- Oliver Wyman

Transcrição

- Oliver Wyman
THE OLIVER WYMAN
RETAIL JOURNAL
AUSGABE 4
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
die Geschichte des Einzelhandels ist vom Aufstieg und Fall verschiedener Anbieter,
Konzepte, Formate und Kanäle geprägt. Seit Jahren befindet sich die Branche wieder in
einer Phase des tief greifenden Wandels. Entsprechend steht im Mittelpunkt des neuen
Retail Journals der Blick in die Zukunft: Wie können die kommenden Jahre erfolgreich
gestaltet werden angesichts der weltweiten Expansion diskontierender Formate, des
ungebremsten Siegeszugs direkter Vertriebskanäle und einer entsprechend neuen
Dynamik rund um das Verstehen, Adressieren und Binden jedes einzelnen Kunden?
Im europäischen Lebensmitteleinzelhandel sind harte Marktanteilskämpfe, Marktaustritte
und neue Allianzen die Vorboten einer weiteren Konsolidierungswelle. An deren Ende
werden nur einige europäische Giganten sowie stark differenzierte, regional verwurzelte
Anbieter übrig bleiben und mit nochmals deutlich weiterentwickelten Kompetenzen und
Fähigkeiten um die stagnierende Nachfrage kämpfen. Die Weichen hierfür werden heute
gestellt. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren werden strategische Weitsicht, Ertrags- und
Kapitalstärke sowie fähigkeitenbasierte Wettbewerbsvorteile sein.
Mehr noch als der Discount forcieren die Direktkanäle den Umbruch im Handel – und
zwar in allen Warenbereichen. Die Etablierten kämpfen dabei mit zwei zentralen
Herausforderungen. Zum einen stellt sich die Frage, welche Geschäftsmodelle
überhaupt nachhaltig wirtschaftlich betrieben werden können. Zum anderen zeigt
sich in der Umsetzung, dass Marktneulinge bei der digitalen Nutzererfahrung, der
Direktansprache und dem Fulfillment als zentralen Treibern der Kundenzufriedenheit
stets die Nase vorn haben.
Marktverwerfungen, Onlineplattformen und technologischer Wandel rücken den Kunden
noch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer den direkten Zugang zum einzelnen
Kunden verliert, droht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden und bestenfalls zu
einer Supply Chain degradiert zu werden, die über Marktplätze agiert. Während dabei die
klassischen, transaktionsbasierten Kundenbindungsaktivitäten rasant an Wirkungsgrad
verlieren, ergeben sich zugleich viele neue Möglichkeiten.
Ich würde mich freuen, wenn das vorliegende Retail Journal die Diskussion in Ihrem
Unternehmen bereichert und neue Denkanstöße liefert.
Sirko Siemssen
Sirko Siemssen
European Retail Practice Co-Leader
[email protected]
+49 89 939 49 574
Inhalt
Ausgabe 4
STRATEGIEN
6
SHOWDOWN IM EUROPÄISCHEN
LEBENSMITTELEINZELHANDEL
16
Bis 2025 dürfte sich die Zahl der großen
Lebensmittelhändler in Europa halbieren
26
DIE EVOLUTION
DES SUPERMARKTS
Das Lebenszyklusmodell
im Handel
DIE ZUKUNFT
DER KUNDENBINDUNG
Aufbau einer neuen Generation
von Loyalitätsprogrammen
30
HERAUSFORDERUNGEN IN
RUSSLAND UND CHINA
Russland: LEH am Scheideweg
China: Die große Verlangsamung
OPERATIONS
34
ABLAUFOPTIMIERUNG
AM POINT OF SALE
46
Überwindung von Abteilungsgrenzen und
Reduzierung von Komplexität
DIE NEUE IT IM
EINZELHANDEL
Wie sich die IT von heute auf die Welt in
drei Jahren einstellen muss
ONLINE
58
STATIONÄRER EINZELHANDEL
Wie die Geschäfte im Onlinezeitalter
gedeihen können
74
THE WINNER TAKES IT ALL
Rentable Geschäftsmodelle
für den Onlinehandel
66
WIE MAN KUNDEN GEWINNT
Lehren aus dem deutschen
Onlinehandel
SHOWDOWN IM
EUROPÄISCHEN
LEBENSMITTELEINZELHANDEL
BIS 2025 DÜRFTE SICH DIE ZAHL DER
GROSSEN LEBENSMITTELHÄNDLER
IN EUROPA HALBIEREN
6
STRATEGIEN
Bewährte Wachstumsmodelle basierend auf einem Ausbau
des Filialnetzes, einer Konsolidierung auf nationaler Ebene
und fortschreitender Diversifizierung liefern nicht mehr das
flächenbereinigte Wachstum, um eine gute Wirtschaftlichkeit zu
gewährleisten. Zudem sind die europäischen Märkte weitgehend
gesättigt und der Wettbewerbsdruck durch Discount, aber auch
Onlinekanäle steigt. Nach Überzeugung von Oliver Wyman steht
der europäische Lebensmittelhandel daher vor grundlegenden
Veränderungen inklusive einer länderübergreifenden
Konsolidierungswelle, die bis 2025 zu einer Halbierung der Zahl der
großen Anbieter führen wird.
Die Mega-Treiber des Wandels im europäischen Lebensmittelhandel
bleiben auch in den kommenden zehn Jahren unverändert:
eine stagnierende Nachfrage, das Schwächeln traditioneller
Wachstumsmotoren sowie die überaus aggressive europaweite
Expansion spezialisierter Wettbewerber wie Discounter
(vgl. Abbildung 1). Mit dem wachsenden Wettbewerbsdruck
wird die Zahl der Schlagzeilen steigen, die sich mit Preiskriegen,
Kursrückgängen und Wettrennen um Einkaufsallianzen sowie
mitunter dem Ausscheiden von Unternehmen aus dem Markt
beschäftigen. Um die eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten,
sollten sich Lebensmittelhändler daher mit den folgenden vier
Fragen beschäftigen:
1
Wie lässt sich ein Quantensprung bei den
Kosten erreichen?
2
Wie lässt sich die Produktivität jeder Arbeitsstunde und
jedes Quadratmeters erhöhen?
3
4
Kostenführerschaft wird zur Pflichtübung.
Nur hochproduktive Geschäftsmodelle werden überleben.
Wie lässt sich das internationale
Wachstum vorantreiben?
Größe zählt – und länderübergreifendes Wachstum
gehört zu den wenigen Möglichkeiten, um Skaleneffekte
zu realisieren.
Wie lässt sich die Kundenbindung noch besser festigen
und vertiefen?
Angesichts neuer Wettbewerber ist es entscheidend,
Kunden enger zu binden.
7
Abbildung 1: Das Wachstum von Aldi und Lidl in Europa von 2004 bis 2014
VERÄNDERUNG DER ANZAHL DER FILIALEN*
Deutschland
+1117
Polen
+641
Frankreich
+594
Vereinigtes
Königreich
+585
Spanien
+324
Niederlande
+298
Rumänien
+288
Schweiz
+276
Italien
+266
Ungarn
+248
Österreich
+205
Tschechien
+199
Irland
+188
Bulgarien
+139
Belgien
+138
Slowakei
+130
Griechenland
+125
Slowenien
+122
Schweden
+118
Portugal
+115
Kroatien
+105
Dänemark
+96
Finnland
+84
Zypern
+16
Luxemburg
+10
Malta
+7
Norwegen
-18
* Aldi Nord plus Aldi Süd plus Lidl
Quellen: Planet Retail und Oliver Wyman-Analyse
8
STRATEGIEN
1. W
IE LÄSST SICH EIN QUANTENSPRUNG BEI DEN
KOSTEN ERREICHEN?
Graduelle Verbesserungen der Kostenstruktur dürften in den kommenden Jahren kaum ausreichen.
Erfolgreichen Unternehmen wird ein Quantensprung gelingen. Das Nachsehen haben diejenigen,
die abwarten und lediglich reagieren.
Die Mehrzahl der Einzelhändler kennt die Bedeutung der Kosten nur zu gut und eine schrittweise
Reduzierung ist Jahr für Jahr ein Kernelement der meisten Strategien. Doch in vielen Fällen gehen
diese Anstrengungen wohl nicht weit genug. Für eine dauerhaft wettbewerbsfähige Kostenposition
bedarf es Quantensprünge vor allem in zwei Bereichen: bei Skalenvorteilen im Einkauf sowie im
schlanken, intelligenten Betrieb von Supply Chain und Verkaufsstellen.
Um die notwendige Größe zur Durchsetzung besserer Konditionen bei Lieferanten zu erreichen,
wird es mehr und stärkere Einkaufsallianzen geben. Nach Meinung von Oliver Wyman sollte
jedes Handelsunternehmen seine Optionen hinsichtlich des Beitritts oder der Gründung von
Einkaufsallianzen sorgfältig prüfen (vgl. Abbildung 2). Fällt diese Option aus, müssen die
Unternehmen selbst umso dringender sicherstellen, dass ihr Einkauf den Vergleich mit den Besten
weltweit nicht zu scheuen braucht. Beispielsweise gilt es dann, durch intelligente Nutzung von
Daten in Lieferantengesprächen einen echten Vorsprung zu erzielen. Mehr Informationen dazu
bietet der Point of View „Mehr Verhandlungserfolg dank besserer Argumente“, den wir Ihnen auf
Wunsch gerne zuschicken.
Abbildung 2: Einkaufsallianzen europäischer Lebensmittelhändler
EMD
•
•
•
•
•
•
Axfood
Groupe Casino
Markant
- dm
- Globus
- Kaiser’s Tengelmann
- Kaufland
- Müller
- Rossmann
Norges Gruppen
SuperGros
u. a.
ALIDIS
•
•
•
EDEKA
ITM Entreprises
Grupo Eroski
COOPERNIC
•
•
•
Coop Italia
Delhaize Group
E.Leclerc*
In Frankreich
•
•
•
Carrefour + Dia + CORA
Groupe Auchan + Systeme U
ITM Entreprises + Groupe Casino
Strategische Partnerschaft
seit Juni 2015
•
•
REWE Group
E.Leclerc
AMS
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Ahold
Booker
Dansk Supermarked
Esselunga
Hagar
ICA
Jeronimo Martins
Kesko
Migros
Morrisons
CORE
•
•
•
•
Colruyt
Conad
Coop Switzerland
REWE Group*
Seit 2014
•
•
Groupe Auchan
Metro Group
* E.Leclerc und REWE Group gaben im Juni 2015 ihre strategische Partnerschaft bekannt.
Vermerk: Status Juni 2015
9
Um die Konkurrenz wirklich abzuhängen, bedarf es darüber hinaus neuer Ansätze zur
Reduzierung der Kosten in anderen Unternehmensbereichen. So könnten traditionelle
Anbieter manche Sortimentsbereiche deutlich straffen und die Kosten und Komplexität in
der Lieferkette fundamental reduzieren. Denkbar ist ähnlich wie bei Onlinehändlern auch der
Einsatz automatisierter Algorithmen für einen größeren Anteil der alltäglichen Category- und
Dispositionsentscheidungen. Diese Ansätze werfen ohne Zweifel schwierige Fragen auf und
stellen den Status quo auf den Prüfstand. Doch Abbildung 3 verdeutlicht, dass die daraus
resultierenden Vorteile bei der Profitabilität ein Unternehmen in einem Maß gegen Veränderungen
und Mengenverluste schützen können, wie es dem Wettbewerb vermutlich nicht gelingt.
2. W
IE LÄSST SICH DIE PRODUKTIVITÄT JEDER ARBEITSSTUNDE
UND JEDES QUADRATMETERS ERHÖHEN?
Da die Margen sinken und die Zukunft unsicher erscheint, kommen schlecht laufende Filialen
unweigerlich auf den Prüfstand. In vielen Fällen verhindern indes langlaufende Mietverträge
kurzfristige Schließungen. Dessen ungeachtet gibt es innovative Möglichkeiten, die Profitabilität
dieser Standorte zu verbessern. Sie lassen sich beispielsweise als Sammel- und Abholstellen
nutzen, die auch anderen, nicht-konkurrierenden Händlern offenstehen. So können Kunden in
Großbritannien bereits seit Jahren ihre Bestellung von John Lewis-Haushaltswaren bei einem
lokalen Waitrose-Supermarkt in Empfang nehmen. Neuerdings ist es auch möglich, eBayEinkäufe in einer von Hunderten Argos-Filialen abzuholen.
Diese Formen der Zusammenarbeit erlauben es dem einen Partner, mit niedrigen Kosten vor
Ort präsent zu sein, und dem anderen, überflüssige Fläche zu nutzen. Genau diesen Ansatz
verfolgt auch die britische Supermarktkette Sainsbury’s mit der Eröffnung von Argos-Outlets
in ihren Läden. Und die Idee ist nicht auf Beziehungen zwischen Einzelhändlern beschränkt:
Procter & Gamble erlaubt Amazon in den USA, Bestellungen über P&G-Lager abzuwickeln,
um die Transportkosten zu reduzieren und die Auslieferung zu beschleunigen.
Abbildung 3: Wie ein Vorsprung bei der Profitabilität den Einfluss von Absatzrückgängen zum Beispiel aufgrund eines
vordringenden Onlinegeschäfts mindern kann
Einzelhändler A
Operative Marge
zu Beginn: 8%
Anteil der
profitablen Filialen
drei Jahre nach
Markteintritt der
Onlinehändler
Einzelhändler B
Operative Marge
zu Beginn: 5%
0
20
40
60
FILIALNETZ
IN PROZENT
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
10
80
100
Anteil der
unprofitablen
Filialen drei Jahre
nach Markteintritt
der Onlinehändler
STRATEGIEN
Eine höhere Auslastung der vorhandenen Vermögenswerte kann eine sehr wirkungsvolle
Methode sein, das eigene Geschäftsmodell zu stärken. Die bestehende Kostenbasis besser zu
nutzen, kann dabei ebenso wichtig sein, wie diese von vornherein zu reduzieren.
3. W
IE LÄSST SICH DAS INTERNATIONALE
WACHSTUM VORANTREIBEN?
Größe bleibt ein entscheidender Treiber für die Finanzkraft jedes Handelsunternehmens. In
vielen europäischen Märkten stößt jedoch die nationale Konsolidierung an ihre Grenzen. Einige
Regulierungsbehörden sträuben sich dagegen, weitere Übernahmen oder Zusammenschlüsse
der verbleibenden großen Handelsunternehmen zuzulassen. Die Alternative liegt in einer
Strategie, die über lange Zeit im Lebensmittelhandel verpönt war: internationale Konsolidierung.
Mit zunehmender Sättigung kommt es in den meisten Branchen zu einer Konsolidierung
(vgl. Abbildung 4). Große Unternehmen expandieren und übernehmen dabei häufig
Wettbewerber – zunächst auf nationaler Ebene, doch danach auch über Landesgrenzen
hinweg. In diesem Prozess geraten schwächere sowie langsame Anbieter ins Visier und werden
geschluckt. Oliver Wyman geht davon aus, dass diese Entwicklung auch im europäischen
Lebensmitteleinzelhandel unausweichlich ist – wie in vielen anderen, einst klar nationalen
Industrien wie Telekommunikation, Luftfahrt oder Textileinzelhandel.
Abbildung 4: Die Konsolidierung wird im Lebensmittelhandel ähnlich wie in anderen Branchen verlaufen
MARKTANTEIL DER DREI GRÖSSTEN ANBIETER IN EINER BRANCHE
IN PROZENT
100
Rüstung
Tabak
Softdrinks
50
Retail-Banking
Telekommunikation
Fluglinien
Automobile
Chemie
Fast-Food-Restaurants
0
1. Stufe
Aufbau und
Innovation
LEBENSMITTELHANDEL 2015
2. Stufe
Wachstum und
Konsolidierung
3. Stufe
Fokussiertes
Wachstum
4. Stufe
Finale:
Mega-Allianzen
und Abwehr von
neuen Wettbewerbern
LEBENSMITTELHANDEL 2025
Eine kleine Zahl großer Unternehmen beherrscht Branchen wie Tabak, Softdrinks, Verteidigung und Automobilherstellung.
Nach Erwartungen von Oliver Wyman beginnt sich in den kommenden zehn Jahren auch der Lebensmittelhandel entlang dieser
Konsolidierungskurve zu bewegen. In anderen Handelszweigen gibt es bereits Beispiele. Dazu zählen Möbel (IKEA), Textil (Inditex
und H&M) sowie Luxusgüter. Mit Blick auf dieses Modell hängt der langfristige Erfolg eines Unternehmens davon ab, wie schnell und
wie erfolgreich es sich entlang der Konsolidierungskurve bewegt. Wer zu langsam ist, verschwindet vom Markt oder wird Ziel von
Übernahmen. Sich dem Wettbewerb nicht zu stellen oder diesen zu ignorieren, verbessert die Chancen zu überleben auch nicht.
Quellen: Harvard Business Review und Oliver Wyman-Analyse
11
In einer Welt maßgeschneiderter Eins-zu-eins-Interaktionen kann eine Internationalisierung
auch den Blick für neue, sehr gezielte Innovationen für einzelne Kundengruppen öffnen. Solche
Innovationen basieren häufig auf dem Einsatz moderner Technologien: Eine gut gemachte
App für die gesunde Ernährung dürfte unabhängig von Landesgrenzen auf Interesse stoßen.
Schließlich verbindet einen Kunden mit Glutenunverträglichkeit in einem Land mehr mit
einem Kunden in einem anderen Land, der ebenfalls unter Zöliakie leidet, als mit einem ganz
normalen Konsumenten. Die Bedeutung nationaler Grenzen schwindet, wenn Kunden auf solche
Dienstleistungen zugreifen können.
4. W
IE LÄSST SICH DIE KUNDENBINDUNG NOCH BESSER
FESTIGEN UND VERTIEFEN?
Der direkte Draht zum Kunden ist ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg
der großen europäischen Supermarktketten. Es bedarf jedoch erheblicher Anstrengungen
der traditionellen Anbieter, um die einst für selbstverständlich erachtete Kundenbeziehung
zu erhalten. Denn neue Geschäftsmodelle verändern den Markt von Grund auf, indem
sie die traditionelle Funktion des Handels in neuer Form erfüllen (AmazonFresh, Google
Shopping) oder die persönliche Schnittstelle zum Kunden am Ende der Wertschöpfungskette
übernehmen (Shutl, DPD, Uber). Der Erfolg oder Misserfolg von Lebensmittelhändlern hängt
entscheidend davon ab, inwieweit sie sich gegen neue Wettbewerber wie Onlineaggregatoren
und Lieferservices zur Wehr setzen und den so wichtigen direkten Draht zum Kunden
erhalten können.
In diesem Umfeld ist Wissen Macht. Es kommt darauf an, die vorhandenen Kundendaten richtig
auszuwerten, um die bestehenden Beziehungen auf individueller Basis weiterzuentwickeln
und durch differenzierte Kundenerlebnisse eigenständige Ökosysteme mit hoher
Bindungskraft aufzubauen.
Der Schlüssel liegt in einer intelligenten Nutzung von Daten und entsprechender Analysen.
Unternehmen können ihre Position nachhaltig stärken, indem sie bessere und relevantere Apps
sowie informationsgetriebene Dienstleistungen entwickeln, die Kunden begeistern.
DIE FINALE KONSOLIDIERUNGSWELLE
Im Verlauf der kommenden Konsolidierungswelle wird sich der Lebensmittelhandel in
Europa nach Überzeugung von Oliver Wyman letztendlich in zwei Lager spalten: in starke
paneuropäische Supermächte und flexible lokale Platzhirsche (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5: Wie der Lebensmittelhandel 2025 aussehen wird
12
SUPERMÄCHTE
PLATZHIRSCHE
Regionale Abdeckung
Hohe paneuropäische Präsenz
National und lokal
Angebot
Überwiegend Spezialisten, einige wenige
Generalisten differenzieren sich durch eine
bessere Kundenbindung sowie durch eine
höhere Effizienz im Management und im Betrieb
Maßgeschneidert auf die jeweiligen
lokalen Bedürfnisse
Überlebensvorteil
Skaleneffekte
Innovationen sowie kreative, schnell
anpassbare Strategien
STRATEGIEN
In diesem Markt wird es weniger Lebensmittelhändler als heute geben. Derzeit existieren in
Europa 25 große Anbieter mit einem Umsatz von jeweils mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr.
Bis 2025 wird sich diese Zahl nach Einschätzung von Oliver Wyman halbieren und die Größe der
Überlebenden deutlich steigen.
WAS BRAUCHT ES, UM ZU DEN GEWINNERN
ZU ZÄHLEN?
Wer sich frühzeitig und schnell bewegt, verschafft sich ohne Frage eine starke Position – Voraussetzung
ist, dass die Richtung stimmt. Unabhängig davon, ob sich Unternehmen zur Supermacht oder zum
Platzhirsch entwickeln, hilft ihnen eine Fokussierung auf die folgenden drei Schlüsselthemen, um zu
überleben und künftig zu prosperieren.
1. L ANGFRISTIGES DENKEN UND INVESTITIONEN IN DIE
STRATEGIEFINDUNG ZAHLEN SICH AUS
Einzelhändler sollten sich intensiv mit der Frage beschäftigen, wo sie in zehn Jahren stehen wollen
und müssen. Nur so können sie die Beschränkung auf kurzfristige, schrittweise Verbesserungen
überwinden und grundlegende Veränderungen über die gesamte Organisation hinweg planen.
Um zu einer realistischen Einschätzung der eigenen Position und möglicher Optionen zu
gelangen, sollten Unternehmen nicht nur ihren nationalen, sondern auch den europäischen
Lebensmitteleinzelhandelssektor in den Fokus rücken und auf dieser Basis denkbare
Verwerfungen simulieren. Die größte Bedrohung für ein Unternehmen kann in der
grenzüberschreitenden Konsolidierung, aber auch in einer lokalen Herausforderung liegen.
In jedem Fall gilt: Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete.
Wichtige Erkenntnisse über erfolgreiche und weniger erfolgreiche Strategien können sich auch
aus der Beschäftigung mit der Konsolidierungskurve in anderen Branchen ergeben, wie sie
Abbildung 4 zeigt. Mehr Informationen über den Nutzen eines solch branchenübergreifenden
Denkansatzes finden sich in dem Artikel „Trading Places“ aus der zweiten Ausgabe von „Ten Ideas
from Oliver Wyman“, die wir Ihnen auf Wunsch gerne zusenden.
2. W
ER DAS EINMALEINS DES HANDELS BESSER BEHERRSCHT,
VERSCHAFFT SICH EINEN VORSPRUNG
Flächenbereinigtes Wachstum bedingt in einem gesättigten Markt eine permanente Optimierung
des bestehenden Geschäfts, um dessen Produktivität zu steigern. Aus diesem Grund konzentrieren
sich so viele Unternehmen auf eine Verbesserung des Angebots, eine Steigerung der operativen
Effizienz sowie eine Reduzierung der Kosten.
Ein überzeugendes, einzigartiges Angebot kann die Kundenfluktuation verringern und ein erster
Schritt auf dem Weg hin zu einem höheren Marktanteil sein. Online wie offline gilt es daher
herauszufinden, was Kunden wirklich wollen, und diese Bedürfnisse in einer Art und Weise zu erfüllen,
wie es dem Wettbewerb nicht gelingt. Darüber hinaus ist zu ermitteln, was Kunden nicht wollen, um
diese Bereiche aus dem Angebot streichen zu können, damit Kunden wie Unternehmen Geld sparen.
13
Obwohl Einzelhändler mittlerweile in Daten förmlich ertrinken, haben viele die dadurch
möglichen Leistungsverbesserungen noch nicht realisieren können. Die Besten sind jedoch
bereits heute in der Lage, über maßgeschneiderte Category-Management-Systeme bessere
Entscheidungen mit weniger Zeiteinsatz und Aufwand zu treffen und schneller zu reagieren.
Das gleiche Ziel haben ausgefeilte Tools für Lieferantengespräche. Oliver Wyman hat bereits
verschiedene Lebensmittelhändler dabei unterstützt, Dutzende verschiedener Datenquellen
in ein solches Tool zu integrieren und intelligente Analysen zu fahren. Die Einkäufer erhalten so
leicht verständliche Berichte in einem für die Gespräche passenden Format.
3. DEN MARKT ANFÜHREN, ANSTATT NUR MITZULAUFEN
Üblicherweise nehmen Kunden Follower-Strategien nicht wahr und überhastete Reaktionen
auf unvorhergesehene Veränderungen führen in der Regel zu einer mangelhaften Umsetzung
und höheren Kosten. Nur wer die Initiative ergreift, kann die Zukunft nach seinen Vorstellungen
prägen. Für die meisten Unternehmen erfordert die Entscheidung, die Zukunft selbst zu
gestalten, zwingend eine Veränderung der Kultur hin zu mehr Experimentierfreude, höherer
Risikobereitschaft und Agilität. Sie werden damit „zukunftsoffen“ statt „zukunftssicher“, und
genau dies ist die beste Möglichkeit, um den Veränderungen in den kommenden zehn Jahren
begegnen zu können. Ein Unternehmen sollte einen Markt anführen und nicht nur mitlaufen.
FAZIT
Der Lebensmittelhandelssektor in Europa wird im Jahr 2025 nicht wesentlich größer
sein als heute. Doch seine Struktur wird sich verändert haben. Getrieben durch eine
grenzüberschreitende Konsolidierungswelle wird die Zahl der großen Handelsunternehmen
zurückgehen, wobei jedes einzelne einen größeren Anteil des europäischen Markts
kontrolliert. Unternehmen, die diese Richtung nicht einschlagen, können sich zu einem
weniger großen, aber dennoch profitablen Platzhirsch entwickeln, der die Bedürfnisse einer
kleineren Kundengruppe schnell und effizient erfüllt, oder drohen ins Hintertreffen zu geraten.
In jedem Fall müssen Unternehmen heute handeln, um zu den Gewinnern im künftigen
Marktumfeld zu zählen. Die Zukunft wird diejenigen Unternehmen belohnen, die sich
schon heute mit der nötigen Entschlossenheit bewegen – die Zeit der kleinen, schrittweisen
Veränderungen ist vorbei. Glänzende Zukunftsperspektiven haben Lebensmittelhändler, die
wissen, wo sie 2025 stehen wollen, und schon heute die richtigen Weichen stellen.
14
STRATEGIEN
Die Zukunft wird
diejenigen Unternehmen
belohnen, die sich schon
heute mit der nötigen
Entschlossenheit
bewegen – die Zeit
der kleinen, schrittweisen
Veränderungen ist vorbei.
15
DIE ZUKUNFT DER
KUNDENBINDUNG
AUFBAU EINER NEUEN GENERATION
VON LOYALITÄTSPROGRAMMEN
Was herkömmliche, transaktionsbasierte Kundenbindungsprogramme wirklich sind, wird in einer
Welt voller neuer Technologien und hoher Kundenerwartungen schnell deutlich: undifferenzierte,
unzureichend genutzte Verlustbringer.
In der Regel rechtfertigen Einzelhändler die Kosten ihrer Kundenbindungsprogramme mit den
gewonnenen Daten. Diese können als Entscheidungsgrundlage und Basis für zielgerichtete
Kampagnen dienen oder an Lieferanten verkauft werden. Doch bei genauerer Betrachtung lässt
sich dieser Mehrwert häufig weder realisieren noch als Begründung für die Investitionen in das
Programm heranziehen. Vielmehr kann ein transaktionsbasiertes Kundenbindungsprogramm,
das Kunden im Schnitt ein bis zwei Prozent ihrer Einkäufe gutschreibt, nach Analysen von
Oliver Wyman den Gewinn eines Einzelhändlers mit einem Jahresumsatz von 10 Milliarden
US‑Dollar um 30 bis 60 Millionen schmälern. Werden noch die erheblichen Kosten für den Betrieb
des Programms hinzuaddiert, wird deutlich, dass die Gewinne aus der Nutzung der Daten
vermutlich niemals die Gesamtkosten ausgleichen werden.
Nicht jedes Kundenbindungsprogramm entspricht dem Schema in Abbildung 1. Doch unabhängig
davon gibt es selbst bei den derzeit besten Programmen noch Raum für Verbesserungen.
16
Und diese gilt es schnell umzusetzen! Die vorliegende Analyse begründet im ersten Abschnitt
die Notwendigkeit für Veränderungen und zeigt im zweiten Teil, mit welchen Themen sich
Einzelhändler für eine neue Generation von Kundenbindungsprogrammen beschäftigen müssen.
•• Teil1: Warum Veränderungen erforderlich sind
1. Neue Wettbewerber revolutionieren den Markt und stellen den Status quo infrage.
2. Die Kundenerwartungen verändern sich und damit auch die Erwartungen an die
Leistungen von Kundenbindungsprogrammen.
3. Neue Technologien eröffnen neue Möglichkeiten. Wer sie richtig nutzt, kann die
Bedürfnisse der Kunden auf andere, innovative Weise erfüllen.
•• Teil 2: Was über den Erfolg der neuen Programme entscheidet
1. Ein zukunftsoffener Technologieansatz erlaubt es Einzelhändlern, das Gesamtsystem
ihres Programms weiter zu steuern, ohne notwendigerweise sämtliche Komponenten
selbst betreiben zu müssen.
2. Eine Start-up-Mentalität ermöglicht langfristige Investitionen in das Programm.
17
TEIL 1 | WARUM VERÄNDERUNGEN
ERFORDERLICH SIND
1. NEUE WETTBEWERBER REVOLUTIONIEREN DEN MARKT
Einzelhändler müssen neue Wege finden, um den direkten Draht zu den Verbrauchern zu
erhalten und zu stärken, da Marktneulinge ihnen die lange als selbstverständlich erachtete
Kundenbeziehung – die so wichtige direkte Kundenschnittstelle – streitig machen. In Zeiten
von Suchmaschinen, Marktplätzen und Bewertungsportalen „gehört“ der Kunde dem
traditionellen Handel schon lange nicht mehr. Zu dieser Gruppe an Marktteilnehmern gesellen
sich reine Onlinehändler, Hersteller mit einem direkten Vertriebskanal oder Finanzdienstleister
(„E-Wallets“). Sie alle versuchen selbst, eine direkte Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen.
Wenn die Einzelhändler nicht reagieren, nimmt die Loyalität der Konsumenten zu ihrem
Unternehmen aufgrund einer fehlenden direkten Interaktion über die Zeit ab.
Bei der hier diskutierten neuen Generation von Kundenbindungsprogrammen handelt es
sich damit nicht um eine weitere, vorübergehende Modeerscheinung. Sie ist vielmehr ein
entscheidender Faktor für das Überleben und die erfolgreiche Zukunft von Einzelhändlern.
2. DIE KUNDENERWARTUNGEN VERÄNDERN SICH
Kunden erwarten nicht nur attraktivere Prämien, sondern auch eine andere Form der
Beziehung mit den Unternehmen, mit denen sie interagieren wollen. Damit verändert
sich die Rolle der Kundenbindungsprogramme: An die Stelle eines transaktionsbasierten
Tauschverhältnisses zwischen Händler und Verbraucher tritt eine dauerhafte kundenzentrierte
Beziehung (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 1: Die Wirtschaftlichkeit eines typischen Kundenbindungsprogramms
Die Zahlungsströme bei einem Kundenbindungsprogramm eines Einzelhändlers mit einem
Jahresumsatz von 10 Mrd. US$. Die Kunden erhalten 1% ihres Einkaufswerts in Form von Punkten.
WACHSTUM DES ABSATZES AUFGRUND DES PROGRAMMS
IN PROZENT
-13 Mio. US$
-6 Mio. US$
2 Mio. US$
9 Mio. US$
16 Mio. US$
23 Mio. US$
2,5 -23 Mio. US$
-15 Mio. US$
-8 Mio. US$
-1 Mio. US$
7 Mio. US$
14 Mio. US$
2,0 -32 Mio. US$
-25 Mio. US$
-18 Mio. US$
-10 Mio. US$
-3 Mio. US$
4 Mio. US$
1,5 -42 Mio. US$
-34 Mio. US$
-27 Mio. US$
-20 Mio. US$
-13 Mio. US$
-6 Mio. US$
1,0 -51 Mio. US$
-44 Mio. US$
-37 Mio. US$
-30 Mio. US$
-23 Mio. US$
-15 Mio. US$
0,5 -60 Mio. US$
-53 Mio. US$
-46 Mio. US$
-39 Mio. US$
-33 Mio. US$
3,0
0
10
20
30
40
ANTEIL DER NICHT-VERWENDETEN PUNKTE
IN PROZENT
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
18
Das wahrscheinlichste
-25 Mio. US$ Ergebnis ist ein Verlust
von 27 bis 60 Mio. US$
50
STRATEGIEN
Der Design- und Markenspezialist Lippincott, eine Schwesterfirma von Oliver Wyman, hat
diese Trends eingehend in der Studie „Welcome to the Human Era: The new model for building
trusted connections, and what brands need to do about it” untersucht, die wir Ihnen auf Wunsch
gerne zusenden.
Viele Unternehmen beschäftigen sich bereits mit der Frage, wie sich ihre Kundenbindungsprogramme zum beiderseitigen Vorteil weiterentwickeln lassen. Zu den wichtigsten Trends zählen:
•• Eine wachsende Zahl exklusiver Aktionen: Punkte treten in den Hintergrund.
•• Nicht-monetäre Prämien und Gesten gewinnen an Bedeutung: Der kostenlose Kaffee beim
britischen Lebensmittelhändler Waitrose zählt ebenso dazu wie die Kinderbetreuung und der
Frozen Yoghurt bei IKEA.
•• Mit Charity-Prämien und -Punkten können Verbraucher bei jedem Einkauf wohltätige
Organisationen unterstützen. Beispiele sind das „Community Rewards“-Programm der
US‑Supermarktkette Kroger sowie das „Animal Charity Scheme“ des britischen Händlers
Pets at Home.
•• Ein verbessertes Einkaufserlebnis dank zusätzlicher Services: Die App der US-Kaufhauskette
Neiman Marcus umfasst beispielsweise neben dem Shop auch einen Blog sowie eine
Übersicht über Events und ein Tool zur Verwaltung des Punktekontos.
•• Weitgefächerte Lifestyle-Anwendungen: Das Walgreens-Steps-Programm vergibt
beispielsweise Punkte bei einer gesunden Lebensführung.
In all diesen Beispielen gestatten Kunden den Händlern den Zugriff auf ihre Daten nicht, weil sie
dafür Prämien erhalten, sondern weil sie in anderer Weise belohnt oder unterstützt werden.
Der Erfolg solcher Ansätze kann sich über die Zeit verstärken: Die Kunden erlauben so lange
eine detaillierte Nutzung ihrer Daten und eine genaue Analyse ihrer Verhaltensweisen, wie
sie im Gegenzug nützliche Produkte und Services erhalten. Der Einzelhändler profitiert
unmittelbar von einer höheren Kundenloyalität dank vermehrter Wahrnehmung seiner
Marke und einer wachsenden Zahl von Kontakten. Über die Zeit hinweg lässt sich die höhere
Loyalität weiter monetarisieren, da sich aus der vertieften Beziehung zum Kunden zusätzliche
Geschäftschancen ergeben. Interessanterweise gehören viele traditionelle Einzelhändler in
ihrem Heimatmarkt zu den Marken, denen Verbraucher am meisten vertrauen. Sie haben daher
wesentlich mehr Chancen als viele andere Unternehmen, beispielsweise Finanzdienstleister oder
Internetkonzerne, aus eigener Kraft die Kundenbindung zu vertiefen.
Abbildung 2: Charakteristika traditioneller und moderner Kundenbindungsprogramme
DIE ALTE PRÄMIENWELT
DIE NEUE BEZIEHUNGSWELT
Grundlage
Starre Einteilung in Kundengruppen
Individuelle Beziehung
und Zugehörigkeitsgefühl
Prämienberechnung
Transparente Kriterien
ohne Ausnahmen oder
individuelle Spielräume
Kriterien bieten Ermessensspielraum
und erlauben Überraschungen
Betrachtungszeitraum
Gegenwart und Zukunft
Einbeziehung der Vergangenheit
Kommunikationsmittel
Punkte, Kontoauszüge,
Allgemeine Geschäftsbedingungen
Symbole und Gesten der
Zugehörigkeit (ohne zu übertreiben)
Identifizierung
Plastikkarte
Kanal- und
plattformübergreifende Medien
Kundennutzen
Wirtschaftlicher Mehrwert
Weit mehr als Prämien
(z. B. Zugehörigkeit)
Geisteshaltung
Anspruchsdenken
Wertschätzung
19
3. NEUE TECHNOLOGIEN ERÖFFNEN NEUE MÖGLICHKEITEN
Der technische Fortschritt verändert die Möglichkeiten rund um das Thema Kundenbindung mit
hoher Geschwindigkeit. Traditionell besaßen Kunden in der Regel eine Plastikkarte, die an der Kasse
gescannt wurde, um Prämien in Form von Coupons oder besonderen Angeboten per Post oder
E-Mail zu erhalten. In jüngster Zeit haben Smartphones und andere neue Technologien ganz neue
Möglichkeiten geschaffen. Die Verbraucher sind nun ständig online. Die Online- und Offlinewelten
wachsen zusammen, wobei Kunden eine nahtlose, kanalübergreifende Integration erwarten.
In der Folge gibt es nun häufiger gezielte Angebote zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt oder für
einen begrenzten Zeitraum. Der Schuhhändler Meat Pack integrierte in Guatemala beispielsweise
eine GPS-Funktion in seine App und wusste daher, wann Nutzer Filialen der Konkurrenz
betraten. Zu bestimmten Zeiten löste dies im Rahmen der sogenannten „Hijack“-Kampagne eine
Rabattaktion aus. Der Rabatt begann bei 99 Prozent und sank Sekunde für Sekunde, bis der Kunde
eine Meat Pack-Filiale betrat. Der nachfolgende Kauf wurde samt Rabatt automatisch bei Facebook
geteilt – der virale Effekt war garantiert.
Neue Technologien führen auch zu einem verstärkten Austausch zwischen Verbrauchern
und Händlern. Soziale Netzwerke sind mittlerweile ein zentrales Medium für Beschwerden.
Kunden erwarten hierbei, dass Unternehmen ihr Problem über den gleichen Kanal auch
lösen. Zudem steuern die Konsumenten zunehmend Art und Umfang ihrer Interaktionen mit
Kundenbindungsprogrammen. Sie entscheiden selbst, ob sie ihre Facebook-Daten teilen wollen,
um einen Rabatt zu erhalten oder an einem Wettbewerb teilzunehmen.
Onlinedienste erobern darüber hinaus auch den stationären Handel. So erleichtern Apps
Verbrauchern, sich in einem Laden zu orientieren und bestimmte Produkte zu finden. Smartphones
können auch beim Self-Scanning zum Einsatz kommen oder den Bezahlvorgang beschleunigen.
Der Einsatz dieser neuen Technologien wird durch immer intelligentere Analysemethoden der
rasant wachsenden Datenbestände untermauert. Die IT-Abteilungen im Handel müssen hierfür
ebenso Kapazitäten aufbauen wie für die schnelle, iterative Entwicklung von Apps.
TEIL 2 | WAS ÜBER DEN ERFOLG DER NEUEN
PROGRAMME ENTSCHEIDET
Natürlich ist es viel einfacher, ein einzigartiges, unverwechselbares und effektives Kundenbindungsprogramm zu beschreiben als zu betreiben. Aber es kann gelingen. Ein gutes Beispiel
ist das „Balance Rewards“-Programm der US-Drogerie- und Apothekenkette Walgreens.
Hier dreht sich alles um vom Einkauf unabhängige Prämien und die Generierung eines
Mehrwerts für Verbraucher und Unternehmen. Abbildung 3 fasst zusammen, wie solch ein
Kundenbindungsprogramm funktioniert.
Derzeit verändern einige Einzelhändler ihre Kundenbindungsprogramme recht erfolgreich,
andere dagegen nicht. Auch wenn sich kein Fall mit dem anderen vergleichen lässt, gibt es zwei
Themen, bei denen sich die Vorreiter von den Nachzüglern unterscheiden:
•• Ein zukunftsoffener Technologieansatz erlaubt es Einzelhändlern, das Gesamtsystem ihres
Kundenbindungsprogramms zu steuern, ohne notwendigerweise sämtliche Komponenten
selbst betreiben zu müssen.
•• Eine Start-up-Mentalität (und oft auch eine entsprechende Organisationsstruktur) ermöglicht
langfristige Investitionen in das Programm.
20
STRATEGIEN
Abbildung 3: Kundenbindungsprogramme aus Kundensicht
KUNDENSICHT
… mobile Interaktion
… personalisierte Prämien
ICH WILL ...
… Prämien, wo und wann
immer eine Interaktion
stattfindet
… eine einfache Möglichkeit,
den Status zu überprüfen und
Prämien einzulösen
… Prämien auch unabhängig
von Einkäufen
… Angebote, wenn ich
gerade einkaufe
… Austausch mit dem
Unternehmen
… die Kontrolle über meine
Interaktionen und Daten
WIE SICH DIESE KUNDENBEDÜRFNISSE
ERFÜLLEN LASSEN
• Angebot einer Auswahl für den Kunden passender
Prämien
• Big-Data-Analysen verschiedener Datenquellen
ermöglichen es, Prämien auf Basis des tatsächlichen
Kundenverhaltens und seines Lebenszyklus
bereitzustellen; der Fokus liegt auf Cross-Selling und
der Vertiefung der Kundenbeziehung
• Ersatz von herkömmlichen Plastikkarten durch Apps
• Information der Kunden über Produktneuheiten
• Versendung von Coupons und anderen Prämien
direkt an mobile Endgeräte
• Adaption neuer Technologien (Telefone, Tablets,
Brillen, Uhren etc.)
• Kanalübergreifende Kundenbindung dank
entsprechender Einblicke in das Kundenverhalten und
eines Programms, das sich über alle Kanäle (Filialen,
Marken und Onlineshops) erstreckt
Mio. US$
• Angebote basierend auf Ortungsdiensten
(„Geolocation“) und Kundenaktivitäten bzw. dem
jeweiligen Mikrosegment
• Prämienmanagement aus einer Hand; dazu dient unter
anderem die Bündelung sämtlicher Meilen, Punkte
oder Prämien in einer App oder einer Website
• Stärker personalisierte Angebote für Kunden, die
ihre Vorlieben und Abneigungen teilen
• Belohnung von Kunden, die mehr Informationen
über sich selbst teilen, z. B. im Zusammenhang mit
Interaktionen in sozialen Medien
• Einführung einer nutzerfreundlichen Plattform, um
Kontaktinformationen, Präferenzen etc. leicht
einrichten und verwalten zu können
1. EIN ZUKUNFTSOFFENER TECHNOLOGIEANSATZ
Die ersten, im Betrieb sehr inflexiblen Kundenbindungsprogramme basierten vor 20 Jahren auf
kostspieligen Inhouse-Systemen und -Technologien. Die einzige Alternative bestand damals in
einer Zusammenarbeit mit Drittanbietern wie Aimia in Kanada oder Payback in Deutschland.
Doch damit gaben die Einzelhändler einen Großteil der Kontrolle über ihre Programme und
Daten auf.
Heute ist Flexibilität das Gebot der Stunde. Die Kosten für den technischen Betrieb eines
Kundenbindungsprogramms sind erheblich niedriger, und es gibt eine Fülle von spezialisierten
Anbietern für jeden Bestandteil des Gesamtsystems. Einzelhändler verfügen daher über
zahlreiche Möglichkeiten für den Aufbau ihres Programms – entweder intern, mit OutsourcingPartnern oder eine Mischung von beiden, wobei jeder Partner einen anderen Aspekt abdeckt.
21
EINZELHÄNDLER MÜSSEN DAS GESAMTSYSTEM UND NICHT JEDE
KOMPONENTE KONTROLLIEREN
Nach Überzeugung von Oliver Wyman ist dem Interesse von Einzelhändlern am besten
gedient, wenn sie selbst das Gesamtsystem steuern, anstatt ihr Kundenbindungsprogramm
an einen Partner auszulagern. Zugleich können sie mit einer ganzen Reihe von Spezialisten
zusammenarbeiten, die über besonders wirkungsvolle oder differenzierende Instrumente
verfügen. In Anlehnung an das Beispiel Apple und den Ansatz „Designed in California“ behalten
Einzelhändler so die Kontrolle über ihr Kundenbindungsprogramm, ohne intern für jeden
Bestandteil Kapazitäten vorhalten zu müssen.
PROGRAMME SOLLTEN ZUKUNFTSOFFEN, NICHT ZUKUNFTSSICHER SEIN
Da sich Kundenerwartungen und Technologien mit enormer Geschwindigkeit verändern, ist der
Gedanke attraktiv, das gesamte Kundenbindungsprogramm zukunftssicher zu gestalten und für
jede denkbare Entwicklung vorab eine Lösung zu erarbeiten. Doch es ist wenig wahrscheinlich,
dass sich so unbekannte Herausforderungen und Möglichkeiten wirklich adressieren lassen. Es
ist daher erheblich besser, ein flexibles, zukunftsoffenes System aufzubauen, das die Integration
neuer Komponenten in eine modulare Architektur ermöglicht. Nur dadurch kann beispielsweise
dem immer dynamischeren Mediennutzungsverhalten der Konsumenten, vor allem im Hinblick
auf die sozialen Medien, Rechnung getragen werden.
HERAUSRAGENDE LEISTUNGEN IN DER DATENANALYSE UND ITERATIVEN ENTWICKLUNG
SIND NOTWENDIG
Eine langfristige Differenzierung im Wettbewerb beruht künftig auf einer besseren Analyse
von Kundendaten und in der Folge auf innovativeren Produkten und Services sowie einer
verbesserten Entscheidungsfindung im Kerngeschäft. Damit verbunden ist die Notwendigkeit,
schnell und kontinuierlich weitere Serviceleistungen und Apps entwickeln zu können. Kunden
erwarten hier ständige Verbesserungen.
2. EINE START-UP-MENTALITÄT
Der Aufbau eines effektiven Kundenbindungsprogramms und der entsprechenden IT erfordert
Investitionen. Die meisten Einzelhändler kontrollieren solche Ausgaben sehr genau und fordern
eine Rechtfertigung über einen entsprechenden Business Case.
Dieser Ansatz kann beim Thema Kundenbindung hinderlich sein, wie das folgende Beispiel
verdeutlicht: Angenommen, die Entwicklung und Markteinführung einer App mit Rezepten
und Einkaufsvorschlägen kostet fünf Millionen US-Dollar. Obwohl eine solche App die Loyalität
der Kunden aller Wahrscheinlichkeit nach über die Zeit vertieft, lassen sich ihre direkten
Auswirkungen auf den Absatz wohl nur grob quantifizieren. Unterstützer für die anfängliche
Investition sind so nur schwer zu gewinnen.
Wenn man sich die Mentalität eines Start-ups zu eigen macht, ändert sich der Blick auf
das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Ein greifbarer Nutzen entsteht, wenn beispielsweise jedem
Verbraucher, der die App herunterlädt, ein Wert von 50 US-Dollar beigemessen wird. In diesem
Fall sind 100.000 Downloads notwendig, um die Entwicklungskosten der App abzudecken
(eine geringe Zahl verglichen mit den Millionen von Kunden großer Supermarktketten). Der
entsprechende Business Case sähe wesentlich attraktiver aus.
22
STRATEGIEN
Abbildung 4: Die Zukunft der Kundenbindung unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Ansätzen
VOR 15–20 JAHREN
HEUTE
IN ZUKUNFT
Was die Programme
Kunden bieten
•• Punkte honorieren Preisgabe
von Daten
•• Prämien in Form von Vouchers
•• Punkte
•• Punkte sowie maßgeschneiderte
Prämien und Angebote (z. B. ein
kostenloser Kaffee für Karteninhaber
beim Besuch einer Waitrose-Filiale)
•• Größere Bandbreite von
Möglichkeiten, Kundentreue
zu honorieren
•• Stärker auf die persönlichen
Bedürfnisse zugeschnittene Inhalte
Welche Ziele die
Unternehmen verfolgen
•• Einblicke in das Kundenverhalten
aus der Distanz
•• Gewinn und Segmentierung
von Daten
•• Möglichkeit, gelegentlich etwas
versenden zu können
•• Gewinn eines tief greifenden
Verständnisses des Verhaltens und
der Einstellungen von Kunden
•• Aufbau einer 1:1-Beziehung
•• Regelmäßiger Dialog
•• Individuellerer Zuschnitt
•• Regelmäßigerer Kontakt
•• Größerer unmittelbarer Nutzen für
den einzelnen Kunden
Welche Unternehmen
Programme einsetzen
•• Nur wenige bzw. die
größten Einzelhändler
•• Viele Einzelhändler jeder
Größenordnung und Branche
•• Nahezu jeder Einzelhändler
Wie die
Interaktion funktioniert
•• Präsentation der Karte an der Kasse
•• Versand von Kontoauszügen
auf Papier
•• Vielfältige Möglichkeiten zu
•• An jedem Ort, zu jeder Zeit, über
interagieren und Daten zu sammeln
jede Plattform
•• Zunehmender Onlineanteil
(z. B. E-Mail-Updates)
Wie das Gesamtsystem
aufgebaut ist
•• Entwicklung und Aufbau
vorwiegend im Unternehmen
•• Auslagerung an Dritte, die alle
Leistungen aus einer Hand anbieten
•• Etablierte Anbieter von Kundenbindungsprogrammen
•• Vielzahl spezialisierter Anbieter
einzelner Komponenten
•• Niedrigere Kosten für Entwicklung
und Markteinführung
•• Einzelhändler steuern System unter
Einbindung von Spezialisten
•• Flexible, sich ständig
verändernde Architektur
Nach Auffassung von Oliver Wyman sollten Einzelhändler vermehrt wie ein Start-up über
neue Methoden der Kundenbindung nachdenken und entsprechende KPIs entwickeln. Damit
lassen sich die notwendigen Investitionen für den Erfolg ihres Kundenbindungsprogramms
tätigen – und rechtfertigen.
FAZIT
Die Vorreiter in Sachen Kundenbindungsprogramme bewegen sich weg von transaktionsbasierten
und hin zu variantenreicheren, flexiblen Modellen, die den Kunden erheblich stärker einbinden
(vgl. Abbildung 4). Im Zentrum dieses Wandels steht der verstärkte Einsatz neuer Technologien.
Einzelhandelsunternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Systeme die Einbindung und
Unterstützung von technischen Innovationen erlauben, die eine neue Generation von
Kundenbindungsprogrammen ausmachen. Sie benötigen zudem neue Kennzahlen, um die Erträge
ihrer Programme einschätzen und langfristige Investitionen begründen zu können.
Erfolgreiche Einzelhändler vertiefen und stärken mit einer neuen Generation von Programmen die
Kundenbindung. Ihre Initiativen können zugleich der Abwehr von neuen Wettbewerbern dienen,
die sich zwischen Händler und Kunden zu drängen versuchen.
23
EINBLICK
RETAIL
LEADERSHIP CIRCLE
Der diesjährige Retail Leadership Circle von Oliver Wyman
in Hamburg nahm Customer Relationship Management
(CRM) als das bestimmende Thema der nächsten Jahre
in den Fokus. Unter dem Titel „The Imperative of Loyalty:
Leveraging Cross-Channel CRM in Retail” diskutierten
30 Führungskräfte aus dem Handel die Herausforderungen
von Kundenbindungsprogrammen. Mit Impulsvorträgen
beleuchteten die Experten die unterschiedlichen Blickwinkel
der gegenwärtigen Entwicklungen und drängenden Fragen
wie die Rolle der sozialen Medien, die Vorstöße durch
Konsumgüterhersteller sowie die Argumentation für oder
gegen offene Loyalitätsprogramme.
Insbesondere drei zentrale Hypothesen wurden erörtert:
1. Heutige Loyalitätsprogramme sind teuer und erfüllen
nicht (mehr) den gewünschten Zweck.
2. Bereits heute findet ein zunehmend starker Wettbewerb
um die Kundenschnittstelle statt. Ein leistungsstarker
CRM-Ansatz ist eines der zentralen Instrumente für
Händler in diesem Wettbewerb.
3. Eine sich sehr dynamisch entwickelnde Mediennutzung
stellt eine weitere Herausforderung für jedes CRM-System
dar. Flexibilität in mehreren Dimensionen muss frühzeitig
berücksichtigt werden.
LOYALITÄTSPROGRAMME AUF
DEM PRÜFSTAND
Durch die immer komplexeren Kundenerlebnisse sowohl bei
der Informationssuche als auch beim Kaufprozess werden
ein tiefes Verständnis und eine zielgerichtete Ansprache über
die „richtigen“ Kanäle erfolgskritisch. Zudem wird der direkte
Kundenzugang mehr und mehr zum Wettbewerbsschauplatz
zahlreicher Marktteilnehmer. In einem Umfeld, in dem
Suchmaschinen, Preisvergleichsportale, Marktplätze, soziale
Medien und zunehmend auch die Hersteller um den direkten
Kundenzugang konkurrieren, laufen Händler ohne ein
gut funktionierendes CRM-System Gefahr, in immer mehr
Abhängigkeiten zu geraten. Das Wettbewerbsniveau steigt infolge einer immer größer
werdenden Anzahl vergleichbarer Loyalitätsprogramme, wodurch die besondere
Attraktivität des jeweiligen Programms sinkt. Nur die individuellen, leistungsfähigen
Programme können aus der Masse an Angeboten herausstechen.
Trotz der hohen Relevanz von CRM ist das Leistungsgefälle im deutschen Handel
enorm. Zahlreiche Händler besitzen entweder kein Kundenbindungsprogramm
oder nutzen vorhandene Daten nur unzureichend. Die effektive Nutzung von
Kundendaten kann oft zu signifikanten und profitablen Mehrumsätzen führen.
CRM ist ein sehr effektives Tool, um die Marktdurchdringung zu maximieren, die
Kundenbindung sicherzustellen, sich gegen neue Marktteilnehmer zu schützen und
Sortimente zu lokalisieren.
Der weitaus größte Anteil der deutschen Händler unterhält eine Art von
Kartenprogramm, das oft recht einfach als „Earn-Burn“-Mechanismus aufgesetzt
ist. Dabei können die Kunden in der Regel Punkte sammeln, die einem indirekten
Discount von zumeist ein bis drei Prozent entsprechen. Häufig ist in diesem Prozess
jedoch nicht vorgesehen, dass auch eine Interaktion mit dem Konsumenten
stattfindet. Dies hat zur Folge, dass Einzelhandelsunternehmen zwar das
Einkaufsverhalten ihrer Kunden kennen, nicht aber den Konsumenten dahinter – eine
individuelle, kundenspezifische Ansprache findet in den seltensten Fällen statt.
Auch differenzierte Optionen, um Punkte zu sammeln oder einzulösen, wie es
beispielsweise in Hotels möglich ist, werden kaum angeboten. Angloamerikanische
Händler wie Walgreens oder Asos gehen hier bereits den nächsten Schritt. So
wird beispielsweise das Mitteilen persönlicher Leistungsdaten oder – im Fall von
Asos – das Teilen von persönlichen Looks über soziale Medien inzentiviert.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass trotz eines fortgeschrittenen
Multikanalverhaltens vieler Kunden die Händler hierzulande nur vereinzelt in der
Lage sind, Konsumenten individuell zu erfassen. Nicht selten existieren mehrere,
unabhängig voneinander operierende Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systeme,
die beispielsweise nach unterschiedlichen Kanälen getrennt werden. An dieser
Stelle treten immer häufiger die Hersteller selbst als Wettbewerber zu den Händlern
in Erscheinung – und damit in Interaktion mit dem Endkunden. Inspirierende
Einsichten bot hierzu der Vertreter eines Sportartikelherstellers, der über die
detaillierte Nutzung von Daten zu den Laufwegen von Wearables berichtete. Der
Reichtum an Daten aus sozialen Medien, Transaktionen oder der Nutzung digitaler
Produkte wird von führenden Herstellern zunehmend aktiv genutzt. Die daraus
resultierenden Einsichten ermöglichen eine spezifische, individuelle Ansprache
der Konsumenten.
Zuletzt wurde das immer dynamischer werdende Medienverhalten der Konsumenten
erörtert, das eine zunehmende Herausforderung darstellt. Der Konsument verfolgt
bereits heute ein aktives Multikanalverhalten entlang des Einkaufsprozesses. Nicht
selten werden erste Kaufrecherchen am heimischen Computer oder Tablet gestartet
und auf dem Weg zur Arbeit mit dem Mobiltelefon fortgeführt. Der letztendliche
Einkauf kann im stationären Handel oder über zahlreiche weitere Wege erfolgen.
Vor allem die Nutzung sozialer Medien stellt Herausforderungen an die Wahl
des richtigen strukturellen Aufbaus eines CRM-Programms. Wichtig ist dabei,
die Programme mit der notwendigen Flexibilität auszustatten, um dynamische
Entwicklungen abbilden zu können.
DIE EVOLUTION
DES SUPERMARKTS
DAS LEBENSZYKLUSMODELL
IM HANDEL
Händler sind zum Wachstum verdammt. Steigende Fixkosten bei einem
besonders in Deutschland konstant hohen Preis- und Margendruck
müssen kompensiert werden. Daher setzen Lebensmittelhändler bis
zur absoluten Marktsättigung konsequent auf Flächenexpansion – bis
die zusätzliche Fläche schließlich nur noch weit unterdurchschnittliche
Erträge abwirft und ökonomisch nicht mehr sinnvoll ist. Der
Wachstumsdruck allerdings bleibt. Wie aber sieht die Lösung aus?
Fest steht: Erfolgreiche Vollsortimenter werden den Discountern
noch stärker Paroli bieten müssen, indem sie das Niveau ihrer
Frischeabteilungen weiter anheben und ihren Kunden an einzelnen
Standorten das „lokal perfekte Sortiment” anbieten.
Nach dem Lebenszyklusmodell befinden wir uns gerade im
Übergang von der Wachstums- zur Reifephase. Während das eher
makroökonomische Modell einen fließenden Übergang zwischen den
Phasen beschreibt, ist die Veränderung für Handelsunternehmen
in der Realität dramatisch. Plötzlich sind völlig neue Ansätze und
Mitarbeiterfähigkeiten gefragt, um auf gleicher Fläche weiter zu
wachsen. Standort für Standort und Quadratmeter für Quadratmeter
müssen effizienter bewirtschaftet und besser „ausgeschöpft” werden.
Diese Weiterentwicklung birgt viele Herausforderungen für Einkauf,
Category Management, Vertrieb und IT. Müssen Umsatzsteigerungen
auf der gleichen Fläche realisiert werden, ist der natürliche Reflex ein
„Trading-up”. Zum einen sollen Bestandskunden zu höherpreisigen
Käufen animiert, zum anderen Neukunden von höherwertig
positionierten Händlern abgeworben werden.
26
STRATEGIEN
27
MEHR FRISCHE, MEHR QUALITÄT
Beispiele sind die aktuelle Strategie von Aldi mit Markenlistungen sowie die deutliche
Aufwertung des Frischeangebots und die Qualitätskampagne bei Lidl. Haben die Harddiscounter
diese „neue DNA” angenommen, werden sie ihre Flächenproduktivität wieder steigern und dem
in Deutschland zuletzt starken Vollsortiment perspektivisch Marktanteile abnehmen. Doch wie
lässt sich gegensteuern? Vollsortimenter können sich auf einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil
gegenüber Discountern besinnen: die Beherrschung von Komplexität. Während die Discounter
mit nationalen Standardmodellen maximale Skaleneffekte realisieren, haben die Vollsortimenter
schon immer eine stärkere Differenzierung gepflegt – über unabhängige Kaufleute ebenso
wie über eine ausgeklügelte Steuerung des eigenen Filialnetzes. So haben sie in den letzten
Jahren Sortimente zunehmend regional differenziert, indem sie Sortimentsmodule eingeführt,
Regionalfenster geschaffen und Filialcluster gebildet haben.
LÄNDLICH, STÄDTISCH, ERFOLGREICH
Gerade die Bildung von Filialclustern, etwa „ländlich”, „vorstädtisch” und „städtisch”, sowie die
entsprechend differenzierte Sortimentsgestaltung hat vielen Händlern bereits erste Erfolge
gebracht. Zugleich war die daraus resultierende Komplexität gerade noch mit den gängigen
Category-Management-Tools und Prozessen beherrschbar. Doch der schöne Schein trügt. Die
Lebensmittelnachfrage ist lokal erheblich komplizierter als angenommen. In der Projektarbeit
von Oliver Wyman zeigt sich immer wieder, wie sehr sich das Abverkaufsranking nach Marken
und Artikeln auf Filialebene unterscheidet.
Solche Unterschiede in der lokalen Nachfrage können je nach Warengruppe etwa von einem
größeren Kundenanteil an Senioren oder Familien getrieben sein. Oder sie entstehen durch eine
benachbarte Schule, das Fehlen eines Bäckers in unmittelbarer Nähe oder eine Bushaltestelle
direkt vor der Tür. Lokale Nachfragemuster bieten eine erhebliche Umsatzchance. lnsbesondere
Filialen mit weniger als 1.500 Quadratmetern Verkaufsfläche können mit einer intelligenten,
datenbasierten, filialindividuellen Sortimentsgestaltung ein Umsatzwachstum von bis zu zehn
Prozent realisieren – und zwar bei gleicher Fläche! Bei diesem Potenzial ist es nach Überzeugung
von Oliver Wyman nur eine Frage der Zeit, bis Voll­sortimenter diesen Weg gehen. Auch für
die Großfläche bietet ein lokal differenziertes Vorgehen große Chancen. Hier können die
Flächenanteile der einzelnen Warengruppen noch besser austariert werden, um den Kunden
genau in den Warengruppen eine große Auswahl anbieten zu können, mit denen sie den Markt
zur Einkaufs­destination machen.
28
STRATEGIEN
Eine lokale Sortimentsgestaltung ist aber nicht mit lokalen Artikeln
aus der Region zu verwechseln. Diese übernehmen häufig eher eine
Marketingrolle und sind ein Zugeständnis an das Filialteam vor Ort, als
dass sich ihre Listung über entsprechende Drehzahlen rechtfertigt. Die
lokale Sortimentsgestaltung bezieht sich vielmehr auf eine individuelle
Teilmenge des national gelisteten Sortiments, von Grundnahrungs­mitteln über Drogerie- und Tierbedarf bis hin zu einer individuellen
Auswahl an Frische­artikeln. Dabei wird die Zentrale in Zeiten von Big
Data zunehmend bessere Erkenntnisse über die lokale Nachfrage
haben als der Kaufmann vor Ort. Er überblickt die Vielfalt und Dynamik
des verfügbaren Sortiments häufig nicht mehr und reagiert stärker
auf einzelne Kundenwünsche als auf rentable Nachfragemuster. Um
dies zu erreichen, müssen Händler neue Kompetenzen aufbauen.
Während die Logistik in der Regel bereits auf eine sehr feine
Differenzierung ausgelegt ist – solange das national gelistete Sortiment
nicht umfangreicher wird –, ist das Category Management heute
noch weit davon entfernt. Von der Sortimentsdefinition über die
Layouterstellung bis hin zu den Ein- und Auslistungsprozessen sind
die meisten Händler noch nicht wirklich fit für eine deutlich feinere
Differenzierung. Aber genau dies wird mittelfristig ein Faktor sein, der
die Marktanteilsgewinner von den Verlierern unterscheidet.
„Erfolgreiche Vollsortimenter
werden den Discountern
noch stärker Paroli
bieten müssen, indem
sie das Niveau ihrer
Frischeabteilungen weiter
anheben und ihren Kunden
an einzelnen Standorten
das ‚lokal perfekte
Sortiment’ anbieten.”
Abbildung 1: Die Evolution eines Einzelhändlers
LEBENSZYKLUS
PHASE 1
LEBENSZYKLUS
PHASE 2
LEBENSZYKLUS
PHASE 3
LEBENSZYKLUS
PHASE 4
Konzeption und
Innovation
Expansion
Reife
Neuerfindung
Neue Kanäle und
Formate erhöhen
die Kapazität
Produktivität
steigt durch die
Einführung des
Erfolgskonzepts
Verbesserte
Umsetzung und
Kundenleistung
stärken die
Produktivität
Schnelle Expansion
führt zum Aufbau
von Kapazitäten
Fläche („Kapazität“)
Umsatz pro Quadratmeter
(„Produktivität“)
Quelle: Oliver Wyman
29
HERAUSFORDERUNGEN
IN RUSSLAND
UND CHINA
30
STRATEGIEN
31
RUSSLAND: LEH AM SCHEIDEWEG
Russland war in den letzten Jahren ein Wachstumsmotor für lokale und westliche
Lebensmitteleinzelhändler. Doch die Zeiten der grenzenlosen Expansion rund um die Metropolen
Moskau und St. Petersburg sind vorbei. Ging es in der Vergangenheit darum, ein erfolgreiches
Format zu finden und damit möglichst schnell zu expandieren, wird nun der Kampf um
Wachstum auf bestehender Fläche in den Vordergrund rücken.
Zugleich mischt die Wirtschaftskrise die Karten neu. Bei einem realen Einkommensverlust von
über zehn Prozent im Jahr 2015 orientieren sich russische Konsumenten um: Der Preis spielt
plötzlich eine viel stärkere Rolle. Diese Zeit der Unsicherheit nutzen lokale Händler geschickt, um
sich gegen die Konkurrenz und inflationär bedingte Preiserhöhungen zu positionieren – durch
verstärkte Aktionsaktivitäten, mehr Angebot im Preiseinstieg und eine stärkere Rolle
der Eigenmarken.
Grundlage für diese Initiativen sind operative Effizienz in den Märkten, der Logistik und Zentrale
sowie neue Fähigkeiten im Einkauf. Hier besteht viel Nachholbedarf und Zeitdruck, um die Basis
für ein attraktiveres Angebot zu legen und eine bessere Preispositionierung zu finanzieren.
Mit der russischen Customer Perception Map von Oliver Wyman lässt sich diese Entwicklung
im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) genau verfolgen. Haben die Konsumenten 2014 noch
einen geringen Differenzierungsgrad zurückgespielt, sind bei der nächsten Befragung bereits
deutliche Tendenzen hin zu klaren Gewinnern und Verlierern zu erwarten. Die Chancen für
westliche und lokale Händler sind groß. Aber die Weichen für künftigen Erfolg müssen bereits
heute gestellt werden.
Abbildung 1: Die Customer Perception Map (CPM) für Russland
RUSSISCHER LEBENSMITTELEINZELHANDEL 2014, 2.000 BEFRAGTE KONSUMENTEN
Stark
Azbuka Vkusa
Metro Cash&Carry
Okey
ANGEBOT
SPAR
Perekrestok
Magnolia
Narodnaya
Semia
Victoria
Lenta
Karusel
7th Continent
Magnit
Auchan
Nash
Billa
Dixy
Atak
Monetka
Großflächen
Pyaterochka
Supermärkte
Schwach
Discounter
Schwach
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
32
PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS
Stark
STRATEGIEN
CHINA: DIE GROSSE VERLANGSAMUNG
Über Jahrzehnte hinweg galt China als Garant für zweistelliges Wachstum. Insbesondere im
letzten Jahr hat sich diese Dynamik drastisch verändert. Während multinationale Händler
mit Fokus auf stationärem Geschäft in den bekannten Metropolen teilweise sogar like-for-like
Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, wachsen ihre nationalen Wettbewerber vor allem dank
des Onlinegeschäfts und des Booms in den weniger bekannten Städten. Für die multinationalen
Player gilt es daher, sich auf eine neue Realität einzustellen.
China ist nicht mehr das Land des grenzenlosen Wachstums. Wer dies akzeptiert, das
Marktwachstum in seinem Segment versteht und entsprechend korrekt für die Zukunft
plant, stellt sein Geschäft auf ein stabiles Fundament. Diejenigen, die sich mit Fokus auf den
stationären Handel in den großen Metropolen positionieren, werden analog zum Markt nicht
mehr wachsen und relativ verlieren. Der Schwerpunkt vieler Multis aufseiten der internationalen
Händler und Hersteller ist nach wie vor der stationäre Handel. Dieser wird auch weiterhin der
größte Vertriebskanal bleiben. Andererseits sind Onlinekanäle in China schon heute wesentlich
bedeutsamer als in Westeuropa und müssen über dediziertes Personal mit GuV-Verantwortung
konsequent adressiert werden. Ein zu starker Fokus auf Filialen und Einkaufszentren verkennt
diese Realität und lenkt von dem dramatisch an Bedeutung gewinnenden Onlinegeschäft ab.
Weniger bekannte Städte sind als Quelle des Wachstums in China attraktiver denn je. Wer
wachsen möchte, sollte den Zugang zu diesen Konsumenten sicherstellen. Das Potenzial
unterscheidet sich je nach Unternehmen stark. Der richtige Ansatz sollte daher mit Bedacht
gewählt werden. Selbstverständlich für alle Anbieter ist eine Bedienung dieser Städte über
Onlinekanäle. Sofern es das Geschäftsmodell hergibt, sollten Unternehmen zudem eine
fundierte stationäre Strategie entwickeln, die das Beste aus dieser Gelegenheit macht.
Abbildung 2: Händler mit deutlich reduzierten Wachstumsperspektiven
UMSATZWACHSTUM UND URSACHEN FÜR WACHSTUMSRÜCKGANG
Marktdurchschnitt 2012
~14%
~1%
Inflation
Reale Verlangsamung
des Wachstums
1–2%
Marktdurchschnitt 2014
~12%
Überdurchschnittliche Präsenz
in bekannten Metropolen
2–3%
Unterdurchschnittliche
Präsenz online
2–3%
Wachstum für Unternehmen, die
auf das Rezept der Vorjahre setzen
~5% Rückgang wegen
starker Präsenz offline
und in bekannten Metropolen
~7%
Weitere Verlangsamung
des Markts 2015
Wachstumsperspektive 2015 ff.
~2% Rückgang des
Marktwachstums in China
1–2%
~2% zusätzlicher
Rückgang im Folgejahr
~5%
Anmerkung: Beispielunternehmen mit Umsatzsplit online zu offline von 5% zu 95% und Tier-1-und-2-Städte zu anderen Städten von 80% zu 20%
33
ABLAUFOPTIMIERUNG
AM POINT OF SALE
ÜBERWINDUNG VON ABTEILUNGSGRENZEN
UND REDUZIERUNG VON KOMPLEXITÄT
Einzelhandelsunternehmen in allen Branchen haben ihre Märkte mit
Optimierungsprogrammen bereits an ihre Leistungsgrenzen getrieben.
Was aber nach Überzeugung von Oliver Wyman viele von ihnen
nicht erkannt haben, ist die unterstützende Rolle, die die Zentrale bei
Effizienzsteigerungen am Point of Sale (POS) übernehmen kann. Eine
der Hauptaufgaben der Zentrale besteht darin, den Routinebetrieb
prinzipiell zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das führt zu
höherer Effizienz in den Läden, einem besseren Kundenerlebnis und
zur Stärkung der Mitarbeitermoral. Dieser Artikel fokussiert den
Handlungsbedarf und zeigt Best Practices anhand von Fallstudien auf.
Angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks durch Internetanbieter
und Discounter, der auf die eine oder andere Weise die meisten
Handelssektoren und Märkte betrifft, sind kosteneffiziente
Betriebsabläufe im Einzelhandel heute so wichtig wie nie zuvor.
Bei der Senkung ihrer Kosten betrachten Einzelhandelsunternehmen
häufig Einkauf, Category Management, Logistik und IT getrennt
voneinander. Die Zentrale kürzt zudem die Personalbudgets für die
Märkte in der Hoffnung, dass die Marktleiter Lösungen vor Ort finden,
um ihre Vorgaben weiterhin zu erfüllen. Die Folge ist häufig nicht
nur ein schlechterer Kundenservice, sondern auch ein gestresstes
und demotiviertes Personal. Oder es wird eine aufgabenspezifische
Arbeitseinteilung und Budgetierung eingeführt, die den Unterschieden
in den Märkten und der Belegschaft oft nicht gerecht wird.
Nach Überzeugung von Oliver Wyman gibt es einen besseren
Weg, um Einsparungen zu erzielen: durch das Überwinden von
Abteilungsgrenzen sowie einen Ansatz zur Aufgabenvereinfachung
und Kostenreduktion, der die einzelne Filiale in den Fokus rückt. Kern
dieses Ansatzes ist, die Perspektive der Kunden und Mitarbeiter am
POS einzunehmen und zu hinterfragen, was die Zentrale und andere
Abteilungen tun können, um Vereinfachungen einzuführen und letztlich
Betriebskosten zu sparen. Erfahrungen zeigen: Ein Einzelhandelsunternehmen mit einem Umsatz von 10 Milliarden Euro kann damit in
einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten 100 Millionen Euro durch
Effizienzsteigerungen realisieren. Ein weiterer Vorteil dieses Konzepts
ist, dass damit oft auch das Kundenerlebnis und die Mitarbeitermoral
verbessert werden.
36
Operations
KOSTENEINSPARUNGEN AN DEN
BEDÜRFNISSEN DER MÄRKTE AUSRICHTEN
Bei der Planung und Umsetzung von Kosteneinsparungen, bei denen der einzelne Markt im
Mittelpunkt steht, müssen die Abteilungen in der Zentrale die Perspektive der Märkte einnehmen
und analysieren, was den Kunden und Mitarbeitern Probleme bereitet, um diese auf direktem
Weg auszuräumen.
Im ersten Schritt geht es in der Regel darum, einen genauen Überblick über die tatsächliche
Verteilung der Arbeitszeiten in den Läden zu gewinnen (vgl. Abbildung 1). Dabei ist Transparenz
unter Umständen schwierig herzustellen. Ausgangspunkt ist deshalb eine genaue Beobachtung
der Abläufe vor Ort und die direkte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen
im Laden. Dieser Prozess sollte auch die Entwicklung grundlegender Hypothesen zu
Verbesserungspotenzialen einschließen. Mögliche Fragen sind:
•• Was sind die ärgerlichsten Zeitfresser?
•• Wie viele Stunden sind für bestimmte Prozesse in einer Abteilung vorgesehen?
•• Welche weiteren Optimierungsmaßnahmen sind durchführbar?
Abbildung 1: Mitarbeitertätigkeiten nach Abteilungen
5% 5%
25%
8%
15%
6%
18%
25%
8%
13%
14%
36%
84%
85% 96%
97%
96%
100%
86%
Service
und
Theken
51%
Lebensmittel
16%
WarenHandling
annahme von Standardware
Bestellungen
Regalpflege
Handling
von Aktionsware
In-StoreProduktion
Kasse
Check-out
Verwaltung
und Kundenservice
und
Ladenpflege
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
37
Abbildung 2: Störfaktoren beim Einkaufserlebnis vermeiden
STÖRFAKTOR
ERKLÄRUNG
LÖSUNG
Weite Laufwege für Mitarbeiter
Die Wege, die die Mitarbeiter in den
Läden beispielsweise beim Auffüllen oder
Anbringen neuer Preisschilder am Regal
zurücklegen müssen, sind oft unnötig lang.
Kürzen Sie die Wege für die Regalbefüllung, indem
die Ware im Lager entsprechend ihrer Position im
Layout der Filiale kommissioniert wird. Räumen Sie
den Läden Flexibilität ein, um spezifische Laufwege
für verschiedene Aufgaben wie die Aktualisierung von
Preisauszeichnungen zu schaffen. Siehe Fallstudie 1.
Wartezeiten an den Kassen
Der Check-out-Prozess ist ineffizient
aufgrund von Systemfehlern oder Produkten
mit Barcodes, die Probleme beim Einscannen
verursachen. Zudem müssen häufig
Systemvorgänge (z. B. Storno) von der
Filialleitung genehmigt werden. Das führt zu
Wartezeiten und unzufriedenen Kunden.
Kontrollieren Sie die Qualität und Platzierung von
Barcodes und prüfen Sie die Kassen auf Effizienz:
Vorschriften, technische Infrastruktur und Qualifikation
der Kassierer. Siehe Fallstudie 2.
Unzureichende Regalverfügbarkeit
Regallücken werden häufig dadurch
verursacht, dass die automatischen
beziehungsweise halbautomatischen
Bestellsysteme zu komplex und die
Bestelltools für die Mitarbeiter keine wirkliche
Hilfe sind. Dadurch kann es vorkommen, dass
der Verkauf nicht ausreichend mit Nachschub
versorgt wird.
Ermitteln Sie die häufigsten Ursachen für Out-of-Stocks
und prüfen Sie die Prognosesysteme und Bestandstools
auf Schwächen. Passen Sie nach Möglichkeit die
Systemparameter an und vereinfachen Sie die Tools.
Siehe Fallstudie 3.
Komplexe Sonderaktionen
Die Durchführung wöchentlicher
Sonderaktionen ist oft eine Hauptursache
für Komplexität. Aktionsware wird häufig
Wochen im Voraus bestellt und die
Prognosesysteme (wenn sie überhaupt für
Sonderaktionen auf Ladenebene vorhanden
sind) sind alles andere als perfekt.
Erstellen Sie Vorhersagen für Sonderaktionen mithilfe
anspruchsvoller Algorithmen zentral, um den einzelnen
Läden exakte Prognosen für Aktionsware zu liefern.
Redundantes Berichtswesen
Berichte und KPIs sind nicht aussagekräftig,
unübersichtlich und werden selten oder
gar nicht genutzt, um Verbesserungen
voranzutreiben. Häufig sind sie
auch redundant.
Sorgen Sie für eine einfache, bereichsübergreifende
Perspektive Ihrer Berichtsstruktur. Siehe Fallstudie 4.
Mangelhafte Logistik
Die Lieferung erfolgt nicht im angekündigten
Zeitraum oder es fehlen Artikel.
Häufig ist auch die Verpackung in den
Containern mangelhaft.
Führen Sie strenge Servicevereinbarungen ein, die
den Läden mehr Planungssicherheit und höhere
Lieferstandards bieten. Damit erhöhen sich zwar unter
Umständen die Kosten in der Lieferkette, doch die
Einsparungen im Laden gleichen das mehr als aus.
Manuelle Arbeitsplanung
Filialleiter greifen beim Personaleinsatz
auf Grobplanungen zurück.
Arbeitsplanungstools sind häufig nicht
nutzerfreundlich oder zu praxisfern.
Erfassen Sie Best Practices aus den Läden und
entwickeln Sie ein praktisches, nutzerfreundliches
Arbeitsplanungstool, das die individuellen
Anforderungen der Läden und die Erfordernisse
aufgabenbezogener Arbeitsmodelle berücksichtigt.
Schulungsprogramme verfehlen
ihren Zweck
In Schulungsprogrammen für
Ladenmitarbeiter sind viele Einheiten
für Theorie und Richtlinien vorgesehen.
Praxistraining und die Vermittlung von Best
Practices sowie Tipps und Tricks kommen
dabei zu kurz.
Binden Sie das Ladenpersonal in die Gestaltung der
Schulungsprogramme ein. Am besten findet die
Schulung direkt im Laden statt und basiert auf realen
Beispielen und Best Practices. Sorgen Sie dafür, dass
die Personalabteilung und zentralen Vertriebsbereiche
regelmäßig mit den Läden zusammenarbeiten,
um aktuelle Best Practices und Tipps und
Tricks einzubringen.
38
Operations
Abbildung 2 zeigt einige Beispiele für typische Schwierigkeiten und Lösungen, die dieser Prozess
häufig zutage bringt.
Entscheidend ist ein detaillierter und systematischer Prozess zur Identifizierung, Priorisierung,
Entwicklung und Umsetzung von Potenzialen (vgl. Abbildung 3).
In der Regel sind die Ergebnisse innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Einführung dieses
Prozesses sichtbar und messbar. Typische Erfolge sind:
•• 10 bis 20 Prozent weniger Arbeitszeit aufgrund höherer Mitarbeitereffizienz und weniger
Zeitverschwendung in den Läden
•• Höhere Regalverfügbarkeit und Umsatzsteigerungen von bis zu fünf Prozent
•• Verbessertes Kundenerlebnis
•• Geringere Gesamtkosten entlang der Lieferkette
•• Stärkere Einbindung der Mitarbeiter in das Unternehmen und höhere Zufriedenheit
Abbildung 3: Fünf Schritte zur Effizienzsteigerung in den Läden
1
Ermitteln Sie den Status quo und erfassen beziehungsweise prüfen Sie eine umfassende
Liste von Verbesserungsvorschlägen für die Läden.
2
Priorisieren Sie die Liste mit Blick auf ein Gesamtoptimum. Nehmen Sie beispielsweise eine
sorgfältige Gewichtung von Problemen vor, die höhere Kosten in bestimmten Abteilungen
verursachen, aber geringere Kosten für das Gesamtunternehmen bedeuten.
3
Institutionalisieren Sie die team- und bereichsübergreifende Zusammenarbeit.
4
Beginnen Sie mit der Implementierung der Verbesserungen und führen Sie Kontrollen ein:
Etablieren Sie KPIs und klare Zuständigkeiten.
5
Messen Sie den Erfolg jeder Verbesserungsinitiative.
FAZIT
Nach Überzeugung von Oliver Wyman können Einzelhandelsunternehmen erhebliche
Kosteneinsparungen realisieren, wenn sie die Effizienzhindernisse in den Läden identifizieren
und beseitigen, die auf zentraler Ebene oder durch einen Mangel an abteilungsübergreifender
Zusammenarbeit geschaffen werden. Diese Vorgehensweise kann innerhalb von sechs bis
zwölf Monaten beeindruckende Ergebnisse liefern. 10 bis 20 Prozent der Arbeitszeit des
Ladenpersonals lassen sich damit einsparen beziehungsweise für andere Tätigkeiten wie die
Verbesserung des Kundenservice nutzen. Die Regalverfügbarkeit kann um bis zu fünf Prozent
gesteigert, die Höhe der Umsatzausfälle deutlich reduziert werden. Wenn ein Händler zudem ein
offenes Ohr für Ladenpersonal und Kunden hat und Stressfaktoren für Mitarbeiter beseitigt, folgt
daraus auch eine spürbare Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Im Laufe der Zeit werden
dadurch weitere Verbesserungen im Unternehmen vorangetrieben.
39
FALLSTUDIE 1
ZEIT UND ARBEITSAUFWAND FÜR DIE
REGALPFLEGE REDUZIEREN
DIE HERAUSFORDERUNG
Ein Einzelhandelsunternehmen analysierte die Zeit und die Entfernung zwischen den Regalen, die bei
jeder Anlieferung der Ware im Markt aufgefüllt werden mussten. Es stellte fest, dass die Mitarbeiter bis zu
25 Prozent ihrer Zeit mit Auffüllarbeiten verbrachten.
DIE LÖSUNG
Das Logistikteam und die Filialleiter erarbeiteten gemeinsam die beste Möglichkeit zur Optimierung des
Kommissionieraufwands im Lager und der Laufwege, die bei der Regalauffüllung im Markt zurückgelegt
werden mussten (vgl. Abbildung 4). Das Unternehmen restrukturierte seine Lager, indem die Ware einem
typischen Ladenplan entsprechend platziert wurde. Dazu definierte es Warengruppen, die sich in den
Läden nebeneinander befanden, und sorgte dafür, dass diese im selben Kommissionierbereich im Lager
positioniert wurden.
DER ERFOLG
Unter anderem wurde dadurch erreicht, dass die Wege, die das Personal bei der Regalbefüllung
zurücklegen musste, um 20 Prozent verkürzt wurden. Zudem konnte der Zeitaufwand für
Befüllungsarbeiten um knapp zehn Prozent pro Woche und Laden reduziert werden. Die laufende Erfassung
von Warengruppen sorgte dafür, dass Neulistungen und saisonale Sortimentsänderungen problemlos
berücksichtigt werden konnten.
Abbildung 4: Reduzierung der Laufwege beim Auffüllen der Regale
VORHER
ENTFERNUNG FÜR DIE BEFÜLLUNG
20% KÜRZERE LAUFWEGE
10% WENIGER ZEIT FÜR REGALBEFÜLLUNG
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
40
NACHHER
Operations
FALLSTUDIE 2
WARTEZEITEN AN DEN KASSEN REDUZIEREN
DIE HERAUSFORDERUNG
Die meisten Einzelhändler haben Check-out-Systeme mit Sicherheitsvorkehrungen zur Bekämpfung von
Missbrauch und Diebstahl. Diese Systeme erfordern unter Umständen häufige Genehmigungen durch die
Marktleitung, was die Wartezeiten an den Kassen für die Kunden zusätzlich verlängert.
DIE LÖSUNG
Nach Empfehlung von Oliver Wyman wurden alle Check-out-Aktivitäten, bei denen eine Genehmigung
des Marktleiters erforderlich ist, aufgelistet und ihre Häufigkeit sowie der dafür erforderliche Zeitaufwand
erfasst. Die Kassenrichtlinien der Zentrale wurden daraufhin aktualisiert, wobei nur die wirklich
notwendigen beibehalten wurden. Einige genehmigungspflichtige Warnungen entfielen damit vollkommen
und die Richtlinien der Zentrale in Bezug auf die Mindestbestände an Wechselgeld in jeder Kasse
wurden revidiert.
DER ERFOLG
Wie Abbildung 5 verdeutlicht, konnten mit der Anpassung dieser Richtlinien 90 Prozent weniger Rufe des
Filialleiters zur Kasse erreicht werden, während gleichzeitig das Risiko von Missbrauch niedrig gehalten
wurde. Bei diesem Einzelhandelsunternehmen entsprach das fünf bis zehn Stunden der Marktleiter- und
Kassiererzeit pro Woche und vor allem entsprechend kürzeren Wartezeiten für die Kunden.
Abbildung 5: Änderungen der zentralen Regelungen reduzieren Ineffizienzen beim Check-out
15–20
Rufe pro
Tag/Laden
-90%
1–2
Rufe pro
Tag/Laden
Vor der Maßnahme
Nach der Maßnahme
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
41
FALLSTUDIE 3
REGALLÜCKEN VERRINGERN
DIE HERAUSFORDERUNG
Hohe Produktverfügbarkeit ist ein Schlüsselfaktor für Kundenzufriedenheit und verhindert Umsatzausfälle
(vgl. Abbildung 6). Für Regallücken gibt es viele verschiedene Gründe. Das Beispiel eines Einzelhändlers
zeigt, dass circa 60 Prozent der Out-of-Stocks in den Läden selbst verursacht wurden (beispielsweise durch
Probleme beim Auffüllen, beim manuellen Bestellmanagement oder bei der Regalpflege), während etwa
40 Prozent aller Regallücken auf Prozesse in der Zentrale zurückzuführen waren (vgl. Abbildung 7).
DIE LÖSUNG
Die Zentrale modifizierte die Systeme zur Prognose des Warenbedarfs, optimierte die Lieferhäufigkeit
und stellte bessere Tools für die Bestandsverwaltung bereit. In Ergänzung zu den Verbesserungen wurden
In-Store-Schulungen durchgeführt, bei denen alle Mitarbeiter mit Einfluss auf die Produktverfügbarkeit die
kritischsten Szenarien durchspielen konnten und neue Tipps und Tricks zur Vermeidung von Out-of-Stocks
vermittelt bekamen.
DER ERFOLG
Die Regalverfügbarkeit stieg um mehrere Prozentpunkte, insbesondere in kritischen Zeiten wie vor
gesetzlichen Feiertagen oder Großereignissen. Dank der Verbesserungen an den automatischen
Prognosesystemen waren weniger manuelle Eingriffe erforderlich. Insgesamt wurde der Prozess für die
Bestands- und Regalauffüllung verschlankt.
Abbildung 6: Wie Kunden auf Out-of-Stocks reagieren
ANTEIL AM GESAMTWERT
32%
Gänzlicher Verzicht
12%
Kauf bei Konkurrenz
Ersatz (teurer)
5%
32%
Ersatz (gleicher Preis)
12%
Ersatz (günstiger)
Beim nächsten Einkauf
7%
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
Abbildung 7: Warum sind Waren nicht vorrätig?
FEHLER IM LADEN
60%
FEHLER IN
DER ZENTRALE
15%
FEHLER IM LAGER
15%
FEHLER DES
LIEFERANTEN
10%
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
42
Entgangener Umsatz
= 44%
Operations
FALLSTUDIE 4
BESSERE ENTSCHEIDUNGEN DURCH NUTZUNG VON DATEN
DIE HERAUSFORDERUNG
Die meisten Einzelhandelsunternehmen können große Datenmengen nutzen, um viele verschiedene
Auswertungen zu generieren. Oft aber können sie nicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen. In vielen
Fällen befinden sich KPIs und Auswertungen innerhalb von Silos. Erfahrungen zeigen, dass beispielsweise in
Berichten zweier Abteilungen der gleiche KPI ausgewiesen werden sollte, sich dann aber herausstellte, dass
jeder Indikator auf einer anderen Berechnungsgrundlage ermittelt wurde. In isolierten Auswertungen bleibt
die Wirkung von Entscheidungen auf andere Abteilungen unberücksichtigt, zum Beispiel Entscheidungen
des Vertriebs, die sich auf die Logistik auswirken. Ein Unternehmen kann so keine bereichsübergreifenden
Verbesserungen vorantreiben. Bei einem Einzelhandelsunternehmen (vgl. Abbildung 8) änderte etwa das
Category Management die Ladenplanogramme, ohne den Aufwand für die Reorganisation aller Regale in
den Märkten zu berücksichtigen.
DIE LÖSUNG
Wir prüften ein radikal neues Verbesserungskonzept: die Abschaffung aller bestehenden Auswertungen
und einen kompletten Neuanfang. Ziel war die Vereinfachung und Harmonisierung der Berichte. In
Bezug auf die Planogrammänderungen führten wir einen KPI ein, der den Category Managern in der
Zentrale die wahren Kosten von Category-Veränderungen im Laden vor Augen führte. Bei der Hälfte aller
Planogrammänderungen wurden 50 Prozent der Artikel neu positioniert, wobei aber nur knapp 10 Prozent
neue Produkte enthalten waren.
DER ERFOLG
Das Ergebnis war ein großer Schritt in Richtung einer erhöhten Transparenz der Entscheidungsprozesse.
Den Category Managern half der KPI bei der Änderung ihrer Vorgehensweisen. Nur noch wenige
Neulistungen beziehungsweise Auslistungen verursachten umfangreiche Regalplatzwechsel von
Artikeln, und alle Modifikationen, die erforderlich waren, wurden zusammengefasst, um ineffiziente
Reorganisationen in den Läden zu minimieren.
Abbildung 8: Identifizierung ineffizienter Category-Modifikationen, die in einem
Dreimonatszeitraum vorgenommen wurden
ANTEIL NEUER ARTIKEL
IN PROZENT
30
25
20
15
10
5
0
20
30
40
50
60
70
80
ANTEIL VON ARTIKELN, DIE IHRE POSITION WECHSELTEN
IN PROZENT
90
100
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
Hinweis: Jeder Punkt = 1 Planogrammänderung
43
The ECR Europe
Shrinkage & On-shelf
Availability Group
EINBLICK
ECR-KOOPERATION ZU
„SELL MORE, WASTE LESS“
Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung sind
heutzutage allgegenwärtig in politischen, gesellschaftlichen
und ökonomischen Diskussionen. Speziell im Handel sind diese
Diskussionen sehr real, da für Händler Lebensmittelabfälle
neben einem negativen gesellschaftlichen Effekt auch
direkte Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit haben.
Tatsächlich entsteht der größte Anteil an Verlusten jedoch
nicht beim Händler oder in der Supply Chain, sondern direkt
beim Konsumenten. Dennoch hat der Händler auf dem
Weg „vom Feld auf die Gabel“ eine Schlüsselposition, um
Lebensmittelverschwendung entlang der Wertschöpfungskette
nachhaltig zu reduzieren und dabei auch die eigene
Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Mehr Informationen dazu bietet
der Point of View „Schluss mit der Lebensmittelverschwendung“,
den wir Ihnen auf Wunsche gerne zusenden.
Händler stehen dabei oftmals vor der Herausforderung, den
Zielkonflikt zwischen möglichst niedrigen Abschriften und guter
Regalverfügbarkeit zu meistern. Ein zu starker Fokus auf eine der
Dimensionen kann schnell zu einer gefährlichen Abwärtsspirale
führen: Entweder drohen Einbußen durch hohe Abschriften oder
es kommt zu Umsatzverlusten durch Lücken und unattraktive
Optik am POS. Die gute Nachricht ist, dass auf der anderen Seite
sorgfältig geplante Programme mit den richtigen Maßnahmen
beide Dimensionen gleichzeitig verbessern können.
Die am 20. Oktober 2015 von der ECR Europe Shrinkage &
On‑shelf Availability Group veranstaltete Konferenz zum
Thema „Sell More, Waste Less“ in London adressierte genau
diese Herausforderungen. Führende europäische Einzelhändler
und Lebensmittelproduzenten tauschten sich im Rahmen von
Vorträgen, Round-Table-Diskussionen und Workshops über
Fallstudien und Erfolgsbeispiele aus. Stefan Winter, Partner und
Handelsexperte bei Oliver Wyman, stellte dabei internationale
Best Practices zur Eindämmung von Lebensmittelverschwendung
vor und sprach unter anderem über die wachsende Bedeutung
einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Händlern
und Produzenten.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Konferenz war zudem die Vorstellung
der neuesten Ergebnisse der Forschungsgruppe Retail Operations der Technischen
Universität Eindhoven. Auf Basis realer Abverkaufs- und Abschriftdaten führender
europäischer Händler konnte im Rahmen dieser Studie erstmalig ein aussagekräftiger
Ansatz für das optimale Zusammenspiel zwischen Abschriften und Verfügbarkeit
hergeleitet werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse können Händler eine Einordnung
ihres eigenen Verfügbarkeits- und Verlustniveaus vornehmen und entlang eines
Maßnahmenkatalogs erste Ansatzpunkte definieren.
Die Frische insgesamt und
die Abschriften sind zusammen die
wahrscheinlich am wenigsten
beachteten und ausgereizten
Hebel im Lebensmittelhandel. Bei
gemeinsamer Optimierung von Frische
und Abschriften können auf einer
Umsatzbasis von 10 Milliarden Euro
bis zu 60 Millionen Euro Zusatzertrag
generiert werden – bei gleichzeitig
steigenden Umsätzen und einer
verbesserten Marktpositionierung.
DIE NEUE IT IM
EINZELHANDEL
WIE SICH DIE IT VON HEUTE
AUF DIE WELT IN DREI JAHREN
EINSTELLEN MUSS
46
Operations
Innovationen aus der IT-Abteilung werden künftig einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg jedes
Einzelhändlers leisten. Bei einigen Unternehmen hat die Zukunft bereits begonnen. Mithilfe
der IT können sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie ihre Onlinekunden bewegen.
Damit verändert sich auch die Rolle der IT: Sie übernimmt eine geschäftstreibende statt eine
unterstützende Funktion. Wann ein CIO seine Abteilung als Innovationsmotor positionieren
kann, hängt weitgehend von der Nachfrage nach digital gestützten Einkaufserlebnissen ab.
Mittlerweile ist der Wandel im Verbraucherverhalten weit fortgeschritten. Die Frage lautet dann
nicht mehr wann, sondern wie sich ein Unternehmen neu aufstellen muss. Davon sind auch
CIOs im Einzelhandel überzeugt. Viele sind aber nach wie vor unsicher, wie sie den Übergang
gestalten sollen, ohne das operative Geschäft oder ihre Organisation zu gefährden.
Das Aufkommen digitaler Unternehmen hat die Rolle der IT grundsätzlich verändert. In den
meisten Fällen unterstützt die IT dort nicht mehr den Betrieb, sondern gestaltet ihn und ist
das Herzstück des Geschäftsmodells von Einzelhändlern wie Amazon oder Instacart sowie von
Onlineanbietern wie Uber oder Airbnb.
47
Die folgende Checkliste zeigt die vier wichtigsten Ziele für CIOs im Einzelhandel, um den
anstehenden Transformationsprozess zum Erfolg zu führen. Dieser Artikel erläutert, wie diese
Ziele erreicht werden können.
DIE VIER WICHTIGSTEN ZIELE FÜR DEN CIO
Werte schaffen statt
Aufträge abarbeiten
Das Betriebsmodell
der Zukunft festlegen
Eine neue Generation
von „TechnologieFünfkämpfern“
heranziehen
Sich auf den Ziel- und
nicht auf den IstZustand fokussieren
1. W
ERTE SCHAFFEN STATT
AUFTRÄGE ABARBEITEN
CHECKLISTE FÜR DEN CIO

Identifizieren Sie mögliche geschäftstreibende Aufgaben der IT und befreien Sie die
Abteilung aus ihrer bisher ausführenden Funktion

Zeigen Sie Möglichkeiten auf, um den Unternehmenswert zu steigern. Die IT kann:



neue Kunden gewinnen
das operative Geschäft effizienter betreiben
Innovationen voranbringen
NEUE KUNDEN GEWINNEN
In digitalen Unternehmen konzentrieren sich spezielle Teams von IT-Experten darauf, zusätzliche
Angebote für Kunden zu erarbeiten. Regelmäßig entwickeln sie neue Produkte wie Apps für eine
gesunde Ernährung oder Portale für personalisierte Produktentwürfe. Genauso wichtig ist ihre
fortlaufende Suche nach neuen Möglichkeiten der Informationsnutzung, um das Kundenerlebnis
einfacher, ansprechender und über alle Kanäle hinweg konsistenter zu machen.
48
Operations
Längst gehen nicht mehr nur Start-ups im Silicon Valley so vor. Auch in Supermärkten
sind „Augmented Reality“-Apps mittlerweile weit verbreitet. Sie liefern Konsumenten
zusätzliche Informationen über Produkte sowie Aktionen und lassen sich für Teilnehmer von
Kundenbindungsprogrammen leicht personalisieren. In jüngster Zeit haben auch Non-FoodAnbieter wie Shiseido, De Beers, Topshop, American Apparel und IKEA neue Möglichkeiten für
den digitalen Zugriff auf ihre Produkte geschaffen und das Einkaufserlebnis zugleich vereinfacht
und erweitert.
So wie Amazon sämtliche Informationen über das Suchverhalten der Nutzer für Up- und CrossSelling nutzt, können auch stationäre Einzelhändler Konsumenten an der Ladentür identifizieren,
auf Kundendaten zu Vorlieben und digitalen Warenkörben zugreifen und so personalisierte
Angebote erzeugen.
Vorreiter in Sachen moderner IT im Einzelhandel können solche kundennahen Entwicklungen
zügig in einen iterativen Prozess bis hin zu einer brauchbaren Betaversion bringen. Ein solches
Vorgehen widerspricht allerdings in vielerlei Hinsicht der gewohnten Arbeitsweise traditioneller
IT-Abteilungen. Zudem muss die IT-Landschaft flexibel genug sein, um die kontinuierlichen
Neuentwicklungen auch integrieren zu können. Wer beispielsweise SAP HANA für CRM- und
Business-Intelligence-Anwendungen nutzt, kann eine bislang unbekannte Datenmenge in
kürzester Zeit verarbeiten und damit weitere IT-Anwendungen speisen, die diese Informationen
nutzen. Das Schlagwort lautet „Realtime-Retail“.
DAS OPERATIVE GESCHÄFT EFFIZIENTER BETREIBEN
Etablierte Einzelhändler sollten von digitalen Wettbewerbern lernen, wie sich das eigene
Angebot gestalten und ein ansprechendes sowie zuverlässiges Multikanaleinkaufserlebnis
schaffen lässt. Doch mit dem Einsatz moderner Technologie können diese Unternehmen
noch erheblich mehr erreichen. Jede noch so kleine Effizienzsteigerung ist wertvoll, wenn
man bedenkt, dass die meisten Handelszweige durch niedrige Margen und große Filialnetze
charakterisiert sind. Die IT kann Einzelhändler gleich auf dreifache Weise unterstützen: durch
einen höheren Automatisierungsgrad, verfeinerte Algorithmen und eine verstärkte Nutzung
von Business-Intelligence-Lösungen.
HÖHERER AUTOMATISIERUNGSGRAD
Die IT kann die Selbstbedienung von Kunden fördern sowie wiederkehrende Aufgaben
automatisieren und so die Personalkosten im Handel deutlich senken. Obwohl bereits positive
Beispiele in Filialen existieren – im klassischen Verkauf ebenso wie bei digitalen Werbedisplays
und automatisierten Kassensystemen –, gibt es noch Potenzial.
Durch eine Automatisierung individueller Serviceleistungen wie Rückerstattungen oder der
Hilfe bei der Orientierung in den Läden lassen sich ganze Elemente des Einkaufsprozesses neu
erfinden und damit die Effizienz steigern. So rationalisieren beispielsweise Einzelhändler den
Check-out-Prozess durch den Einsatz von Self-Scanning- und POS-Systemen. In Zukunft ist auch
der Ersatz menschlicher Arbeitskräfte durch kostengünstigere Roboter bei der Regalauffüllung
denkbar. Schon heute experimentieren Anbieter wie Nespresso, Best Buy und The Body Shop mit
der Automatisierung ganzer Filialen.
49
Abbildung 1
WIE DIE IT DAS AKTIONSPROGRAMM EINES UNTERNEHMENS VERBESSERTE
UND EINEN MEHRWERT IN MILLIONENHÖHE SCHUF
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Pasta & Rice
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Category | Pasta Sauce
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W37 FY14
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►
Today
W38 FY14
+3
Ad Planning Report
►
Perf. Management
►
Change Report
►
Economics Deep Dive
►
Summary Report
►
Financial Tracker
►
HINTERGRUND
Ein Einzelhändler drohte in eine
Krise zu geraten, da seine Preise
25 Prozent über dem Niveau der
Onlinekonkurrenz lagen.
Ein Aktionsprogramm war nötig,
um eine nachhaltige Finanzierung
für Preissenkungen zu erreichen.
50
Period Quarter
W39 FY14
+4
Sep 22 – Sep 28
Sep 29 – Oct 5
Oct 6 – Oct 12
4 Promos
4 Promos
7 Promos
2G 2Y
Forecast
Reports
Week
2G 2Y
543,075
Markdown
547,507
Markdown
Sales
$120,168
Sales
$134,904
Sales
In-Store
0.98 SE
0.14 ME
3
ROLLE DER IT
Unter Einsatz agiler Technologien
entwickelte Oliver Wyman eine
nutzerfreundliche Anwendung,
die sämtliche Informationen für
eine verbesserte
Entscheidungsfindung über
Aktionen und wettbewerbsfähige
Preise anschaulich zusammenfasste.
Mit der Anwendung gelang es,
Branchenwissen und eigene
Analyseergebnisse sowie darauf
basierende Modelle in bestehende
Geschäftsprozesse zu integrieren.
+5
2G 5Y
Forecast
Forecast
Markdown
1.22 SE
Year
0.04 ME
543,075
$120,168
1.07 SE
-0.01 ME
3
4
ERFOLG
• Qualitativ hochwertige, analytisch
basierte Entscheidungen
• Kontrolle und
Ergebnisverantwortung bei den
Einkäufern
• Zeitersparnis
• Lernfähiges System,
das die Strategie mit
Informationen versorgen konnte
• Durch IT generierte Liquidität
Operations
VERFEINERTE ALGORITHMEN
Einzelhändler nutzen bereits die enorme Menge an gesammelten Daten für
Effizienzverbesserungen in Echtzeit. Sie erarbeiten dazu Algorithmen, die detaillierte
Entscheidungen ohne Einschaltung eines Managers ermöglichen. Die folgenden Beispiele
verdeutlichen dies:
•• Die Anzahl der Arbeitskräfte an den Kassen lässt sich automatisch über Infrarotsensoren
steuern. Sie erfassen die Besucherzahl am Eingang eines Ladens.
•• Aufforderungen zur Regalauffüllung lassen sich automatisch erzeugen, wenn die
Verkaufszahlen einen niedrigen Warenbestand signalisieren.
Dessen ungeachtet bestehen weitere Optimierungsmöglichkeiten. Ein britischer Einzelhändler
berichtet beispielsweise für das Jahr 2014 über Einsparungen entlang der Lieferkette in Höhe
von 150 Millionen US-Dollar. Der Einsatz von Big Data ist auch bei anderen Themen wie der
wetterabhängigen Nachfrage oder der Prognose von Retouren interessant.
VERSTÄRKTE NUTZUNG VON BUSINESS-INTELLIGENCE-LÖSUNGEN
In vielerlei Hinsicht liegt das größte Potenzial der IT im Einsatz moderner Business-IntelligenceLösungen: Es geht um Managementinformationssysteme, die Führungskräften im Einkauf
und im Ladenbetrieb schnellere sowie bessere Entscheidungen ermöglichen. Jede Woche
fallen Hunderte wichtige Entscheidungen. Angesichts des bestehenden Zeitdrucks kann
es einen großen Unterschied machen, ob die Manager die richtigen Informationen per
Knopfdruck in einem nutzerfreundlichen, leicht zugänglichen Format abrufen können. Das
Beispiel in Abbildung 1 zeigt, wie der Einsatz moderner Business-Intelligence-Lösungen die
Entscheidungen im Einkauf verändern kann.
INNOVATIONEN VORANBRINGEN
Mit der wachsenden Bedeutung der IT für die Prozesse im Kerngeschäft und die Entwicklung des
Angebots verändert sich auch ihre Position im gesamten Unternehmen. Angesichts des rasanten
Wandels fällt ihr eine zentrale Rolle bei Innovationen, der Strategie und der Weiterentwicklung
des bestehenden Geschäfts zu. Dies zieht eine grundlegende Veränderung der bisherigen Rolle
vieler IT-Abteilungen im Einzelhandel nach sich. Sie konzentrierten sich in der Vergangenheit auf
einen reibungslosen Betrieb oder arbeiteten an einer schrittweisen Optimierung bestehender
technischer Prozesse, um diese zehn Prozent besser, schneller oder günstiger zu machen.
Mehr als alles andere beeinflussen die anstehenden Veränderungen die Rolle des CIO selbst. Es
kann daher Sinn machen, den Job in zwei Positionen aufzuteilen: einen Chief Technology Officer
und einen Chief Innovation Officer. Unabhängig davon sollten CIOs auf jeden Fall strategische
Partner für die Geschäftsführung und den CEO werden und ihnen die Vorteile digitaler Ansätze
näherbringen. Dazu bedarf es eines weitreichenden Verständnisses für die Dynamik des Markts,
die Wünsche der Verbraucher, die Wettbewerbslandschaft sowie Risiken und Chancen. Darüber
hinaus müssen CIOs in der Lage sein, Umbrüche vorab zu erkennen und die Organisation
entsprechend vorzubereiten sowie diese später sicher durch Turbulenzen zu steuern.
51
Insgesamt dürfen sich die IT und der CIO nicht mehr länger als Enabler, als ausführendes Organ,
verstehen: Sie treiben nunmehr direkt das Geschäft. Auch wenn operative Effizienz und ein
reibungsloser Geschäftsbetrieb unverändert wichtig sind, sind sie isoliert betrachtet irrelevant. In
der neuen Welt des Multikanaleinzelhandels ist es für einen CIO genauso wichtig, Innovationen
und kreative Lösungen zu entwickeln, die in einen echten Wettbewerbsvorteil münden.
Der Wandel von einem ausführenden zu einem geschäftstreibenden Organ revolutioniert
den Arbeitsalltag vieler IT-Abteilungen. Glücklicherweise schafft die Evolution der IT-Branche
selbst neue Möglichkeiten der Bereitstellung von IT. Zusammengenommen führen beide
Entwicklungen dazu, dass die IT-Abteilungen im Handel künftig deutlich anders aussehen
werden als heute.
2. D
AS BETRIEBSMODELL DER
ZUKUNFT FESTLEGEN
CHECKLISTE FÜR DEN CIO


Definieren Sie den Weg hin zu einer kleineren, schlankeren und besseren IT-Abteilung:


Entwickeln Sie eine klare Vision für das künftige Betriebsmodell

Erkennen Sie, welche Prozesse weiter intern betrieben werden sollten und was sich
outsourcen lässt


Analysieren Sie, wo die Intelligenz in der IT tatsächlich liegt
Identifizieren Sie, welche Leistungen austauschbar sind und welche Technologien das
Geschäft künftig differenzieren werden
Investieren Sie, um die Konkurrenz bei differenzierenden Faktoren auszustechen, und
reduzieren Sie die Kosten für nicht-differenzierende Elemente um mindestens 20 Prozent
Entwickeln Sie im Team einen Plan für die notwendige Transformation, damit die IT ihre
langfristigen, geschäftstreibenden, strategischen Ziele auch wirklich erreichen kann
Im digitalen Zeitalter müssen Unternehmen die IT nicht mehr selbst bereitstellen und betreiben.
Sie können diese stattdessen als Dienstleistung einkaufen. Auch der Besitz von Servern ist
nicht mehr notwendig. Der Browser ist nun die universelle Schnittstelle. Daher entkoppeln
sich Infrastruktur und Anwendungen immer weiter. Mit einer einzigen Transaktion lassen sich
Entwicklungsumgebungen, entsprechende Backup- und Recovery-Lösungen, das DatenbankSetup und die webbasierte Programmierung in einer Cloud-Umgebung einkaufen. Produktionsumgebungen können durch Platform-as-a-Service-(PaaS-) oder Hosting-Lösungen ersetzt
werden, und selbst die Softwareentwicklung lässt sich als Dienstleistung einkaufen. Die
Notwendigkeit, in nicht-differenzierenden Bereichen Experten zu rekrutieren und zu schulen,
sinkt daher.
Das Outsourcing von Routineanwendungen sowie nicht-strategischen und unterstützenden
Anwendungen in Bereichen wie Flächenmanagement, Warenauswahl, Kassensystemen und
Lieferservice an Serviceprovider ist nahezu immer möglich. Die meisten Anwendungen werden
über die Cloud verfügbar sein. Auch im Einzelhandel wird sich das Software-as-a-Service-(SaaS-)
Modell durchsetzen.
52
Operations
Abbildung 2: Die drei Entwicklungsstufen der IT im Einzelhandel
SCHRITT 1
TRADITIONELL
SCHRITT 2
ÜBERGANGSPHASE
SCHRITT 3
KÜNFTIGE AUFSTELLUNG
STORE
STORE
STORE
Business
Intelligence
Business
Intelligence
Business
Intelligence
Business Intelligence
Marketing
Marketing
Marketing
Marketing
Intel. Layer
Intelligence Layer
Betrieb
Betrieb
Betrieb
Intel. Layer
Einkauf
Betrieb
Intelligence Layer
Einkauf
Einkauf
Einkauf
Intelligence Layer
Planung
Planung
Planung
Planung
Intelligence Layer
Support
Support
Support
Austauschbar
(eigener Betrieb nicht
unbedingt erforderlich)
Nicht-strategisch
(eigener Betrieb für den
Übergang ratsam)
Strategisch (eigener Betrieb
dauerhaft ratsam)
Es ist bereits möglich, ganze Prozesse als Dienstleistungen einzukaufen – sei es „vom Einkauf
bis hin zur Bezahlung (procure-to-pay)“ oder „von der Einstellung bis hin zur Pensionierung
(hire-to-retire)“ – und dieser Markt dürfte in Zukunft weiter wachsen. Damit sind niedrigere
Aufwendungen verbunden, da die notwendigen Investitionen und operativen Kosten auf mehrere
Schultern verteilt sind und der Nutzungsgrad von Hard- und Software dank dynamischem
Kapazitätsmanagement steigt. Damit ist auch eine erheblich höhere, schon für sich genommen
erfolgsentscheidende Flexibilität verbunden. Nur durch den Einsatz von PaaS- und SaaS-Modellen
kann die IT die notwendige Flexibilität erreichen, um eine uneingeschränkte Mobilität und eine
durchgängige End-to-End-Konnektivität zu gewährleisten oder verschiedene Bausteine wie neue
Anwendungen für Kunden in die bestehende Infrastruktur zu integrieren, um so die Kapazität wie
erforderlich hochzuskalieren.
Dessen ungeachtet dürften sich Einzelhändler selbst in sogenannten nicht-strategischen Bereichen
entscheiden, die Schlüsselprozesse im erfolgskritischen „Intelligence-Layer“ weiterzubetreiben.
Dort befinden sich sämtliche Informationen, sich daraus ergebende Erkenntnisse und Steuerhebel.
Je stärker der Einkauf bei Dritten an die Stelle des eigenen Betriebs rückt, desto stärker entwickelt
sich die IT-Abteilung zu einem Spezifizierer und Beschaffer von IT-Services. Die Entwicklung
von Mechanismen zur Risiko-Nutzen-Teilung wird dadurch zu einem erfolgskritischen Faktor.
Selbst betreibt die IT danach nur noch strategisch wichtige, das Unternehmen differenzierende
Anwendungen.
Entwicklung, Betrieb und Wartung einiger dieser Anwendungen – beispielsweise
für das Kundenmanagement, Pricing, Aktionen und die Weiterentwicklung des
53
Leistungsspektrums – sollten sich Einzelhändler wie bislang vorbehalten. Das gilt vor allem
für die übergeordneten Prozesse. Unterstützende Teilprozesse beziehungsweise Tools für
Markttests, Sortimentsplanung oder Kundenanalysen lassen sich durchaus zukaufen. Damit sinkt
insgesamt der Anteil der Eigenentwicklungen im IT-Modell der Zukunft.
Die Herausforderung für CIOs liegt darin zu entscheiden, wo sie die knappen internen
Ressourcen bestmöglich differenzierend und geschäftstreibend einsetzen und was sich gefahrlos
und kostensparend outsourcen lässt. Sie müssen dazu vor allem die relative Bedeutung von
Innovationen, Kosten und Elastizitäten der verschiedenen Bereiche ihres Unternehmens kennen.
Abbildung 2 zeigt beispielhaft die Entwicklung bis hin zum gewünschten Endstadium.
In diesem Fall plante ein stationärer Einzelhändler binnen zwei bis drei Jahren zu einem
Omnichannelanbieter zu migrieren. Bislang hatte die interne IT-Abteilung proprietäre Systeme
zur Unterstützung sämtlicher Bereiche betrieben. Der CIO verstand aber die Notwendigkeit,
künftig zwischen strategischen Themen und solchen zu differenzieren, die sich outsourcen
lassen. Die internen Ressourcen konnten sich so auf die strategischen Themen konzentrieren.
Es bedurfte einiger Zeit und einer entsprechenden Lernkurve für die Entwicklung zukunftsfähiger
Prozesse und Systeme für die Onlinewelt. Doch nach und nach gelang mithilfe eines
Portfolioansatzes der Aufbau eines kanalübergreifenden Systems, das viele Standardelemente
nutzte und zugleich differenzierende und proprietäre Intelligence-Layer enthielt.
3. E
INE NEUE GENERATION
VON „TECHNOLOGIEFÜNFKÄMPFERN“ FÖRDERN
CHECKLISTE FÜR DEN CIO


Verstehen Sie, was in der neuen IT-Welt nicht länger gebraucht wird
Stellen Sie sicher, dass das IT-Team über mehrere unterschiedliche Fähigkeiten verfügt, um sich
in der neuen Welt auszuzeichnen:





Bereitstellung von Architektur und Technologie
Know-how über Abläufe im operativen Geschäft
Kaufmännisches Gespür
Management von Partnern
Strategisches Denken
Der Portfolioansatz bei der IT-Strategie verändert die Arbeit der IT-Abteilung. Einige Aufgaben
verschwinden, während andere an Bedeutung gewinnen. Im Ergebnis wandeln sich Umfang
und Zusammensetzung der IT-Abteilung. In der Vergangenheit machten routinemäßige
Wartungsarbeiten und Reparaturen einen großen Teil der Arbeit aus. Diese Aufgaben
verlieren an Bedeutung, wenn Systeme ausgelagert werden und sich PaaS- und SaaSAnsätze durchsetzen. Der Fokus liegt künftig auf der Entwicklung und Steuerung kritischer
Anwendungen, der Integration von IT-Services einer ganzen Reihe von Dienstleistern sowie der
Steuerung der Zusammenarbeit mit Lieferanten.
54
Operations
Bei strategischen Kernanwendungen müssen die IT-Abteilungen ähnlich wie interne Demand
Manager handeln und über umfassende betriebswirtschaftliche und funktionale Kenntnisse
verfügen. Da zahlreiche externe Dienstleister zu koordinieren sind, bleibt auch die IT‑Architektur
eine interne Aufgabe. Dabei sind zunehmend Geschäftssinn sowie Pragmatismus in Sachen
Technik und Umsetzung bei den internen Enterprise-Architekten gefordert.
Bei nicht-strategischen und unterstützenden Anwendungen agiert die IT-Abteilung dagegen
als eigenständige Servicemanagementorganisation. Sie überwacht die Arbeit der externen
Lieferanten, um sicherzustellen, dass die eigene Organisation letztendlich die Kontrolle über
die IT-Services behält und die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.
Während einige Aufgaben verschwinden, entstehen auch neue. Da die IT immer stärker
gefordert ist, strategische Initiativen voranzubringen, die das gesamte Unternehmen
verändern, muss sie ein vollwertiger Partner in Entscheidungsprozessen werden sowie
betriebswirtschaftlich denken und kommunizieren. Dazu bedarf es neuer Positionsprofile, die
technikgetriebene Geschäftsideen ebenso aufspüren wie Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung
durch verstärkten IT-Einsatz.
Abbildung 3: „As-a-Service“-Betriebsmodelle und veränderte interne Funktionen ermöglichen
eine Reduzierung der IT-Kosten
NORMALISIERTES IT-BUDGET IM VERGLEICH ZUR AUSGANGSLAGE
IN PROZENT
35–45%
• Nachfragereduzierung
• Konsolidierung
der Lieferanten
• Neuverhandlung
von Verträgen
• Reduzierung von Service
Level Agreements
15–25%
• As-a-Service
– Infrastruktur
– Software
– Entwicklung
20–30%
100
80
Mitarbeiterzahl
Betrieb
Mittel
60
Mittel
Hoch
Mitarbeiterzahl
Entwicklung
Hoch
40
Niedrig
20
Niedrig/
Mittel
Niedrig/
Mittel
Niedrig/
Mittel
0
Ausgangslage
Nach einem traditionellen
Programm zur Kostenreduzierung
Kosten für
Infrastruktur über
Lebensdauer
Kosten für
Software über
Lebensdauer
Schrittweiser Übergang
zu einem
„As-a-Service“-Modell
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
55
Unterdessen ändert sich der Arbeitsalltag der Softwareentwicklung vom Wasserfallmodell
hin zu agilen Ansätzen, bei denen man das Ergebnis nicht unbedingt bereits vor Beginn der
Arbeit kennt. Flexibles Denken und flexible Werkzeuge sind daher unverzichtbar.
Dies alles führt zu einem radikalen Wandel der Stellenbeschreibungen für die internen IT-Kräfte.
In Zukunft brauchen Einzelhändler eine Truppe von „IT-Fünfkämpfern“, die über eine breite
Spanne von Dienstleistern hinweg IT-Services auswählen, einkaufen und integrieren können.
Damit entsteht eine noch höher qualifizierte, doch dafür kleinere IT-Abteilung.
Die Veränderungen bei der Bereitstellung von IT-Services verändern auch die IT-Kostenstruktur
von Einzelhändlern. Heute bewegen sich die Kosten in diesem Sektor üblicherweise auf
einem Niveau von 0,7 bis 1 Prozent des Umsatzes, in Einzelfällen oder während großer
Transformationsprogramme deutlich darüber. Werden traditionelle Methoden der
Kostenreduzierung und zugleich „As-a-Service“-Ansätze genutzt, lassen sich diese Kosten, wie
Abbildung 3 zeigt, um bis zu 50 Prozent senken.
4. V
OM ZIEL- UND NICHT VOM IST-ZUSTAND
HER DENKEN
CHECKLISTE FÜR DEN CIO

Bringen Sie das IT-Team und die Geschäftsleitung dazu, über die übliche Dreimonatsfrist
hinauszudenken, und beginnen Sie, von dem angestrebten Ziel in drei Jahren an rückwärts
zu planen

Entwerfen Sie einen Plan, der Strategie und Innovationskraft des gesamten Unternehmens
wirklich voranbringt

Verstehen Sie den Charakter der Organisation (ist sie zum Beispiel offen für Veränderungen
oder eher ablehnend) und richten Sie den Plan entsprechend aus
Die bisher beschriebenen Veränderungen sind eine große Herausforderung für etablierte
Einzelhändler. Es ist alles andere als einfach, die heute gültigen Ansätze, Fähigkeiten
und Infrastrukturen in der IT so weiterzuentwickeln, dass sie den Ansprüchen des
Multikanalgeschäfts von morgen genügen.
Nach der Erfahrung von Oliver Wyman verweigern sich CIOs und ihre Organisationen
manchmal den notwendigen Veränderungen, beschränken sich auf ihre bisherige Rolle als
ausführendes Organ und stellen sich nicht der erforderlichen Neuerfindung. Einige denken,
dass sich die Transformation im laufenden Betrieb bewältigen lässt, und vertrauen auf den
erprobten Ansatz einer schrittweisen, taktisch geprägten Optimierung, um Verbesserungen
zu erreichen.
56
Operations
Und selbst dort, wo das Verständnis für den erforderlichen radikalen Wandel vorhanden ist, gibt es
nur in seltenen Fällen CIOs, die diesen für machbar halten. Angesichts des Tagesgeschäfts sowie
eines ständigen Drucks auf die operativen Kosten und Investitionen ist dies auch verständlich.
Eines der größten Probleme liegt in der „Evolutionsfalle“ und damit in dem Glauben, dass sich
eine effektive IT-Architektur durch eine Abfolge kleiner Schritte erarbeiten lässt. Der Einzelhandel
ist generell besonders gut darin, kleinteilige Fortschritte zu erzielen und endlose Schleifen
geringfügiger Optimierungen zu durchlaufen. Bis vor Kurzem lag hier auch der Schlüssel zum Erfolg
in einer hart umkämpften Branche, die den technologischen Wandel tendenziell nur begrenzt
spürte. Doch angesichts der Bedrohung durch den Onlinehandel reichen solche schrittweisen
Veränderungen nicht mehr aus, um das Überleben zu gewährleisten.
Die Lösung ist eine Fokussierung der IT auf ihre künftigen Aufgaben sowie die Einbindung von
Erfahrungen aus anderen Branchen. Am Anfang eines solchen Ansatzes steht die Beschreibung der
Position, in der sich ein Einzelhändler in drei bis fünf Jahren befinden muss, um wettbewerbsfähig
zu bleiben. Danach lassen sich Schritt für Schritt Veränderungen festlegen, um dieses Ziel zu
erreichen. Dieser verblüffend einfache Ansatz kann sich als erstaunlich effektiv erweisen, um
einem Unternehmen – und dem CIO – das Ausmaß der anstehenden Herausforderungen vor
Augen zu führen und aufzuzeigen, dass noch so gut gemachte schrittweise Verbesserungen
letztendlich dazu führen, dass ein Unternehmen sich auf eine Zukunft vorbereitet, die bereits der
Vergangenheit angehört.
FAZIT
Der Einfluss des aktuellen Wandels im Einzelhandel auf dessen IT-Abteilungen kann nicht hoch
genug eingeschätzt werden. Die Aufgabe des CIO verändert sich von Grund auf. Er leistet mit
einem Fokus auf Innovation und Wertschöpfung künftig wesentliche Beiträge zur Gestaltung der
Strategie des Gesamtunternehmens, anstatt sich auf eine unterstützende, ausführende Funktion
zu beschränken. Die IT-Architekturen werden in Kürze völlig anders aussehen als noch vor zehn
Jahren und beziehen unterschiedliche Ansätze bei Aufbau und Betrieb ein. Die IT-Abteilungen
benötigen daher ganz andere Fähigkeiten, als sie heute besitzen oder gerade aufbauen.
Der Erfolg im Multikanalhandel basiert auf einer komplett veränderten IT-Architektur und
einer vollständig anderen Rolle des CIO. Er erfordert nicht weniger als die Neuerfindung
der IT. Inkrementelle Verbesserungen werden niemals in der Lage sein, den notwendigen
Wandel herbeizuführen.
57
STATIONÄRER
EINZELHANDEL
WIE DIE GESCHÄFTE IM ONLINEZEITALTER GEDEIHEN KÖNNEN
E-Commerce spielt heute überall im Einzelhandel eine Rolle. In einigen Branchen,
etwa Buchhandel und Unterhaltungselektronik, kam es bereits zu massiven
Verwerfungen und dem Rückzug traditioneller Anbieter vom Markt. In anderen
Bereichen, so bei Lebensmitteln und beim Heimwerkerbedarf, hielten sich die
Auswirkungen dagegen bislang in Grenzen. Doch dies wird sich ändern.
Auch wenn E-Commerce für jeden Einzelhändler früher oder später eine Rolle
spielen wird, wird dies nicht jeden Händler im gleichen Ausmaß treffen. Der
Onlinehandel verstärkt selbst geringfügige Vorteile bei der Wettbewerbsfähigkeit
und der Finanzkraft. Und wenn ertragsschwache Filialen schließen müssen,
können die verbleibenden Standorte ihren Absatz eventuell sogar steigern. Das
dynamische, von massiven Veränderungen geprägte Umfeld bildet damit nicht nur
eine Bedrohung, sondern bietet auch neue Chancen und Perspektiven.
DIE BEDROHUNG
ALLE HANDELSSEGMENTE SIND BETROFFEN,
MANCHE MEHR, ALS ES ZUNÄCHST SCHEINT
Es ist keine Überraschung, dass der Onlinehandel in den Branchen am schnellsten
wächst, in denen die Produkte hochpreisig, gut vergleichbar und leicht per Post
zu versenden sind. Obwohl verderbliche, sperrige oder schwer auszuliefernde
Produkte weniger für den Onlineeinkauf geeignet scheinen, sehen sich auch
die stationären Einzelhändler in diesen Bereichen einer ernsthaften Bedrohung
ausgesetzt. In vielen Fällen stehen sie bereits auf Messers Schneide: Nachfrage und
Umsatz wachsen allenfalls langsam und die gesamte Verkaufsfläche im Markt ist zu
groß. Schon eine leichte Verschiebung des Absatzes in Richtung Onlinehandel wird
unweigerlich zu Filialschließungen führen und letztendlich einige Unternehmen
zum Rückzug vom Markt zwingen.
Da der Einzelhandel durch hohe Fixkosten und niedrige operative Ergebnisse geprägt
ist, können selbst kleine Absatzverluste den gesamten Gewinn eines Händlers kosten.
Besonders gefährdet sind Branchen mit niedrigen Margen. Verglichen mit einem Supermarkt
erwirtschaftet ein typischer Baumarkt zwar etwas höhere operative Renditen, aber mit den
typischerweise auch höheren Deckungsbeiträgen (in der Regel 30 bis 40 Prozent) kann ein
Verlust von zehn Prozent der Umsätze an Onlineanbieter bereits den gesamten operativen
Gewinn eliminieren. Baumärkte sind damit gegenüber einem Vordringen des Onlinehandels
sehr verwundbar, obwohl sich viele ihrer Produkte nicht notwendigerweise für das
E-Commerce-Geschäft eignen.
Auf der anderen Seite erweisen sich Branchen mit höheren operativen Gewinnen als
widerstandsfähiger. Gute Beispiele sind die Märkte für Gesundheit und Kosmetik, Brillen und
Schmuck. Aus Sicht eines einzelnen Händlers dürfte diese Tatsache mehr Bedeutung haben
als die prinzipiell gute Eignung ihrer Märkte für das Onlinegeschäft.
Abbildung 1 verdeutlicht diesen Punkt am Beispiel des deutschen Einzelhandels. Die
Verwundbarkeit leicht zu versendender Produkte mit hohen Margen ist offensichtlich.
Doch zugleich zeigt sich das Risiko für Teilmärkte mit Produkten mit niedrigen Margen wie
Lebensmittelhandel und Baumärkte. Angesichts einer strukturbedingt besonders niedrigen
Profitabilität reagieren sie selbst auf geringe Mengenverluste sehr empfindlich.
Trotz der unterschiedlichen Bedeutung des E-Commerce-Wachstums für die einzelnen
Handelsbranchen ist Oliver Wyman überzeugt, dass es letztendlich in nahezu allen Märkten
zu einer Konsolidierung kommen wird.
Abbildung 1: Die Verwundbarkeit von einzelnen Handelsbranchen in Deutschland durch den wachsenden
E-Commerce-Anteil
DURCHSCHNITTLICHE MARGE
IN PROZENT
20
Halbwegs geschützt
15
Risiko von Filialschließungen
bei weiter steigendem Onlineanteil
Filialschließungen
finden bereits statt
Schmuck und Uhren
Brillen
Konsumelektronik
10
Sport und Freizeit
Unterhaltungsmedien
Gesundheit und Kosmetik
Kleidung und Schuhe
Haushaltswaren
Spielwaren und Babybedarf
Möbel
5
Baumärkte
Bürobedarf
Bücher
Lebensmittel
Relative
Branchengröße
0
0
5
10
Quellen: Branchenberichte und Oliver Wyman-Analyse
60
15
20
25
E-COMMERCE-ANTEIL AM GESAMTMARKT
IN PROZENT
30
50
Online
DIE CHANCE
IN JEDER BRANCHE WERDEN SICH DIE
ANBIETER UNTERSCHIEDLICH ENTWICKELN
Die Unterschiede in der Bedrohung durch einen zunehmenden Onlinehandel betreffen nicht
nur den Einzelhandel als Ganzes, sondern auch die einzelnen Unternehmen innerhalb eines
Segments – sei es Kleidung, seien es Lebensmittel oder Möbel. Einige Geschäftsmodelle
sind besser vor dem Onlinewettbewerb geschützt als andere und Unternehmen mit höheren
operativen Ergebnissen sind widerstandsfähiger. Wichtig ist: Die Ertrags- und Finanzkraft
eines Unternehmens und seine künftige Entwicklung hängen innerhalb einer Branche
(zum Beispiel Lebensmittel versus Lebensmittel) erheblich stärker zusammen als über die
verschiedenen Branchen hinweg (etwa Lebensmittel versus Kleidung).
Eine häufige Erklärung: Ein hoher Anteil kaum profitabler Filialen spiegelt sich heute nur in relativ
geringen Differenzen bei der Profitabilität wider. Aber gerade ein hoher Anteil solcher Filialen
kann eine massive Auswirkung auf den Händler haben, wenn die Umsätze der Filialen durch die
Bank unter Druck geraten. Ein Vergleich von Händlern auf Basis von Finanzkennzahlen für die
Gesamtunternehmen unterschätzt daher tendenziell die Unterschiede in den Erfolgsaussichten
für die betrachteten Händler.
In dem Beispiel in Abbildung 2 hat der Onlinehandel bereits einen Marktanteil von 15 Prozent
erreicht. Eine Verlagerung von analogen hin zu digitalen Produkten belastet die Umsätze
zusätzlich. In den kommenden drei Jahren erwartet Oliver Wyman vor diesem Hintergrund in
den Filialen Umsatzverluste von drei bis sechs Prozent pro Jahr. Branchenweit dürfte dies zu einer
Schließung von rund 30 Prozent der Filialen führen. Abbildung 3 macht deutlich, dass diese
Schließungen die Wettbewerber in höchst unterschiedlichem Ausmaß treffen könnten.
Abbildung 2: Der Zusammenhang zwischen Filialumsätzen und Margen in einem Non-Food-Segment
OPERATIVE MARGE
IN PROZENT
30
Filialen sind fast
nie profitabel
Deutlich steigende Profitabilität
bei wachsenden Umsätzen
Langsamer steigende Profitabilität bei wachsenden Umsätzen
20
10
0
-10
2
3
4
5
6
UMSATZ PRO FILIALE
IN MILLIONEN EURO
7
8
9
10
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
61
Händler A weist in diesem Beispiel geringfügig höhere Gewinne als Händler B aus und betreibt
zugleich deutlich weniger Filialen, die gerade so eine schwarze Null erwirtschaften. Händler A
ist damit in einer besseren Ausgangslage, um Absatzverluste zu verkraften. Während bei ihm
voraussichtlich etwa 20 Prozent der Filialen in die roten Zahlen rutschen, sind bei Händler B
45 Prozent der Filialen betroffen. Ohne eine deutliche Verbesserung der Ertragslage stehen viele
dieser unprofitablen Filialen vor der Schließung.
Bei tief greifenden Veränderungen in einem Markt führen bereits kleine Unterschiede in der
heutigen Ertragskraft zu großen Unterschieden bei den Erfolgsaussichten eines Händlers.
Sekundäreffekte verstärken den Vorteil für Händler A. Da die beiden Unternehmen bislang an
vielen Standorten einen Wettbewerb auf Augenhöhe geführt haben, profitiert der eine deutlich
von den Filialschließungen des anderen. Zudem schwächt die Schließung einer erheblichen
Anzahl von Filialen mittelfristig die Verhandlungsposition im Einkauf und die Effizienz der
Lieferkette. Je nach der genauen Zusammensetzung der Fixkosten eines Einzelhändlers (manche
sind über einen längeren Zeitraum hinweg unflexibler als andere) kann sich ein Dominoeffekt
ergeben, bei dem eine Runde von Filialschließungen die nächste nach sich zieht.
All diese Faktoren spielen Händler A in die Hände und können letztlich dazu führen, dass er von
dem Vordringen des E-Commerce sogar profitiert. Wenn in einem Markt rund 20 Prozent der
Umsätze auf den Onlinehandel entfallen, wird es für die erfolgreichsten stationären Anbieter
leichter, die restlichen 80 Prozent zu gewinnen.
Abbildung 3: Im Wettbewerbsvergleich können bereits kleine Vorteile bei der Profitabilität die Folgen von
Kanalverschiebungen hin zum Onlinehandel mildern
Einzelhändler A
Operative Marge
zu Beginn: 8%
Anteil der
profitablen Filialen
drei Jahre nach
Markteintritt der
Onlinehändler
Einzelhändler B
Operative Marge
zu Beginn: 5%
0
20
40
60
FILIALNETZ
IN PROZENT
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
62
80
100
Anteil der
unprofitablen
Filialen drei Jahre
nach Markteintritt
der Onlinehändler
Online
ÜBERLEBEN UND WACHSEN
STRATEGIEN FÜR ETABLIERTE ANBIETER
Wie zuvor dargestellt reagieren die meisten stationären
Geschäftsmodelle selbst auf geringe Absatzrückgänge sehr empfindlich.
Auch wenn der Marktanteil des Onlinehandels nicht sprunghaft wächst,
kann sein Wachstum daher große Auswirkungen haben, zumal er
bestehende Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit etablierter
Anbieter verstärkt. Kein Einzelhändler kann es sich vor diesem
Hintergrund leisten, das Thema E-Commerce zu ignorieren. Und wer
sich heute einen Wettbewerbsvorteil erarbeitet – sei er noch so klein –, ist
besser gewappnet, die anstehenden Herausforderungen zu meistern.
„Wer sich jetzt einen
Vorsprung erarbeitet, liegt
auch künftig mit hoher
Wahrscheinlichkeit vorn.“
In nahezu allen Fällen bildet der Aufbau eines tragfähigen
Onlinegeschäfts einen Teil der Strategie. Damit einher geht in der
Regel eine mehr oder weniger ausgeprägte Kannibalisierung der
eigenen Filialumsätze. Kunden, die die Kanalwahl voranstellen,
würden in den Filialen aber ohnehin „verloren“ – und ohne eigenes
Onlineangebot zur Konkurrenz abwandern. Darüber hinaus verfügt
ein etablierter stationärer Einzelhändler über einige Vorteile, die ein
neuer Onlinehändler nicht ohne Weiteres egalisieren kann. Dazu zählt
beispielsweise ein umfassendes Logistiknetzwerk. Der Artikel „The Winner
takes it all. Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel“ auf Seite 74
beschäftigt sich detailliert mit den strategischen Herausforderungen rund
um den Aufbau des E-Commerce-Geschäfts.
Mit Blick auf das stationäre Geschäft können Einzelhändler durch die
Konzentration auf die folgenden drei Themen ihre Chancen maximieren,
künftig zu den Gewinnern am Markt zu zählen.
1. M
IT ALLER KRAFT DEN EIGENEN
WETTBEWERBSVORTEIL AUSBAUEN
Nie war dieses Thema wichtiger als heute. Bei rückläufigen Absatzmengen
ist der Stärkste im Wettbewerb im Vorteil. Es gilt das Prinzip „The
Winner takes it all“. Unternehmen sollten daher noch kritischer ihre
Kosten prüfen und ihre Anstrengungen mit Blick auf die entscheidenden
Profitabilitätshebel ihres Geschäftsmodells forcieren, seien es
Lieferantenverhandlungen, die Sortimentsgestaltung, die Preispolitik
oder Aktionen. Die Wirkung selbst kleiner Unterschiede verstärkt sich
über die Zeit. Wer sich jetzt einen Vorsprung erarbeitet, liegt auch künftig
mit hoher Wahrscheinlichkeit vorn.
63
2. E
INE PROAKTIVE STRATEGIE FÜR DIE „SCHWÄCHSTEN
FILIALEN“ ENTWICKELN
Das Überleben der schwächsten Standorte in einem Filialnetz ist schon bei geringen
Absatzrückgängen in Gefahr. Daher ist es besonders wichtig, solche Filialen im Vorfeld zu
identifizieren und deren künftige Chancen am Markt zu analysieren. Einige Niederlassungen
werden sich bei rückläufigen Umsätzen nicht retten lassen, andere dagegen wären schon bei
einer geringfügig höheren Ertragskraft überlebensfähig. Wer die einzelnen lokalen Märkte für
diese ertragsschwachen Filialen genau versteht, kann sich im Marketing und bei Investitionen
auf Standorte konzentrieren, an denen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Konkurrenten herrscht, die
ebenfalls ums Überleben kämpfen.
3. DIE BESTEHENDE FIXKOSTENBASIS ZÜGIG ANPASSEN
Zur Verteidigungsstrategie gehört in jedem Fall auch eine konsequente Reduzierung der Fixkosten,
um den Anteil der überlebensfähigen Filialen bei leicht rückläufigem Absatz zu maximieren. Trotz
aller Anstrengungen und Erfolge wird es aber kaum ein Einzelhändler vermeiden können, zumindest
einige Filialen zu schließen und die mit einer Straffung des Filialnetzes verbundenen Schwierigkeiten
zu bewältigen. Es ist nie einfach, aus Effizienzgründen Standorte zu schließen, aus Mietverträgen
herauszukommen und die Lieferkette neu zu organisieren. Doch es ist noch viel schwieriger, dies zu
tun, wenn die Gewinne bereits unter Druck geraten sind.
FAZIT
Die Umsetzung der hier skizzierten Strategien stellt in der Praxis eine echte Herausforderung dar.
Sie verlangt, trotz einer eventuell bereits bestehenden Ertragsschwäche der langfristigen Ertragsund Finanzkraft eines Unternehmens Vorrang vor kurzfristigen Erfolgen einzuräumen. Zudem sind
organisatorische Veränderungen für große, traditionsreiche Einzelhandelsunternehmen immer
alles andere als einfach zu bewerkstelligen. Sie müssen erhebliche Hürden überwinden. Doch die
Erarbeitung eines kleinen Wettbewerbsvorsprungs gegenüber traditionellen Konkurrenten kann
schon heute einen großen Unterschied ausmachen. Selbstverständlich wird es die Umsetzung
ehrgeiziger Wachstumspläne erfordern, sich aktiv an dem fundamentalen Wandel des Markts in
Richtung Onlinehandel zu beteiligen.
64
Online
Wenn in einem Markt
rund 20 Prozent
der Umsätze auf
den Onlinehandel
entfallen, wird es für
die erfolgreichsten
stationären Anbieter
leichter, die restlichen
80 Prozent zu gewinnen.
65
WIE MAN
KUNDEN
GEWINNT
LEHREN AUS DEM
DEUTSCHEN ONLINEHANDEL
Gewinnen ist im Onlinehandel alles. Die Fixkosten mögen zwar niedrig(er) sein, doch der harte
Preiswettbewerb drückt die Margen, sodass sich nur mit hohen Mengen profitabel arbeiten
lässt. Da sich Kunden im Internet einfach nach gewünschten Produkten umschauen und das
günstigste Angebot herausfiltern können, bringt es kaum einen Vorteil, ihre zweite Wahl zu sein.
Aber wer sind die derzeitigen Gewinner und wie kann ein Unternehmen sicherstellen, dass es
künftig zu den Gewinnern zählt? Wie zufrieden sind Kunden mit dem Angebot der einzelnen
Wettbewerber? Und wie schneiden in ihren Augen Multikanalanbieter im Vergleich zu reinen
Onlinehändlern ab?
Dieser Artikel erläutert, wie sich mithilfe der Customer Perception Map von Oliver Wyman
Gewinner und Verlierer identifizieren lassen und wie auf dieser Basis ein „Gewinnermodell“ für
das Onlinegeschäft entwickelt werden kann.
VERSTEHEN, WIE KUNDEN WIRKLICH DENKEN
Wer Kunden nur nach ihrer Zufriedenheit fragt, erfährt nicht, warum sie in bestimmten Läden
einkaufen. Zudem kennt jeder Kunde einige Einzelhändler besser als andere, sodass ein wirklich
aussagekräftiger Vergleich zwischen allen Wettbewerbern auf Basis dieser Antworten nicht
möglich ist.
Oliver Wyman hat daher eine eigene Methodik entwickelt, um einen solchen Vergleich zu
ermöglichen: die Customer Perception Map. Dabei werden Tausende von Kunden gebeten,
verschiedene Einzelhändler anhand zahlreicher Attribute detailliert zu vergleichen. Da es
66
67
die Methodik erlaubt, Aussagen der Verbraucher zu den verschiedenen Anbietern mit ihrem
aktuellen Einkaufsverhalten abzugleichen, kann man mit einem hohen Maß an Objektivität
feststellen, wie gut jedes Unternehmen in den Augen der Kunden abschneidet.
Die Aussagen lassen sich in zwei zentrale, voneinander unabhängige Faktoren der
Kundenzufriedenheit verdichten: die Angebotswahrnehmung sowie das wahrgenommene
Preis-Leistungs-Verhältnis. Oder anders gesagt erfolgt eine Zusammenfassung des gesamten
Leistungsspektrums eines Unternehmens unter zwei Fragestellungen: Was bekommt ein Kunde?
Und was kostet es? Für jedes Handelssegment lassen sich die Antworten in einer aggregierten
Customer Perception Map darstellen und so die Meinung der Kunden über jeden Anbieter in
diesem Segment übersichtlich präsentieren (vgl. Abbildung 1).
In den vergangenen zehn Jahren hat sich diese Oliver Wyman-Methodik in vielen internationalen
Einzelhandelsmärkten vielfach bewährt. Die Ergebnisse erwiesen sich dabei stets als ein
maßgeblicher Indikator für die künftige wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Anbieter.
EINEN WETTBEWERBSVORTEIL MITHILFE DER
CUSTOMER PERCEPTION MAP ERARBEITEN
Die in Abbildung 2 dargestellten Customer Perception Maps zeigen – stark verdichtet – die
Lage des Onlinehandels in Deutschland. Sie identifizieren sowohl erfolgreiche Anbieter als auch
solche, denen der Verlust von Marktanteilen droht. Aus einer weiterführenden Auswertung der
Antworten der Kunden lassen sich drei strategische Lehren ziehen, die auch über Deutschland
hinaus ihre Gültigkeit behalten.
Abbildung 1: Die Interpretation einer Customer Perception Map
Stark
KUNDENLIEBLINGE
Ideale Ausgangslage,
um Marktanteile vom
Wettbewerb zu gewinnen
ANGEBOT
LEISTUNGSFÜHRER
Breites Sortiment,
Benutzerfreundlichkeit und
Empfehlungen, ausgezeichnete
Check-out-Prozesse und
Unterstützung nach
einem Einkauf
RISIKOKANDIDATEN
Diesen Unternehmen gelingt
es nicht, Kunden im
Wettbewerbsvergleich zu
überzeugen
PREISFÜHRER
Eine Preisführerschaft schützt
sehr effektiv vor etablierten
Konkurrenten
Schwach
Schwach
Fair-Trade-Linie
68
PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS
Stark
zeigt, wie Angebot und Preis-Leistungs-Verhältnis in einem bestimmten
Markt die Kundenzufriedenheit relativ gesehen beeinflussen.
1
Auch Amazon hat
Schwächen – dies eröffnet
Chancen für Konkurrenten.
2
Der Wettbewerb um das
beste Einkaufserlebnis
ist offen.
3
Das Onlineangebot
führender
stationärer Händler
ist verbesserungswürdig.
Online
Abbildung 2: Customer Perception Maps für verschiedene Einzelhandelsmärkte in Deutschland
ELEKTRONIK
BABY- UND KINDERBEDARF
KLEIDUNG UND SCHUHE
Amazon
Amazon
Peek & Cloppenburg
Alternate
Conrad Cyberport
Apple
Baby-walz
Notebooksbilliger.de
Otto
Saturn
Redcoon
Media Markt
Baby-Markt
myToys
Toys ‘R‘ Us
windeln.de
Otto
Görtz
Asos Deichmann
Mirapodo
Bonprix
Heine
C&A
Neckermann
H&M
Tausenkind
Zalando Amazon
Esprit
Zalando
Tchibo
H&M
eBay
eBay
eBay
SORTIMENTSÜBERGREIFENDE
VERSAND- UND ONLINEHÄNDLER
3Suisses
LEBENSMITTEL
GESUNDHEIT UND KOSMETIK
Amazon
Amazon
Amazon
Douglas
myTime
Otto
Allyouneed
EDEKA24
Flaconi
Lebensmittel.de
Rossmann
REWE
Yves Rocher
Bringmeister.de
eBay
eBay
MÖBEL UND WOHNACCESSOIRES
TIERNAHRUNG
BAUMÄRKTE
Amazon
Amazon
Fressnapf
ZooRoyal.de
Amazon
Otto
Hornbach
Home24
BaumarktDirekt
OBI
Butlers
Tchibo
Fab
Fashion for Home
Connox
Bitiba
Hagebau
Westfalia
Zooplus.de
eBay
IKEA
eBay
SHOPPING-CLUBS
eBay
BÜCHER
MOBILFUNK
Amazon BuyVIP
Amazon
Amazon
Zalando Lounge
Vente-privée
Hugendubel
Brands4friends
Buecher.de
Limango
Apple/iTunes
Westwing.de
Thalia
Vodafone
Apple
Base
Simyo
Fonic
O2
Congstar
Yourfone.de
Buch.de
Pauldirekt.de
Onlinehändler
Telekom
Weltbild
eBay
Multikanalhändler
mobilcom-debitel
Amazon
Quelle: Oliver Wyman-Analyse
69
LEKTION 1 | AUCH AMAZON HAT SCHWÄCHEN – DIES ERÖFFNET
CHANCEN FÜR KONKURRENTEN
In jedem der zwölf in Abbildung 2 dargestellten Märkte gehört Amazon zu den führenden
Anbietern und in zehn Märkten ist das Unternehmen der Favorit der Kunden. Nur bei Kleidung
und Schuhen sowie bei Tiernahrung zeigt sich ein anderes Bild: Amazon hinkt den jeweils
führenden Unternehmen hinterher und schafft es weder beim Angebot noch beim PreisLeistungs-Verhältnis auf mehr als einen dritten Rang. Doch auch wenn Amazon ansonsten
überlegen erscheint, lassen sich vier Themen identifizieren, in denen das Unternehmen
verwundbar ist. Abbildung 3 gibt mehr Aufschluss.
LEKTION 2 | DER WETTBEWERB UM DAS BESTE
EINKAUFSERLEBNIS IST OFFEN
Standorte sind im Onlinegeschäft irrelevant. Dafür herrscht eine nahezu vollständige
Preistransparenz und jeder Händler kann eine hohe Sortimentsvielfalt anbieten. Genau diese,
in Zeiten des stationären Einzelhandels noch unbedeutenden Charakteristika verschaffen
Onlineanbietern nun Vorteile. Gleiches gilt für die nachfolgend genannten drei Charakteristika.
Sie spielen online eine erheblich größere Rolle für die Zufriedenheit der Kunden als im
stationären Geschäft:
•• Benutzerfreundlichkeit
•• Produktempfehlungen
•• Check-out-Erfahrung
Abbildung 3: Vier Bereiche, in denen sich Onlinehändler gegen Amazon durchsetzen können
PREIS-LEISTUNGS-VERHÄLTNIS
Die größte Schwäche von Amazon liegt in der geringen
Aktionsintensität, was die nachlassende Aggressivität bei
Preisen und Sonderangeboten widerspiegelt. Amazon
schneidet in allen Handelssegmenten bei diesem Thema
vergleichsweise schwach ab – selbst in den Bereichen, in
denen Amazons Preis-Leistungs-Verhältnis die Kunden
ansonsten überzeugt. Es gibt kaum Zweifel, dass die Kunden
den veränderten Umgang mit Aktionen bemerkt haben, doch
noch ist offen, ob sich daraus letztendlich nennenswerte
Nachteile ergeben.
Das Sortiment ist segmentübergreifend die große Stärke von
Amazon, doch in einigen Warengruppen gelingt es zumindest
einem Wettbewerber, mit einer größeren Auswahl an
Premiumprodukten vorbeizuziehen. Der Abstand ist zwar
gering, doch wie bei der Produktsuche und -auswahl kann
sich ein Category Killer mit einem fokussierten,
maßgeschneiderten Angebot einen Vorteil verschaffen.
SORTIMENT
70
1
2
3
4
PRODUKTSUCHE
UND -AUSWAHL
Spezialisten in einzelnen Warengruppen scheint es häufig
zu gelingen, Amazon bei Themen wie fachkundige
Beratung, intelligentes Filtern für die Produktsuche sowie
zweckdienliche Fotos und Videos hinter sich zu lassen. Dies
gilt insbesondere bei Warengruppen, bei denen Einkäufe
eher emotionalen oder subjektiven Faktoren unterliegen.
Dazu zählen Kleidung und Schuhe, Möbel und
Wohnaccessoires, Baby- und Kleinkindbedarf sowie
eingeschränkt auch Kosmetika und Tiernahrung. In diesem
Fall erweist sich das breite Angebot von Amazon als
Nachteil. Spezialisierte Onlineshops können in Segmenten
punkten, in denen die Produktsuche selbst aufwendig ist.
Tendenziell handelt es sich hierbei um eine von Amazons
Stärken, wie man auch mit Blick auf die Services für
Prime-Mitglieder und die hohe Fokussierung auf eine
reibungslose Logistikabwicklung vermuten würde. Dennoch
zeigt Amazon beispielsweise bei der Einfachheit von
Warenabholung und Retouren sowie im Kundenservice
einige Schwächen.
KAUFABWICKLUNG
UND KUNDENSERVICE
Online
Es ist nicht dasselbe, ob man sich durch eine App oder Website navigiert
oder an Regalen im Laden vorbeischlendert. Kunden suchen daher
online häufig nach mehr Orientierung und Unterstützung. Für den
Erfolg im Onlinegeschäft sind damit nicht allein niedrigere Preise und
eine größere Auswahl entscheidend – viele Unternehmen wären dazu
auch gar nicht in der Lage. Vielmehr können sich Handelsunternehmen,
allen voran Multikanalanbieter, im Wettbewerb auch mit anderen
Faktoren Vorteile verschaffen. Der nachfolgende Artikel „The Winner
takes it all. Rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel“ erläutert
dies näher.
LEKTION 3 | D
AS ONLINEANGEBOT FÜHRENDER
STATIONÄRER HÄNDLER
IST VERBESSERUNGSWÜRDIG
Über alle Märkte hinweg ist der Großteil stationärer Anbieter in den
Augen der Kunden ihren Onlinewettbewerbern unterlegen. Der
Rückstand variiert je nach Unternehmen und Markt. Doch generell gibt
es drei Gründe für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit:
•• Fehlende Größe: Dies betrifft typischerweise die Sortimentsauswahl,
Rezensionen und technologiegestützte Empfehlungen.
•• Fehlende Aggressivität: Diese zeigt sich bei den Liefergebühren, der
Retourenpolitik sowie der Preisgestaltung.
•• Fehlendes Einkaufserlebnis: Unternehmen hinken dem digitalen
Fortschritt hinterher, was sich in der Produktpräsentation, der
Benutzerfreundlichkeit des Shops und den Filtermöglichkeiten zeigt.
Traditionelle Einzelhändler sollten vor diesem Hintergrund die
Attraktivität ihres Onlineangebots zügig verbessern. Sie riskieren
ansonsten, von den jeweiligen Marktführern verdrängt zu werden,
die dank Skaleneffekten nicht nur mit geringeren Kosten operieren,
sondern auch ein besseres Angebot schaffen können. Skalenvorteile
gibt es im Onlinehandel in vielen Formen, was auch der Natur des
Markts geschuldet ist, die den führenden Anbieter begünstigt:
•• Mit zunehmender Größe steigen die Renditen von Investitionen in
einen Ausbau des digitalen Angebots.
•• Die Nutzung von Big Data spielt eine entscheidende Rolle,
um Kunden bei der Suche und Auswahl von Produkten besser
zu unterstützen.
•• Netzwerkeffekte kommen bei Ratings, Rezensionen und
Empfehlungen zum Tragen.
71
FAZIT
In Sachen Kundenwahrnehmung verfügt Amazon in Deutschland
über einen deutlichen Vorsprung gegenüber nahezu allen anderen
Wettbewerbern in fast allen Handelsbranchen, und wahrscheinlich ist
dies auch in vielen anderen Ländern der Fall. Die einzig offensichtliche
Schwäche zeigt sich in komplexeren Einkaufssituationen. Dort können
spezialisierte Händler mit einem maßgeschneiderten Einkaufserlebnis
und einem umfangreicheren, hochwertigen Sortiment ein
attraktiveres Angebot schaffen. Da neben Größe und Dominanz auch
Empfehlungen, Benutzerfreundlichkeit und Services im Wettbewerb
eine zunehmend stärkere Rolle spielen, dürfte es sowohl für reine
Online- als auch für Multikanalanbieter steigende Chancen in der
Nische geben. Daraus könnten erhebliche Wachstumsmöglichkeiten
entstehen.
Darüber hinaus ergeben sich aus der unterschiedlichen Beurteilung
der einzelnen Onlineangebote erhebliche Konsequenzen für
den stationären Handel. Noch hat dieser im Vergleich zu reinen
E-Commerce-Anbietern das Nachsehen. Um erfolgreich konkurrieren
zu können, muss er daher erheblich zulegen. Und das beschränkt sich
nicht nur auf ein aggressiveres Vorgehen in „traditionellen“ Bereichen
wie Preise und Sortimentspolitik. Die Benutzerfreundlichkeit und das
Einkaufserlebnis als Ganzes beeinflussen ebenfalls in hohem Maß die
Entscheidung von Onlinekunden für einen bestimmten Anbieter.
Einige der Schwächen etablierter Einzelhändler beruhen auf
bewussten Entscheidungen. Sie hatten auf Investitionen in das
Onlinegeschäft verzichtet, um ihre Margen zu schützen, und dafür
einen Wettbewerbsnachteil in Kauf genommen. Auf kurzfristige
Sicht mag dies nachvollziehbar erscheinen. In manchen Fällen wäre
jede andere Entscheidung möglicherweise auch nicht finanzierbar
gewesen. Mittel- und langfristig untergraben solche Entscheidungen
aber die Wettbewerbsfähigkeit im Onlinehandel – und das kann
schwerwiegende Folgen haben.
72
Online
Amazon ist in mehr
als 80 Prozent der
Handelsbranchen der
Favorit der Kunden
– und dennoch
verwundbar. Clevere
Einzelhändler
können sich das
zunutze machen.
73
THE WINNER
TAKES IT ALL
RENTABLE GESCHÄFTSMODELLE
FÜR DEN ONLINEHANDEL
74
Online
Angesichts der anhaltenden Verlagerung von Einkäufen ins Internet und
stagnierenden Filialumsätzen sehen viele etablierte Handelsunternehmen ihr
Onlinegeschäft als wesentliche Quelle künftigen Wachstums. Doch Gewinne wollen
sich trotz zumeist veritabler Onlinepräsenz nicht so recht einstellen. So groß der
Nutzen von E-Commerce für die Kunden bereits ist, so gering ist bisher dessen
Einfluss auf die Profitabilität der Anbieter. Es ist ohne Frage schwierig, zukunftsfähige
und damit rentable Geschäftsmodelle für den Onlinehandel zu entwickeln. Aber es ist
nicht unmöglich, wie der nachfolgende Artikel zeigt.
Das Aufkommen des E-Commerce hat die Spielregeln im Einzelhandel an gleich zwei
Stellen von Grund auf verändert. Der Stärkste dominiert nun seine Branche, es gilt das
„The Winner takes it all“-Prinzip. Und die Margen stehen noch stärker unter Druck.
75
DER STÄRKSTE DOMINIERT NUN AUCH
IM HANDEL
Im digitalen Zeitalter sind Märkte nicht mehr länger lokal, sondern national und in vielen Fällen
international. Als Entfernungen noch eine Rolle spielten, wohnte jedem Laden ein natürlicher
Wettbewerbsvorteil bei Kunden inne, die in der Nähe lebten oder arbeiteten. Ein Vergleich von
Einzelhändlern war ebenso mühsam wie ein Wechsel. Jeder Laden konkurrierte daher effektiv
nur mit einer kleinen Zahl lokaler Wettbewerber. An einem günstigen Standort konnte eine Filiale
auch florieren, ohne die niedrigsten Preise, die besten Produkte oder den kundenfreundlichsten
Service zu bieten. Man musste nicht überall der Beste sein, solange man gut genug und in der
Nähe der Kunden war.
Das Aufkommen des Onlinehandels hat diesen Gewissheiten ein Ende gesetzt. In den meisten
Branchen ist der Standort nun irrelevant und ein Preisvergleich sehr einfach möglich. Kunden
können sich online schnell einen Überblick über das beste Angebot verschaffen. Die Konsequenz:
Im Onlinewettbewerb geht es allein darum, Kunden das attraktivste Angebot zu machen. Kunden
denken nicht daran, bei einem Anbieter einzukaufen, der in ihren Augen nicht die beste Wahl ist.
Unternehmen müssen zwar nicht überall die Besten sein – in einem Punkt aber schon.
E-COMMERCE SETZT MARGEN WEITER
UNTER DRUCK
Die neuen Rahmenbedingungen im Onlinezeitalter machen es Einzelhändlern erheblich
schwerer, Gewinne zu erzielen. Der stärkere Wettbewerb erhöht die Preiselastizität und drückt
auf die Margen, während E-Commerce auf der anderen Seite mit weniger Investitionen und
normalerweise geringeren Fixkosten als der stationäre Handel verbunden ist. Entscheidend
ist aber ein anderer Faktor: Viele Onlineanbieter geben sich derzeit mit einer niedrigen
Profitabilität zufrieden, da für ihre Bewertung künftige Ertragspotenziale und nicht heutige
Gewinne entscheidend sind. Einige Onlinehändler operieren aktuell sogar bewusst in den
roten Zahlen in der Hoffnung, eine Kundenbasis aufzubauen, die in einigen Jahren zu einer
lukrativen Positionierung führt. In einem Markt, der von einer „The Winner takes it all“-Mentalität
geprägt ist, schmälern aber Wettbewerber mit einer geringen oder keiner Gewinnerwartung die
Profitabilität aller.
76
Online
VIER MODELLE FÜR DEN ERFOLG
IM ONLINEZEITALTER
Beide Veränderungen zusammen erklären die enormen
Schwierigkeiten bei der Entwicklung rentabler Modelle für das
Onlinegeschäft. Unternehmen müssen auf der einen Seite Faktoren
identifizieren, bei denen sie besser als sämtliche Konkurrenten sind,
und auf der anderen Seite auf ihre Profitabilität achten. Ähnlich
wie im stationären Handel, wo sich unter anderem Category Killer,
Verbrauchermärkte und Discounter durchgesetzt haben, gibt es
auch im Onlinegeschäft nur eine geringe Anzahl nachhaltiger und
wertschaffender Geschäftsmodelle.
Kein Onlineanbieter kann mit mehr als einem der vier hier vorgestellten
Modelle Erfolg haben. Anders als im stationären Handel gibt es
keinen Raum für Generalisten mit einer vernünftigen Leistung über
alle Dimensionen hinweg. Um online Erfolg zu haben, muss ein
Unternehmen der bevorzugte Einkaufsort bei einer bestimmten
Kundengruppe für bestimmte Kaufanlässe werden. Nachfolgend
werden die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Praxis
aufgezeigt. Zugleich wird erläutert, wie jedes der vier Modelle als
Vorlage für ein erfolgreiches Geschäftsmodell dienen kann.
Rentable Modelle im Onlinegeschäft besitzen eines der folgenden
vier Alleinstellungsmerkmale:
1.
2.
3.
4.
Die absolut günstigsten Preise am Markt
Die beste Auswahl und der beste Service
Die erste Anlaufstelle für Kunden
Ein von A bis Z perfekter Einkauf
77
MODELL 1 | DER PREISFÜHRER: „DER BILLIGSTE“
Der Preisführer ist das unkomplizierteste Geschäftsmodell
im Onlinehandel (vgl. Abbildung 1). Die Preistransparenz im
Internet erweist sich für das Unternehmen mit den niedrigsten
Preisen als enormer Vorteil. Wenn es über besonders günstige
Einkaufskonditionen, extrem niedrige Kosten oder sogar beides verfügt,
werden keine üppigen Warenpräsentationen, keine Heerscharen
von Mitarbeitern und nicht einmal eine Marke benötigt – abgesehen
davon, dass ein Anbieter als einigermaßen vertrauenswürdig gelten
muss. Bei üblicherweise allein gekauften Produkten und einfachen
Einkaufsvorgängen reicht es oft aus, mit dem niedrigsten Preis in
Suchmaschinen zu erscheinen.
In diesem Umfeld konkurrieren drei Unternehmenstypen:
1. Internetgiganten: Sie sind in vielen Sortimentsbereichen aktiv und
verfügen dank der bestehenden Logistik und ihrer schieren Größe
über Kostenvorteile.
2. Off-Price-Händler: Sie verkaufen Graumarktware, in zu großen
Stückzahlen hergestellte oder aus anderen Kanälen stammende
Markenware. Es gibt sie insbesondere in den Bereichen Kleidung,
Schmuck und anderen „modischen“ Sortimenten, wo die
Stückzahlen pro Artikel begrenzt sind.
3. Einzelunternehmer: Sie prägen eBay und Amazons Marketplace.
Es ist aber alles andere als einfach, sich mit einem nachhaltigen
Geschäftsmodell von nennenswerter Größe als Preisführer am Markt zu
etablieren. Denn dafür bedarf es wie bereits erwähnt entweder enormer
Skalenvorteile oder besonders günstiger Lieferkonditionen. Ohne
einen dieser oder idealerweise beide Faktoren führt das systematische
Angebot der niedrigsten Preise in den finanziellen Ruin. Das gilt
insbesondere für stationäre Einzelhändler. Da niedrigere Preise im
Onlinegeschäft tendenziell auch auf die Preise in den Läden drücken,
haben sie keine Chance mehr, ihre Fixkosten zu decken.
78
Online

Wo das Modell funktioniert
Bei Produkten, die online gesucht und einzeln gekauft werden, und deren Kauf einfachen
Regeln unterliegt

Wie das Modell Kunden gewinnt
Bei jeder Suche bietet es den besten Preis

Wie sich Gewinne erzielen lassen
Durch besonders günstige Lieferkonditionen und niedrige Kostenstrukturen
Abbildung 1: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Preisführer etabliert haben
ETABLIERT: VENTE PRIVÉE
NEWCOMER: MADE.COM
Tätigkeitsfeld
•• Designermarken zu Discountpreisen
•• Designermöbel auf Bestellung
Eckdaten
•• Gründungsjahr: 2001
•• Umsatz 2014: 1,7 Mrd. € (+ 6% zum Vorjahr)
•• 3 Mio. Unique Visitors pro Tag bei 24 Mio.
Mitgliedern in Europa
•• Expansion in weitere Länder läuft
•• Zahlreiche Copycats
•• Gründungsjahr: 2010
•• Umsatz 2014: 42,8 Mio. £ (+ 63%
zum Vorjahr)
•• Teil des „Future Fifty“-Programms der
britischen Regierung
•• Aktuell in 7 europäischen Ländern tätig,
u. a. in Deutschland
Angebot
•• Auf 3-5 Tage begrenzte „Eventverkäufe“ im
Internet mit 24 Stunden Vorlauf
•• Designermöbel, 70 Prozent günstiger als
im Handel
•• Kunden stimmen über ihre favorisierten
Designs ab; nur die populärsten werden
gefertigt
Ertragsmodell
•• Bevorzugter Partner für
Designermarken, um überschüssige
Lagerbestände abzustoßen
•• Die „Secret Sales“ finden sich nicht
bei Preisvergleichen im Internet, die
Lieferanten fürchten daher weniger als
sonst eine Beschädigung ihrer Marke oder
eine Kannibalisierung
•• Neuer Ansatz der Wertschöpfung im
Möbelhandel – von Made.com zu den
Herstellern und dann zu den Kunden
•• Die Möbel werden erst nach Bestellung
in Auftrag gegeben, dies ermöglicht
niedrige Lagerbestände und ein negatives
Working Capital
79
MODELL 2 | D
ER SORTIMENTSSPEZIALIST:
„DIE BESTE AUSWAHL UND DER
BESTE SERVICE“
Category Killer dominierten den Wettbewerb über viele Jahre
mit einem einzigartigen Angebot. Eine ähnliche Rolle können
Sortimentsspezialisten nun online einnehmen. Dabei erfüllen die
meisten Onlineeinkäufe ein einziges, klar definierbares Bedürfnis: „Ich
möchte einen neuen Fernseher“ oder „Ich brauche einen Autositz“.
Dazu passt auch die überwiegend praktizierte Art und Weise des
Einkaufens über Suchanfragen.
Doch bei komplexeren Vorgängen stoßen die meisten Websites
schnell an ihre Grenzen. Bei schwerer einzugrenzenden
Bedürfnissen – „Ich brauche neue Schuhe“ oder „Ich suche ein neues
Soundsystem“ – funktioniert die Suche nicht so gut und die unendliche,
sonst so wirksame Auflistung von Treffern verwirrt eher. Einige
Websites versuchen, das Problem mit Kundenrezensionen zu lösen.
Einen echten Wettbewerbsvorteil können sich jedoch Einzelhändler
erarbeiten, die den Anlass eines Einkaufs wirklich verstehen und ein
darauf zugeschnittenes Erlebnis bieten. In den Bereichen, in denen
der Bedarf regelmäßig wiederkehrt, lässt sich ein solch überlegenes
Kundenerlebnis in langfristige Loyalität verwandeln.
Nicht jedes Sortiment eignet sich für das Modell des
Sortimentsspezialisten, und das Sortiment der erfolgreichsten
stationären Category Killer entspricht nicht unbedingt dem
erfolgreicher Sortimentsspezialisten im Onlinegeschäft. Dessen
ungeachtet gibt es Kaufanlässe mit besonderen (und in vielen Fällen
besonders anspruchsvollen) Serviceanforderungen, die sich am besten
von speziell hierfür entwickelten Geschäftsmodellen bedienen lassen
(vgl. Abbildung 2).
80
Online

Wo das Modell funktioniert
Bei komplexen Kaufanlässen mit mittlerer Einkaufsfrequenz, bei eigenständigen
Sortimentsbereichen, die nicht mit anderen Produkten zusammen gekauft werden sowie bei
zahlreichen Interdependenzen zwischen einzelnen Artikeln

Wie das Modell Kunden gewinnt
Die Kunden wissen, wo sie die Produkte finden, die am besten ihren
Bedürfnissen entsprechen

Wie sich Gewinne erzielen lassen
Eine natürliche Marge ergibt sich durch die Differenzierung des Angebots
und die langfristige Loyalität der Kunden, sie basiert auf einem nur schwer
nachahmbaren Kundenerlebnis
Abbildung 2: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Sortimentsspezialisten etabliert haben
ETABLIERT: ZAPPOS.COM
NEWCOMER: WIGGLE.COM
Tätigkeitsfeld
•• Textil- und Schuhhändler für
den Massenmarkt
•• Größter Onlineschuhladen der Welt
•• Auf Sportartikel spezialisierter Händler
•• Seit 2011 im Besitz der Private Equity-Firma
Bridgepoint Capital; Kaufpreis: 180 Mio. £
Bisherige Erfolge
•• Übernahme durch Amazon im Jahr 2009
•• Umsatzwachstum von 168 Mio. £ im Jahr
2014 (2013: ca. 141 Mio. £)
Angebot
•• Sortimentsvielfalt:
−− 50.000 Schuhmodelle
−− Große Auswahl an Nischenprodukten
−− Nicht-vorrätige Ware lässt
sich vorbestellen
•• Sortimentsvielfalt:
−− Große Auswahl an Radfahr-, Laufund Schwimmausrüstung
−− Einkauf nach Marke oder
Produktkategorie möglich
•• Kundendienst im Fokus:
−− Callcenter sind 24/7 erreichbar; keine
vorgegebenen Skripts; Marke profitiert
von dem besonderen Einsatz der
Mitarbeiter
•• Rat von Experten:
−− Einkaufsführer für
jeden Sortimentsbereich
−− Onlineberater stehen für Livechats bereit
•• Treiber sind Wiederholungskäufer
•• Treiber ist das ausdifferenzierte Angebot
des Spezialisten
Ertragsmodell
•• Niedriges Risiko:
−− 12-monatiges Rückgaberecht
−− 30-tägige Testphase bei Fahrrädern
81
MODELL 3 | D
AS STANDARDZIEL: „DIE ERSTE
ANLAUFSTELLE FÜR KUNDEN“
Das Standardziel entspricht im Onlinezeitalter dem althergebrachten
Warenhaus – dem „One-Stop-Shop“. Kunden wissen, dass sie
dort im Großen und Ganzen immer alles zu einem fairen Preis
bekommen können. In der Onlinewelt hat sich hierfür auch der Begriff
„Convenience“ etabliert. Diese Internethändler bieten alles, was
Verbraucher wahrscheinlich benötigen, sowie eine solide Website,
ein einfaches Einkaufserlebnis und wettbewerbsfähige, wenn auch
nicht immer die günstigsten Preise. Sie wollen sich auf diesem Weg
eine Kundenbasis aufbauen, die sie als Standardziel für sämtliche
Bedürfnisse abspeichert.
Genau diesen Ansatz verfolgt Amazon (vgl. Abbildung 3). Mit der
ständigen Erweiterung des Sortiments deckt das Unternehmen
mehr und mehr die typischen Bedürfnisse privater Haushalte ab und
macht es so immer naheliegender, direkt und damit ohne Prüfung
von Alternativen auf die Amazon-Website zu gehen. Währenddessen
schafft das Amazon-Prime-Modell eine langfristige Kundenbindung.
In der Folge ist Amazon heute in vielen Fällen das Unternehmen, an
das Kunden als Erstes denken, und zugleich der führende Anbieter in
Sachen Sortimentsbreite und -tiefe sowie positiver Preiswahrnehmung.
Vor diesem Hintergrund erscheint es schwer vorstellbar, dass
etwas anderes als ein komplexer Zusammenschluss verschiedener
Einzelhändler mit Amazon auf gleichem Niveau konkurrieren könnte.
Es gibt aber noch andere Kundensegmente, beispielsweise kleine
Unternehmen, Schulen, junge Familien oder „Best Ager“, für die
sich vergleichbare Standardzielgeschäftsmodelle nach wie vor
entwickeln lassen.
Die Herausforderung besteht darin, die Zielgruppe genau zu definieren
und danach alles daranzusetzen, sie über die Zeit immer besser zu
bedienen. Ein halbherziger Ansatz ist zum Scheitern verurteilt. Wer zum
Beispiel im Bereich Bürobedarf die Zielgruppe der Kleinunternehmer
adressieren will, muss sämtliche Bedürfnisse und nicht nur einen
Teil abdecken. Ziel ist es, sich als das Standardziel für Bürobedarf zu
etablieren, sodass die Besteller keinen Grund mehr haben, woanders
einzukaufen. Dafür bedarf es maßgeschneiderter Regelungen für
den Versand und die Abrechnung ebenso wie ein Angebot von
Dienstleistungen entlang des Sortiments. Ein solches Geschäftsmodell
unterscheidet sich fundamental von traditionellen Modellen, bei denen
die Produkte im Mittelpunkt standen.
82
Online

Wo das Modell funktioniert
In Kundensegmenten mit breit gefächerten und doch identifizierbaren Bedürfnissen

Wie das Modell Kunden gewinnt
Mit einer bequemen Abdeckung sämtlicher Kundenbedürfnisse zu verlässlich
niedrigen Preisen

Wie sich Gewinne erzielen lassen
Durch Etablierung als Standardziel für Einkäufe
Abbildung 3: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Standardziel etabliert haben
AMAZON
STAPLES
Ursprüngliches
Angebot
•• Beginn als Sortimentsspezialist für Bücher;
Verkauf des ersten Buchs im Jahr 1995
•• Angebot eines Vielfachen der im
stationären Buchhandel vorrätigen Titel
•• Beginn als Großmarkt für Bürobedarf im
Jahr 1986
•• Über viele Jahre danach der Category Killer
in diesem Segment
Entwicklung
•• Etablierung als breit aufgestellter
Preisführer, der Produkte nahezu
überall unterhalb der unverbindlichen
Preisempfehlungen anbietet und hierzu die
eigene Logistik oder den Marketplace nutzt
•• Rasche Expansion in andere
Sortimentsbereiche; Konzentration
auf Beherrschung des
direkten Kundenkontakts
•• Starke Kundenorientierung; AboModelle und Prime-Mitgliedschaft
vertiefen Kundenbindung
•• Entwicklung zum Standardziel für viele
private Haushalte
•• Expansion in Services sowie verwandte
Sortimentsbereiche wie Büromöbel und die
Ausstattung von Pausenräumen, um sich
als Standardziel für den B2B-Bürobedarf
zu etablieren
•• Konzentration auf den Ausbau der
Kundenbeziehung beispielsweise durch
Übernahme eines auf die Personalisierung
von E-Commerce spezialisierten
Unternehmens
•• Derzeit Neugestaltung der Strategie
in Richtung weniger Filialen und
mehr Onlinegeschäft
83
MODELL 4 | DER ERLEBNISGESTALTER: „EIN VON A BIS Z
PERFEKTER EINKAUF“
Das Multikanalkonzept macht mehr aus dem bestehenden Filialnetz und könnte sich daher
für viele der größten stationären Einzelhändler als das interessanteste Modell erweisen. Es ist
allerdings auch am schwierigsten zu erklären, da es bislang noch kein einziges Unternehmen in
vollem Umfang umgesetzt hat.
In der Vergangenheit kamen Kunden, von der Werbung und einigen Mailings abgesehen,
nur in den Läden, am Point of Sale, in Kontakt mit einem Händler. Heute dagegen beginnt ein
Einkaufserlebnis, schon lange bevor ein Kunde einen Fuß in einen Laden setzt, und es endet erst
lange danach. Unternehmen können entlang dieses Wegs dank moderner Technik an vielen
Punkten Unterstützung anbieten. Es geht darum, mit technischer Hilfe häufiger mit den Kunden
zu interagieren und diese Interaktionen nahtlos und wertschaffend in das Einkaufserlebnis
vor Ort einfließen zu lassen. So können traditionelle Einzelhändler von A bis Z überzeugende
Kundenerlebnisse schaffen und sich vom Online- und Offlinewettbewerb abheben.
Unternehmen müssen dafür zunächst verstehen, wie subtil oder implizit sich Kunden
entlang eines Einkaufserlebnisses häufig entscheiden. Wie Abbildung 4 zeigt, gibt es je nach
Sortiment und Kaufanlass Unterschiede. Im Prinzip zeigen sich aber bei jedem Einkauf vier
erkennbare, sich manchmal überschneidende oder wiederholende Schritte. Zu Beginn müssen
Einzelhändler Möglichkeiten identifizieren, Kunden bei jedem Schritt zu unterstützen. Zudem
gilt es, Antworten auf existenzielle Fragen zu finden: Was will der Kunde und über welchen
Kanal lässt sich dieses Bedürfnis wie befriedigen (vgl. Abbildung 5)? Es handelt sich hierbei
fraglos um konzeptionelle Überlegungen weit jenseits des Alltagsgeschäfts. Wer sich Zeit für
die Beantwortung nimmt, macht aber einen entscheidenden ersten Schritt auf dem Weg hin zu
einem echten Multikanalanbieter.
Abbildung 4: Die Beantwortung der folgenden Fragen und entsprechendes Handeln
entlang der vier Schritte eines Einkaufserlebnisses ermöglichen es, sich komplett auf
Kundenbedürfnisse einzustellen
Auslöser
Suche
Einkauf
Nach dem Einkauf
84
• Wann, warum und wie beginnen Kunden, über einen Einkauf nachzudenken?
• Wie kann ein Unternehmen ihnen in dieser Phase helfen, ohne sie mit
Informationen zu „überfluten“?
• An welche Unternehmen denken verschiedene Kundengruppen überhaupt?
• Wie erfolgt die Auswahl?
• Wie lassen sich Kunden motivieren, sich für das eigene Unternehmen zu entscheiden?
• Wie stark zählt das Einkaufserlebnis selbst für verschiedene Kundengruppen?
• Wonach suchen die Kunden?
• Wie lässt sich das bestmögliche Einkaufserlebnis schaffen?
• Was geschieht nach einem Einkauf?
• Wie lassen sich Kundenerwartungen in dieser Phase übertreffen?
Online
Aber wie sieht ein echter Multikanalanbieter eigentlich aus? Über die reine Fähigkeit hinaus,
Produkte über verschiedene Kanäle verkaufen zu können, bedarf es einer kanalübergreifenden
Preisstrategie, einer Integration der Logistik sowie professioneller Apps und Websites samt
Rezensionen, Empfehlungen und Ratschlägen. Dies alles ist notwendig, aber nicht ausreichend.
Damit das Geschäftsmodell als Multikanalanbieter funktioniert, braucht es ein so weitreichendes
Verständnis über das Einkaufs- und Auswahlverhalten der Konsumenten auf Basis von
Kundendaten wie noch nie. Dabei geht es nicht mehr nur um den Einkauf im Laden selbst,
sondern um das gesamte Einkaufserlebnis. Ein solcher Ansatz erfordert auch die Identifizierung
von Kaufanlässen, die in der Vergangenheit gar nicht bestanden oder nicht gut abgedeckt
wurden. Erforderlich ist, den Umgang mit sozialen Netzwerken und anderen Kanälen zu
beherrschen, um sich bei Kunden als erste Einkaufsadresse zu etablieren. Es gilt darüber hinaus
zu erkennen, dass verschiedene Kundengruppen in unterschiedlicher Weise einkaufen. Ein
erfolgreiches Unternehmen bietet jeder Gruppe den für sie passenden Grad an Service und
Unterstützung, ohne aufdringlich zu erscheinen.
Im Idealfall tragen bei einem Multikanalgeschäftsmodell On- und Offlineangebote dazu bei,
das Kundenerlebnis in den anderen Kanälen zu verbessern. Derzeit sind einige Dienstleister
bei diesem Thema weiter vorangeschritten als der Einzelhandel. Fluglinien beispielsweise
können durch die Auswertung mobiler Umfragen in Echtzeit erkennen, wenn sich Ärger bei
Kunden aufstaut, und bereits in der Lounge oder am Gate gegensteuern. Hotelketten sind in
der Lage vorherzusagen, wohin ein Gast wann als Nächstes reisen möchte. Für den stationären
Handel heißt das: Die Bedeutung der Filialen könnte sich zwar reduzieren, doch sie bleiben ein
entscheidender Faktor, um durchweg das bestmögliche Kundenerlebnis bieten zu können.
Abbildung 5: Beispiele, wie sich Einzelhändler entlang des Einkaufserlebnisses auf innovative
Weise auf ihre Kunden einstellen können
Auslöser
Suche
Einkauf
Nach dem Einkauf
Ein Spielzeugladen informiert Familienangehörige über anstehende Geburtstage
und macht Vorschläge, unter anderem auf Basis früherer Einkäufe,
bestehenden Feedbacks und aktueller Trends.
Ein Baumarkt erkennt, dass sich ein Kunde über eine Vielzahl von Produkten informiert. Er
bietet dem Kunden daher eine Beratung durch einen Experten in der Filiale sowie einen
Gutschein an, bei dem der Rabatt mit dem Einkaufswert wächst.
Ein Elektronikhändler bietet seinen Kunden drei Optionen, wenn sie einen Laden betreten:
1. Einen Fast Track, wobei die Kunden bereits zahlen, während ein Mitarbeiter das Produkt holt
2. Persönliche Beratung durch einen Experten
3. Einen „normalen“ Einkauf
Ein Lebensmittelhändler schickt Kunden E-Mails mit Rezepten auf Basis ihrer jüngsten
Einkäufe und erinnert sie auf gleichem Weg, wenn die Mindesthaltbarkeitsdaten dieser
Produkte erreicht sind.
85
Genau das bedeutet der perfekte Einkauf von A bis Z: Es geht um ein
authentisches Angebot entlang des gesamten Einkaufserlebnisses, bei
dem jede Interaktion einen Mehrwert schafft. Vielen Einzelhändlern
gelingt dies heute bereits in einigen Bereichen, doch keiner schafft
bislang ein von A bis Z überzeugendes Erlebnis.
Die vielleicht größte Herausforderung liegt in dem geforderten neuen
Denkansatz. Es geht darum, Kunden zu helfen und ihnen nicht nur
Produkte zu verkaufen, sondern ihnen vielmehr das Leben besser,
einfacher und angenehmer zu machen. Noch erfüllt kein Einzelhändler
diesen Anspruch in vollem Umfang. Die Beispiele in Abbildung 6
zeigen aber, welche Möglichkeiten sich eröffnen und wie Einzelhändler
profitieren können.
86

Wo das Modell funktioniert
Nahezu überall; am offensichtlichsten sind die Möglichkeiten bei
komplexen Einkaufsvorgängen, bei denen weder rein stationäre
noch rein internetbasierte Modelle das bestmögliche Erlebnis
bieten können; hinzu kommen Sortimentsbereiche, bei denen
die Auswahl in hohem Maß subjektiven Kriterien unterliegt (zum
Beispiel Kleidung, Möbel, Luxusgüter und Geschenke)

Wie das Modell Kunden gewinnt
Indem es ihr Leben einfacher und besser macht

Wie sich Gewinne erzielen lassen
Es entsteht eine völlig neue Art von Einzelhändlern, die sich
durch ein einzigartiges Angebot und zugleich ein Filialnetz in der
richtigen Größe differenzieren
Online
Abbildung 6: Beispiele von Einzelhändlern, die sich als Erlebnisgestalter etabliert haben
JOHN LEWIS
SEPHORA
Tätigkeitsfeld
•• Britisches Warenhaus
•• Parfüm und Kosmetik
Bisherige Erfolge
•• Eine der wenigen stationären Einzelhändler in
Innenstadtlagen mit stetigem Wachstum trotz
jüngster Konjunkturschwächen
•• Im Besitz von LVMH
•• Aggressive Expansion in bestehenden und neuen Märkten,
Eröffnung von jährlich 100 neuen Filialen über die nächsten
fünf Jahre geplant
Angebot
•• In den Läden:
−− Möglichkeit, sämtliche Artikel anzusehen und
anzufassen; bemerkenswert vor allem bei
höherpreisigen Sortimentsbereichen wie Möbel
und Elektronik
−− Kooperativer Ansatz; das Unternehmen befindet sich
im Besitz der Mitarbeiter, was zu einem qualitativ
hochwertigen Service vor Ort führt
−− Große Auswahl an Dienstleistungen wie Einbau und
Installation sowie persönliche Typberatung
•• Komplett integrierte Website erweitert und vertieft das
Einkaufserlebnis in den Läden:
−− Terminals in den Filialen erlauben die Suche, die
Prüfung von Verfügbarkeiten sowie Onlinebestellungen
−− Kostenloses „Click and Collect“ mit landesweiter
Abdeckung dank Zusammenarbeit mit der
Schwesterfirma Waitrose, einer Supermarktkette
−− Zusammenstellung und Präsentation von
Geschenkelisten in den Läden; Ansicht und Bestellung
auch online möglich
•• Die Läden sind unverzichtbar, um Produkte auszuprobieren
oder auch um an Events und Kursen teilzunehmen
•• Der Onlineauftritt enthält Rezensionen sowie Ratings und
umfasst sämtliche Produkte
•• Effektive Integration der beiden Kanäle, sodass Kunden:
−− Kurse und Events per App buchen können
−− Produkte in den Läden mit ihrem Smartphone scannen
können, um Ratings und Rezensionen zu sehen
−− auf Downloads von Musik, Magazinen und Büchern mit
der „Sephora Shares“-App zugreifen können; diese App
erhöhte die Akzeptanz der Technologie enorm
Ertragsmodell
•• Das Onlinegeschäft treibt das Wachstum: Im
Weihnachtsgeschäft 2014 entfiel hierauf mehr als ein
Drittel der Umsätze; einem Onlinewachstum von 19,2
Prozent stand ein Anstieg der Umsätze in den Filialen um
3,3 Prozent gegenüber
•• Entwicklung neuer, kleinerer Filialen mit einem
abgestimmten Sortiment ergänzt um Terminals
für Onlinebestellungen
•• Die Integration stützt das zugrunde liegende Modell
eines Sortimentsspezialisten; das Unternehmen profitiert
von der weitergehenden Differenzierung und einer
höheren Loyalität
87
Abbildung 7: Überblick über die vier rentablen Modelle im Onlinehandel
MODELL 1:
PREISFÜHRER
MODELL 2:
SORTIMENTSSPEZIALIST
MODELL 3:
STANDARDZIEL
MODELL 4:
ERLEBNISGESTALTER
Wo das
Modell funktioniert
Bei Produkten, die online
gesucht und einzeln gekauft
werden, und deren Kauf
einfachen Regeln unterliegt
Bei komplexen
Kaufanlässen mit mittlerer
Einkaufsfrequenz,
bei eigenständigen
Sortimentsbereichen, die
nicht mit anderen Produkten
zusammen gekauft werden
sowie bei zahlreichen
Interdependenzen zwischen
einzelnen Artikeln
In Kundensegmenten
mit breit gefächerten,
aber identifizierbaren
Bedürfnissen
Bei komplexen
Einkaufsvorgängen, wo
weder rein stationäre
noch rein internetbasierte
Modelle das bestmögliche
Erlebnis bieten
können; hinzu kommen
Sortimentsbereiche, bei
denen die Auswahl in
hohem Maß subjektiven
Kriterien unterliegt
Wie das Modell
Kunden gewinnt
Bei jeder Suche bietet es den
besten Preis
Die Kunden wissen, wo
sie die Produkte finden,
die am besten ihren
Bedürfnissen entsprechen
Mit einer bequemen
Abdeckung sämtlicher
Kundenbedürfnisse zu
verlässlich niedrigen Preisen
Indem es ihr Leben einfacher
und besser macht
Wie sich Gewinne
erzielen lassen
Durch besonders günstige
Lieferkonditionen und
niedrige Kostenstrukturen
Eine natürliche Marge
ergibt sich durch die
Differenzierung des
Angebots und die
langfristige Loyalität der
Kunden; sie basiert auf einem
nur schwer nachahmbaren
Kundenerlebnis
Durch Etablierung als
Standardziel für Einkäufe
Es entsteht eine völlig neue
Art von Einzelhändlern, die
sich durch ein einzigartiges
Angebot und zugleich ein
Filialnetz in der richtigen
Größe differenzieren
POSITIONIERUNG
Reine Onlinepräsenz
Starke stationäre
Präsenz
Heute
88
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FAZIT
Ein Artikel auf dieser Abstraktionsebene kommt ohne
Vereinfachungen nicht aus. Aber gerade diese helfen, die
entscheidenden Möglichkeiten einer langfristigen Wertsteigerung zu
erkennen. Ohne Frage ist E-Commerce eine besonders anspruchsvolle
Disziplin des Einzelhandels. Folgerichtig ist allen in Abbildung 7
zusammengefassten Geschäftsmodellen ein Thema gemein: Für
den Erfolg bedarf es bahnbrechender Innovationen und nicht nur
schrittweiser Verbesserungen. Ein hohes Maß echter Kreativität
und Durchsetzungskraft ist nötig, um einem Geschäftsmodell zum
Durchbruch zu verhelfen, das auf einem der vier hier vorgestellten
Ansätze beruht – zumal sich der technische Fortschritt beschleunigt und
sich der Wettbewerb ständig verschärft. Ein behutsames Vorgehen wird
nicht ausreichen, um langfristig die Gewinne zu sichern.
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PUBLIKATIONEN
VON OLIVER WYMAN
www.oliverwyman.de
www.oliverwyman.com
INCUMBENTS IN THE
DIGITAL WORLD
LAGGARDS WILL BE LOSERS
THE INTERNET
OF THINGS
DISRUPTING TRADITIONAL BUSINESS MODELS
INCUMBENTS IN THE
DIGITAL WORLD
PERSPECTIVES ON
MANUFACTURING INDUSTRIES
Die Publikation erläutert, wie etablierte
Organisationen in einem durch digitale
Disruptoren geprägten Markt letztlich
gewinnen können.
Das jährliche Branchenmagazin für
Entscheider im Maschinen- und
Anlagenbau enthält zahlreiche Beiträge
zu den Chancen und Handlungsoptionen
von Industrieunternehmen.
THE INTERNET OF THINGS
TEN IDEAS FROM
OLIVER WYMAN, AUSGABE 2
Das Internet der Dinge beeinflusst
etablierte Anbieter in den Bereichen
Versicherung, Fertigung, Dienstleistung,
Telekommunikation, Einzelhandel,
Vertrieb und Energieversorgung.
TEN
IDEAS
FROM OLIVER WYMAN
Die zweite Ausgabe beschreibt, wie
Unternehmen unterschiedlicher
Branchen auf die Herausforderungen
sich verändernder Kundenbedürfnisse
reagieren und den steigenden
Erwartungen gerecht werden können.
VOLUME 2
March 19, 2015
BLUE PAPER
MORGAN STANLEY RESEARCH
Global
Huw van Steenis1
+44 (0)20 7425 9747
Betsy Graseck2
+1 212 761 8473
Bruce Hamilton1
+44 (0)20 7425 7597
Vishwanath Tirupattur 2
+1 212 761 1043
Tom Whitehead2
+1 212 761 5672
Canset Eroglu1
THE OLIVER WYMAN
AND MORGAN STANLEY
WHOLESALE INVESTMENT
BANKING OUTLOOK 2015
THE OLIVER WYMAN
AUTOMOTIVE MANAGER
2015
AUTOMOTIVE
MANAGER
TRENDS, OPPORTUNITIES, AND SOLUTIONS ALONG THE ENTIRE VALUE CHAIN
COVER STORY: THE TRUE VALUE OF AUTONOMOUS DRIVING
+44 (0)20 7425 0477
Christian Edelmann
+1 212 345 3589
Wholesale & Investment Banking Outlook
Liquidity Conundrum: Shifting risks, what it means
Financial regulation and QE are at the heart of a huge shift in liquidity risk from
banks to the buy-side, which is increasingly a concern for policy makers. This shift
is far from over: we expect liquidity in sell-side markets to deteriorate further, as regulation
shrinks banks’ capacity another 10-15% over the next two years. Our interviews with
asset managers highlighted their concerns over scarcer secondary market liquidity,
particularly in credit and in Europe.
Regulatory risks are rising for asset managers, as policy makers worry about the
risks to financial stability from US QE exit and market structure changes. Our base
case is the initial set of reforms follow an incremental approach that involves stress
testing of select funds and a range of micro reforms. This could add an extra cost of 1-5%
to asset managers, albeit the largest firms are already well placed on this.
To calibrate possible stress tests, we’ve analysed the periods of worst fund
redemptions in the last 35 years. For instance, fixed income mutual fund outflows in
1994 were on average ~5% in the worst 3 months vs 4-7% fund cash holdings today,
which gives us some reassurance. However regulators may wish to test for an even
tougher scenario at a fund level. Our bear case is for a more profound longer-term
change in regulation that would hit profits and investment flexibility.
For the banks, diminishing returns on capital from market making demand even
greater efficiency, dexterity and scale to achieve 10-12% returns. More firms will trim
this business, ultimately leaving a potentially attractive prize for those able to endure.
Ted Moynihan
+44 (0)20 7852 7555
James Davis
+44 (0)20 7852 7631
Michael Turner
+44 (0)20 7852 7845
Robert Rogers
+44 (0)20 7852 7642
Maxim Olliver
+44 (0)20 7852 7605
Oliver Wyman is a global leader in management
consulting. For more information, visit
www.oliverwyman.com.
Oliver Wyman is not authorized or regulated by
the PRA or the FCA and is not providing
investment advice. Oliver Wyman authors are not
research analysts and are neither FCA nor FINRA
registered. Oliver Wyman authors have only
contributed their expertise on business strategy
within the report. Oliver Wyman’s views are
clearly delineated. The securities and valuation
sections of report are the work of Morgan Stanley
only and not Oliver Wyman.
For disclosures specifically pertaining to Oliver
Wyman please see the Disclosure Section located
at the end of this report.
1
Morgan Stanley & Co. International plc+
Morgan Stanley & Co. Incorporated
2
Morgan Stanley Blue Papers focus on critical
investment themes that require coordinated
perspectives across industry sectors, regions,
or asset classes.
Die Studie untersucht die
Herausforderungen des globalen
Wertpapiergeschäfts mit einem
Gesamtwert von 750 Milliarden
US‑Dollar Jahresumsatz.
Die jährliche Publikation für die
Entscheider der Automobilindustrie bietet
Herstellern, Zulieferern und dem Handel
tiefe Einblicke in Themen entlang der
gesamten Wertschöpfungskette.
Morgan Stanley does and seeks to do business with companies covered in Morgan Stanley Research. As a result, investors should be aware that the firm may
have a conflict of interest that could affect the objectivity of Morgan Stanley Research. Investors should consider Morgan Stanley Research as only a single factor
in making their investment decision.
For analyst certification and other important disclosures, refer to the Disclosure Section, located a t the end of this report.
* = This Research Report has been partially prepared by analysts employed by non -U.S. affiliates of the member.
+= Analysts employed by non-U.S. affiliates are not registered with FINRA, may not be associated persons of the membe r and may not be subject to NASD/NYSE
restrictions on communications with a subject company, public appearances and trading securities held by a research analyst a ccount.
OLIVER WYMAN
CMT JOURNAL, AUSGABE 2
Die zweite Ausgabe der jährlich
erscheinenden Publikation
veranschaulicht, wie zunehmend
umkämpfte und digitalisierte Märkte
erfolgreich navigiert werden können.
THE OLIVER WYMAN
CMT JOURNAL
VOLUME 2
VOLUME 1 | 2014
THE OLIVER WYMAN
ENERGY JOURNAL
OLIVER WYMAN
ENERGY JOURNAL, AUSGABE 1
Diese erste Ausgabe der Publikation
liefert Einblicke in aktuelle Trends und
Herausforderungen der Energiebranche
und zeigt auf, wie Unternehmen auf diese
Veränderungen reagieren können.
THE OLIVER WYMAN
ONLINE RETAIL REPORT
VOLUME 4 | 2014
Die Artikel erklären, wie stationäre
Einzelhändler Umsatzverluste durch in
den Markt drängende Onlineanbieter
vermeiden und selbst ein erfolgreiches
Onlineangebot aufbauen können.
THE OLIVER WYMAN
ONLINE RETAIL
REPORT
THE GAME IS CHANGING
FALL 2014
TRANSPORT & LOGISTICS
TRANSFORMATION | Disruptive Logistics, Aviation Biofuels
MARKETING | Mobility 2020, Customer Innovation
FINANCE | HSR Funding, 3PL Profitability
OPERATIONS | Manager Excellence, MRO Survey
And more…
THE
PROCUREMENT
PLAYBOOK
STRATEGIES AND PLAYS FROM 100 CPO
Welcome
to the
Human Era
The new model for building trusted connections,
and what brands need to do about it
THE OLIVER WYMAN
RISK JOURNAL
THE OLIVER WYMAN
RISK JOURNAL, AUSGABE 4
Die vierte Ausgabe der
branchenübergreifenden Publikation
beschreibt aus unterschiedlichen
Perspektiven komplexe Risiken, die
die Zukunft vieler Unternehmen
bestimmen werden.
PERSPECTIVES ON THE RISKS THAT WILL
DETERMINE YOUR COMPANY’S FUTURE
THE OLIVER WYMAN
TRANSPORT & LOGISTICS
JOURNAL
Die Publikation gibt Einblicke in aktuelle
Themen und Trends der globalen
Transport- und Logistikbranche und
beleuchtet Herausforderungen in den
Bereichen Transformation, Marketing,
Finanzen und Operations.
Health & Life Sciences
THE
CONSUMER
REVOLUTION
HOW HIGH TECH, TRANSPARENT MARKETPLACES,
AND CONSUMER POWER ARE TRANSFORMING
U.S. HEALTHCARE
Tom Main • Adrian Slywotzky
THE PROCUREMENT
PLAYBOOK
Die Publikation beschreibt Strategien
und Best Practices von 100 Chief
Procurement Officers.
THE PATIENT-TOCONSUMER REVOLUTION
Der Report zeigt, wie Hightech,
transparente Märkte und die
Verbrauchernachfrage das
Gesundheitswesen der USA grundlegend
verändern und zu wesentlichen
Verbesserungen bei der Qualität,
den Kosten und beim Zugang zu
medizinischer Versorgung führen.
THE STATE OF FINANCIAL
SERVICES 2015
MANAGING COMPLEXITY
THE STATE OF THE FINANCIAL SERVICES INDUSTRY 2015
Diese 18. Ausgabe erklärt, dass
die zunehmende Komplexität der
Finanzbranche einer der wichtigsten
Treiber der sinkenden Profitabilität von
Banken und Versicherungen ist, und
gibt Aufschluss, wie Unternehmen damit
umgehen können.
WELCOME TO THE
HUMAN ERA
WOMEN IN
FINANCIAL SERVICES
Der Report definiert, was es bedeutet,
ein Unternehmen der „Human Era“
zu sein, und beschreibt ein neues
Modell für den Aufbau verlässlicher,
authentischer Beziehungen.
Die Studie untersucht die Frage, was
Frauen daran hindert, an die Spitze
von Finanzinstituten vorzustoßen,
und wie die Branche Hindernisse
beseitigen kann.
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JAMES BACOS
RICHARD McKENZIE
Global Retail Practice Leader
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+49 89 939 49 441
Asian Retail Practice Co-Leader
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CHRIS BAKER
MARÍA MIRALLES CORTÉS
North American Retail Practice Co-Leader
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Iberian Retail Practice Leader
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WAI-CHAN CHAN
SIRKO SIEMSSEN
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NICK HARRISON
European Retail Practice Co-Leader
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Risikomanagement und Organisationsberatung. Gemeinsam
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