24 BaumarktDirekt OBI Butlers Tchibo Fab Fashion for Home Connox Bitiba Hagebau Westfalia Zooplus.de eBay IKEA eBay SHOPPING-CLUBS eBay BÜCHER MOBILFUNK Amazon BuyVIP Amazon Amazon Zalando Lounge Vente-privée Hugendubel Brands4friends Buecher.de Limango Apple/iTunes Westwing.de Thalia Vodafone Apple Base Simyo Fonic O2 Congstar Yourfone.de Buch.de Pauldirekt.de Onlinehändler Telekom Weltbild eBay Multikanalhändler mobilcom-debitel Amazon Quelle: Oliver Wyman-Analyse 69 LEKTION 1 | AUCH AMAZON HAT SCHWÄCHEN – DIES ERÖFFNET CHANCEN FÜR KONKURRENTEN In jedem der zwölf in Abbildung 2 dargestellten Märkte gehört Amazon zu den führenden Anbietern und in zehn Märkten ist das Unternehmen der Favorit der Kunden. Nur bei Kleidung und Schuhen sowie bei Tiernahrung zeigt sich ein anderes Bild: Amazon hinkt den jeweils führenden Unternehmen hinterher und schafft es weder beim Angebot noch beim PreisLeistungs-Verhältnis auf mehr als einen dritten Rang. Doch auch wenn Amazon ansonsten überlegen erscheint, lassen sich vier Themen identifizieren, in denen das Unternehmen verwundbar ist. Abbildung 3 gibt mehr Aufschluss. LEKTION 2 | DER WETTBEWERB UM DAS BESTE EINKAUFSERLEBNIS IST OFFEN Standorte sind im Onlinegeschäft irrelevant. Dafür herrscht eine nahezu vollständige Preistransparenz und jeder Händler kann eine hohe Sortimentsvielfalt anbieten. Genau diese, in Zeiten des stationären Einzelhandels noch unbedeutenden Charakteristika verschaffen Onlineanbietern nun Vorteile. Gleiches gilt für die nachfolgend genannten drei Charakteristika. Sie spielen online eine erheblich größere Rolle für die Zufriedenheit der Kunden als im stationären Geschäft: •• Benutzerfreundlichkeit •• Produktempfehlungen •• Check-out-Erfahrung Abbildung 3: Vier Bereiche, in denen sich Onlinehändler gegen Amazon durchsetzen können PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS Die größte Schwäche von Amazon liegt in der geringen Aktionsintensität, was die nachlassende Aggressivität bei Preisen und Sonderangeboten widerspiegelt. Amazon schneidet in allen Handelssegmenten bei diesem Thema vergleichsweise schwach ab – selbst in den Bereichen, in denen Amazons Preis-Leistungs-Verhältnis die Kunden ansonsten überzeugt. Es gibt kaum Zweifel, dass die Kunden den veränderten Umgang mit Aktionen bemerkt haben, doch noch ist offen, ob sich daraus letztendlich nennenswerte Nachteile ergeben. Das Sortiment ist segmentübergreifend die große Stärke von Amazon, doch in einigen Warengruppen gelingt es zumindest einem Wettbewerber, mit einer größeren Auswahl an Premiumprodukten vorbeizuziehen. Der Abstand ist zwar gering, doch wie bei der Produktsuche und -auswahl kann sich ein Category Killer mit einem fokussierten, maßgeschneiderten Angebot einen Vorteil verschaffen. SORTIMENT 70 1 2 3 4 PRODUKTSUCHE UND -AUSWAHL Spezialisten in einzelnen Warengruppen scheint es häufig zu gelingen, Amazon bei Themen wie fachkundige Beratung, intelligentes Filtern für die Produktsuche sowie zweckdienliche Fotos und Videos hinter sich zu lassen. Dies gilt insbesondere bei Warengruppen, bei denen Einkäufe eher emotionalen oder subjektiven Faktoren unterliegen. Dazu zählen Kleidung und Schuhe, Möbel und Wohnaccessoires, Baby- und Kleinkindbedarf sowie eingeschränkt auch Kosmetika und Tiernahrung. In diesem Fall erweist sich das breite Angebot von Amazon als Nachteil. Spezialisierte Onlineshops können in Segmenten punkten, in denen die Produktsuche selbst aufwendig ist. Tendenziell handelt es sich hierbei um eine von Amazons Stärken, wie man auch mit Blick auf die Services für Prime-Mitglieder und die hohe Fokussierung auf eine reibungslose Logistikabwicklung vermuten würde. Dennoch zeigt Amazon beispielsweise bei der Einfachheit von Warenabholung und Retouren sowie im Kundenservice einige Schwächen. KAUFABWICKLUNG UND KUNDENSERVICE Online Es ist nicht dasselbe, ob man sich durch eine App oder Website navigiert oder an Regalen im Laden vorbeischlendert. Kunden suchen daher online häufig nach mehr Orientierung und Unterstützung. Für den Erfolg im Onlinegeschäft sind damit nicht allein niedrigere Preise und eine größere Auswahl entscheidend – viele Unternehmen wären dazu auch gar nicht in der Lage. Vielmehr können sich Handelsunternehmen, allen voran Multikanalanbieter, im Wettbewerb auch mit anderen Faktoren Vorteile verschaffen. Der nachfolgende Artikel „The Winner takes it all. Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel“ erläutert dies näher. LEKTION 3 | D AS ONLINEANGEBOT FÜHRENDER STATIONÄRER HÄNDLER IST VERBESSERUNGSWÜRDIG Über alle Märkte hinweg ist der Großteil stationärer Anbieter in den Augen der Kunden ihren Onlinewettbewerbern unterlegen. Der Rückstand variiert je nach Unternehmen und Markt. Doch generell gibt es drei Gründe für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit: •• Fehlende Größe: Dies betrifft typischerweise die Sortimentsauswahl, Rezensionen und technologiegestützte Empfehlungen. •• Fehlende Aggressivität: Diese zeigt sich bei den Liefergebühren, der Retourenpolitik sowie der Preisgestaltung. •• Fehlendes Einkaufserlebnis: Unternehmen hinken dem digitalen Fortschritt hinterher, was sich in der Produktpräsentation, der Benutzerfreundlichkeit des Shops und den Filtermöglichkeiten zeigt. Traditionelle Einzelhändler sollten vor diesem Hintergrund die Attraktivität ihres Onlineangebots zügig verbessern. Sie riskieren ansonsten, von den jeweiligen Marktführern verdrängt zu werden, die dank Skaleneffekten nicht nur mit geringeren Kosten operieren, sondern auch ein besseres Angebot schaffen können. Skalenvorteile gibt es im Onlinehandel in vielen Formen, was auch der Natur des Markts geschuldet ist, die den führenden Anbieter begünstigt: •• Mit zunehmender Größe steigen die Renditen von Investitionen in einen Ausbau des digitalen Angebots. •• Die Nutzung von Big Data spielt eine entscheidende Rolle, um Kunden bei der Suche und Auswahl von Produkten besser zu unterstützen. •• Netzwerkeffekte kommen bei Ratings, Rezensionen und Empfehlungen zum Tragen. 71 FAZIT In Sachen Kundenwahrnehmung verfügt Amazon in Deutschland über einen deutlichen Vorsprung gegenüber nahezu allen anderen Wettbewerbern in fast allen Handelsbranchen, und wahrscheinlich ist dies auch in vielen anderen Ländern der Fall. Die einzig offensichtliche Schwäche zeigt sich in komplexeren Einkaufssituationen. Dort können spezialisierte Händler mit einem maßgeschneiderten Einkaufserlebnis und einem umfangreicheren, hochwertigen Sortiment ein attraktiveres Angebot schaffen. Da neben Größe und Dominanz auch Empfehlungen, Benutzerfreundlichkeit und Services im Wettbewerb eine zunehmend stärkere Rolle spielen, dürfte es sowohl für reine Online- als auch für Multikanalanbieter steigende Chancen in der Nische geben. Daraus könnten erhebliche Wachstumsmöglichkeiten entstehen. Darüber hinaus ergeben sich aus der unterschiedlichen Beurteilung der einzelnen Onlineangebote erhebliche Konsequenzen für den stationären Handel. Noch hat dieser im Vergleich zu reinen E-Commerce-Anbietern das Nachsehen. Um erfolgreich konkurrieren zu können, muss er daher erheblich zulegen. Und das beschränkt sich nicht nur auf ein aggressiveres Vorgehen in „traditionellen“ Bereichen wie Preise und Sortimentspolitik. Die Benutzerfreundlichkeit und das Einkaufserlebnis als Ganzes beeinflussen ebenfalls in hohem Maß die Entscheidung von Onlinekunden für einen bestimmten Anbieter. Einige der Schwächen etablierter Einzelhändler beruhen auf bewussten Entscheidungen. Sie hatten auf Investitionen in das Onlinegeschäft verzichtet, um ihre Margen zu schützen, und dafür einen Wettbewerbsnachteil in Kauf genommen. Auf kurzfristige Sicht mag dies nachvollziehbar erscheinen. In manchen Fällen wäre jede andere Entscheidung möglicherweise auch nicht finanzierbar gewesen. Mittel- und langfristig untergraben solche Entscheidungen aber die Wettbewerbsfähigkeit im Onlinehandel – und das kann schwerwiegende Folgen haben. 72 Online Amazon ist in mehr als 80 Prozent der Handelsbranchen der Favorit der Kunden – und dennoch verwundbar. Clevere Einzelhändler können sich das zunutze machen. 73 THE WINNER TAKES IT ALL RENTABLE GESCHÄFTSMODELLE FÜR DEN ONLINEHANDEL 74 Online Angesichts der anhaltenden Verlagerung von Einkäufen ins Internet und stagnierenden Filialumsätzen sehen viele etablierte Handelsunternehmen ihr Onlinegeschäft als wesentliche Quelle künftigen Wachstums. Doch Gewinne wollen sich trotz zumeist veritabler Onlinepräsenz nicht so recht einstellen. So groß der Nutzen von E-Commerce für die Kunden bereits ist, so gering ist bisher dessen Einfluss auf die Profitabilität der Anbieter. Es ist ohne Frage schwierig, zukunftsfähige und damit rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel zu entwickeln. Aber es ist nicht unmöglich, wie der nachfolgende Artikel zeigt. Das Aufkommen des E-Commerce hat die Spielregeln im Einzelhandel an gleich zwei Stellen von Grund auf verändert. Der Stärkste dominiert nun seine Branche, es gilt das „The Winner takes it all“-Prinzip. Und die Margen stehen noch stärker unter Druck. 75 DER STÄRKSTE DOMINIERT NUN AUCH IM HANDEL Im digitalen Zeitalter sind Märkte nicht mehr länger lokal, sondern national und in vielen Fällen international. Als Entfernungen noch eine Rolle spielten, wohnte jedem Laden ein natürlicher Wettbewerbsvorteil bei Kunden inne, die in der Nähe lebten oder arbeiteten. Ein Vergleich von Einzelhändlern war ebenso mühsam wie ein Wechsel. Jeder Laden konkurrierte daher effektiv nur mit einer kleinen Zahl lokaler Wettbewerber. An einem günstigen Standort konnte eine Filiale auch florieren, ohne die niedrigsten Preise, die besten Produkte oder den kundenfreundlichsten Service zu bieten. Man musste nicht überall der Beste sein, solange man gut genug und in der Nähe der Kunden war. Das Aufkommen des Onlinehandels hat diesen Gewissheiten ein Ende gesetzt. In den meisten Branchen ist der Standort nun irrelevant und ein Preisvergleich sehr einfach möglich. Kunden können sich online schnell einen Überblick über das beste Angebot verschaffen. Die Konsequenz: Im Onlinewettbewerb geht es allein darum, Kunden das attraktivste Angebot zu machen. Kunden denken nicht daran, bei einem Anbieter einzukaufen, der in ihren Augen nicht die beste Wahl ist. Unternehmen müssen zwar nicht überall die Besten sein – in einem Punkt aber schon. E-COMMERCE SETZT MARGEN WEITER UNTER DRUCK Die neuen Rahmenbedingungen im Onlinezeitalter machen es Einzelhändlern erheblich schwerer, Gewinne zu erzielen. Der stärkere Wettbewerb erhöht die Preiselastizität und drückt auf die Margen, während E-Commerce auf der anderen Seite mit weniger Investitionen und normalerweise geringeren Fixkosten als der stationäre Handel verbunden ist. Entscheidend ist aber ein anderer Faktor: Viele Onlineanbieter geben sich derzeit mit einer niedrigen Profitabilität zufrieden, da für ihre Bewertung künftige Ertragspotenziale und nicht heutige Gewinne entscheidend sind. Einige Onlinehändler operieren aktuell sogar bewusst in den roten Zahlen in der Hoffnung, eine Kundenbasis aufzubauen, die in einigen Jahren zu einer lukrativen Positionierung führt. In einem Markt, der von einer „The Winner takes it all“-Mentalität geprägt ist, schmälern aber Wettbewerber mit einer geringen oder keiner Gewinnerwartung die Profitabilität aller. 76 Online VIER MODELLE FÜR DEN ERFOLG IM ONLINEZEITALTER Beide Veränderungen zusammen erklären die enormen Schwierigkeiten bei der Entwicklung rentabler Modelle für das Onlinegeschäft. Unternehmen müssen auf der einen Seite Faktoren identifizieren, bei denen sie besser als sämtliche Konkurrenten sind, und auf der anderen Seite auf ihre Profitabilität achten. Ähnlich wie im stationären Handel, wo sich unter anderem Category Killer, Verbrauchermärkte und Discounter durchgesetzt haben, gibt es auch im Onlinegeschäft nur eine geringe Anzahl nachhaltiger und wertschaffender Geschäftsmodelle. Kein Onlineanbieter kann mit mehr als einem der vier hier vorgestellten Modelle Erfolg haben. Anders als im stationären Handel gibt es keinen Raum für Generalisten mit einer vernünftigen Leistung über alle Dimensionen hinweg. Um online Erfolg zu haben, muss ein Unternehmen der bevorzugte Einkaufsort bei einer bestimmten Kundengruppe für bestimmte Kaufanlässe werden. Nachfolgend werden die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Praxis aufgezeigt. Zugleich wird erläutert, wie jedes der vier Modelle als Vorlage für ein erfolgreiches Geschäftsmodell dienen kann. Rentable Modelle im Onlinegeschäft besitzen eines der folgenden vier Alleinstellungsmerkmale: 1. 2. 3. 4. Die absolut günstigsten Preise am Markt Die beste Auswahl und der beste Service Die erste Anlaufstelle für Kunden Ein von A bis Z perfekter Einkauf 77 MODELL 1 | DER PREISFÜHRER: „DER BILLIGSTE“ Der Preisführer ist das unkomplizierteste Geschäftsmodell im Onlinehandel (vgl. Abbildung 1). Die Preistransparenz im Internet erweist sich für das Unternehmen mit den niedrigsten Preisen als enormer Vorteil. Wenn es über besonders günstige Einkaufskonditionen, extrem niedrige Kosten oder sogar beides verfügt, werden keine üppigen Warenpräsentationen, keine Heerscharen von Mitarbeitern und nicht einmal eine Marke benötigt – abgesehen davon, dass ein Anbieter als einigermaßen vertrauenswürdig gelten muss. Bei üblicherweise allein gekauften Produkten und einfachen Einkaufsvorgängen reicht es oft aus, mit dem niedrigsten Preis in Suchmaschinen zu erscheinen. In diesem Umfeld konkurrieren drei Unternehmenstypen: 1. Internetgiganten: Sie sind in vielen Sortimentsbereichen aktiv und verfügen dank der bestehenden Logistik und ihrer schieren Größe über Kostenvorteile. 2. Off-Price-Händler: Sie verkaufen Graumarktware, in zu großen Stückzahlen hergestellte oder aus anderen Kanälen stammende Markenware. Es gibt sie insbesondere in den Bereichen Kleidung, Schmuck und anderen „modischen“ Sortimenten, wo die Stückzahlen pro Artikel begrenzt sind. 3. Einzelunternehmer: Sie prägen eBay und Amazons Marketplace. Es ist aber alles andere als einfach, sich mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell von nennenswerter Größe als Preisführer am Markt zu etablieren. Denn dafür bedarf es wie bereits erwähnt entweder enormer Skalenvorteile oder besonders günstiger Lieferkonditionen. Ohne einen dieser oder idealerweise beide Faktoren führt das systematische Angebot der niedrigsten Preise in den finanziellen Ruin. Das gilt insbesondere für stationäre Einzelhändler. Da niedrigere Preise im Onlinegeschäft tendenziell auch auf die Preise in den Läden drücken, haben sie keine Chance mehr, ihre Fixkosten zu decken. 78 Online Wo das Modell funktioniert Bei Produkten, die online gesucht und einzeln gekauft werden, und deren Kauf einfachen Regeln unterliegt Wie das Modell Kunden gewinnt Bei jeder Suche bietet es den besten Preis Wie sich Gewinne erzielen lassen Durch besonders günstige Lieferkonditionen und niedrige Kostenstrukturen Abbildung 1: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Preisführer etabliert haben ETABLIERT: VENTE PRIVÉE NEWCOMER: MADE.COM Tätigkeitsfeld •• Designermarken zu Discountpreisen •• Designermöbel auf Bestellung Eckdaten •• Gründungsjahr: 2001 •• Umsatz 2014: 1,7 Mrd. € (+ 6% zum Vorjahr) •• 3 Mio. Unique Visitors pro Tag bei 24 Mio. Mitgliedern in Europa •• Expansion in weitere Länder läuft •• Zahlreiche Copycats •• Gründungsjahr: 2010 •• Umsatz 2014: 42,8 Mio. £ (+ 63% zum Vorjahr) •• Teil des „Future Fifty“-Programms der britischen Regierung •• Aktuell in 7 europäischen Ländern tätig, u. a. in Deutschland Angebot •• Auf 3-5 Tage begrenzte „Eventverkäufe“ im Internet mit 24 Stunden Vorlauf •• Designermöbel, 70 Prozent günstiger als im Handel •• Kunden stimmen über ihre favorisierten Designs ab; nur die populärsten werden gefertigt Ertragsmodell •• Bevorzugter Partner für Designermarken, um überschüssige Lagerbestände abzustoßen •• Die „Secret Sales“ finden sich nicht bei Preisvergleichen im Internet, die Lieferanten fürchten daher weniger als sonst eine Beschädigung ihrer Marke oder eine Kannibalisierung •• Neuer Ansatz der Wertschöpfung im Möbelhandel – von Made.com zu den Herstellern und dann zu den Kunden •• Die Möbel werden erst nach Bestellung in Auftrag gegeben, dies ermöglicht niedrige Lagerbestände und ein negatives Working Capital 79 MODELL 2 | D ER SORTIMENTSSPEZIALIST: „DIE BESTE AUSWAHL UND DER BESTE SERVICE“ Category Killer dominierten den Wettbewerb über viele Jahre mit einem einzigartigen Angebot. Eine ähnliche Rolle können Sortimentsspezialisten nun online einnehmen. Dabei erfüllen die meisten Onlineeinkäufe ein einziges, klar definierbares Bedürfnis: „Ich möchte einen neuen Fernseher“ oder „Ich brauche einen Autositz“. Dazu passt auch die überwiegend praktizierte Art und Weise des Einkaufens über Suchanfragen. Doch bei komplexeren Vorgängen stoßen die meisten Websites schnell an ihre Grenzen. Bei schwerer einzugrenzenden Bedürfnissen – „Ich brauche neue Schuhe“ oder „Ich suche ein neues Soundsystem“ – funktioniert die Suche nicht so gut und die unendliche, sonst so wirksame Auflistung von Treffern verwirrt eher. Einige Websites versuchen, das Problem mit Kundenrezensionen zu lösen. Einen echten Wettbewerbsvorteil können sich jedoch Einzelhändler erarbeiten, die den Anlass eines Einkaufs wirklich verstehen und ein darauf zugeschnittenes Erlebnis bieten. In den Bereichen, in denen der Bedarf regelmäßig wiederkehrt, lässt sich ein solch überlegenes Kundenerlebnis in langfristige Loyalität verwandeln. Nicht jedes Sortiment eignet sich für das Modell des Sortimentsspezialisten, und das Sortiment der erfolgreichsten stationären Category Killer entspricht nicht unbedingt dem erfolgreicher Sortimentsspezialisten im Onlinegeschäft. Dessen ungeachtet gibt es Kaufanlässe mit besonderen (und in vielen Fällen besonders anspruchsvollen) Serviceanforderungen, die sich am besten von speziell hierfür entwickelten Geschäftsmodellen bedienen lassen (vgl. Abbildung 2). 80 Online Wo das Modell funktioniert Bei komplexen Kaufanlässen mit mittlerer Einkaufsfrequenz, bei eigenständigen Sortimentsbereichen, die nicht mit anderen Produkten zusammen gekauft werden sowie bei zahlreichen Interdependenzen zwischen einzelnen Artikeln Wie das Modell Kunden gewinnt Die Kunden wissen, wo sie die Produkte finden, die am besten ihren Bedürfnissen entsprechen Wie sich Gewinne erzielen lassen Eine natürliche Marge ergibt sich durch die Differenzierung des Angebots und die langfristige Loyalität der Kunden, sie basiert auf einem nur schwer nachahmbaren Kundenerlebnis Abbildung 2: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Sortimentsspezialisten etabliert haben ETABLIERT: ZAPPOS.COM NEWCOMER: WIGGLE.COM Tätigkeitsfeld •• Textil- und Schuhhändler für den Massenmarkt •• Größter Onlineschuhladen der Welt •• Auf Sportartikel spezialisierter Händler •• Seit 2011 im Besitz der Private Equity-Firma Bridgepoint Capital; Kaufpreis: 180 Mio. £ Bisherige Erfolge •• Übernahme durch Amazon im Jahr 2009 •• Umsatzwachstum von 168 Mio. £ im Jahr 2014 (2013: ca. 141 Mio. £) Angebot •• Sortimentsvielfalt: −− 50.000 Schuhmodelle −− Große Auswahl an Nischenprodukten −− Nicht-vorrätige Ware lässt sich vorbestellen •• Sortimentsvielfalt: −− Große Auswahl an Radfahr-, Laufund Schwimmausrüstung −− Einkauf nach Marke oder Produktkategorie möglich •• Kundendienst im Fokus: −− Callcenter sind 24/7 erreichbar; keine vorgegebenen Skripts; Marke profitiert von dem besonderen Einsatz der Mitarbeiter •• Rat von Experten: −− Einkaufsführer für jeden Sortimentsbereich −− Onlineberater stehen für Livechats bereit •• Treiber sind Wiederholungskäufer •• Treiber ist das ausdifferenzierte Angebot des Spezialisten Ertragsmodell •• Niedriges Risiko: −− 12-monatiges Rückgaberecht −− 30-tägige Testphase bei Fahrrädern 81 MODELL 3 | D AS STANDARDZIEL: „DIE ERSTE ANLAUFSTELLE FÜR KUNDEN“ Das Standardziel entspricht im Onlinezeitalter dem althergebrachten Warenhaus – dem „One-Stop-Shop“. Kunden wissen, dass sie dort im Großen und Ganzen immer alles zu einem fairen Preis bekommen können. In der Onlinewelt hat sich hierfür auch der Begriff „Convenience“ etabliert. Diese Internethändler bieten alles, was Verbraucher wahrscheinlich benötigen, sowie eine solide Website, ein einfaches Einkaufserlebnis und wettbewerbsfähige, wenn auch nicht immer die günstigsten Preise. Sie wollen sich auf diesem Weg eine Kundenbasis aufbauen, die sie als Standardziel für sämtliche Bedürfnisse abspeichert. Genau diesen Ansatz verfolgt Amazon (vgl. Abbildung 3). Mit der ständigen Erweiterung des Sortiments deckt das Unternehmen mehr und mehr die typischen Bedürfnisse privater Haushalte ab und macht es so immer naheliegender, direkt und damit ohne Prüfung von Alternativen auf die Amazon-Website zu gehen. Währenddessen schafft das Amazon-Prime-Modell eine langfristige Kundenbindung. In der Folge ist Amazon heute in vielen Fällen das Unternehmen, an das Kunden als Erstes denken, und zugleich der führende Anbieter in Sachen Sortimentsbreite und -tiefe sowie positiver Preiswahrnehmung. Vor diesem Hintergrund erscheint es schwer vorstellbar, dass etwas anderes als ein komplexer Zusammenschluss verschiedener Einzelhändler mit Amazon auf gleichem Niveau konkurrieren könnte. Es gibt aber noch andere Kundensegmente, beispielsweise kleine Unternehmen, Schulen, junge Familien oder „Best Ager“, für die sich vergleichbare Standardzielgeschäftsmodelle nach wie vor entwickeln lassen. Die Herausforderung besteht darin, die Zielgruppe genau zu definieren und danach alles daranzusetzen, sie über die Zeit immer besser zu bedienen. Ein halbherziger Ansatz ist zum Scheitern verurteilt. Wer zum Beispiel im Bereich Bürobedarf die Zielgruppe der Kleinunternehmer adressieren will, muss sämtliche Bedürfnisse und nicht nur einen Teil abdecken. Ziel ist es, sich als das Standardziel für Bürobedarf zu etablieren, sodass die Besteller keinen Grund mehr haben, woanders einzukaufen. Dafür bedarf es maßgeschneiderter Regelungen für den Versand und die Abrechnung ebenso wie ein Angebot von Dienstleistungen entlang des Sortiments. Ein solches Geschäftsmodell unterscheidet sich fundamental von traditionellen Modellen, bei denen die Produkte im Mittelpunkt standen. 82 Online Wo das Modell funktioniert In Kundensegmenten mit breit gefächerten und doch identifizierbaren Bedürfnissen Wie das Modell Kunden gewinnt Mit einer bequemen Abdeckung sämtlicher Kundenbedürfnisse zu verlässlich niedrigen Preisen Wie sich Gewinne erzielen lassen Durch Etablierung als Standardziel für Einkäufe Abbildung 3: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Standardziel etabliert haben AMAZON STAPLES Ursprüngliches Angebot •• Beginn als Sortimentsspezialist für Bücher; Verkauf des ersten Buchs im Jahr 1995 •• Angebot eines Vielfachen der im stationären Buchhandel vorrätigen Titel •• Beginn als Großmarkt für Bürobedarf im Jahr 1986 •• Über viele Jahre danach der Category Killer in diesem Segment Entwicklung •• Etablierung als breit aufgestellter Preisführer, der Produkte nahezu überall unterhalb der unverbindlichen Preisempfehlungen anbietet und hierzu die eigene Logistik oder den Marketplace nutzt •• Rasche Expansion in andere Sortimentsbereiche; Konzentration auf Beherrschung des direkten Kundenkontakts •• Starke Kundenorientierung; AboModelle und Prime-Mitgliedschaft vertiefen Kundenbindung •• Entwicklung zum Standardziel für viele private Haushalte •• Expansion in Services sowie verwandte Sortimentsbereiche wie Büromöbel und die Ausstattung von Pausenräumen, um sich als Standardziel für den B2B-Bürobedarf zu etablieren •• Konzentration auf den Ausbau der Kundenbeziehung beispielsweise durch Übernahme eines auf die Personalisierung von E-Commerce spezialisierten Unternehmens •• Derzeit Neugestaltung der Strategie in Richtung weniger Filialen und mehr Onlinegeschäft 83 MODELL 4 | DER ERLEBNISGESTALTER: „EIN VON A BIS Z PERFEKTER EINKAUF“ Das Multikanalkonzept macht mehr aus dem bestehenden Filialnetz und könnte sich daher für viele der größten stationären Einzelhändler als das interessanteste Modell erweisen. Es ist allerdings auch am schwierigsten zu erklären, da es bislang noch kein einziges Unternehmen in vollem Umfang umgesetzt hat. In der Vergangenheit kamen Kunden, von der Werbung und einigen Mailings abgesehen, nur in den Läden, am Point of Sale, in Kontakt mit einem Händler. Heute dagegen beginnt ein Einkaufserlebnis, schon lange bevor ein Kunde einen Fuß in einen Laden setzt, und es endet erst lange danach. Unternehmen können entlang dieses Wegs dank moderner Technik an vielen Punkten Unterstützung anbieten. Es geht darum, mit technischer Hilfe häufiger mit den Kunden zu interagieren und diese Interaktionen nahtlos und wertschaffend in das Einkaufserlebnis vor Ort einfließen zu lassen. So können traditionelle Einzelhändler von A bis Z überzeugende Kundenerlebnisse schaffen und sich vom Online- und Offlinewettbewerb abheben. Unternehmen müssen dafür zunächst verstehen, wie subtil oder implizit sich Kunden entlang eines Einkaufserlebnisses häufig entscheiden. Wie Abbildung 4 zeigt, gibt es je nach Sortiment und Kaufanlass Unterschiede. Im Prinzip zeigen sich aber bei jedem Einkauf vier erkennbare, sich manchmal überschneidende oder wiederholende Schritte. Zu Beginn müssen Einzelhändler Möglichkeiten identifizieren, Kunden bei jedem Schritt zu unterstützen. Zudem gilt es, Antworten auf existenzielle Fragen zu finden: Was will der Kunde und über welchen Kanal lässt sich dieses Bedürfnis wie befriedigen (vgl. Abbildung 5)? Es handelt sich hierbei fraglos um konzeptionelle Überlegungen weit jenseits des Alltagsgeschäfts. Wer sich Zeit für die Beantwortung nimmt, macht aber einen entscheidenden ersten Schritt auf dem Weg hin zu einem echten Multikanalanbieter. Abbildung 4: Die Beantwortung der folgenden Fragen und entsprechendes Handeln entlang der vier Schritte eines Einkaufserlebnisses ermöglichen es, sich komplett auf Kundenbedürfnisse einzustellen Auslöser Suche Einkauf Nach dem Einkauf 84 • Wann, warum und wie beginnen Kunden, über einen Einkauf nachzudenken? • Wie kann ein Unternehmen ihnen in dieser Phase helfen, ohne sie mit Informationen zu „überfluten“? • An welche Unternehmen denken verschiedene Kundengruppen überhaupt? • Wie erfolgt die Auswahl? • Wie lassen sich Kunden motivieren, sich für das eigene Unternehmen zu entscheiden? • Wie stark zählt das Einkaufserlebnis selbst für verschiedene Kundengruppen? • Wonach suchen die Kunden? • Wie lässt sich das bestmögliche Einkaufserlebnis schaffen? • Was geschieht nach einem Einkauf? • Wie lassen sich Kundenerwartungen in dieser Phase übertreffen? Online Aber wie sieht ein echter Multikanalanbieter eigentlich aus? Über die reine Fähigkeit hinaus, Produkte über verschiedene Kanäle verkaufen zu können, bedarf es einer kanalübergreifenden Preisstrategie, einer Integration der Logistik sowie professioneller Apps und Websites samt Rezensionen, Empfehlungen und Ratschlägen. Dies alles ist notwendig, aber nicht ausreichend. Damit das Geschäftsmodell als Multikanalanbieter funktioniert, braucht es ein so weitreichendes Verständnis über das Einkaufs- und Auswahlverhalten der Konsumenten auf Basis von Kundendaten wie noch nie. Dabei geht es nicht mehr nur um den Einkauf im Laden selbst, sondern um das gesamte Einkaufserlebnis. Ein solcher Ansatz erfordert auch die Identifizierung von Kaufanlässen, die in der Vergangenheit gar nicht bestanden oder nicht gut abgedeckt wurden. Erforderlich ist, den Umgang mit sozialen Netzwerken und anderen Kanälen zu beherrschen, um sich bei Kunden als erste Einkaufsadresse zu etablieren. Es gilt darüber hinaus zu erkennen, dass verschiedene Kundengruppen in unterschiedlicher Weise einkaufen. Ein erfolgreiches Unternehmen bietet jeder Gruppe den für sie passenden Grad an Service und Unterstützung, ohne aufdringlich zu erscheinen. Im Idealfall tragen bei einem Multikanalgeschäftsmodell On- und Offlineangebote dazu bei, das Kundenerlebnis in den anderen Kanälen zu verbessern. Derzeit sind einige Dienstleister bei diesem Thema weiter vorangeschritten als der Einzelhandel. Fluglinien beispielsweise können durch die Auswertung mobiler Umfragen in Echtzeit erkennen, wenn sich Ärger bei Kunden aufstaut, und bereits in der Lounge oder am Gate gegensteuern. Hotelketten sind in der Lage vorherzusagen, wohin ein Gast wann als Nächstes reisen möchte. Für den stationären Handel heißt das: Die Bedeutung der Filialen könnte sich zwar reduzieren, doch sie bleiben ein entscheidender Faktor, um durchweg das bestmögliche Kundenerlebnis bieten zu können. Abbildung 5: Beispiele, wie sich Einzelhändler entlang des Einkaufserlebnisses auf innovative Weise auf ihre Kunden einstellen können Auslöser Suche Einkauf Nach dem Einkauf Ein Spielzeugladen informiert Familienangehörige über anstehende Geburtstage und macht Vorschläge, unter anderem auf Basis früherer Einkäufe, bestehenden Feedbacks und aktueller Trends. Ein Baumarkt erkennt, dass sich ein Kunde über eine Vielzahl von Produkten informiert. Er bietet dem Kunden daher eine Beratung durch einen Experten in der Filiale sowie einen Gutschein an, bei dem der Rabatt mit dem Einkaufswert wächst. Ein Elektronikhändler bietet seinen Kunden drei Optionen, wenn sie einen Laden betreten: 1. Einen Fast Track, wobei die Kunden bereits zahlen, während ein Mitarbeiter das Produkt holt 2. Persönliche Beratung durch einen Experten 3. Einen „normalen“ Einkauf Ein Lebensmittelhändler schickt Kunden E-Mails mit Rezepten auf Basis ihrer jüngsten Einkäufe und erinnert sie auf gleichem Weg, wenn die Mindesthaltbarkeitsdaten dieser Produkte erreicht sind. 85 Genau das bedeutet der perfekte Einkauf von A bis Z: Es geht um ein authentisches Angebot entlang des gesamten Einkaufserlebnisses, bei dem jede Interaktion einen Mehrwert schafft. Vielen Einzelhändlern gelingt dies heute bereits in einigen Bereichen, doch keiner schafft bislang ein von A bis Z überzeugendes Erlebnis. Die vielleicht größte Herausforderung liegt in dem geforderten neuen Denkansatz. Es geht darum, Kunden zu helfen und ihnen nicht nur Produkte zu verkaufen, sondern ihnen vielmehr das Leben besser, einfacher und angenehmer zu machen. Noch erfüllt kein Einzelhändler diesen Anspruch in vollem Umfang. Die Beispiele in Abbildung 6 zeigen aber, welche Möglichkeiten sich eröffnen und wie Einzelhändler profitieren können. 86 Wo das Modell funktioniert Nahezu überall; am offensichtlichsten sind die Möglichkeiten bei komplexen Einkaufsvorgängen, bei denen weder rein stationäre noch rein internetbasierte Modelle das bestmögliche Erlebnis bieten können; hinzu kommen Sortimentsbereiche, bei denen die Auswahl in hohem Maß subjektiven Kriterien unterliegt (zum Beispiel Kleidung, Möbel, Luxusgüter und Geschenke) Wie das Modell Kunden gewinnt Indem es ihr Leben einfacher und besser macht Wie sich Gewinne erzielen lassen Es entsteht eine völlig neue Art von Einzelhändlern, die sich durch ein einzigartiges Angebot und zugleich ein Filialnetz in der richtigen Größe differenzieren Online Abbildung 6: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Erlebnisgestalter etabliert haben JOHN LEWIS SEPHORA Tätigkeitsfeld •• Britisches Warenhaus •• Parfüm und Kosmetik Bisherige Erfolge •• Eine der wenigen stationären Einzelhändler in Innenstadtlagen mit stetigem Wachstum trotz jüngster Konjunkturschwächen •• Im Besitz von LVMH •• Aggressive Expansion in bestehenden und neuen Märkten, Eröffnung von jährlich 100 neuen Filialen über die nächsten fünf Jahre geplant Angebot •• In den Läden: −− Möglichkeit, sämtliche Artikel anzusehen und anzufassen; bemerkenswert vor allem bei höherpreisigen Sortimentsbereichen wie Möbel und Elektronik −− Kooperativer Ansatz; das Unternehmen befindet sich im Besitz der Mitarbeiter, was zu einem qualitativ hochwertigen Service vor Ort führt −− Große Auswahl an Dienstleistungen wie Einbau und Installation sowie persönliche Typberatung •• Komplett integrierte Website erweitert und vertieft das Einkaufserlebnis in den Läden: −− Terminals in den Filialen erlauben die Suche, die Prüfung von Verfügbarkeiten sowie Onlinebestellungen −− Kostenloses „Click and Collect“ mit landesweiter Abdeckung dank Zusammenarbeit mit der Schwesterfirma Waitrose, einer Supermarktkette −− Zusammenstellung und Präsentation von Geschenkelisten in den Läden; Ansicht und Bestellung auch online möglich •• Die Läden sind unverzichtbar, um Produkte auszuprobieren oder auch um an Events und Kursen teilzunehmen •• Der Onlineauftritt enthält Rezensionen sowie Ratings und umfasst sämtliche Produkte •• Effektive Integration der beiden Kanäle, sodass Kunden: −− Kurse und Events per App buchen können −− Produkte in den Läden mit ihrem Smartphone scannen können, um Ratings und Rezensionen zu sehen −− auf Downloads von Musik, Magazinen und Büchern mit der „Sephora Shares“-App zugreifen können; diese App erhöhte die Akzeptanz der Technologie enorm Ertragsmodell •• Das Onlinegeschäft treibt das Wachstum: Im Weihnachtsgeschäft 2014 entfiel hierauf mehr als ein Drittel der Umsätze; einem Onlinewachstum von 19,2 Prozent stand ein Anstieg der Umsätze in den Filialen um 3,3 Prozent gegenüber •• Entwicklung neuer, kleinerer Filialen mit einem abgestimmten Sortiment ergänzt um Terminals für Onlinebestellungen •• Die Integration stützt das zugrunde liegende Modell eines Sortimentsspezialisten; das Unternehmen profitiert von der weitergehenden Differenzierung und einer höheren Loyalität 87 Abbildung 7: Überblick über die vier rentablen Modelle im Onlinehandel MODELL 1: PREISFÜHRER MODELL 2: SORTIMENTSSPEZIALIST MODELL 3: STANDARDZIEL MODELL 4: ERLEBNISGESTALTER Wo das Modell funktioniert Bei Produkten, die online gesucht und einzeln gekauft werden, und deren Kauf einfachen Regeln unterliegt Bei komplexen Kaufanlässen mit mittlerer Einkaufsfrequenz, bei eigenständigen Sortimentsbereichen, die nicht mit anderen Produkten zusammen gekauft werden sowie bei zahlreichen Interdependenzen zwischen einzelnen Artikeln In Kundensegmenten mit breit gefächerten, aber identifizierbaren Bedürfnissen Bei komplexen Einkaufsvorgängen, wo weder rein stationäre noch rein internetbasierte Modelle das bestmögliche Erlebnis bieten können; hinzu kommen Sortimentsbereiche, bei denen die Auswahl in hohem Maß subjektiven Kriterien unterliegt Wie das Modell Kunden gewinnt Bei jeder Suche bietet es den besten Preis Die Kunden wissen, wo sie die Produkte finden, die am besten ihren Bedürfnissen entsprechen Mit einer bequemen Abdeckung sämtlicher Kundenbedürfnisse zu verlässlich niedrigen Preisen Indem es ihr Leben einfacher und besser macht Wie sich Gewinne erzielen lassen Durch besonders günstige Lieferkonditionen und niedrige Kostenstrukturen Eine natürliche Marge ergibt sich durch die Differenzierung des Angebots und die langfristige Loyalität der Kunden; sie basiert auf einem nur schwer nachahmbaren Kundenerlebnis Durch Etablierung als Standardziel für Einkäufe Es entsteht eine völlig neue Art von Einzelhändlern, die sich durch ein einzigartiges Angebot und zugleich ein Filialnetz in der richtigen Größe differenzieren POSITIONIERUNG Reine Onlinepräsenz Starke stationäre Präsenz Heute 88 In fünf Jahren Online FAZIT Ein Artikel auf dieser Abstraktionsebene kommt ohne Vereinfachungen nicht aus. Aber gerade diese helfen, die entscheidenden Möglichkeiten einer langfristigen Wertsteigerung zu erkennen. Ohne Frage ist E-Commerce eine besonders anspruchsvolle Disziplin des Einzelhandels. Folgerichtig ist allen in Abbildung 7 zusammengefassten Geschäftsmodellen ein Thema gemein: Für den Erfolg bedarf es bahnbrechender Innovationen und nicht nur schrittweiser Verbesserungen. Ein hohes Maß echter Kreativität und Durchsetzungskraft ist nötig, um einem Geschäftsmodell zum Durchbruch zu verhelfen, das auf einem der vier hier vorgestellten Ansätze beruht – zumal sich der technische Fortschritt beschleunigt und sich der Wettbewerb ständig verschärft. Ein behutsames Vorgehen wird nicht ausreichen, um langfristig die Gewinne zu sichern. 89 PUBLIKATIONEN VON OLIVER WYMAN www.oliverwyman.de www.oliverwyman.com INCUMBENTS IN THE DIGITAL WORLD LAGGARDS WILL BE LOSERS THE INTERNET OF THINGS DISRUPTING TRADITIONAL BUSINESS MODELS INCUMBENTS IN THE DIGITAL WORLD PERSPECTIVES ON MANUFACTURING INDUSTRIES Die Publikation erläutert, wie etablierte Organisationen in einem durch digitale Disruptoren geprägten Markt letztlich gewinnen können. Das jährliche Branchenmagazin für Entscheider im Maschinen- und Anlagenbau enthält zahlreiche Beiträge zu den Chancen und Handlungsoptionen von Industrieunternehmen. THE INTERNET OF THINGS TEN IDEAS FROM OLIVER WYMAN, AUSGABE 2 Das Internet der Dinge beeinflusst etablierte Anbieter in den Bereichen Versicherung, Fertigung, Dienstleistung, Telekommunikation, Einzelhandel, Vertrieb und Energieversorgung. TEN IDEAS FROM OLIVER WYMAN Die zweite Ausgabe beschreibt, wie Unternehmen unterschiedlicher Branchen auf die Herausforderungen sich verändernder Kundenbedürfnisse reagieren und den steigenden Erwartungen gerecht werden können. VOLUME 2 March 19, 2015 BLUE PAPER MORGAN STANLEY RESEARCH Global Huw van Steenis1 +44 (0)20 7425 9747 Betsy Graseck2 +1 212 761 8473 Bruce Hamilton1 +44 (0)20 7425 7597 Vishwanath Tirupattur 2 +1 212 761 1043 Tom Whitehead2 +1 212 761 5672 Canset Eroglu1 THE OLIVER WYMAN AND MORGAN STANLEY WHOLESALE INVESTMENT BANKING OUTLOOK 2015 THE OLIVER WYMAN AUTOMOTIVE MANAGER 2015 AUTOMOTIVE MANAGER TRENDS, OPPORTUNITIES, AND SOLUTIONS ALONG THE ENTIRE VALUE CHAIN COVER STORY: THE TRUE VALUE OF AUTONOMOUS DRIVING +44 (0)20 7425 0477 Christian Edelmann +1 212 345 3589 Wholesale & Investment Banking Outlook Liquidity Conundrum: Shifting risks, what it means Financial regulation and QE are at the heart of a huge shift in liquidity risk from banks to the buy-side, which is increasingly a concern for policy makers. This shift is far from over: we expect liquidity in sell-side markets to deteriorate further, as regulation shrinks banks’ capacity another 10-15% over the next two years. Our interviews with asset managers highlighted their concerns over scarcer secondary market liquidity, particularly in credit and in Europe. Regulatory risks are rising for asset managers, as policy makers worry about the risks to financial stability from US QE exit and market structure changes. Our base case is the initial set of reforms follow an incremental approach that involves stress testing of select funds and a range of micro reforms. This could add an extra cost of 1-5% to asset managers, albeit the largest firms are already well placed on this. To calibrate possible stress tests, we’ve analysed the periods of worst fund redemptions in the last 35 years. For instance, fixed income mutual fund outflows in 1994 were on average ~5% in the worst 3 months vs 4-7% fund cash holdings today, which gives us some reassurance. However regulators may wish to test for an even tougher scenario at a fund level. Our bear case is for a more profound longer-term change in regulation that would hit profits and investment flexibility. For the banks, diminishing returns on capital from market making demand even greater efficiency, dexterity and scale to achieve 10-12% returns. More firms will trim this business, ultimately leaving a potentially attractive prize for those able to endure. Ted Moynihan +44 (0)20 7852 7555 James Davis +44 (0)20 7852 7631 Michael Turner +44 (0)20 7852 7845 Robert Rogers +44 (0)20 7852 7642 Maxim Olliver +44 (0)20 7852 7605 Oliver Wyman is a global leader in management consulting. For more information, visit www.oliverwyman.com. Oliver Wyman is not authorized or regulated by the PRA or the FCA and is not providing investment advice. Oliver Wyman authors are not research analysts and are neither FCA nor FINRA registered. Oliver Wyman authors have only contributed their expertise on business strategy within the report. Oliver Wyman’s views are clearly delineated. The securities and valuation sections of report are the work of Morgan Stanley only and not Oliver Wyman. For disclosures specifically pertaining to Oliver Wyman please see the Disclosure Section located at the end of this report. 1 Morgan Stanley & Co. International plc+ Morgan Stanley & Co. Incorporated 2 Morgan Stanley Blue Papers focus on critical investment themes that require coordinated perspectives across industry sectors, regions, or asset classes. Die Studie untersucht die Herausforderungen des globalen Wertpapiergeschäfts mit einem Gesamtwert von 750 Milliarden US‑Dollar Jahresumsatz. Die jährliche Publikation für die Entscheider der Automobilindustrie bietet Herstellern, Zulieferern und dem Handel tiefe Einblicke in Themen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Morgan Stanley does and seeks to do business with companies covered in Morgan Stanley Research. As a result, investors should be aware that the firm may have a conflict of interest that could affect the objectivity of Morgan Stanley Research. Investors should consider Morgan Stanley Research as only a single factor in making their investment decision. For analyst certification and other important disclosures, refer to the Disclosure Section, located a t the end of this report. * = This Research Report has been partially prepared by analysts employed by non -U.S. affiliates of the member. += Analysts employed by non-U.S. affiliates are not registered with FINRA, may not be associated persons of the membe r and may not be subject to NASD/NYSE restrictions on communications with a subject company, public appearances and trading securities held by a research analyst a ccount. OLIVER WYMAN CMT JOURNAL, AUSGABE 2 Die zweite Ausgabe der jährlich erscheinenden Publikation veranschaulicht, wie zunehmend umkämpfte und digitalisierte Märkte erfolgreich navigiert werden können. THE OLIVER WYMAN CMT JOURNAL VOLUME 2 VOLUME 1 | 2014 THE OLIVER WYMAN ENERGY JOURNAL OLIVER WYMAN ENERGY JOURNAL, AUSGABE 1 Diese erste Ausgabe der Publikation liefert Einblicke in aktuelle Trends und Herausforderungen der Energiebranche und zeigt auf, wie Unternehmen auf diese Veränderungen reagieren können. THE OLIVER WYMAN ONLINE RETAIL REPORT VOLUME 4 | 2014 Die Artikel erklären, wie stationäre Einzelhändler Umsatzverluste durch in den Markt drängende Onlineanbieter vermeiden und selbst ein erfolgreiches Onlineangebot aufbauen können. THE OLIVER WYMAN ONLINE RETAIL REPORT THE GAME IS CHANGING FALL 2014 TRANSPORT & LOGISTICS TRANSFORMATION | Disruptive Logistics, Aviation Biofuels MARKETING | Mobility 2020, Customer Innovation FINANCE | HSR Funding, 3PL Profitability OPERATIONS | Manager Excellence, MRO Survey And more… THE PROCUREMENT PLAYBOOK STRATEGIES AND PLAYS FROM 100 CPO Welcome to the Human Era The new model for building trusted connections, and what brands need to do about it THE OLIVER WYMAN RISK JOURNAL THE OLIVER WYMAN RISK JOURNAL, AUSGABE 4 Die vierte Ausgabe der branchenübergreifenden Publikation beschreibt aus unterschiedlichen Perspektiven komplexe Risiken, die die Zukunft vieler Unternehmen bestimmen werden. PERSPECTIVES ON THE RISKS THAT WILL DETERMINE YOUR COMPANY’S FUTURE THE OLIVER WYMAN TRANSPORT & LOGISTICS JOURNAL Die Publikation gibt Einblicke in aktuelle Themen und Trends der globalen Transport- und Logistikbranche und beleuchtet Herausforderungen in den Bereichen Transformation, Marketing, Finanzen und Operations. Health & Life Sciences THE CONSUMER REVOLUTION HOW HIGH TECH, TRANSPARENT MARKETPLACES, AND CONSUMER POWER ARE TRANSFORMING U.S. HEALTHCARE Tom Main • Adrian Slywotzky THE PROCUREMENT PLAYBOOK Die Publikation beschreibt Strategien und Best Practices von 100 Chief Procurement Officers. THE PATIENT-TOCONSUMER REVOLUTION Der Report zeigt, wie Hightech, transparente Märkte und die Verbrauchernachfrage das Gesundheitswesen der USA grundlegend verändern und zu wesentlichen Verbesserungen bei der Qualität, den Kosten und beim Zugang zu medizinischer Versorgung führen. THE STATE OF FINANCIAL SERVICES 2015 MANAGING COMPLEXITY THE STATE OF THE FINANCIAL SERVICES INDUSTRY 2015 Diese 18. Ausgabe erklärt, dass die zunehmende Komplexität der Finanzbranche einer der wichtigsten Treiber der sinkenden Profitabilität von Banken und Versicherungen ist, und gibt Aufschluss, wie Unternehmen damit umgehen können. WELCOME TO THE HUMAN ERA WOMEN IN FINANCIAL SERVICES Der Report definiert, was es bedeutet, ein Unternehmen der „Human Era“ zu sein, und beschreibt ein neues Modell für den Aufbau verlässlicher, authentischer Beziehungen. Die Studie untersucht die Frage, was Frauen daran hindert, an die Spitze von Finanzinstituten vorzustoßen, und wie die Branche Hindernisse beseitigen kann. KONTAKTE JAMES BACOS RICHARD McKENZIE Global Retail Practice Leader [email protected] +49 89 939 49 441 Asian Retail Practice Co-Leader [email protected] +852 2201 1700 CHRIS BAKER MARÍA MIRALLES CORTÉS North American Retail Practice Co-Leader [email protected] +1 312 345 2965 Iberian Retail Practice Leader [email protected] +34 615 036 406 WAI-CHAN CHAN SIRKO SIEMSSEN Asian Retail Practice Co-Leader [email protected] +852 2201 1700 European Retail Practice Co-Leader [email protected] +49 89 939 49 574 BERNARD DEMEURE FREDERIC THOMAS-DUPUIS French Retail Practice Leader [email protected] +33 1 4502 3209 North American Retail Practice Co-Leader [email protected] +1 514 350 7208 NICK HARRISON European Retail Practice Co-Leader [email protected] +44 20 7852 7773 ÜBER OLIVER WYMAN Oliver Wyman ist eine international führende Managementberatung mit weltweit 3.700 Mitarbeitern in mehr als 50 Büros in 26 Ländern. Das Unternehmen verbindet ausgeprägte Branchenspezialisierung mit hoher Methodenkompetenz bei Strategieentwicklung, Prozessdesign, Risikomanagement und Organisationsberatung. Gemeinsam mit Kunden entwirft und realisiert Oliver Wyman nachhaltige Wachstumsstrategien. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Geschäftsmodelle, Prozesse, IT, Risikostrukturen und Organisationen zu verbessern, Abläufe zu beschleunigen und Marktchancen optimal zu nutzen. Oliver Wyman ist eine hundertprozentige Tochter von Marsh & McLennan Companies (NYSE: MMC). Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de. Copyright © 2015 Oliver Wyman. Alle Rechte vorbehalten.